Ausgabe 11/2016 - 18.03.2016
Freiburg (epd). Als Nora Lennartz in Swasiland war, sah sie dort fast nur Kinder: auf den Straßen, in den Häusern, auf den Feldern. Die Erwachsenen waren ausgestorben - buchstäblich: Aids hatte den Staat im südlichen Afrika da schon zu einem Land der Kinder gemacht. 2011 war das, also rund 15 Jahre nach Einführung der Kombinationstherapie, die einen HIV-positiven Menschen retten kann. Man muss die Medikamente nur bezahlen können - und das konnten die Menschen in Swasiland nicht. "Da war mir klar: Ich werde nicht Medizin studieren und dann so tun, als ob es all das nicht gäbe", sagt sie.
So kam Lennartz, die in Freiburg studiert, zu UAEM. Die Abkürzung steht für "Universities Allied for Essential Medicines", also etwa: Hochschulen setzen sich gemeinsam für wichtige Medikamente ein. Was so kompliziert daherkommt, steht eigentlich für etwas ganz Simples: Kein Medikament darf so teuer sein, dass ein Mensch es sich nicht leisten kann. Die Realität sieht oft anders aus - und damit sich das ändert, setzt UAEM sich dafür ein, dass der Preis eines Medikamentes nicht allein durch ein Pharmaunternehmen festgelegt werden kann, sondern dass Forscher dabei mitreden dürfen. UAEM versteht sich als kleinen Bruder des globalisierungskritischen Netzwerks Attac.
Um die in UAEM zusammengeschlossenen Mediziner zu verstehen, muss man wissen, dass viele Medikamente zwar von Pharmaunternehmen entwickelt werden - die aber ihrerseits auf Grundlagenforschung der Universitäten zurückgreifen. Normalerweise zahlt eine Firma an die Uni eine einmalige Lizenzgebühr und kann dann das Medikament zu einem Preis verkaufen, den sie selber festlegt. Dass das nicht so sein muss, glauben junge Menschen seit dem Jahr 2001, als an der US-Eliteuniversität Yale die erste UAEM-Gruppe gegründet wurde. Dort hatten Forscher viele Jahre zuvor Grundlagenarbeit geleistet, auf deren Basis der Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb ein HIV-Medikament entwickeln konnte - und nun teuer verkaufte. Die Gruppe setzte sich dafür ein, auch Generika-Herstellern die Nutzung der Lizenz zu gestatten - und setzte sich durch.
Wie viele Studenten sich heute in UEAM-Gruppen engagieren, lässt sich kaum sagen, weil es keine Dachstruktur gibt. Es existieren aber sogenannte Chapter an allen großen amerikanischen Universitäten. Auch in europäischen Staaten haben sich solche Gruppen gegründet - allein acht in Deutschland. Meist erfährt man wenig von ihnen, weil sie eher selten mit Transparenten auf der Straße stehen.
Stattdessen wirken sie nach innen. So konnte etwa die Freiburger Gruppe erreichen, dass die Universität neue Leitlinien für die Patentvergabe beschloss: Der Zugang zu Medikamenten soll diesen zufolge "für alle Menschen gefördert" werden. Ähnliche Richtlinien haben mittlerweile auch die Universitäten in Münster und Tübingen eingeführt. "Universitäre Forschung ist nach Auffassung von UAEM dem Allgemeinwohl verpflichtet und sollte nicht einem rein wirtschaftspolitischen Kalkül unterworfen sein", schreiben Maximilian Brauner und Lukas Fendel, Koordinatoren von UAEM Europe, in einem Beitrag im "Deutschen Ärzteblatt".
Die Pharmabranche reagiert relativ unaufgeregt - vielleicht auch, weil Gewinnmargen von 20 Prozent nicht in vielen anderen Industriezweigen erreicht werden. Der Pharmakonzern Roche antwortete auf die Frage nach Mitbestimmungsrechten für Hochschulen eher ausweichend: "Um mehr bedürftige Patienten zu erreichen, arbeiten wir beispielsweise an einer Verbesserung der Finanzierbarkeit, an der Erhöhung der Verfügbarkeit innovativer Produkte, an einer Stärkung der Infrastruktur und der gesundheitlichen Aufklärung."
Druck erhält die Branche von der EU-Kommission, die bei der Welthandelsorganisation WTO Ausnahmeregeln für Medizinpatente durchsetzen möchte: "Bestimmungen über die Rechte des geistigen Eigentums sollten kein Thema sein, wenn es um medizinische Hilfe für die Ärmsten der Welt geht", sagte Handelskommissarin Cecilia Malmström unlängst.
Würzburg (epd). Die jungen Männer wuseln wild durcheinander, suchen sich alle schnell einen Sitzplatz im großen Stuhlkreis. Nur einer bleibt stehen. Für ihn ist kein Stuhl mehr frei, alle lachen - er am meisten. Dann schaut er auf das kleine Kärtchen in seiner rechten Hand und sagt: "Die Kiwi." Jetzt steht nur eine Handvoll junger Männer auf, wieder Gewusel, wieder die Jagd nach einem Sitzplatz. Die Gruppe spielt "Obstgarten", eigentlich ein Spiel für Kindergeburtstage. Doch für die jungen Menschen aus Afghanistan, aus Syrien oder Libyen ist es der Auftakt zum täglichen Deutschkurs im Keller der Uni Würzburg. Gehalten wird er von über 40 Studierenden.
Lucy Nau ist eine der Studentinnen, die an diesem Morgen unterrichten. Weil derzeit vorlesungsfreie Zeit ist, sind weniger Studierende als sonst als Lehrer verfügbar - es stehen Prüfungen an, Elternbesuche, Urlaub. Daher hat Lucy Nau an diesem Tag zwei Gruppen mit jeweils fünf jungen Männern gleichzeitig zu unterrichten. Die Anfänger sollen sich mit den Uhrzeiten beschäftigen, die Fortgeschrittenen bekommen im Schnelldurchlauf noch einmal erklärt, wann man im Deutschen das Präsens verwendet. Nasim, 21 Jahre alt, besucht den Deutschkurs seit zwei Monaten. Zuvor konnte er kein Wort Deutsch, inzwischen kann er sich zumindest verständigen.
"Ich möchte gut Deutsch lernen, um in die Schule zu gehen", sagt er. Seit Monaten lebt er in einer Notunterkunft für Flüchtlinge in Würzburg, dort herrscht keine Privatsphäre, er hat nichts zu tun, arbeiten darf er als Asylbewerber nicht, die Tage sind quälend lang. "Für viele ist unser Kurs eine willkommene Abwechslung, einmal am Tag aus der Unterkunft herauszukommen", sagt Lucy Nau. Aber keiner komme, um sich dort die Zeit zu vertreiben: "Alle sind sehr fleißig, lernen und üben auch nach dem zweistündigen Unterricht weiter." Einige ihrer Schützlinge konnte die Studierende bereits fit genug für Regelschulen machen.
Entstanden ist die Idee für den Kurs aus einer Vorlesung von Stephan Ellinger heraus. Der Inhaber des Würzburger Lehrstuhls für Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen hatte im Sommer 2015 seine Studierenden gefragt, ob sie sich so einen ehrenamtlichen Einsatz vorstellen könnten. "Am Anfang waren es elf Lehramtsstudierende für Sonderpädagogik", erinnert sich Ellinger. Zunächst lief alles als offizielle Lehrveranstaltung unter dem Titel "Unterricht für minderjährige Flüchtlinge" - damals waren die Schüler tatsächlich allesamt Kinder und Jugendliche. Inzwischen wird der Kurs von Kindern, Männern und Frauen jeden Alters besucht.
Sprachkurse für Asylbewerber gibt es viele - beinahe überall, wo Geflüchtete untergebracht wurden. Meistens sind es Ehrenamtliche, die diese Aufgabe übernehmen. Und trotzdem ist der Würzburger Kurs der Studierenden etwas Besonderes, findet Ellinger: "Dieser Kurs findet ja nicht nur ein oder zwei Mal pro Woche statt, sondern täglich von 8 bis 10 Uhr." Studierende heute hätten einen eng getakteten Stundenplan, die Freizeit während der Vorlesungszeit sei knapp, aber auch jetzt in den Semesterferien wegen der Prüfungen: "Trotzdem findet der Kurs ununterbrochen statt. Das verdient wirklich große Anerkennung."
Die Kursteilnehmer, an diesem Montag eine Frau und sonst nur Männer, üben in Kleingruppen unregelmäßige Verben, üben Uhrzeiten, Wochentage, Smalltalk, manche aber lernen mit Kindergartenmaterial zum ersten Mal in ihrem Leben ein Alphabet. Eine der Studentinnen müht sich mit Händen und Füßen ab, ihren Schülern den Unterschied zwischen den beiden Verben "stehen" und "aufstehen" zu vermitteln. Aber erst der Blick in ein kleines Taschenwörterbuch "Arabisch-Persisch" beseitigt die ratlosen Blicke in der Runde. "Sie ist wirklich eine gute Lehrerin", sagt der junge Abdolbaset aus Afghanistan: "Aber Deutsch ist so schwer."
Berlin (epd). Das monatelang umstrittene zweite Asylpaket der Bundesregierung ist am 17. März in Kraft getreten. Laut Bundesinnenministerium enthält es Regelungen für schnellere Asylverfahren vor allem bei Antragstellern mit geringer Bleibeperspektive, niedrigere Hürden bei der Abschiebung Kranker und eine zweijährige Aussetzung des Rechts auf Familiennachzug bei Flüchtlingen mit dem untergeordneten subsidiären Schutz.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte, die Botschaft der Regelungen sei klar: "Jeder, der zu uns kommt, erhält ein faires Verfahren. Jeder, der keines Schutzes bedarf, muss unser Land möglichst schnell wieder verlassen." Zeitgleich mit dem Asylpaket tritt auch eine Verschärfung des Ausweisungsrechts in Kraft.
Sie sieht vor, dass straffällig gewordene Ausländer künftig schon bei Bewährungsstrafen in besonders schweren Deliktsbereichen ausgewiesen werden können. Bislang galten höhere Hürden. Die Änderung war eine Konsequenz aus den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln.
Lebach (epd). Der Bund will seine Unterstützung für die Länder bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen in diesem Jahr auf fünf bis sechs Milliarden Euro aufstocken. Das kündigte der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, Peter Altmaier (CDU), am 12. März auf dem zweiten saarländischen Integrationsgipfel in Lebach an. Bislang hatte die Bundesregierung den Ländern für die Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge für dieses Jahr vier Milliarden Euro zugesagt. Das reicht den Ländern aber nicht.
Sie verlangen, dass der Bund dauerhaft mindestens die Hälfte der flüchtlingsbedingten Ausgaben von Ländern und Kommunen übernimmt, also rund zehn Milliarden Euro pro Jahr. Altmaier kündigte an, bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 22. April mit den Ländern ein Integrationskonzept zu erarbeiten. Darin solle es vor allem um Sprachkurse und mehr Arbeitsmöglichkeiten für die Flüchtlinge gehen. Auch Werte wie Gleichberechtigung und Religionsfreiheit sollten einen hohen Stellenwert bekommen.
Das Konzept soll im Mai vom Bundeskabinett verabschiedet werden und im Herbst in ein Integrationsgesetz münden. "Deutsch ist nicht alles, aber ohne Deutsch ist alles nichts bei der Integration", sagte der Flüchtlingskoordinator und Chef des Bundeskanzleramtes. "Wir müssen aber auch die Bürokratie beiseiteschieben, damit mehr Flüchtlinge in Arbeit kommen." Hierbei könnten das heimische Handwerk und der Mittelstand eine herausragende Rolle spielen.
Die saarländische Sozialministerin Monika Bachmann (CDU) will im geplanten Integrationsgesetz die staatlichen Förderangebote und die Pflichten des Einzelnen klar definiert sehen. Wichtig sei zudem, der Vermittlung von Werten wie Respekt, Toleranz, Gleichberechtigung und Religionsfreiheit einen höheren Stellenwert im Integrationsprozess zukommen zu lassen, erklärte die Integrationsbeauftragte des Saarlandes. Gemeinsam mit Altmaier dankte sie den ehrenamtlichen Flüchtlingsnetzwerken für ihre Arbeit und die Weiterentwicklung der Willkommenskultur.
Altmaier warnte davor, Flüchtlinge und andere Bedürftige gegeneinander auszuspielen. "Hilfen für Flüchtlinge und Sorge für die Rentner und kleinen Leute bei uns schließen sich nicht aus", betonte er. "Missgunst und Neid sind fehl am Platze."
Berlin (epd). Der Berliner Senat hat ein Maßnahmenpaket zur Integration von Flüchtlingen beschlossen. Der "Masterplan Integration und Sicherheit" sei ein bundesweit einmaliges Konzept, erklärte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am 15. März bei der Vorstellung des ersten Planentwurfs. Dieser sieht den Ausbau der Integrationsmaßnahmen entlang eines Acht-Stufen-Plans vor: von der Ankunft und Registrierung der Flüchtlinge bis hin zur aktiven Teilhabe der Menschen am gesellschaftlichen Leben.
Der Masterplan beinhaltet unter anderem die Einrichtung eines Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten, in dem alle Bereiche der Ankunft, Leistungsgewährung und Unterbringung der Flüchtlinge gebündelt werden sollen. Die Behörde soll am 1. August dieses Jahres in Betrieb genommen werden. Zudem sollen Flüchtlinge künftig bei ihrer Registrierung ein Informationspaket zur Erstorientierung erhalten. Dieses soll beispielsweise auch Gutscheine für Sprachkurse enthalten.
Für eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge sei ein gemeinsames Wertegerüst besonders wichtig, erklärte Müller. Hier müsse die Stadt Angebote zur Vermittlung dieser Werte machen. Die Ansichten müssten dann aber auch von den Flüchtlingen angenommen werden. "Dies ist ein wesentlicher Teil des Konzepts", sagte Müller.
Die genauen Kosten für die Umsetzung des Masterplans könnten noch nicht beziffert werden, erklärte der Bürgermeister. Der Senat strebe aber eine Übername der Ausgaben in Höhe von 50 Prozent seitens des Bundes an.
Der Masterplan stellt bislang noch einen Entwurf dar. Dieser solle nun dem Rat der Bürgermeister der einzelnen Stadtteile vorgelegt werden, erklärte Müller. Über den endgültigen Plan müsse der Senat dann nochmals beraten.
Erfurt (epd). Die Flüchtlingsräte der Bundesländer haben ein Umsteuern in der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa gefordert. Noch vor Inkrafttreten des Asylpakets II entwickele sich das Verwaltungshandeln in den Ländern bereits zulasten von Schutzsuchenden, teilten die Flüchtlingsräte am 11. März in Erfurt zum Abschluss ihrer Frühjahrskonferenz in einer gemeinsamen Erklärung mit.
Darin kritisieren sie unter anderem eine willkürliche Verweigerung von Integrationschancen, die Abkehr von Wohnungsunterbringungen, die Wiedereinführung der Residenzpflicht, Arbeitsverbote sowie einen zunehmenden Druck zur "freiwilligen" Rückkehr und verstärkte Abschiebungen. Davon seien auch Kriegsflüchtlinge und Folterüberlebende betroffen.
Dabei zeichnen die Flüchtlingsräte ein bundesweit uneinheitliches Bild. So gelte beispielsweise in Bayern nach wie vor ausnahmslos "Lagerunterbringung". In Schleswig-Holstein hingegen beweise die Quote von 75 Prozent in privaten Wohnungen untergebrachten Flüchtlingen und ein Beratungsangebot für alle Schutzsuchenden, dass es auch anders geht, schreiben die Flüchtlingsräte in ihrer Erklärung.
Kritik äußern die Flüchtlingsräte auch an den langen Verfahren zur Anerkennung von Asylbewerbern und einer faktischen Aussetzung des Familiennachzugs. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sei mit der Situation, dass fast eine Million Asylsuchende noch auf Antragstellung, Anhörungstermine und Entscheidungen über ihr Asylgesuch warten, vollkommen überfordert.
Die Landesflüchtlingsräte verabschiedeten auf ihrer Tagung einen Katalog an Forderungen. Unter anderem setzen sie sich für die Sicherstellung der Qualität von Asylprüfungen ein. Es bestünden erhebliche Bedenken, dass dies in Schnellverfahren gewährleistet werden kann. Zudem solle jedem Flüchtling der Nachzug seiner Familie ermöglicht werden.
Berlin (epd). Das Bundesinnenministerium hat die Mittel für das Demokratie-Programm "Zusammenhalt durch Teilhabe" von sechs auf zwölf Millionen Euro erhöht. Die Mittel für 2016 stammen aus dem Asylpaket, wie das Ministerium am 14. März in Berlin mitteilte. Gefördert werden erstmals auch Vereine und Verbände in den alten Bundesländern, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren.
"Dieses Engagement möchte ich weiter stärken, damit unsere Vereinsstrukturen in Zeiten besonderer Anstrengungen nicht aus dem Gleichgewicht geraten", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Das Programm richtet sich explizit an Sportgruppen, Feuerwehren und das Technische Hilfswerk.
Seit März werden 13 Projekte mit bis zu 100.000 Euro jährlich gefördert. Ab 2017 wird eine öffentliche Ausschreibung für das gesamte Bundesgebiet erfolgen. Mehr als 600 Engagierte aus Vereinen und Verbänden wurden durch das Programm zu "Demokratieberatern" ausgebildet. Das 2010 gestartete Programm richtete sich ursprünglich an Verbände in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands. Ziel war es, deren demokratische Entwicklung zu unterstützen.
Düsseldorf, Hamm (epd). In Nordrhein-Westfalen soll ein Modellversuch eine bessere Betreuung von psychisch erkrankten Menschen in der Klinik und zu Hause ermöglichen. Dabei behandle das St. Marien-Hospital in Hamm Patienten nach dem Modell der sogenannten Integrativen Psychiatrie, teilte das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium am 11. März in Düsseldorf mit. Es werde auch ein verändertes Vergütungssystem erprobt, bei dem statt Tagessätzen ein Gesamtbudget für Psychiatriepatienten gezahlt wird.
Bei der Integrativen Psychiatrie sollen Patienten den Angaben zufolge stärker sektoren- und berufsübergreifend versorgt werden. Jeder Betroffene habe einen sogenannten "Case Manager", der die gesamte Behandlung in der Klinik und nach der Entlassung koordiniere. Er wird durch ein Team aus Ärzten, Therapeuten, Sozialarbeitern, Physiotherapeuten und Pflegekräften unterstützt. Eine stationäre oder teilstationäre Behandlung ist ebenso möglich wie die Behandlung zu Hause, bei der auch Angehörige einbezogen werden.
Entscheidend sei, dass die Patienten kontinuierlich von denselben Fachkräften betreut werden, hieß es. Durch das individuelle Konzept und die Kontinuität in der Betreuung würden Brüche in der Behandlung vermieden und stationäre Aufenthalte verkürzt, sagte Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne). "Wir vermindern die Notwendigkeit von Wiedereinweisungen - den Drehtüreffekt - nach Beendigung einer Therapie oder beim Übergang von stationärer zu ambulanter Versorgung." Das Land finanziert den Angaben zufolge eine Studie der Universität Witten-Herdecke zur wissenschaftlichen Begleitung des Modellversuchs. Zudem würden Teile der im Februar vom Bund vorgestellten Reform der Vergütung in der Krankenhauspsychiatrie erprobt, erklärte das Ministerium weiter.
Berlin (epd). In Deutschland werden jährlich rund sechzig Zwangsheiraten polizeilich erfasst. Da teilte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit, berichtete der Bundestag am 14. März in Berlin.
In den Jahren 2012 bis 2014 erfasse die Polizeiliche Kriminalstatistik 56, 62 und 58 Fälle. Die Bundesregierung geht darüber hinaus aufgrund von Studien sowie Erkenntnissen von Hilfsorganisationen von einer sehr hohen Dunkelziffer aus, die sich aber nicht genauer eingrenzen lasse, hieß es.
Nach dem 2011 geschaffenen neuen Straftatbestand (Paragraf 237 des Strafgesetzbuches) habe es 2012 und 2013 erst drei Urteile gegeben, darunter einen Freispruch. Neuere Zahlen lägen der Bundesregierung noch nicht vor, hieß es.
Nürnberg (epd). Die Bayerische Staatsregierung startet eine Offensive zur besseren Integration von Menschen mit Behinderung. Unter dem Motto "Gemeinsam für ein inklusives Bayern" hat die Behindertenbeauftragte Irmgard Badura in Nürnberg am 11. März die Gesellschaft zu einem "gegenseitigen respektvollen Umgang auf Augenhöhe" aufgerufen. Das Heimatministerium war Baduras erste Station auf ihrer Reise durch Bayerns Regierungsbezirke.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Forderung Baduras nach einer Gleichberechtigung der Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Darüber hinaus diskutierten Vertreter von Christentum, Judentum und Islam die Frage "Wie sehen die großen Weltreligionen Menschen mit Behinderungen?".
In Bayern leben mehr als eine Million Menschen mit Behinderung. Mit Blick auf diese Zahl müsse man sich fragen, so Badura, was eigentlich den Kern von Inklusion ausmache. Der alleinige Blick auf Gesetzte, Initiativen und Fachveranstaltungen sei nicht ausreichend. Viel entscheidender sei die Haltung der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderung.
Im Umgang miteinander rief Badura die Menschen zu mehr "interkultureller Sensibilität und Kompetenz" auf. Dabei sei entscheidend, dass es die Gesellschaft verstehe, sich in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen. Das heißt: "Die Menschen müssen sich auf Augenhöhe begegnen. Und zwar auch dann, wenn die verbale Kommunikation schwierig ist", so die Behindertenbeauftragte.
Als oberstes Ziel bezeichnete Badura die Selbstbestimmung des Einzelnen. Sie wehrte sich dagegen, "Menschen mit Behinderung zu bevorzugen und ihnen Vorteile zu verschaffen". Ziel müsse vielmehr sein, so Badura mit Nachdruck, diese Menschen "zu befähigen, ihr Leben selbst gestalten und bestimmten zu können".
Düsseldorf (epd). Die Zahl der Branchen mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Im Januar 2016 sahen nur noch drei Prozent der tariflichen Vergütungsgruppen Stundenlöhne unter dem seit einem Jahr geltenden gesetzlichen Mindestlohn vor, wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am 10. März in Düsseldorf mitteilte. Anfang 2015 seien es noch sechs Prozent gewesen, Ende 2013 zehn Prozent und Anfang 2010 16 Prozent. Für die Studie hat das WSI-Tarifarchiv den Angaben zufolge rund 4.500 Vergütungsgruppen aus 40 Branchen und Wirtschaftszweigen untersucht.
Die Untersuchung habe gezeigt, dass 97 Prozent der Vergütungsgruppen aus den von DGB-Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträgen Stundenlöhne von 8,50 Euro und mehr vorsehen. Mit einem Stundensatz von mindestens zehn Euro beginnen insgesamt 86 Prozent der Vergütungsgruppen. Zu diesen zählen unter anderem die Metall- und Chemieindustrie, das Bankgewerbe, das Baugewerbe, die Süßwaren-Industrie und die private Abfallwirtschaft. 15 Prozent der Tarifgruppen liegen mit ihrem Stundenlohn bei 20 Euro und mehr.
In einigen Branchen wie dem Bewachungsgewerbe, Hotels und Gaststätten, dem Fleischerhandwerk und dem Erwerbsgartenbau ist der Anteil der Niedriglohngruppen seit 2010 den Angaben zufolge besonders stark zurückgegangen. In der Floristik und in der Gebäudereinigung gebe es inzwischen keine Vergütungsgruppe unterhalb von 8,50 Euro mehr.
Der tarifliche Niedriglohnsektor wird nach Angaben von Reinhard Bispinck, Leiter des WSI-Tarifarchivs, immer kleiner. "Der gesetzliche Mindestlohn hat sich so als wirkungsvolle Untergrenze und als Stütze der Tarifpolitik erwiesen", sagte Bispinck.
Osnabrück (epd). Yvonne ist frisch geschminkt und frisiert. Die fliederfarbene Fleece-Jacke unterstreicht den leicht gebräunten Teint ihrer Haut. Die beiden Pflegekräfte heben die 24-Jährige mit Hilfe des elektrischen Deckenlifters in ihren Spezialrollstuhl. Ute Kellner und Alexandra Mestemacher setzen sie behutsam zurecht, flachsen mit Yvonne über das ungewohnte Make-up. Dann fahren sie die junge Frau hinter den Schreibtisch. Das sei schließlich ihr Platz als Chefin eines Pflegedienstes, findet die Mutter und lacht: "Yvonne ist jetzt Jung-Unternehmerin."
Den Eltern ist die kleine Schauspieleinlage wichtig. Birgit und Dieter Szpadzinski sind froh, dass ihre Tochter den Spaß mitmachen kann. Denn Yvonne ist nur auf dem Papier Chefin. Die Eltern sind ihre gesetzlichen Betreuer. Mit Hilfe des Persönlichen Budgets haben sie das "Pflegeteam Princess" vor einem Jahr gegründet. "Im Team arbeiten derzeit 14 Pflegekräfte, von der Vollzeitkraft bis zur Minijobberin", sagt der Vater: "Sie alle sind nur für Yvonne da."
Die junge Frau aus dem niedersächsischen Borgloh ist schwer mehrfachbehindert und rund um die Uhr auf intensive Pflege angewiesen. Die angeborene Stoffwechselerkrankung, an der sie leidet, hat ihr nach und nach alle Fähigkeiten genommen. Irgendwann wird sie daran sterben. Für ihre Familie war immer klar: Yvonne soll zu Hause bleiben - bis zum Ende.
Lange Jahre wurde Yvonne von privaten ambulanten Pflegediensten betreut. Doch aufgrund der zunehmenden Personalknappheit in der Branche musste vor allem die Mutter immer öfter einspringen, wenn Pflegekräfte ausfielen. Mit der Qualität waren sie auch nicht immer zufrieden. Von der Krankenkasse sei immer mal der Hinweis gekommen: "Geben Sie ihr Kind doch ins Heim", erzählt Birgit Szpadzinski. Das Persönliche Budget bot ihnen einen Ausweg - allerdings einen mit vielen Hürden.
Das Persönliche Budget wurde 2008 als Rechtsanspruch eingeführt. Es soll Behinderten und chronisch Kranken mehr Teilhabe und Selbstbestimmung ermöglichen. Sie bekommen statt Sach- und Dienstleistungen monatlich einen Geldbetrag ausgezahlt. Mit diesem Budget können sie sich die benötigte Hilfe selbst einkaufen. Rund 30.000 Budgetnehmer gibt es derzeit in Deutschland, schätzt das Bundessozialministerium. Es könnten viel mehr sein, meinen Betroffenenverbände.
Denn was sich so einfach anhört, wird schon durch die Vielzahl der Leistungserbringer erschwert: Krankenkassen, Sozial- und Jugendämter, Pflegekassen, Unfall- und Rentenversicherungen, die Bundesagentur für Arbeit. Fast alle Betroffenen haben Anspruch auf Hilfen von mehreren Kostenträgern.
Eigentlich haben Kassen und Sozialhilfeträger die Pflicht, die Antragsteller entsprechend zu beraten. "Das tun sie aber nicht", sagt Gerhard Bartz vom "Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA)". Mehr noch: "Sie wimmeln immer erst mal alles ab oder reden den Bedarf klein." Für Bartz ist klar: "Der berechtigte Personenkreis soll abgeschreckt werden, die geschaffenen Leistungen und Gesetze in Anspruch zu nehmen."
Auch Uwe Frevert von der "Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland" sagt: "Ambulante Hilfen sind von den Kostenträgern nicht gewollt. Es ist immer noch alles auf stationäre Einrichtungen ausgerichtet." Oft müssten die Betroffenen die ihnen zustehenden Leistungen per Widerspruch oder sogar vor Gericht einklagen. Viele schreckt das ab.
Nicht so Dieter Szpadzinski: "Wir sind eigentlich immer in einem Widerspruchsverfahren oder Prozess." Zuletzt hat die Familie eine Fachkraft für die allgemeine Verwaltung erstritten, die auch die Lohnabrechnungen macht.
Die Verbände hoffen auf das neue Bundesteilhabegesetz, das 2016 verabschiedet werden soll. Ein erster Referentenentwurf wird nach Angaben des Sozialministeriums im Frühjahr vorgelegt. Behindertenverbände fordern unabhängige Beratungsstellen. Zudem wollen sie eine trägerübergreifende Gutachterstelle, die Behinderten nicht unterstellt, sie würden sich Leistungen erschleichen. Auf jeden Fall sollte es ein Gesetz sein, "das Menschen mit Assistenzbedarf ein freiheitliches Leben ermöglicht", sagt Bartz.
Die Szpadzinskis sind heilfroh, dass sie ihr Pflegeteam durchgekämpft haben. Sie können die Fachkräfte selbst aussuchen und ihnen Vorgaben machen. "Wir haben zum Beispiel die Hygienestandards nach oben gesetzt, damit unsere Tochter sich möglichst nicht ansteckt", erläutert die Mutter. Yvonne geht es jetzt viel besser.
Die Pflegekräfte mögen die Arbeit in ihrem "Prinzessinnen-Team". Ihre Arbeit werde wertgeschätzt, sagt Alexandra Mestemacher. Das schlage sich nicht zuletzt im besseren Verdienst nieder.
Und sie haben Zeit für Yvonne: "Nach der medizinischen Versorgung können wir ihr auch mal vorlesen oder sie massieren", erzählt Ute Kellner. Jeden Tag setzen sie Yvonne in den Rollstuhl: "Wir gehen sogar bei Wind und Wetter mit ihr spazieren." Mutter Birgit ist das wichtig: "Sie soll an unserem Leben teilhaben. Liegen muss sie noch lange genug."
Frankfurt a.M. (epd). Die deutsche Telekom will im September dieses Jahres mit einem neuartigen Hausnotrufsystem an den Start gehen. Derzeit laufe eine sechsmonatige Studie mit zwei Notrufanbietern und 50 Nutzern, sagte Projektleiter Nils Holger Lipprandt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ziel sei es, "den Mehrwert des intelligenten Hausnotrufs gegenüber der alleinigen Nutzung des konventionellen Hausnotrufs zu ermitteln". Das System basiere auf Sensoren, die in der Wohnung angebracht werden und in der Lage seien, Stürze von Personen zu erkennen und nach Hilfe zu rufen.
Lipprandt betonte, das neue System bringe deutlich mehr Sicherheit, insbesondere für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und hohem Sturzrisiko. Das Drücken eines Notrufknopfes wie bei der herkömmlichen Hausnotruftechnik sei nicht mehr nötig: "Ein Sturzalarm wird automatisch ausgelöst."
Der neue Notruf erkennt den Angaben nach mittels Sensorboxen an der Zimmerdecke eine Notlage und benachrichtigt sofort über das Hausnotrufgerät eine Zentrale. Über eine Freisprecheinrichtung in den Sensorboxen oder dem Hausnotrufgerät nehmen die Helfer Kontakt mit dem Bewohner auf. "Im Gespräch wird dann der Hilfebedarf ermittelt", erläuterte der Projektleiter. Wenn die Person nicht ansprechbar ist, wird der Notarzt informiert. "Zusätzlich können sich die Mitarbeiter der zentrale mittels eines grafisch verfremdeten Bildes einen Eindruck von der Lage vor Ort machen."
Lipprandt verwies auf erste Umfragen zu dem geplanten System im Jahr 2012. Dabei habe sich herausgestellt, dass die Kunden einerseits hohe Anforderungen an die ihre persönliche Sicherheit stellten. Andererseits wollten sie vor allem eines: auch bei Pflegebedürftigkeit möglichst lange in ihrer eigenen Wohnung bleiben.
Die Umfragen hätten zudem gezeigt, dass die meisten älteren Menschen Sensoren ablehnen, wenn sie diese am Körper tragen müssen. Sie empfänden die Technik als stigmatisierend. Aus diesem Grund werde häufig der Funkfinger klassischer Hausnotrufgeräte nicht getragen, sagte der Projektleiter: "Sie wünschen sich eine dezente Technologie im Hintergrund, die Notlagen verlässlich erkennt und schnelle, gezielte Hilfe ruft."
Auch der Datenschutz sei gesichert. Die Sensorboxen würden über eine verschlüsselte Funkverbindung mit dem Hausnotrufgerät verbunden. Und: Ausschließlich die letzten 25 Sekunden vor einem Sturz und fünf Sekunden nach dem Unfall würden an die Zentrale übermittelt: "Dabei schützt die Verfremdung der Aufnahmen die Privatsphäre der betroffenen Personen."
Hamburg (epd). Zugang zu Deutschkursen, Arbeitsvermittlung oder Anmeldung zum Schulbesuch: All das ist Teil der sozialen Arbeit mit geflüchteten Menschen. Dazu kommen Hilfen in speziellen Notlagen, etwa bei Traumatisierungen. Für dieses Aufgabenpaket sind in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg-Rahlstedt zwei Fachkräfte zuständig. Sie betreuen 114 Menschen.
Die Türe zu Maren Oehmichens Büro steht meist offen. Es klopft. Abdulla (Name geändert), ein Schuljunge in blauer Steppjacke, bittet für seine Familie um Bettwäsche und drei Paar Schuhe. "Und welche Größe?", fragt Oehmichen und notiert sich die Bestellung für die zentrale Kleiderkammer. Abdulla überlegt. Aber die Schuhgröße seiner Schwester weiß der Junge nicht mehr. Er will nachfragen und geht zurück zu den orangegelben Containerhäusern am östlichen Rand von Hamburg.
Die Flüchtlingsunterkunft des städtischen Unternehmens "Fördern & Wohnen" beherbergt Familien, die aus dem Irak, aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern geflohen sind. Fern von ihrem gewohnten Umfeld, ihren persönlichen Kontakten und sozialen Netzwerken versuchen sie hier, neue Kraft und Wege zu finden, ihr Leben selbst zu gestalten. Zurzeit wohnen 114 Menschen hier, 78 davon sind Kinder und Jugendliche.
Maren Oehmichen leitet die Einrichtung. Die ausgebildete Sozialpädagogin wird unterstützt von einer weiteren Kraft, die aus dem Pflegebereich kommt. Und es gibt noch einen Hausmeister.
An anderen Orten, insbesondere in den Erstaufnahmeunterkünften, sieht die Betreuungssituation meist noch deutlich schlechter aus. Dort liegen die Betreuungsschlüssel nach den Vorgaben der einzelnen Bundesländer zwischen 1:100 in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg und 1:120 zum Beispiel in Brandenburg und Bremen. In Hamburg kommen 150 Personen auf eine Fachkraft. In Bayern kam in über 250 Gemeinschaftsunterkünften lange Zeit eine Fachkraft auf 150 Asylsuchende. Der Personalschlüssel wurde mittlerweile auf 1:100 gesenkt.
Unter solchen Bedingungen könne nicht einmal eine sogenannte Verweisberatung an andere Hilfsstellen stattfinden, kritisiert Nivedita Prasad, Professorin an der Alice-Salomon-Hochschule für Soziale Arbeit in Berlin. Sie hält einen Betreuungsschlüssel von höchstens 1:40 oder 1:10 für notwendig, je nachdem, ob es sich um alleinstehende Erwachsene, besonders schutzbedürftige Personen oder Menschen mit Kindern handelt.
"Wir sind für alles zuständig", berichtet Maren Oehmichen. Und holt tief Luft um aufzuzählen, was ihre Aufgabenpalette alles enthält: erste medizinische Versorgung, Beratung in Verhütungsfragen, Organisation von Kita- und Schulbesuch der Kinder, Anmeldung zu Deutschkursen, Verteilung von Möbelspenden, Aufklärung über Abfallentsorgung, Begleitung bei Behördengängen, Freizeitangebote und Vermittlung an Beratungsstellen.
Wieder klopft es. Eine Frau aus der Nachbarschaft bringt zwei Sessel. Kurz danach tritt Maike Schwitale ein. Die Singstunde sei noch nicht gut besucht, ob nicht noch jemand an die Türen klopfen und Werbung für das Angebot machen könnte? Die Juristin arbeitet ehrenamtlich einmal in der Woche in der Unterkunft.
Die soziale Betreuung gelinge gut, sagt Oehmichen. Allerdings, räumt sie ein, handele es sich um eine "Vorzeigeeinrichtung". Anders als die meisten Sammelunterkünfte mit meist alleinstehenden Männern sei ihre Einrichtung relativ klein und die Familien bewohnten abgeschlossene Räume. Küchen und Bäder müssten nicht mit Fremden geteilt werden.
Vor allen Dingen aber reiße der Strom an freiwilligen Helfern nicht ab. Sie werde von über 40 Ehrenamtlichen unterstützt. "Das ist ein Traum. Es ist eine große Bereicherung für die Bewohner und eine große Unterstützung für mich", sagt die Leiterin. Zum Beispiel sei die individuelle Begleitung zu Behörden ohne die Freiwilligen nicht zu leisten.
Berlin (epd). Zudem fehle in den meisten Einrichtungen ein verbindliches Beschwerdemanagement, sagte die Professorin der Alice-Salomon-Hochschule für Soziale Arbeit in Berlin im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die soziale Betreuung von Asylbewerbern sei aktuell kaum überschaubar. Die Arbeit werde sowohl von ausgebildeten als auch von ungelernten Kräften unter häufig ungeregelten Bedingungen geleistet. "Wir wissen, dass zurzeit wirklich jeder eingestellt wird", kritisierte die Hochschullehrerin.
Zudem sei es beunruhigend, dass der Betreuungsschlüssel in zahlreichen Einrichtungen bei 1:100 und höher liege. Unter solchen Bedingungen könne nicht einmal eine sogenannte Verweisberatung an andere Hilfsstellen stattfinden.
In den meisten Unterkünften arbeiteten zwar nicht nur viele Ehrenamtliche, sondern auch Sozialbetreuer und Sozialassistenten. Doch wenn die zum Beispiel Essen ausgeben oder Waschmaschinenmarken verteilten, dann "hat das mit sozialer Arbeit gar nichts zu tun, auch wenn es nach außen gerne so dargestellt wird".
Prasad zufolge fehlt auch meist der Anspruch, dass in der Sozialarbeit dieselben fachlichen Standards zu gelten haben wie bei anderen Adressaten. Sie kritisierte insbesondere, dass es zu selten reguläre Möglichkeiten der Beschwerde gebe, selbst bei menschenrechtswidrigen Vorgehensweisen.
"Das A und O ist das Beschwerdemanagement", betonte Prasad, die selber lange in der Praxis gearbeitet hat: In jeder Einrichtung müsse ein Briefkasten hängen, in den alle in ihrer Sprache Beschwerden und Anregungen einwerfen könnten. Und es brauche zudem ein unabhängiges Gremium von außen, das diese Briefe auswertet.
Münster (epd). Tilmann Hollweg ist Maßregelvollzugsdezernent des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) und verantwortlich für einen der bundesweit größten forensischen Klinikträger mit rund 1.300 Patienten. Wo bei dem vorgelegten Referentenentwurf die Probleme liegen, erklärt er im Gespräch mit Dirk Baas.
epd sozial: Ein Ziel der von der Bundesregierung angestrebten Reform soll sein, den Maßregelvollzug auf gravierende Fälle zu beschränken. Ist das praktikabel?
Tilmann Hollweg: Im Schnitt entlassen Gerichte Patienten nach acht Jahren aus dem Maßregelvollzug. Bundesweit ist etwa jeder vierte Patient sogar länger als zehn Jahre untergebracht, in Einzelfällen sogar Jahrzehnte. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass nur gravierende Fälle in den Maßregelvollzug kommen.
epd: Wie sieht also die Zukunft aus?
Hollweg: Eine wirkliche Veränderung der bisherigen Praxis wird die Novellierung nicht bewirken. Der Grund: Auch nach gegenwärtiger Rechtsprechung ist eine Maßregelvollzugsunterbringung ohnehin nur dann gerechtfertigt, wenn die zu erwartende Tat zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreicht. Bagatelldelikte dürfen auch heute schon grundsätzlich nicht zu einer Unterbringung in einem forensisch-psychiatrischen Krankenhaus führen. Bundesweite Untersuchungen zeigen zudem: Deutlich über 90 Prozent der gemäß § 63 StGB Untergebrachten haben schwere bis schwerste Straftaten begangen, unter anderem Straftaten gegen das Leben, Sexualdelikte, Körperverletzungen, Brandstiftungen und Raub.
epd: Offenbar werden immer mehr Menschen in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Und sie bleiben dort auch immer länger? Haben Sie dafür eine Erklärung?
Hollweg: Seit den 1990er Jahren haben sich die Patientenzahlen verdreifacht. Das ist zum Teil durch gesetzliche Veränderungen gegen Ende jenes Jahrzehnts begründet. Aber auch die gesellschaftliche Akzeptanz und die veränderten Einstellungen der Bevölkerung zu psychisch kranken Straftätern spielen eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Rolle.
epd: Das heißt?
Hollweg: Die mediale Aufmerksamkeit, die zumeist spektakulären Einzelfällen zuteilwird, hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Praxis des Maßregelvollzuges. So wurden zum Beispiel die zuständigen Strafvollstreckungskammern der Gerichte, beraten durch Gutachter und Klinikleitungen, bis vor wenigen Jahren zusehends vorsichtiger, eine Entlassung auszusprechen. In diesem hochsensiblen Spannungsfeld zwischen Besserungs- und Therapieauftrag einerseits und gesellschaftlichen Sicherheitsansprüchen andererseits bewegt sich nicht nur die Praxis des Maßregelvollzuges, sondern auch die Gesetzgebung.
epd: Künftig soll eine Unterbringung über eine Dauer von sechs Jahren hinaus nur noch unter eng gefassten Bedingungen erlaubt sein. Heißt das, dass dann viele seelisch kranke Täter doch entlassen werden müssen?
Hollweg: Nach sechs Jahren Unterbringung soll ein mutmaßlicher Rückfall mit einem angenommenen rein wirtschaftlichen Schaden in Zukunft nicht mehr ausreichen, um jemanden weiter im Maßregelvollzug zu behalten. Bei mehr als zehn Jahren Unterbringungsdauer müssen künftig konkrete Hinweise auf eine weiterhin große Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung Dritter da sein, um den Patienten nicht zu entlassen. Mit Letzterem ist eine Angleichung an entsprechende Vorschriften zur Sicherungsverwahrung vorgesehen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, weil die bisherige Benachteiligung von psychisch kranken Rechtsbrechern gegenüber normalen Strafgefangenen aufgehoben wird.
epd: Aber Rückfälle sind doch auch in Zukunft nie sicher auszuschließen.
Hollweg: Richtig. Der Gesetzgeber sollte deshalb klar benennen, dass die geplanten Neuregelungen im Einzelfall die Maßregelvollzugsverantwortlichen in das Dilemma bringen können, Patienten zu entlassen, die rückfallgefährdet beziehungsweise noch gefährlich sind. Natürlich werden die Verantwortlichen versuchen, für diese Patienten Heime oder betreute Wohneinrichtungen zu finden, damit sie weiterhin praktische Hilfen und therapeutische Unterstützung erfahren. Allerdings: Kein entlassener Patient muss mehr den Empfehlungen der Klinik folgen.
epd: Die Bundesregierung will die "prozessualen Sicherungen zur Vermeidung unverhältnismäßig langer Unterbringungen" ausbauen. Was ist damit gemeint und was liegt hier noch im Argen?
Hollweg: Mit der sogenannten prozessualen Sicherung sind häufigere externe Begutachtungen in kürzeren Zeitabständen gemeint. Bislang sind diese externen, das heißt noch nicht mit dem jeweiligen Patienten befasste Gutachter, bundeseinheitlich alle fünf Jahre vorgeschrieben. Zukünftig werden externe Sachverständige in den ersten sechs Jahren der Unterbringung alle drei Jahre, danach alle zwei Jahre durch das Gericht mit einem Gutachten beauftragt. Geklärt werden soll, ob ein Patient gefährlich ist oder eben nicht und folglich entlassen werden kann oder eben nicht.
epd: Auch die Gutachter stehen im Fokus des Gesetzentwurfes. Zweimal hintereinander darf derselbe Gutachter nicht mehr eingesetzt werden. Spricht da Misstrauen aus dieser Regelung?
Hollweg: Ob unverhältnismäßig lange Unterbringungszeiten mittels häufigerer Begutachtungen vermieden werden können, darf bezweifelt werden. Denn Erfahrungen aus Bundesländern, die häufigere externe Begutachtungen landesgesetzlich schon vorgeschrieben haben, belegen eher, dass Patienten länger statt kürzer im Maßregelvollzug bleiben. Gutachter sind meines Erachtens zu Unrecht in Misskredit gekommen. Mal stehen hauptsächlich sie am Pranger, wenn jemand rückfällig wird, nicht aber die anderen Entlassungsverantwortlichen. Dann wieder werden die Gutachter kritisiert, wenn sie angeblich zu vorsichtig mit positiven Entlassempfehlungen sind. Ob aber jemand rückfällig wird, hängt neben seinem Behandlungsfortschritt auch von situativen Faktoren des zukünftigen Entlassumfeldes ab, zum Beispiel davon, ob der entlassene Patient seinen Arbeitsplatz behält oder ob ihn die Partnerin verlässt. So etwas kann niemand mit letzter Gewissheit vorhersagen - auch ein Gutachter nicht.
Kassel (epd). Die Vereine EX-IN Hessen aus Marburg und Forum Schmiede aus Taunusstein sind am 10. März in Kassel mit dem Walter-Picard-Preis ausgezeichnet worden. Mit der insgesamt 5.000 Euro dotierten Auszeichnung werde ihre Unterstützung von psychisch Kranken gewürdigt, die nach ihrer Erkrankung wieder versuchten, Fuß zu fassen, teilte der Landeswohlfahrtsverband Hessen (LWV) mit.
Andreas Jürgens, Erster Beigeordneter des LWV, sagte bei der Übergabe der Auszeichnungen, dass es beiden Initiativen gelinge, die Erfahrungen psychisch kranker Menschen für andere Betroffene nutzbar zu machen. Dies verhindere, dass psychisch kranke Menschen sich ausgegrenzt fühlten.
Die Selbsthilfegruppe Forum Schmiede wird von Betroffenen mit psychiatrischer Krisenerfahrung sowie deren Angehörigen und anderen Bürgern getragen. Seit 2001 organisieren sie jahreszeitbezogene Märkte in der Scheune des historischen Lehenshofs in Taunusstein-Hahn. Dort werden selbst gemachte Produkte aus der Holzwerkstatt, Kerzen, Marmelade, Handarbeiten, Pappmaché-Werke und Arbeiten aus dem Fotolabor angeboten. Zudem werden ein Café, eine Bücherstube und ein Flohmarkt-Lädchen betrieben.
EX-IN Hessen ist Teil des gleichnamigen Bundesvereins, der Name steht für Experienced Involvement (Beteiligung Erfahrener). Hier werden psychiatrieerfahrene Menschen als sogenannte Genesungsbegleiter in der Gesundheitsversorgung ausgebildet und eingesetzt. Ziel der Arbeit ist es, soziale Ausgrenzung abzubauen, indem psychisch Erkrankte über Arbeit Anerkennung und ihren Platz in der Gesellschaft finden.
Der von der LWV-Verbandsversammlung 2001 gegründete Walter-Picard-Preis wird alle zwei Jahre für besonders nachahmenswertes ehrenamtliches Engagement oder professionelle Projekte in der hessischen Gemeindepsychiatrie vergeben.
Berlin (epd). Die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche kommt nach Darstellung des Missbrauchsbeauftragten voran. Bischof Stephan Ackermann betonte am 13. März das Ziel, dass das Forschungsprojekt der Bischofskonferenz dazu "eine quantitative und qualitative Übersicht" ermittelt. Es werde kommendes Jahr Ergebnisse liefern, sagte der Trierer Bischof. Vielleicht werde es schon dieses Jahr einen Zwischenstand geben, fügte er hinzu.
Zur Zahl möglicher Opfer und Täter sagte Ackermann in dem Interview, dass bis jetzt rund 1.600 Betroffene Anträge auf Anerkennung und materielle Leistungen gestellt hätten. "Wie viele Täter sich dahinter verbergen, können wir erst mit der Studie sagen", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel" weiter. Gegenstand der Studie sei auch die Frage, wie viele Täter aus ihren Ämtern entlassen wurden.
Bischof Ackermann betonte, die Kultur in der Kirche habe sich bei diesem Thema "verändert bis hin zur Spitze". Er räumte aber ein, es bestehe durchaus die Gefahr, dass das Thema gesellschaftlich, aber auch kirchlich wieder als weniger wichtig wahrgenommen werde: "Deshalb müssen wir an dem Thema dranbleiben." Hinter den erreichten Standards, etwa bei Fortbildungen, dürfe nicht wieder zurückgefallen werden. Die deutschen Bistümer hatten als Folge des Missbrauchsskandals ihre Richtlinien 2013 deutlich verschärft, ihre Mitarbeiter geschult und Ansprechpartner für Betroffene benannt.
Das Forschungsprojekt der katholischen Deutschen Bischofskonferenz zum Thema "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen" soll Ende 2017 abgeschlossen werden. Es ist bereits das zweite Aufarbeitungsvorhaben, nachdem ein erstes Projekt mit dem Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer gescheitert war.
Korntal-Münchingen (epd). Die Evangelische Brüdergemeinde Korntal hat bei der Aufarbeitung von früheren Missbrauchsfällen in ihren Kinderheimen einen Rückschlag erlitten. Weil Betroffene ihnen das Misstrauen erklärten, zog sich das Team um die Landshuter Sozialwissenschaftlerin Mechthild Wolff aus dem Korntaler Projekt "Aufarbeitung Heimerziehung" zurück. Wenn eine erhebliche Zahl von Personen, die während ihres Aufenthalts in den Kinderheimen Missbrauch, Misshandlung und anderes Unrecht erlitten hätten, nicht mit ihnen arbeiten wollten, sei eine Aufarbeitung nicht möglich, schreiben sie in einer am 15. März von der Brüdergemeinde veröffentlichten Stellungnahme.
Die vier Wissenschaftlerinnen betonen, dass sie als ihre Aufgabe betrachtet hätten, "das tatsächliche Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in Korntaler Heimen herauszufinden und Verantwortliche zu benennen". Zusätzlich wollten sie "Strukturen aufdecken, die dies begünstigt haben, und insbesondere auch die Folgen für die betroffenen ehemaligen Heimkinder erheben".
Die Evangelische Brüdergemeinde Korntal bedauerte, dass "eine große Chance vertan" worden sei. Die insbesondere gegen Professorin Wolff gerichteten persönlichen Angriffe seitens Betroffener und ihrer Unterstützer hätten zuletzt "ein unzumutbares Maß erreicht" und machten die Reaktion verständlich. Wie nun das Verfahren gemeinsam mit den ehemaligen Heimkindern fortgesetzt werden könne, sei noch offen. Unabhängig davon gehe der interne Aufarbeitungsprozess weiter.
Das neu gegründete Netzwerk Betroffenenforum begrüßte die Entscheidung der Wissenschaftlerinnen. Für die Betroffenen stehe die Aufklärung aller Vorkommisse in der Brüdergemeinde im Zentrum. Sie wollten die schnellstmögliche Aufklärung und "Befriedung durch eine angemessene Entschädigung".
Ehemalige Heimkinder hatten Vorwürfe gegen die Diakonie im baden-württembergischen Korntal erhoben. Sie berichten von sexueller und körperlicher Gewalt sowie Zwangsarbeit insbesondere in den 60er und 70er Jahren.
München (epd). Die Plinganserstraße 19 in München: Hier hat der gemeinnützige Verein "H-Team" seinen Sitz - und hier hat auch Wedigo von Wedel seinen Schreibtisch. Der 55-jährige Pädagoge betreut das nach seinen Angaben bundesweit einzige "Messie-Telefon": Damit können sich Menschen mit einer zwanghaften Sammelleidenschaft Hilfe holen. Oder deren Angehörige.
"Gerade hatte ich eine Mutter am Telefon, die über ihre Tochter und deren Wohnungszustand verzweifelt war", berichtet von Wedel. Die Tochter, Anfang 30, ist erwerbslos, "kriegt nichts auf die Reihe", stellt die Mutter resigniert fest. Die Wohnung sei so voller Gegenstände, dass sie kaum noch zu betreten sei. Aber, so die Experten: Das Messie-Phänomen, die Verwahrlosung der Wohnung durch Müll und vermeintliches Gerümpel, trifft keineswegs nur Arbeitslose oder "sozial Schwache", sondern auch erfolgreiche Berufstätige.
Seit 25 Jahren beschäftigt sich von Wedel mit diesem Problem und kennt auch viele Beispiele aus "bürgerlichen" Kreisen. Dabei denkt er zum Beispiel an jene Frau mit einer leitenden Funktion in einem großen Büro. Trotz des verheerenden Zustandes ihrer Wohnung schaffte es die Angestellte, den äußeren Schein in ihrem Beruf aufrecht zu erhalten. Dazu hatte sie am Münchner Hauptbahnhof Schließfächer angemietet, in die sie sowohl ihre Schmutzwäsche deponierte als auch die saubere Kleidung für das Büro, die sie aus der Reinigung abholte. Von Wedel: "Das kam auf die Jahre gesehen sehr teuer."
Für den Pädagogen entspricht das äußere Chaos der Messies auch ihrem inneren Zustand. Die Überfrachtung der Wohnung mit Dingen steht für das permanente Gefühl der Überforderung: "Messies sammeln genau genommen weniger Dinge als Aufgaben und Projekte, von denen sie sich aber förmlich erdrückt fühlen."
Viele Betroffene wehrten sich auch gegen den Begriff der Vermüllung, denn für sie sind die angesammelten Waren keineswegs Müll, sondern sie identifizieren sich mit ihnen. "Sind meine Dinge Müll, dann bin ich auch Müll", sei dann zu hören - und gegen diese Verletzung wehren sie sich mit Abschottung der eigenen Wohnung. Doch der Zusammenhang zwischen psychischer Befindlichkeit und Wohnungschaos sei noch viel zu wenig erforscht: "Die Wissenschaften beschäftigen sich kaum mit diesen Problem", sagt von Wedel.
Lange Erfahrung mit diesem Phänomen hat der Facharzt und Psychoanalytiker Rainer Rehberger, Autor von mehreren Büchern zum Messie-Syndrom. Für ihn liegen dessen Ursachen in einer übermäßigen erzieherischen Strenge mit Zwang und Gewalt in der frühen Kindheit.
Wissenschaftlich untersucht wurde das Messie-Syndrom 2012 an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Freiburg. Das Ergebnis der Studie: Häufig seien die Betroffenen in der Kindheit Gewalt, Zwang und starkem Druck ausgesetzt gewesen.
Verlässliche Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland im selbst erzeugten Chaos leben, gibt es nicht. Via Messie-Telefon verhindert der Münchner Verein "H-Team" jährlich rund 100 Wohnungskündigungen wegen Verwahrlosung - der zweithäufigste Kündigungsgrund nach Mietschulden. Auf der Grundlage dieser Erfahrung schätzt er die ungefähre Zahl bundesweit Betroffener: "Rund zwei Millionen halte ich für möglich", sagt von Wedel.
Und der Fachmann sieht eine wachsende Tendenz. Denn "der Leistungsdruck hat in den vergangenen 20 Jahren zugenommen". Hinzu komme, dass tragfähige Bindungen schwänden.
Düsseldorf (epd). Die Diakonie in Nordrhein-Westfalen bietet künftig Opfern schwerer Gewalttaten psychosoziale Hilfe in Gerichtsverfahren an. "Es geht darum, Opfern von Gewalttaten die Angst vor dem Prozess zu nehmen und sie zu stabilisieren", sagte Sabine Bruns, Referentin für Straffälligenhilfe bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, am 10. März in Düsseldorf. Auf diese kostenlose sogenannte Psychosoziale Prozessbegleitung haben Minderjährige und besonders schutzbedürftige Erwachsene, die sexuell missbraucht oder Opfer einer schweren Gewalttat geworden sind, ab Januar 2017 einen Rechtsanspruch.
"Der neue Rechtsanspruch ist ein Meilenstein im Opferschutz", betonte Bruns. Er ist im 3. Opferrechtsreformgesetz, das Ende 2015 verabschiedet wurde, vorgesehen. Die Prozessbegleiter unterstützen Gewaltopfer nach Angaben der Diakonie vor, während und nach dem Prozess. Zu ihren Aufgaben gehöre es etwa, über den Ablauf des Prozesses aufzuklären, juristische Fachbegriffe zu übersetzen und die Betroffenen auch mit in den Gerichtssaal zu begleiten. "Das Strafverfahren weckt bei vielen schlimme Erinnerungen, Scham und Schuldgefühle und führt nicht selten zu einer Retraumatisierung", sagte Bruns.
In Nordrhein-Westfalen stellen nach Angaben der Diakonie ausschließlich die Wohlfahrtsverbände die Prozessbegleiter. Die gesetzlich vorgeschriebene elfmonatige Ausbildung startet demnach an diesem Wochenende an der Universität Düsseldorf.
Stuttgart (epd). Der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, kritisiert einen "politischen Aktionismus" im Umgang mit der Flüchtlingskrise. Das habe zu Verunsicherung auf allen Ebenen geführt und beeinträchtige eine lösungsorientierte Bearbeitung der Aufgaben, sagte der Diakonie-Chef am 11. März in Stuttgart vor der Frühjahrssynode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Eine restriktive Gesetzgebung in Eilverfahren, eine Verschärfung der Rhetorik und ein wachsender Rechtspopulismus verstärkten die Spaltung der Gesellschaft in der Flüchtlingsfrage.
Das kirchliche Engagement für Flüchtlinge hat laut Kaufmann stark zugenommen. So habe sich alleine im Landkreis Göppingen die Zahl der Ehrenamtlichen innerhalb eines Jahres von 360 auf 700 fast verdoppelt. Kirche und Diakonie leisteten hier eine "großartige Arbeit". In den Landeserstaufnahmestellen seien 15,5 Stellen in diakonischer Trägerschaft.
Als einen Schwerpunkt kirchlicher Flüchtlingsarbeit nannte der Oberkirchenrat die Betreuung unbegleiteter Minderjähriger. Von ihnen seien derzeit 1.200 in 45 Einrichtungen der württembergischen Diakonie. Weitere Arbeitszweige seien die psychosoziale Beratung, die Beratung anerkannter Flüchtlinge und die Begleitung von Asylfreundeskreisen und Flüchtlingsinitiativen. In einem Grundsatzbeschluss legte die Synode fest, auch künftig die Hälfte der landeskirchlichen Gelder für die Flüchtlingshilfe in den Herkunftsregionen einzusetzen.
Klaus Rieth, Kirchenrat für Mission und Ökumene, informierte über kirchliche Hilfen für Flüchtlinge in den Herkunftsländern. So würden Geflohene aus Mossul und der Ninive-Ebene mit dem Nötigsten versorgt und in der Stadt Kirkuk Folteropfer in einem Trauma-Zentrum unterstützt. Auch in der Türkei, Jordanien, Syrien dem Libanon sowie mehreren afrikanischen Ländern versuche die Kirche, Flüchtlingsursachen zu bekämpfen. Die Landeskirche stellt in diesem und dem kommenden Jahr insgesamt 13,4 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung.
Bad Herrenalb (epd). Drei soziale Projekte sind mit dem Diakoniepreis 2016 des Diakonischen Werks (DW) Baden ausgezeichnet worden. Der erste Preis mit 4.000 Euro ging an den Diakonieverein im Diakonischen Werk Mannheim für ein Grundschüler-Betreuungsprojekt, teilte das DW am 10. März zur Preisverleihung in Bad Herrenalb mit. Den zweiten Preis von 3.000 Euro teilen sich je zur Hälfte das Diakonische Werk Freiburg und das Pilgerhaus Weinheim.
In Mannheim ist mangels kommunaler Alternativen innerhalb von vier Jahren die Diakonie zum größten Anbieter bei der Betreuung von Grundschülern in der unterrichtsfreien Zeit geworden. Derzeit kümmern sich dort 55 Betreuer an zehn Standorten um 310 Kinder, teilte das DW mit. Das Projekt fördere auch das Zusammenleben von Kindern aus 20 verschiedenen Nationen.
Der Diakonieverein im Diakonischen Werk Freiburg wurde ausgezeichnet für sein Projekt "Von mir zu dir" in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Thessaloniki. Mit im Boot sind Partner aus der Schweiz, Frankreich und Österreich. Gemeinsam wurde im Februar nach jahrelangen Planungen mit europäischen Fördermitteln ein dringend benötigter Secondhand-Laden in Thessaloniki gegen Widerstände der Regierung in Athen eingerichtet.
Das Pilgerhaus Weinheim wurde geehrt für sein Projekt "Für jedes Bett ein Quilt". Die Nähwerkstatt mit Kinderbetreuung für Frauen aus den Weinheimer Flüchtlingsunterkünften und Weinheimerinnen bietet einen geschützten Raum für Frauen. Neben den namensgebenden Quilts, das sind bunte Tagesdecken für Betten, entsteht auch Kinderkleidung und Flickarbeiten werden erledigt.
Berlin (epd). Arzneimittelstudien westlicher Pharmaunternehmen in der DDR beruhten laut einer Untersuchung der Berliner Charité auf den gleichen ethischen Standards wie in Westeuropa. Die Wissenschaftler um den Medizinhistoriker Volker Hess fanden im Rahmen ihres zweieinhalbjährigen Forschungsprojektes Hinweise auf bis zu 900 klinische Studien, die im Auftrag von Westfirmen zwischen 1961 und 1990 in der DDR gemacht wurden. Davon wurden 321 Studien genauer untersucht und ausgewertet. Der Skandal bleibe dabei aus, sagte Hess am 15. März bei der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse in Berlin.
Vorwürfe von "Menschenversuchen in der DDR" und "menschlichen Versuchkaninchen" konnte die Forschungsgruppe nicht entdecken. "Diese Standards entsprachen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhang nicht den heutigen international gültigen ethischen Regeln, waren aber nach dem damaligen Verständnis absolut üblich", sagte Hess. Verstöße in Einzelfällen für die DDR konnten die Wissenschaftlicher nicht vermehrt feststellen.
Auftraggeber der klinischen Studien waren zum größten Teil bundesdeutsche Pharmafirmen, aber auch Unternehmen aus der Schweiz, Frankreich, Großbritannien und den USA. Sie profitierten von der disziplinierten Durchführung in dem zentralistisch geführten DDR-Behördenapparat, was ihnen einen beträchtlichen Zeit- und Effizienzgewinn einbrachte. Die DDR wiederum bekam so dringend benötigte Devisen und Zugang zu westlichen Präparaten.
Göttingen (epd). Eine Göttinger Studie zum sogenannten Sterbefasten ist von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin ausgezeichnet worden. Sie erhielt den Preis als beste Originalarbeit der "Zeitschrift für Palliativmedizin" für das Jahr 2015, wie die Göttinger Universitätsmedizin am 16. März mitteilte. Das Sterbefasten, also der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, stellt für Patienten mit einer unheilbaren Krankheit eine legale Möglichkeit dar, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden.
Die Autoren Nina Luisa Hoekstra und Alfred Simon von der Akademie für Ethik in der Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen hatten für die Studie bundesweit Allgemein- und Palliativmediziner befragt. Die Ärzte sollten darüber Auskunft geben, wie sie das Sterbefasten und die ärztliche Begleitung bewerten. In der aktuellen Debatte gibt es dazu unterschiedliche Positionen, dabei spielen sowohl rechtliche wie auch ethische Gesichtspunkte eine Rolle.
Der nicht dotierte Preis wird seit 2014 von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin vergeben. Er würdigt herausragende Publikationen, die sich durch methodisches Vorgehen und Originalität auszeichnen.
Bad Kreuznach (epd). Die Kreuznacher Diakonie reagiert auf den wirtschaftlichen Druck in der Sozialbranche. Die sozialdiakonische Stiftung werde künftig effizienter arbeiten und sich in den Regionen stärker spezialisieren, sagte Vorstand Frank Rippel dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Bad Kreuznach. "Wir können uns nicht mehr als rein diakonisches Unternehmen aufstellen." Geringe Zinserträge als Folge der Finanzkrise und der "ruinöse Wettbewerb bei Krankenhäusern" hätten den ökonomischen Druck erhöht.
Übernahmen etwa der Städtischen Kliniken Neunkirchen im Saarland und der Evangelischen Altenhilfe und Krankenpflege Nahe, Hunsrück, Mosel dienten der Arbeitsplatzsicherung für alle, betonte Rippel. Dabei gehe es nicht um Wachstum an sich, sondern um Synergieeffekte und die Frage, was in die jeweilige Region passe. So spezialisierten sich die Angebote im saarländischen Neunkirchen beispielsweise auf die Altersmedizin, erklärte der Vorstand. Dort gebe es mittlerweile Seniorenresidenz, Krankenhaus und Hospiz.
Als weitere Maßnahmen der Diakoniestiftung nannte Rippel den Aufbau eines gemeinsamen Einkaufs und eines gemeinsamen Controllings. Die Vereinheitlichung und Vereinfachung sei mit Hilfe der zum Jahreswechsel in Kraft getretenen neuen Organisationsstruktur der Kreuznacher Diakonie möglich. Aus zwölf Geschäftsfeldern wurden fünf, die Zahl der Geschäftsführer sank von 30 auf 10.
Nun seien Absprachen einfacher, sagte Rippel. Die Geschäftsführer für die Bereiche Krankenhäuser und Hospize, Leben mit Behinderung, Seniorenhilfe, Kinder-, Jugend- und Familienhilfe sowie Wohnungslosenhilfe kümmerten sich zudem um die Weiterentwicklung der inhaltlichen Konzepte.
In der Geschäftsführung der traditionsreichen Stiftung sind inzwischen keine Theologen mehr vertreten, sie gehören nun zum Referat für diakonische Ausrichtung und nicht mehr zum operativen Management. Zurzeit sind rund 6.650 Menschen für die Kreuznacher Diakonie tätig, die Trägerin von Einrichtungen in Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Hessen ist. In den kommenden Jahren gehe es nun auch um die Unternehmenskultur, sagte Rippel: "Wir können wieder am diakonischen Profil arbeiten."
Gütersloh, Berlin (epd). Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe will ein Netzwerk an Kliniken speziell für Kinder aufbauen. Geplant seien etwa zehn Standorte im ganzen Bundesgebiet, teilte die Stiftung am 15. März in Gütersloh mit. Ziel sei es, dass Kinder mit einem Schlaganfall innerhalb von 200 Kilometern eine schnelle, qualifizierte Diagnose und eine optimale Therapie erhalten. Die Aktion Kinder Schlaganfall-Hilfe will Kinderkliniken mit neurologischer Kompetenz fördern, um sie zu spezialisierten Versorgungszentren auszubauen.
Mindestens 300 Kinder in Deutschland erleiden nach Angaben der Stiftung jedes Jahr einen Schlaganfall. Das geschehe oft schon im Mutterleib oder bei der Geburt. Die Dunkelziffer sei jedoch sehr hoch, weil viele kindliche Schlaganfälle gar nicht oder erst Jahre später diagnostiziert werden.
Die von der Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann Stiftung, Liz Mohn, gegründete Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe setzt sich nach eigenen Angaben bundesweit für die Vorbeugung und Aufklärung über Risikofaktoren ein. Die ebenfalls von Mohn ins Leben gerufene Aktion Kinder Schlaganfall-Hilfe kümmert sich besonders um die Belange der jüngsten Betroffenen.
Trier (epd). Der Diözesan-Caritasverband Trier hat den mit insgesamt 15.000 Euro dotierten Elisabethpreis für ehrenamtliche Projekte ausgeschrieben. Bis zum 1. September 2016 können sich katholische Einrichtungen und Gruppen im Bistum mit ehrenamtlichen Initiativen bewerben, die entweder seit mindestens 20 Jahren bestehen oder mit neuen Ideen aktuelle Herausforderungen bewältigen, wie der Caritasverband am 17. März in Trier mitteilte.
Die drei Preisträger erhalten den Angaben zufolge ihre Auszeichnungen in Höhe von jeweils 5.000 Euro am 19. November während der 100-Jahrfeier des Verbands in Trier.
Zusätzlich wird erstmals ein Sonderpreis für Schulklassen in Höhe von 500 Euro ausgeschrieben. Die Schüler sollen sich dazu mit einem Projekt des Verbandes auseinandersetzen und es vorstellen. Der Einsendeschluss für die Präsentationen ist den Angaben zufolge der 15. Juli 2016.
Hildesheim (epd). Damit bekamen zwei auf Hartz IV angewiesene Gymnasiasten aus Niedersachsen recht. Die Geschwister hatten einen Zuschuss zu Schulbüchern in Höhe von jeweils 235,45 Euro beantragt, insgesamt also 470,90 Euro. Lernmittelfreiheit gibt es in Niedersachsen nicht, auch die Ausleihe der notwendigen Bücher war nicht möglich.
Das Jobcenter wollte lediglich jeweils 100 Euro jährlich zahlen. Das entspreche dem sogenannten "Schulbedarfspaket". Dass die Schüler Bücher für den Schulbesuch benötigen, sei bekannt und damit planbar. Die Gymnasiasten müssten daher für die Bücher Geld aus ihrer regulären Hartz-IV-Leistung ansparen. Die Schüler argumentierten dagegen, dass die Schulbuchkosten weder in dem jährlichen Pauschbetrag des "Schulbedarfspaketes" noch im Regelbedarf enthalten seien.
Das Sozialgericht sprach den Gymnasiasten die volle Kostenerstattung zu. Der Anspruch ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach habe der Staat für Hartz-IV-Kinder alle "Befähigungskosten" zu tragen, die sich aus dem Schulbesuch ergeben. Das sei hier der Fall. Die Schüler könnten auch keine ausreichenden Ansparungen aus dem Regelsatz vornehmen, denn der sehe für Bildung lediglich 1,39 Euro pro Monat vor. Auch aus Einsparungen bei anderen Bedarfen im Regelsatz könnten die Schulbuchkosten nicht gedeckt werden.
Ohne Kostenübernahme durch das Jobcenter komme es zudem zu einer Ungleichbehandlung von Kindern, da in einigen Bundesländern Lehrmittelfreiheit bestehe, in anderen wiederum nicht, so dass die Bücher dort aus dem Regelsatz finanziert werden müssten.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat das Sozialgericht die Berufung zum Niedersächsischen Landessozialgericht zugelassen.
Az.: S 37 AS 1175/15
Kassel (epd). Sozialhilfeempfänger dürfen nur einmal ihre Krankenkasse frei wählen. Danach haben sie aber keinen Anspruch auf einen Kassenwechsel, urteilte am 8. März das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Die ursprüngliche Kassenwahl sei laut Gesetz "abschließend".
Für die Krankenbehandlung von Sozialhilfeempfängern kommt zwar der jeweilige Sozialhilfeträger auf, abgewickelt wird dies aber über die Krankenkassen. Zu Beginn ihrer Hilfebedürftigkeit dürfen sich die Sozialhilfeempfänger ihre Kasse auswählen.
Der geborene Sozialhilfeempfänger aus dem Raum Freiburg war zunächst bei der Gmünder Ersatzkasse (GEK) versichert. Diese fusionierte zum Jahresbeginn 2010 mit der Barmer Ersatzkasse zur Barmer GEK. Daraufhin wurde der Sozialhilfeempfänger durch die bundesweit zentrale Stelle betreut, die die Barmer GEK für alle Sozialhilfeempfänger im sächsischen Zwickau eingerichtet hatte. Damit war der heute 73 Jahre alte Mann nicht zufrieden. Er wollte daher zur Techniker Krankenkasse (TK) wechseln.
Diese lehnte seine Aufnahme freilich ab und kam für Behandlungskosten nicht auf. Während des Sozialhilfebezugs sei er an die Wahl der Krankenkasse gebunden und könne nicht wechseln.
Dagegen klagte der Sozialhilfeempfänger. Er habe nicht vorhersehen können, dass seine GEK von der Barmer "geschluckt" werde. Dass Sozialhilfebezieher an die Wahl ihrer gebunden seien und später nicht mehr wechseln dürfen - wie von der Techniker Krankenkasse angeführt - sei mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes nicht vereinbar. Die Krankenbehandlung finde auch nicht durch die Krankenkasse statt, sondern würden letztlich vom Sozialamt bezahlt.
Zur Begründung erklärte nun das BSG, Sozialhilfeempfänger seien nicht regulär krankenversichert. Das für die Versicherten bestehende Recht zum Kassenwechsel sei daher nicht übertragbar. Für Sozialhilfeempfänger sei ein solches Recht gesetzlich nicht vorgesehen. Das gelte, solange die einmal gewählte Kasse "weder geschlossen noch von einem Insolvenzeröffnungsantrag betroffen ist". Wegen der Unterschiede zwischen Sozialhilfeempfängern und regulär Versicherten sei dadurch das Gleichbehandlungsgebot nicht verletzt.
Die Barmer GEK hat ihre zentrale Betreuungsstelle für Sozialhilfeempfänger 2015 aufgelöst. Seit Februar 2016 werden sie jeweils vor Ort betreut, lediglich die Leistungsabrechnung mit den Sozialämtern erfolge zentral in Stuttgart, teilte die Barmer GEK auf Anfrage mit.
Az.: B 1 KR 26/15 R
Erfurt (epd). Schwerbehinderten Arbeitnehmern, die wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern mehrere Jahre ins Gefängnis, darf wegen der langen Abwesenheit der Job fristlos gekündigt werden. Das gilt selbst dann, wenn der Beschäftigte nach den tariflichen Bestimmungen eigentlich unkündbar ist, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 9. März veröffentlichten Urteil. Dem Arbeitgeber sei es nicht zuzumuten, mehr als zwei Jahre den Arbeitsplatz freizuhalten.
Damit ist ein in Nordrhein-Westfalen im Landesbetrieb Straßenbau angestellter Verwaltungsfachwirt seinen Job los. Der Mann arbeitete seit 24 Jahren in dem Beruf und ist mit einem Schwerbehinderten gleichgestellt.
Das Landgericht Aachen hatte ihn im Juli 2011 wegen schweren sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung in mehreren Fällen rechtskräftig zu einer siebeneinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Eine Woche nach Haftantritt kündigte das Land dem eigentlich nach den tariflichen Bestimmungen unkündbaren Mann fristlos "mit Auslauffrist" zum 30. September 2013. Das entsprach den Fristen bei einer ordentlichen Kündigung. Das Integrationsamt "bestätigte" dem Land, dass es die Zustimmung zur Kündigung erteile.
Der Verwaltungsfachwirt hielt die Kündigung für unwirksam. Es liege kein wichtiger Grund vor, der diese rechtfertige. Er sei zu Unrecht verurteilt worden und rechne mit der Wiederaufnahme des Strafverfahrens.
Bei ordentlichen Kündigungen liege ein personenbedingter Kündigungsgrund vor, "wenn der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt noch eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen hat und eine vorherige Entlassung nicht sicher zu erwarten steht", urteilte jedoch das BAG. Dem Arbeitgeber könne dann regelmäßig nicht zugemutet werden, den Arbeitsplatz zu reservieren und Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen.
Könne ein tariflich unkündbarer Arbeitnehmer haftbedingt seine Arbeit nicht antreten, komme eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist in Betracht. Hier liege die Haftstrafe deutlich über die Dauer von zwei Jahren, so dass dem Land die Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten sei. Hinweise für die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gebe es nicht.
Der Kläger habe zudem seinen außergewöhnlich langen Ausfall selbst verschuldet. Schließlich sei auch die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung rechtzeitig eingeholt und erteilt worden.
Az.: 2 AZR 381/14
Kassel (epd). Die Kosten für eine vorbeugende Brustoperation können im Einzelfall anerkannt werden. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof Kassel (VGH) gab am 10. März in einem Berufungsverfahren der Klage einer Landesbeamtin statt, die beim Land Hessen die Übernahme der Kosten für eine solche Operation mit Implantatrekonstruktion beantragt hatte. Bei der Klägerin handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um eine Hochrisikopatientin. Sie sei erwiesenermaßen Trägerin des BRCA-2-Gens, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent zu einer Brustkrebserkrankung führen wird.
Zur Begründung verwies der VGH auf die Fürsorgepflicht des Dienstherren. Bereits das Vorhandensein einer BRCA-2-Genmutation sei als Krankheit im Sinne der Hessischen Beihilfeverordnung anzusehen. Deswegen sei der Dienstherr auf dieser Grundlage zur Gewährung von Beihilfe für die Kosten einer vorbeugenden Brustdrüsenentfernung verpflichtet.
Az.: 1 A 1261/15
Jobcenter müssen einem Hartz-IV-Bezieher bei einem genehmigten Umzug auch die Kosten für die Umstellung des Telefon- und Internetanschlusses sowie für einen Nachsendeantrag übernehmen. Denn auch diese Aufwendungen gehörten zu den "eigentlichen" Umzugskosten und müssen erstattet werden, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in einem am 9. März bekanntgegebenen Urteil.
Damit bekam ein heute 61-jähriger Mann recht, der nach der Trennung von seiner Ehefrau vom Jobcenter im November 2011 einen Umzug genehmigt bekommen hatte. Die Behörde erklärte sich damit auch bereit, die notwendigen Umzugskosten für den auf einen Rollstuhl angewiesenen Mann zu übernehmen.
Der Hartz-IV-Bezieher machte daraufhin unter anderem für die Umstellung seines Telefon- und Internetanschlusses sowie für seinen Nachsendeantrag Kosten in Höhe von insgesamt 85,15 Euro geltend. Das Jobcenter sah darin keine Umzugskosten und verweigerte die Erstattung.
Doch auch diese Aufwendungen seien typische Umzugskosten, urteilte das LSG. Diese gingen zwangsläufig mit dem Umzug einher, seien unmittelbar durch diesen veranlasst und seien auch nicht zu vermeiden. Zwar sei höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob die Kosten für die Umstellung des Telefon- und Internetanschlusses und des Nachsendeantrags Umzugskosten darstellten. Allerdings habe das Bundessozialgericht (BSG) in mehreren Urteilen auch Aufwendungen für die Sperrmüllentsorgung als zu übernehmende Umzugskosten gewertet. Damit sei klar, dass unter dem Begriff der Umzugskosten nicht allein die unmittelbaren Transportkosten fallen.
Gegen das Urteil wurde Revision beim BSG eingelegt. Dort ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen B 14 AS 58/15 R anhängig.
Az.: L 6 AS 1349/13
Osnabrück, Berlin (epd). Mit Sayn-Wittgenstein werde auch eine ganze Berufsgruppe gewürdigt, die gerade in der heutigen Zeit eine starke Stimme brauche, sagte die rheinland-pfälzische Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) in der Laudatio.
Der Deutsche Hebammenverband würdigte Sayn-Wittgestein als Wegbereiterin der Hebammen-Wissenschaft. Die 54-Jährige übernahm im Jahr 2000 als erste Hebamme in Deutschland einen Lehrstuhl für Pflege- und Hebammenwissenschaften. Sie sei eine "Leitfigur des Hebammenwesens und hat unseren Berufsstand durch ihre Forschungen und Erkenntnisse maßgeblich geprägt", würdigte der Verband.
Die Forscherin arbeitete zunächst als Hebamme, bevor sie in den USA Pflege- und Gesundheitswissenschaften studierte. 1999 promovierte sie in Harvard. Seit 2009 lehrt sie an der Hochschule Osnabrück. Seit 2015 sitzt Sayn-Wittgenstein im Wissenschaftsrat, der die Bundesregierung und die Regierungen der Länder in Fragen der inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Hochschulen, der Wissenschaft und der Forschung berät.
Die Preisträgerin selbst sieht mit Sorge, dass sich Arbeitsbedingungen für Hebammen weiter verschlechtern. Sie verwies auf die Zusammenlegung geburtshilflicher Abteilungen, die Arbeitsverdichtung und die erhöhte Haftpflicht. Der Deutsche Pflegepreis wird seit 1999 an verdiente Persönlichkeiten verliehen.
Christian Baron (64) aus Braunschweig hat turnusgemäß den Vorsitz der ökumenischen Konferenz für Kirchliche Bahnhofsmissionen (KKBM) in Kassel übernommen. Er löste Ute Volz ab, die nun den 2. Vorsitz der KKBM übernimmt. Sie ist Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Evangelischen Bahnhofsmission. Beide Partner wollen ihre enge Zusammenarbeit auf Bundesebene weiter intensivieren. Das bekräftigte Baron in seiner Funktion als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Katholischen Bahnhofsmissionen in seiner Antrittsrede.
Peter Maffay (66), Sänger und Musikproduzent, erhält den Karl-Kübel-Preis 2016. Maffay wird für sein Engagement für traumatisierte Kinder weltweit geehrt. Das Preisgeld von 25.000 Euro werde in die Peter-Maffay-Stiftung für benachteiligte Kinder und Jugendliche fließen. Vergeben wird der Preis am 16. September in Bensheim. Seit 2000 kümmert sich Peter Maffay mit seiner Stiftung in verschiedenen Ländern um benachteiligte und traumatisierte Kinder und nennt dies "eine Herzensangelegenheit". Der Unternehmer Karl Kübel (1906-2006) verkaufte 1972 seine "3-K"-Möbelwerke und brachte den Erlös und den größten Teil seines Privatvermögens in eine Stiftung ein. Die Stiftung fördert familienfreundliche Projekte.
Uwe Breithor (58) ist neuer Landespfarrer für die Gefängnisseelsorge in Berlin und Brandenburg. Breithor wurde am 9. März in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Heidering in Großbeeren in sein Amt eingeführt. Der Pfarrer war von 1996 bis 2011 Vorsitzender der Kollegialen Leitung des Evangelischen Kirchenkreises Beelitz-Treuenbrietzen. Ab 2013 baute er die Gefängnisseelsorge in der neu errichteten JVA Heidering auf. Breithors Vorgänger als Landespfarrer, Martin Groß (55), arbeitet jetzt wieder als Gemeindepfarrer.
Bertold Kamm, Ehrenvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bayern, ist tot. Der langjährige SPD-Landtagsabgeordnete starb am 9. März im Alter von 89 Jahren. Kamm stammte aus dem baden-württembergischen Schorndorf. Als Student der Rechts- und Sozialwissenschaften gehörte er zu den Gründern des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS). Von 1966 bis 1986 saß er für die SPD im bayerischen Landtag, von 1978 bis 1989 war er Vorsitzender des AWO-Landesverbands. Kamm setzte sich für die Gründung der Hans-Weinberger-Akademie als Aus- und Weiterbildungsinstitut für die sozialen Berufe in Bayern ein.
April
4.-6.4. Hannover:
Tagung "Unterstützung für Eltern mit Behinderung - Elternassistenz und Begleitete Elternschaft als Hilfen der Eingliederungshilfe und Jugendhilfe"
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/629800
www.deutscher-verein.de
4.-8.4. Freiburg:
Seminar "Konfliktmanagement als Führungsaufgabe"
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/2001700
6.-8.4. Bergisch-Gladbach:
Fachtagung "Stabilisierung in unstabilen Zeiten: mit traumatisierten Menschen stabilisierend arbeiten"
des SkF-Gesamtvereins
Tel.: 0231/55702613
www.skf-zentrale.de
7.4. Bamberg:
Fortbildung "SGB II: Urteile aus dem Sozialrecht"
des Caritasverbandes für die Erzdiözese Bamberg
Tel.: 0951/8604406
www.caritas-bamberg.de
8.4. Neumünster:
Seminar "Sexualität in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz"
des Kompetenzzentrums Demenz
Tel.: 040/60926420
www.demenz-sh.de
8.-9.4. Dresden:
Interprofessioneller Gesundheitskongress "Viele Professionen - ein Patient!"
der Springer Medizin Verlag GmbH
www.gesundheitskongresse.de
9.4. Berlin:
Symposium "Pflegequalität in der Notfallpflege"
des DBfK Nordost
Tel.: 030/208987260
www.dbfk.de
11.4. Hamburg:
Seminar "Einführung ins Online-Fundraising"
der Paritätischen Akademie Nord
Tel.: 040/41520166
www.paritaet-hamburg.de
12.-13.4. Fulda:
Fachtagung "Trauma Flucht. Erziehungsberatung im Netzwerk der Hilfen"
der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung
Tel.: 0911/977140
wwwbke.de
13.4. Frankfurt am Main:
Fachtagung "Integration von minderjährigen unbegleiteten Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe"
des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik
Tel.: 069/95789-153
www.iss-ffm.de
14.4. Mülheim a.d.R.:
Sozialethisches Kolloquium "Eiegntum verpflichtet!"
der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg"
Tel.: 0208/99919981
www.die-wolfsburg.de/tagungen/16068
14.4. Münster:
Seminar "Kirchliche Stiftungen, rechtliche Grundlagen, Rechnungslegung, Stiftungsaufsicht"
der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Tel.: 0251/48204-12
www.bgp-muenster.de
14.-15.4. Berlin:
Fachtagung "Flüchtlingsfamilien im Schatten der Hilfe? Geflüchtete Minderjährige und ihre Familien in Deutschland"
des Deutschen Instituts für Urbanistik
Tel.:030/39001139
www.fachtagung-jugendhilfe.de
14.-16.4. Kassel:
Christlicher Gesundheitskongress "Zeichen setzen - heilen und begleiten in Gesundheitswesen und Gemeinde"
Tel.: 04104/9170934
www.christlicher-gesundheitskongress.de
15.4. Berlin:
Fortbildung "Rechtliche Aspekte der Pflegedokumentation"
des DBfK Nordost
Tel.: 030/208987260
19.4. Berlin:
Fortbildung "Transkulturalität in der Pflege- Kompetenzerwerb oder Bedienungsanleitung für Menschen aus anderen Kulturen"
des DBfK Nordost
Tel.: 030/208987260
20.-21.4. Frankfurt a.M.:
Messe und Kongress "Zukunft Lebensräume"
der Messe Frankfurt Exhibition GmbH
Tel.: 069/75750
www.zukunft-lebensraeume.de
21.4. Münster:
Seminar "Haftungsrisiken des GmbH-Geschäftsführers in der Krise"
der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Tel.: 0251/48204-12
www.bpg-muenster.de
26.4. Kassel:
Fachtag "Die Pflegestärkungsgesetze - Ambulant und stationär, statt ambulant vor stationär!"
der diakonischen Fachverbände DEVAP und VdDD
Fax: 030/83001-25277
www.devap.info
27.4. Berlin:
Strategieworkshop Krankenhaus "Stark aufgestellt für die Zukunft"
der Evangelischen Bank eG
Tel.: 0431/6632-1321
www.eb.de
28.-29.4. Eichstätt:
Fachtagung "Ökonomie und Management der Sozialimmobilie"
der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Tel.: 08421/9321673
www.ku.de/swf/ncs
Mai
17.-20.5. Hamburg:
Suchttherapietage "Diagnose - Hilfe oder Etikett?"
des Zentrums für Interdisziplinierte Suchtforschung
Tel.: 040/741054203
www.suchttherapietage.de