Der beigefarbene Hund steht schwanzwedelnd auf dem Behandlungstisch, sein Brustkorb ist in dicke Bandagen gepackt. Er kommt gerade von der Röntgenuntersuchung. "Wir haben geguckt, ob die Speiseröhre noch gelähmt ist und wie sich die Lungenentzündung entwickelt", sagt Tierarzt Alexander Acker. Der Golden Retriever, mit zehn Jahren nicht mehr ganz jung, hat eine schwere Operation hinter sich: Veterinärmediziner der Uni Gießen entfernten an seiner Speiseröhre einen großen Tumor.

Ebenso wie die Humanmedizin macht die Tiermedizin rasante Fortschritte. Computertomographie, Chemotherapie bei Krebs, Herzschrittmacher für Hunde, Einsetzen von Implantaten, künstliche Harnleiter - vieles ist heute möglich, was vor einigen Jahren undenkbar schien. "Wir haben Neurochirurgen, Orthopäden und sogar Experten für Koi-Fische an der Klinik", sagt der Chef der Kleintierchirurgie an der Gießener Veterinärklinik, Martin Kramer.

Tierarzt Acker ruft am Computer ein Bild auf, das den Tumor des Retrievers zeigt: Er ist fast so groß wie das Herz. Die Veterinäre mussten für die OP den Brustkorb aufschneiden, was "relativ invasiv und auch schmerzhaft" war, wie Acker erklärt. Natürlich bekam der Hund ausreichend Schmerzmittel. Trotzdem könnte man fragen: Muss so eine Operation wirklich sein?

Teure Hochleistungsmedizin

Der Tierethiker Peter Kunzmann von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, katholischer Theologe und Philosoph, sieht eine Linie, an der sich Mediziner und Besitzer orientieren können: "Tue ich dem Tier etwas Gutes, ist es ihm zuträglich?" Anschließend müsse man fragen: "Sind Ressourcen vorhanden?"

Die moderne Hochleistungsmedizin ist teuer, und anders als in der Humanmedizin springt bei Tieren keine Krankenkasse ein - es sei denn, der Besitzer hat extra eine Versicherung abgeschlossen. Tierhalter brauchen also Geld und nach der Operation Disziplin und Geduld bei der Versorgung. Schließlich, sagt Kunzmann, folge die Frage: Wenn diese Ressourcen nicht da sind, kann man sie vermehren?

Die Behandlung des Retrievers wird etwa 3.000 Euro kosten, schätzt Acker. "Wer war früher bereit, so viel Geld für ein Tier auszugeben? Aber der Stellenwert des Tieres ist heute ganz anders." In Hannover, berichtet Kunzmann, habe eine Doktorandin für ihre Promotion Besitzer gefragt, ob ihr Hund oder ihre Katze ein vollwertiges Familienmitglied sei. 90 Prozent der Befragten stimmten dem zu. "Die Tiere sind oft Menschenersatz", sagt auch Kramer.

Ratenzahlung

Für Tierhalter ist die Frage angesichts moderner Hightech-Methoden oft sehr schwer: Wie weit gehe ich, welche Behandlung oder Operation lasse ich noch machen, wo ist die Grenze? Bei finanziellen Schwierigkeiten bieten die Klinik-Tierärzte eine Ratenzahlung an oder schlagen eine Therapie vor, die ähnlich gut, aber billiger ist. Manchmal kommt Unterstützung von Tierschutzvereinen, oder es wird ein neuer Besitzer gesucht.

Soll man überhaupt so viel für ein Tier ausgeben? Ja, meint Tierethiker Kunzmann. Man könne es genauso hinterfragen, wenn Leute ihr Geld in ein teures Auto oder exotische Urlaube stecken.

Zwei Tierärztinnen bringen den Retriever weg, der Hund folgt ihnen, er sieht - zumindest aus menschlicher Sicht - froh aus. Acker ist zufrieden, "ihm geht's sehr gut". Trotzdem ist noch unklar, ob der Tumor nicht vielleicht bösartig war.

Sogar eine Chemotherapie sei heutzutage möglich, allerdings laufe sie anders ab als beim Menschen, erklärt Acker. "Es geht nicht darum, den Tumor komplett zu entfernen, sondern um Lebensverlängerung." Die Medikamente sind schwächer dosiert, so dass dem Tier keine Haare ausfallen und ihm auch nicht schlecht wird. "Aber theoretisch könnte man die Medikamente höher dosieren, mit denselben Nebenwirkungen wie beim Menschen." Das machten die Veterinärmediziner in Gießen aber nicht.

Verantwortung

Die "Ultima Ratio" sei das Einschläfern, sagt Ethiker Kunzmann. Wie schwierig das für manchen Tierbesitzer ist, beschreibt die Philosophin und Veganerin Hilal Sezgin, die in Niedersachsen einen Gnadenhof betreibt. Sie schildert in ihrem Buch "Artgerecht ist nur die Freiheit" das Sterben ihrer Henne Keira mit drastischen Worten. "Nach ein paar Tagen rief ich den Tierarzt zur Euthanasie. Kurz bevor der Tierarzt kam, bewegte sich Keira plötzlich wieder und fraß ein ihr dargebotenes gekochtes Ei mit Begeisterung." Immer wieder mobilisierte sie letzte Lebenskräfte. "Da flackerte er ganz deutlich auf, dieser Funke, dieser Wunsch zu leben."

Veterinär Acker sieht sich den Tieren verpflichtet. Sein Beruf sei Berufung, sagt er, er müsse nachts gut schlafen können. Er appelliert an Tierhalter: Wer sich ein Tier anschaffen wolle, mit all den heute großen Kosten und Pflichten und Fragen, solle sich das gut überlegen. "Ich nehme viel Verantwortung auf mich, wenn ich ein Tier halte."