Genf, Niamey (epd). Die Entführung eines deutschen Entwicklungshelfers im Grenzgebiet vom Niger zu Mali wirft ein Schlaglicht auf eine Krisenregion, in der sich Terroristen, Kriminelle und Milizen weitgehend unbehelligt festgesetzt haben: den westafrikanischen Sahel. Augenzeugen berichten, die Entführer hätten ihre Geisel am 11. April nahe der nigrischen Siedlung Inatès verschleppt und seien in Richtung malischer Grenze geflohen. Der Entführte arbeitet für die Hilfsorganisation Help mit Sitz in Bonn. Wer die Kidnapper sind, blieb zunächst unklar.
Der Standort der Bundeswehr im Rahmen ihres Mali-Einsatzes, Gao, liegt vom Ort der Entführung rund 200 Kilometer entfernt, ähnlich weit wie Nigers Hauptstadt Niamey. Grenzen stehen in der dünn besiedelten und von Sicherheitskräften kaum kontrollierten Region ohnehin nur auf dem Papier.
Anschlag auf Botschaft
Das zeigte sich auch Anfang März bei einem Anschlag auf die französische Botschaft und eine nationale Militärbasis in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos. Dafür zeichnete eine Terrorallianz verantwortlich, die transnational kämpft und sich schnörkellos als "Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime" (JNIM), bezeichnet. Zu ihr gehören nach eigenen Angaben die Terrormilizen Ansar Dine und Al-Mourabitoun, die 2012 mit der Unterstützung von Tuareg-Gruppen den Norden Malis besetzten, die Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AQMI) und eine Abspaltung von Ansar Dine, die sich Macina-Befreiungsfront nennt.
Die genannten Gruppen haben in der Vergangenheit bereits in Mali, im Niger, in Mauretanien, Algerien, dem Tschad und Nigeria Anschläge verübt. Ihre Rückzugsorte sind die Wüste, entlegene Gebirge oder unwegsame, von Dornengestrüpp bewachsene Gebiete, in denen sich die Täter bestens auskennen.
Mokhtar Belmokhtar etwa, der zuletzt die Terrormiliz Al-Mourabitoun anführte, machte in der Region als Zigarettenschmuggler ein Vermögen, bevor er in die Terrorbranche wechselte. Sein Spitzname lautet noch heute "Mr. Marlboro". Auch Iyad Ag-Ghaly, wegen seiner wechselnden Loyalitäten "Wüstenwendehals" genannt, blickt auf eine kriminelle Vergangenheit zurück.
Terrorgruppen unter Druck
Aber nicht nur Terroristen entführen Ausländer, im Niger und in Mali gibt es auch Schmuggler, Schleuser und andere Kriminelle, die Lösegeld erpressen. So soll Frankreich vor fünf Jahren 20 Millionen Euro gezahlt haben, um vier von AQMI in der nigrischen Minenstadt Arlit entführte Franzosen freizubekommen. Offiziell bestreitet Frankreich Lösegeldzahlungen. Die Entführungsindustrie soll nicht weiter angeheizt werden.
Geld können die Terrorgruppen in der Region gut gebrauchen, denn sie stehen unter Druck. Seit Anfang des Jahres hat die Antiterroreinheit der "G5 Sahel" mit Soldaten aus Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und dem Tschad erste Operationen gestartet. Bis Mitte des Jahres sollen 5.000 erfahrene Soldaten aus der Region gegen die Terroristen im Sahel vorgehen. Bezahlt wird die kostspielige Mission aus dem Ausland. Knapp 300 Millionen Euro sind für das erste Jahr bereits zugesagt worden, mehr als ein Fünftel davon aus Brüssel. Der EU ist ebenso wie der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich am Erfolg der ersten multinationalen Antiterrorgruppe in Afrika gelegen.
Die Stabilisierung der Region ist auch deshalb so entscheidend, weil Afrika ein neues Terrorproblem droht: Gut 6.000 Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) könnten in naher Zukunft vor allem aus Syrien und dem Irak nach Afrika zurückkehren, warnte die Afrikanische Union im Dezember. Auch die Terrorkämpfer von Boko Haram in Nigeria fliehen vor der Armee in den Sahel.
Die Regierungen im Niger, in Mali und den Nachbarstaaten gelten als schwach. Alleine würden sie einem Ansturm von Terrorkämpfern kaum standhalten, wie die schnelle Einnahme des Nordens Malis 2012 gezeigt hat. Neben der G5-Sahel-Truppe gilt die UN-Mission Minusma mit ihren knapp 11.800 Soldaten, bis zu 1.000 davon aus Deutschland, als wichtigstes Bollwerk gegen die Terroristen, die sich mit Geld aus Schleusung, Schmuggel und Entführungen weiter aufzurüsten drohen.