Forscher haben mehr deutsches Engagement im Kampf gegen "vernachlässigte Tropenkrankheiten" wie Bilharziose, Lepra, Dengue-Fieber oder Tollwut gefordert. In Deutschland liege die Forschungsförderung in diesem Bereich deutlich hinter Ländern wie den USA, Frankreich oder Großbritannien, sagte der Leiter der Abteilung Infektionsepidemiologie des Hamburger Berhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, Jürgen May. Der Wissenschaftler sprach bei der Vorstellung einer Studie zur Einschätzung des Beitrags deutscher Institutionen zur Erforschung von Tropenkrankheiten am 10. April in Berlin.

Nach Angaben des Deutschen Netzwerks gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten haben weltweit rund 1,5 Milliarden Menschen mindestens eine dieser Krankheiten - die meisten von ihnen leben in Afrika und Südamerika. Ziel sei es, 20 Erkrankungen "in einem überschaubaren Zeitrahmen" auszurotten oder zumindest besser unter Kontrolle zu halten, heißt es in der Studie. Die Leiden werden durch Würmer, Parasiten, Pilze, Bakterien, Viren oder auch Gifte hervorgerufen, etwa bei einem Schlangenbiss. Impfungen gibt es den Angaben nach nur für zwei der Krankheiten: Tollwut und Dengue-Fieber. Auch Schnelltests seien nur selten vorhanden.

"Cola leichter zu bekommen als Medikamente"

May sagte, an manchen Orten sei eine "eisgekühlte Cola leichter zu bekommen als Medikamente". Er und 34 weitere an der Studie beteiligte Forscher setzen sich dafür ein, dass Deutschland mehr Engagement bei der Entwicklung von Diagnostika, Impfstoffen und Medikamenten zeigt. Der "Teufelkreis von Armut und Krankheit" müsse durchbrochen werden, betonte er.

Zu den wichtigsten Tropenkrankheiten gehört die Schlafkrankheit, die durch den Stich infizierter Tsetse-Fliegen auf den Menschen übertragen wird und unbehandelt immer zum Tod führt. Laut Studie sind rund 60 Millionen Menschen in Regionen in Afrika südlich der Sahara davon bedroht. Die Zahl neu infizierter Menschen sei zwar auf deutlich unter 10.000 pro Jahr gesunken, doch Krieg, Vertreibung und Migration erhöhten das Risiko wieder.

Die Leishmaniose, von der auch Bundeswehrsoldaten in Afghanistan bedroht sind, ist nach Malaria die parasitäre Tropenerkrankung mit der weltweit zweithöchsten Todesrate. Zur Infektion kann ein Stich von Sandmücken führen. Rund 350 Millionen Menschen leben in Risikogebieten, etwa 14 Millionen sind erkrankt. Da die rasche Entwicklung eines wirksamen und gut verträglichen Impfstoffs eher unwahrscheinlich ist, setzen Mediziner hier auf Präventionsmaßnahmen und die frühzeitige Behandlung etwa der Wunden auf der Haut.

Forscher:Tollwut vermeidbar

Beim Dengue-Fieber, wo die Zahl der jährlichen Infektionen weltweit auf 390 Millionen geschätzt wird, gebe es nach wie vor keine zugelassene antivirale Therapie. Die Tollwut wäre nach Angaben der Forscher indes "zu 100 Prozent vermeidbar". Dennoch gebe es jährlich mehrere Zehntausend Tote infolge einer Infektion.

Lepra sei mit einer bis zu einjährigen Antibiotikatherapie "komplett ausheilbar". Trotzdem seien mindestens vier Millionen Menschen weltweit von Behinderungen und Diskriminierung durch die Krankheit betroffen. Die Bilharziose, bei der sich Saugwürmer im menschlichen Körper stark vermehren, gefährde weiterhin bis zu 800 Millionen Menschen in Afrika, Südamerika und Asien.

Nach Angaben von May spielt bei der Bekämpfung dieser Krankheiten nicht nur die Forschung eine entscheidende Rolle, wichtig sei auch der Zugang zu sauberem Wasser oder Präventionsmaßnahmen gegen Mückenstiche oder gegen die Infektion von Tieren mit den Erregern.

Die Bundesregierung hat das Thema bereits ins Auge gefasst: Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD angekündigt, in die öffentliche Forschung zu investieren, "um insbesondere vernachlässigte und armutsbedingte Krankheiten zu bekämpfen". Der Umfang der Förderung dieses Teilbereichs wird nicht genannt. Das Forschungsministerium will die Studie aber bei künftigen Planungen berücksichtigen.