Zur Vorsorge für einen möglichen Atomunfall in Deutschland oder in benachbarten Ländern vergrößert das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) den deutschen Vorrat an Jodtabletten. 189,5 Millionen dieser Tabletten seien für einen radiologischen oder nuklearen Notfall bestellt worden, teilte das Bundesamt in Salzgitter dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Es müssten genügend Tabletten vorgehalten werden, um auch Mehrfacheinnahmen zu ermöglichen, sollte das erforderlich sein. Derzeit hätten Bund und Länder rund 130 Millionen Jodtabletten auf Vorrat.

Die rechtzeitige Einnahme von hoch dosiertem, nicht-radioaktivem Jod soll nach einem schweren Reaktorunfall verhindern, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse eines Menschen einlagert, wo es Krebs auslösen kann. Die Jodtabletten sollen an die Bevölkerung verteilt werden, sollten radioaktive Stoffe freigesetzt werden, wie zuerst der Westdeutsche Rundfunk (WDR) am 22. August berichtet hatte.

Strahlenbiologe: Mit Rektorunfällen rechnen

Die Strahlenschutzkommission (SSK) hatte empfohlen, den Vorrat an Jodtabletten aufzustocken. Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima hatte das Beratergremium der Bundesregierung vorgeschlagen, den Kreis der möglichen Empfänger von Jodtabletten nach Freisetzung von Radioaktivität erheblich auszuweiten.

Das Unglück in Japan habe zwei Dinge gelehrt, sagte der Essener Strahlenbiologe und damalige SSK-Vorsitzende, Wolfgang Müller, dem WDR. "Das eine ist, dass man auch mit Reaktorunfällen der Stufe INES 7 rechnen muss, also schwerer, als man vorher angenommen hat." Zudem könne es zu einer mehrtägigen Freisetzung kommen. Das bedeute, dass unter Umständen die Windrichtung wechseln könne und viel mehr Gebiete betroffen seien. Das Risiko eines Super-GAU schätzt Müller trotz des für 2022 beschlossenen Atomausstiegs in Deutschland als real ein. Das liege an den zahlreichen Atomkraftwerken in benachbarten Ländern.

Der Bund zahlt nach Angaben des Bundesamts rund 8,4 Millionen Euro für die Jodtabletten. Sie sollen nach den ländereigenen Konzepten dezentral gelagert und im Bedarfsfall von den Bundesländern verteilt werden.

Kritik von Umweltschutzinitiativen

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) bezeichnete die mögliche Verteilung der Jodtabletten als unzureichend, da sie lediglich vor Schilddrüsenkrebs schützten. Notwendig sei vielmehr das sofortige Abschalten aller Atomkraftwerke. "Und die Bundesregierung muss endlich die Uranfabriken in Gronau und Lingen stoppen, die ständig Nuklearbrennstoff für hochgefährliche Atomkraftwerke in Belgien, Frankreich und in anderen Ländern produzieren und exportieren", forderte BBU-Vorstand Udo Buchholz.

Überdies sei unklar, wer im Ernstfall die Jodtabletten erhalte und wie die Verteilung rechtzeitig erfolgen soll, kritisierte der BBU. Im Übrigen sei die Einnahme hoch dosierter Jodtabletten mit gesundheitlichen Risiken verbunden.

2017 waren in der Region Aachen Jodtabletten an Bürger bis 45 Jahre sowie schwangere und stillende Frauen ausgeteilt worden. Die Behörden wollten damals Vorsorge treffen für den Fall eines schweren radioaktiven Vorfalls im belgischen Atomkraftwerk Tihange, das nur wenige Kilometer jenseits der deutschen Grenze liegt. Der dortige Atommeiler gilt wegen seines Alters und zahlreicher Risse als stör- und pannenanfällig.