Ausgabe 11/2016 - 18.03.2016
Freiburg (epd). Als Nora Lennartz in Swasiland war, sah sie dort fast nur Kinder: auf den Straßen, in den Häusern, auf den Feldern. Die Erwachsenen waren ausgestorben - buchstäblich: Aids hatte den Staat im südlichen Afrika da schon zu einem Land der Kinder gemacht. 2011 war das, also rund 15 Jahre nach Einführung der Kombinationstherapie, die einen HIV-positiven Menschen retten kann. Man muss die Medikamente nur bezahlen können - und das konnten die Menschen in Swasiland nicht. "Da war mir klar: Ich werde nicht Medizin studieren und dann so tun, als ob es all das nicht gäbe", sagt sie.
So kam Lennartz, die in Freiburg studiert, zu UAEM. Die Abkürzung steht für "Universities Allied for Essential Medicines", also etwa: Hochschulen setzen sich gemeinsam für wichtige Medikamente ein. Was so kompliziert daherkommt, steht eigentlich für etwas ganz Simples: Kein Medikament darf so teuer sein, dass ein Mensch es sich nicht leisten kann. Die Realität sieht oft anders aus - und damit sich das ändert, setzt UAEM sich dafür ein, dass der Preis eines Medikamentes nicht allein durch ein Pharmaunternehmen festgelegt werden kann, sondern dass Forscher dabei mitreden dürfen. UAEM versteht sich als kleinen Bruder des globalisierungskritischen Netzwerks Attac.
Um die in UAEM zusammengeschlossenen Mediziner zu verstehen, muss man wissen, dass viele Medikamente zwar von Pharmaunternehmen entwickelt werden - die aber ihrerseits auf Grundlagenforschung der Universitäten zurückgreifen. Normalerweise zahlt eine Firma an die Uni eine einmalige Lizenzgebühr und kann dann das Medikament zu einem Preis verkaufen, den sie selber festlegt. Dass das nicht so sein muss, glauben junge Menschen seit dem Jahr 2001, als an der US-Eliteuniversität Yale die erste UAEM-Gruppe gegründet wurde. Dort hatten Forscher viele Jahre zuvor Grundlagenarbeit geleistet, auf deren Basis der Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb ein HIV-Medikament entwickeln konnte - und nun teuer verkaufte. Die Gruppe setzte sich dafür ein, auch Generika-Herstellern die Nutzung der Lizenz zu gestatten - und setzte sich durch.
Wie viele Studenten sich heute in UEAM-Gruppen engagieren, lässt sich kaum sagen, weil es keine Dachstruktur gibt. Es existieren aber sogenannte Chapter an allen großen amerikanischen Universitäten. Auch in europäischen Staaten haben sich solche Gruppen gegründet - allein acht in Deutschland. Meist erfährt man wenig von ihnen, weil sie eher selten mit Transparenten auf der Straße stehen.
Stattdessen wirken sie nach innen. So konnte etwa die Freiburger Gruppe erreichen, dass die Universität neue Leitlinien für die Patentvergabe beschloss: Der Zugang zu Medikamenten soll diesen zufolge "für alle Menschen gefördert" werden. Ähnliche Richtlinien haben mittlerweile auch die Universitäten in Münster und Tübingen eingeführt. "Universitäre Forschung ist nach Auffassung von UAEM dem Allgemeinwohl verpflichtet und sollte nicht einem rein wirtschaftspolitischen Kalkül unterworfen sein", schreiben Maximilian Brauner und Lukas Fendel, Koordinatoren von UAEM Europe, in einem Beitrag im "Deutschen Ärzteblatt".
Die Pharmabranche reagiert relativ unaufgeregt - vielleicht auch, weil Gewinnmargen von 20 Prozent nicht in vielen anderen Industriezweigen erreicht werden. Der Pharmakonzern Roche antwortete auf die Frage nach Mitbestimmungsrechten für Hochschulen eher ausweichend: "Um mehr bedürftige Patienten zu erreichen, arbeiten wir beispielsweise an einer Verbesserung der Finanzierbarkeit, an der Erhöhung der Verfügbarkeit innovativer Produkte, an einer Stärkung der Infrastruktur und der gesundheitlichen Aufklärung."
Druck erhält die Branche von der EU-Kommission, die bei der Welthandelsorganisation WTO Ausnahmeregeln für Medizinpatente durchsetzen möchte: "Bestimmungen über die Rechte des geistigen Eigentums sollten kein Thema sein, wenn es um medizinische Hilfe für die Ärmsten der Welt geht", sagte Handelskommissarin Cecilia Malmström unlängst.