Kirchen

Mit Kampfschmuser und Bollerwagen


Pastorin Sabine Ulrich
epd-bild/Dieter Sell
Nicht warten, bis jemand kommt, sondern hingehen, wo die Menschen sind: So funktioniert eine neue missionarische Bewegung, die in Deutschland stetig wächst. Unter dem Stichwort "Fresh X" will sie frischen Wind in die kirchliche Arbeit bringen.

Schepsi ist ein echter Kampfschmuser. Wenn Pastorin Sabine Ulrich (42) mit ihrem kleinen Jack-Russell-Terrier im Stader Neubauviertel Riensförde bei Hamburg unterwegs ist, fliegen dem Hund gleich alle Herzen zu. Und die beiden sind in ihrem Quartier viel auf der Straße unterwegs. Denn ein Kirchengebäude gibt es in Riensförde nicht. Deshalb probiert Sabine Ulrich im Stadtteil "Fresh X" aus, "Fresh Expressions of Church" - neue Ausdrucksformen von Kirche. Und Missionshund Schepsi, wie die Pastorin ihren Vierbeiner selbst nennt, ist meistens dabei.

Mal geht es mit Kaffee, Kuchen und Saft im Bollerwagen auf den Spielplatz, mal in den Kirchenladen vis-à-vis vom Supermarkt. Auch im benachbarten Stadtteil Ottenbeck sind sie unterwegs, einem ehemaligen Kasernengelände, ebenfalls ohne Kirchturm. Dafür gibt es dort die "Caffeetante", ein Café, das für viele Nachbarn als beliebter Treffpunkt längst zum Wohnzimmer im Quartier avanciert ist. Dort sitzt Pastorin Ulrich regelmäßig, auf ihrem Tisch ein Schild mit der Einladung zu einem "guten Gespräch über Gott und die Welt". Oder sie organisiert im umgebauten Trafohaus der ehemaligen Kaserne Begegnungen.

Ökumenische Bewegung

Ungewöhnliche Aktionen an ungewöhnlichen Orten: Das ist das Konzept von "Fresh X", einer ökumenischen Bewegung, die aus England nach Deutschland gekommen ist, um Gemeinden neu aufzubauen. "Christus hat es uns vorgemacht: Wir sollen das Evangelium dort leben, wo die Menschen sind - im Vereinsheim, in der Kneipe oder im Shopping Center", sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, einmal über "Fresh X": "Gefragt sind frische Formen von Kirche und Pioniere, die neue Formen erproben und Ungewöhnliches wagen."

Pastorin Ulrich gehört mit ihrer Arbeit im Auftrag der evangelischen hannoverschen Landeskirche zweifellos zu diesen Pionierinnen und Pionieren. Andere organisieren beispielsweise Jugendarbeit in der süddeutschen Kletterkirche Metzingen, Gottesdienste im Oldenburger Tattoo-Studio oder Angebote für Kinder im sozialen Brennpunkt bei den Kasseler "Jumpers". Zu den schätzungsweise 200 "Fresh X"-Initiativen in Deutschland gehören ganz unterschiedliche Angebote.

Sie seien weder Anhang noch Brücke ins Bestehende, sondern eigenständige Formen von Gemeinden, erläutert Michael Herbst, Theologieprofessor und Direktor des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung in Greifswald, und betont: "für sehr unterschiedliche Zielgruppen." So ist es auch bei Pastorin Ulrich, die mit ihrem Stader Projekt "Raumzeit" mal Kinder, mal ganze Familien und dann auch Senioren anspricht.

Sie initiiert Kochtreffs, Spielzeiten und Bastelaktionen. Sie bietet Räume an, Gesprächsräume: "Unterwegs sein, nach den Bedürfnissen der Nachbarn im Quartier fragen, mit Menschen reden, das ist mir wichtig", sagt die Pastorin, die hin und wieder einfach Tische auf die Wiese in Riensförde stellt und zur "Brotzeit" einlädt: gemeinsames Abendbrot verbunden mit entspanntem Klönschnack. "Da entsteht Nachbarschaft", ist Ulrich überzeugt.

Nicht bedrängen oder bekehren

So unterschiedlich die Projekte sind, so gleichen sie sich doch im Kern in vier Punkten. "Sie wenden sich an Menschen, die nicht oder kaum in die Kirche kommen, richten sich an ihren Bedürfnissen aus, wollen lebensverändernd und gemeinschaftsbildend wirken", erläutert Birgit Dierks, Geschäftsführerin des deutschen "Fresh X"-Netzwerkes mit Sitz in Berlin. Insgesamt lässt sich sagen: Der missionarische Impuls ist Teil der gemeinsamen DNA. "Sie bewegen sich auf Menschen zu, die noch nicht glauben", formuliert es der Greifswalder Professor Herbst.

Sie wolle dabei niemanden bedrängen oder bekehren, betont Ulrich. Stattdessen teilt sie ihr Leben mit den Menschen in Riensförde, wohnt dort in einem Reihenhaus, will unvoreingenommen auf Menschen zugehen und so zeigen, wie sie ihren Glauben lebt: offen und zugewandt. Für Pastor Barry Sloan, "Fresh X"-Aktivist der methodistischen Kirche, sind das wichtige Voraussetzungen für einen nächsten Schritt: "Wenn dann Fragen aufkommen, kann man aufrichtig von seinem Glauben erzählen, ohne dass es im schlechten Sinne missionarisch wirkt."

In Deutschland beteiligen sich landeskirchliche, freikirchliche und katholische Initiativen am "Fresh X"-Netzwerk. Das Stader Modellprojekt begann 2017 und ist zunächst bis 2021 befristet. Die verbleibende Zeit will Ulrich weiter nutzen, um "hinzugehen, da zu sein und zu hören, was anliegt". Natürlich mit Schepsi. Und mit ihrem Bollerwagen, ergänzt sie, "mit Kaffee im Gepäck und der Hoffnung, dass es nicht regnet."

Von Dieter Sell (epd)


Rheinischer Präses: Macht und Gewalt führt zu Verwüstung

Wenn Militär zum Einsatz kommt und Macht sowie Gewalt regieren, folgt nach den Worten des rheinischen Präses Manfred Rekowski eine spürbare Spur der Verwüstung. "Körperliche und strukturelle Gewalt, Terror und Zerstörung haben viele Menschen in Ihrem Land erlebt", sagte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland am 25. August laut Predigttext im syrischen Damaskus. "In Deutschland haben wir im Fernsehen regelmäßig Bilder der Zerstörung und des Todes aus Ihrem Land gesehen."

Es gelte, auf Gott zu vertrauen, sagte der Theologe. Die Hoffnung auf Vergebung der Schuld werde heilend wirken. Dann würden auch Diktatoren abtreten, Terroristen arbeitslos und Soldaten zu Friedensstiftern werden.

Es gehe aber auch um die grundsätzliche Frage, was die Geschehnisse in der Welt bestimme, unterstrich Rekowski. Die Macht des Geldes, die Börsen sowie Finanzmärkte, internationale Konzerne und das Streben nach Gewinnmaximierung sowie Wachstum um jeden Preis bestimmten die Welt. Wohlstandsverlierer in Deutschland und Menschen in anderen Teilen der Erde zahlten dafür einen hohen Preis.

Menschen werden zu Anwälten der Gerechtigkeit

Wenn Gott wirke, werde die Kirche eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern über Konfessions- und Landesgrenzen sowie über ethnische Unterschiede hinweg. "Wenn er wirkt, werden wir lernen, das Geld und die Erfahrungen zu teilen", betonte Rekowski, der auch Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Die Menschen würden dann zu einer weltweiten Hoffnungsgemeinschaft sowie zu Anwälten der Gerechtigkeit.

Präses Rekowski und Vizepräsident Johann Weusmann besuchen zurzeit mit einer Delegation den Libanon und Syrien. Während ihrer Reise sind sie Gäste der National Evangelical Synod of Syria and Lebanon. Die Gruppe aus der Evangelischen Kirche im Rheinland informiert sich unter anderem über die Lage syrischer Flüchtlinge im Libanon und der Menschen in Syrien, wo noch immer gekämpft wird.



Gemeinsamer Friedensgottesdienst in Lippe und Polen

Zum 80. Jahrestag des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf Polen feiert die Lippische Landeskirche gemeinsam mit der Reformierten Kirche in Polen einen Friedensgottesdienst. Der Gottesdienst, der zeitgleich am 1. September im lippischen Kalletal und im polnischen Lodz stattfindet, wird mit einer Liveschaltung verbunden, wie die Lippische Landeskirche am Freitag in Detmold mitteilte. Die Predigt wird im Dialog gehalten werden: In Talle predigt der Ökumenebeauftragte der polnischen Reformierten, Pfarrer Semko Koroza, und im polnischen Lodz der Friedensbeauftragte der Lippischen Landeskirche, Christian Brehme.

Im Gottesdienst werde es auch um die gemeinsame Verantwortung für den Frieden gehen, erklärte der Theologe Dieter Bökemeier, Pfarrer für Ökumene und Mission der Lippischen Landeskirche. "Wir sind dankbar für die Versöhnung, die wir nach den schrecklichen deutschen Verbrechen in Polen mit unseren Partnern erfahren durften." Die Lippische Landeskirche hat seit 1997 einen Partnerschaftsvertrag mit der Reformierten Kirche in Polen. Kontakte und Versöhnungsarbeit gibt es bereits seit den 70er Jahren.

Präses Kurschus in Warschau

Am 31. August gedenken zudem in Warschau polnische und deutsche Christen in einem ökumenischen Gottesdienst des Beginns des Zweiten Weltkrieges. Die Predigt halten die stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende, die westfälische Präses Annette Kurschus, und der Präsident des Polnischen Ökumenischen Rates, Bischof Jerzy Samiec. In dem ökumenischen Gottesdienst der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des Ökumenischen Rates sollen auch Zeitzeugen zu Wort kommen. Außerdem werden der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, Erzpriester Radu Constantin Miron, ein Vertreter der Polnischen Bischofskonferenz, ein Vertreter des polnischen Staates sowie der deutsche Botschafter in Warschau erwartet. Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 gilt als Beginn des Zweiten Weltkriegs.

epd-West spi



Kirche auf der Gamescom: "Nah an den Jugendlichen sein"


Jugendliche Besucher auf Gamescom 2010 in Köln
epd-bild / Guido Schiefer
Die Evangelische Jugend ist mit drei Hauptamtlichen und 300 Ehrenamtlichen auf der Videospiel-Messe in Köln. Sie wollen mit jungen Menschen in Kontakt treten, die sonst nicht in die Kirche gehen.

Die evangelische Kirche in Köln will auf der Spielemesse Gamescom nach Worten des Jugendreferenten Daniel Drewes Kontakt zu jungen Menschen suchen, die nicht in die Kirche gehen. "Wir können Jugendliche ansprechen, die wir sonst nicht mit unserem kirchlichen Angebot erreichen", sagte der Jugendbildungsreferent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region dem Evangelischen Pressedienst (epd) zum Auftakt der Messe in Köln. Bis zum 24. August wurden auf der weltweit größten Messe für interaktive Unterhaltung 1.150 Aussteller und mehrere Hunderttausend Besucher erwartet.

"Wir als Kirche wollen dort sein, wo Jugendliche sind", sagte Drewes. Dazu zähle auch das Treffen der weltweiten Gamesszene. "Wir wollen zeigen, dass Kirche nah an den Jugendlichen ist." Die evangelische Jugend ist mit einem Stand von insgesamt 520 Quadratmetern auf der Messe vertreten und bietet dort Spiele an. "So einen großen Stand haben sonst die großen Videospiel-Hersteller", sagte Drewes.

Mit Klischees brechen

Die Evangelische Jugend wolle auch mit Klischees brechen: Kirche sei mehr als die Bibel zu reflektieren, sagte der 34-Jährige. Bereits zum sechsten Mal ist der Jugendverband daher auf der Gamescom vertreten. Drei Hauptamtliche und 300 ehrenamtliche junge Menschen der Evangelischen Jugend betreuen verschiedene sportliche Spiele, mit denen sich die Messebesucher auspowern können: darunter einen Menschenkicker, der mit echten Menschen statt Figuren bespielt wird und einen fünf Meter hohen, aufblasbaren Kletterberg.

Am Stand der Evangelischen Jugend sind junge Ehrenamtliche im Einsatz, erklären Gleichaltrigen die Spiele und helfen bei Fragen. "Uns ist auch wichtig, dass ihnen bewusst ist, dass sie die evangelische Kirche repräsentieren", betonte Drewes. Darauf würden die Mitarbeiter immer wieder angesprochen - in allen möglichen Sprachen: "Was soll Kirche hier?", wollten viele Besucher wissen. Nah dran sein an den jungen Menschen sei dann die Antwort. Nach ihrer Schicht können die Ehrenamtlichen auf eigene Faust die Messe erkunden.

Bei der Gamescom gehe es neben den Videospielen auch um Jugendkultur, erläuterte Drewes: Cosplay - Fans verkleiden sich entsprechend nach Comics, Filmen oder Videospielen -, Bewegungsspiele und Trends wie Virtual Reality (VR). Er rate daher Mitarbeitenden in der Jugendarbeit, ebenfalls zur Messe zu kommen und sich über die aktuellen Entwicklungen zu informieren.

epd-Gespräch: Jana Hofmann


EKD-Kulturbeauftragter Claussen rät zu gelassenem Umgang mit der AfD

Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, hat sich für einen gelassenen Umgang mit der AfD ausgesprochen. Es sei zwar offenkundig, dass die AfD die evangelische Kirche diffamieren wolle. Aber er glaube nicht, dass viele wertkonservative Christen auf diese Flötentöne hereinfallen. "Daher plädiere ich für einen gelassenen Umgang", sagte Claussen der Zeitschrift "Publik-Forum" (Ausgabe 23. August).

Es gebe nur noch eine sehr kleine Gruppe von Christen in der AfD, sagte Claussen. "Viele wertkonservative und wirtschaftsliberale Christen haben diese Partei inzwischen verlassen, weil der völkisch-nationalistische und christentumsfeindliche Flügel dominiert." Mehrere AfD-Landesverbände hatten Mitte Juni ein Positionspapier "Unheilige Allianz" veröffentlicht. Bei der Vorstellung hatte der AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag, Björn Höcke, der EKD vorgeworfen, "sich mit dem Zeitgeist ins Bett" zu legen. Das Papier kritisiert unter anderem die Position der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Geschlechtergerechtigkeit, in der Flüchtlingspolitik, beim Einsatz für den Klimaschutz - und zur AfD selbst.

Inhaltlich bündele das Papier nur die Kirchenkritik aus der "Empörungspublizistik", sagte Claussen. Das sei eine typische Strategie der AfD: "Einerseits ist man hoch aggressiv, andererseits besetzt man die Opferrolle und gibt den unschuldig Verfolgten. Das macht ein Gespräch außerordentlich schwierig", sagte er. Kirchenkritik sei zwar immer notwendig. "Doch die Art, wie die AfD polemisch zuspitzt und zu einer Totalabwertung der evangelischen Kirche aufruft, ist einfach unseriös."



Erste Landeskirche gibt Geld für Seenotrettungsschiff

Als erste evangelische Landeskirche unterstützt die Evangelisch-reformierte Kirche die kirchliche Initiative für ein Seenotrettungsschiff im Mittelmeer. "Wir stellen für die Anschaffung oder Entsendung 15.000 Euro bereit", kündigte Kirchenpräsident Martin Heimbucher am 23. August in Leer an. "Solange es keine staatliche, von der Europäischen Union getragene Seenotrettung im Mittelmeer gibt, sind zivile Initiativen notwendig."

Auf dem Kirchentag im Juni war die Idee entstanden, ein eigenes Schiff für die Rettung in Seenot geratener Flüchtlinge im Mittelmeer zu entsenden. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte Ende Juni auf ihrer Ratssitzung angekündigt, ein gesellschaftliches Bündnis zur Unterstützung eines Rettungsschiffs gründen zu wollen. Auf der nächsten Ratssitzung Anfang September soll über den Plan beraten werden.



Australischer Kardinal Pell muss weiter in Haft bleiben


George Pell (Archivbild)
epd-bild/Romano Siciliani

Das Oberste Gericht im australischen Bundesstaat Victoria hat den Berufungsantrag des wegen Missbrauchs Minderjähriger verurteilten Kardinals George Pell abgelehnt. Er werde gegen die Entscheidung vor den Obersten Gerichtshof Australiens ziehen, teilte eine Sprecherin der Erzdiözese Sydney am 21. August mit. Der 78-Jährige sei "enttäuscht" über die Entscheidung. Pell bekräftige weiterhin seine Unschuld, hieß es in der Erklärung. Einer der drei Richter soll laut Mitteilung für die Eröffnung eines Berufungsverfahrens gestimmt haben.

Pell war im Dezember von einem Geschworenengericht wegen Missbrauchs zweier Jungen schuldig gesprochen und zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Seit Februar sitzt er in Haft. Der ehemalige "Finanzminister" des Vatikans hatte die Vorwürfe stets bestritten. Der Missbrauch an zwei Chorknaben im Alter von zwölf und 13 Jahren soll sich in Pells Zeit als Erzbischof von Melbourne Ende der 1990er Jahre ereignet haben.

Vatikansprecher Matteo Bruni erinnerte am Mittwoch daran, dass Pell stets beteuert habe, die ihm zur Last gelegten Taten nicht begangen zu haben. Gleichzeitig bekräftigte Bruni die Solidarität des Vatikans mit Missbrauchsopfern.

Demut

Die australische Kirche reagierte gespalten auf das Urteil. Der Erzbischof von Melbourne, Peter Comensoli, forderte dazu auf, das Urteil zu akzeptieren. "Meine Gedanken und Gebete sind bei dem Mann, der die Angelegenheit vor Gericht gebracht hat." Er erkenne voll Demut an, dass dies eine schwierige Zeit für ihn gewesen sein müsse.

Der Erzbischof von Sydney, Anthony Fisher, betonte dagegen, dass das Urteil für viele nur schwer zu akzeptieren sein werde, vor allem für diejenigen, die Pell persönlich kennen. In dem langwierigen Verfahren seien "vernünftige Leute" angesichts der Beweislage zu unterschiedlichen Auffassungen gelangt. Über Pells künftigen Status in der Kirche könne allein der Vatikan entscheiden.

Die Verteidigung äußerte im Berufungsverfahren erneut Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Opfers und Zeugen, auf dessen Aussage die Verurteilung im Wesentlichen beruht. Zudem beruft sie sich auf Verfahrensfehler in der ersten Instanz. Der Verteidiger hatte das einzige der beiden noch lebenden Opfer als "Lügner" bezeichnet.



Kirchengemeinde und Rot-Weiss Essen weihen Fan-Friedhof ein


Eigener Friedhof für Rot-Weiss-Essen-Fans eingeweiht.
epd-bild/Udo Gottschalk
Sportlich spielt Rot-Weiss Essen derzeit nur in der Regionalliga. Für die Fans des Traditionsvereins gibt es jetzt aber ein Angebot, wie es auch die Bundesligisten Schalke 04 und der HSV haben: einen eigenen Fan-Friedhof.

Ungewöhnliche Klänge sind am Morgen des 21. August auf dem evangelischen Matthäusfriedhof in Essen-Borbeck zu hören. "100 Jahre und noch mehr sollst Du leben, RWE", schallt die Reibeisenstimme von Thomas "Sandy" Sandgathe aus dem Lautsprecher. Der Musiker und bekannte Rot-Weiss-Essen-Fan singt zur Eröffnung des RWE-Fan-Friedhofs. Anhänger des Viertligisten können sich künftig auf zwei Grabfeldern direkt neben der Grabstätte des Vereinsgründers Georg Melches (1893-1963) bestatten lassen.

Fan-Friedhöfe gibt es auch bei Schalke 04 und beim HSV. Doch während dort GmbHs für die Fan-Grabfelder auf städtischen Friedhöfen zuständig sind, ist der "RWE-Fan-Friedhof" in Kooperation zwischen einer Kirchengemeinde und dem Fußballverein entstanden. "Gemeinde und Kirche sind da und müssen da sein, wo die Menschen sind und wo ihr Herz schlägt", sagt Pfarrer Christoph Ecker von der evangelischen Kirchengemeinde Essen-Borbeck-Vogelheim. "Und das Herz von RWE-Fans hängt an Rot-Weiss Essen."

"Stätte des Trostes"

RWE bedeute für viele Fans nicht nur Fußball, sondern auch Gemeinschaft und Solidarität, unterstreicht der Theologe. Der Fan-Friedhof verbinde sie auch über den Tod hinaus mit ihrem Verein. Er hoffe, dass dieser Bereich des evangelischen Friedhofes zu einer "Stätte des Trostes, der Kraft und der Gemeinschaft" werde, sagt Ecker. Von

Die Grabfelder bieten zunächst Platz für 60 Urnen und 20 Sargbestattungen, wie Daniel Stender von der Friedhofsverwaltung des Evangelischen Verwaltungsamtes Essen erläutert. Bei großer Nachfrage gebe es auch noch Erweiterungsflächen.

Für die Gestaltung der Fan-Gräber gibt es feste Vorgaben. So ist für jede Grabstätte ein kreisrunder weißer Pultstein mit rotem Zierband vorgesehen, der in roten Buchstaben und Zahlen Namen, Geburts- und Sterbedaten des Bestatteten trägt. Pflanzen mit roten und weißen Farben sollen zusätzlich die Nähe zum Verein unterstreichen. Die Pflege der Gräber übernimmt die Kirchengemeinde.

Pilgerstätte für die Fans

Teil des neuen Fan-Friedhofs ist auch eine Sitzgruppe zwischen den beiden Grabfeldern aus fünf Original-Sitzschalen der alten Haupttribüne des 2012 abgerissenen und durch einen Neubau ersetzten Georg-Melches-Stadions. Daneben fungiert eine ehemalige Flutlichtlampe als Tisch. Eine Hinweistafel informiert über die Grabstelle der Familie von Georg Melches und die Verdienste des Vereinsgründers.

Das Grab von Georg Melches sei schon immer eine "Pilgerstätte" für die Fans auf dem Weg zu einem Heimspiel im nahe gelegenen Stadion an der Hafenstraße gewesen, sagt RWE-Archivar Georg Schrepper. Der Überlieferung zufolge spielte ein Fußball, den Georg und sein Bruder Hermann 1906 von ihrem Vater zu Weihnachten geschenkt bekamen, eine entscheidende Rolle auf dem Weg zur Gründung des Vereins 1907.

Erinnerungsstätte sichern

Da der Vereinsgründer keine Nachkommen hatte, übernahm nach Schreppers Worten nach Ablauf der Belegungszeit zunächst ein Förderverein für etliche Jahre die Kosten für die Pflege der Familiengruft. Jetzt sollen die Einnahmen aus dem Fan-Friedhof dazu beitragen, das Melches-Grab langfristig als Erinnerungsstätte zu sichern.

1.090 Euro kostet eine Urnengrabstätte auf dem Gemeinschaftsgrabfeld "Georg Melches" für 20 Jahre, 2.136 Euro der Platz für eine Sargbestattung auf dem Gemeinschaftsfeld "1907" für 25 Jahre, jeweils inklusive Stein und Pflegegebühr. Sechs Reservierungen hat Daniel Stender von der Friedhofsverwaltung bereits entgegen genommen, eine davon vom RWE-Barden Sandy Sandgathe.

Von Esther Soth (epd)


Der Unbequeme


Lothar König (2013)
epd-bild / Matthias Rietschel
Wenn es um Neonazis geht, kennt Lothar König keine Kompromisse. Nach einer Demo in Dresden 2011 wird der Pfarrer angeklagt. Der Vorwurf: Aufruf zur Gewalt, schwerer Landfriedensbruch. Der Prozess macht ihn bekannt. Jetzt geht er in Rente.

Seit März ist Lothar König 65. Mit einem Gottesdienst in Jenas zentraler Kirche St. Michael ist er am 25. August vom Dienst entpflichtet worden. Nicht wenige Menschen in der Politik, bei der Polizei und auch in der Amtskirche sehnen diesen Ruhestand herbei. Mit seinen kompromisslosen Auftreten für seine Junge Gemeinde, mit seinem Kleinbus, der fast auf jeder Demo gegen alte und neue Nazis auftaucht, seine ganze Art bis hin zur unvermeidlichen Fluppe - Lothar König nervt. Seit mehr als drei Jahrzehnten gilt für ihn: irgendwas ist immer.

"Diplomatisch ausgedrückt: er ist unbequem", sagt Christhard Wagner und lächelt. Früher war er Landesjugendpfarrer und lange Jahre Königs Vorgesetzter.

Wenn einer für Menschen da ist, die Sorgen machen, weil sie Sorgen haben, geht das nicht anders, meint Wagner. Wenn einer mit den unangepassten Leuten geht, die in der normierten Gesellschaft nicht zurechtkommen, "der geht auch manchmal zu weit". Das gelte heute wie vor 40, 50 Jahren, als sich die Offene Arbeit als Angebot der Kirchen etablierte.

Einsatz für den Prager Frühling

Lothar König, Jahrgang 1954, wächst in einem Dorf im Südharz auf. Der Ärger mit der Obrigkeit beginnt in der Schule. Er setzt sich 1968 für Dubceks Prager Frühling ein und lernt Volkspolizei und Stasi kennen.

Er wird erst Zerspanungsfacharbeiter und 1977 Diakon. Später studiert er Theologie in Erfurt und Jena und stößt schnell zur Jungen Gemeinde Jena "Stadtmitte". In der Offenen Arbeit lernt er neue Formen der kirchlichen Jugendarbeit kennen: Lesekreise, Rockmusik und freie Gespräche, aber auch Aktionen gegen das repressive System.

Seit 1986 lebt er als Pfarrer in Merseburg. Im Schatten der Schornsteine der Chemiewerke von Buna und Leuna baut er eine Junge Gemeinde auf. Seine Stasiakte wird immer dicker. Dann kommt der Herbst 1989. Der Pfarrer organisiert die Montagsdemos in der Stadt mit.

1990 zieht König nach Jena. Dort wird die Junge Gemeinde mehr und mehr zum Ziel einer erstarkenden Neonazi-Szene, die schließlich der rechten Terrorgruppe NSU den Boden bereitet. Aus den Auseinandersetzungen trägt der Pfarrer eine Narbe über dem rechten Auge davon - von einem Schlagring. Seine Warnungen vor den Rechtsextremen finden wenig Gehör.

Bunter Haufen

Der Pfarrer kümmert sich um die linken und die christlichen, vor allem um die suchenden Jugendlichen. Mehr und mehr gerät er mit seinen Schützlingen in den Blick von Polizei. Es gibt Drogenrazzien und andere Schikanen, Gelder werden gestrichen. Vielen in der Stadt, die wirtschaftlicher Leuchtturm im Osten sein will, stinkt der bunte Haufen. Das alles steht der stämmige Mann mit dem Rauschebart anscheinend stoisch durch; die nackten Füße in den ewigen Sandalen fest auf dem Boden - und fester noch im Glauben.

Den braucht er auch. 2011 protestiert er mit seiner Jungen Gemeinde zusammen mit Tausenden gegen Neonazis in Dresden. In Sachsens Landeshauptstadt kracht es. Danach will die Justiz dem Gottesmann den Prozess machen. Er soll von seinem Kleinbus, dem "Lauti", zu Gewalt aufgerufen haben. Der Vorwurf: schwerer Landfriedensbruch.

Sächsische Polizisten durchsuchen sein Haus - ohne sich in Thüringen anzumelden. Zeugenaussagen stellen sich als falsch heraus, von der Anklage präsentierte Tonbandmitschriften entpuppen sich als wahrheitsfern.

Der Prozess macht Lothar König populär. Seine Kirche steht hinter ihm. Eine breite Öffentlichkeit solidarisiert sich mit ihm, die Zeitungsseiten sind voll mit seiner Geschichte.

Kampf gegen AfD

Der erste Prozess platzt, ein zweiter endet 2013 mit der Einstellung des Verfahrens. Allerdings muss König 3.000 Euro zahlen. Es ist sein Beitrag zum Rechtsfrieden, begründet er den Vergleich. Er verspricht, ich bleibe Aufrührer mit Sinn und Verstand gegen Unrecht in diesem Land.

Nun sind es nicht nur die Nazis, gegen die er aktiv vorgeht. Auch die AfD bekämpft er seit ihrem Erstarken. Die Auseinandersetzungen bleiben nicht folgenlos. Mal beschlagnahmen Polizisten bei ihm Datenträger, mal nehmen sie ihm den Führerschein weg, weil er einen Beamten angefahren haben soll. Es bleibt dabei: irgendetwas ist immer.

Der "andere" Lothar König kommt Anfang Juli wieder zum Vorschein. Mit seiner letzten Werkstatt der Offenen Arbeit. Es steht ein Umbruch bevor. Auch für Lothar König, den Ruheständler.

Von Dirk Löhr (epd)


Kirchenvertreter: CDU soll Kriminalisierung von Kirchenasyl stoppen

Vertreter der evangelischen Kirche haben die rheinland-pfälzische CDU aufgefordert, die Kriminalisierung des Kirchenasyls zu stoppen. Mit der Strafverfolgung von Pfarrern, deren Gemeinden Flüchtlinge ins Kirchenasyl aufgenommen hatten, sei für "viele eine rote Linie überschritten worden", sagte der Frankfurter Pfarrer Ulrich Schaffert am 21. August bei der Übergabe einer Petition an den CDU-Landesverband. Anlass für das von mehr als 2.000 Personen unterzeichnete Schreibens waren die inzwischen eingestellten Ermittlungsverfahren gegen fünf Pfarrer aus dem Hunsrück, in deren Zuge auch Wohnhäuser und Pfarrbüros durchsucht worden waren.

Die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach war tätig geworden, nachdem der Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises, Marlon Bröhr (CDU), Strafanzeige erstattet hatte. Der designierte Generalsekretär der Landes-CDU, Gerd Schreiner, erklärte bei der Entgegennahme der Unterschriftenliste, das Kirchenasyl werde auch von seiner Partei in begründeten Ausnahmefällen respektiert. Nicht ohne Grund hätten sich Staat und Kirche auf Regeln für den Umgang mit Asylbewerbern im Kirchenasyl geeinigt: "Wir alle haben Interesse an rechtsstaatlichen Verfahren."

In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Kritik am Vorgehen der Behörden gegen Kirchenasyle in Rheinland-Pfalz gegeben. Die Evangelische Kirche im Rheinland hatte im Februar die Durchsuchungen in vier Gemeinden im Hunsrück scharf kritisiert. Seit 2017 war es bereits mehrfach zu Polizeieinsätzen gegen Kirchenasyle und zu Strafverfahren gekommen. Bereits vor dem aufsehenerregenden Konflikt im Hunsrück war eine Flüchtlingsfamilie in Ludwigshafen aus dem Kirchenasyl heraus festgenommen und abgeschoben worden. Auch gegen den Vertreter der evangelischen Kirche in der rheinland-pfälzischen Härtefallkommission läuft zurzeit ein Ermittlungsverfahren.



Umfrage zu "Pfarreien der Zukunft" im Bistum Trier vorgestellt

Insgesamt 1.794 Stellungnahmen von Pfarrgemeinde-, Pfarreien-, Verwaltungs-, Kirchengemeinde- und Dekanatsräte sowie von Pfarrern und Dechanten sind zur geplanten Trierer Bistumsreform eingegangen. Die Beteiligung mit einer Quote von rund 95 Prozent übertreffe seine Erwartungen, sagte Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg. Das Bistum plant zum Januar 2020 mit der Schrumpfung der rund 900 Pfarreien auf 35 "Pfarreien der Zukunft" zu starten. Unter den Befragten bewerteten 32 Prozent die Umsetzung positiv, 31 Prozent neutral und 37 Prozent negativ, wie es hieß.

Die Ablehnung sei vor allem unter den Pfarrern und Verwaltungsräten hoch, bei Pfarr- und Kirchgemeinderäten im Vergleich geringer. Kritikpunkte sind dem Bistum zufolge mögliche weite Wege in der Seelsorge oder der drohende Verlust von Identität. Fragen gebe es auch zur Arbeitsweise der Gremien oder dem Zusammenspiel der verschiedenen Organe. Auch äußerten die Befragten Unzufriedenheit mit dem Raumzuschnitt oder der geplanten Vermögensverwaltung, wie es hieß. Zudem bestehe Angst vor Überforderung von Ehrenamtlichen oder vor einer Distanz zwischen Leitungsteam und Pfarrei.

Der Generalvikar betonte, dass es sich bei der Anhörung nicht nur um einen formalen Akt gehandelt habe. Es gebe Themen wo Veränderung nötig sei, bei anderen müsse die Kommunikation verbessert werden. Aufgrund der Kritik am bisher geplanten Einkammersystem für den Rat der Pfarrei ist dem Bistum zufolge nun ein Zweikammersystem mit Pastoral- und Vermögenskammer geplant. Der Vorsitz der Pastoralkammer sei für einen Laien, der für die Vermögenskammer beim Pfarrer im Leitungsteam vorgesehen. Den Ratsvorsitz solle der Vorsitzende der Pastoralkammer führen.



Missio Aachen erhöht Hilfen für verfolgte Christen

Das katholische Hilfswerk Missio Aachen hat im vergangenen Jahr 1.192 Projekte in 96 Ländern mit 46,5 Millionen Euro unterstützt. Das waren knapp 300.000 Euro mehr als 2017, wie Missio-Vizepräsident Gregor von Fürstenberg bei der Vorstellung des Jahresberichtes am 22. August in Aachen mitteilte. Vor allem die Hilfe für bedrängte und verfolgte Christen in Ländern, in denen die Religionsfreiheit besonders stark eingeschränkt sei, sei deutlich gesteigert worden.

Projektpartner in China, Indien, Syrien, Nigeria, Ägypten, im Iran und im Irak seien mit 6,6 Millionen Euro unterstützt worden, das seien 825.000 Euro mehr als im Vorjahr, hieß es. "Wir können nicht nur das Schicksal verfolgter Christen beklagen, sondern müssen die Kirchen vor Ort langfristig im Alltag unterstützen", sagte von Fürstenberg.

Das katholische Hilfswerk fördert kirchliche Projekte in Afrika, Asien und Ozeanien, deren Arbeit Menschen in Not zugutekommt. "Unsere Partner arbeiten in Regionen, in denen die Menschen verstärkt Gewalt, sozialer Ungerechtigkeit und den Folgen des Klimawandels ausgesetzt sind", erläuterte von Fürstenberg. "Für sie sind unsere kirchlichen Partner oft die einzige Hoffnung."



Zwei Petitionen gegen Potsdamer Garnisonkirche gestartet

Zwei Bürgerinitiativen haben bundesweite Online-Petitionen gegen die Potsdamer Garnisonkirche gestartet. So fordert ein Bündnis aus Wissenschaftlern, Kulturschaffenden sowie politisch, kirchlich und zivilgesellschaftlich Engagierten in einem am 19. August veröffentlichten offenen Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und den Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (beide SPD) deutliche Veränderungen beim geplanten Wiederaufbau der Kirche.

Unter dem Motto "Bruch statt Kontinuität" dringen die über 100 Erstunterzeichner unter anderem auf den Abriss des bestehenden Glockenspiels, auf den Verzicht von Waffenschmuck sowie auf eine andere Trägerschaft. Notwendig sei "ein Lernort anstelle eines Identifikationsorts", heißt es in dem offenen Brief.

Zu den Erstunterzeichnern gehören den Angaben zufolge unter anderem der Antisemitismusforscher Micha Brumlik von der Goethe-Universität Frankfurt Main, der frühere Direktor der Evangelischen Akademie Frankfurt/Main, Hermann Düringer, der Pfarrer und frühere Studienleiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, Friedrich Schorlemmer, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, sowie der Ehrenpräsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck. Über eine Onlinepetition werden weitere Unterstützer gesucht.

Seit zwei Jahren wird gebaut

Die "Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche" fordert in einer weiteren Onlinepetition, die sich den Angaben zufolge vor allem an Kulturstaatsministerin Grütters und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) richtet, einen Förderstopp und ein Moratorium für das Bauprojekt Garnisonkirche.

Um den Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam wird seit Jahren gerungen. Die Befürworter des Wiederaufbaus begründen das Bauwerk unter anderem mit der Bedeutung für das Stadtbild und mit einer Wiedergutmachung für den Abriss des Gotteshauses in der DDR. Kritiker verweisen dagegen auf die Geschichte der Garnisonkirche als preußische Militärkirche und ihre Nutzung zur NS-Inszenierung der Reichstagseröffnung im März 1933.

Der Barockbau wurde im Zweiten Weltkrieg im April 1945 bei einem alliierten Luftangriff auf den Potsdamer Hauptbahnhof weitgehend zerstört und 1968 in der DDR abgerissen. Der Grundstein für den neuen Kirchturm wurde 2005 gelegt, die Bauarbeiten haben im Herbst 2017 begonnen.



Ehemalige Kirche in Altena wird versteigert

Eine frühere katholische Kirche im westfälischen Altena soll bei einer öffentlichen Auktion in Köln versteigert werden. Das Einstiegsgebot liegt bei 99.000 Euro, wie der Pfarrer der zuständigen Kirchengemeinde St. Matthäus, Ulrich Schmalenbach, am 22. August dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Das entweihte Kirchengebäude stehe seit 15 Jahren leer.

Nach mehreren gescheiterten Versuchen, die in den 20er Jahren erbaute Kirche St. Paulus mit ihren Nebengebäuden zu veräußern, sei die Auktion die letzte Möglichkeit, sagte Schmalenbach. Seine Kirchengemeinde werde mit hohen Summen für die leerstehende Kirche belastet.

Das Bistum Essen, zu dem die Kirchengemeinde gehört, habe der Auktion unter bestimmten Voraussetzungen zugestimmt. So dürfe das Gebäude nicht an nichtchristliche Religionsgemeinschaften verkauft werden. Auch dürfe aus der Kirche keine Spielhalle und kein Bordell werden. Die Versteigerung findet am 14. September in Köln statt.



Kandidaten für Amt des Bonner Superintendenten stellen sich vor

Der Evangelische Kirchenkreis Bonn wählt auf seiner Herbstsynode am 15. und 16. November einen neuen Superintendenten oder eine Superintendentin. Bereits am 25. August und 15. September stellen sich die beiden Kandidaten für die Nachfolge von Superintendent Eckart Wüster in Gottesdiensten öffentlich vor, wie der Kirchenkreis mitteilte. Zur Wahl stehen Wibke Janssen (54), Pfarrerin an der erzbischöflichen Liebfauenschule in Bonn, und Dietmar Pistorius (53), Gemeindepfarrer an der Troisdorfer Johanneskirche.

Beide Kandidaten für das Amt des leitenden Theologen des Kirchenkreises stellen sich in Abendgottesdiensten in der Bonner Kreuzkirche am Kaiserplatz der Öffentlichkeit vor: Janssen am 25. August, 18 Uhr, Pistorius am 15. September, 18 Uhr. Auf der ebenfalls öffentlichen Kreissynode werden die beiden Theologen dann einen Impulsvortrag halten, wie der Kirchenkreis erklärte. Der Nominierungsausschuss des Kirchenkreises hat Janssen und Pistorius aus insgesamt sieben Bewerbern ausgewählt.

Eckart Wüster geht den Angaben zufolge Ende Februar nach fast 20 Jahren als Superintendent in den Ruhestand. Er wird am 24. Januar verabschiedet. Während Wüster das Amt des leitenden Theologen im Nebenamt ausübte und mit einem Viertel seiner Stelle Gemeindepfarrer in Bornheim-Hersel war, soll sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin erstmals hauptamtlich tätig sein. Die Amtszeit beträgt acht Jahre.



Bischöfe begrüßen UN-Gedenktag für Opfer religiöser Verfolgung

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz und das Hilfswerk "Kirche in Not" haben den am Donnerstag erstmals stattfindenden Gedenktag der Vereinten Nationen (UN) für die Opfer religiöser Verfolgung begrüßt. Ein Charakteristikum der heutigen Zeit sei die "oftmals angstbesetzte Suche nach der kulturellen Identität der eigenen Gruppe", sagte der Trierer Bischof Stephan Ackermann am 21. August. Dies führe vielerorts zu einer Abgrenzung und Intoleranz.

Außerdem gebe es Bestrebungen säkularer Kräfte, Religion als solche zurückzudrängen, "da man sie pauschal für Unfrieden und kulturellen Rückschritt verantwortlich macht", betonte Ackermann, der auch Vorsitzender der Kommission "Justitia et Pax" ("Gerechtigkeit und Frieden") ist. "Auch dadurch entsteht ein Klima, das dem Menschenrecht der Religionsfreiheit abträglich ist."

Der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Bischofskonferenz, Ludwig Schick, bezeichnete den UN-Gedenktag als "wichtiges Zeichen gegen Hass, Gewalt und Terror, denen gläubige Menschen vonseiten Nichtgläubiger oder Andersgläubiger ausgesetzt sind". Jede Form von Gewalt, Verfolgung und Beeinträchtigung aus Gründen der Religion sei zu verurteilen.

Schick zufolge sind Staaten "in besonderer Weise in der Pflicht", Verfolgungen aus religiösen Gründen zu unterbinden. Aber auch die Glaubensgemeinschaften selbst müssten auf ein geistiges Klima achten, "in dem extremistische Haltungen und Feindseligkeit gegen Gläubige anderer Religionen gar nicht erst entstehen", sagte der Bamberger Erzbischof. Mit ihren Aktivitäten hätten die Kirchen in Deutschland und Europa viel dazu beigetragen, dass die wachsende Bedrohung der Religionsfreiheit in manchen Weltgegenden "inzwischen auf nationaler und internationaler politischer Ebene stärker wahrgenommen wird".

Auch das weltweit tätige päpstliche Hilfswerk "Kirche in Not" nannte den neuen Gedenktag einen wichtigen ersten Schritt, um verfolgten Christen mehr Gehör zu verschaffen. Der 22. August dürfe als neuer Gedenktag "nicht Selbstzweck sein", sondern müsse einen Prozess anstoßen. Die internationale Gemeinschaft müsse mit einem koordinierten Aktionsplan religiöse Verfolgung beenden und künftig verhindern, teilte "Kirche in Not" weiter mit.




Gesellschaft

Religionsvertreter wollen Klimaschutz und Frauenrechte stärken


Bei der Zeremonie am "Ring for Peace" in Lindau: Samdech Preah Agga Maha Sangharajadhipati Tep Vong, kambodschanischer buddhistischer Moench und derzeit Oberster Patriarch Kambodschas mit seinem Übersetzer.
epd-bild/Norbert Neetz
Mehr 900 religiöse Repräsentanten haben mehrere Tage am Bodensee über aktuelle Konflikte beraten, darunter die Lage der Rohingya-Flüchtlinge in Myanmar und Bangladesch. In diesem Bereich brachten die Konsultationen Fortschritte.

Mit politischen Forderungen zu Klimaschutz, Frieden und Frauenrechten ist die 10. Weltversammlung von "Religions for Peace" in Lindau am 23. August zu Ende gegangen. Die neu gewählte Generalsekretärin von "Religions for Peace", Azza Karam, sieht die Bedeutung des Treffens vor allem im Zusammenwirken der mehr als 900 religiösen Repräsentanten. "Wir haben uns dazu verpflichtet, an gemeinsamen Zielen zu arbeiten. Wir sind zu einer Bewegung geworden", sagte die niederländische Religionswissenschaftlerin am Freitag vor Journalisten. Vertreter aller Weltreligionen hatten seit Dienstag über aktuelle Konflikte beraten.

Die Teilnehmer der Versammlung erklärten, das Bewusstsein ihrer Gemeinschaften für den Schutz der Regenwälder schärfen zu wollen. "Wir wollen einen ökologisch ausgewogenen und nachhaltigen Lebensstil praktizieren und uns für Regierungsmaßnahmen zum Schutz der Urwälder einsetzen", heißt es in der Abschlusserklärung. Dazu gehöre auch das Engagement für die Rechte indigener Völker.

Friedenserziehung

Um Konflikte zu entschärfen, will die religiöse Nicht-Regierungsorganisation ihre Mitglieder im Konfliktmanagement schulen. "Friedenserziehung von der frühen Kindheit bis zum Erwachsenenalter soll gewalttätige Konflikte verhindern", heißt es in dem vierseitigen Dokument. Weiter bekennen sich die Vertreter dazu, die Karrieren von Frauen in Institutionen unterstützen zu wollen. Zugleich sollen Frauen als Vermittlerinnen in Konflikten unterstützt werden.

Zur Situation der Rohingya-Flüchtlinge gab es mehrtätige Beratungen zwischen religiösen Führern aus dem buddhistisch geprägten Myanmar und Bangladesch. Denzil Abel von "Religions of Peace" in Myanmar sagte, in den Konsultationen sei es gelungen "Irritationen" aufzulösen. "Wir wollen noch weitere, tiefergehende Beratungen führen", erklärte er.

Vor zwei Jahren waren Hunderttausende muslimische Rohingya vor Myanmars Armee nach Bangladesch geflüchtet, wo sie seitdem ohne Perspektive ausharren. Die Vertreter äußerten sich nicht zu Ergebnissen aus weiteren nicht-öffentlichen Beratungen zwischen Religionsführern aus Krisenregionen wie Nord- und Südkorea oder dem Kongo. Auch der islamistische Terrorismus im Mittleren Osten und Afrika war Thema der mehrtägigen Beratungen.

Käßmann eingebunden

Die evangelische Theologin Margot Käßmann wird zukünftig eine wichtige Rolle bei Entscheidungen des religiösen Welt-Gipfels übernehmen, teilte eine Sprecherin der Organisation mit. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist in den aus 80 Mitgliedern bestehenden "World Council" gewählt worden. Der "World Council" ist das höchste Beschlussgremium von "Religion for Peace".

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte die Konferenz am 20. August eröffnet. Steinmeier betonte, die gemeinsame Botschaft von Lindau müsse sein: "Religion darf niemals Rechtfertigung von Hass und Gewalt sein."

Die Weltversammlung fand erstmals in Deutschland statt, sie tritt etwa alle fünf Jahre zusammen. Teilnehmer berieten, teils hinter verschlossenen Türen, über Konfliktprävention und "gerechte Gesellschaften".



Erste Frau an die Spitze von "Religions for Peace" gewählt


Azza Karam
epd-bild/Norbert Neetz

Erstmals steht eine Frau an der Spitze der größten interreligiösen Nichtregierungsorganisation der Welt. Die über 700 stimmberechtigten Delegierten von "Religions for Peace" (Religionen für den Frieden) wählten die Religionswissenschaftlerin Azza Karam zur neuen Generalsekretärin, wie die Organisation am 22. August in Lindau mitteilte. Karam folgt auf William Vendley, der das Amt seit 1994 innehat.

Die gebürtige Ägypterin Karam arbeitet den Angaben zufolge als Professorin für Religion und Entwicklung an der Vrije Universität in Amsterdam. Zudem sei sie aktuell für die Vereinten Nationen zu Fragen rund um Religion, Entwicklung und Demokratie tätig.

Bei der 10. Weltversammlung von "Religions for Peace" berieten am Bodensee mehr als 900 Religionsvertreter über aktuelle Konflikten in der Welt. Die Weltversammlung tritt etwa alle fünf Jahre zusammen und findet erstmals in Deutschland statt. Vertreter des Bündnisses waren unter anderem bei den Konflikten in Bosnien-Herzegowina und in Ruanda als Vermittler tätig.



UNHCR wirbt bei Religionsgemeinschaften für mehr Zusammenarbeit


Dominik Bartsch
epd-bild/Norbert Neetz

Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR wirbt für eine verstärkte Kooperation mit Religionsgemeinschaften, um die weltweiten Flüchtlingsbewegungen zu bewältigen. "Ich sehe viel Potenzial in der Zusammenarbeit von Religionen und weltlichen Organisationen", sagte der deutsche UNHCR-Repräsentant Dominik Bartsch bei der 10. Weltversammlung der Organisation "Religions for Peace" am 22. August in Lindau. Um Flüchtlingszahlen zu reduzieren, brauche man Dialog, Versöhnung und nachhaltiges Engagement, betonte er.

Die Weltversammlung der interreligiösen Organisation "Religions for Peace" tagte bis zum 23. August am Bodensee. Mehr als 900 ranghohe Religionsvertreter aus aller Welt berieten bei dem Treffen über aktuelle Konflikte.

Hilfe bei Rückführung

Bartsch sieht vor allem drei Bereiche, in denen Religionsgemeinschaften friedensstiftend wirken können: "Bereits bei der Entstehung eines Konfliktes können Gemeinden vor Ort durch Dialog eine Eskalation verhindern." Auch bei der Integration von Flüchtlingen können sie eine große Rolle spielen. "Gerade wenn Spannungen wegen der Existenz von Flüchtlingen aufkommen, müssen religiöse und weltliche Organisationen gut zusammenarbeiten."

Zudem sei die Hilfe von Glaubensgemeinschaften auch bei der Rückführung von Flüchtlingen wichtig. "Beispielsweise im Irak hatten wir den Fall, dass Binnenflüchtlinge bei ihrer Rückkehr feststellen, dass andere Menschen in ihrem Dörfern leben", berichtete er. Das könne für viel Unmut sorgen, bei denen Religionsvertreter vermitteln könnten.

Die Weltversammlung der größten interreligiösen Nichtregierungsorganisation tritt etwa alle fünf Jahre zusammen und findet erstmals in Deutschland statt. Vertreter des Bündnisses waren unter anderem bei den Konflikten in Bosnien-Herzegowina und in Ruanda als Vermittler tätig.



Flüchtlinge der "Ocean Viking" in Malta an Land gegangen

Die von der "Ocean Viking" geretteten Flüchtlinge konnten nach zwei Wochen Irrfahrt in Valletta an Land gehen. Unterdessen nahmen zwei weitere Rettungsschiffe ihren Einsatz im Mittelmeer auf.

Die 356 Flüchtlinge, die nach ihrer Rettung im Mittelmeer zwei Wochen lang auf der "Ocean Viking" ausgeharrt hatten, sind in der Nacht zu 24. August in Malta an Land gegangen. Ein Marineschiff brachte sie laut einem Bericht der Tageszeitung "Times of Malta" (online) in den Hafen der Hauptstadt. Unterdessen begann Kapitän Claus-Peter Reisch von der Dresdner Flüchtlingshilfsorganisation Mission Lifeline mit einem neuen Rettungsschiff einen weiteren Einsatz im Mittelmeer.

Malta hatte den Geretteten an Bord der "Ocean Viking" erlaubt, an Land zu gehen, nachdem andere EU-Länder sich bereiterklärt hatten, sie aufzunehmen. Die von dem unter norwegischer Flagge fahrenden Schiff geretteten Flüchtlinge sollen auf Frankreich, Deutschland, Irland, Luxemburg, Portugal und Rumänien verteilt werden.

Salvini zufrieden

"Alle Migranten werden auf andere Mitgliedstaaten verteilt", betonte Premierminister Joseph Muscat auf Twitter. Teil der Übereinkunft sei, dass auch andere auf Malta gestrandete Migranten von anderen Ländern aufgenommen würden.

Die Mannschaft der "Ocean Viking" von SOS Méditerranée und "Ärzte ohne Grenzen" hatte die Flüchtlinge bei vier Einsätzen vor der libyschen Küste gerettet. Italien und Malta hatten sich zuvor geweigert, die Migranten aufzunehmen, wenn sie nicht von anderen Staaten übernommen würden.

Der italienische Innenminister Matteo Salvini reagierte mit Jubel auf die Entscheidung, die Flüchtlinge in Malta an Land gehen zu lassen. "Ausschiffung von 350 Migranten vermieden, Wollen heißt Können", erklärte er über Twitter. Die Sicherheit der Italiener habe Vorrang.

Seit dem 23. August ist Kapitän Claus-Peter Reisch von der Dresdner Flüchtlingshilfsorganisation Mission Lifeline wieder im Mittelmeer im Einsatz. Nach Angaben von Lifeline-Sprecher Axel Steier ist das Schiff in der libyschen Such- und Rettungszone unterwegs. Reisch und eine zehnköpfige Crew beobachteten die Lage vor Ort. Das neue Schiff von Reisch und seinen Freunden heiße "Eleonore". Es ist den Angaben zufolge 20 Meter lang und 5,50 Meter breit.

Geldstrafe

Das erste Schiff des Dresdner Vereins, die "Lifeline", hatte im Sommer vergangenen Jahres im Mittelmeer 234 Flüchtlinge aufgenommen. Nach tagelanger Irrfahrt durfte das Schiff in Maltas Hauptstadt Valletta anlegen, wurde danach jedoch von Maltas Behörden beschlagnahmt. "Lifeline"-Kapitän Reisch wurde von einem Gericht in Valletta wegen des Vorwurfs der falschen Registrierung des Rettungsschiffes zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt. Er legte Revision ein.

Unterdessen verließ die "Mare Ionio" von "Mediterranea Saving Humans" den Hafen von Licata in Sizilien in Richtung der libyschen Seenotrettungszone. Das Schiff war zuvor nach Angaben der italienischen Hilfsorganisation zwei Monate lang zur Beweisaufnahme beschlagnahmt gewesen, nachdem es im Mai 30 Menschen gerettet hatte.



Antisemitismusforscher für Überarbeitung der Lehrpläne

Gegen zunehmenden Antisemitismus schlägt der Antisemitismusforscher Samuel Salzborn eine Überarbeitung der Lehrpläne und Schulbücher vor. Ein wirkliches Tabu, sich antisemitisch zu äußern, habe es in der Bundesrepublik auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben, sagte der Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin am 20. August in Saarbrücken. Leider sei inzwischen bis hin zu prominenten Persönlichkeiten eine "gigantische Zustimmung zum Antisemitismus" festzustellen. Um dies zu ändern, müssten Fort- und Weiterbildung der Lehrer zu dieser Frage überarbeitet und Schulbücher geändert werden.

Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes und Beauftragte für jüdisches Leben an der Saar, Roland Rixecker, sagte, Polizei und Staatsanwaltschaften in Deutschland verzeichneten seit vergangenem Jahr einen Anstieg der erfassten antisemitischen Straftaten in Deutschland. Doch das zahlenmäßig weit größere Problem seien die niederschwelligen Verletzungen jüdischer Mitbürger, die von den Ermittlungsbehörden oft nur als allgemeine Beleidigung oder Sachbeschädigung registriert würden.

"Aus einer Studie der Europäischen Grundrechteagentur wissen wir, dass mindestens drei Viertel der jüdischen Mitbürger antisemitische Verletzungen nicht anzeigen, weil sie mangelndes Vertrauen in staatliche Instanzen haben", sagte Rixecker. Den einstigen historischen Antijudaismus der christlichen Kirchen als Quelle des Antisemitismus sah er dagegen klar auf dem Rückzug.



40.000 Menschen bei #unteilbar in Dresden


#unteilbar-Demonstration in Dresden
epd-bild/Matthias Rietschel

Rund 40.000 Menschen haben nach Angaben der Veranstalter am 24. August in Dresden für eine solidarische Gesellschaft demonstriert. Unter dem Motto #unteilbar wollten sie eine Woche vor den Landtagswahlen in zwei ostdeutschen Bundesländern ein Zeichen gegen einen Rechtsruck in Deutschland setzen. Unter den Teilnehmern war auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). In Sachsen und auch in Brandenburg wird am kommenden Sonntag ein neuer Landtag gewählt, in Thüringen am 27. Oktober.

Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) sagte bei der Auftaktkundgebung auf dem Dresdner Altmarkt: "Von dieser Demonstration geht ein wichtiges Zeichen über die Grenzen von Sachsen hinweg hinaus. Wir wollen zeigen, dass sich in Sachsen viele Menschen mit denjenigen solidarisieren, die ihre Heimat aufgrund von Krieg und Terror verlassen mussten."

Sachsen sei nicht "ein brauner Fleck auf der Deutschlandkarte", sagte die Ministerin, die vor kurzem eine Morddrohung erhalten hatte. Es gebe eine große Anzahl an Menschen, die sich für einen bunten, weltoffenen und friedlichen Freistaat einsetzten.

"Werte sind unteilbar"

Der stellvertretende sächsische Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) sagte, es gebe Dinge, die nicht verhandelbar seien. "Werte sind unteilbar", betonte Dulig. Auch Kirchen und Wohlfahrtsverbände hatten zur Teilnahme aufgerufen. Sachsens Diakoniechef Dietrich Bauer betonte: "Wir wollen eine Gesellschaft, in der die Menschen respektiert werden. Und vor allem wollen wir eine friedfertige Gesellschaft." Auf der Abschlusskundgebung sprachen unter anderem die Philosophin und Publizistin Carolin Emcke und der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider.

Die Polizei verzeichnete einen friedlichen Verlauf der Kundgebung. Lediglich die Personalien von einem 18-jährigen Deutschen und einem 36-jährigen Dänen seien aufgenommen worden. Sie sollen Wahlplakate heruntergerissen und Graffitis gesprüht haben und müssen sich nun wegen Sachbeschädigung verantworten, teilte die Polizei mit. Insgesamt waren 360 Beamte im Einsatz.

Organisiert wurde die Großdemonstration vom Bündnis #unteilbar, das etwa 400 zivilgesellschaftliche Organisationen vereint, darunter etwa die Hälfte aus Sachsen. Zum Abschluss traten am Abend verschiedene Bands und Musikgruppen auf, unter anderem Silbermond, Sänger Sebastian Krumbiegel, Rapper Max Herre und die Dresdner Banda Internationale. Am Rande der Abschlusskundgebung präsentierte der Zittauer Verein Augen auf eine Kunstaktion zur Seenotrettung.

"Sommer der Solidarität"

Die Veranstalter zeigten sich zufrieden mit dem Zulauf. Für das #unteilbar-Bündnis sagte Sprecher Felix Müller, es seien deutlich mehr Menschen gekommen als erwartet. Bündnis-Sprecherin Ana-Cara Methmann sagte, die Veranstalter seien überwältigt von der Beteiligung. Zehntausende Menschen hätten ein unmissverständliches Zeichen für Solidarität statt Ausgrenzung gesetzt.

Die Demonstration in Dresden war Höhepunkt des "Sommers der Solidarität", in dem das von Vereinen, Organisationen und Initiativen getragene "#unteilbar"-Bündnis die solidarische Gesellschaft sichtbar machen wollte. Einem ersten Aufruf zu einer Demonstration waren im Oktober 2018 in Berlin rund 240.000 Menschen gefolgt.



Statistik: 20,8 Millionen in Deutschland mit Migrationshintergrund

Warum Menschen nach Deutschland einwandern, hat viele Gründe: Arbeitssuche, Weiterbildung oder Flucht sind nur einige von ihnen. Eines der wichtigsten Motive ist die Familie.

Rund jeder Vierte in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Für das vergangene Jahr erfasste das Statistische Bundesamt (Destatis) 20,8 Millionen Menschen in Deutschland, die nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden oder bei denen dies auf mindestens einen Elternteil zutraf. Das war ein Zuwachs von 2,5 Prozent im Vergleich zu 2017 (20,3 Millionen), wie das Bundesamt am 21. August in Wiesbaden mitteilte.

Knapp 48 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund, nämlich 9,9 Millionen, waren den Zahlen zufolge Ausländerinnen und Ausländer. Rund 52 Prozent waren Deutsche. Von diesen 10,9 Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund besitzen etwa die Hälfte (5,5 Millionen) die deutsche Staatsangehörigkeit seit ihrer Geburt. Mindestens ein Elternteil sei jedoch ausländisch, eingebürgert, deutsch durch Adoption oder Aussiedler beziehungsweise Spätaussiedler.

Familiäre Gründe

Von den 20,8 Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund waren laut Destatis rund 13,5 Millionen nicht hier geboren. Als Motiv für die Zuwanderung wurden vor allem familiäre Gründe genannt (48 Prozent), wobei hierbei fast drei Viertel, nämlich 72 Prozent, aus Europa kamen. Bei den 19 Prozent, deren Hauptmotiv die Aufnahme oder Suche nach einer Beschäftigung in Deutschland war, kamen sogar 85 Prozent aus dem europäischen Ausland.

Bei 15 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund waren den Angaben zufolge Flucht und Asyl das Hauptmotiv. Sie kamen vor allem aus dem Nahen Osten (47 Prozent). Fünf Prozent der Zuwanderer gaben ein Studium oder Aus- und Weiterbildung in Deutschland als Beweggrund für ihren Umzug an. Hier kamen 40 Prozent aus Europa und 38 Prozent aus Asien.

Basis der Zahlen ist laut Statistischem Bundesamt der Mikrozensus - eine Stichprobenerhebung, bei der jährlich rund ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland befragt wird. Die Zahlen beziehen sich auf die Bevölkerung in Privathaushalten, nicht auf Gemeinschaftsunterkünfte. Deswegen und weil im Ausländerzentralregister (AZR) ein früher zu hoch erfasster Ausländeranteil weiter als Bestandsbasis diene, habe das AZR zum Jahresende 2018 10,9 Millionen Ausländerinnen und Ausländer erfasst. Der Mikrozensus komme für 2018 auf 9,9 Millionen ausländische Personen in Privathaushalten.



Atomkraft: Deutschland bestellt 190 Millionen Jodtabletten


Atomkraftwerk Philippsburg
epd-bild / Gustavo Alàbiso
2022 sollen in Deutschland keine Atomkraftwerke mehr in Betrieb sein. Nukleare Gefahren könnten aber weiter von Reaktoren in Nachbarländern ausgehen. Deutschland sorgt mit mehr Jodtabletten vor. Umweltschützer halten das für unzureichend.

Zur Vorsorge für einen möglichen Atomunfall in Deutschland oder in benachbarten Ländern vergrößert das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) den deutschen Vorrat an Jodtabletten. 189,5 Millionen dieser Tabletten seien für einen radiologischen oder nuklearen Notfall bestellt worden, teilte das Bundesamt in Salzgitter dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Es müssten genügend Tabletten vorgehalten werden, um auch Mehrfacheinnahmen zu ermöglichen, sollte das erforderlich sein. Derzeit hätten Bund und Länder rund 130 Millionen Jodtabletten auf Vorrat.

Die rechtzeitige Einnahme von hoch dosiertem, nicht-radioaktivem Jod soll nach einem schweren Reaktorunfall verhindern, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse eines Menschen einlagert, wo es Krebs auslösen kann. Die Jodtabletten sollen an die Bevölkerung verteilt werden, sollten radioaktive Stoffe freigesetzt werden, wie zuerst der Westdeutsche Rundfunk (WDR) am 22. August berichtet hatte.

Strahlenbiologe: Mit Rektorunfällen rechnen

Die Strahlenschutzkommission (SSK) hatte empfohlen, den Vorrat an Jodtabletten aufzustocken. Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima hatte das Beratergremium der Bundesregierung vorgeschlagen, den Kreis der möglichen Empfänger von Jodtabletten nach Freisetzung von Radioaktivität erheblich auszuweiten.

Das Unglück in Japan habe zwei Dinge gelehrt, sagte der Essener Strahlenbiologe und damalige SSK-Vorsitzende, Wolfgang Müller, dem WDR. "Das eine ist, dass man auch mit Reaktorunfällen der Stufe INES 7 rechnen muss, also schwerer, als man vorher angenommen hat." Zudem könne es zu einer mehrtägigen Freisetzung kommen. Das bedeute, dass unter Umständen die Windrichtung wechseln könne und viel mehr Gebiete betroffen seien. Das Risiko eines Super-GAU schätzt Müller trotz des für 2022 beschlossenen Atomausstiegs in Deutschland als real ein. Das liege an den zahlreichen Atomkraftwerken in benachbarten Ländern.

Der Bund zahlt nach Angaben des Bundesamts rund 8,4 Millionen Euro für die Jodtabletten. Sie sollen nach den ländereigenen Konzepten dezentral gelagert und im Bedarfsfall von den Bundesländern verteilt werden.

Kritik von Umweltschutzinitiativen

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) bezeichnete die mögliche Verteilung der Jodtabletten als unzureichend, da sie lediglich vor Schilddrüsenkrebs schützten. Notwendig sei vielmehr das sofortige Abschalten aller Atomkraftwerke. "Und die Bundesregierung muss endlich die Uranfabriken in Gronau und Lingen stoppen, die ständig Nuklearbrennstoff für hochgefährliche Atomkraftwerke in Belgien, Frankreich und in anderen Ländern produzieren und exportieren", forderte BBU-Vorstand Udo Buchholz.

Überdies sei unklar, wer im Ernstfall die Jodtabletten erhalte und wie die Verteilung rechtzeitig erfolgen soll, kritisierte der BBU. Im Übrigen sei die Einnahme hoch dosierter Jodtabletten mit gesundheitlichen Risiken verbunden.

2017 waren in der Region Aachen Jodtabletten an Bürger bis 45 Jahre sowie schwangere und stillende Frauen ausgeteilt worden. Die Behörden wollten damals Vorsorge treffen für den Fall eines schweren radioaktiven Vorfalls im belgischen Atomkraftwerk Tihange, das nur wenige Kilometer jenseits der deutschen Grenze liegt. Der dortige Atommeiler gilt wegen seines Alters und zahlreicher Risse als stör- und pannenanfällig.



NRW-Landesregierung will Integration von Flüchtlingen verbessern


Jobs für Flüchtlinge in der Nähwerkstatt des Münsteraner Modelabels "Bayti hier".
epd-bild/Angelika Osthues
Mit einem Maßnahmenpaket will die NRW-Landesregierung die Integration verbessern. Das bislang in einem Modellversuch getestete Kommunale Einwanderungsmanagement soll dazu ausgeweitet werden. Zudem soll das Staatsbürgerschaftsrecht reformiert werden.

Die Landesregierung will die Angebote zur Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern ausbauen und verbessern. "Wir wollen allen Menschen in Nordrhein-Westfalen beste Chancen bieten. Deshalb werden wir die Integrationspolitik stärker systematisieren, denn viel zu lang ist die Qualität der Integration dem Zufall überlassen worden", sagte NRW-Flüchtlings- und Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) am 22. August in Düsseldorf bei der Vorstellung der Teilhabe- und Integrationsstrategie 2030. Integration sei eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft.

Das Programm, das in Abstimmung mit dem Beirat für Teilhabe und Integration erstellt wurde, sieht drei Schwerpunkte vor: die Erstintegration von Neuzugewanderten, die nachhaltige Integration in die Regelsysteme und die Gestaltung der Migrationsgesellschaft. Geplant ist beispielsweise der flächendeckende Ausbau des Kommunalen Einwanderungsmanagements, das unter dem Titel "Einwanderung gestalten NRW" bislang in zwölf Modellkommunen erprobt wird - unter anderem in Köln, Moers und Neuss.

Bis 2022 soll das Einwanderungsmanagement in allen 54 kreisfreien Städten und Kreisen eingeführt werden. Dadurch sollen in den Kommunen alle Dienstleistungen zur Integration von Zuwanderern besser aufeinander abgestimmt und weiterentwickelt werden, zudem soll ein individuelles Fallmanagement für Zuwanderer eingerichtet werden. Das Land NRW unterstützt die entsprechenden Maßnahmen im kommenden Jahr mit 25 Millionen Euro.

Stärkung von Integrationszentren

Integrationsstaatssekretärin Serap Güler verwies darauf, dass die Kommunen bei den geplanten Maßnahmen "ein wichtiger Partner" seien, da die Integration vor Ort stattfinde. Geplant sei, in den kommenden Jahren die Zusammenarbeit mit den Kommunen noch zu verstärken und die Angebote für die Zuwanderer "passgenauer" zu entwickeln. Alle 54 Kreise und kreisfreien Städte verfügten mittlerweile über ein Kommunales Integrationszentrum. Das Land unterstütze die Einrichtungen mit jährlich 18,8 Millionen Euro.

Güler unterstrich, dass die Integrationszentren künftig verstärkt zu "Dienstleistern im Sinne der Integration" ausgebaut werden sollten. Zudem leite das Land die jährliche Integrationspauschale des Bundes in Höhe von 432,8 Millionen Euro vollständig an die Kommunen weiter, um sie bei den Integrationskosten zu entlasten.

Muslimisches Engagement für Gesellschaft sichtbar machen

Ein weiterer Punkt der Programms betrifft die berufliche Ausbildung von Flüchtlingen. Hierzu hätten das Integrations- sowie das Arbeitsministerium die Initiative "Gemeinsam klappt's" gegründet, die sich an junge Flüchtlinge zwischen 18 und 27 Jahren richtet und ihnen den Zugang zu Ausbildung, Arbeit und Qualifizierung ermöglichen soll, hieß es. Die Bildungs- und Integrationsangebote sollen zudem künftig auch in den Landeseinrichtungen für Flüchtlinge angeboten werden. Außerdem soll der Dialog mit den Muslimen nach Angaben von Güler auf eine breitere Basis gestellt werden. Dazu wurde die Koordinierungsstelle "Muslimisches Engagement in NRW" gegründet, die die Lebenswirklichkeit von Musliminnen und Muslimen in NRW besser sichtbar machen soll.

Überdies bemüht sich das Land um eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Dazu soll eine Bundesratsinitiative eingebracht werden. Die Aufenthaltsdauer für einen Einbürgerungsantrag soll von acht auf sechs Jahren verkürzt werden. Bei Zuwanderern, die besondere Integrationsleistungen erbringen, könnte die Frist auf vier Jahre reduziert werden.

Derzeit leben in NRW rund 1,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens. Die Zahl der Flüchtlinge, die nach NRW gekommen sind, ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Im Jahr 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle, waren es fast 232.000 Menschen, 2018 kamen noch rund 30.200. In diesem Jahr (Stichtag: 22. August) sind es bislang etwa 16.600 Menschen, die in NRW als Flüchtlinge registriert wurden.



NRW-Verfassungsschutz informiert auf Youtube über Salafismus

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat zwei Youtube-Kanäle zur Salafismus-Prävention gestartet. "Wenn Salafisten wie der Islamische Staat ihre Propaganda ins Netz stellen, dann darf das nicht unwidersprochen bleiben", sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am 22. August bei der Vorstellung des Projekts in Köln. Es gehe darum, junge Menschen in den Medien zu erreichen, die sie nutzen. Der NRW-Verfassungsschutz ist die erste Sicherheitsbehörde in Deutschland mit eigenem Angebot gegen islamistische Propaganda auf der Videoplattform.

Auf einem Kanal setze die Behörde auf Witz und Humor. "Damit provozieren wir", sagte Reul. "Denn sie hassen es, wenn man sich über sie lustig macht." Zugleich stellte der Innenminister klar: "Wir machen uns nicht über die Religion lustig." Ziel des zweiten Youtube-Kanals sei es, "Fakten gegen Lügen zu setzen und die Propaganda zu entlarven". Als Wissens-Kanal beziehe er sich hintergründig auf den Comedy-Kanal, sagte Reul. Die Idee dahinter ist, dass die Zuschauer vom Comedy-Kanal auf den Wissens-Kanal wechseln und sich dort sachlich informieren.

Der stellvertretende Leiter des NRW-Verfassungsschutzes, Uwe Reichel-Offermann, erklärte, junge Menschen seien eine interessante Zielgruppe für Islamisten. Von den 3.100 extremistischen Salafisten in NRW seien ein Viertel jünger als 25 Jahre und zwei Drittel bis zu 35 Jahre alt. In den Wegweiser-Beratungsstellen gegen gewaltbereiten Salafismus des Landes seien von bisher rund 900 Beratungsgesprächen 660 mit Jugendlichen geführt worden, die zwischen 14 und 17 Jahre alt waren.

Darüber hinaus entwickelten sich das Internet und die sozialen Medien zu den bedeutendsten Rückzugsorten der Salafisten, sagte Reichel-Offermann. Auch habe die Bedeutung von Frauen und Mädchen in der Szene zugenommen, die zwar weitestgehend im Hintergrund blieben, aber insbesondere in den sozialen Medien unterwegs seien.

Das Projekt ist auf ein Jahr angelegt und kostet rund eine halbe Million Euro. Im Laufe dieses Jahres sollen auf dem Comedy-Kanal 32 Clips gezeigt werden, auf dem Wissens-Kanal 16.



Hohe Haftstrafe im Chemnitz-Prozess


Der Angeklagte Alaa S. und seine Anwältin Ricarda Lang bei Prozessbeginn im März.
epd-bild/ Ronald Bonss/Poolfoto
Im August 2018 wurde in Chemnitz Daniel H. erstochen. Kurz nach der tödlichen Messerattacke hatten rechte Gruppen die Tat für sich instrumentalisiert. Nun wurde der angeklagte Syrer zu einer hohen Haftstrafe verurteilt.

Im Prozess um den gewaltsamen Tod eines Chemnitzers ist der Angeklagte Alaa S. zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Das Landgericht Chemnitz folgte am 22. August der Anklage und verurteilte den 23-jährigen Syrer wegen gemeinschaftlichen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Er habe Daniel H. am 26. August 2018 zunächst gepackt und getreten sowie danach mit einem Messer mehrfach auf ihn eingestochen, sagte die Vorsitzende Richterin Simone Herberger bei der Urteilsverkündung in Dresden.

Vorausgegangen sei ein Streit mit dem mutmaßlichen Komplizen des Verurteilten. Dieser sei noch immer flüchtig. Bei der Messerattacke wurde zudem eine weitere Person verletzt. Die Taten haben Herberger zufolge kein politisches Motiv. Zudem habe die Kammer unabhängig von politischen und medialen Einflüssen entschieden.

Verteidigung geht in Revision

In ihrer Urteilsbegründung betonte die Richterin: Es bestehe kein Zweifel an den Aussagen und der Glaubhaftigkeit des Hauptbelastungszeugen. Er habe den Täter zweifelsfrei erkannt und die Stichbewegungen beschrieben, auch wenn er kein Messer gesehen habe. Unter anderem habe er die Kleidung des Täters exakt beschrieben und weitere Details angegeben, sagte Herberger. Außerdem gebe es weitere Zeugenaussagen. Die Konstruktion einer Falschaussage schloss die Kammer aus.

Die Verteidigung hatte einen Freispruch für Alaa S. gefordert, weil sie den einzigen Zeugen als nicht glaubwürdig ansah und dem Angeklagten keinerlei DNA-Spuren nachgewiesen werden konnten. Sie hat nach eigenen Angaben gegen das Urteil bereits Revision eingelegt. Die Aussagen des Hauptzeugen seien widersprüchlich gewesen und zum Teil widerlegt worden, sagte Verteidigerin Ricarda Lang. Die Beweise reichten für ein zweifelsfreies Urteil nicht aus.

"Wir haben Chancen bei einer Revision", zeigte sich Lang überzeugt. Die nächste Instanz werde jeden Sachverhalt prüfen. Dem Gericht warf sie vor, "nicht unbeeinflusst von den politischen Verhältnissen in Chemnitz" entschieden zu haben. In anderen Bundesländern wäre es aufgrund dieser Beweislage nicht zu einer Verurteilung gekommen, betonte sie. Die Staatsanwaltschaft hatte für zehn Jahre Freiheitsentzug plädiert und zeigte sich nach dem Urteil in ihrem Vorgehen bestätigt.

Prozess in Dresden

In seinem "Letzten Wort" vor Gericht hatte Alaa S. betont, er hoffe auf ein gerechtes Urteil. Seine Hoffnung sei auch, dass er nicht das zweite Opfer des Täters und für ihn stellvertretend verurteilt werde. Zudem bedauerte der Angeklagte, was der Familie des Opfers widerfahren sei.

Der Prozess vor dem Landgericht Chemnitz fand aus Sicherheitsgründen in Dresden statt. Alaa S. musste sich seit März vor Gericht verantworten. Er bleibt Richterin Herberger zufolge in Untersuchungshaft. Nach dem Tod des Chemnitzers am Rande des Stadtfestes hatten rechte Gruppen die Tat in den Folgetagen für ausländerfeindliche Demonstrationen instrumentalisiert.



Kritik an Trump-Vorstoß zur Festnahme von Migrantenkinder

Mit heftiger Kritik haben Menschenrechtsverbände auf neue Richtlinien der US-Regierung reagiert, wonach ohne Papiere eingereiste Migrantenkinder künftig bis zur Entscheidung über den Einreise- oder Asylantrag unbefristet in Gewahrsam genommen werden dürfen. Bisher gilt dafür eine Maximalfrist von 20 Tagen. Die Migrationsexpertin des Verbandes American Civil Liberties Union, Madhuri Grewal, verurteilte die Richtlinien als "grausamen Angriff auf Kinder". Human Rights Watch warnte, Kinder würden durch eine Inhaftierung traumatisiert.

Die neuen Richtlinien wurden am 21. August in Washington vom kommissarischen US-Heimatschutzminister Kevin McAleenan vorgestellt. Die Neuerung soll in 60 Tagen in Kraft treten. McAleenan sprach von einem "beispiellosen Zustrom von Familien", vornehmlich aus Mittelamerika. In den ersten zehn Monaten des laufenden Haushaltsjahres seien fast 475.000 Familien an der Südwestgrenze der USA aufgegriffen worden.

Kommentatoren skeptisch über Umsetzung

Eine seit Jahren geltende Gerichtsanweisung schreibt vor, dass aufgegriffene Familien mit Kindern nach spätestens 20 Tagen entlassen werden müssen. Laut Human Rights Watch wird diese Vorschrift jedoch nicht immer eingehalten. Vertreter der Regierung von US-Präsident Donald Trump hatten beanstandet, dass freigelassene Personen sich anschließend nicht dem Asyl- und Einwanderungsverfahren unterzögen, sondern in den USA untertauchten.

Demokratische Oppositionspolitiker protestierten gegen die neue Regelung. Die "Grausamkeit der Regierung Trump ist grenzenlos", sagte der demokratische Senator Chuck Schumer. Auch Kommentatoren äußerten sich skeptisch über die Umsetzung der Richtlinien. Zunächst müssten Gerichte der Reform zustimmen, und mehrere Hilfsverbände hätten Zivilklagen angekündigt, hieß es. Trump erklärte, wegen der neuen Vorschriften würden weniger Migrantenfamilien in die USA kommen wollen "und viele Menschen werden gerettet werden".

Der Lutherische Hilfsdienst für Immigranten und Flüchtlinge, LIRS, verurteilte den Vorstoß. Anstatt Familien und Kinder einzusperren, solle sich die Regierung auf "bewährte und humane Alternativen" konzentrieren und Migrantenfamilien intensiv betreuen. Es gebe keine Rechtfertigung, jemanden auf unbegrenzte Zeit einzusperren.



Kennwort: "Großmutter gestorben"

Vor 80 Jahren steckte Adolf Hitler Europa in Brand. Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg mit der Invasion in Polen. Als Anlass diente ein fadenscheiniger Trick: Als Polen verkleidete SS-Männer überfielen den deutschen Sender Gleiwitz.

Ein deutscher Vertreter für Landmaschinen ist der erste offizielle Tote des Zweiten Weltkrieges: Franz Honiok, 1898 geboren. SS-Soldaten, verkleidet als polnische Freischärler, erschießen ihn beim inszenierten Überfall auf den deutschen Sender Gleiwitz (Gliwici) - Adolf Hitlers selbst geschaffener Anlass für den Überfall auf Polen am 1. September 1939. "Kaum eine Kriegslüge wurde so aufwendig in Szene gesetzt wie das Schauspiel von Gleiwitz. Es ging nicht allein darum, Informationen zu verfälschen, es war eine Kampf- und Mordaktion", urteilt der Historiker Ralf Zerback über das "Unternehmen Tannenberg" vor 80 Jahren.

Hitler will den Krieg, aber in der Öffentlichkeit nicht als Angreifer gelten. SS-Chef Reinhard Heydrich verspricht deshalb ein geheimdienstliches "Meisterstück, das aller Welt einwandfrei beweist, dass Polen diesen Krieg begann". Dazu macht er sich die von der NS-Presse systematisch aufgeheizte nationalistische Stimmung im Grenzgebiet zunutze.

Ausland glaubte Hitler längst nicht mehr

"Gleiwitz und die anderen ähnlichen Operationen hatten eine innenpolitische Stoßrichtung", sagt der Historiker John Zimmermann vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. "Es ging darum, sich vor der deutschen Bevölkerung zu rechtfertigen. Im Ausland glaubte man Hitler ohnehin längst nicht mehr. Das war spätestens mit dem Bruch des Münchner Abkommens 1938 passé."

SS-Sturmbannführer Alfred Naujocks fährt Ende August mit fünf oder sechs Männern nach Gleiwitz. Über Tage warten sie auf das in Berlin vereinbarte Codewort für die Scheinattacke: "Großmutter gestorben".

Hitler hat bereits eine Woche zuvor seinen führenden Militärs auf dem Obersalzberg erklärt: "Ich werde propagandistischen Anlass zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht."

Kein Studio in der Sendestelle

Am 31. August dann ist es soweit: Naujocks Freischärler-Kommando dringt gegen 20 Uhr in die Sendestation nordwestlich von Gleiwitz an der Tarnowitzer Straße ein. Damit die Aktion glaubwürdig erscheint, muss auch ein toter Deutscher her: Honiok. Am Tag zuvor von zwei Gestapo-Männern festgenommen, wird er vermutlich betäubt und zum Sender gebracht.

Die als Polen verkleideten SS-Leute überwältigen die vier Sendetechniker und sperren sie in den Keller. Ihr Auftrag ist es, das Programm zu unterbrechen und einen Aufruf auf Polnisch zu verlesen. Problem: In der Sendestelle gibt es gar kein Studio. Naujocks berichtete später: "Dann haben wir uns heiß gesucht, damit wir die Sendung durchbekamen."

Einer der Techniker wird aus dem Keller nach oben geschafft. Der schließt ein sogenanntes Sturmmikrofon an. Damit kann die Hörfunkleitung mitteilen, wenn eine Sendung - etwa bei Gewitter - gestört ist. Es knackt und knarrt im Äther, dann folgt der Aufruf: "Achtung! Achtung! Hier ist Gleiwitz. Der Sender befindet sich in polnischer Hand (...) Die Stunde der Freiheit ist gekommen!" Es folgt eine vierminütige Rede, die mit dem Aufruf "Hoch lebe Polen!" endet.

Weitere Scheinattacken

Im Gebäude wird Honiok erschossen, von wem, ist unklar. Der Tote bleibt liegen, als das Überfallkommando wieder in der Dunkelheit verschwindet. Was später mit seiner Leiche geschieht, ist nicht bekannt.

Die erhoffte mediale Wirkung der kaum 15-minütigen Provokation bleibt jedoch aus. Denn die Attacke der SS ist miserabel geplant: Sie hat keinen Sender mit großer Reichweite überfallen, sondern nur die Verstärkerstation für den 150 Kilometer entfernten Sender Breslau, dessen Sendungen außerhalb Schlesiens nicht empfangen werden können. Das bemerkt auch Heydrich, dessen Volksempfänger in der Hauptstadt auf der Gleiwitzer Frequenz stumm bleibt. Deshalb wird vom Berliner Sender aus das Kommuniqué zwei Stunden später noch einmal auf Deutsch verlesen.

In der späteren Nacht verüben SS-Kommandos weitere Scheinattacken an der Grenze: Rund 30 als polnische Soldaten verkleidete Männer überfallen die Zollstation bei Hochlinden, schießen um sich, verwüsten das Gebäude und lassen sechs Tote zurück - es sind zuvor ermordete KZ-Häftlinge. Eine dritte Aktion richtet sich gegen das Forsthaus Pitschen in der Nähe von Kreuzburg.

Opfer werden verscharrt

Dann ist Eile geboten. Die Gestapo muss an den Überfallorten sofort mit ihren Scheinermittlungen beginnen, auch braucht die Berliner Zentrale für die Presse Fotos der Leichen. Anschließend werden die Opfer im Wald verscharrt.

Die Propagandamaschine ist da längst angelaufen. Schon um 22.30 Uhr berichtet der Rundfunk über sich häufende Zwischenfälle an der Grenze. Hitler erwähnt in seiner vom Radio übertragenen Rede vor dem Reichstag am 1. September die Vorfälle in Gleiwitz und Umgebung namentlich nicht, spricht aber von Gräueltaten: "Nachdem schon neulich in einer einzigen Nacht Grenzzwischenfälle waren, sind es heute Nacht 14 gewesen, darunter drei ganz schwere." So manövrierte er Polen in die Rolle des Aggressors, der durch Übergriffe auf Angehörige der deutschen Minderheit den Einmarsch selbst provoziert habe.

Polen habe "heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen", verkündet der Führer. Auch das stimmt zeitlich nicht: Das Linienschiff "Schleswig-Holstein" eröffnet das Feuer auf ein Munitionsdepot auf der Westerplatte bei Danzig bereits eine Stunde früher.

Von Dirk Baas (epd)


"Wir sind das Volk"


Wolfgang Thierse
epd-bild/Jürgen Blume
Die Neue Rechte ruft im Osten heute wieder "Wir sind das Volk". Damit verkehre sie die ursprüngliche Bedeutung des Sprechchors der Montagsdemonstrationen in der DDR in ihr Gegenteil, sagen ehemalige DDR-Bürgerrechtler wie Wolfgang Thierse.

Im Oktober 1989 schickte das DDR-Filmstudio Defa ein Kamera-Team nach Leipzig, um dort die Montagsdemonstrationen zu dokumentieren. Die Filmemacher dokumentierten Zeitgeschichte - ohne zu wissen, was am 9. November 1989 geschehen würde.

Demonstranten sagten damals vor laufender Kamera, welche politischen Forderungen sie stellten: "Für mich das erste und wichtigste sind freie Wahlen", sagte einer. "Mir geht es nicht darum, morgen mehr Bananen zu haben oder ein Visum, um nach Hamburg zu fahren, es geht darum, die Einengung des Einzelnen zu beenden", sagte ein anderer. Im Hintergrund der Szene hört man Sprechchöre, die "Wir sind das Volk" skandieren.

Inhaltliche Verkehrung

Heute hört man im Osten wieder den Ruf "Wir sind das Volk". Auf Pegida-Demonstrationen wurde er bereits 2014 wieder skandiert. Und im Jahr 2019 wirbt die AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg mit Slogans wie "Wende 2.0", "Vollende die Wende" oder "Werde Bürgerrechtler". "Das ist eine inhaltliche Verkehrung der alten Losung", sagt der aus der DDR stammende ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD).

Thierse spricht von einer "nationalistischen, fremdenfeindlichen Veränderung": "Das Gegenteil von 1989." Die Losung habe sich 1989 gegen die SED-Oberen gerichtet. Es sei um Demokratie, Freiheit, Grundrechte, offene Grenzen und Weltoffenheit gegangen. Nun richte sich der Ruf nicht nur gegen die Regierenden, sondern er richte sich vor allem gegen die anderen, die Fremden, sagt Thierse.

Wann genau, die Parole "Wir sind das Volk" zum ersten Mal gerufen wurde, ist historisch nicht überliefert. Der evangelische Theologe und DDR-Bürgerrechtler Richard Schröder datiert die Entstehung auf den Oktober 1989, bereits am 4. September hatten die erste Montagsdemonstration stattgefunden. Laut Schröder entstand die Parole als Reaktion auf Berichte der "Leipziger Volkszeitung", in der die Demonstranten als "Konterrevolutionäre" und "Rowdies" bezeichnet wurden. Mit dem Ruf wehrten sich die Demonstranten und betonten, sie seien das "Volk" - und keine "Rowdies".

"Ruf der Selbstermächtigung"

Ex-Bundestagspräsident Thierse betont, "Wir sind das Volk" sei ein "Ruf der Selbstermächtigung" gewesen. "Es war der Ausruf der bisher unterdrückten, gegängelten, ängstlichen Ostdeutschen, die in der Diktatur nie die Chance hatten, Souveränität und Selbstverantwortung zu entwickeln."

Der Unterschied zu den Rufen heute liege in der Betonung, sagt Richard Schröder, der 1990 Fraktionsvorsitzender der SPD in der frei gewählten Volkskammer wurde. Heute liege die Betonung auf dem "Wir". "Wer ruft 'wir' sind das Volk, irrt sich entweder, oder er täuscht uns", sagt er.

Die AfD begründet nach Schröders Meinung die Verwendung der Parole mit drei Argumenten: Erstens befolge die Regierung nicht den Volkswillen in Sachen Migration. Zweitens sage die AfD, die Medien verharmlosten Probleme mit Migranten. Drittens gebe es keine Meinungsfreiheit mehr, weil man nicht mehr sagen könne, was man wolle, ohne gleich als Nazi oder Rassist beschimpft zu werden.

"Systematischer Missbrauch von Aufbruchsgefühlen"

Die beiden ehemaligen DDR-BürgerThierse und Schröder halten eine solche Instrumentalisierung der Parole für gefährlich. Die AfD knüpfe damit an emotionsgeladene Erinnerungen vom Herbst 1989 an. Thierse spricht von einem "systematischen Missbrauch von Aufbruchsgefühlen", der mit der Unterstellung einhergehe, die Bundesrepublik Deutschland sei eine DDR 2.0.

Schröder spricht von "Revolutionsromantik". Die AfD vermittele den Menschen den Eindruck, sie wären genauso mutig wie 1989, wenn sie jetzt AfD wählten. Wenn die AfD in Sachsen in Umfragen knapp 25 Prozent erreiche, könne man noch nicht von einer Mehrheit sprechen. "Das ist nicht der Beweis dafür, dass der Osten politisch nach rechts gerückt ist, sondern der Beweis, dass der Osten politisch ziemlich zerstückelt ist."

Deutschland als Unrechtsstaat darzustellen, sei "eine Verharmlosung der DDR-Diktatur", sagt Thierse, und zugleich eine Verkennung der Bundesrepublik Deutschland: "Sie ist so frei und demokratisch, dass in ihr auch eine AfD agieren und sich entfalten kann."

Von Franziska Hein (epd)


Psychologen der Uni Münster fördern kulturelle Kompetenz von Schülern

Psychologen der Universität Münster fördern in einem EU-Projekt die kulturelle Kompetenz von Schülern. Ab September wird gleichzeitig in sieben Ländern ein Programm zur Förderung der kulturellen Kompetenz umgesetzt, wie die Universität Münster am 20. August mitteilte. Interessierte Lehrkräfte der Klassenstufen eins, drei, vier, acht und neun seien eingeladen, mit ihren Schülern daran teilzunehmen.

Die Schülerinnen und Schüler sollen die Fähigkeit entwickeln, unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen, sich in andere hineinzuversetzen und zu argumentieren, erläuterte Benjamin Brummernhenrich, Psychologe an der Uni Münster. Als Unterrichtsmaterial dienen den Angaben nach speziell ausgewählte Bilderbücher und Filme, die auf jede teilnehmende Altersklasse zugeschnitten sind. Zum Abschluss können sich alle Kinder und Jugendlichen auf einer Online-Plattform mit Schülern aus anderen Ländern austauschen.

Die Lehrer erhalten den Angaben zufolge zunächst eine Weiterbildung in Form von vier Workshops, die an der Universität Münster stattfinden. Das dort besprochene Unterrichtsprogramm setzen sie dann in ihren Klassen um. Wissenschaftler des Instituts für Psychologie in Bildung und Erziehung der Universität Münster unterstützen sie dabei. Das Projekt läuft bis September 2020.

Das EU-Projekt "DIALLS" (Dialogue and Argumentation for Cultural Literacy Learning in Schools) wurde von Wissenschaftlern und Lehrkräften in vier verschiedenen Ländern seit März 2018 entwickelt, wie die Universität erklärte. Federführend ist die Universität Cambridge. Aus Deutschland sind die WWU und die Humboldt-Universität zu Berlin beteiligt. Die Psychologen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster würden nun mit der Umsetzung ihres Teilprojektes an den Schulen beginnen, hieß es.



Seebrücke Münster startet Bürgerbegehren "Sicherer Hafen"


Demonstranten in Berlin fuer Seenotrettung
epd-bild/Christian Ditsch

Die Initiative Seebrücke in Münster startet ein Bürgerbegehren, um die Stadt zu einem "Sicheren Hafen" für Flüchtlinge zu machen. Ziel der Kampagne sei es, dass sich die Stadt zur zusätzlichen Aufnahme von im Mittelmeer aus Seenot geretteten Menschen bereiterklärt, teilte die Initiative am 20. August mit. Zugleich solle ein Zeichen gegen die Abschottungspolitik der EU gesetzt werden. Der Rat der Stadt Münster hat eine solche Initiative nach Angaben von Seebrücke bereits zweimal abgelehnt. Auftaktveranstaltung für das Bürgerbegehren ist am 28. August.

Fast 90 Städte und Kommunen in ganz Deutschland hätten sich bereits zum Sicheren Hafen erklärt, erklärte Stephan Lütke Hüttmann von der Seebrücke Münster. "Ausgerechnet das weltoffene Münster ist immer noch nicht dabei." Bürger der Stadt könnten und wollten mehr, als die Politik ihnen zutraue.

Die Initiative Seebrücke ist eine soziale Bewegung, die sich mit über 100 lokalen Gruppen bundesweit für sichere Fluchtwege und die kommunale Aufnahme von Menschen einsetzt, die aus Seenot gerettet wurden. Seit Juni 2018 erklärten sich bereits 86 Städte und Gemeinden zu sogenannten Sicheren Häfen. Mitte Juni gründeten 13 dieser Kommunen das Bündnis "Städte Sicherer Häfen". In dem Bündnis sind die nordrhein-westfälischen Städte Krefeld und Detmold vertreten, ebenso wie Berlin, Freiburg, Flensburg, Greifswald, Hildesheim, Kiel, Marburg, Potsdam, Rostock und Rottenburg am Neckar.



Düsseldorf feiert erstes Fest für den Frieden

Die Initiative "Düsseldorfer Appell" hat zum ersten Fest für Frieden, Freiheit und Demokratie in Düsseldorf eingeladen. Zum Weltfriedens- und Antikriegstag am 1. September wollen insgesamt 52 Organisationen Demokratie mit Mitmachaktionen begreifbar machen, wie das Bündnis am 22. August in Düsseldorf ankündigte. Es beteiligen sich unter anderem die Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften. Eröffnen werden das Fest Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) und der Oberbürgermeister der italienischen Partnerstadt Palermo, Leoluca Orlando.

"Wir wollen an diesem Tag froh sein und feiern, dass wir Frieden, Freiheit und Demokratie haben", sagte Ulrich Erker-Sonnabend, Pressesprecher der Veranstaltung. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen durch den Rechtspopulismus wolle man die freie, solidarische und weltoffene Gesellschaft stärken und die einenden humanitären Werte in den Mittelpunkt stellen.

Der Verein "Flüchtlinge willkommen in Düsseldorf" will etwa gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Düsseldorf und dem lokalen Ableger der "Seebrücke" mit den Besuchern des Festes aus Holz eine symbolische Brücke bauen. "Wir wollen weiter dafür kämpfen, dass wir unsere offene Gesellschaft behalten und Düsseldorf ein sicherer Hafen ist", sagte Patrick Schiffer, der stellvertretende Vereinsvorsitzende von "Flüchtlinge willkommen in Düsseldorf". Dazu zähle auch, dass Deutschland für die im Mittelmeer ankommenden Flüchtlinge eine Mitverantwortung trage und Italien nicht allein lassen dürfe.

Von 13 bis 19 Uhr wird es neben den Aktionsständen ein Musik- und Kulturprogramm sowie politische Talkrunden zu den Themen Frieden, Freiheit und Demokratie geben. Am Vorabend des Festes laden der Evangelische Kirchenkreis und die Katholische Kirche Düsseldorf um 18 Uhr zu einem ökumenischen Gottesdienst in die evangelische Neanderkirche in der Düsseldorfer Altstadt ein, um für den Frieden und das Leben in einer weltoffenen und demokratischen Gesellschaft zu danken.



Stadt will Beweise für die "Bielefeld-Verschwörung"

Die Stadt Bielefeld ruft in einem Wettbewerb zu Beweisen für die "Bielefeld-Verschwörung" auf. Auf ihrer Internetseite fordert die Stadt unter dem Motto #Bielefeldmillion "alle geistigen Überflieger dieses Landes dazu auf, uns zu beweisen, dass es Bielefeld wirklich nicht gibt". Als Preis "für den ultimativen Beweis" würden eine Million Euro winken. Teilnehmer könnten Bilder, Videos oder Texte einreichen: Jegliche Art von Beitrag sei erlaubt, nur unumstößlich müssten die Perlen der Weisheit sein. Anlass des Wettbewerbs sei das 25. Jubiläum der "Bielefeld-Verschwörung".

Wenn niemand einen Beweis für die Verschwörungstheorie erbringen könne, "werden wir die Bielefeld-Verschwörung offiziell verabschieden", heißt es weiter. Sollte einem Einsender hingegen tatsächlich die Beweisführung für die Nichtexistenz der westfälischen Stadt gelingen, "werden wir Bielefelder uns auf ewig mit 'unserer Nichtexistenz' abfinden", kündigte die Stadt an.

Jeder eingesandte Beweis werde "auf Herz und Nieren" geprüft, hieß es: "Wir sind uns zu 99,99 Prozent sicher, dass wir jeden Beweis widerlegen können." Immerhin sei in Bielefeld mit seiner Universität und sechs Fachhochschulen für jedes Argumentationsmuster ein Experte zu finden. Kreativität und Witz sollten jedoch belohnt werden. Die besten Einsendungen würden der Öffentlichkeit in regelmäßigen Veröffentlichungen vorgestellt.

Die sogenannte "Bielefeld-Verschwörung" hatte nach Angaben der Stadt ein Kieler Informatikstudent erfunden, der 1994 im Internet seinen satirischen Text veröffentlichte. Darin wurde behauptet, dass es die Stadt Bielefeld nicht gebe und deren angebliche Existenz eine Verschwörung sei. Damit habe sich der Kieler Achim Held über Verschwörungstheorien im Allgemeinen lustig machen wollen, hieß es. Held gehört zu den Unterstützern des Wettbewerbs, den die Stadt gemeinsam mit dem Bielefelder Stadtmarketing ausrichtet.



NRW schiebt Al-Kaida-Terrorist nach Marokko ab

Nordrhein-Westfalen hat einen islamistischen Terroristen nach Marokko abgeschoben. Der Kopf der "Düsseldorfer Zelle" der Terrororganisation Al-Kaida sei in der vergangenen Woche in seine Heimat zurückgebracht worden, teilte Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) am 21. August in Düsseldorf mit. Der Mann war 2014 vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Planung eines Sprengstoffanschlags zu neun Jahren Haft verurteilt worden.

Nach der Verbüßung von mehr als acht Jahren Untersuchungs- und Strafhaft sei er nun zurückgeführt worden, hieß es. NRW habe in diesem Jahr bereits sieben Gefährder abgeschoben und stehe damit bundesweit an der Spitze, erklärte Stamp. Insgesamt gab es in diesem Jahr nach seinen Angaben bisher 3.493 Abschiebungen.

Der FDP-Politiker kritisierte jüngste Äußerungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu Abschiebungen. Er halte nichts davon, wenn Seehofer "in Interviews ankündigt, wen er alles des Landes verweisen will, aber klar ist, dass das rechtlich gar nicht geht", sagte Stamp der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Donnerstag). "Man gewinnt kein Terrain in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten, wenn man Erwartungen schürt, die man selbst nicht halten kann."

Seehofer hatte sich in der "Bild am Sonntag" für die Abschiebung von Asylbewerbern aus Syrien ausgesprochen, die nach ihrer Flucht regelmäßig aus privaten Gründen in ihr Heimatland zurückkehren. Für Syrien gilt seit Jahren ein Abschiebestopp, der immer wieder verlängert wurde. Die aktuelle Verlängerung gilt bis Ende dieses Jahres.

Am Mittwoch trat das "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" in Kraft. Es verschärft die Regelungen zur Ausreise oder Abschiebung abgelehnter Flüchtlinge. Behörden und Polizei haben nun mehr Möglichkeiten, Rückführungen und Abschiebungen durchzusetzen.



"Geordnete-Rückkehr-Gesetz" für mehr Abschiebungen in Kraft getreten

Die Verschärfungen zur Ausreise oder Abschiebung von abgelehnten Flüchtlingen sind am 21. August in Kraft getreten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte in Berlin, einer Pflicht zur Ausreise müsse auch die tatsächliche Ausreise folgen: "Mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz setzen wir dies konsequent um", erklärte Seehofer.

Das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht war Anfang Juni im Rahmen eines Pakets von Gesetzen zur Migration im Bundestag verabschiedet worden. Es gibt den Behörden und der Polizei mehr Möglichkeiten, Rückführungen und Abschiebungen durchzusetzen. Da diese häufig an fehlenden Papieren scheitern, müssen Asylbewerber künftig bei der Klärung ihrer Identität mitwirken. Tun sie das nicht, erhalten sie nur noch eine "Duldung für Personen mit ungeklärter Identität", die mit Nachteilen verbunden ist wie einem Arbeitsverbot und Leistungskürzungen.

Die Unterbringung von Flüchtlingen in zentralen Aufnahmestellen, den sogenannten Ankerzentren, wird auf 18 Monate verlängert, und die Ausweisung von Straftätern erleichtert. Außerdem werden die Gründe für eine Abschiebehaft ausgeweitet. Weil es nach Ansicht der Koalition zu wenige Haftplätze gibt, dürfen Abschiebe-Gefangene in den kommenden drei Jahren auch in normalen Gefängnissen untergebracht werden.

Der Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren befürchtet mehr Inhaftierungen von Flüchtlingen. Das Gesetz erweitere die Haftgründe so umfangreich, dass praktisch jeder Geflüchtete inhaftiert werden könne, kritisierte der Sprecher des Vereins, Frank Gockel in Detmold. Die Haftbedingungen, die sich bisher schon verschlechtert hätten, würden zunehmend dem Prinzip Sicherheit und Ordnung unterliegen. "Betreuung, Fürsorge und Beratung treten mehr und mehr in den Hintergrund", monierte der Verein.



Polizei Köln will Beamten wegen antisemitischer Äußerungen entlassen

Eine per Smartphone verschickte Nachricht mit antisemitischem Inhalt sorgt bei der Kölner Polizei für Wirbel. Ein Beamter soll ein Bild von Adolf Hitler und einen judenfeindlichen Spruch verbreitet haben. Dem Mann droht nun der Rauswurf.

Die Kölner Polizei will einen Polizisten mit offenbar rechtsextremistischer Gesinnung entlassen. Der Beamte soll ein Bild von Adolf Hitler und einen judenfeindlichen Spruch per Smartphone verbreitet haben, sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Köln am 23. August dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er bestätigte damit einen Bericht des "Kölner Stadt-Anzeigers". Bislang ist der Mann noch nicht suspendiert, Polizeipräsident Uwe Jacob hat die Freistellung des Bezirksdienstbeamten aber beantragt.

"Als ich davon erfahren habe, habe ich sofort ein förmliches Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Entlassung eingeleitet", sagte Jacob dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Die Verbreitung solcher volksverhetzender Bilder ist für mich völlig inakzeptabel und schädigt den guten Ruf der Polizei Köln." Die Polizei Köln dulde keinen Rassismus in ihren Reihen, betonte der Polizeipräsident.

Der Beamte soll dem Bericht zufolge die Nachricht zuvor selbst geschickt bekommen und dann weitergeleitet haben. Die Polizei habe davon im Rahmen anderer Ermittlungen gegen den Mann eher zufällig Kenntnis bekommen. Nähere Einzelheiten zu dem Mann nannte der Polizeisprecher aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht. Aus Gründen der Neutralität übernahm das Polizeipräsidium Bonn die weiteren Ermittlungen, auch die Staatsanwaltschaft Köln wurde eingeschaltet.



"Blumen für Stukenbrock" gedenkt der Opfer der NS-Zeit


Gedenken auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof in Stukenbrock-Senne
epd-bild/Reinhard Elbracht

Der friedenspolitische Arbeitskreis "Blumen für Stukenbrock" erinnert am 7. September mit einer Gedenkveranstaltung auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof Stukenbrock-Senne an die Opfer des Nationalsozialismus. Mit dem verbrecherischen Krieg, der mit dem deutschen Überfall im Jahr 1939 auf Polen begann, habe auch der Leidensweg der Kriegsgefangenen des Stalag 326 in Stukenbrock Senne begonnen, erklärte der Arbeitskreis am 23. August. Die Gedenkrede werde der Schauspieler und Gewerkschafter Rolf Becker halten.

Während es zu Recht in Berlin ein Mahnmal für die ermordeten Juden gebe, gebe es jedoch bis heute kein nationales Denkmal für die ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen, kritisierte der Verein. Der Arbeitskreis begrüße daher die Initiativen von Bürgern mit Unterstützung Politik und Wissenschaft aus der Region zur Schaffung einer Gedenkstätte von nationaler Bedeutung in Stukenbrock. Damit entstünden neue Chancen, sich mit den Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen und den Verbrechen in der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Auch die Versäumnisse der Nachkriegszeit sollten thematisiert werden.

Auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof liegen nach Angaben der Initiative mehr als 65.000 sowjetische Opfer. Das Kriegsgefangenenlager Stalag 326 wurde am 2. April 1945 durch die US-Armee befreit. Der vor rund 50 Jahren gegründete Arbeitskreis "Blumen für Stukenbrock" pflegt das Andenken an die auf dem Soldatenfriedhof begrabenen Opfer der NS-Diktatur.




Soziales

Karlsruhe: Mietpreisbremse verstößt nicht gegen das Grundgesetz


Wohnraum in den Städten fehlt: Neubauprojekt in Mannheim
epd-bild/Leonie Mielke
Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass die Mietpreisbremse nicht gegen das Eigentumsrecht und die Vertragsfreiheit verstößt. Es sei vielmehr im öffentlichen Interesse, der Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken.

Die Mietpreisbremse ist nicht verfassungswidrig. Zwei Tage, nachdem Union und SPD sich auf eine Verlängerung bis 2025 verständigt haben, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am 20. August in Karlsruhe veröffentlichten Beschluss, dass die Regelung weder das Eigentumsrecht, noch die Vertragsfreiheit und auch nicht den allgemeinen Gleichheitssatz verletze. (AZ: 1 BvL 1/18, 1 BvL 4/18 und 1 BvR 1595/18). Während die SPD sich in ihrem Eintreten für Mieterrechte bestätigt sah, wiesen Politiker der Union auf die Grenzen der Mietpreisbremse hin.

Die 2015 in Kraft getretene Mietpreisbremse gibt den Bundesländern die Möglichkeit, in Regionen mit besonders angespanntem Wohnungsmarkt die Mieterhöhungen zu begrenzen. Es darf dann bei Neuvermietungen die Miete nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Ausgenommen sind Neubauten und Wiedervermietungen nach einer umfassenden Sanierung.

"Im öffentlichen Interesse"

Dem Bundesverfassungsgericht lagen Fälle aus Berlin vor. In Berlin gilt die Mietpreisbremse seit Juni 2015 für das gesamte Stadtgebiet. In zwei der verhandelten Fälle hatte das Verwaltungsgericht Berlin die Landesvorschriften für verfassungswidrig angesehen. Das Gesetz greife unzulässig in die Vertragsfreiheit ein. Vermieter in verschiedenen Regionen würden zu Unrecht ungleich behandelt. Das Eigentumsgrundrecht werde unzulässig beschränkt.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass mit der Mietpreisbremse das Eigentumsgrundrecht beschränkt werden darf: "Es liegt im öffentlichen Interesse, der Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus stark nachgefragten Stadtteilen entgegenzuwirken", heißt es in dem Karlsruher Gerichtsbeschluss. Die Regulierung sei geeignet, "Preisspitzen auf angespannten Wohnungsmärkten" abzuschneiden.

Die Preisbremse sei für Vermieterinnen und Vermieter zumutbar. Diese müssten ohnehin mit häufigen Gesetzesänderungen im Mietrecht rechnen und könnten nicht auf den Fortbestand einer ihnen günstigen Rechtslage und auf die Erzielung höchstmöglicher Mieteinnahmen vertrauen. Dauerhafte Verluste seien für Vermieter durch die Mietpreisbremse nicht zu erwarten.

Auch das Gleichheitsgebot werde nicht verletzt. Eine etwaige Ungleichbehandlung von Vermietern sei wegen der verfolgten Ziele, der Verdrängung einkommensschwacher Mieter Einhalt zu gebieten, "verfassungsrechtlich gerechtfertigt", erklärte das Gericht. Der Gesetzgeber habe seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten, weil der Einführung der Preisbremse eine Prüfung durch die Länder vorangehe, die Mietpreisbremse zeitlich begrenzt worden sei und Ausnahmen zugelassen wurden.

Mieterbund fordert Bremse für bestehende Verträge

Der Vermieterverband "Haus & Grund" schloss daraus, dass die gerade beschlossene Verlängerung "verfassungsrechtlich ausgeschlossen" sei. Demgegenüber erklärte die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), die Koalition könne sich mit der Entscheidung aus Karlsruhe "in der befristeten Verlängerung der Mietpreisbremse bestätigt sehen". Die Verfassungsrichter hätten deutlich gemacht, dass sie als befristete Ausnahme in verhältnismäßiger Weise eingesetzt werden könne.

Auch der Berliner Unions-Bundestagsabgeordnete und Wohnungsmarkt-Experte Jan-Marco Luczak (CDU), begrüßte das Urteil. Die Regulierung des Wohnungsmarkts sei berechtigt, dürfe aber nicht überzogen werden, damit sie vor den Verfassungsrichtern Bestand habe. Die SPD sah ihre Politik für bezahlbaren Wohnraum bestätigt. Der kommissarische Parteivorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel erklärte, die Richter hätten unterstrichen, dass sozialer Zusammenhalt auf dem Wohnungsmarkt ein öffentliches Interesse sei. Staat und die Kommunen dürften regulierend eingreifen.

Die Grünen forderten nach dem Urteil eine Begrenzung auf Mieterhöhungen von fünf Prozent über der Vergleichsmiete. Der Mieterbund erneuerte seine Forderung nach einer wirksamen Bremse auch für bestehende Mietverträge.



Beschlüsse des Koalitionsausschusses zu Wohnen und Mieten

Union und SPD haben sich im Koalitionsausschuss auf weitere Schritte gegen steigende Mieten und fehlenden Wohnraum verständigt, wie Bauminister Horst Seehofer (CSU) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) im Anschluss mitteilten. Die Eckpunkte:

- Die Mietpreisbremse wird um fünf Jahre bis 2025 verlängert. Künftig sollen die Mieter zudem zu viel gezahlte Miete zweieinhalb Jahre rückwirkend zurückbekommen. Bisher hängt das davon ab, wann sie den Verstoß gegen die Mietpreisbremse beim Vermieter gerügt haben. Die Mietpreisbremse wurde 2015 eingeführt. Seitdem können die Bundesländer Gebiete ausweisen, wo die Miete bei Neuvermietungen nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf.

- Für bestehende Mietverhältnisse ändert sich nichts. Der Mieterbund sieht darin eines der Hauptprobleme.

- Mietspiegel sollen künftig sechs statt vier Jahre gelten. Das bedeutet, die ortsübliche Vergleichsmiete, an der sich auch die Mietpreisbremse orientiert, steigt langsamer. Der Mieterbund fordert, dass der Mietspiegel mindestens die Mietpreise der zurückliegenden acht Jahre einbeziehen muss, um die Preisspirale nach oben zu verlangsamen.

- Die Maklerkosten sollen sich Verkäufer und Käufer von Häusern und Wohnungen künftig teilen. Bisher zahlen die Käufer allein. Die SPD wollte eigentlich das Bestellerprinzip, das schon bei Vermietungen gilt, auch für Verkäufe einführen.

- Bis zum Ende des Jahres will die Bundesregierung ein Gesetz vorlegen, durch das die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen erschwert werden soll.

- Die Wohnungsbauprämie soll attraktiver werden. Nach Angaben des Bauministeriums wird sie zu wenig genutzt. Die Anfang der 1950er Jahre eingeführte Wohnungsbauprämie ist ein Zuschuss an Haushalte mit geringen Einkommen, die auf den Erwerb oder Bau von Wohneigentum sparen.

- Die Koalition will Grundstücke aus dem Bundeseisenbahnvermögen billiger machen, um es Kommunen für sozialen Wohnungsbau anbieten zu können. Dafür wird eine schon bestehende Regelung erweitert. Mit der Bahn AG will der Bund darüber verhandeln, ob sie weiteres Land zum Wohnungsbau abgibt.

- Für den Bau bezahlbarer Mietwohnungen sollen Brachflächen reaktiviert werden, also beispielsweise die Beseitigung von Altlasten bezuschusst werden. Die Finanzierung steht unter Haushaltsvorbehalt.

- Das Baugesetzbuch soll überarbeitetet werden. Die Kommunen sollen dadurch leichter Baulücken schließen und auf dem Land neue Wohngebiete am Rand von Orten und Dörfern begründen können.

Von Bettina Markmeyer (epd)


Intensivpflege: Spahn weist Vorwurf der Zwangseinweisung zurück


Künstlich beatmeter Patient (Archivbild)
epd-bild / Werner Krueper

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat Kritik von Patienten an seinem Entwurf für ein Intensivpflegestärkungsgesetz zurückgewiesen und seine Pläne präzisiert. "Es geht um diejenigen, die 24 Stunden, sieben Tage die Woche Intensivpflege brauchen und in der Regel nicht selbst entscheiden, wie sie gepflegt werden. Wachkoma-Patienten zum Beispiel", sagte er am 22. August in der ARD. Es gehe ausdrücklich nicht um Zwangseinweisungen. Die Linksfraktion warf Spahn vor, einen missverständlichen Entwurf vorgelegt zu haben. Der Verein UNgehindert ruft für Freitag zu einer Protestaktion von dem Ministerium auf.

Spahn war in die Kritik geraten, weil sein Gesetzentwurf für ein Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) laut Selbsthilfegruppen zu einer fast ausnahmslosen Unterbringung von Beatmungspatienten in Kliniken und spezialisierten Pflegeheimen führe.

Entwöhnung unterbleibt

Der Minister stellte in der ARD jedoch klar: "Wer hauptsächlich von Angehörigen gepflegt wird, wer eine Assistenz hat, um all diese Menschen geht es nicht. Es geht auch nicht um all diejenigen, die am sozialen Leben teilnehmen können." Kinder und Jugendliche dürften grundsätzlich zu Hause bleiben. Betroffen seien auch nicht die vielen Patienten, die auf tragbare Sauerstoffgeräte angewiesen seien, sagte er.

Weiter erläuterte Spahn sein Ziel, die Pflegequalität auf diesem Feld der Intensivpflege zu verbessern. Er verwies auf eine wachsende Zahl von Pflegewohngemeinschaften, in denen mobile Pflegedienste gegen Bezahlung und nicht die Annhörigen die Betreuung der Beatmungspatienten übernähmen. "Hier kann der Medizinische Dienst der Krankenkassen die Qualität nicht kontrollieren", sagte er. Das müsse im Interesse der Patienten anders werden.

60 Prozent der Beatmungspatienten könnten eigentlich von der Beatmung entwöhnt werden, sagte Spahn. Doch diese Entwöhnungsprozesse unterblieben sehr oft, weil die Pflegedienste ein Interesse daran hätten, weiterhin und auf Dauer Vergütung abzurufen. Sein Gesetzentwurf solle auch die Selbstbestimmung der Betroffenen verbessern: "Patienten sollen nicht länger beatmet werden als unbedingt nötig."

"Rudert zurück"

Pia Zimmermann, die Sprecherin für Pflegepolitik der Linksfraktion, sagte, der Protest wirke: "Minister Spahn rudert zurück. Angeblich beträfe das Gesetz nur Patienten mit 24-Stunden-Intensivpflege, die nicht selbst entscheiden können. Aber wenn hunderte Betroffene einen Referentenentwurf anders lesen, ist er einfach schlecht gemacht." Sie forderte eine Überarbeitung der Gesetzesvorlage, die die Selbstbestimmung aller Betroffenen sichert und Ängste ausschließt. "Zur Anhörung im Ministerium am 11. September ist dazu Gelegenheit."



Kirchlicher Friedensverband will Gratis-Bahnfahrten für Freiwillige

Mit Blick auf die Einführung von kostenlosen Bahnfahrten für Soldaten fordert die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) das gleiche Angebot für junge Menschen im Freiwilligendienst. "Es ist unverständlich, warum eine solche Regelung nur für Soldaten gelten soll, zumal es sich hier nicht mehr um Wehrpflichtige handelt", erklärte der Geschäftsführer des evangelischen Friedensverbandes, Jan Gildemeister, am 23. August in Bonn. Er appellierte an Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), "eine solche Ungleichbehandlung schnellstens zu beenden".

Die wichtige Arbeit der Freiwilligendienste habe Anerkennung verdient, betonte Gildemeister. Es seien zumeist junge Menschen, für die die Kosten für Bus und Bahn angesichts des relativ geringen Taschengeldes nicht selten eine hohe Belastung darstellten. Auch der Paritätische Gesamtverband und der Bund Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) hatten Freifahrten für Freiwilligendienstleistende gefordert.

Uniformierte Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr können ab dem 1. Januar 2020 alle Züge der Deutschen Bahn für dienstliche und private Fahrten in der zweiten Klasse kostenfrei nutzen. Dafür zahlt die Bundeswehr eine Pauschale an die Bahn. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte, die Gratisfahrten seien ein "handfester Ausdruck" des Respekts und des Danks, den Soldatinnen und Soldaten für ihren täglichen Einsatz verdienten.



Leben und leiden im Angesicht der Sonne


Obdachlosencamp am Spreebogen in Berlin (Archivbild)
epd-bild/Rolf Zöllner
Bei sommerlichen Temperaturen könnten Obdachlose draußen schlafen, würden nicht erfrieren und hätten es deshalb leichter als im Winter, denken viele. Tatsächlich aber ist die Situation nicht weniger dramatisch als in der kalten Jahreszeit.

Wer wissen will, wie Obdachlosigkeit riecht, der ist an der Bahnhofsmission am Berliner Zoo richtig: Während oben eine S-Bahn über die Gleise rattert, stinkt es unten nach Urin, Erbrochenem, Schweiß, nach menschlichen Ausscheidungen und altem Bier. Die Menschen, die auf diesem Straßenabschnitt heimisch sind, werden bei einem Blick um die Ecke sichtbar. Viele warten vor der Einrichtung der Berliner Stadtmission auf Einlass, um sich mit Nahrung und Wasser zu versorgen oder endlich mal wieder duschen zu können.

Wer glaubt, dass Obdachlosigkeit vor allem im Winter ein Problem ist, der täuscht sich. "Obdachlosigkeit ist 365 Tage im Jahr dramatisch", sagt Lutz Müller-Bohlen, der mit einem Bus der Karuna Sozialgenossenschaft in Berlin unterwegs ist und Wasser an die Straßenbewohner ausgibt. Nicht nur klirrende Kälte lässt Menschen ohne Obdach leiden, sondern auch die Glut der Sonne - der Obdachlose im Sommer oftmals schutzlos ausgeliefert sind. Starke Verbrennungen, Parasiten, Wassermangel und Verletzungen - die Liste der Probleme ist lang.

"Alkohol und pralle Sonne"

Hinzu kommt noch der Konsum von Drogen: "Besonders hart wird es durch die Mischung aus Alkohol und praller Sonne, da viele nicht genügend Wasser trinken. Da wird das Leben auf der Straße schnell lebensbedrohlich", sagt der 57-jährige Projektleiter von Karuna.

Gegenüber der Bahnhofsmission hat Micha es sich mit einem Bier gemütlich gemacht. Zusammen mit einem zahnlosen älteren Mann, der selbst nicht spricht, sondern Michas Äußerungen nur mit einem zustimmenden Nicken begleitet, beobachtet er das trostlose Treiben vor der Hilfseinrichtung und beschwert sich energisch: "Die Stadt müsste mehr Schlafplätze bereitstellen und ich würde mir wünschen, dass die Leute nicht nur an uns vorbeigehen und uns einfach liegen lassen."

Der 39-Jährige, der durch sein vom harten Leben auf der Straße gezeichnetes Gesicht zehn Jahre älter aussieht, berichtet, wie problematisch es ist, dass es im Sommer weniger Plätze in Notunterkünften gibt als im Winter. Alleine könne man es draußen nicht schaffen, weil man sonst beklaut oder zusammengeschlagen werden werde. Während der eine schlafen könne, müsse ein anderer Wache halten.

Für Dieter, Ex-Obdachloser und Stadtführer beim Verein "querstadtein", waren die grassierenden Krankheiten und das ganze Ungeziefer das Schlimmste am Sommer. Flöhe, Wanzen und Ratten seien die typischen Mitbewohner auf der Straße. Offene Beine und Wunden, die sich unter den Schichten durchgeschwitzter Kleidung verbergen und aufgrund der schweißtreibenden Bedingungen auch nur schlecht verheilen würden, seien ein alltägliches Problem: "Dagegen sind die Erfrierungen im Winter noch harmlos", sagt Dieter.

Geheimtipp Parkhaus

"Querstadtein" bietet Touren an, auf denen ehemalige Obdachlose die Orte zeigen, an denen sie sich aufgehalten haben. Dieters Route beginnt am Eingang des Bahnhofs Zoo, führt über die Hardenberg- und Kantstraße bis zum Bahnhof Charlottenburg. Sechs seiner damaligen Freunde, mit denen er diese Strecke regelmäßig im Sommer abging, seien inzwischen tot, sagt der 50-Jährige.

Er verrät, wo er sich mit Wasser versorgte: "Mein Geheimtipp sind Parkhäuser - da sind immer Wasserhähne zu finden. Oder Tankstellen: Da sagt keiner nein, wenn man Wasser abzapfen will." Ansonsten sei Wasser auf der Straße aber Mangelware.

Karuna versucht mit den Wasserfahrten zu helfen, doch es müsse noch viel mehr passieren, auch wenn die Berliner Wasserbetriebe schon über 70 Brunnen in der Stadt aufgestellt hätten, sagt Müller-Bohlen. Es bräuchte mehr bürgerschaftliches Engagement und freie Flächen, wo Obdachlose sich aufhalten könnten und Zugang zu hygienischen Einrichtungen und Trinkwasser hätten, erklärt der Karuna-Projektleiter: "Jeder kann mehr machen, als nur den Kleiderschrank nach alten Klamotten zu durchsuchen."

Von Cornelius Pape (epd)



Medien & Kultur

Tod in der "Schattenstunde"


Dreharbeiten zu dem Fim "Schattenstunde"
epd-bild/Nicole Boehm/Herbsthund Filme
Die Nazis trieben ihn und seine Familie in den Tod: Ein Spielfilm über den evangelischen Schriftsteller und Liederdichter Jochen Klepper thematisiert Suizide von christlich-jüdischen Familien in der NS-Zeit. 2020 soll er ins Kino kommen.

"Wer hier Jude ist oder nicht, das entscheide ich", blafft Adolf Eichmann an seinem Schreibtisch, hinter ihm an der Wand hängt eine große Hakenkreuzfahne. Vor ihm sitzt stocksteif ein Mann, er zuckt und sinkt auf seinem Stuhl zusammen. Großaufnahme: Jochen Klepper reißt die Augen entsetzt auf, ihr Ausdruck ist leer. Der Ausreiseantrag für seine jüdische Ehefrau Johanna und deren Tochter Renate ist abgelehnt. Wenige Stunden später begehen der evangelische Schriftsteller und Liederdichter und seine Lieben in der Berliner Wohnung Suizid.

Drehszene für den Kinofilm "Schattenstunde" über die letzten Stunden im Leben Jochen Kleppers (1903-1942) und seiner Familie. Wie viele andere christlich-jüdische Familien während der Hitler-Diktatur wurde sie von den Nationalsozialisten am 11. Dezember 1942 in den Suizid getrieben.

Ein bisher wenig beachteter Aspekt

Im ehemaligen Stadtarchiv im Speyerer Rathaus nimmt der Speyerer Filmemacher Benjamin Martins mit seinem Team eine Schlüsselszene des Films auf, der im Herbst 2020 ins Kino kommen soll. Die beiden Hauptdarsteller Christoph Kaiser (Klepper) und Dirk Waanders (Eichmann) zeigen mit Eindringlichkeit, wie ein Mensch unter ungeheurem psychischen Druck zusammenbricht, wie er den Lebensmut verliert.

"Schattenstunde" beruht auf den Tagebuchaufzeichnungen Kleppers, sagt der 34-jährige Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Martins. Mit seinem kammerspielartigen Film will er einen bisher wenig beachteten Aspekt des nationalsozialistischen Judenmords beleuchten. Tausende Menschen, die laut Nazijargon in "Mischehe" lebten, hätten aus Verzweiflung und Angst vor Trennung Suizid begangen. "An sie wird auf den Gedenktafeln nicht erinnert", beklagt Martins.

Klepper sei "kein Held" gewesen

Zwei Jahre lang beschäftigte er sich mit der Lebensgeschichte des Pfarrersohns Klepper, der im niederschlesischen Beuthen zur Welt kam. Seine Lyrik ist in Gesangbücher und Liedersammlungen eingegangen. Im Evangelischen Gesangbuch stehen 13 seiner Lieder, im katholischen sechs. Klepper-Dichtungen wie "Er weckt mich alle Morgen", das Adventlied "Die Nacht ist vorgedrungen" und "Der du die Zeit in Händen hast" werden bis heute in Kirchengemeinden gesungen.

Die Nazis drohten ihm mit Zwangsscheidung und der Deportation seiner kleinen Familie, weil er sich von seiner Frau nicht trennen wollte. Fasziniert an der Rolle der Hauptfigur hat den Darsteller Christoph Kaiser aus Heidelberg besonders "die Konsequenz, mit der er seinen Weg gegangen ist". Klepper, der nach seinem Studium der evangelischen Theologie auch als Journalist arbeitete, sei "kein Held" gewesen, sagt der 56-Jährige in einer Pause am Filmset. Wie viele Deutsche habe Klepper zunächst versucht, sich mit dem Naziregime zu arrangieren.

Äußerer Druck könne Menschen zerstören

In eine existenzielle Situation geriet Klepper jedoch nach dem Treffen mit SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, dem Organisator des Holocaust: Der Fluchtweg für ihn und seine Familie war versperrt. Als gläubiger Christ quälte ihn die Frage der Schuld vor Gott, wenn er Suizid beginge. "Als Familienvater frage ich mich, wie ich selbst gehandelt hätte", sagt der Schauspieler Kaiser. Auch heute könne äußerer Druck Menschen zerstören, wenn etwa Asylsuchende abgeschoben würden.

Die Bildästhetik des Films gibt die Verzweiflung und wachsende innere Enge der Figuren wider. Gefilmt wird im ungewöhnlichen Quadratformat, erzählt der Regisseur Martins, dessen Team 42 Techniker, 15 Schauspieler und 43 Komparsen umfasst. Der Projektetat belaufe sich auf 100.000 Euro. Nach seiner Kinolaufzeit möchte er den Film seiner Firma "Herbsthundfilme" auch Jugendlichen in Schulen, Vereinen und Kirchengemeinden zeigen. Das Leid der jüdisch-christlichen Familien, die gemeinsam Suizid begangen hätten, dürfe nicht vergessen werden: "Man muss den vergessenen Menschen ihren Namen zurückgeben."

Von Alexander Lang (epd)


Jury nominiert 20 Romane für Deutschen Buchpreis 2019

Die Jury des Deutschen Buchpreises hat 20 Romane in die engere Wahl genommen. Der Jurysprecher Jörg Magenau lobte am 20. August in Frankfurt am Main die Vielfalt der Themen und den stilistischen Reichtum. "Gesellschaftsanalyse und Geschichtsforschung, Paranoia und Fantasie, Wunsch und Welterkundung von Kalifornien über die deutsche Provinz bis in den Kaukasus haben darin Platz", sagte er. Besonders erfreulich sei, dass es so viele gelungene Debüts zu entdecken gab. Der mit 25.000 Euro dotierte Preis wird am 14. Oktober im Frankfurter Rathaus Römer verliehen.

Die sieben Jurymitglieder sichteten 203 Titel, die zwischen Oktober 2018 und dem 17. September 2019 erschienen sind oder erscheinen werden. Zu der Auswahl gehören die Werke von Nora Bossong ("Schutzzone"), Karen Köhler ("Miroloi"), Alexander Osang ("Die Leben der Elena Silber") und Eva Schmidt ("Die untalentierte Lügnerin"). Auch Marlene Streeruwitz ("Flammenwand"), Sasa Stanisic ("Herkunft") und Ulrich Woelk ("Der Sommer meiner Mutter") sind vertreten. Jeder deutschsprachige Verlag konnte maximal zwei Titel einsenden, darüber hinaus gaben die Verlage eine Empfehlungsliste von 104 Romanen an, aus der die Jury weitere Titel anfordern konnte.

Preisverleihung auf Buchmesse

Der Jury gehören neben dem freien Literaturkritiker Magenau an: Petra Hartlieb (Hartliebs Bücher, Wien), Hauke Hückstädt (Literaturhaus Frankfurt am Main), Björn Lauer (Hugendubel Frankfurt), Alf Mentzer (Hessischer Rundfunk), Daniela Strigl (Literaturwissenschaftlerin) und Margarete von Schwarzkopf (Autorin und Literaturkritikerin). Im nächsten Schritt wählen die Juroren aus den Titeln der Longlist sechs Romane für die Shortlist aus, die am 17. September veröffentlicht wird. Erst am Abend der Preisverleihung erfahren die sechs Autorinnen und Autoren, an wen von ihnen der Deutsche Buchpreis geht. Die fünf übrigen Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro.

Mit dem Deutschen Buchpreis zeichnet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit 2005 jährlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse den besten deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Im vergangenen Jahr wurde der Roman "Archipel" von Inger-Maria Mahlke ausgezeichnet.



Eifrigste Buchkäufer im Rhein-Main-Gebiet

Die eifrigsten Buchkäufer Deutschlands leben nach wie vor im Rhein-Main-Gebiet. Am meisten Geld für Bücher gaben im vergangenen Jahr die Bürger von Bad Homburg vor der Höhe mit 165 Euro pro Kopf aus, wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main mitteilte. Auf Platz zwei landeten die Bürger von Bad Soden am Taunus, die Bücher für durchschnittlich 160 Euro pro Kopf erwarben. Am drittmeisten gaben die Starnberger bei München mit 158 Euro pro Kopf aus. Erhoben wurden die Daten vom Markforschungsunternehmen Nexiga.

Am wenigsten brachten der Berechnung zufolge die Bürger von Eisleben in Sachsen-Anhalt und Ilmenau in Thüringen für Bücher auf, jeweils durchschnittlich 82 Euro pro Kopf. Deutschlandweit zeigt sich bei den Buchkäufen ein Gefälle ähnlich der Verteilung der Kaufkraft insgesamt. Am meisten Geld für Bücher wird in den Ballungsräumen ausgegeben, außer um Frankfurt und München auch um Hamburg, Düsseldorf und Stuttgart.

Dabei gibt es weiterhin ein Ost-West-Gefälle: Die Bürger in den östlichen Bundesländern gaben im Durchschnitt weniger Geld für Bücher aus. Hier ragte im Wesentlichen der Speckgürtel um Berlin mit Potsdam über den Bundesdurchschnitt hinaus. Jedoch habe sich die Kaufkraftschere zwischen Ost und West "ein Stückchen weiter geschlossen".

Frauen lesen häufiger

Nicht nur die Regionen, auch die Geschlechter machen beim Buchkauf einen großen Unterschied. 64 Prozent der Frauen (2017: 66 Prozent) haben nach einer Allensbacher Marktanalyse im vergangenen Jahr Bücher gekauft, bei den Männern waren es 48 Prozent (2017: 51 Prozent). Bei der Leselust ist der Geschlechterunterschied größer: 39 Prozent der Frauen greifen täglich oder mehrmals in der Woche nach einem Buch, aber nur 23 Prozent der Männer.

Einen noch größeren Unterschied beim Buchkauf macht die Schulbildung aus: 38 Prozent der Bürger mit Hauptschule (2017: 41 Prozent) haben im vergangenen Jahr Bücher gekauft gegenüber 77 Prozent mit Abitur (2017: 78 Prozent). Mehrmals in der Woche lesen von den Bürgern mit Hauptschulabschluss 21 Prozent, bei den Bürgern mit Abitur waren es 48 Prozent.

Dagegen spielt die Höhe des Einkommens eine geringere Rolle beim Buchkauf, und bei der Leselust ist kaum ein Unterschied zwischen Arm und Reich festzustellen. Während Bürger mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1.000 Euro zu 30 Prozent (2017: 32 Prozent) mehrmals in der Woche lesen, sind dies 34 Prozent (2017: 36 Prozent) bei denjenigen mit einem Nettoeinkommen über 3.000 Euro.



Neues Musical "Bethlehem" von Dieter Falk und Michael Kunze

Die Autoren und Produzenten Michael Kunze und Dieter Falk arbeiten an einem neuen Musical. Nach den erfolgreichen Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" entwickeln der Autor Kunze und der Komponist Falk ein Chormusical mit dem Titel "Bethlehem", wie die Evangelische Kirche im Rheinland als Kooperationspartner am 19. August in Düsseldorf mitteilte. Am 2. September wollen Falk und Kunze das Projekt im ISS Dome in Düsseldorf erstmals der Öffentlichkeit vorstellen.

Zuvor hatten der Autor und der Komponist in dem Pop-Oratorium "Luther" das Leben und Wirken des Reformators Martin Luther auf die Bühne gebracht. Nach der Premiere im Jahr 2015 in Dortmund war das Pop-Oratorium im Jahr 2017 zum 500. Reformationsjubiläum in mehreren Städten auf Tour gewesen. Weitere lokale Aufführungen gab es in Kirchen und Stadthallen. Neben Musicalstars, einer Rockband und einem Symphonieorchester standen jeweils auch regionale Chöre mit Tausenden Sängern auf der Bühne. Auch das im Jahr 2011 gestartete Musical "Die 10 Gebote" wurde von mehreren tausend Musikern und Sängern präsentiert.



Gericht: Kündigung von Tanztheater-Intendantin nicht rechtens


Mitglieder des Tanztheaters Pina Bausch aus Wuppertal (Archivbild)
epd-bild / Friedrich Stark
Im Rechtsstreit der früheren Intendantin des Wuppertaler Tanztheaters Pina Bausch, Adolphe Binder, gegen ihren früheren Arbeitgeber hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die Kündigung für unwirksam erklärt.

Das von der Beklagten angeführte angebliche "Fehlverhalten" Binders reiche nicht für eine außerordentlich Kündigung aus, entschied das Landesarbeitsgericht am 20. August. (AZ: 8 Sa 99/19) Mit der Entscheidung bestätigte das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal.

Zugleich wies das Gericht darauf hin, dass über die Rechtmäßigkeit der Abmahnungen gegen Binder durch das Tanztheater Pina Bausch sowie über eine mögliche Weiterbeschäftigung als Intendantin in einem weiteren Teilurteil vermutlich Anfang 2020 entschieden werde. Dann werde auch die Frage des nachzuzahlenden Einkommens geregelt werden.

Der Vorsitzende Richter Alexander Schneider appellierte an die Parteien, miteinander zu sprechen, "um die missliche Lage mit gutem Willen zu bearbeiten." In einem Schlusswort sagte Binder, sie sei es "dem Erbe von Pina Bausch und der Kunst selber schuldig, meine Arbeit am Tanztheater Wuppertal fortzusetzen." Der Vorsitzende Richter riet Binder, darüber nachzudenken, ob eine Rückkehr in ihrem Interesse wäre. Recht zu erhalten und ein gutes Arbeitsverhältnis zu haben, seien zwei Paar Schuhe.

Keine Fehler im Spielplan

Der Arbeitsvertrag galt ab dem 1. Mai 2017 und war auf fünf Jahre befristet. Die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung war darin nicht vorgesehen. Im Juli 2018 kündigte das Tanztheater Binder nach monatelangen Streitigkeiten fristlos. Neben der Kritik an ihrem Spielplan begründete die Einrichtung die Kündigung nach Gerichtsangaben unter anderem damit, dass die Intendantin bei ihrer Einstellung nicht über Streitigkeiten mit ihrem vorherigen Arbeitgeber informiert habe.

Binder wies alle Vorwürfe zurück und bekam im Dezember 2018 vom Arbeitsgericht Wuppertal recht (AZ: 5 Ca 1714/18). Die Richter konnten keine Fehler und Ungenauigkeit im Spielplan erkennen und verwiesen darauf, dass Binder als künstlerische Leiterin selbst darüber entscheide, welche Stücke gespielt würden. Zudem habe sie einen Großteil des Spielplans tatsächlich umgesetzt, erklärte das Gericht. Selbst wenn einige Mitarbeiter Binders Kündigung verlangt hätten, hätte sich das Tanztheater zunächst vermittelnd und schützend vor die Klägerin stellen müssen, urteilten die Richter.

Das Tanztheater wurde von der berühmten Choreografin Pina Bausch (1940-2006) gegründet. Seit knapp einem Jahr hat die Kompagnie mit der Kulturmanagerin Bettina Wagner-Bergelt eine neue künstlerische Leiterin. Im ehemaligen Schauspielhaus Wuppertal soll bis zum Jahr 2026 ein Pina-Bausch-Zentrum entstehen, das das Tanztheater und die Pina Bausch Foundation beherbergen und internationalen Produktionen Raum für Proben und Aufführungen bieten soll.



Paraderäume im Dresdner Schloss rekonstruiert


Restauratoren bei Malerarbeiten
epd-bild/Matthias Rietschel

Die Rekonstruktion der barocken Repräsentationsräume im Dresdner Schloss ist fast abgeschlossen. Das Audienzgemach und das Paradeschlafzimmer seien in etwa dreijährigen Arbeiten in der historischen Fassung von 1719 wiederhergestellt worden, sagte Finanzminister Matthias Haß (CDU) am 20. August in Dresden. Die Räume sind vom 28. September an für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Kosten für das Projekt belaufen sich laut Haß auf rund 35 Millionen Euro, davon habe der Bund zwölf Millionen Euro übernommen.

Die sogenannten Paraderäume ließ der sächsische Kurfürst August der Starke anlässlich der Hochzeit seines Sohnes neu einrichten. Kurprinz Friedrich August heiratete vor 300 Jahren, am 20. August 1719, in Wien die Kaisertochter Maria Josepha von Österreich. Die Hochzeit wurde den gesamten September lang in Dresden gefeiert. In den Paraderäumen wurde die Braut nach ihrer Ankunft in Dresden vom sächsischen Kurfürst empfangen.

Die Räume waren keineswegs private Gemächer, sondern dienten der offiziellen Präsentation. Als Gesamtkunstwerk repräsentierten sie die Festkultur des sächsischen Hofes. Bereits 1922 bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden sie museal genutzt.

Alte handwerkliche Techniken

Die Rekonstruktion einschließlich Paradebett und Thronensemble hatte 2016 begonnen. Etwa 300 Firmen arbeiteten Haß zufolge an dem Projekt mit. Vorausgegangen war eine fast zehnjährige Forschung und Planung. Um eine möglichst authentische Wirkung zu erreichen, kamen längst vergessene oder kaum noch übliche handwerkliche Techniken zum Einsatz.

Anhand von Fotos und Originalskizzen konnten zudem zwei etwa einhundert Quadratmeter große Deckengemälde von Louis de Silvestre (1675-1760) neu geschaffen werden. Wie damals seien die Kunstwerke auf Leinwände gemalt und danach an den Decken befestigt und im Anschluss vollendet worden, hieß es. Der gebürtige Franzose de Silvestre wirkte rund 30 Jahre als Hofmaler in Dresden.

Bei seinem Besuch auf der Baustelle bezeichnete Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) das Schloss als einen "traditionsreichen Ort der sächsischen Geschichte mit Strahlkraft weit über Dresden und Sachsen hinaus". Für den Wiederaufbau sind rund 389 Millionen Euro vorgesehen, 351 Millionen Euro wurden dem sächsischen Finanzministerium zufolge bisher ausgegeben. Entstehen soll ein moderner Museumskomplex. Einige Dresdner Sammlungen wie das Grüne Gewölbe sind seit Jahren schon im Schloss zu sehen.



Aufgeklärt, frei und selbstbewusst


Die Humanistenbibliothek in Selestat im Elsass
epd-bild/Alexander Lang
Sie ist ein nur wenig beachtetes Kleinod im Elsass: Die Humanistenbibliothek in Sélestat macht die geistigen Aufbrüche der Renaissance um 1600 erlebbar. Junge Gelehrte aus ganz Europa kamen zusammen, auf der Suche nach Wahrheit und Wissen.

Andächtige Stille herrscht in den Mauern des ehemaligen Kornhauses. Einige Besucher beugen sich über Schaukästen, die an Schreibpulte mittelalterlicher Mönche erinnern. Aufgeklappt und auf feinem Tuch gebettet liegen darin zahlreiche in Leder gebundene Bücher. Ein besonderer Schatz der vor einem Jahr nach Umbauten wiedereröffneten Humanistenbibliothek im elsässischen Sélestat (Schlettstadt) ist die Wittenberger Ausgabe von Martin Luthers Abhandlung "Von der Freiheit eines Christenmenschen" von 1520. In dem gedruckten Brief an Papst Leo X. legt der Reformator seinen neuen Glauben dar, natürlich auf Latein.

Mit roter Tinte hat Luther selbst handschriftliche Anmerkungen an den Spaltenrand hinzugefügt. Daneben finden sich weitere Vermerke in Schwarz. Sie stammen von dem Philologen, Autor, Übersetzer und Herausgeber Beatus Rhenanus (1485-1547): Für eine 1521 in Basel geplante Neuausgabe korrigierte er grammatische Fehler.

70.000 Bücher und Handschriften

Der gebürtige Schlettstadter Metzgersohn Rhenanus schenkte seiner Heimatstadt kurz vor seinem Tod seine private Sammlung von Schriften und Büchern. Die wertvollen 670 Bände und seine Korrespondenz mit Gelehrten in Europa bilden den Grundstock für die einzige größere Humanistenbibliothek, die vollständig erhalten ist.

Sie zeigt die Geschichte des Humanismus und der Reformation sowie die Entwicklung des Buchdrucks um 1600 am Oberrhein. Seit 2011 ist die Bibliothek im Elsass Unesco-Weltdokumentenerbe. Und doch ist das Kleinod in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt.

Heute zählt die Bibliothek rund 70.000 Bücher und Handschriften. Nach einem 1,4 Millionen Euro teuren Umbau präsentiert sich die zweigeschossige "Schatzkammer der Renaissance" am Oberrhein in modernem Gewand. Neben den ausgestellten Originaldrucken von Bibeln, reformatorischen Schriften, Chroniken und mittelalterlichen Handschriften gibt es auch Computer-Touchscreens. An ihnen können die Besucher in den digitalisierten Seiten kostbarer Werke blättern.

Geburtsort des Weihnachtsbaums

Und im klimatisierten und durch eine Glaswand abgetrennten "Tresor", dem Lesesaal, kann man unter Aufsicht gar einen Blick in berühmte Erstausgaben werfen. Die Bibliothek verwahrt eine von weltweit drei erhaltenen "Taufurkunden" Amerikas - die Kosmographie Martin Waldseemüllers von 1507. In ihr wird erstmals der Name für den neu entdeckten Erdteil vorgeschlagen. Daneben gibt es Werke von Rhenanus' Freund, dem Humanisten Erasmus von Rotterdam, oder ein liturgisches Lesebuch aus der Merowingerzeit im 7. Jahrhundert - das älteste Buch im Elsass.

Ein in der Bibliothek aufbewahrtes Druckwerk macht die 20.000-Einwohner-Stadt Sélestat nach eigenen Angaben sogar zum Geburtsort des Weihnachtsbaums: Ein Eintrag in einem Rechnungsbuch von 1521 erwähnt, dass dem Förster vier Schillinge zu bezahlen sind, damit er ab dem 21. Dezember "dem Sankt-Thomas-Tag die Bäume bewacht".

Die Humanistenbibliothek umfasst auch die ehemalige Pfarrbibliothek mit ihren Beständen der berühmten Lateinschule der einstigen freien Reichsstadt Schlettstadt. Aus ihr gingen im Mittelalter zahlreiche Beamte und Gelehrte hervor. Zwischen den großen geistigen Zentren Europas in Italien und in den Niederlanden bildete der Oberrhein eine Brücke. In Basel, Straßburg und Mainz befanden sich große Buchdruckereien, die das damalige Wissen verbreiteten.

Buchdruck "Motor der Reformation"

"Junge Gelehrte aus ganz Europa tauschten sich aus", sagt der Bibliothekar Laurent Naas. Ihr Bildungsideal sei es gewesen, junge Leute zu aufgeklärten, freien und selbstverantwortlichen Menschen zu erziehen. Dabei besannen sich die sogenannten Humanisten, die über ein europaweites, freundschaftliches Netzwerk verbunden waren, auf die antike Kultur und ihre Sprachen - Latein, Griechisch und Hebräisch. Sie interessierten sich für Naturwissenschaften und übten Kritik an den Dogmen der Kirche und ihren Irrwegen, vor allem dem Ablasshandel.

Dabei strebten die Gelehrten zurück "ad fontes", zu den Quellen der Texte, um sie von Fehlinterpretationen der scholastischen Kleriker des Mittelalters zu reinigen. Sie übersetzten sie neu, erläuterten sie und gaben sie in enger Zusammenarbeit mit Buchdruckern neu heraus. Auch die Bibel wollten die Humanisten in ihrer ursprünglichen Form wiedergeben.

Im frühen 16. Jahrhundert sei der Buchdruck am Oberrhein, auch "ein Motor der Reformation" gewesen, erzählt Bibliothekar Naas. Gerade heute wären in einem auseinanderstrebenden Europa mehr Frauen und Männer vom Schlage eines Beatus Rhenanus nötig, sinniert er: Gebildete Menschen auf der Suche nach Wahrheit und Wissen, "in einem Europa ohne Grenzen".

Von Alexander Lang (epd)


Aus türkischer Haft entlassener Journalist Demirci in Köln empfangen

Der Sozialarbeiter und Journalist Adil Demirci ist nach mehr als einem Jahr Haft in der Türkei von der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) in seiner Heimatstadt empfangen worden. Demirci habe sich als Kölner beispielhaft und unbeugsam für die Demokratie und freie Meinungsäußerung eingesetzt, würdigte ihn Reker am 21. August im Muschelsaal des Historischen Rathauses zu Köln. Trotz massiver Einschüchterung habe er sich nicht brechen lassen. Zugleich rief Reker zu Solidarität mit gesellschaftlichem Engagement auf: "Wer für Mitbestimmung und Demokratie auf die Straße geht, muss dies ohne Angst tun können. Überall auf der Welt."

Demirci äußerte sich dankbar für den Empfang sowie für die Unterstützung während seiner Haftzeit. "Ich bin sehr froh, heute wieder hier zu sein, in Köln, in meiner Heimat", sagte der Journalist. Demirci rief zur weiteren Unterstützung von inhaftierten Studenten, Journalisten und Akademikern in der Türkei auf. Sie benötigten die Solidarität aus dem Westen und aus Deutschland.

Demirci war im April 2018 in Istanbul festgenommen worden, weil ihm vorgeworfen wurde, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. Seit Mitte Februar befand sich der Sozialwissenschaftler auf freiem Fuß, durfte aber erst am 17. Juni zur Beerdigung seiner Mutter ausreisen.

Demirci ist Mitarbeiter des Internationalen Bundes (IB) in Remscheid, wo er junge Menschen bei der Integration in Deutschland berät. Der IB habe während seiner Abwesenheit seinen Arbeitsvertrag entfristet und das Gehalt weitergezahlt, teilte die Organisation am Mittwoch mit.



Von der Heydt-Museum widmet sich Else Lasker-Schüler

Das Von der Heydt-Museum in Wuppertal zeichnet ab dem 6. Oktober das Leben der Dichterin und Künstlerin Else Lasker-Schüler (1869-1945) nach. Die Schau "Else Lasker-Schüler, 'Prinz Jussuf von Theben' und die Avantgarde" folgt der jüdischen Lyrikerin von Wuppertal über Berlin in die Schweiz und schließlich bis nach Palästina, wohin sie vor den Nazis flüchtete, wie die Stadt Wuppertal am 20. August ankündigte. Rund 200 Werke präsentieren ihr dichterisches und künstlerisches Werk. Auch den Einflüssen anderer Künstler auf das Schaffen der Lyrikerin geht die Ausstellung nach. Lasker-Schüler sei etwa von Edvard Munch, August Macke und Paul Klee inspiriert worden.



Jüdisches Museum zeigt Schicksal eines Mädchens in der NS-Zeit

Das Schicksal eines jüdischen Kindes während der NS-Zeit behandelt ab dem 27. August eine neue Sonderausstellung im Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten. Unter dem Titel "Und im Fenster der Himmel" wird die Überlebensgeschichte der im Jahr 1940 achtjährigen Annie de Leeuw und ihrer Schwester dargestellt, wie das Museum am 19. August mitteilte. Ihre Erinnerungen schrieb Annie viele Jahre später als Johanna Reiss in New York in einem Buch nieder.

Die beiden jüdischen Mädchen gerieten demnach in große Gefahr, als im Frühjahr 1940 deutsche Truppen die Niederlande besetzten. Von Bauern wurden sie mehrere Jahre in einer engen Dachkammer versteckt und überlebten so den Holocaust. Die Ausstellung sei für alle Altersschichten interessant, erklärte das Jüdische Museum. Besondere Zielgruppe seien Schüler der Jahrgangsstufen 5 bis 10. Zur Auseinandersetzung mit dem Thema stünden neben dem Jugendbuch "Und im Fenster der Himmel" weitere Unterrichtsmaterialien sowie ein neu produzierter Film zur Verfügung, hieß es. Die Schau ist bis Dezember 2020 zu sehen.



Recherchezentrum Correctiv richtet eigene "Klimaredaktion" ein

Das Recherchezentrum Correctiv hat eine eigene "Klimaredaktion" eingerichtet, die die Arbeit zu Umwelt- und Klimathemen in den nächsten eineinhalb Jahren weiter intensivieren soll. Die Klimakrise sei die größte Herausforderung unserer Zeit, erklärte die gemeinnützige Organisation am 22. August in Essen. "Jetzt wollen wir herausfinden, wie wir den Herausforderungen begegnen und was wir alle vor Ort tun können", erklärte Geschäftsführer David Schraven. Das vierköpfige Team der Klimaredaktion soll sich schwerpunktmäßig mit den Folgen des Klimawandels beschäftigen, dazu zählen Recherchen, Faktenchecks und Debatten vor Ort.

Den Auftakt macht die Crowdrecherche "Wo stehst Du?" zum Thema Mobilität, für die Correctiv gemeinsam mit Bürgern online Daten zum Autoverkehr, zu öffentlichen Verkehrsmitteln und Radwegen erhebt. Das Recherchezentrum will mit den Informationen unter anderem Punkte des Stillstands offenlegen.

Zudem plant die Redaktion zur internationalen Klimawoche am 20. und 21. September ein Klima-Camp in Kiel. Workshops sollen Wissenschaftler, Journalisten, Umweltverbände und Aktivisten zusammen bringen. Correctiv kündigte außerdem weitere Klimawochen in Nordrhein-Westfalen an, die von Oktober 2019 bis März 2020 stattfinden sollen.

Correctiv hatte bereits in den vergangenen Jahren mit der Förderung der Stiftung Mercator die Auswirkungen der Klimakrise recherchiert. Für den Ausbau der Redaktion ist das Recherchezentrum auf der Suche nach weiteren Förderpartnern.




Umwelt

Bundesbürger für Verkehrswende mit Rad und öffentlichem Nahverkehr


Bahn im Rapsfeld
epd-bild / Norbert Neetz
Die Bundesbürger wünschen sich einer Studie zufolge Alternativen zum Autoverkehr. Eine Mehrheit will mehr Raum für Öffentlichen Nahverkehr, E-Mobilität und Fahrräder. Höhere Parkgebühren oder Kosten für Diesel werden jedoch abgelehnt.

Die Mehrheit der Bundesbürger ist laut einer Umfrage für eine Verkehrswende mit mehr Fahrrädern und öffentlichem Nahverkehr. Nach einer Studie von Wirtschafts- und Sozialforschern sprechen sich fast 70 Prozent der Befragten für mehr Fahrstreifen für Busse und Bahnen auf staubelasteten Straßen aus, wie aus einer Studie vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen hervorgeht. Lediglich zehn Prozent hätten sich dagegen ausgesprochen. Zuerst hatten die Zeitungen der "Funke Mediengruppe" über die Studie berichtet.

Der Ausbau der Infrastruktur für Elektromobilität erhielt eine Zustimmung von 66 Prozent. Einen Ausbau von Fahrradwegen auf Kosten von Autoparkplätzen befürworten demnach 50 Prozent, 28 Prozent lehnen diesen Vorschlag ab.

Keine Mehrheit für Preiserhöhungen

Autofreie Innenstädte oder einen Zulassungsstopp für Verbrennungsmotoren ab 2035 finden hingegen offenbar keine Mehrheit. Zwar sei rund die Hälfte der Befragten dafür, dass Fahrzeuge, die Schadstoffgrenzwerte überschreiten, ein Fahrverbot erhalten, erklärte das Institut. Für eine höhere Besteuerung von Dieselautos sprechen sich demnach jedoch nur 36 Prozent aus. Ein generelles Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab 2035 befürworten nur 28 Prozent. Höhere Parkgebühren in Innenstädten erhalten lediglich von 21 Prozent der Befragten Zustimmung.

Befürworter einer Verkehrswende sind der Studie zufolge eher Frauen, Menschen mit höherem Bildungsgrad und solche, die bereits den Öffentlichen Nahverkehr nutzen. Niedriger falle die Zustimmung im Osten Deutschlands aus sowie bei Haushalten mit mehreren Autos.

Mehr Raum für Fahrräder und Öffentlicher Nahverkehr

Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Menschen in Deutschland grundsätzlich eine andere Verkehrspolitik und eine Förderung alternativer Verkehrsformen wünschen, sagt RWI-Wissenschaftler Mark Andor, einer der Autoren der Studie. Für gravierendere Einschränkungen des Autoverkehrs finde sich aber derzeit jedoch keine Mehrheit. Koautorin Lisa Ruhrort, Wissenschaftlerin am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), erklärte, eine Mehrheit sei offenbar überzeugt, dass Fahrrad und Öffentlicher Nahverkehr künftig mehr Platz in den Städten benötigten - auch wenn dafür der Platz für den Autoverkehr verringert werden müsse.

Die Studie wurde vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen und vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung erstellt. Zwischen dem 23. April und dem 12. Juni wurden dafür mehr als 7.800 Haushaltsvorstände durch das Meinungsforschungsinstitut forsa befragt.



Umweltaktivisten blockieren Tagebau Garzweiler

Umweltaktivisten haben am Samstag mit fünf Sitzblockaden und drei Mahnwachen im rheinischen Braunkohlerevier für einen früheren Kohleausstieg demonstriert. Der Protest rund um den Tagebau Garzweiler sei gewaltfrei und insgesamt ruhig geblieben, sagte Clara Tempel, Sprecherin vom Bündnis "Kohle ersetzen", dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 25. August. Zwischen 150 und 200 Menschen seien dem Aufruf zum Protest gegen die Energiegewinnung aus Kohle gefolgt. Auch die Polizei berichtete, die Aktivisten hätten sich insgesamt friedlich verhalten.

Jeweils etwa 30 Menschen blockierten nach Angaben der Polizei Aachen fünf Zufahrten zum Werksgelände des Tagebaus Garzweiler mit Sitzblockaden. Die Beamten hätten sie wegtragen müssen, es sei aber zu keinen Gewalttätigkeiten oder Widerständen gekommen. Vorübergehend hätten die Polizisten 20 Aktivisten festgenommen, deren Identität sie nicht vor Ort feststellen konnten. Mittlerweile befinden sich aber alle wieder auf freiem Fuß, wie eine Polizeisprecherin dem epd am Sonntag sagte. Die Behörde leitete zudem Strafverfahren wegen Nötigung und Hausfriedensbruch ein.

Auf den Transparenten der Demonstranten hieß es etwa "Raus aus der Kohle, rein ins Vergnügen!" und "Zwangsumsiedlungen machen krank", die Umweltschützer sangen Lieder wie "Bella Ciao". Sprecherin Tempel bezeichnete die Aktion als erfolgreich: Die Aktivisten hätten den Schichtwechsel im Tagebau gestört. Auch die Kohlebahn sei mehrere Stunden nicht gefahren.

Im Laufe des Nachmittags sollte das Klimacamp nahe des Braunkohletagebaus Garzweilers nach vier Tagen zu einem Ende kommen. Das Bündnis "Klima Ersetzen" hatte zu einem gewaltfreien und bunten Protest aufgerufen. Die Aktivisten pochten auf einen früheren Kohleausstieg, den Erhalt des Hambacher Waldes und der umliegenden Dörfer, die der Kohlegewinnung weichen sollen.



BUND geht im Verfahren um Tagebau Hambach in Berufung

Die Umweltschutzorganisation BUND geht im juristischen Streit um den Braunkohletagebau Hambach in die nächste Instanz. Nach der Zurückweisung von drei Klagen (AZ: 14 K 3037/18, 4496/18, 6238/18) durch das Verwaltungsgericht Köln im März seien nun am Montag Anträge auf Zulassung der Berufung beim Oberwaltungsgericht Münster eingereicht worden, kündigte der BUND NRW am 19. August in Düsseldorf an. Dessen ungeachtet besteht der vom BUND im Eilverfahren beim OVG erwirkte Rodungsstopp im Hambacher Wald bis auf weiteres fort.

Der BUND hält die Kölner Urteile für sachlich und rechtlich falsch. Im Wesentlichen gehe es bei der Klage gegen den Hauptbetriebsplan um die Frage, ob der Hambacher Wald wegen der 2005 entdeckten Bechstein-Fledermauspopulation und der eigentlich geschützten Lebensraumtypen für das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000 als Fauna-Flora-Habitat-Gebiet hätte nachgemeldet werden müssen. Nach Auffassung des BUND sind auch nachträgliche Gebietsmeldungen in der Richtlinie vorgesehen. Das spät entdeckte Fledermaus-Vorkommen hätte einen solchen Meldeprozess auslösen müssen, erklärte der BUND und widerspricht damit der Auffassung des Kölner Verwaltungsgerichts.

BUND sieht Politik gefordert

Mit Blick auf die Grundstücksenteignung widerspricht der BUND der Auffassung, die unter dem Grundstück liegende Braunkohle sei zur Sicherung der Energieversorgung notwendig. Vielmehr stünden viele weitere Allgemeinwohlinteressen wie der Klima-, Grundwasser- und Naturschutz dem Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Eigentum entgegen, betonte die Umweltschutzorganisation. Die 500 Quadratmeter große Ackerfläche im unmittelbaren Tagebauvorfeld hatte der Verband 1997 gekauft und bis zur Enteignung als Anlaufpunkt für friedliche Demonstrationen genutzt.

Der BUND hofft jetzt, dass das Oberverwaltungsgericht die Berufungen zulässt und die erstinstanzlichen Urteile aufhebt. Letztendlich aber sei auch die Politik gefordert, schnell zu einer klimaschutzpolitischen Lösung zu kommen, hieß es. Die von RWE beschleunigte Zerstörung der hinter dem Hambacher Wald gelegenen Ortschaften Kerpen-Manheim und Merzenich-Morschenich sei inakzeptabel. Auch dass sich die RWE-Bagger weiter unmittelbar an den Rand des Hambacher Waldes heranfrästen, sei ebenso unnötig wie schädlich für das Ökosystem.

Der Hambacher Wald im Kreis Düren gilt als Symbol des Widerstands gegen den Kohle-Abbau. Nachdem sich die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" Ende Januar für den Erhalt des Forstes ausgesprochen hatte, hatte sich auch Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) dieser Empfehlung angeschlossen. RWE kündigte daraufhin an, bis 2020 keine weiteren Bäume zu fällen.



Umweltschutzverband fordert Exportstopp für Brennelemente und Uran

Anti-Atomkraft-Initiativen fordern von der Bundesregierung einen sofortigen Exportstopp von Brennelementen aus Lingen und angereichertem Uran aus Gronau für die belgischen Atomkraftwerke Doel 1 und 2. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) kritisierte am 19. August in Bonn, dass das Bundesumweltministerium noch bis Ende Juli weitere Brennelemente-Transporte nach Belgien auf den Weg gebracht habe, ohne das damals unmittelbar bevorstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu den Reaktoren-Laufzeiten abzuwarten.

Der EuGH hatte am 29. Juli entschieden, dass die belgische Regierung die Laufzeit für die Atomkraftwerke Doel 1 und 2 in der Nähe von Antwerpen nicht ohne eine Umweltverträglichkeitsprüfung hätte verlängern dürfen. Wegen der Nähe der Reaktoren zur niederländischen Grenze hätte das Prüfungsverfahren zudem grenzüberschreitend stattfinden müssen. Ob die Laufzeitverlängerung bis 2025 aufrecht erhalten wird, muss nun der belgische Verfassungsgerichtshof entscheiden.

Brief an Bundesumweltministerin

Zusammen mit Anti-Atomkraft-Initiativen aus dem Emsland und Münsterland wandte sich der BBU am 13. August in Briefen an Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sowie die Bundesbehörden für Ausfuhrkontrolle (BAFA) und für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE). In den Schreiben fordern sie einen sofortigen Exportstopp und weisen darauf hin, dass im Juli noch sechs Brennelemente-Transporte von Lingen nach Doel stattfanden. Die Aktivisten werfen dem Bundesumweltministerium ein "Durchwinken" der Transporte und ein Unterlaufen des Verfahrens am EuGH vor.

Die Umweltinitiativen geben zu bedenken, dass sich das Ministerium mit seinen Behörden bei weiteren Transporten nach dem 29. Juli womöglich der Beihilfe zum Rechtsbruch schuldig mache. Zudem verweisen sie auf mögliche juristische Konsequenzen auch mit Blick auf weitere Alt-Reaktoren in Europa. "Es wäre eine politisch und juristisch sehr unangenehme Situation, wenn sich ausgerechnet ein deutsches Bundesministerium und deutsche Behörden über ein EuGH-Urteil hinwegsetzen würden - an dessen Zustandekommen Sie selbst mitgewirkt haben - und somit ein rechtsfreier Raum entstünde, der gegen EU-Recht den Weiterbetrieb von gefährlichen Atomkraftwerken ermöglicht", hieß es.

In NRW hatte Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) das EuGH-Urteil begrüßt. Die Entscheidung sei ein "klares Signal für das Erfordernis einer umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung als Voraussetzung für die Genehmigung von Atomkraftwerken". Heinen-Esser erklärte, das Urteil werde auch Einfluss auf das laufende Beschwerdeverfahren von NRW und Rheinland-Pfalz vor dem Implementation Committee haben, das die Einhaltung der sogenannten Espoo-Konvention zur Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen überwacht.




Entwicklung

Nirgendwo zuhause


Rohingya-Flüchtlingslager in Cox`s Bazar in Bangladesch
epd-bild/Nicola Glass
Vor zwei Jahren begann Myanmars Armee eine brutale Offensive gegen die muslimischen Rohingya im Land. Hunderttausende flohen nach Bangladesch, wo sie noch immer ausharren - ohne Hoffnung auf eine Zukunft in der Heimat.

Für eine Million Rohingya-Flüchtlinge in der Stadt Cox's Bazar im Südosten von Bangladesch brachte der Monsum in diesem Sommer noch mehr Elend und Not. Tausende der ohnehin notdürftigen Unterkünfte sind durch Erdrutsche und Überschwemmungen beschädigt oder weggespült. Und dennoch wollen die Rohingyas, die hier in größter Armut leben, nicht in die Heimat zurück.

Der Flüchtlingskommissar von Bangladesch, Mohammad Abul Kalam, verkündete am 22. August: Keiner der 3.500 Rohingya, die auf einer Liste zur Rückführung nach Myanmar standen, habe sich bereit erklärt, zu gehen. Fest stehe aber auch: "Wir werden niemanden dazu zwingen."

Vorwurf Völkermord

Myanmar hatte zuvor erklärt, zunächst 3.500 Rohingyas zurückzunehmen. Kritiker halten das für Augenwischerei. Human Rights Watch kritisierte am 23. August, die Verbrechen nach der brutalen Militäroffensive vor zwei Jahren, in deren Zuge mehr als 740.000 Rohingya aus dem westlichen Rakhine-Staat nach Bangladesch flohen, blieben ungestraft. Die UN erklärte in einem neuen Bericht, Rohingya seien wie andere Minderheiten in Myanmar weiter sexueller Gewalt ausgesetzt. Die UN werfen der Armee Myanmars Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den muslimischen Rohingya vor.

Seit Ende der 70er Jahre hat Bangladesch wiederholt Rohingya aufgenommen, die vor Gewalt und Diskriminierung aus dem buddhistisch geprägten Myanmar geflohen waren. Derzeit leben in der Stadt Cox's Bazar etwa eine Million Flüchtlinge. Der Alltag in den überfüllten Camps im Südosten von Bangladesch ist prekär - nicht nur wegen des Monsuns.

"Ohne Hilfe verloren"

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef forderte kürzlich, 500.000 Flüchtlingskindern müsse der Besuch einer Schule oder eine Ausbildung ermöglicht werden. Zwar erhielten 280.000 Kinder zwischen 4 und 14 Jahren provisorischen Unterricht in etwa 2.200 "Lernzentren". Aber 97 Prozent der 15- bis 18-Jährigen bekämen keine formale Bildung mehr.

Dennoch: "Die Flüchtlinge, mit denen ich gesprochen habe, sind weiterhin sehr dankbar, dass Bangladesch sie aufgenommen hat", sagt Stefan Teplan von Caritas International. "Sie wissen, dass sie ohne Hilfe verloren sind."

Zugleich stellt Asiens größte Flüchtlingskrise insbesondere die Gemeinden in Cox's Bazar vor ein Dilemma. Dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagten die Einwohner noch bei einem Besuch im vergangenen Jahr, es sei selbstverständlich gewesen, die erschöpften Ankömmlinge zu versorgen, bevor die internationale Hilfe anlief. Zugleich äußerten damals manche Sorge, wie lange das mit 168 Millionen Bewohnern dicht besiedelte Bangladesch, in dem Armut weit verbreitet ist, diese Krise schultern könne.

Nun scheint die Kritik unüberhörbar: "Nicht nur Gemeinden in Cox's Bazar, sondern auch Bewohner in anderen Landesteilen fordern, dass die Rohingya so schnell wie möglich nach Myanmar zurückkehren sollten", sagt Caritas-Mitarbeiter Teplan.

Dörfer zerstört

Die Flüchtlinge selbst betonen, sie gingen nur dann, wenn Myanmar ihnen die Staatsbürgerschaft verleihe, die Verantwortlichen für die Gräuel bestraft würden und sie wieder in ihren Heimatdörfern leben könnten. Aber genau diese Hoffnungen dürften unerfüllt bleiben: Kürzlich machte das "Australian Strategic Policy Institute" (ASPI) zwischen Dezember 2018 und Juni 2019 erstellte Satellitenbilder publik. Gestützt auf zuvor von den UN veröffentlichtes Material waren in über 320 von 392 Rohingya-Dörfern, die 2017 beschädigt oder zerstört worden waren, keine Anzeichen eines Wiederaufbaus erkennbar. Mindestens 40 Prozent wurden demnach abgerissen.

In einst von Rohingya bewohnten Orten seien sechs militärische Anlagen errichtet oder erweitert worden. Laut ASPI wirft dies "ernste Fragen über die Bereitschaft der Regierung Myanmars auf, eine sichere und würdevolle Rückführung zu ermöglichen".

Von Nicola Glass (epd)


Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch begehen "Völkermord-Gedenktag"

Zwei Jahre nach einer brutalen Militäroffensive in Myanmar, in deren Verlauf mehr als 740.000 muslimische Rohingya nach Bangladesch geflohen sind, haben die Flüchtlinge an die Verbrechen erinnert. Zum "Rohingya-Völkermord-Gedenktag" versammelten sich am 25. August in einem der Camps im Distrikt Cox's Bazar Hunderttausende Teilnehmer, wie die bangladeschische Zeitung "Dhaka Tribune" berichtete.

Die Flüchtlinge verlangten erneut Garantien für eine sichere Heimkehr nach Myanmar. Insgesamt beherbergt Bangladesch etwa eine Million muslimische Rohingya. Auch anderswo auf der Welt fanden Gedenkveranstaltungen statt oder waren geplant, darunter in Südkorea, Großbritannien, Irland und Kanada.

Die UNO-Flüchtlingshilfe forderte unterdessen langfristige Hilfe vor allem für die jungen Flüchtlinge in Bangladesch. "Nach der ersten lebenswichtigen Nothilfe, müssen wir insbesondere den Kindern Perspektiven für die Zukunft geben", erklärte der Geschäftsführer der Organisation, Peter Ruhenstroth-Bauer, in Bonn. Dazu zähle auch Bildung.  

Forderung nach Staatsbürgerschaft

Erst vor wegen Tagen war ein neuer Versuch gescheitert, erste Gruppen von 3.500 Rohingya zu repatriieren. Wie schon im November 2018 hatte sich niemand bereit erklärt, freiwillig über die Grenze zu gehen. Die Flüchtlinge verlangten, dass Myanmar ihnen zuvor die Staatsbürgerschaft verleihen müsse. Auch müssten sie das Recht haben, in ihre angestammte Heimat im westlichen Bundesstaat Rakhine zurückzukehren.

Nachdem die Rohingya-Miliz Arsa Ende August 2017 Dutzende Polizeiposten im Rakhine-Staat überfallen und zwölf Sicherheitskräfte getötet hatte, nutzte Myanmars Armee die Angriffe, um unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung gegen die gesamte Rohingya-Bevölkerung vorzugehen. Den Streitkräften werden Morde, Massenvergewaltigungen, Folter und das Niederbrennen Hunderter Dörfer vorgeworfen. UN-Ermittler sprechen von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.



Mit Willensstärke gegen Unterdrückung


Layla Alkhafaji in Lindau
epd-bild/Norbert Neetz
In Lindau tun sich Araberinnen zusammen, um in ihren Ländern Frauenrechte durchzusetzen. Eine von ihnen ist die Irakerin Layla Alkhafaji - sie saß mehr als ein Jahrzehnt im Gefängnis. Aus ihrem Leiden zieht sie heute Stärke.

Versammlungen herausragender Persönlichkeiten sind in Lindau nicht selten. Einmal im Jahr treffen sich in dem 25.000-Einwohner-Städtchen am Bodensee Nobelpreisträger aus aller Welt. Die internationalen Gäste jedoch, die sich derzeit am Bodensee aufhalten, sind fast alle an ihrer Kleidung als religiöse Würdenträger erkennbar. Sie sind auf Einladung einer Organisation gekommen, die auch wenn sie kaum jemand kennt, viel Macht hat: "Religions for Peace" (Religionen für den Frieden), ein interreligiöses Netzwerk, das im Stillen schon eine Reihe von Friedensprozessen auf den Weg gebracht hat.

Die Weltversammlung des Bündnisses, die etwa alle fünf Jahre stattfindet, hat konkrete Ziele: Eines ist die Gründung eines Netzwerks aus einflussreichen Frauen verschiedener Religionen aus dem Nahen Osten und Nordafrika. Zu ihnen gehört Layla Alkhafaji, die sich im Irak für Frauenrechte engagiert. Unter Saddam Hussein wurde sie - weil sie dessen Baath-Partei nicht beitreten wollte - zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt und gefoltert. Nach elf Jahren kam sie auf internationalen Druck hin frei.

Flucht nach Kanada

Alkhafaji erzählt, dass sie 25 Freundinnen und Kolleginnen verloren hat, die hingerichtet wurden. "Als ich im Gefängnis war, wurde eine Frau nach der anderen aus ihrer Zelle geholt und getötet. Ich dachte mir damals, wem erzähle ich davon?" Der Gedanke an diese Frauen habe ihr die Stärke gegeben zu kämpfen.

Alkhafaji floh nach Kanada, wo sie 17 Jahre im Exil lebte und als Ingenieurin arbeitete. Nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein kehrte sie in den Irak zurück und saß dort zeitweise im Parlament. Heute gehört die Schiitin dem Politbüro der Hikma-Bewegung an und kämpft für mehr politische Teilhabe der Frauen in ihrem Land - wie für den Frauenanteil von 25 Prozent, den es mittlerweile im irakischen Parlament gibt. Die Frauen seien willensstark und kämpften erfolgreich für mehr Rechte wie Frauenquoten im Parlament und in Parteien sowie für mehr Mitsprache in der Regierung.

Ihr Leidensweg ist gleichzeitig ihre Ressource, aus der sie Kraft schöpft. Eine Person, die geschlagen wurde, behalte trotzdem einen starken Geist, sagt Alkhafaji. "Propheten aller Religionen hatten ein hartes Leben." Sie strahlt Fröhlichkeit aus. "Bitte fragt mich nicht nach meinem Alter", kokettiert sie, als sie in Lindau bei einer Podiumsdiskussion zur Rolle von Frauen als Friedenstifterinnen ihre Geschichte erzählt.

Verfeindet

Nicht alle sprechen bei dem Treffen in Lindau so öffentlich wie Layla Alkhafaji - viele wollen lieber im Hintergrund bleiben. Schließlich reden hier auch Religionsführer aus verfeindeten Ländern miteinander: etwa aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und dem Iran. Alkhafaji sieht die verschiedenen Hintergründe der Teilnehmer als Bereicherung. "Wir schauen die Dinge von verschiedenen Seiten an", sagt sie.

Als Irakerin habe sie Erfahrungen damit. Denn die irakische Gesellschaft sei wie ein Blumenstrauß. Jede Blume sei einzigartig, habe ihre eigene Farbe und einen speziellen Duft. Sie repräsentierten Kurden, Turkmenen, Schiiten, Sunniten und Jesiden. Wenn man eine Blume herausnehme, sei der Strauß nicht mehr vollständig - "und die fehlende Blume kann durch keine andere ersetzt werden". Deshalb sei der Irak auch durch den Sieg über die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) stärker geworden. "Wir haben bewiesen, dass wir mit all unserer Diversität vereint gegen den Feind vorgehen können."

Von Mey Dudin (epd)


Frauenrechtlerin Gandhi beklagt strukturelle Gewalt in Südafrika


Ela Gandhi in Lindau
epd-bild/Norbert Neetz
"Am schlimmsten trifft es schwarze Frauen", sagt Ela Gandhi, die Enkelin von Mahatma Gandhi, über die Gewalt gegen Frauen in Südafrika. Von der Polizei könnten die Betroffenen kaum Hilfe erwarten.

Die Frauenrechtlerin Ela Gandhi prangert Gewalt gegen Frauen in Südafrika an. "Am schlimmsten trifft es schwarze Frauen", sagte die Enkelin von Mahatma Gandhi dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Lindau. Die Gewalt sei strukturell bedingt - "wegen Geschlecht, Hautfarbe und Armut", erklärte die frühere südafrikanische Parlamentarierin. Gandhi nimmt an der interreligiösen Friedenskonferenz "Religions for Peace" (Religionen für den Frieden) teil. Fast tausend Religionsvertreter aus aller Welt beraten bei dem Treffen am Bodensee über aktuelle Konflikte.

Männer würden zu Gewalt erzogen, beklagte Gandhi. "Obwohl es verboten ist, Kinder zu schlagen, passiert es ständig." Später würden die Jungen zum Wehrdienst eingezogen und lernten zu töten. "Es ist nicht natürlich, andere zu töten, aber sie werden zur Brutalität erzogen", erklärte die 79-Jährige. "Als Lösung für Konflikte lernen sie so nur Gewalt kennen."

Beweislast umkehren

Verschärft werde die Situation dadurch, dass die Polizei nicht unbedingt Zuflucht für misshandelte Frauen sei. "Manche Polizisten schreien die Frauen an, dass der Vorfall ihre Schuld sei", sagte Gandhi. Auch manche Richter seien bekannt für traumatisierende Opfer-Befragungen. "Viele Frauen zeigen Misshandlungen und Vergewaltigungen nicht an, weil sie fürchten, dass sie bei einer Anzeige ein weiteres Mal misshandelt werden", sagte Gandhi. Sie schätzt, dass nur zehn bis 15 Prozent der angezeigten Täter verurteilt werden.

Gandhi spricht sich dafür aus, die Beweislast umzukehren. Bislang müssten Frauen beweisen, dass sie misshandelt worden sind. "Es würde den Druck von den Opfern nehmen, wenn die Täter beweisen müssten, dass sie unschuldig sind", sagte Gandhi. Als positiv bewertet sie die in zahlreichen Städten bereits eingerichteten "Stop-Centers". Dort könnten Frauen unter Betreuung von Sozialarbeitern und Gesundheitsexperten Anzeige erstatten. "So wird zumindest der 'zweite Missbrauch' verhindert", sagte Gandhi. Die Rate sexueller Gewalt an Frauen in Südafrika zählt zu den weltweit höchsten.

epd-Gespräch: Leonie Mielke


Brasilien setzt Militär gegen Waldbrände in der Amazonasregion ein

Nach massivem internationalen Druck hat Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro die Bekämpfung der Waldbrände im Amazonasgebiet zur Priorität erklärt. Die brasilianische Luftwaffe schickte Löschflugzeuge in das Katastrophengebiet, wie das Verteidigungsministerium am 24. August auf Twitter mitteilte. Außerdem sollen rund 44.000 Soldaten die Feuerwehr bei der Brandbekämpfung unterstützen.

Das Finanzministerium gab zusätzliche Nothilfe in Höhe von 38 Millionen Reais (rund zehn Millionen Euro) frei. Derweil versuchte Präsident Bolsonaro, die internationale Gemeinschaft zu beruhigen. Die Situation im Amazonas normalisiere sich, sagte er laut dem Nachrichtenportal "O Globo". "Die Waldbrände liegen unter dem Durchschnitt der vergangenen Jahre."

Die Aussagen Bolsonaros stehen allerdings im Gegensatz zu Erkenntnissen des brasilianischen Weltrauminstitutes Inpe und der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Beide Einrichtungen erklärten, dass die Zahl der Waldbrände in der Amazonas-Region bis August im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 82 Prozent zugenommen habe. Es handelt sich damit um die verheerendsten Brände seit 2010.

Brandrodung

Nach Meinung von Experten besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der illegalen Abholzung des Amazonas und dem Ausbruch der Feuer. Sie gehen davon aus, dass die meisten Feuer durch Brandrodung in abgeholzten Gebieten entstanden sind.

Die Gouverneure der Amazonas-Bundesstaaten verlangten in einem gemeinsamen Schreiben eine Dringlichkeitssitzung von Bolsonaro und baten um mehr Unterstützung bei der Brandbekämpfung. Inzwischen leitete auch die Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein. Unter anderem soll geklärt werden, warum staatliche Behörden nicht aktiv gegen den sogenannten "Tag des Feuers" vorgegangen sind. Farmer hatten sich laut Medienberichten in den sozialen Netzwerken dazu verabredet, Feuer zu legen. Dabei haben sie sich auf die Unterstützung von Bolsonaro berufen.

Nachdem EU-Ratspräsident Donald Tusk die Ratifizierung des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens von der Brandbekämpfung abhängig gemacht hat, zeigt sich vor allem die brasilianische Agrarlobby besorgt. "Wir laufen Gefahr, dass es einen Boykott für unsere Produkte gibt", warnte Blairo Maggi, Ex-Landwirtschaftsminister und einer der größten Sojaproduzenten des Landes.

Maggi forderte die brasilianische Regierung zu einem Dialog mit Europa auf. Länder wie Irland und Frankreich hatten mit einer Blockade des Freihandelsabkommens gedroht. Deutschland allerdings lehnt einen Einsatz des Abkommens als Druckmittel auf Brasilien ab.

Hilfsangebot

Außenminister Heiko Maas (SPD) warnte vor einem Scheitern des Freihandelsabkommens. "Bei meinem Besuch in Brasilien habe ich sehr klar gemacht, dass die Umwelt- und Klimapolitik von zentraler Bedeutung bei der Bewertung des EU-Mercosur-Abkommens ist. Nachhaltigkeit ist ein wesentliches Element dieses Abkommens", sagte der SPD-Politiker der Zeitung "Bild am Sonntag". Brasilien sei verpflichtet, die Entwaldung zu bekämpfen. Maas erneuerte gleichzeitig das Hilfsangebot Deutschlands an Brasilien: "Deutschland steht bereit, Hilfe und Unterstützung zu leisten, um die Brände zu bekämpfen."



Adveniat: EU trägt Mitschuld an Waldbränden am Amazonas

Als einen Grund für die verheerenden Waldbrände im Amazonasgebiet hat das katholische Hilfswerk Adveniat die Handelspolitik von der EU und Deutschland angeführt. Ursache sei der Abschluss des Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, wie der Brasilien-Referent des Lateinamerika-Hilfswerks der katholischen Kirche, Klemens Paffhausen, am 23. August in Essen mitteilte. "Die versprochenen niedrigeren Zölle auf Importe von Rindfleisch und Soja aus Südamerika führen zu mehr Abholzung und mehr Anbauflächen."

Nach Angaben von Paffhausen gibt es zwei Ursachen für die enorme Zunahme von Waldbränden in der Region. "Großgrundbesitzer stecken den Wald gezielt in Brand und der Regenwald verdorrt seit Jahren." Zudem gebe es auch eine langfristige Ursache, auf die Wissenschaftler seit Jahren hinwiesen. Nach ihren Angaben seien 20 Prozent des Regenwaldes im Amazonasgebiet abgeholzt, weitere 40 Prozent geschädigt. "Entlang der Flüsse und Straßen fressen sich die gigantischen Sojaplantagen und Rinderweiden gnadenlos in den Regenwald", kritisierte der Brasilien-Referent. Der Verlust des wasserreichen Waldes führe seit Jahren zu immer längeren Trockenperioden. "Der Wald verdorrt, die Regionen verwüsten, die Indigenen verlieren ihre Lebensgrundlage."

Als "reines Ablenkungsmanöver" bezeichnete der Adveniat-Experte den Vorwurf des brasilianischen Präsidenten, Jair Bolsonaro, der weltweite Einsatz für das Amazonasgebiet sei ein neokolonialer Akt. "Ganz im Gegenteil: Bolsonaro und seine Agrarlobby sind gemeinsam mit den internationalen Konzernen die Vertreter des alten kolonialen Denkens, die die Territorien der indigenen Völker reinen Wirtschaftsinteressen opfern", erklärte Paffhausen.

Die lateinamerikanischen Bischöfe riefen derweil in einer gemeinsamen Stellungnahme die Regierungen Boliviens und Brasilien sowie die internationale Gemeinschaft auf, "ernste Maßnahmen zu ergreifen, um die Lungen der Welt zu retten". "Was im Amazonasgebiet passiert, ist keine lokale Angelegenheit, sondern von globaler Tragweite", erklärte der lateinamerikanische Bischofsrat Celam. Laut Adveniat werden weltweit 20 Prozent des Sauerstoffs in den Regenwäldern am Amazonas produziert.