"Wer hier Jude ist oder nicht, das entscheide ich", blafft Adolf Eichmann an seinem Schreibtisch, hinter ihm an der Wand hängt eine große Hakenkreuzfahne. Vor ihm sitzt stocksteif ein Mann, er zuckt und sinkt auf seinem Stuhl zusammen. Großaufnahme: Jochen Klepper reißt die Augen entsetzt auf, ihr Ausdruck ist leer. Der Ausreiseantrag für seine jüdische Ehefrau Johanna und deren Tochter Renate ist abgelehnt. Wenige Stunden später begehen der evangelische Schriftsteller und Liederdichter und seine Lieben in der Berliner Wohnung Suizid.

Drehszene für den Kinofilm "Schattenstunde" über die letzten Stunden im Leben Jochen Kleppers (1903-1942) und seiner Familie. Wie viele andere christlich-jüdische Familien während der Hitler-Diktatur wurde sie von den Nationalsozialisten am 11. Dezember 1942 in den Suizid getrieben.

Ein bisher wenig beachteter Aspekt

Im ehemaligen Stadtarchiv im Speyerer Rathaus nimmt der Speyerer Filmemacher Benjamin Martins mit seinem Team eine Schlüsselszene des Films auf, der im Herbst 2020 ins Kino kommen soll. Die beiden Hauptdarsteller Christoph Kaiser (Klepper) und Dirk Waanders (Eichmann) zeigen mit Eindringlichkeit, wie ein Mensch unter ungeheurem psychischen Druck zusammenbricht, wie er den Lebensmut verliert.

"Schattenstunde" beruht auf den Tagebuchaufzeichnungen Kleppers, sagt der 34-jährige Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Martins. Mit seinem kammerspielartigen Film will er einen bisher wenig beachteten Aspekt des nationalsozialistischen Judenmords beleuchten. Tausende Menschen, die laut Nazijargon in "Mischehe" lebten, hätten aus Verzweiflung und Angst vor Trennung Suizid begangen. "An sie wird auf den Gedenktafeln nicht erinnert", beklagt Martins.

Klepper sei "kein Held" gewesen

Zwei Jahre lang beschäftigte er sich mit der Lebensgeschichte des Pfarrersohns Klepper, der im niederschlesischen Beuthen zur Welt kam. Seine Lyrik ist in Gesangbücher und Liedersammlungen eingegangen. Im Evangelischen Gesangbuch stehen 13 seiner Lieder, im katholischen sechs. Klepper-Dichtungen wie "Er weckt mich alle Morgen", das Adventlied "Die Nacht ist vorgedrungen" und "Der du die Zeit in Händen hast" werden bis heute in Kirchengemeinden gesungen.

Die Nazis drohten ihm mit Zwangsscheidung und der Deportation seiner kleinen Familie, weil er sich von seiner Frau nicht trennen wollte. Fasziniert an der Rolle der Hauptfigur hat den Darsteller Christoph Kaiser aus Heidelberg besonders "die Konsequenz, mit der er seinen Weg gegangen ist". Klepper, der nach seinem Studium der evangelischen Theologie auch als Journalist arbeitete, sei "kein Held" gewesen, sagt der 56-Jährige in einer Pause am Filmset. Wie viele Deutsche habe Klepper zunächst versucht, sich mit dem Naziregime zu arrangieren.

Äußerer Druck könne Menschen zerstören

In eine existenzielle Situation geriet Klepper jedoch nach dem Treffen mit SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, dem Organisator des Holocaust: Der Fluchtweg für ihn und seine Familie war versperrt. Als gläubiger Christ quälte ihn die Frage der Schuld vor Gott, wenn er Suizid beginge. "Als Familienvater frage ich mich, wie ich selbst gehandelt hätte", sagt der Schauspieler Kaiser. Auch heute könne äußerer Druck Menschen zerstören, wenn etwa Asylsuchende abgeschoben würden.

Die Bildästhetik des Films gibt die Verzweiflung und wachsende innere Enge der Figuren wider. Gefilmt wird im ungewöhnlichen Quadratformat, erzählt der Regisseur Martins, dessen Team 42 Techniker, 15 Schauspieler und 43 Komparsen umfasst. Der Projektetat belaufe sich auf 100.000 Euro. Nach seiner Kinolaufzeit möchte er den Film seiner Firma "Herbsthundfilme" auch Jugendlichen in Schulen, Vereinen und Kirchengemeinden zeigen. Das Leid der jüdisch-christlichen Familien, die gemeinsam Suizid begangen hätten, dürfe nicht vergessen werden: "Man muss den vergessenen Menschen ihren Namen zurückgeben."