Brüssel (epd). Das Urteil könnte auf lange Sicht Folgen für Hunderttausende Stellen haben. Denn der Fall, den der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 17. April in Luxemburg entscheidet, betrifft Kirchen und ihre Einrichtungen und damit einige der größten Arbeitgeber Deutschlands. Zugleich geht es um das Verhältnis von Religion und Staat im 21. Jahrhundert und das Verbot der Diskriminierung. Nicht erstaunlich, dass EuGH-Generalanwalt Evgeni Tanchev in seinem Gutachten "gar nicht genug betonen" kann, "wie heikel" die Angelegenheit ist. (AZ: C-414/16)
Bekannt ist der Fall unter dem Namen der Klägerin Vera Egenberger. Die Berlinerin bewarb sich 2012 beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung um eine befristete Stelle - erfolglos. Abgelehnt wurde sie allein wegen ihrer fehlenden Kirchenzugehörigkeit, ist sich Egenberger sicher. Denn die befristete Stelle drehte sich um einen Bericht zur UN-Antirassismuskonvention. Dafür verweist Egenberger auf jahrelange Tätigkeit bei Nichtregierungsorganisationen. "Mein Lebenslauf ist voll mit einschlägigen Berufserfahrungen."
Diakonie verweist auf kirchliche Selbstbestimmung
Die Diakonie hatte die Stelle tatsächlich ausdrücklich für christliche Bewerber ausgeschrieben, zweifelte aber zusätzlich Egenbergers Qualifikation an. Diese verlangte vor Gericht wegen religiöser Diskriminierung rund 10.000 Euro Entschädigung. Der Rechtsstreit ist in Deutschland bis zum Bundesarbeitsgericht gewandert. Dieses forderte den EuGH auf, die EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung im Beruf auszulegen. Hauptfrage: Dürfen Kirchen und ihre Einrichtungen selbst bestimmen, ob sie die Konfession bei jeder möglichen Stelle vorschreiben - zum Beispiel bei Putzfrau und Gärtner ebenso wie bei Pfarrer und Chefarzt?
Die Diakonie sagt ja. Das Stichwort laute "kirchliche Selbstbestimmung", erklärt Personal-Vorstand Jörg Kruttschnitt. Die Selbstbestimmung sei durch deutsches Verfassungsrecht und Lissaboner EU-Vertrag geschützt. Daraus folge, dass kirchliche Arbeitgeber die Konfession zur Bedingung für eine Einstellung machen können. Zwar agiert die Diakonie oft pragmatisch. Längst werden auch Anders- und Nichtgläubige eingestellt. Der springende Punkt ist aber, wer hierüber bestimmt. "Woher will der Staat wissen, wie man das beurteilt?", fragt Kruttschnitt.
Egenberger meint, bei Seelsorge oder Leitungsaufgaben sei die Religionszugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung "nachvollziehbar, sinnvoll und akzeptabel". Anders sei dies bei Tätigkeiten wie IT-Experte oder Arzt. Hier bedeute eine Beschränkung auf Christen, "dass Nichtgläubige, Juden, Buddhisten, Muslime und andere religiöse Gruppierungen bei Einstellungen durch die Kirchen und ihre Einrichtungen diskriminiert werden könnten", erklärt Egenbergers Anwalt Klaus Bertelsmann. Auch ver.di kritisiert die aktuelle Situation. "Der Sonderstatus der Kirchen ist ein Relikt längst vergangener Zeiten", sagt Sylvia Bühler, Mitglied im Bundesvorstand der Gewerkschaft.
Deutsche Justiz entscheidet
Abschließen wird der EuGH den Fall nicht. Nach seiner Auslegung des EU-Gesetzes muss die deutsche Justiz über den konkreten Fall entscheiden. Und auf die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) könnte laut dem Bochumer Arbeitsrechtler Jacob Joussen eine Änderung des Kirchenrechtes zukommen.
Dem für die Diakonie geltenden Kirchenrecht zufolge muss im Grundsatz jeder Mitarbeiter evangelisch sein. Ausnahmen galten lange nur für Christen anderer Konfession. Seit 2017 können ausnahmsweise auch Anders- und Nichtgläubige eingestellt werden - was in der Praxis allerdings schon zuvor der Fall war. Es könnte sein, dass das Kirchenrecht nach dem EuGH-Urteil erneut und noch weiter für Konfessionslose geöffnet werden müsste, meint Joussen.
Der Jura-Professor, der EKD-Ratsmitglied ist, plädiert ohnehin dafür, die evangelische Prägung kirchlicher Einrichtungen nicht zu sehr an ihren Mitarbeitern festzumachen. "Das Selbstverständnis im Haus, Glaubenskurse, Gottesdienste, Seelsorge – das sind Kriterien, die ich mir besser als Ausdruck für eine christliche Prägung vorstellen kann."