Kirchen

Kirchen rufen für 2019 zu mehr Einsatz für Frieden auf


Taube in der Kuppel des Berliner Doms
epd-bild/Rolf Zöllner
Appelle zu mehr Gerechtigkeit und Nächstenliebe standen im Mittelpunkt vieler Neujahrsbotschaften kirchlicher Spitzenvertreter. Papst Franziskus erinnerte an das Leid von Kindern im Krieg. Der EKD-Ratsvorsitzende kritisierte deutsche Rüstungsexporte.

Führende Vertreter der großen Kirchen haben zum Jahreswechsel zu mehr Engagement für eine friedliche und gerechte Welt aufgerufen. Papst Franziskus warnte in einer Predigt am 1. Januar vor einem kurzsichtigen Profitstreben und erinnerte an das Leid von Kindern in Kriegsgebieten. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sagte, Europa stehe im kommenden Jahr vor der Aufgabe, insbesondere armen und schwachen Menschen Möglichkeiten zu eröffnen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, kritisierte die deutsche Rüstungsexport-Politik. "Am Reden vom Frieden fehlt es nicht", sagte er. "Am Handeln manchmal schon."

Messe zum katholischen Weltfriedenstag im Petersdom

Der Papst kritisierte in einer Messe zum katholischen Weltfriedenstag im Petersdom in Rom eine zunehmende Uneinigkeit trotz wachsender Vernetzung. "Wir werden im selben Haus wohnen, aber nicht als Geschwister", sagte er. Weltweit sei jedes sechste Kind von den Folgen bewaffneter Konflikte betroffen, "wenn es nicht sogar selbst Soldat oder Geisel bewaffneter Gruppen wird". Franziskus machte das Wettrüsten und die Verbreitung von Waffen für einen Mangel an Frieden und für Fluchtbewegungen mitverantwortlich.

Katholische Bischöfe bekunden Scham über Missbrauchsfälle

Kardinal Marx rief zudem zu einer Erneuerung der Kirche nach dem Missbrauchsskandal auf. Diese Notwendigkeit ergebe sich angesichts des Versagens und der Unfähigkeit der Kirche, auf die Herausforderungen und Missstände angemessen zu reagieren, betonte der Kardinal im Silvestergottesdienst im Münchner Dom.

Auch andere katholische Bischöfe äußerten sich zum Jahreswechsel beschämt über die Missbrauchsfälle in der Kirche und bekräftigen ihren Willen zur Aufarbeitung. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki entschuldigte sich in seiner Silvesterpredigt am 31. Dezember im Köln Dom noch einmal bei allen Opfern: "Wir haben hier Schuld und Versagen einzugestehen." Der Aachener Bischof Helmut Dieser nannte die Ergebnisse der Missbrauchsstudie der katholischen Kirche "tief erschütternd und beschämend". Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf appellierte, sich der Verantwortung gegenüber den Opfern zu stellen.

Die Deutsche Bischofskonferenz hatte im September eine Studie veröffentlicht, wonach zwischen den Jahren 1946 und 2017 insgesamt 3.677 Minderjährige Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche wurden. Es fanden sich Hinweise auf 1.670 beschuldigte Kleriker.

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck warb zu Neujahr für Mut zu neuen Wegen in der Kirche. Angesichts des dramatischen Priestermangels im Ruhrbistum rief Overbeck im Neujahrsgottesdienst im Essener Dom dazu auf, "kraftvoll und frei" über neue Wege nachzudenken und auch vor dem Undenkbaren keine Angst zu haben. Der Ruhrbischof verwies auch auf die Frage, wie Frauen gleichrangig an den Führungsaufgaben der Kirche beteiligt werden können. Priesterbild und Weiheamt, Hierarchie, Zölibat, Frauenamt und Sexualmoral könnten nicht mehr zu Tabuthemen erklärt werden.

"Spirale der Gewalt durchbrechen"

Wie weitere evangelische Bischöfe stellte Bedford-Strohm die Notwendigkeit für mehr Friedensengagement in den Mittelpunkt seiner Botschaft zum Jahreswechsel: "Frieden kann nur entstehen, wo die Spirale der Gewalt durchbrochen wird." Die Anwendung von militärischer Gewalt sei immer eine Niederlage. "Gleichzeitig ringen wir mit der Frage, ob es Fälle gibt, in denen die Anwendung von Gewalt das kleinere Übel ist", sagte der bayerische Landesbischof.

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Wachsende Auseinandersetzungen, darunter auch kriegerische wie zwischen Russland und der Ukraine, fordern uns permanent heraus. Und wir müssen uns fragen, was in den vergangenen Jahrzehnten an Friedensinitiativen eigentlich gelungen ist." Deutschland sei immer noch unter den Top fünf bei der Waffenproduktion.

Rekowski ruft zu Zuversicht auf

Die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, beklagte, die Welt sei weit davon entfernt, allen Menschen Frieden und Gerechtigkeit zu bieten. "Weltweit wird militärisch agiert und aufgerüstet, anstatt zivile Wege der Konfliktlösung zu stärken", betonte die Theologin am Dienstag in ihrer Neujahrsbotschaft in Erfurt.

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, rief dazu auf, mutig und getröstet ins neue Jahr zu gehen. "Für Zeiten des Übergangs, aber auch am Beginn einer vieles verändernden Situation oder vor dem Betreten von Neuland tun uns ermunternde Worte gut", sagte der Präses am 1. Januar in seiner Neujahrspredigt in der Gnadenkirche in Essen-Frintrop. Mut machende Worte aus der Bibel könnten helfen, "den Übergang zu wagen oder sich auf Neues einzulassen". Rekowski predigte anlässlich des 125-jährigen Bestehens der Gnadenkirche.



Biblische Jahreslosung: "Suche Frieden und jage ihm nach"

"Suche Frieden und jage ihm nach" - unter dieser Jahreslosung steht für Christen in Deutschland das Jahr 2019. Die biblischen Leitworte werden von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) bereits mehrere Jahre im Voraus ausgewählt. Die Losung für dieses Jahr stammt aus Psalm 34. Vers 15 lautet vollständig in der Lutherübersetzung: "Lass ab vom Bösen und tue Gutes; suche Frieden und jage ihm nach!"

Die Praxis der Losungen stammt von der Herrnhuter Brüdergemeine in der sächsischen Oberlausitz. 1728 wählte der Begründer dieser geistlichen Gemeinschaft, Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760), zum ersten Mal einen Bibelspruch für die Mitglieder der Herrnhuter aus. Nach dem Vorbild Zinzendorfs zieht bis heute ein Mitglied dieser Glaubensgemeinschaft - ähnlich einer Lotterie - ein Bibelwort für jeden Tag aus einer silbernen Schale. Die so ermittelten Bibelworte werden als "Tageslosungen" in einem Sammelband veröffentlicht.

Die Jahreslosung folgt zwar der Praxis der Herrnhuter, geht aber zurück auf den Kirchenkampf in der zu Ende gehenden Weimarer Republik. Initiator war der württembergische Pfarrer und Liederdichter Otto Riethmüller (1889-1938), der Mitglied der Bekennenden Kirche war. Er wollte den NS-Schlagworten Bibelverse entgegenstellen. Deshalb begründete er 1930 die Tradition der Jahreslosungen. Die erste Jahreslosung 1930 war "Ich schäme mich des Evangeliums von Jesus Christus nicht" (Römer 1,16).

Losung Thema beim "Politischen Nachtgebet" in Duisburg

Um die Jahreslosung für 2019 geht es beim "Politischen Nachtgebet" in Duisburg-Marxloh am 7. Januar. Wie der Bibelvers "Suche Frieden und jage ihm nach" (Psalm 34,15) verstanden werden kann, soll an dem Abend diskutiert werden, kündigte der Kirchenkreis Duisburg an. Außerdem sei ein Themenausblick für 2019 geplant. Das Politische Nachtgebet wird veranstaltet von dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, der IG Metall, der evangelischen Bonhoeffer Gemeinde Marxloh-Obermarxloh und der katholischen Gemeinde St. Norbert. Beginn ist um 18 Uhr in der Kreuzkirche, der Eintritt ist frei. Weitere Informationen unter www.nachtgebet.de.



Bischof Meister: Europa ist die Lösung und nicht das Problem


Ralf Meister
epd-bild / Norbert Neetz

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister ruft die Kirchen angesichts der Wahlen zum EU-Parlament im Mai zu einem aktiven Wahlkampf auf. "Wir brauchen neben den üblichen Wahlaufrufen der Bischöfe ein breites Spektrum von Initiativen, ohne dabei parteipolitisch zu werden", sagte der evangelische Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er wolle sich für gemeinsame Aktionen mit der katholischen Kirche, Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und allen demokratisch gewählten Parteien einsetzen. "Die klare Botschaft muss lauten 'Geht zur Wahl', weil Europa ein Teil der Lösung ist und nicht das Problem."

Warnung vor Renationalisierung

Auch wenn es momentan viele Schwierigkeiten gebe, wäre es eine Katastrophe, die EU als das Grundproblem dafür zu sehen. "Denn die Alternative dazu wäre eine Renationalisierung einzelner Staaten, wie wir sie zum Teil ja bereits erleben, und das kann auf gar keinen Fall eine Lösung sein", betonte Meister, der seit dem Herbst auch Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) ist. Nötig seien starke Bündnisse von Menschen, die Europa positiv gegenüber stünden.

"Meine Generation ist in einem Europa groß geworden, in dem stetig zusammenwuchs, was zusammengehört. Zum Schluss konnten wir als größte Errungenschaft sogar ohne Pass fast überall hinreisen", unterstrich der 56-Jährige. Die Vorstellung eines neu gewählten Parlaments mit möglicherweise mehrheitlich europakritischen Abgeordneten bringe ihn um den Schlaf. "Ich will mich nicht im Juni fragen müssen, was hast du eigentlich getan, um dies zu verhindern."

In diesem Zusammenhang betonte der Landesbischof, dass "einer der herausragenden Momente" in seinem Berufsleben seine Predigt im November am "Remberance Day" in England zum Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren gewesen sei. "Dass ich an einem national sehr aufgeladenen Erinnerungstag in der Kathedrale im nordenglischen Ripon vor rund 2.000 Menschen, unter ihnen Hunderte ehemalige Soldaten, predigen durfte, bewegt mich noch immer."

Kritik an Rüstungsexporten

Frieden sei für ihn auch ein großes Thema für 2019, sagte Meister. Die christliche Jahreslosung "Suche Frieden und jage ihm nach" sei kein Zufall, sondern eine Fügung: "Wachsende Auseinandersetzungen, darunter auch kriegerische wie zwischen Russland und der Ukraine, fordern uns permanent heraus. Und wir müssen uns fragen, was in den vergangenen Jahrzehnten an Friedensinitiativen eigentlich gelungen ist."

Die deutschen Kirchen müssten deutliche Mahner dafür bleiben, dass bei der Frage von Rüstungsexporten eine andere Linie gebraucht werde. Deutschland sei immer noch unter den Top fünf bei der Waffenproduktion. Im vergangenen Jahr seien Rüstungsexporte an 52 Staaten genehmigt worden, in denen teilweise die Menschenrechtslage sehr bedenklich sei, sagte Meister und fügte hinzu: "Die Kriege in aller Welt sind auch unsere Kriege, denn wir exportieren unsere Waffen dorthin."

epd-Gespräch: Ulrike Millhahn


Friedensbeauftragter hofft auf Deutschland im Sicherheitsrat


Renke Brahms
epd-bild/Jürgen Blume

Der kirchliche Friedensbeauftragte Renke Brahms erhofft sich von Deutschland eine starke Stimme für den Wert multilateraler Abkommen, wenn die Bundesrepublik für zwei Jahre im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertreten ist. Weltweite Kooperationen und Vereinbarungen seien eine wichtige Grundlage der Verständigung, sagte Brahms dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Eine der ganz großen Gefahren für den Frieden in der Welt ist die zunehmende Aufkündigung multilateraler Abkommen", warnte der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

"Das macht den Eindruck, als ob Verträge und das Völkerrecht nichts mehr gelten", sagte der leitende Bremer Theologe. Das mache ihm große Sorgen. Als Beispiel führte Brahms die Ankündigung der USA an, demnächst den 1987 geschlossenen INF-Vertrag zu atomaren Mittelstreckenraketen mit Russland aufzukündigen. "Statt Verträge zu kündigen, wäre es besser, die Atomwaffenmächte würden sich an einen Tisch setzen und endlich konkrete Schritte gehen, um zur Ächtung dieser schrecklichen Waffen zu kommen."

Werben für starke internationale Organisationen

Brahms wirbt schon seit längerem für die Stärkung internationaler Organisationen wie Vereinte Nationen und Internationaler Strafgerichtshof, "gerne auch, indem sie reformiert werden". Der Leitende Geistliche fügte hinzu: "Für eine friedliche Welt brauchen wir Institutionen, Regeln und Verfahren für einen international vereinbarten und allgemein anerkannten Rechtszustand."

Deutschland nimmt 2019 und 2020 einen vorübergehenden Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein. Die UN-Vollversammlung stimmte im Juni in New York mit überwältigender Mehrheit für die Bundesrepublik als nichtständiges Mitglied. Neben Deutschland wurden Belgien, Südafrika, Indonesien und die Dominikanische Republik für die kommenden beiden Jahre als vorübergehende Mitglieder des Sicherheitsrates gewählt.

Bolivien, Äthiopien, Kasachstan, die Niederlande und Schweden verlassen dafür den Rat. Die Bundesrepublik zieht dann zum sechsten Mal vorübergehend in das mächtigste UN-Gremium ein, dessen Resolutionen völkerrechtlich verbindlichen Charakter haben. Als eines von zehn nichtständigen Mitgliedern steht die Bundesrepublik Diplomaten zufolge in der zweiten Reihe, hinter den fünf Vetomächten des Sicherheitsrates. Die ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien können alle Beschlüsse des Rates blockieren, ihre Sicherheitsrats-Politik steht zudem nicht unter Zeitdruck.

epd-Gespräch: Dieter Sell


Militärbischof Rink: Haben neuen Kalten Krieg in Europa


Sigurd Rink
epd-bild/Jürgen Blume

Der evangelische Militärbischof Sigurd Rink befürwortet eine bedeutendere Rolle Deutschlands bei internationalen UN-Missionen. "Mit Blick auf Deutschlands Größe und Wirtschaftskraft sind wir in den UN-Einsätzen noch weit unterrepräsentiert", sagte Rink dem "JS-Magazin - Die Evangelische Zeitschrift für junge Soldaten" in Frankfurt am Main (Ausgabe 01/2019).

Wo schwerste Menschenrechtsverletzungen oder gar Völkermord verübt würden, "hat die internationale Schutzgemeinschaft die Pflicht einzugreifen", betonte Rink. Zwar sei der Bundeswehreinsatz in Mali sehr teuer. Dennoch leiste Deutschland "dort einen kleinen, bescheidenen Beitrag im Rahmen der Blauhelmmission".

Wegen des Konflikts in der Ostukraine sei der Krieg näher gerückt, sagte Rink. "Wir haben nun einen neuen Kalten Krieg in Europa." Was sich auf der Krim zugetragen habe, beschäftige die Menschen vor allem in Litauen, Polen und Lettland. "Das merkt man den Soldaten dort an, auch den deutschen Soldaten vor Ort", erklärte er.

Die Menschen in Russland hätten indes kein Interesse an Krieg, sagte Rink, der im Sommer den Kaukasus besucht hat. "Die wollen in Frieden leben und ihre Kinder groß werden sehen." Nach seiner Reise habe er ein positiveres Bild von der russischen Gesellschaft gehabt, sagte Rink, der unter anderem einen deutschen Soldatenfriedhof besuchte.



Manzke: EKD unterstützt Polizei bei wachsenden Aufgaben


Karl-Hinrich Manzke
epd-bild/Norbert Neetz

Evangelische Seelsorger unterstützen die Bundespolizei nach Angaben des schaumburg-lippischen Landesbischofs Karl-Hinrich Manzke auch bei ihrem Einsatz zur Abwehr der Terrorgefahr. Dafür beurlauben die Landeskirchen in Deutschland zurzeit elf Pfarrer für den hauptamtlichen Dienst in der Bundespolizei-Seelsorge, wie Manzke dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Der Bischof ist Beauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die Seelsorge in der Bundespolizei.

Auch Deutschland sei von der Terrorgefahr betroffen, die möglichst viele Opfer unter der Bevölkerung erreichen wolle, sagte Manzke. Seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 müsse sich das Land darauf einstellen. Die Bundespolizei bereite sich auf diese neue Qualität des Terrors vor, unter anderem durch das Training von komplexen lebensbedrohlichen Einsatzlagen und durch die Aufstellung der Direktion 11.

"Evangelische Kirche steht an der Seite der Polizisten"

In der im Sommer 2017 ins Leben gerufenen Bundespolizeidirektion 11 sind nach eigenen Angaben der Behörde alle Spezialkräfte der Bundespolizei gebündelt und unter einheitlicher Führung zusammengefasst. Damit sollen die Fähigkeiten bei komplexen, lebensbedrohlichen Einsätzen im In- und Ausland besser koordiniert werden.

"Die evangelische Kirche steht an der Seite der Polizisten, die Lösungen suchen für zum Teil fast aussichtslose Situationen", sagte Manzke. Dabei handele es sich um Situationen, bei denen mit erhöhten Opferzahlen zu rechnen sei und in denen dennoch gehandelt werden müsse. Im Fokus stünden dabei mögliche Anschläge im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei wie Flughäfen und Bahnhöfe. Für solche Situationen werde trainiert.

Die Seelsorger, die innerhalb der Ausbildung in der Bundespolizei auch Berufsethik unterrichteten, seien dabei eingebunden. "Berufsethik ist Teil der Aus- und Fortbildung", sagte der Bischof. "Das sind insbesondere ethische Schulungen und die seelsorgerliche Begleitung in und nach Einsätzen. Die Terrorabwehr bedeutet für die Frauen und Männer in der Bundespolizei deutlich höheren Stress."

Die Pastoren seien bei den Übungen und Trainings dabei. "Sie wissen damit, wovon sie reden - und sind an der Seite der Frauen und Männer in der Bundespolizei." Die Kirche folge damit einem Wunsch der Bundespolizei.

epd-Gespräch: Michael Grau


Hempelmann rät zu offensivem Umgang mit AfD-Anhängern


Reinhard Hempelmann
epd-bild / EZW

Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) hat die Kirche zu einem offensiven Umgang mit Rechtspopulisten in den eigenen Reihen aufgerufen. Die Grenze der Auseinandersetzung müsse dort gezogen werden, wo Populismus zum Extremismus wird, sagte EZW-Leiter Reinhard Hempelmann in Berlin dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Kirche ist Teil unserer Gesellschaft. Je deutlicher sie sich als Volkskirche versteht, desto intensiver ist sie eingebunden in gesellschaftliche Polarisierungsprozesse und Debatten", fügte er hinzu.

Aufgabe der christlichen Kirchen sei es, "in einen kritischen und streitbaren Dialog mit Personen zu gehen, die mit der AfD sympathisieren oder ihr angehören", sagte der Theologe. Zentrale Orientierungspunkte der Debatte müssten für Christen das universale Gebot der Nächstenliebe und die Orientierung an der Gottebenbildlichkeit eines jeden Menschen sein.

Mehrheit der AfD-Mitglieder ohne Bindung zum Christentum

Hempelmann betonte, es gebe auch in christlichen Gemeinden ein Wählerpotenzial für die AfD. "Das ist den Statistiken zufolge aber geringer als das Reservoir der Konfessionslosen für die AfD." Die Mehrheit der AfD-Mitglieder habe keine enge Bindung zum Christentum.

Rechtspopulistische Akteure versuchten gezielt, Einfluss auf konservativ eingestellte Christen zu nehmen. Dazu würden Resonanzräume gesucht vor allem in den Themenfeldern Familie, Islam-Angst und Ordnungsdenken. Hinzu kämen oft traditionelle Rollenbilder, in manchen Kreisen auch die Tabuisierung von Sexualität und die Ablehnung von Homosexualität, sagte Hempelmann.

Zudem sei in christlich-konservativen Kreisen traditionell das Denken in Hierarchien stärker ausgeprägt. Dies gebe dem Einzelnen das Gefühl von Sicherheit in einer unübersichtlichen Umgebung. Hempelmann leitet die EZW seit 20 Jahren und ist Experte für Strömungen des säkularen und religiösen Zeitgeistes, des Evangelikalismus und des pfingstlich-charismatischen Christentums.

Anhänger eines rechtsnationalen Christentums sähen sich selbst als die eigentlichen Bewahrer christlicher Identität, sagte Hempelmann. Den großen Kirchen würden sie vorwerfen, einem globalisierten Zeitgeist zu huldigen und biblische Aussagen zu verwässern. Dabei verstehe sich das Christentum letztlich in einem internationalen Kontext, betonte Hempelmann: "Das Christentum hatte von Anfang an keinen nationalen, sondern einen umfassenden Horizont." Der Experte für religiöse Trends betonte, "die Kirche predigt mit dem Gebot der Nächstenliebe eine grenzüberschreitende Verantwortung, ohne das Prinzip der Staatlichkeit zu negieren".

"Keine ernsthafte Alternative zu Dialogversuchen"

Damit sei auch die Orientierung der Kirchen an den Menschenrechten ein wichtiger Aspekt, der gegenüber Populisten betont werden müsse. Populistische Politikmuster benutzten demgegenüber eine Rhetorik des Ressentiments und des Ausschlusses von Minderheiten.

Hempelmann wandte sich mit Blick auf einen rationalen Diskurs über die politischen Ziele der AfD gegen einen Ausschluss ihrer Vertreter beispielsweise von Kirchentagspodien: "Es gibt keine ernsthafte Alternative zu Dialogversuchen und zu einer Streitkultur." "Auf die AfD-Rhetorik der Exklusion sollte nicht mit einer pauschalen Ausgrenzung geantwortet werden", sagte Hempelmann. Er hatte beim Deutschen Evangelischen Kirchentag 2017 in Berlin ein Streitgespräch zwischen der damaligen Chefin der "Christen in der AfD", Anette Schultner, und dem Berliner Bischof Markus Dröge mitorganisiert. Schultner ist inzwischen aus der AfD ausgetreten.

epd-Gespräch: Lukas Philippi


EKD-Kulturbeauftragter: AfD nimmt "aggressive Abkürzung"


Johann Hinrich Claussen
epd-bild/Norbert Neetz
Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, hat der AfD vorgeworfen, ihre drastische Kritik an Zuwanderung und Islam kaum inhaltlich zu unterfüttern.

Die Partei beschwöre zwar eine "deutsche Identität substanzhafter Art", sagte Claussen der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt". Frage man aber, worin die bestehe, komme nichts außer der Auskunft, es werde ein Papier vorbereitet.

Die AfD sei nicht einheitlich. "Die einen Anhänger sind konservativ-katholisch, die anderen kommen aus Thüringen und haben mit dem Christentum nichts am Hut", sagte der Kulturbeauftragte und ergänzte: "Um ihre inhaltliche Leere zu überspielen, nehmen sie die aggressive Abkürzung." Mit der Aussage "Deutsch ist nicht Islam" machten sie es sich dabei "sehr einfach", kritisierte der Theologe.

"Anstrengende" Diskussion

Gemeinsam mit dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, hatte Claussen Mitte November an einer AfD-Veranstaltung teilgenommen, bei der über kulturelle Integration diskutiert wurde. "Anstrengend" sei die Diskussion gewesen, aber auch eine wichtige Erfahrung, sagte Claussen. Auf die Frage, ob er das Gefühl habe, irgendetwas erreicht zu haben, antwortete er: "Nein, ich glaube nicht."

Dennoch sei es wichtig, für seine Sache zu kämpfen, sagte Claussen. Er kritisierte in dem Zusammenhang auch die Entscheidung des Deutschen Evangelischen Kirchentags, keine AfD-Vertreter auf Podien der Veranstaltung im nächsten Jahr zuzulassen. "Die meisten Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, finden das in dieser proklamatorischen Art nicht sinnvoll", sagte Claussen. Die AfD habe ein Potenzial von etwa 20 Prozent der Bevölkerung. "Diese Menschen werden hierbleiben, die gehen nicht weg. Man muss sich mit ihnen auseinandersetzen", sagte Claussen.

epd



Forscher: Jugend fremdelt mit Kirchen

Laut dem Jugendforscher Hurrelmann halten junge Menschen die Kirchen für "ganz nützlich". Engagiert sei aber nur eine Minderheit.

Die beiden großen christlichen Kirchen sind bei jungen Menschen in Deutschland gut angesehen. Zahlreiche Untersuchungen wie die Shell-Studie zeigten, dass die große Mehrheit der Jugend und jungen Erwachsenen sie für sinnvolle soziale Einrichtungen halte, die für die Gesellschaft von Vorteil seien, sagte der Jugendforscher Klaus Hurrelmann von der Berliner Hertie School of Governance dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Sie sind bei ihnen gut geachtet."

Gleichzeitig fremdelten die jungen Leute aber mit der organisatorischen Verfasstheit der Kirchen, sagte Hurrelmann weiter. "Es bröckelt für die großen Religionsgemeinschaften. Sie halten sie für ganz nützlich, können sich aber nicht vorstellen, sich selbst dort zu engagieren. Das bleibt einer Minderheit überlassen." Diese Entwicklung sei bei den Parteien noch stärker ausgeprägt als bei den Kirchen.

Suche nach Sinnorientierung

Sich selbst religiös zu bekennen und an einen persönlichen Gott zu glauben im christlichen Sinn sei bei nur einem guten Drittel der jungen Menschen der Fall, erläuterte der Jugendforscher. Die Zahlen seien sehr stark zurückgegangen und lägen unter der Zahl der erwachsenen Bevölkerung.

Ein weiteres Drittel bezeichne sich selbst zwar als nicht areligiös, aber glaubte nicht an einen persönlichen Gott. Eher glaubten diese jungen Menschen an übersinnliche und übermenschliche Kräfte, seien ansprechbar für abergläubische und schamanische Vorstellungen. "Da ist die Suche nach einer Sinnorientierung zu spüren, die man aber nicht in dem verfassten, christlichen Kanon findet", sagte der Sozialwissenschaftler. Ein weiteres Drittel sei bekennend nichtreligiös, wobei die wenigsten sich als Atheisten bezeichnen würden. Die meisten von ihnen wollten sich nicht festlegen.

Junge Muslime sehr religiös

Im Vergleich dazu seien muslimische junge Menschen in Deutschland mehrheitlich sehr religiös. "Hier ist die religiöse Orientierung stark und eng und bestimmt auch viele tägliche Lebensabläufe, wird für Entscheidungen im Leben mit herangezogen und gilt als Orientierung", sagte der Trendforscher. Unter den Muslimen in Deutschland würden sich zwei Drittel als religiös bezeichnen.

Hurrelmann geht aber davon aus, dass sich das ändert und sich die religiöse Orientierung bei den muslimischen Jugendlichen schrittweise an die der christlichen Mehrheitgesellschaft angleicht. "Das haben wir bei allen anderen lebensperspektivischen Entscheidungen auch gesehen, beispielsweise bei der Männer-Frauen-Rolle, bei der Anzahl der Kinder, bei der Rolle der Familie." Es werde bei den muslimischen Jugendlichen hierzulande wahrscheinlich in 15 Jahren nur noch kleine und in 30 Jahren gar keine Unterschiede mehr geben im Vergleich zur religiösen Orientierung der Mehrheitsgesellschaft.

epd-Gespräch: Markus Geiler


Gräb-Schmidt: Genmanipulierte Babys sind ein Skandal


Elisabeth Gräb-Schmidt
epd-bild / Norbert Neetz
Die Theologin Elisabeth Gräb-Schmidt hat die Geburt der mutmaßlich ersten genmanipulierten Babys als "skandalöses Vorgehen und nicht hinnehmbar" kritisiert.

Die Nachricht eines chinesischen Forschers über die Veränderung des Erbguts von Zwillingsmädchen zeige, dass es allgemeine ethische Leitlinien brauche, die für alle Wissenschaftler verbindlich sind, sagte die Direktorin des Instituts für Ethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Zwar berge die Gentechnologie enorme Potenziale, und die Wissenschaft erhoffe sich davon Heilungschancen beispielsweise bei Krankheiten wie Parkinson und Mukoviszidose, erklärte Gräb-Schmidt, die dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und dem Deutschen Ethikrat angehört. Doch es müsse unterschieden werden zwischen einer somatischen Gentherapie, bei der Veränderungen in der DNA nur einen Menschen betreffen, und einem Eingriff in die Keimbahn, der dann auch Folgen für weitere Generationen haben könne. Bei einer Keimbahntherapie stellten sich verschärft ethische Fragen nach den Grenzen der technischen Machbarkeit, betonte die Professorin für Systematische Theologie, die sich unter anderem mit Fragen der Technik- und Bioethik auseinandersetzt.

Fokus auf Beratungsgespräche für Schwangere

Bei Werbeverboten für Abtreibungen und Bluttests auf Down-Syndrom setzt die Theologin nach eigenen Worten auf Beratungsgespräche für Schwangere in Konfliktsituationen. Da bereits Bluttests im Internet angeboten würden, sei es wichtig, Betroffene zu beraten und das Problembewusstsein zu schärfen. "Damit schützt man werdendes Leben mehr, als wenn man einfach nur gegen einen solchen Test ist", sagte sie. Durch die Beratung solle jedenfalls ausgeschlossen werden, dass es zur Regel werde, behinderte Kinder abzutreiben.

Den Kompromiss der Regierungskoalition zum Werbeverbot für Abtreibungen bezeichnete Gräb-Schmidt als Schritt in die richtige Richtung. Demnach soll am Werbeverbot festhalten werden, der Paragrafen 219a soll aber so ergänzt werden, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und Ärztekammern neutral über Schwangerschaftsabbrüche informieren können.

Information für die betroffenen Frauen und Paare sei wichtig und müsse an zentralen Stellen angeboten werden und verlässlich sein, sagte die Ethikerin. Die Beratung werde daher ins Zentrum der Fragen um einen möglichen Schwangerschaftsabbruch gestellt. Es müsse jedoch klar sein, dass es um den Schutz werdenden Lebens gehe. Eine Abtreibung sei nicht nur eine "Entfernung von embryonalem Gewebe". Dahinter verberge sich bereits ein Mensch. Jeder Abbruch könne nur als Entscheidung einer schwerwiegenden Konfliktsituation angesehen werden, die von keiner Frau leichtfertig getroffen werde, erklärte Gräb-Schmidt.

epd-Gespräch: Judith Kubitscheck


Weniger rheinische Kirchenkreise und Gemeinden im neuen Jahr

Die Evangelische Kirche im Rheinland besteht ab dem neuen Jahr aus 687 Kirchengemeinden in 37 Kirchenkreisen. Durch die Fusion der Kirchenkreise Wetzlar und Braunfels zum neuen "Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill" verringert sich die Zahl der Kirchenkreise von 38 auf 37, wie die rheinische Landeskirche in Düsseldorf mitteilte. Durch Zusammenschlüsse reduziert sich auch die Zahl der Gemeinden - von 694 im Jahr 2018 auf 687 im kommenden Jahr.

Konkret schließen sich den Angaben zufolge im Kirchenkreis Aachen die Kirchengemeinden Baesweiler und Setterich-Siersdorf zur Kirchengemeinde Baesweiler-Setterich-Siersdorf zusammen. Die Evangelisch-reformierten Kirchengemeinden Schöller und Gruiten fusionieren im Kirchenkreis Niederberg zur Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Gruiten-Schöller.

Im Kirchenkreis Simmern-Trarbach wird aus den Gemeinden Bell-Leideneck-Uhler, Horn-Laubach-Bubach, Riegenroth und Gödenroth-Heyweiler-Roth die neue Kirchengemeinde "Zehn Türme". Im Kirchenkreis Trier bilden die Gemeinden Rhaunen-Hausen und Sulzbach die neue Kirchengemeinde Rhaunen-Hausen-Sulzbach. Die Kirchengemeinde Ellweiler im Kirchenkreis Obere Nahe schließt sich den Angaben zufolge der Kirchengemeinde Birkenfeld an.



Neuer Kirchenkreis Arnsberg-Soest startet

In der Evangelischen Kirche von Westfalen geht zum Jahresbeginn mit Superintendent Dieter Tometten der neue, fusionierte Kirchenkreis Arnsberg-Soest an den Start. Der Kirchenkreis besteht den Angaben nach aus elf Arnsberger und 20 Soester Gemeinden mit insgesamt 100.000 Gemeindemitgliedern. Soest-Arnsberg wird nun der flächengrößte Kirchenkreis im Bereich der westfälischen Kirche sein.

Die Neugründung des großen Kirchenkreises soll die kirchliche Arbeit im Sauerland, in der Börde und an der Lippe verbessern. Mit dem neuen Kirchenkreis Soest-Arnsberg werden drei neue Pfarrstellen im Bereich Seelsorge, Notfallseelsorge und Seelsorge im Alter geschaffen.



Ungeliebte Weihnachtsgeschenke in Düsseldorf spenden

In der evangelischen Johanneskirche in Düsseldorf ist am 2. Januar die traditionelle Benefizaktion "Ungeliebte Weihnachtsgeschenke" gestartet. Bis 4. Januar können nicht gewünschte, überflüssige oder übriggebliebene Präsente vom vergangenen Weihnachtsfest zwischen 10 und 18 Uhr im Café des Gotteshauses in der Düsseldorfer Innenstadt abgegeben werden, wie Barbara Wengler von der Johanneskirche mitteilte.

Wichtig ist den Veranstaltern auch in diesem Jahr, dass kein Trödel abgegeben wird. Auch alte Bestände, die vielleicht seit Jahren in Kellern oder auf Dachspeichern schlummern, seien nicht gewollt und würden nicht angenommen, hieß es weiter. Gefragt sind ausschließlich aktuelle Geschenke, die dem Beschenkten nicht gefallen.

Am 5. Januar dann stehen die "ungeliebten" Präsente zwischen 10 und 16 Uhr beim "Fairen Markt" in der Johanneskirche zum Verkauf. An Second-Hand-Büchertischen kann zudem Literatur gekauft werden. Der Erlös soll wie in früheren Jahren an die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" gehen. Sie leistet medizinische Nothilfe für Opfer von Kriegen und Krisen ungeachtet ihrer Herkunft, religiösen oder politischen Überzeugung. In den vergangenen Jahren kamen nach Angaben der Veranstalter jeweils etwa 2.000 Euro zusammen.



Profile-Reihe "Das neue Leben" startet in Lemgo

Die Gottesdienstreihe "Profile" der Lippischen Landeskirche stellt den Römerbrief des Paulus in den Mittelpunkt. Auftakt ist am 6. Januar um 10 Uhr in der evangelisch-lutherischen Kirche St. Nicolai in Lemgo, wie die Lippische Landeskirche mitteilte. Vorgestellt werde dabei eine Skulptur der Lemgoer Bildhauerin Carolin Engels zum Thema "Das neue Leben". Im Anschluss an den Segnungs- und Salbungsgottesdienst bestehe beim Kirchkaffee die Möglichkeit zur Begegnung mit der Künstlerin.

Anlass für die Beschäftigung mit dem Römerbrief ist das Karl-Barth-Jahr 2019, wie die Landeskirche mitteilte. Karl Barth (1886-1968) sei einer der prägendsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts gewesen. Er sei unter anderem Mitbegründer der Bekennenden Kirche, entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und Förderer der Ökumene gewesen. Vor hundert Jahren sei sein Buch "Der Römerbrief" erschienen, in dem er sich mit den zeitübergreifenden, prophetischen Aussagen im Brief des Paulus an die Römer beschäftigt habe.

Im Zentrum der Reihe "Profile" steht immer der Gottesdienst. Dazu gibt es jeweils eine Gemeindeveranstaltung und eine künstlerische Installation.

Weitere Infos unter www.lippische-landeskirche.de



Papst ersetzt Vatikansprecher durch Italiener

Papst Franziskus hat Vatikansprecher Greg Burke und seine Stellvertreterin Paloma Gracía Ovejero durch einen Italiener ersetzt. Wie deren Nachfolger Alessandro Gisotti und der Chef der vatikanischen Medienbehörde, Paolo Ruffini, am 31. Dezember mitteilten, dankte das Kirchenoberhaupt dem Amerikaner und der Spanierin für ihren Dienst und nahm deren Rücktritt an. Gleichzeitig ernannte er demnach den Römer Gisotti übergangsweise zum Leiter des vatikanischen Pressesaals. In der offiziellen Erklärung für den Wechsel wurden keine Gründe genannt.

Burke war vor dem Hintergrund seiner Erfahrung als Italienkorrespondent des US-Senders Fox News und seiner Mitgliedschaft in der äußerst konservativen katholischen Gemeinschaft Opus Die zum Vatikansprecher berufen worden. Er wurde nun ebenso wie seine gleichzeitig ernannte Stellvertreterin nach 18 Monaten im Amt abgelöst. Nachfolger Gisotti war seit dem Abschluss in Politikwissenschaften im Vatikan tätig, zuletzt als Verantwortlicher der vatikanischen Medienbehörde für soziale Medien. Burke und sein Vorgänger Federico Lombardi hatten sich um eine Professionalisierung der Arbeit des vatikanischen Pressesaals bemüht.



Polen trauern um Weihbischof Pieronek

Die katholische Kirche in Polen trauert um den emeritierten Weihbischof Tadeusz Pieronek. "Tadeusz Pieronek war auf seine Art unbequem für viele Bischöfe", sagte der Dominikanerpater und Journalist Pawel Guzynski am 28. Dezember dem Fernsehsender TVN24. Der 84 Jahre alte Geistliche war am 27. Dezember in Krakau gestorben. Er galt als Vertreter des liberalen Flügels der Bischofskonferenz.

Pieronek wirkte unter anderem als Weihbischof in Sosnowiec und war von 1998 bis 2004 Rektor der Päpstlichen Akademie in Krakau. Im Dezember 2015 erklärte er, dass Polen die moralische Pflicht habe, Flüchtlinge aufzunehmen. Die meisten Kirchenvertreter schwiegen damals, als sich die nationalkonservative Regierung gegen die Aufnahme von Asylsuchenden aussprach. Pieronek habe "das europäische Polen auf ehrliche und mutige Art" unterstützt, erklärte Donald Tusk, der Vorsitzende des Europäischen Rats und ehemalige polnische Premierminister, im Kurznachrichtendienst Twitter.



Koptische Christen feiern Weihnachtsgottesdienst

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Verfolgung ihrer Glaubensbrüder in Ägypten feiern die koptisch-orthodoxen Christen in Deutschland am kommenden Sonntag, dem 6. Januar, ihren Weihnachtsgottesdienst. Wie Erzpriester Boulos Shehata mitteilte, wird in Düsseldorf die diesjährige Christmette der koptisch-orthodoxen Gemeinde St. Maria in der Bunkerkirche St. Sakrament im Stadtteil Herdt stattfinden. Bis zu 1.000 Gläubige werden zu dem Gottesdienst erwartet.

Die Liturgie in der koptischen Kirche in der Landeshauptstadt beginnt um 17.30 Uhr. An der rund dreistündigen Zeremonie werden auch Mitglieder der koptischen Gemeinden aus Aachen, Bielefeld, Bonn, Duisburg und Dortmund teilnehmen. Nach Angaben der Koptisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland leben mittlerweile rund 12.000 Kopten in Deutschland.

Die koptisch-orthodoxe Kirche, die schon seit dem ersten Jahrhundert nach Christus besteht, ist die größte christliche Gemeinschaft in der arabischen Welt. Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche ist Papst Tawadros II.. Weltweit wird die Zahl der Kopten auf rund zehn Millionen geschätzt. Die meisten von ihnen leben in Ägypten. Neun von zehn ägyptischen Christen sind Kopten, auch die evangelische und die katholische Kirche sind in Ägypten vertreten. Auch im zurückliegenden Jahr kam es dort zu mehreren Übergriffen auf Kopten. Zuletzt wurden Anfang November 2018 bei einem Anschlag auf einen Pilgerbus auf dem Weg zum Kloster des Heiligen Samuel in der ägyptischen Provinz Al Minja sieben koptische Christen getötet und 19 weitere verletzt.




Gesellschaft

Freikirchen-Beauftragter rät Muslimen zu Finanzmodell ohne Steuer


Merkez Moschee in Duisburg-Marxloh
epd-bild/Udo Gottschalk
Die in der Vereinigung Evangelischer Freikirchen organisierten Gemeinden verzichten auf eine Pflichtabgabe ihrer Mitglieder. Kann diese Art der Finanzierung ein Modell für Moschee-Gemeinden sein?

Eine Moschee-Steuer nach dem Vorbild der Kirchensteuer erscheint einigen Politikern geeignet, um ausländischen Einfluss auf islamische Gemeinden in Deutschland einzudämmen. Doch das Steuerkonstrukt ist kompliziert - und auch nicht alle Kirchen nutzen es. Die in der Vereinigung Evangelischer Freikirchen organisierten Gemeinden verzichten auf eine Pflichtabgabe ihrer rund 270.000 Mitglieder. Warum sie die Kirchensteuer nicht wollen, wie sie ihr Gemeindeleben finanzieren und ob sie ihr Modell den Muslimen empfehlen können, erklärt der Beauftragte der Vereinigung am Sitz der Bundesregierung, Peter Jörgensen, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Pastor Jörgensen, die evangelischen Freikirchen in Deutschland erheben keine Steuern, obwohl sie das könnten. Warum?

Peter Jörgensen: Bei uns gilt das Freiwilligkeitsprinzip - sowohl für die Religionszugehörigkeit wie für das Gewissen und damit auch für die Finanzierung der Kirchen. Wir haben über Jahrhunderte ausgezeichnete Erfahrungen damit gemacht, dass wir als geistliche Gemeinschaft für die Dinge, die wir brauchen, auch selbst sorgen. Es geht uns um die Identifikation mit dieser Gemeinschaft. Wer zu uns kommt und sich zugehörig fühlt, soll auch mitfinanzieren, wovon er profitiert. Aber ohne Zwang. Diesen wollen wir nicht über Dritte erzeugen, die in unserem Namen von unseren Leuten das Geld zusammensammeln. Das widerspricht auch unserer Überzeugung, dass Staat und Religionsgemeinschaften getrennt sein sollten. Wir halten es für fragwürdig, Menschen dazu zu zwingen, sich religiös zu offenbaren. Um Kirchensteuern einzuziehen, muss der Staat ja wissen, wer sich wo religiös zugehörig fühlt. Das kann in anderen Zusammenhängen schädlich sein - für die einzelne Person, nicht die Institution.

epd: Fürchten Sie über die Steuer eine Art staatlicher Kontrolle?

Jörgensen: Die Sorge, dass darüber eine Kontrollfunktion ausgeübt wird, habe ich nicht. Das Beispiel der beiden großen Kirchen, die Steuern erheben, zeigt ja, dass sich der Staat deswegen nicht in ihre inneren Belange als Institution einmischt. Die Frage ist, ob der Staat ein Register über Personen, die zu religiösen Minderheiten gehören, für eine Form der Kontrolle nutzen wollen würde.

epd: Wenn die Muslime Sie um Rat fragen würden: Würden Sie Ihr Modell empfehlen?

Jörgensen: Ja, sofort. Eine Identität auszubilden und Zugehörigkeit in Verbindlichkeit umzumünzen hat viele schöne Seiten. Das ist auch für Moschee-Gemeinden eine gute Empfehlung. Außerdem ist es doch so: Wenn sie sich aus einer Freiwilligkeit heraus beteiligen, entscheiden sie auch selbst, inwieweit sie sich beteiligen.

epd: Ist die Steuer nicht aber auch ein Schutz zur Aufrechterhaltung der Religionsgemeinschaft, wenn viele Mitglieder nicht freiwillig zahlen wollen?

Jörgensen: Es ist eher so, dass sich in der Bereitschaft, verbindlich eine Religionsgemeinschaft zu unterstützen, ausdrückt, wie stark eine Religionsgemeinschaft tatsächlich auch ist. Der Staat kann sich jedenfalls nicht zur Aufgabe machen, eine Religionsgemeinschaft zu erhalten, auch nicht per Steuereinzug. Die Lebensfähigkeit einer Religionsgemeinschaft beweist sich nicht dadurch, dass der Staat eingreift.

epd: Als ein Knackpunkt bei der Finanzierung muslimischen Lebens in Deutschland gilt die Imam-Ausbildung. Für die Förderung deutscher, vom Ausland nicht beeinflusster Imame, fehlt bislang das Geld. Wie machen das die evangelischen Freikirchen?

Jörgensen: Bei uns gilt zunächst der Grundsatz, dass die Gemeinde die eigentliche Größe ist. Für Aufgaben, die zusammen mit anderen gestemmt werden sollen, haben einige der in Deutschland kleinen protestantischen Kirchen unter anderem eigene theologische Hochschulen gegründet. Die sind staatlich akkreditiert, und dort werden unsere Pastorinnen und Pastoren ausgebildet. Finanziert wird das über eine Umlage aus den Gemeinden, weil sie dafür Sorge tragen wollen, dass ihr künftiges Personal auch quasi bei ihnen selbst ausgebildet wird.

epd: Die allermeisten Freikirchen sind als Körperschaften öffentlichen Rechts anerkannt. Warum eigentlich, wenn sie gar keine Steuern erheben wollen?

Jörgensen: Wir blicken 2019 auf 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung zurück. Gesellschaftlich war es damals so, dass die Kirchen, die nicht im Sinne der Volkskirchen anerkannt waren, eben auch im übertragenen Wortsinn ein Anerkennungsproblem hatten. Dass die Freikirchen heute auch Körperschaften sind, vermittelt diese Anerkennung und Gleichbehandlung. Dieses Signal ist entscheidend. Es heißt, dass auch wir eingeladen sind, im öffentlichen Raum mitzugestalten und nicht in irgendwelchen Hinterhöfen bleiben sollen. Über diesen Status kommt natürlich auch ein Privilegienbündel, das die Arbeit der Gemeinden erleichtert. Dazu zählt die Befreiung von bestimmten Steuern, beispielsweise der Befreiung von Grundsteuer, um einer religiösen Heimat einen Ort geben zu können.

epd-Gespräch: Corinna Buschow


Muslime sehen Moschee-Steuer skeptisch


Aiman Mazyek
epd-bild/Jürgen Blume
Eine Abgabe nach dem Vorbild der Kirchensteuer halten einige Politiker für eine gute Idee zur Finanzierung der Moscheen in Deutschland. Die Muslime selbst sehen sie skeptisch. Auch Moschee-Gründerin Ates, die die Debatte entfachte, rudert zurück.

In der Debatte um die Finanzierung deutscher Moscheen sehen Vertreter der Muslime die Idee einer Moschee-Steuer nach kirchlichem Vorbild skeptisch. Der Islam solle nicht verkirchlicht werden, sagt die Gründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, Seyran Ates, 27. Dezember im ARD-"Morgenmagazin". Sie hatte an Weihnachten die Debatte über eine Moschee-steuer mit entfacht, weil sie als Verfechterin solch einer Steuer verstanden wurde. Nun schlug sie die im Islam übliche soziale Pflichtabgabe Zakat als Orientierung vor.

Gleichwohl solle der Staat eine "moderierende Rolle" übernehmen und daran mitwirken, wie eine Finanzierung von Moscheegemeinden aus dem Ausland beendet werden könne, sagte Ates. In Deutschland haben unter anderem die evangelische und die katholische Kirche den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Damit verbunden ist das Recht des Steuereinzugs bei den Mitgliedern.

Moschee-Gemeinden für steuerliche Entlastung

Ein Teil der muslimischen Gemeinden in Deutschland erhält Unterstützung aus dem Ausland. Der größte Islam-Verband, die der Türkei nahestehende Ditib, greift auf aus der Türkei entsandte Imame zurück. Diesen Einfluss will die Politik beenden. Eine Moschee-Steuer erscheint einigen daher als Lösung.

Aus den muslimischen Verbänden selbst kommt die Forderung aber nicht. In der bisherigen Finanzierung der Gemeinden über Mitgliedsbeiträge oder Spenden sehe er kein Problem, sagte der Vorsitzende des Islamrats, Burhan Kesici, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Köln. Sinnvoll als finanzielle Unterstützung der Moscheegemeinden könnte dagegen eine Steuerbefreiung oder steuerliche Entlastung etwa bei der Grundsteuer sein oder eine leichtere Absetzbarkeit von Spenden an die Gemeinden.

Der Zentralrat der Muslime begrüßte die Diskussion über die Moschee-Steuer. "Die Moscheen sind in der Regel unterfinanziert und das seit vielen Jahren", sagte der Vorsitzende Aiman Mazyek dem epd. "Sie müssen Dienstleistungen erbringen, haben aber keine finanziellen Rücklagen", ergänzte er. Das sei etwa deutlich geworden bei der Diskussion über die Ausbildung und Bezahlung von Imamen, für die die meisten Gemeinden gar kein Geld hätten. Die von Ates vorgeschlagene Abgabe ähnlich dem Zakat werde bereits in vielen Gemeinden praktiziert, sagte Mazyek. Neben einer Steuer sei auch eine Moschee-Abgabe denkbar, organisiert über eine Stiftung mit staatlicher Beteiligung.

Mazyek: Finanzielle Unterstützung aus dem Ausland nicht die Regel

Die von Befürwortern einer Moscheesteuer genannte Begründung, viele islamische Gemeinden würden bisher aus dem Ausland finanziert, wiesen Mazyek und Kesici entschieden zurück. Finanzielle Unterstützung gebe es nur punktuell etwa bei der Ditib, deren Imame von der Türkei bezahlt werden. "Der Rest wird von den Gemeinden vor Ort allein gestemmt", betonte Mazyek.

Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz hält die Moschee-Steuer für eine "diskussionswürdige Idee". Eine größere Unabhängigkeit vom Ausland wäre erfreulich, sagte er dem NDR. Der AfD-Politiker Volker Münz lehnte die Steuer dagegen ab. "Eine Gleichstellung von Kirchen und Islamverbänden kann es nicht geben", erklärte er.

Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor lehnte im Deutschlandfunk ebenfalls eine Moschee-Steuer ab. Es gebe keine zentrale Stelle, die das Geld dann verteilen könne, argumentierte sie. In Deutschland gibt es viele unterschiedliche islamische Gemeinschaften und Verbände, aber bislang keinen einheitlichen Ansprechpartner für den Staat.

Kaddor schlug Übergangsmodelle vor und forderte vom Staat, sich mehr in der Ausbildung deutscher Imame zu engagieren. Islamische Theologen werden an deutschen Universitäten zwar ausgebildet. Bislang fehlt es aber an der praktischen Ausbildung, die nach Auffassung des Staates die Religionsgemeinschaften selbst organisieren müssen, weil sich der Staat aufgrund des Neutralitätsgebots dort nicht einmischen darf.

Muslimische Gemeinden sind mit Ausnahme der Ahmadiyya in Deutschland nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt, vor allem wegen ihrer unklaren Mitgliederstruktur. Die Anerkennung wäre Voraussetzung für die Erhebung einer eigenen Steuer, wie sie die Kirchen und jüdischen Gemeinden von ihren Mitgliedern erheben.



Bund will Finanzströme an radikale Moscheen stoppen

Extremistische Moscheen in Deutschland erhalten häufig Geld aus Golfstaaten. Das Auswärtige Amt führt diplomatische Gespräche, um eine weitere finanzielle Unterstützung zu verhindern.

Die Bundesregierung versucht Finanzströme aus islamisch geprägten Ländern an radikale Moscheen in Deutschland zu unterbinden. Man sei mit Regierungen verschiedener Staaten im Gespräch, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am 28. Dezember in Berlin und bestätigte damit einen Bericht von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung". Ziel sei es, die Förderung von Einrichtungen zu vermeiden, in denen extremistisches Gedankengut verbreitet werde. Daran hätten beide Seiten Interesse, sagte der Sprecher.

Seinen Worten zufolge gibt es bereits seit längerer Zeit eine entsprechende Vereinbarung mit Kuwait. Die dortige Regierung bemühe sich, die Finanzierung von Projekten in Deutschland besonders gründlich zu prüfen, sagte er. Zur Kooperationsbereitschaft anderer Golfstaaten, konkret Saudi-Arabien, äußerte er sich mit Verweis auf die diplomatischen Gespräche nicht.

Prüfungen geplant

Genaue Angaben darüber, wie viel Geld muslimische Gemeinden in Deutschland von und aus anderen Staaten erhalten, hat die Bundesregierung nach eigener Aussage nicht. Im Medienbericht heißt es unter Berufung auf den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen, es gehe um einen "mindestens siebenstelligen Bereich".

Die Bundesregierung will die Staaten dazu bewegen, geplante Überweisungen an deutsche Moscheen zunächst zu melden und in Deutschland prüfen zu lassen. Eine Sprecherin des Innenministeriums erklärte, dass bei dieser Prüfung unter anderem der Verfassungsschutz nach Erkenntnissen über die betreffenden Einrichtungen gefragt wird.

Sanktionen kaum möglich

Ob eine geplante Zahlung von der Bundesregierung seit der Vereinbarung mit Kuwait bereits beanstandet und in der Folge nicht geleistet wurde, sagte der Außenamtssprecher nicht. Viele Sanktionsmöglichkeiten zur Unterbindung der Überweisungen hat die Bundesregierung offenbar nicht. Die Innenministeriumssprecherin erläuterte, bei einem Vereinsverbot kämen entsprechende Maßnahmen infrage. Wenn ein Verein erlaubt ist, können Zahlungen demnach allerdings kaum unterbunden werden.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat sich mit der Islamkonferenz zum Ziel gesetzt, ausländische Einflüsse auf deutsche Moscheen zurückzudrängen. Bislang stand dabei vor allem die türkische Unterstützung für den Türkei-nahen Islam-Verband Ditib im Fokus.



Amokfahrt im Ruhrgebiet: 50-Jähriger in Untersuchungshaft

Der mutmaßliche Amokfahrer, der in der Silvesternacht Menschen in Bottrop und Essen mit seinem Auto anfuhr, befindet sich in Untersuchungshaft. Gegen den 50-jährigen Deutschen aus Essen beantragte die Staatsanwaltschaft Haftbefehl wegen mehrfachen versuchten Mordes. Der zuständige Amtsrichter erließ Haftbefehl gegen den Mann, wie die Staatsanwaltschaft Essen und die Polizeipräsidien von Recklinghausen und Münster am 2. Januar gemeinsam mitteilten. Der Tatverdächtige verletzte nach bisherigen Erkenntnissen acht Menschen, unter anderem aus Syrien und Afghanistan. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) spricht von fremdenfeindlichen Motiven. Erkenntnisse auf einen rechtsextremen Hintergrund des Mannes lägen bislang nicht vor.

Menschen aus Syrien und Afghanistan schwer verletzt

Der Autofahrer soll nach Polizeiangaben in der Silvesternacht erstmals kurz vor Mitternacht in Bottrop auf der Osterfelderstraße versucht haben, Fußgänger anzufahren. Verletzt wurde dort niemand. Auf dem Berliner Platz der Stadt erfasste er dann eine 46-jährige Frau aus Syrien, die lebensgefährlich verletzt wurde und sich nach einer Notoperation inzwischen außer Lebensgefahr befindet. Der 48-jährige Ehemann und die beiden 16 und 27 Jahre alten Töchter wurden ebenfalls verletzt. Auch ein vierjähriger Junge und seine 29 Jahre alte Mutter aus Afghanistan sowie ein zehnjähriges Mädchen aus Syrien wurden ärztlich behandelt.

In Essen, wo der Autofahrer erfolglos versucht hatte, eine Gruppe wartender Fußgänger in der Schlossstraße zu erfassen, konnten Polizisten den Fahrer an der Straße Rabenhorst festnehmen. Zuvor hatte er noch einen 34-jährigen Mann mit türkischen Wurzeln verletzt.

Der Beschuldigte ist nach Polizeiangaben nach bisherigen Erkenntnissen bislang polizeilich nicht in Erscheinung getreten. Die Ermittlungen dauern an. Bereits bei seiner Festnahme habe der Fahrer fremdenfeindliche Bemerkungen geäußert, erklärte die Polizei. Die Ermittlungsbehörden gingen von einem gezielten Anschlag aus, der möglicherweise in der Fremdenfeindlichen Einstellung des Fahrers begründet sei. Zudem lägen Erkenntnisse vor, dass der Mann in der Vergangenheit wegen einer psychischen Erkrankung behandelt wurde.

NRW-Innenminister geht von fremdenfeindlichen Motiven aus

NRW-Innenminister Reul, der bereits am 1. Januar mit den zuständigen Beamten gesprochen hatte, geht von einer klaren Tötungsabsicht des Autofahrers aus. Bei der Festnahme und der Vernehmung habe der Mann zudem offenkundig werden lassen, dass seine Motivlage Fremdenhass sei, sagte Reul am 2. Januar im WDR5-Morgenecho. Details wollte der Reul nicht nennen und verwies auf die laufenden Ermittlungen. Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund gebe es bislang keine. "Vorsichtig gesagt, scheint es jemand zu sein, der aus einer persönlichen Betroffenheit und Unmut heraus einen Hass auf Fremde entwickelt hat."

Der Minister betonte, dass eine Gewalttat, egal von welcher Seite und aus welchen Motiven, nicht verharmlost werden dürfe. "Wir müssen dafür werben, dass Gewaltanwendung für jedermann verboten ist und der Rechtsstaat ein hohes Gut ist."



Merkel: Herausforderungen nur über Grenzen hinweg zu meistern

Zum Jahreswechsel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu mehr Zusammenhalt international und im eigenen Land aufgerufen. "Die Herausforderungen unserer Zeit werden wir nur meistern, wenn wir zusammenhalten und mit anderen über Grenzen hinweg zusammenarbeiten", sagte Merkel in ihrer Neujahrsansprache. Als wichtigste Themen nannte sie den Klimawandel, die Migration und den Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

Im eigenen Interesse könne man all diese Fragen am besten lösen, "wenn wir die Interessen anderer mitbedenken", sagte Merkel. Das sei die Lehre aus den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert. Die Regierungschefin beklagte, dass diese Überzeugung heute nicht mehr von allen geteilt werde. Gewissheiten der internationalen Zusammenarbeit würden unter Druck geraten. Merkel kündigte an, dass sich Deutschland mit der Übernahme eines Sitzes im UN-Weltsicherheitsrat am 1. Januar für globale Lösungen einsetzen werde.

Selbstkritik wegen "Beschäftigung mit uns selbst"

Die Kanzlerin ging in ihrer Neujahrsansprache auch auf die langwierige Regierungsbildung nach der Bundestagswahl im September 2017 und den heftigen Streit zwischen ihr und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Sommer in der Flüchtlingspolitik ein. "Ich weiß, viele von Ihnen haben sehr mit der Bundesregierung gehadert", sagte sie. Es habe viel "Beschäftigung mit uns selbst" gegeben.

Ihre Ankündigung von Ende Oktober, sich vom CDU-Parteivorsitz zurückzuziehen, bezeichnete Merkel als "Neubeginn", den sie selbst eingeleitet habe. "Die Demokratie lebt vom Wechsel, und wir alle stehen in der Zeit", sagte sie. Merkel dankte zum Jahresende zudem Polizisten, Soldaten, Rettungskräften und den Menschen, die sich in Krankenhäusern und in der Pflege um andere kümmern.

Als weitere politische Handlungsfelder im Inland nannte sie die Digitalisierung und den Wunsch nach gleichwertigen Lebensverhältnissen in Stadt und Land. Dabei ringe man um die besten Lösungen in der Sache, sagte Merkel und ergänzte: "Immer häufiger aber auch um den Stil unseres Miteinanders, um unsere Werte." Konkret nannte sie dabei Offenheit, Toleranz und Respekt.



NRW-Ministerpräsident Laschet wirbt für Europa


Armin Laschet
epd-bild/Stefan Arend

In seiner Neujahrsansprache hat der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) für ein Bekenntnis zu Europa geworben. Gleichzeitig warnte er vor den Folgen, die der "Brexit" auch für die Menschen in Nordrhein-Westfalen haben kann. "Großbritannien wird im März wahrscheinlich aus der EU austreten, im schlimmsten Fall ungeregelt, mit erheblichen Folgen für unsere Arbeitsplätze und viele Menschen diesseits- und jenseits des Ärmelkanals", sagte Laschet am 1. Januar laut Redetext. Die Nordsee zwischen Dover und Calais werde dann zur EU-Außengrenze.

Die Europäische Union sei nicht nur ein Garant für Frieden, Sicherheit und Wohlstand. "Europa ist gerade in unserer aus den Fugen geratenen Welt unsere Heimat der Stabilität." Freies Reisen, eine gemeinsame Währung, keine Visa und keine Schlagbäume, nannte der Ministerpräsident Errungenschaften der EU. Gerade in den Grenzregionen von NRW zu Belgien und den Niederlanden sei die freie Wahl des Wohnortes und des Arbeitsortes tägliche Praxis. Firmen profitierten vom gemeinsamen Markt ohne Zölle. Das sichere gute Arbeitsplätze.

"Wir 18 Millionen Nordrhein-Westfalen sollten die Europa-Wahl am 26. Mai zum Referendum für Europa machen", warb Laschet. Ein starkes Europa sei gut für Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam über Grenzen hinweg könnten auch Kriminalität und Terrorismus besser bekämpft werden.

Mit Blick auf die Sorge vieler Menschen angesichts der veralteten Atomkraftanlagen in Belgien warb Laschet für ein europäisches Engagement. "Wir brauchen mehr Europa, gemeinsame Standards, mehr Sicherheit."



Deutschland nimmt befristeten Sitz in UN-Sicherheitsrat ein

Deutschland hat am 1. Januar für zwei Jahre einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingenommen. Damit werde die Bundesrepublik zum sechsten Mal in dieser Rolle eine wichtige Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt spielen, betonte die Ständige Vertretung Deutschlands bei den UN unter Leitung von Botschafter Christoph Heusgen.

Der Sicherheitsrat mit seinen fünf ständigen und zehn nichtständigen Mitgliedern ist das einzige Gremium, das völkerrechtlich verbindliche Entscheidungen treffen kann. Auch Belgien, die Dominikanische Republik, Indonesien und Südafrika zogen für 2019/20 als neue nichtständige Mitglieder in den Sicherheitsrat ein. Bei der Wahl im Juni in der UN-Vollversammlung hatten 184 der 193 Mitgliedsländer für Deutschland gestimmt.

Bolivien, Äthiopien, Kasachstan, die Niederlande und Schweden schieden Ende Dezember aus dem Rat aus. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) betonte, Deutschland wolle sich verstärkt für multilaterale Lösungen von Sicherheitsproblemen einsetzen. Die Bundesrepublik werde ihr Mandat so europäisch wie möglich gestalten.

Das Auswärtige Amt betonte das deutsche Engagement bei den UN. Deutschland sei viertgrößter Beitragszahler für den regulären UN-Haushalt, sowie zweitgrößte Geber humanitärer Hilfe und offizieller Entwicklungshilfe. Außerdem sei Deutschland mittlerweile einer der größten westlichen Truppensteller für Blauhelmmissionen. Deutschland war zuletzt 2011/12 nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat.

Als eines von zehn nichtständigen Mitgliedern steht die Bundesrepublik in der zweiten Reihe, hinter den fünf Vetomächten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien. Diese ständigen Mitglieder können alle wichtigen Beschlüsse des Rates blockieren.



Politologe: Menschenrechte müssen erkämpft werden


Kundgebung für Menschrechte und Pressefreiheit in der Türkei im September in Berlin
epd-bild/Rolf Zöllner

Menschenrechtler, Gewerkschafter und andere Aktivisten arbeiten nach Einschätzung des Politologen Michael Windfuhr weltweit unter zunehmend schwierigen Bedingungen. "Das sieht man allein schon daran, dass viele Länder in den vergangenen Jahren Gesetze verabschiedet haben, die den Spielraum von Organisationen der Zivilgesellschaft einschränken", sagte der stellvertretende Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte dem Evangelischen Pressedienst (epd).

"Russland hat den Anfang gemacht, andere wie Indien und Israel sind gefolgt." Die neuen Regelungen zielten oft auf die Finanzierung der Organisationen aus dem Ausland ab. Manche gingen aber auch viel weiter und schrieben beispielsweise eine Genehmigung von Arbeitsplänen vor. "Das heißt nicht, dass die Zivilgesellschaft weniger aktiv ist, aber die Einschränkungen von staatlicher Seite nehmen zu."

Karitative Organisationen seltener betroffen

Die Reglementierung treffe vor allem Organisationen, die sich einsetzten für gute Regierungsführung, Bekämpfung von Korruption, Einhaltung von Menschenrechten und Beteiligung der Bevölkerung. "Rein karitative Initiativen sind davon nicht so betroffen, es geht mehr um Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen oder Vertreter von Minderheiten", erläuterte Windfuhr.

Auch wirtschaftliche Macht spiele eine wichtige Rolle, betonte er. So gerieten in Ländern wie Bangladesch oder Pakistan Organisationen unter Druck, die sich für die Beschäftigten im Textilsektor einsetzten, oder die Unterstützer der Landlosen in Brasilien. "Das ist eine gewisse Gegenbewegung von Regierungen gegen Forderungen nach mehr Partizipation, Transparenz und Rechenschaft."

Aufbruch nach Ende des Kalten Krieges

In den 1990er- und den 2000er-Jahren hätten sich weltweit sehr viele nichtstaatliche Organisationen gegründet. "Es gab diesen bewussten Aufbruch, ein Aufbegehren, weil nach dem Ende des Kalten Krieges mehr Platz war für Widerstand und Engagement." Die derzeitigen Einschränkungen sind laut dem Politikwissenschaftler als Antwort darauf zu verstehen.

"Menschenrechte sind ein Instrument zur Kontrolle und Begrenzung politischer Macht", sagte Windfuhr. Durch die Zunahme totalitärer, autokratischer Regime seien die Menschenrechte heute stärker in der Diskussion und herausgefordert. "Wir müssen lernen, die Menschenrechte zu verteidigen, auch wenn die Macht sich anders verhält, wie durch das Erstarken rechter und populistischer Kräfte." Das zeige sich derzeit sehr deutlich in Ländern wie Brasilien, der Türkei oder auch den USA. "Es zeigt, Menschenrechte müssen immer wieder erkämpft werden."

Aber obwohl in vielen Ländern der Druck auf Aktivisten zunehme, zeige sich weltweit kein einheitlicher Trend. "Es gibt Länder mit einer sehr lebendigen Zivilgesellschaft, die auf dem Weg zu stabilen Demokratien sind wie Ghana und Senegal oder andere afrikanische Länder." Auch positive Überraschungen seien möglich. "Die Entwicklung, die Äthiopien seit der Amtsübernahme von Ministerpräsident Abiy Ahmed nimmt, hätte man vor ein paar Jahren nicht geglaubt." Abiy hat politische Gefangene entlassen, Frieden mit dem Nachbarland Eritrea geschlossen, wichtige Positionen mit Frauen besetzt und Einschränkungen der Grundrechte gelockert.

epd-Gespräch: Natalia Matter


Zettelkästen der Verfolgung


Das Archiv des International Tracing Service (ITS) in Bad Arolsen umfasst rund 30 Millionen Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus und aus der unmittelbaren Nachkriegszeit.
epd-bild/Andreas Fischer
Der Israeli Zvi Cohen wusste 80 Jahre lang nicht, was seinem Großvater von den Nazis angetan wurde. Eine Anfrage beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen kann NS-Opfern oder Angehörigen wie Cohen Klarheit bringen.

Wenn Zvi Cohen (87) an seinen jüdischen Großvater denkt, erinnert er sich vor allem an eine Geschichte: Der Großvater sei in der Nacht der Reichspogromnacht ohne jede Vorwarnung aus seiner Wohnung in das KZ Sachsenhausen verschleppt worden, ein paar Wochen später sei er wieder entlassen worden. "Dieser stolze Mann kehrte als ein Schatten seiner selbst aus dem Lager zurück, abgemagert, zitternd und weinend", sagt Cohen. "Ohne Unterlass murmelte er: 'Sie haben mir die Füße kaputt gemacht.'"

Keiner in der Familie Cohen hat je erfahren, was dem Großvater Gustav Heller wirklich angetan wurde. Musste er Zwangsarbeit leisten? Wurde er gefoltert? Gelegenheit, selbst noch irgendwann über das Geschehene zu sprechen, hatte Heller nicht. 1943 wurde der Berliner mit seiner Frau Ettel ins Ghetto Theresienstadt deportiert, ein paar Monate später waren sie tot, wahrscheinlich verhungert.

Die Ungewissheit beschäftigt Cohen noch heute. "Vielleicht gibt es irgendwo Dokumente oder Akten, die einen Hinweis darauf geben, was mein Großvater durchmachen musste?", hofft Cohen. Sein halbes Leben lang hat er sich mit der Verfolgung seiner Familie beschäftigt. Doch geht es um seinen Großvater, ist da ein großer, blinder Fleck. Eine schmerzhafte Lücke, die ihn nicht loslässt.

Rund 30 Millionen Dokumente im ITS

Der "International Tracing Service" (ITS) im hessischen Bad Arolsen, gegründet 1946, ist eine erste Anlaufstelle für Menschen wie Cohen. Das Archiv des ITS umfasst rund 30 Millionen Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus und aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dazu zählen Unterlagen zu Verfolgten in Konzentrationslagern, Ghettos und Gestapo-Gefängnissen, zur Zwangsarbeit und Verschleppung, zur Situation der Überlebenden sowie zur Emigration infolge des Zweiten Weltkriegs.

In Bad Arolsen klärt man die Geschichte von Ermordeten, Überlebenden, ehemaligen Zwangsarbeitern oder sucht nach Angehörigen. Seit Ende des Ost-West-Konflikts häufen sich die Anfragen, gerade aus Polen und Russland, wo die Frage nach Entschädigungen erst in den vergangenen 20 Jahren vermehrt aufkam. Die meisten Nachfragen zu Personen kommen heute aus Polen, Deutschland, Russland, USA, der Ukraine, Israel, Frankreich, den Niederlanden.

Dokumente werfen Fragen auf

Per Online-Maske stellt Cohen eine erste Anfrage nach dem Verbleib seines Großvaters. Der ITS schickt ein paar Tage später eine Handvoll pdf-Dateien über die Verfolgungsgeschichte Hellers: Eintritts- und Austrittsmeldung in das KZ Sachsenhausen sowie Kopien von Entschädigungsgesuchen. Die Dokumente werfen Fragen auf. Heller ist nicht kurz nach der Reichspogromnacht nach Sachsenhausen gekommen, sondern erst über zehn Monate später, im September 1939. Für Cohen ist diese Information neu. "Damit kann ich jetzt gar nichts anfangen", sagt er. Eine Rückfrage beim ITS soll Klarheit bringen.

"Wenn die Suche im Online-Archiv kein oder ein ungewöhnliches Ergebnis auswirft, sagen wir immer: Noch einmal direkt beim ITS melden", sagt Christian Groh, der Leiter des Archivs. Beim ihm laufen alle Fäden zusammen.

Das Archiv ist Dreh- und Angelpunkt des ITS. Gerade ist es temporär in einer Lagerhalle untergebracht, in wenigen Jahren soll es in einem Neubau Platz finden. Groh läuft durch eine große Halle und plötzlich eröffnet sich ein für diesen Ort überraschendes Bild: Meterlange Aktenordner, sortiert auf Regalen bis unter die Decke. Originaldokumente, gelagert in Zettelkästen, aufbewahrt in klobigen Archivschränken. Die Fenster sind verdunkelt mit UV-hemmender Folie, Klimaanlagen summen leise vor sich hin.

Hier lagern individuelle Unterlagen oder deren Kopien über Verfolgte aus Konzentrationslagern, von Displaced Persons (DP)-Camps oder aus Gestapo-Akten. Fotoaufnahmen findet man hier wenige. "Selten wurden in Lagern Fotos gemacht", sagt Groh.

Wenn eine Anfrage eingeht beim ITS, beginnt die interne Recherche immer mit dem Namen. Eine große Herausforderung sei die unterschiedliche Schreibweise und Transkription von ausländischen und eingedeutschten Namen, sagt Groh. Allein für den Namen Abrahamovic gebe es 849 Schreibweisen. "Heller ist ein schöner Name", sagt der 51-jährige Archivleiter. Im Fall von Zvi Cohens Großvater ist die Suche vergleichsweise einfach. Schnell findet Groh einen ersten Hinweis auf die Inhaftierung Hellers in Theresienstadt. Was es mit Sachsenhausen auf sich hat, klärt sich hier erst einmal nicht.

Auch die Abteilung "Tracing" (deutsch: Nachverfolgung) im ITS bedient sich bei ihrer Arbeit aus dem Archiv. 20.000 Personenanfragen pro Jahr gehen beim ITS ein, von Forschungseinrichtungen, Universitäten, NS-Opfern oder deren Angehörigen. Acht Prozent kommen noch von Überlebenden selbst. Abteilungsleiterin Anna Meier-Osinski spricht schnell, konzentriert und mit einer großen Portion Verve. "Bis heute suchen Kinder nach dem Schicksal ihrer verschollenen Eltern. Oder wir können endlich herausfinden, wo das Grab eines Familienangehörigen liegt", beschreibt die 39 Jahre alte Kulturhistorikerin ihre Aufgaben. "Das ist wichtig, um abschließen zu können."

Team ist mehrsprachig

Mit 85 Mitarbeitern ist "Tracing" die größte Einheit. Das Team ist mehrsprachig: Deutsch, Englisch, Russisch, Polnisch, Portugiesisch, Spanisch, Niederländisch und Französisch sind gängig. 430 Suchaufträge weltweit hat die Abteilung im Jahr 2017 bearbeitet. Wenn die Anfragen von sehr alten oder kranken Menschen kommt, werde die Bearbeitungszeit verkürzt. In 50 Prozent der Fälle lasse sich allerdings kein einziges Dokument finden, sagt Meier-Osinski.

Auch an Familienzusammenführungen ist der ITS beteiligt, zwischen 30 und 40 sind es pro Jahr. An der Bürotür von Meier-Osinski hängt ein Foto von Hannelore aus Eschwege und Moshe aus Israel, Arm in Arm. Sie sind Halbgeschwister. Einer der beiden wurde in einem DP-Camp gezeugt, bevor der gemeinsame Elternteil nach Israel emigrierte und eine neue Familie gründete. Mit Hilfe des ITS haben sie sich gefunden. "Das sind auch für uns emotionale Momente", sagt Meier-Osinski.

Ein paar Häuser weiter können Besucher des ITS im Lesesaal nach Dokumenten suchen. "Es fällt auf, dass Heller mit vielen anderen Juden aus Berlin am selben Tag nach Sachsenhausen verschleppt wurde", sagt Andrea Hoffmann aus der Abteilung Forschung und Bildung, als sie die Akten zu Heller sichtet. Der Grund sei aus den hier zugänglichen Dokumenten nicht ersichtlich. Vielleicht könne eine Rückfrage in der Gedenkstätte Sachsenhausen weiterhelfen.

Eine Mail an die Gedenkstätte ist schnell geschrieben, die Antwort kommt nur ein paar Tage später: Hellers Inhaftierung im KZ Sachsenhausen habe nichts mit der Reichspogromnacht zu tun, sondern habe sich gegen in Deutschland lebende polnische und staatenlose - ehemals aus Polen stammende - Juden gerichtet, heißt es von der Gedenkstätte.

Anfrage in Gedenkstätte bringt Klarheit

Die jüdischen Inhaftierten seien von der SS auf das Schlimmste behandelt worden: Schläge, Tritte, nächtliches "Sporttreiben" im Freien bei großer Kälte, Einsatz in schlimmsten Arbeitskommandos. "Hellers Entlassung ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass sich herausstellte, dass er niemals die polnische Staatsangehörigkeit besaß."

Nach einer langen Recherche in mehreren Archiven kommt also raus: Heller wurde wohl von der SS gefoltert, dabei seine Füße malträtiert. "Endlich, nach vielen Jahrzehnten, weiß ich, was meinem Großvater erleiden musste", sagt Cohen, erleichtert und erschüttert zugleich.

Von Elisa Makowski (epd)


Das Jahr 2018 in Zitaten

Der Umgang mit Populismus, Antisemitismus und Nationalismus gehörte zu den wichtigen Fragen des Jahres 2018. Der Evangelische Pressedienst (epd) dokumentiert eine Auswahl von Zitaten zu diesen und weiteren Themen aus dem zu Ende gehenden Jahr.

POPULISMUS UND NATIONALISMUS

"Wenn jeder macht, worauf er Lust hat, ist das eine schlechte Nachricht für die Welt." - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 11. Mai auf dem Katholikentag in Münster.

"Populismus missachtet die Regeln und Organe der repräsentativen Demokratie." - Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, am 7. Juni in Bielefeld.

"Wo die Gesellschaft braun schillert, gilt ein Demokrat als linksradikal." - Hans Leyendecker, Journalist und Präsident des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentages 2019 in Dortmund, am 30. November auf einem Empfang in Solingen.

"Mit Gott ist kein 'America first', kein 'Believe in Britain' und kein 'Deutschland, Deutschland über alles' zu machen." - Der Theologische Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, Ulf Schlüter, am 9. Juli in Schwerte.

ANTISEMITISMUS

"Die überwältigende Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen wendet sich ganz klar gegen Antisemitismus. Aber jeder Fall ist einer zu viel." - Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, Anfang Mai in einem Zeitungsinterview.

"Wer die Juden beschimpft, der beschimpft auch uns." - Der Münsteraner Bischof Felix Genn Ende März zu antisemitischem Mobbing an einer Berliner Schule.

MIGRATION

"Schändlich und verlogen ist es, wenn Migrantinnen und Migranten als die eine und einzige Ursache für alles herhalten müssen, was in unserer Gesellschaft und in unserem Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialsystem zu kritisieren ist und der Veränderung bedarf." - Die westfälische Präses Annette Kurschus am 18. November in Bielefeld.

DEUTSCHLAND

"Es kann keine Rede davon sein, dass die Deutschen ein Volk von Egoisten sind." - Die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Gerda Hasselfeldt, Anfang Mai in einem Zeitungsinterview zu ehrenamtlichem Engagement.

"Es ist das beste Deutschland, das wir je hatten." - Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober.

"Jede Kultur, die sich selbst ernst nimmt, ist eine Leitkultur." - Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am 19. März in Düsseldorf.

"Die Deutschen sollten lockerer werden, weniger verbissen Erfolgen nachjagen." - Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, Ende Januar in einem Zeitungsinterview.

"Wachstum ist für mich ein Unwort. Es gibt nichts in der Natur, das stetig wächst, ohne irgendwann kaputt zu sein." - Der Fernsehmoderator Jörg Pilawa im November in einem Zeitungsinterview zum Thema Gewinnstreben.

FUSSBALL-WM

"Auf die Idee, dass ein Foto mit Erdogan an der Niederlage gegen den Fußball-Giganten Südkorea schuld sein soll, können auch nur DFB-Funktionäre nach drei Wochen Nachdenken kommen." - Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am 9. Juli im Kurznachrichtendienst Twitter

MISSBRAUCHSSKANDAL

"Allzu lange haben wir in der Kirche weggeschaut, vertuscht, geleugnet, wollten es nicht wahrhaben. Für alles Versagen und für allen Schmerz muss ich auch als Vorsitzender der Bischofskonferenz um Entschuldigung bitten und ich tue es auch ganz persönlich. Ich schäme mich." - Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am 25. September in Fulda bei der Vorstellung der Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche.

"Selbstkritik und das Leiden an der eigenen Kirche gehören zum Wesen des Protestantismus. Deshalb hat auch die Aufarbeitung aller Arten von Skandal im Protestantismus Tradition." - Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Ende Oktober in einem Zeitungsinterview zum Umgang der evangelischen Kirche mit Missbrauchsfällen.

KIRCHE

"Ohne Gottes Geist wäre die Kirche längst schon zum Museum geworden." - Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, am 20. Mai in Aachen zur Bedeutung des Pfingstfestes.

"Kirche, das sind wir doch alle!" - Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki am 20. Mai im Domradio.

"Nächstenliebe ist ein christliches Attribut, ein christlicher Wert, aber mit universellem Charakter. Und Nächstenliebe endet nicht bei der Hautfarbe oder an Grenzen oder an anderen Dingen." - Der saarländische Justizminister Peter Strobel (CDU) am 16. Mai in einer Landtagsdebatte zum Thema Kirchenasyl.

25. JAHRESTAG DES BRANDANSCHLAGS VON SOLINGEN AM 29. MAI

"Das Andenken an die Toten von Solingen bleibt ein Auftrag für uns alle - nicht zu vergessen, nicht wegzusehen und nicht zu schweigen." - Außenminister Heiko Maas (SPD) Ende Mai in einem Zeitungsinterview.

AUFNAHMESTOPP FÜR AUSLÄNDER BEI ESSENER TAFEL

"Die Politik muss Sorge dafür tragen, dass es nicht zu einer Konkurrenz der Bedürftigen kommt, die sich dann auch noch aggressiv äußert." - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Anfang März in einem Zeitungsinterview.



Berlin ist Protest-Hauptstadt in Deutschland

Berlin ist einer Datenauswertung des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) zufolge der Hotspot für Demonstrationen in Deutschland. Wie der RBB am 27. Dezember berichtete, zählte die Versammlungsbehörde bis Ende November 4.446 Demonstrationen und Kundgebungen in der Bundeshauptstadt. Für das Jahr 2018 bedeute das statistisch gesehen etwa zwölf Versammlungen am Tag. Rein rechnerisch finde in Berlin also alle zwei Stunden eine Demonstration oder Kundgebung statt, berichtete der RBB unter Verweis auf das ihm vorliegende Zahlenmaterial.

Demnach hat sich die Zahl von Protesten in der Hauptstadt im Vergleich zum Jahr 2008 fast verdoppelt. Seit fünf Jahren bewege sie sich auf konstantem Niveau zwischen 4.500 und 5.000 jährlich.

Der Protestforscher Simon Teune von der Technischen Universität Berlin sieht darin auch einen Ausdruck wachsender politischer und gesellschaftlicher Diversität. "Der Protest wird immer kleinteiliger, die politischen Themen werden breiter aufgefächert", sagte er dem Sender. Dadurch komme es zu vielen und kleineren Demonstrationen.

Dass in der Hauptstadt die mit Abstand meisten Demonstrationen stattfinden, liegt Teune zufolge aber an der Tatsache, dass in der Hauptstadt viele entscheidende politische Institutionen ihren Sitz haben. "Wenn du in Berlin auf die Straße gehst, bestimmst du auch die politische Diskussion in Deutschland", sagt der Forscher.



Umfrage: Jeder Vierte will 2019 mehr Sport treiben

Mehr Sport zu treiben ist einer Umfrage zufolge der beliebteste Vorsatz für das Jahr 2019. Beinahe jeder vierte Bundesbürger (23,5 Prozent) will im kommenden Jahr verstärkt körperlich aktiv sein, wie eine repräsentative Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Online-Portale der Essener Funke Mediengruppe (29. Dezember) ergab. Eine gesündere Ernährung ist mit 15,6 Prozent der zweithäufigste gute Vorsatz.

Mehr Zeit mit der Familie stehe bei 7,3 Prozent der Befragten auf der Liste der Neujahrsvorsätze, hieß es weiter. Die Online-Nutzung zurückschrauben wollen laut Umfrage 6,5 Prozent der Deutschen. 4,7 Prozent der Befragten wollen 2019 mit dem Rauchen aufhören, 4,1 Prozent wollen weniger Alkohol trinken.

An der Online-Umfrage haben den Angaben zufolge zwischen dem 21. Dezember und dem 28. Dezember knapp 9.000 Menschen teilgenommen.




Umwelt

Verhärtete Fronten am Hambacher Forst


Proteste gegen die geplante Rodung des Hambacher Forsts
epd-bild/Guido Schiefer
Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter den Aktivisten und Anwohnern im Rheinischen Braunkohlenrevier. Die Bürgerinitiative rechnet derzeit nicht mehr mit der Rodung des Hambacher Waldes.

Am Hambacher Forst kehrt keine Ruhe ein. Auch rund um die Weihnachtstage kam es wieder zu Attacken bislang unbekannter Täter auf Mitarbeiter und Fahrzeuge von RWE. Die Polizei ermittelt wegen schweren Landfriedensbruchs und vorsätzlicher Brandstiftung. Die jüngsten Zwischenfälle erinnern einmal mehr daran, welch ereignisreiches Jahr hinter den Bewohnern in der Region, Umweltaktivisten aus nah und fern, den Verantwortlichen von RWE und der Polizei liegt - und wie brüchig die Situation in dem Wald am Rand der Tagebruchkante weiterhin ist.

Nach der Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster von Anfang Oktober ist die drohende Rodung zwar vorerst gestoppt, doch von einer Befriedung ist das Rheinische Braunkohlerevier noch weit entfernt. Zu tief sind die Narben, die dort gerissen wurden - sowohl in die Landschaft wie in die Seelen mancher Beteiligter.

Von einem "Burgfrieden" spricht denn auch der Sprecher der Bürgerinitiative "Bürger für Buir", Andreas Büttgen. "Burgfrieden" deshalb, weil eine Burg oft einen Graben hat und sich die jeweiligen Lager dahinter oder davor verschanzen. Und an dieser Lage hat sich nach Einschätzung Büttgens bislang nichts geändert. RWE halte an seiner Absicht fest, den Hambacher Wald zu roden, sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Und auch das Land unterstütze den Energiekonzern vorbehaltlos bei diesem Ansinnen - namentlich Innenminister Herbert Reul (CDU) steht hier in der Kritik der Aktivisten. Er habe es sich offenbar zu seinem "persönlichen Ziel" gemacht, den "Wald kleinzukriegen", sagt Büttgen.

Neue Baumhäuser

Der Sprecher der Initiative räumt ein, dass nach der großangelegten Räumung des Hambacher Waldes durch die Polizei im Herbst nun wieder etwa zehn Baumhäuser in dem Wald entstanden seien. Während die Landesregierung diese Aktionen scharf kritisiert, sieht Büttgen sie als "absolut notwendig" an. Es sei nötig, dass "dort Menschen im Wald leben und ihn schützen".

Die Gefahr, dass der Hambacher Forst tatsächlich noch gerodet wird, schätzt Büttgen aber eher gering ein. Mitte März werde vor dem Verwaltungsgericht Köln eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren erwartet. Gegen dieses Urteil sei dann wiederum vermutlich eine Revision möglich, die letztlich bis zum Europäischen Gerichtshof gehen könnte. "Der Wald ist eigentlich 'safe'", sagt der Sprecher. Nun gehe es darum, den Blick nach vorne zu richten und "ein nachhaltige Strukturwandelkonzept" für die Region vorzulegen. Zudem müsse vor allem die Landespolitik Maßnahmen ergreifen, um die Spaltung der Gesellschaft zu heilen, die sich bis in die Dörfer erstrecke.

Die Landesregierung sieht sich in dem Streit dagegen im Recht, weil es darum gehe, das Eigentumsrecht von RWE auf das Gelände am Tagebau umzusetzen. RWE hatte nach der OVG-Entscheidung zum Rodungsstopp bereits mit dem Abbau von Arbeitsplätzen gedroht und darauf verwiesen, dass am Tagebau Hambach 4.600 Arbeitsplätze hingen - davon 1.300 in der Förderung und 1.500 in der Veredlung der Braunkohle.

Beide Seiten - Umweltschützer wie Befürworter des Braunkohleabbaus - hatten in den vergangenen Wochen mehrere Demonstrationen im Rheinischen Revier organisiert und ihre Anhänger mobilisiert. Die grundsätzlichen Differenzen werden dabei auch in der Wortwahl deutlich: Während die Umweltaktivisten vom "Hambacher Wald" sprechen, benutzen RWE und Land den Begriff "Hambacher Forst": Die eine Diktion hebt auf die Schutzbedürftigkeit eines Naturraumes ab, die andere suggeriert eine forstwirtschaftliche Verwertbarkeit. Zudem warten alle Beteiligten auf den Abschlussbericht der sogenannten Kohlekommission, der Anfang Februar vorgelegt werden soll.

"Ausschnitt aus einer größeren Klimaschutzbewegung"

Für den Berliner Protestforscher Simon Teune eignet sich der Hambacher Forst als bundesweites Symbol gegen den Klimawandel, "weil man plakativ sagen kann: 'Wald oder dreckige Energie?'" Grundsätzlich sei die Auseinandersetzung im Rheinischen Braunkohlerevier aber "nur ein Ausschnitt aus einer größeren Klimaschutzbewegung", sagte Teune dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Durch die Räumung des Waldes im Herbst habe sich die Situation nun weiter zugespitzt, erklärt der Soziologe, der an der TU Berlin forscht. Die sich gegenüberstehenden Interessen seien kaum noch vermittelbar. Deshalb sei es nun unverzichtbar, eine gemeinsame Perspektive für die Region zu erarbeiten. "Denn dass die Tage der Braunkohle gezählt sind, daran zweifelt wohl kaum jemand."

Michael Bosse (epd)


RWE-Chef vom Nabu zum "Dinosaurier des Jahres" gekürt

RWE will den Hambacher Forst roden. Der Vorstandsvorsitzende des Energiegiganten, Rolf Martin Schmitz, bekommt dafür von Naturschützern einen Schmähpreis.

RWE-Chef Rolf Martin Schmitz ist vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zum "Dinosaurier des Jahres 2018" gekürt worden. Der Vorstandsvorsitzende der RWE AG erhalte Deutschlands "peinlichsten Umweltpreis" wegen der geplanten Rodung des Hambacher Forstes, sagte Nabu-Präsident Olaf Tschimpke am 28. Dezember in Berlin. Der seit 1993 immer zum Jahresende verliehene Negativ-Preis der Naturschutzorganisation geht damit bereits zum dritten Mal an den Energiekonzern.

2018 sei das Rennen um die Schmäh-Trophäe hart gewesen, sagte Tschimpke. Lange Zeit habe die Autoindustrie vorn gelegen. Schmitz habe dann den Zuschlag bekommen, weil er mit seinem Beharren auf der Rodung des Hambacher Waldes die zunehmend aufgeheizten Debatten um den in Deutschland nicht vorankommenden Klimaschutz zusätzlich polarisiere: "Während international auf Klimakonferenzen und national in der Kohle-Kommission um konkreten Klimaschutz gerungen wird, hat sich Herr Schmitz diesen Herbst mit seiner unzeitgemäßen Machtdemonstration im Streit um die Rodung des Hambacher Forstes selbst ins Abseits gestellt." Das vehemente Agieren des RWE-Vorstandes für eine Rodung sei auch ein "Foulspiel gegen die Kohle-Kommission", mit dem er bewusst deren Scheitern in Kauf genommen habe.

Nabu: RWE ist fossiler Konzern

Auch RWE wisse, dass am Kohleausstieg kein Weg vorbeiführt, wenn Deutschland die Klimaziele aus dem Pariser Abkommen erfüllen will, sagte der Nabu-Präsident. Trotzdem verfolge kein vergleichbares Unternehmen in Deutschland mit einer solchen Vehemenz eine falsche Strategie. Während andere Energieunternehmen wie die Oldenburger EWE als immerhin fünftgrößter Energieerzeuger in Deutschland zunehmend auf Wind-, Sonnenkraft und Gas setzten, sei RWE zu 95 Prozent immer noch ein fossiler Konzern. Diese falsche Unternehmenspolitik müssten am Ende die Mitarbeiter ausbaden, warnte Tschimpke: "Und ein Vorstandsvorsitzender hat die Verantwortung, die Weichen für die Zukunft zu stellen."

Seit 1993 verleiht der Nabu zum Jahresende den "Dinosaurier des Jahres" an Persönlichkeiten, die beim Thema Natur- und Umweltschutz besonders negativ auffallen. Im vergangenen Jahr ging der Preis an Bauernpräsident Joachim Rukwied, im Jahr zuvor an den Vorstandschef der Bayer AG, Werner Baumann. Den Negativ-Preis versteht der Nabu dabei als Gesprächsangebot an die Geschmähten. Bei einigen, wie beispielsweise den Konzernchefs von TUI und Aida wegen ihrer luftverschmutzenden Kreuzfahrtschiffe, habe das auch funktioniert.

RWE-Chefs häufig am Pranger

Ingesamt dreimal in den vergangenen zwölf Jahren ging die Trophäe an einen RWE-Vorstandsvorsitzenden. 2010 erhielt der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann den Negativ-Preis für die Aufkündigung des Atomkonsenses in Deutschland und seine Lobbyarbeit für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Auch Großmann nahm daraufhin das Gesprächsangebot des Nabu an. 2006 wurde sein Vorgänger im Amt, Harry Roels, für den Antrag auf Laufzeitverlängerung für den Schrott-Atomreaktor Biblis A zum "Dinosaurier des Jahres" gekürt.



Protestforscher: Konflikt um Hambacher Forst geht weiter


Simon Teune
epd-bild/TU Berlin/Ulrich Dahl

Der Soziologe und Protestforscher Simon Teune von TU Berlin erwartet, dass die Proteste am Hambacher Forst weitergehen werden. Eine Mediation zwischen Braunkohlegegnern und Energieunternehmen hält er für wenig sinnvoll. Besser wäre es, eine gemeinsame Perspektive für die Region zu erarbeiten, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Interview im Wortlaut:

epd: Herr Teune, wie bewerten Sie die Demonstrationen rund um den Hambacher Forst und die Protestcamps, die schon über Jahre in dem Wald existiert hatten? Sind das neuartige Formen des Widerstandes oder eher eine traditionelle Art des Protestes?

Teune: Die Proteste um den Hambacher Forst funktionieren ganz klassisch wie frühere Infrastrukturproteste, etwa gegen Atomkraftwerke oder gegen die Startbahn West. Über die Besetzung werden die Rodungsmaßnahmen verhindert, Demonstrationen und andere öffentlichkeitswirksame Aktionen schaffen darüber hinaus Aufmerksamkeit und die Möglichkeit für viele, ihre Unterstützung auszudrücken.

epd: Der Hambacher Forst ist bundesweit zum Symbol des Widerstandes gegen die angebliche Macht der Konzerne - in diesem Fall der Energieunternehmen - geworden. Kann so ein Symbol zu einer breiteren Protestbewegung führen oder bleiben die Aktionsbündnisses auf die lokalen und regionalen Anlässe beschränkt?

Teune: Der Hambacher Forst ist ja nur ein Ausschnitt aus einer größeren Klimaschutzbewegung. Auch die hat nicht mit den konfrontativen Aktionen angefangen, sondern mit klassischen Formen: Einsprüche und Klagen gegen den Neubau von Kohlekraftwerken oder Demonstrationen. Der Hambacher Forst taugt als Symbol, weil man plakativ sagen kann: "Wald oder dreckige Energie?"

epd: Die Fronten in der Auseinandersetzung sind recht verhärtet. RWE pocht auf sein Recht als Eigentümer des Geländes und verweist auf die Notwendigkeit der Energiesicherheit, für so manche Waldbesetzer scheint der Protest zum Selbstzweck geworden sein. Inwieweit können weitere Protestaktionen da noch zur Lösung der Frontstellung beitragen oder verschärfen sie diese nur noch weiter?

Teune: Der Konflikt hat sich durch die Räumung zugespitzt und die Interessen, die sich da gegenüberstehen, sind ja auch kaum vermittelbar. RWE hat einen rechtlichen Anspruch, die Klimaaktivistinnen und -aktivisten bringen aber andere Argumente ein: nämlich dass der Klimawandel nicht von Gerichten berücksichtigt wird. Die Proteste werden weitergehen. Die Dringlichkeit, radikale Maßnahmen zum Klimaschutz zu beschließen, wird ja nur noch größer.

epd: Braucht es jetzt eine Moderation von außen, die die verfahrene Situation lösen kann?

Teune: Eine Mediation kann zwar helfen, die Perspektive der anderen Seite nachzuvollziehen, aber die Interessengegensätze lassen sich nicht wegmoderieren. Sinnvoll wäre es, eine gemeinsame Perspektive für die Region zu erarbeiten. Denn dass die Tage der Braunkohle gezählt sind, daran zweifelt wohl kaum jemand.

epd: Stellen Sie in der Gesellschaft grundsätzlich eine größere Bereitschaft fest, sich gegen politische und wirtschaftliche Entwicklungen zu wehren? Gibt es eine Art neue Protestkultur in Deutschland, die vor dem Hintergrund der Sozialen Netzwerke leichter zu organisieren ist?

Teune: Für Proteste gibt es bis auf wenige Ausnahmen nur ein Kurzzeitgedächtnis. Es ist eigentlich immer irgendwo etwas los, nur die Aufmerksamkeit ist sehr ungleich verteilt. Die wenigsten Proteste werden deutschlandweit diskutiert. Der Umfang der Proteste ist also nicht neu. Aber die Möglichkeit, über soziale Netzwerke Protest zu organisieren und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, hat Protest schon sehr stark verändert. Im Konflikt um den Hambacher Forst sind es wohl eher die klassischen Netzwerke, Organisationen, Initiativen und Freundeskreise, die die Menschen auf die Straße bringen. Wenn man aber an die Live-Streams zur Räumung und die Diskussion auf Twitter zurückdenkt - das hat auch für Journalisten die Dringlichkeit erhöht, zu berichten.

epd-Gespräch: Michael Bosse


Weniger Ostsee-Hering wegen Klimawandel

Der Ostsee-Hering gehört laut der Naturschutzorganisation WWF zu den Verlierern des Jahres 2018. Die Bestände des "Brotfischs" der deutschen Küstenfischerei seien in der westlichen Ostsee förmlich eingebrochen, teilte der WWF am 27. Dezember in Berlin mit. Grund seien neben dem hohen Fischereidruck auch schlechte Nachwuchsjahrgänge, die vermutlich auf klimawandelbedingte Veränderungen der Ostsee zurückzuführen sind. "Der Hering wird damit zu einem Symbol der Klimakrise und ihren ökologischen wie ökonomischen Folgen", sagte WWF-Vorstand Eberhard Brandes.

Zu den weiteren Verlierern des Jahres zählen laut WWF die Tapanuli-Orang-Utan, Flussdelfine im Amazonas, Land- und Süßwasserschildkröten und die Mongolischen Saiga-Antilopen. De facto ausgestorben ist in diesem Jahr zudem das Nördliche Breitmaulnashorn. Das letzte Männchen starb im März im Sudan. Zwei weitere weibliche Exemplare sind nicht fortpflanzungsfähig. Letzter Hoffnungsschimmer sei die Anzucht von Embryonen im Labor.

"Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen"

Der Living Planet Report 2018 des WWF stellt den Angaben zufolge einen 60-prozentigen Rückgang der weltweiten Wirbeltierbestände seit 1970 fest. Die Internationale Rote Liste der Weltnaturschutzunion IUCN verbuche mittlerweile fast 27.000 Tier- und Pflanzenarten als bedroht. Das sei neuer Negativrekord und betreffe fast 30 Prozent aller untersuchten Arten.

"Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen", warnte WWF-Vorstand Eberhard Brandes: "Der Mensch verursacht gerade das größte, globale Artensterben seit Verschwinden der Dinosaurier." Dazu zählten die Klimakrise, Lebensraumzerstörung, Wilderei oder immer mehr Plastikmüll in den Ozeanen. "Ohne vielfältige, vitale Ökosysteme können wir nicht überleben", sagte der WWF-Vorstand.

Laut Brandes gibt es aber auch Hoffnung. So hätten sich dank Fangverboten und weiterer Schutzmaßnahmen Finnwale und die Westpazifischen Grauwale erholt. In Nepal habe sich die Zahl der Tiger beinahe verdoppelt und es gebe wieder mehr Berggorillas. In Deutschland breite sich der Bienenfresser aus und komme auf mehr als 2.000 Paare. Dank aufwendiger Ansiedlungsprojekte kehrten zudem der in Mitteleuropa ausgerottete Waldrapp und in Australien der Tüpfelbeutelmarder in ursprüngliche Lebensräume zurück.




Soziales

Sozialverband VdK will Angehörigenpflege stärken


Pflegebedürftige brauchen helfende Hände.
epd-bild / Jochen Günther
Pflegende Angehörige sind häufig mit ihrer Situation überfordert. Für sie fordert der Sozialverband VdK mehr Möglichkeiten, eine berufliche Auszeit zu nehmen. Die Verbesserungen würden den Steuerzahler rund 4,3 Milliarden Euro im Jahr kosten.

Der Sozialverband VdK hat ein Konzept gegen die hohe Belastung von pflegenden Angehörigen, Nachbarn und Freunden vorgelegt. Es sieht vor, dass mehr Menschen als bisher eine berufliche Auszeit für die Pflege nehmen können. Diese soll auch länger dauern können, als es die Gesetze bisher vorsehen. In dieser Zeit erhalten Pflegende eine aus Steuern finanzierte Lohnersatzleistung. "Die häusliche Betreuung von Angehörigen oder Freunden ist eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe, die gefördert werden muss", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele am 27. Dezember in Berlin. Die Altersforscherin Gerda Blechner forderte mehr Hilfsangebote für pflegende Angehörige.

Elternzeit und Elterngeld sollen Vorbild sein

Viele privat Pflegende sind laut Bentele körperlich und psychisch stark belastet. "Auch machen sie oft berufliche Abstriche und nehmen finanzielle Einbußen bei Einkommen und Renten in Kauf, um andere zu pflegen", erklärte die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland.

Das Konzept des VdK orientiert sich an der Elternzeit und am Elterngeld. Analog der Elternzeit sollten Pflegende nach den Vorstellungen des VdK einen Rechtsanspruch auf eine teilweise oder vollständige Freistellung von der Arbeit haben. Sie könnten also, anders als bislang, unabhängig von der Betriebsgröße eine Pflege-Auszeit nehmen.

Pflegende dürften sich pro Pflegebedürftigem, um den sie sich kümmern, drei Jahre und damit länger als bisher freistellen lassen. Sie können sich die Betreuung auch mit einer Person teilen, die Pflege-Auszeit würde dann insgesamt sechs Jahre pro Pflegebedürftigem betragen.

Die Pflege-Auszeit sollten nicht nur Angehörige nutzen dürfen, es können auch Freunde oder Nachbarn sein. "Dies entspricht heutigen gesellschaftlichen Strukturen", sagte Bentele.

Pflegende Angehörige bräuchten eine bessere und niedrigschwellige Beratung über Entlastungsmöglichkeiten wie Tagespflege, Kurzzeitpflege und ambulante Pflegedienste, sagte Blechner, die sich in einer Studie und einem Buch mit dem Titel "Von wegen Überforderung" mit dem Thema beschäftigt hat. "Wenn sie frühzeitig wissen, dass sie nicht alles allein schaffen müssen und Hilfe bekommen können, eskaliert die Situation womöglich nicht." Überforderte Angehörige neigten bisweilen zu Gewalttätigkeiten.

Ambulante Pflegedienste sollten zudem mit mehr Interventionsmöglichkeiten ausgestattet werden, wenn sie auf Missstände in den Familien stoßen und in engem Kontakt mit den Hausärzten der Pflegebedürftigen stehen, forderte Blechner. "Die wenigsten ambulanten Pflegekräfte schließen sich mit den Hausärzten kurz, vieles wird nicht weitergeleitet und versandet dann irgendwo."

Im VdK-Konzept werden Bedingungen für den Anspruch auf die Pflegepersonenzeit genannt: Pflegende müssen sich um einen Pflegebedürftigen kümmern, der einen Pflegegrad von mindestens 2 hat und zu Hause lebt. Das VdK-Konzept sieht ferner vor, dass Pflegende mindestens zehn Stunden in der Woche pflegen müssen, verteilt auf zwei Tage. Maximal dürften sie 30 Wochenstunden arbeiten.

Finanzierung aus Steuermitteln

"Wer die Pflegepersonenzeit nutzt, soll Anspruch auf eine Lohnersatzleistung haben, analog dem Elterngeld", sagte VdK-Präsidentin Bentele. "Das ist für Pflegende eine große finanzielle Hilfe, denn bisher können Pflegende Auszeiten für Pflege nur über zinslose Darlehen finanzieren."

Das vom VdK vorgeschlagene Pflegepersonengeld beträgt 65 bis 100 Prozent des vorherigen Nettolohns der Pflegenden, mindestens 300 Euro und höchstens 1.800 Euro pro Monat. Man kann es maximal zwölf Monate beziehen. Betreuen zwei Pflegende einen Pflegebedürftigen, liegt die Bezugsdauer bei 14 Monaten insgesamt.

Das Pflegepersonengeld soll nach dem VdK-Konzept aus Steuermitteln finanziert werden. Die Ausgaben dafür betragen nach Berechnungen des Verbandes pro Jahr 4,3 Milliarden Euro.



Mieterbund: Zahl der Mietrechtsprozesse auf Rekord-Tief

Die Zahl der Mietrechtsprozesse ist nach Angaben des Deutschen Mieterbundes im Jahr 2017 auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken. 226.933 Mal stritten sich Mieter und Vermieter vor Amts- und Landgerichten. Damit ging die Zahl der Streitfälle um acht Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Gleichzeitig bleibe der Rechtsberatungsbedarf der Mieter unverändert hoch, teilte die Organisation am 27. Dezember in Berlin mit.

Rund 1,1 Million Rechtsberatungen haben die Juristen der mehr als 300 örtlichen Mietervereine den Angaben zufolge erteilt. 97 Prozent aller Beratungsfälle seien dabei außergerichtlich erledigt worden.

Konflikte um Betriebskosten

Beratungsthema Nummer eins seien wie schon in den Vorjahren die Betriebskosten gewesen. Auch Wohnungsmängel seien ein häufiger Streitgegenstand. Das dritthäufigste Beratungsthema sind den Angaben zufolge Mieterhöhungen auf die ortsübliche Vergleichsmiete mit einem Anstieg auf 11,7 Prozent aller Konfliktfälle. "Hier spiegeln sich Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten mit zuletzt stark steigenden Mieten wider", erklärte der Mieterbund.



Wirtschaftsforscher kritisiert steigendes Armutsrisiko

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat die deutsche Arbeits- und Sozialpolitik kritisiert. Das Armutsrisiko sei in der Bundesrepublik trotz des Wirtschaftsbooms der vergangenen Jahre gestiegen, sagte der Ökonom dem Berliner "Tagesspiegel" (31. Dezember). Dass der Verdienst vieler Menschen im Land nicht ausreiche, um über die Runden zu kommen, sei sozialer Sprengstoff. 40 Prozent der Bundesbürger hätten zudem so gut wie kein Erspartes. Ein "Warnschuss" sei in dieser Situation der Erfolg der AfD.

Dringender Handlungsbedarf bestehe vor allem im Niedriglohnsektor, der in Deutschland außergewöhnlich groß sei, betonte Fratzscher. Jeder fünfte Beschäftigte arbeite in der Bundesrepublik im Niedriglohnbereich, darunter auch viele gut Qualifizierte. Hintergrund sei auch, dass es in vielen Niedriglohnbereichen keine ausreichende gewerkschaftliche Vertretung gebe. Gewerkschaften und Arbeitgeber müssten deshalb als Sozialpartner notfalls gezwungen werden, Tarifverträge abzuschließen.

Die Erhöhung des Mindestlohns von 8,84 Euro auf 9,19 Euro und ab 2020 auf 9,35 Euro sei nur ein Placebo, kritisierte Fratzscher. Wer diesen Mindestlohn bekomme, erhalte später keine Rente, von der er leben könne. "Man bekämpft Symptome, aber nicht die Ursachen", kritisierte der Ökonom. Zu den Ursachen gehöre, dass sich für viel zu viele Menschen in Deutschland Arbeit zu wenig lohne und es ihnen nicht möglich sei, "von der eigenen Hände Arbeit selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten".

Familiensplitting empfohlen

Statt dies zu ändern und beispielsweise die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern, werde verstärkt gefordert, sogenannte Leistungsträger mit hohen Einkommen zu entlasten, kritisierte Fratzscher. Deren Einkünfte seien jedoch in den vergangenen zehn Jahren bereits massiv gestiegen, die oberen 20 Prozent hätten heute bis zu 30 Prozent mehr Einkommen. Auch von der geplanten Abschaffung des Solidaritätszuschlags in der Einkommensteuer profitiere fast nur die obere Hälfte, die Hälfte der Entlastung komme den oberen zehn Prozent zugute.

Stattdessen müssten junge Leute besser qualifiziert, Zuwanderer besser integriert und das Ehegattensplitting zum Familiensplitting umgebaut werden, betonte der Ökonom. Auch in der Mieten- und Wohnungspolitik habe der Bund versagt. Die steigenden Wohnkosten in den Städten seien ein "Riesenproblem, aber auch Beweis dafür, dass die Politik schon seit 20, 30 Jahren ihrer Fürsorgepflicht nicht nachgekommen" sei. Den sozialen Wohnungsbau zurückzufahren und öffentliche Wohnungen zu privatisieren, sei ein "Riesenfehler" gewesen. Die Mietpreisbremse reiche als Gegenmittel "hinten und vorne nicht".



Weniger Beschäftige arbeiten in tarifgebundenen Betrieben


Helfer in der Landwirtschaft bei der Erdbeerernte
epd-bild / Gustavo Alabiso
Die meisten Beschäftigten in Unternehmen ohne Tarifvertrag sind in den Wirtschaftszweigen Landwirtschaft, Information und Kommunikation sowie im Handel, im Gastgewerbe und in anderen Dienstleistungssektoren zu finden.

Weniger als jeder zweite Beschäftigte arbeitet in einem deutschen Unternehmen, das an einen Branchentarifvertrag gebunden sind. In den zehn Jahren zwischen 2008 und 2017 sank der Anteil um sechs Prozentpunkte auf 47 Prozent aller Beschäftigten, wie aus einer Antwort der Bundesregierung an die Bundestagsfraktion der Linkspartei hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Zugleich ging der Anteil der tarifgebundenen Betriebe an allen Unternehmen um sieben Prozentpunkte auf 25 Prozent zurück.

Die Zahl der Verbandstarifverträge stieg zunächst laut Bundesregierung von rund 29.600 im Jahr 2012 auf etwa 30.500 bis Ende 2016. Bis Ende 2017 sank die Zahl der Tarifverträge auf 29.000. Zuerst hatte über die Zahlen die Düsseldorfer "Rheinische Post" (28. Dezember) berichtet.

Tarifflucht vor allem bei Kleinbetrieben

Der Anteil der tarifgebundenen Unternehmen nahm den Angaben zufolge besonders bei kleinen Betrieben besonders stark ab. 87 Prozent aller Firmen mit bis zu neun Mitarbeitern in Ostdeutschland sahen sich demnach im vergangenen Jahr nicht an einen Tarifvertrag gebunden. In Westdeutschland waren es 78 Prozent. Zehn Jahre zuvor waren es 69 Prozent der kleineren westdeutschen und 80 Prozent der kleineren ostdeutschen Betriebe.

Die meisten Beschäftigten in Unternehmen ohne Tarifvertrag arbeiteten im Jahr 2017 in den Wirtschaftszweigen Landwirtschaft, Information und Kommunikation sowie im Handel, im Gastgewerbe und in anderen Dienstleistungssektoren.

"Spitze des Eisbergs"

Die Regierung stützt sich in ihrer Antwort auf Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA), die dafür seit 1996 jährlich 15.500 repräsentativ ausgewählte Betriebe befragt.

"Die Zahlen belegen, dass die Tarifflucht von Unternehmen wie dem Einzelhandelskonzern Real nur die Spitze des Eisberges darstellt", sagte der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linken, Pascal Meiser, der "Rheinischen Post". Die Regierung dürfe der Tarifflucht nicht tatenlos zusehen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sei in der Pflicht, endlich ein Maßnahmenkonzept zur Stärkung der Tarifbindung auf den Tisch zu legen.



Hoher Anteil von befristeten Jobs bei Neueinstellungen

Trotz der guten Wirtschaftslage in Deutschland bekommen immer noch viele neu eingestellte Beschäftigte lediglich einen befristeten Arbeitsvertrag. Medien und der öffentliche Sektor zählen dabei zu den Spitzenreitern bei befristeten Neueinstellungen, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Der Befristungsanteil bei Neuanfängern im Jahr 2017 war den Angaben zufolge im Bereich der Rundfunksender sowie bei Film, Fernsehen und Kino mit 98,7 beziehungsweise 96,7 Prozent am höchsten. Aber auch fast drei Viertel der neu eingestellten Erzieher und Lehrer arbeiteten befristet. Im Bereich der öffentlichen Verwaltung seien 59,4 Prozent der neuen Jobs befristet.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lag der Befristungsanteil bei Neueinstellungen in den vergangenen Jahren insgesamt bei mehr als 40 Prozent. Die Linke fordert, sachgrundlose Befristungen abzuschaffen und Befristungen mit Sachgrund auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Zuerst hatte die "Saarbrücker Zeitung" über das Thema berichtet.

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, Sabine Zimmermann, kritisierte, dass damit einst hart erkämpfte Arbeitsstandards unterlaufen und besonders jüngere Menschen verunsichert würden, die eine Familie gründen oder Wohneigentum erwerben wollten. Aber auch Unternehmen müssten ein Interesse daran haben, junge Menschen zu binden, wenn sie über Fachkräftemangel klagen. Zimmermann kritisierte zudem, dass ausgerechnet der staatsnahe Bereich mit schlechtem Beispiel vorangehe, etwa Hochschulen und öffentliche Verwaltung.



Experten in eigener Sache


Sechs Menschen mit geistiger Behinderung werden derzeit in Heidelberg zu Bildungsfachkräften qualifiziert. Hier besuchten sie im November eine Vorlesung mit Studierenden der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.
epd-bild/Ralf Schick
In Heidelberg werden zurzeit sechs Menschen, die als geistig behindert gelten, zu Bildungsfachkräften qualifiziert. Sie berichten angehenden Lehrern von Inklusion und Teilhabe. Eine von ihnen ist die 28-jährige Anna Neff.

Es ist mucksmäuschenstill, als Dozentin Anna Neff aus ihrem Leben erzählt. Vor ihr sitzen rund 160 Studierende der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. "Der Wunsch an Sie ist: Achten Sie später als Lehrer auf jedes Kind und überfrachten Sie es nicht", sagt die 28-Jährige. Anna Neff hat motorische Störungen, wie sie es beschreibt, ist geistig leicht eingeschränkt und ihr Körper "will manchmal nicht so, wie ich will". Sie ist einer von sechs Menschen, die als geistig behindert gelten und derzeit in Heidelberg zu Bildungsfachkräften qualifiziert werden.

Kampf gegen Schubladendenken

"Behinderte sind noch immer Benachteiligungen und Diskriminierungen ausgesetzt", sagt die Leiterin der Heidelberger Qualifizierung, Sarah Maier. Der direkte Austausch von behinderten Dozenten und Lehramtsstudierenden sei wichtig, um wegzukommen von Schubladendenken, Etiketten und Attributen, die man im Kopf habe.

An diesem Tag steht Anna Neff gemeinsam mit Thorsten Lihl (44) und Hartmut Kabelitz (51) vor den Studierenden. Lihl ist durch eine Form der Spastik mit Seh- und Sprachbehinderungen eingeschränkt; Kabelitz hatte mit 16 Jahren einen schweren Verkehrsunfall mit dem Moped. Er erlitt ein Schädelhirntrauma und kann seither die rechte Hand nicht mehr richtig halten, hat Gleichgewichtsstörungen und spricht undeutlich.

Die drei berichten, wie sie beispielsweise in Sonderschulen gefördert wurden - oder eben auch nicht. Thorsten Lihl hat das Schreiben in der Schule erst an der Schreibmaschine gelernt und danach sich selbst beigebracht. "Meine Lehrer meinten damals, ich müsste nicht lesen und schreiben können", erinnert er sich. "Ich wollte aber schon immer Lehrer werden, mit der Qualifizierung komme ich diesem Traum ein großes Stück näher."

"Künftig sollen sie hauptberuflich als sozialversicherte Beschäftigte an Fach- und Hochschulen unterrichten zum Thema Behinderungen", erklärt Projektleiter Stephan Friebe. Zielgruppen sind Studierende, Lehrkräfte und Personalverantwortliche an Fach- und Hochschulen, in der Weiterbildung oder direkt in Unternehmen.

Das Projekt der Fachschule für Sozialwesen der Johannes-Diakonie im baden-württembergischen Mosbach ist eine Kooperation mit dem Institut für Inklusive Bildung Kiel. Die Qualifizierung begann im Oktober 2017 und dauert drei Jahre. Zuvor haben die Teilnehmer, die unter 40 Bewerbern ausgesucht wurden, in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet.

Sie wollte mehr aus ihrem Leben machen als nur Schrauben drehen oder Pappkartons falten, erzählt Anna Neff: "Das ist eine Chance für mich, was Neues zu lernen." So ging es auch Hartmut Kabelitz, der sich freut, "mit über 50 noch dazuzulernen und Erfahrungen weitergeben zu dürfen."

Erstes Modellprojekt in Schleswig Holstein

Es ist das zweite Vorhaben dieser Art in Deutschland. In Schleswig Holstein wurde ein erstes Modellprojekt bereits erfolgreich beendet: Fünf qualifizierte Bildungsfachkräfte arbeiten dort seit 2016 im Institut für Inklusive Bildung, einer angegliederten Einrichtung der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.

Während der Qualifizierung seien in drei Jahren in 70 Veranstaltungen mehr als 3.000 Personen direkt erreicht worden, sagt der Geschäftsführer des Kieler Instituts, Jan Wulf-Schnabel. Sein Institut stehe in Kontakt mit rund 30 Fach- und Hochschulen, die an den Leistungen der Bildungsfachkräfte reges Interesse hätten. In Nordrhein-Westfalen startet ab April die Qualifizierung von sechs Menschen mit geistiger Behinderung zu Bildungsfachkräften.

"Wenn wir Inklusion ernst nehmen, müssen wir auch unsere Formen verändern", erklärt der baden-württembergische Projektleiter Stephan Friebe. Was er meint: Bislang hätten Lehramtsstudierende in den Lehrveranstaltungen zwar viel über Inklusion und Teilhabe erfahren. Die direkte Auseinandersetzung mit Behinderten gab es aber nicht. Das soll sich jetzt ändern.

Nach 90 Minuten ist die Vorlesung an der Heidelberger Uni zu Ende. Es sei "klasse", sagt die 24-jährige Lehramtsstudentin Silke Glawitz, wie offen die behinderten Dozenten aus ihrem Leben erzählten und wie selbstverständlich inzwischen der Austausch sei: "Es hat meinen Horizont noch einmal ganz anders erweitert."

Ralf Schick (epd)


Kind nach Geburt verletzt: Arzt muss Schmerzensgeld zahlen

Das Oberlandesgericht Hamm hat einem geistig behinderten Mädchen in letzter Instanz 500.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. In dem Urteil, das dem Evangelischer Pressedienst (epd) vorliegt, machen die Richter den Gynäkologen, der vor zwölf Jahren die Entbindung vornahm, für die massive Hirnschädigung des Kindes verantwortlich. Das Gericht verurteilte den Arzt neben dem Schmerzensgeld dazu, für alle Kosten aufzukommen, die dem Mädchen im Laufe des Lebens durch seine Behinderung entstehen. (AZ: OLG Hamm 26 U 9/16).

Gericht sieht schweren Behandlungsfehler

Das Mädchen war nach Gerichtsangaben in einem Krankenhaus per Kaiserschnitt zur Welt gekommen. Stunden nach der Geburt versagte der Kreislauf, und der Säugling musste wiederbelebt werden. Das Mädchen ist seit der Geburt ein Pflegefall und wird von seinen Eltern zu Hause versorgt. Zuerst hatte das in Bielefeld erscheinende "Westfalen-Blatt" (27. Dezember) über das Urteil berichtet. Laut Zeitungsbericht soll das geistig behinderte Mädchen aus dem Kreis Höxter stammen.

Das Oberlandesgericht änderte mit seinem Urteil die Entscheidung des Landgerichtes Paderborn ab, das die Klage abgewiesen hatte. Das Paderborner Gericht hatte im Jahr 2012 zunächst Ansprüche der Klägerin als verjährt eingestuft. Nachdem das Oberlandesgericht den Fall an das Landgericht zurückverwiesen hatte, wies das Landgericht im Jahr 2015 die Klage erneut ab. Das Gericht begründete die Entscheidung damit, dass nach Einschätzung des Gerichts für die gesundheitlichen Schäden keine Fehler bei der Behandlung verantwortlich gewesen seien.

Das Oberlandesgericht sah hingegen einen groben Behandlungsfehler, weil zunächst keine Blutuntersuchung durchgeführt wurde, um die Ursache zu finden. Das neugeborene Mädchen litt nach Überzeugung von Gutachtern hormonbedingt unter einer Unterzuckerung, die mit der Gabe von Glukose leicht hätte behoben werden können. So aber habe die unentdeckte Unterzuckerung zu einem irreversiblen Hirnschaden geführt. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu.



Mehr Geld für Scheidungskinder im neuen Jahr

Scheidungskinder bekommen im neuen Jahr von ihren unterhaltspflichtigen Elternteilen mehr Geld. Die neue "Düsseldorfer Tabelle" ist am 1. Januar 2019 in Kraft getreten. Die Tabelle regelt die Unterhaltszahlungen von getrennt lebenden Vätern und Müttern.

Der Mindestunterhalt für ein Kind bis sechs Jahre steigt nach Angaben des Oberlandesgerichts Düsseldorf von bislang 348 auf 354 Euro. Für Jungen und Mädchen bis zum zwölften Lebensjahr liegt er bei 406 statt bisher 399 Euro, für Kinder bis zum 18. Lebensjahr bei 476 statt 467 Euro. Für volljährige Kinder, die noch im Haushalt eines Elternteils leben, bleibt der Unterhalt unverändert bei 527 Euro.

Auch für unterhaltspflichtige Väter und Mütter in den höheren Einkommensgruppen steigen die Bedarfssätze je nach Verdienst um fünf bis acht Prozent, wie das Gericht mitteilte. Auf den Unterhaltsbedarf muss das Kindergeld angerechnet werden, bei minderjährigen Kindern in der Regel zur Hälfte. Das Kindergeld steigt im neuen Jahr für das erste und das zweite Kind auf je 204 Euro, für das dritte auf 210 Euro und für jedes weitere Kind auf 235 Euro. Die Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle und der Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Elternteils, die in diesem Jahr angehoben worden waren, bleiben 2019 unverändert.

Die "Düsseldorfer Tabelle" war zuletzt zum 1. Januar 2018 angepasst worden, eine erneute Änderung wird es laut Gericht voraussichtlich zum Jahr 2020 geben. Die vom Oberlandesgericht Düsseldorf herausgegebene Tabelle gibt seit 1962 einheitliche Richtwerte für die Berechnung des Familienunterhalts vor. Die Düsseldorfer Tabelle selbst hat keine Gesetzeskraft und ist eine allgemeine Richtlinie, die von allen Oberlandesgerichten bundesweit bei der Berechnung des Kindesunterhalts benutzt wird.



Stiftung unterstützt Dortmunder Gemeinde und Verein mit 10.000 Euro

Für ihre Arbeit mit Flüchtlingen haben die evangelische Lydia‐Kirchengemeinde und der Verein "Projekt Ankommen" in Dortmund jetzt 10.000 Euro erhalten. Das Geld stammt von der Fliege‐Stiftung, wie die Kirchengemeinde mitteilte. Die Lydia-Gemeinde ist damit eine von bundesweit zwölf Gemeinden, die die nach dem Fernsehpfarrer Jürgen Fliege benannte Stiftung in diesem Jahr für ihr soziales Engagement für Menschen in Not würdigt.

Das "Projekt Ankommen" war im Jahr 2015 gegründet worden, als sich freiwillige Helfer für Menschen einsetzen, die in einer Flüchtlingsunterkunft lebten. Der Verein hilft mittlerweile geflüchteten Menschen nach ihrem Auszug aus einer städtischen Unterkunft, sich in einer eigenen Wohnung zurechtzufinden und in die Gesellschaft zu integrieren. Zum Programm gehören unter anderem Sportangebote, Möbeltransporte, Sprachkurse oder Sprechstunden. "Alleine im Jahr 2018 haben wir 250 Umzüge organisiert", sagte Falk Freudenau vom Vorstand des Vereins.

Die Lydia-Kirchengemeinde hatte mit dem Verein zusammengearbeitet, als sie vor einiger Zeit einem jungen Flüchtling aus Myanmar (ehemals Burma) Kirchenasyl gewährt hatte. "Das Projekt hat sich toll um uns gekümmert", sagte Pfarrer Friedrich Laker.

Die Stiftung Fliege geht zurück auf die Talkshow mit dem bekannten "Fernsehpfarrer" Jürgen Fliege. Seit 1995 hat sie mit zehn Millionen Euro etwa 3.400 notleidenden oder gefährdeten Menschen weitergeholfen. Dabei stützt sie sich auf ein Netzwerk von Geistlichen aller Konfessionen.



NRW-Bürger informieren sich oft im Internet zu Gesundheitsthemen

Das Internet ist auch bei den Bürgern in Nordrhein-Westfalen ein wichtiges Medium, um sich über Gesundheitsthemen zu informieren. Laut einer am 28. Dezember von der NRW-Landesvertretung der Techniker Krankenkasse (TK) in Düsseldorf vorgelegten Umfrage sahen 73 Prozent der Befragten das Internet als "sehr wichtig" oder "wichtig" für die Recherche zu Gesundheitsthemen an. Gleichwohl gab es den Angaben zufolge auch Skepsis bei den Nutzern: 81 Prozent der Befragten schätzten die Informationen aus den Online-Quellen grundsätzlich kritisch ein.

Am meisten Vertrauen zum Thema Gesundheit brachten die Befragten in NRW hingegen dem Fachpersonal entgegen. 93 Prozent erklärten, dass sie sich in medizinischen Fragen am liebsten direkt an Ärzte oder Apotheker wendeten.

Wenn sich die Bürger in NRW im Internet zu Gesundheitsthemen informieren, surfen sie in überwältigender Mehrheit (94 Prozent) über die Suchmaschine Google. Angebote der Krankenkasse oder Online-Gesundheitsportale lagen dagegen deutlich dahinter. Die Leiterin der TK-Landesvertretung Nordrhein-Westfalen, Barbara Steffens, warnte vor einem zu leichtgläubigen Umgang mit den Informationen, die per Online-Suche gefunden werden. "Qualitätsgesicherte Gesundheitsinformationen sind von Dr. Google in den seltensten Fällen zu erwarten. Gleichzeitig fällt es vielen Menschen schwer, seriöse von unseriösen Inhalten zu unterscheiden."

Für die Studie "Homo Digivitalis" hatte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der TK bundesweit rund 1.000 Menschen zwischen 18 und 70 Jahren interviewen lassen.



1,4 Millionen junge Menschen nutzten 2017 Angebote der Jugendarbeit

Im Jahr 2017 haben in Nordrhein-Westfalen rund 1,4 Millionen junge Menschen öffentlich geförderte Angebote der Jugendarbeit genutzt. Wie das Statistische Landesamt am 27. Dezember in Düsseldorf mitteilte, besuchten 1,1 Millionen davon eine Veranstaltung oder ein Projekt wie etwa Sportveranstaltungen, Fort- und Weiterbildungen, Feste und Konzerte.

Insgesamt gab es über 25.000 Angebote der Jugendarbeit, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden. Mehr als drei Viertel davon waren Veranstaltungen freier Träger wie des Jugendrings oder des Diakonischen Werks. Die restlichen Angebote lagen in der Verantwortung öffentlicher Träger - vor allem Jugendämter und Gemeinden. Knapp ein Fünftel der Maßnahmen fand dabei in Kooperation mit Schulen statt.




Medien & Kultur

Katholische Kirche fordert von Relotius Preisgeld zurück


Spiegel-Verlagsgebäude in der Hamburger Hafencity
epd-bild / Stephan Wallocha
Für seine Reportage "Königskinder" erhielt der Reporter Claas Relotius Preise und Spenden. Inzwischen gibt er zu: Auch sie ist gefälscht. Die katholische Kirche fordert Auszeichnung und Preisgeld zurück. Die erhaltenen Spenden will Relotius zurückgeben.

Die katholische Kirche hat dem Ex-"Spiegel"-Reporter Claas Relotius den von ihr vergebenen Medienpreis aberkannt und fordert das Preisgeld zurück. Relotius habe nunmehr öffentlich zugegeben, den Beitrag "Königskinder" aus dem Jahr 2016 in wesentlichen Punkten gefälscht zu haben, sagte der Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, am 28. Dezember dem Evangelischen Pressedienst (epd) zur Begründung. Seinen Worten zufolge will sie auch das Preisgeld in Höhe 5.000 Euro von Relotius zurück. Die Diakonie Katastrophenhilfe bestätigte am selben Tag den Eingang einer Überweisung von Relotius, mit der er nach eigener Aussage Spenden von Lesern der Reportage weitergereicht hat.

Die Bischofskonferenz hatte Relotius 2017 den Katholischen Medienpreis in der Kategorie "Printmedien" für seine Reportage "Königskinder" über ein syrisches Geschwisterpaar verliehen. Wenige Tag vor Weihnachten legte der "Spiegel" offen, dass Relotius im großen Umfang eigene Geschichten manipuliert hatte. Der vielfach ausgezeichnete Reporter soll Zitate, Orte, Szenen und sogar Protagonisten erfunden haben. Ob auch die Reportage "Königskinder" eine Fälschung ist, blieb dabei zunächst offen.

Anwalt bestreitet Veruntreuung von Spenden

Am 27. Dezember veröffentlichte "Spiegel online" eine Erklärung von Relotius' Anwalt Michael Philippi, in der es heißt, auch dieser Text sei "in wesentlichen Punkten" gefälscht. In dem Schreiben tritt der Anwalt dem Vorwurf entgegen, Relotius habe durch den Text ausgelöste Spenden für sich vereinnahmen wollen. Seiner Darstellung zufolge meldeten sich auf den Text hin spendenbereite Leser, denen Relotius angeboten habe, über sein privates Konto Spenden zu sammeln und weiterzuleiten. Dabei habe er "die Illusion über die reale Existenz des geschilderten Geschwisterpaares aufrechterhalten", heißt es im Schreiben des Anwalts.

Die Spenden habe Relotius an die Diakonie Katastrophenhilfe weitergeleitet. Das evangelische Hilfswerk bestätigte am 28. Dezember den Eingang einer Überweisung. Im Oktober 2016 habe Relotius 9.000 Euro für ein Projekt für Flüchtlingskinder im nordirakischen Suleymaniah überwiesen, sagte eine Sprecherin dem epd. Nach Auskunft des Anwaltes kamen von Lesern mehr als 7.000 Euro zusammen, die Relotius mit eigenen Mitteln auf 9.000 Euro aufstockte.

Gemeindezentrum in Suleymaniah unterstützt

Laut Diakonie Katastrophenhilfe wurde das Geld für ein Gemeindezentrum in Suleymaniah eingesetzt, das syrischen und irakischen vertriebenen Kindern psychosoziale Hilfe bietet. Im Schreiben des Anwalts verspricht Relotius, dass er allen Spendern ihr Geld vollständig zurückerstattet.

Darin heißt es auch, Relotius sei bewusst geworden, dass er durch sein Verhalten dem "Spiegel" und der Presse insgesamt schweren Schaden zugefügt habe. Die vier ihm verliehenen Deutschen Reporterpreise gab Relotius bereits selbst zurück. Die vom Reporter-Forum in Hamburg vergebene Auszeichnung ist undotiert.



Israelischer Autor Amos Oz gestorben


Amos Oz
epd-bild / Debbie Hill

Trauer um Amos Oz: Der israelische Autor und Friedensaktivist ist am 29. Dezember im Alter von 79 Jahren gestorben. "Er war einer der größten Schriftsteller Israels und bekanntesten Stimmen des Landes", twitterte die israelische Botschaft in Berlin: "Möge seine Erinnerung ein Segen sein."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte Amos Oz als "Gesicht und Stimme einer zeitgenössischen israelischen Literatur, die sich stets für Frieden und Aussöhnung im Nahen Osten einsetzte". Außenminister Heiko Maas (SPD) nannte Oz einen "mutigen, unerschrockenen Verfechter eines Friedens im Nahen Osten".

Kondolenzschreiben des Bundespräsidenten

"Für Amos Oz war der Kampf gegen Gewalt und Fanatismus jeder Couleur - auch im eigenen Land - zum Lebensthema geworden. Die Sehnsucht nach Frieden war sein tägliches Ringen. Er lehnte das Entweder-Oder, Sieg oder Untergang ab und drang auf den Dialog zwischen Feinden", heißt es in einem Kondolenzschreiben des Bundespräsidenten an die Witwe Nily Oz.

Außenminister Maas betonte, Amos Oz habe mit seinen "außerordentlichen literarischen Werken" auch immer ein Stück israelische Zeitgeschichte beschrieben und scheinbare Gewissheiten infrage gestellt. "Er hat uns immer wieder mit seinen klugen, mahnenden Worten zum Nachdenken gebracht und uns daran erinnert, dass der Frieden nur kommt, wenn wir dafür kämpfen", erklärte der SPD-Politiker.

Der Exekutiv Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, erklärte zum Tod von Amos Oz: "Überlebende des Holocaust verneigen sich in Trauer und Dankbarkeit vor dem großen israelischen Schriftsteller Amos Oz, der in vielen seiner Bücher und Schriften auch ein präziser und wortmächtiger Chronist ihrer Verluste, Empfindungen und Erinnerungen gewesen ist."

Amos Oz veröffentlichte zahlreiche Romane wie "Der dritte Zustand", "Mein Michael", "Black Box", "Allein das Meer" und "Geschichte von Liebe und Finsternis" sowie Essaybände und Erzählungen. Sein Werk wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Unter anderem erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main und den Siegfried-Lenz-Preis.

Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem als Amos Klausner geboren. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft bedeutet. Seit dem Sechs-Tage-Krieg war er in der israelischen Friedensbewegung aktiv. Er war Mitbegründer der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung "Schalom achschaw" (Peace now).



Gottschalk bekommt Literatursendung

Der Bayerische Rundfunk (BR) plant eine Fernseh-Literatursendung mit Thomas Gottschalk. "Gottschalk liest?" starte im Frühjahr 2019. Viermal im Jahr werde der 68-Jährige in verschiedenen Regionen mit Gästen über deren Neuerscheinungen und andere Kulturthemen sprechen, teilte der Sender am 28. Dezember in München mit.

Thomas Gottschalk, der Germanistik und Geschichte für das Lehramt studiert hat, fühle sich "reif für eine Büchersendung". Der Sender zitiert ihn mit den Worten: "Zum Lesen haben die meisten heute eine App - ich habe zumindest drei Semester Germanistik."

BR-Fernsehdirektor Reinhard Scolik erklärte, mit "Gottschalk liest?" wolle der Sender die Freude am Lesen einem breiten Publikum nahebringen. Details zur geplanten Sendung will der Bayerische Rundfunk Anfang Februar bekanntgeben.



Mehr Museen in NRW verzichten ganz oder teilweise auf Eintritt

Immer mehr Museen in Nordrhein-Westfalen verzichten ganz oder teilweise auf Eintrittsgelder. So wird seit 1. Januar in Düsseldorf in den städtischen Museen an Sonntagen kein Eintritt mehr verlangt. Die neue Regelung gilt zunächst für das ganze Jahr 2019 und soll gegebenenfalls verlängert werden. Freien Eintritt an Sonntagen gewährt das Filmmuseum, Goethe-Museum, Heinrich-Heine-Institut, Hetjens-Museum, SchifffahrtMuseum im Schlossturm, Stadtmuseum und Theatermuseum.

Kommunen erhoffen sich "Belebung und Öffnung" der Häuser

In Dortmund verlangen die städtischen Museen für den Besuch ihrer Dauerausstellungen kein Eintrittsgeld mehr. Die Kommune erhofft sich dadurch eine weitere "Belebung und Öffnung" dieser Häuser für die Bevölkerung. Die Regelung gilt zunächst für das Museum Ostwall, das Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, das Hoesch-Museum, das Brauerei-Museum, das Westfälische Schulmuseum und das Kindermuseum Adlerturm.

Kinder und Jugendliche haben zudem in 18 Museen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ab kommenden April freien Eintritt. Schulen und Kitas aus der Region Westfalen-Lippe haben zudem die Möglichkeit, auch die Anreise mit Bus und Bahn über einen neuen Mobilitätsfonds finanzieren zu lassen.

Bereits seit einem Jahr haben die Besucher der Museen des Landschaftsverbands Rheinland einmal im Monat freien Eintritt. Dies gilt für die Freilichtmuseen in Kommern und Lindlar, das Max Ernst Museum in Brühl, das Landesmuseum Bonn, den Archäologischen Park Xanten sowie das dortige Römermuseum und das Industriemuseum mit seinen Standorten in Oberhausen, Ratingen, Solingen, Bergisch-Gladbach, Engelskirchen und Euskirchen.

Folkwang Museum war Vorreiter

Das Folkwang Museum in Essen gilt als einer der Vorreiter beim Verzicht auf Eintrittsgelder: seit Sommer 2015 können Besucher die Dauerausstellung kostenlos besichtigen.

In Neuss gibt es seit 2016 an jedem ersten Sonntag im Monat einen kostenfreien Familientag im Clemens-Sels-Museum. Seit einigen Monaten verzichtet das dazugehörige "Feld-Haus - Museum für Populäre Druckgrafik" zwischen der Insel Hombroich und der gegenüber liegenden sogenannten Raketenstation ganz auf Eintrittsgelder.



Iris Berben kommt zur Eröffnung des Festivals Max Ophüls Preis


Iris Berben
epd-bild / Rolf Zöllner

Das Filmfestival Max Ophüls Preis lädt vom 14. bis 20. Januar Filmliebhaber nach Saarbrücken ein. Zur Eröffnung der 40. Ausgabe des Festivals wird Schauspielerin Iris Berben erwartet, die den undotierten Ehrenpreis der Festspiele erhält, wie die Tourismus Zentrale Saarland am 27. Dezember in Saarbrücken mitteilte. Insgesamt laufen 153 Filme in Saarbrücker Kinos und erstmals auch in Bous und St. Ingbert. Davon konkurrieren 62 Filme in mehreren Wettbewerben um Auszeichnungen im Gesamtwert von 118.500 Euro.

Der Max Ophüls Preis gilt als eines der bedeutendsten Filmfestivals für Nachwuchsfilmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Benannt ist es nach dem in Saarbrücken geborenen Regisseur Max Ophüls (1902-1957).



Gerhard Haderer bekommt "Göttinger Elch" 2019

Der Satirepreis "Göttinger Elch" geht 2019 an Gerhard Haderer. Der Karikaturist sei "einer der ganz Großen der satirischen Kunst", erklärte die Preisjury am 27. Dezember in Göttingen. Der Elchpreis wird für ein satirisches Lebenswerk vergeben und ist mit 3.333 Euro und einer silbernen Elchbrosche dotiert. Zudem richtet die Stadt Göttingen eine Ausstellung mit Werken des Preisträgers aus.

Haderer wurde 1951 im oberösterreichischen Leonding bei Linz geboren. Mit seinen fotorealistischen Cartoons halte er der Gesellschaft einen Spiegel vor, entlarve Missstände und Übeltäter und schaffe aus ernstem Zorn hohe komische Kunst, heißt es in der Begründung der Jury. "Seit mehr als 30 Jahren ist er der Chronist unserer Geschichte mit all ihren Widrigkeiten und Skandalen." Haderers Cartoons erscheinen unter anderem in den Zeitschriften "Titanic", "Geo", "Wiener" und "Trend". Von 1991 bis 2016 waren sie auch in seiner wöchentlichen Kolumne "Haderers Wochenschau" im "Stern" zu sehen.

Preis wird zum 23. Mal vergeben

Gerhard Haderer ist der 23. "Elch"-Preisträger. Seine Vorgänger waren unter anderem Robert Gernhardt (1999), Gerhard Polt (2000), Harry Rowohlt (2001), Otto Waalkes (2005), Hans Traxler (2006) und Georg Schramm (2014). Im vergangenen Jahr bekamen Pit Knorr und Wiglaf Droste den Preis.

Die Preisverleihung an Haderer erfolgt am 3. Februar im Deutschen Theater Göttingen. Bereits am Vorabend um 18.30 Uhr wird im Alten Rathaus der Stadt eine Ausstellung mit rund 140 Arbeiten des Künstlers eröffnet.




Entwicklung

Unicef beklagt extreme Gewalt gegen Kinder in Kriegen


In Syrien werden an Kinder und deren Familien Broschüren verteilt, in denen bilderreich und kindgerecht auf die Gefahren von Sprengfallen, Minen und nicht explodierter Munition hingewiesen wird.
epd-bild/Sebastian Backhaus
In Konfliktgebieten rund um die Welt hätten Mädchen und Jungen im zu Ende gehenden Jahr "ein extremes Ausmaß an Gewalt" erlitten, sagt der Leiter der Nothilfe-Programme von Unicef, Fontaine.

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef hat 2018 als ein "grausames Jahr" für Millionen Kinder bezeichnet. In Konfliktgebieten rund um die Welt hätten Mädchen und Jungen "ein extremes Ausmaß an Gewalt" erlitten, erklärte der Leiter der Nothilfe-Programme von Unicef, Manuel Fontaine. "Und die Weltgemeinschaft hat dabei versagt, sie zu schützen."

Missbrauch als menschliche Schutzschilde

Laut Unicef-Bilanz wurden Tausende Mädchen und Jungen 2018 direkte Opfer von Kriegsgewalt, Millionen Kinder waren schweren Kinderrechtsverletzungen ausgesetzt. In vielen Konfliktländern seien Kinder angegriffen, als menschliche Schutzschilde missbraucht, getötet, verletzt oder als Soldaten rekrutiert worden. Vergewaltigung, Zwangsheirat und Entführung gehörten in Ländern wie Nigeria und Somalia häufig zur Kriegstaktik, beklagte das Kinderhilfswerk. Die Täter würden in den meisten Fällen nicht bestraft.

In Syrien bestätigten die Vereinten Nationen den Angaben zufolge allein von Januar bis September 2018 die Tötung von 870 Kindern. Das sei die höchste Zahl in den ersten neun Monaten eines Jahres seit Konfliktbeginn. In Afghanistan seien in den ersten neun Monaten des Jahres rund 5.000 Kinder und Jugendliche getötet oder verletzt worden, so viele wie im gesamten Vorjahr. 89 Prozent der zivilen Opfer von Minen und Blindgängern seien Kinder.

Bei Angriffen im Jemen wurden den Angaben zufolge mindestens 1.427 Kinder getötet oder verletzt. Dabei handele es sich ausschließlich um von den Vereinten Nationen bestätigte Todesfälle. Zahlreiche Schulen und Krankenhäuser wurden angegriffen oder für militärische Zwecke missbraucht. Unicef rief alle Konfliktparteien dazu auf, Gewalttaten gegen Kinder sofort zu stoppen und Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser zu unterlassen.



UNO-Flüchtlingshilfe: Trauriger Rekord in 2018

Die UNO-Flüchtlingshilfe zieht eine traurige Jahresbilanz. Noch nie seien so viele Menschen auf der Flucht gewesen wie im Jahr 2018, teilte die Organisation am 30. Dezember in Bonn mit. "Wir haben ein extremes Jahr hinter uns. Die weltweiten Krisen sind komplex, politische Lösungen kaum in Sicht. Dabei wollen die meisten Geflüchteten einfach zurück in ihre Heimat", erklärte der Geschäftsführer Peter Ruhenstroth-Bauer. Neben der Nothilfe, besonders jetzt im Winter, müsse die Weltgemeinschaft diesen Menschen auch Perspektiven bieten.

Es sei ein Jahr der erschütternden Superlative: "In Bangladesch entstand das größte Flüchtlingslager der Welt, Venezuela erlebt die größte Fluchtbewegung in der modernen Geschichte Lateinamerikas und im Jemen hat sich nahezu unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit die derzeit größte humanitäre Krise der Welt entwickelt", hieß es weiter. Weltweit seien mehr als 68,5 Millionen Menschen aktuell auf der Flucht, "Tendenz steigend".

Gleichzeitig entwickele sich die öffentliche Diskussion über Flüchtlinge in Deutschland emotionaler und weniger faktenorientiert, kritisiert die UNO-Flüchtlingshilfe, der nationale Partner des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. 2018 habe die Organisation auch in Deutschland viele Flüchtlingsprojekte gefördert. Dabei gehe es um soziale und psychologische Hilfen sowie Therapien, Rechtsberatung für Asylsuchende. Hinzu kommen den Angaben zufolge Projekte, die einen wichtigen Beitrag für eine gute Integration leisten sollen, zum Beispiel Patenschafts- und Mentoren-Programme sowie Bildungsprojekte für Flüchtlingskinder

Die UNO-Flüchtlingshilfe machte unter anderem auf die Situation im Jemen aufmerksam. Mehr als 20 Millionen Menschen im Jemen, 67 Prozent der Bevölkerung, seien dort auf humanitäre Hilfe angewiesen, um zu überleben. "Das vom Bürgerkrieg erschütterte Land steht kurz vor einer Hungersnot", mahnte die Organisation. 1,8 Millionen Kinder seien extrem mangelernährt. 400.000 von ihnen würden bereits als unterernährt gelten.



Guterres: Die Welt macht eine Belastungsprobe durch


Antonio Guterres
epd-bild / Peter Williams

UN-Generalsekretär António Guterres hat in seiner Neujahrsbotschaft vor aktuellen Gefahren für die Menschheit gewarnt. "Es sind sorgenvolle Zeiten für viele, und unsere Welt macht derzeit eine Belastungsprobe durch", erklärte Guterres in New York. Weltpolitische Spaltungen vertieften sich und machten die Konfliktlösung schwieriger. Niemals zuvor seien mehr Menschen auf der Flucht und auf der Suche nach Sicherheit und Schutz gewesen, betonte Guterres.

Zugleich nehme die Ungleichheit auf der Welt zu. Die Menschen hinterfragten eine Welt, in der ganz wenige Personen über gleich viel Vermögen verfügten wie die Hälfte der Menschheit. Zudem wachse die Intoleranz, sagte der UN-Generalsekretär.

Guterres nannte aber auch Gründe zur Hoffnung. Die Vereinten Nationen hätten in der polnischen Stadt Kattowitz die Staaten zusammengebracht, um ein Arbeitsprogramm zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zu beschließen. Die Menschen müssten nun die "existenzielle Bedrohung" durch den Klimawandel besiegen, forderte Guterres.

Die Gespräche der UN zur Konfliktbeilegung im Jemen hätten eine Chance für den Frieden geschaffen. Außerdem habe das Abkommen zwischen Äthiopien und Eritrea lange bestehende Spannungen beruhigt.

"Im Jahr 2019 werden die Vereinten Nationen weiterhin Menschen zusammenbringen", versicherte der UN-Generalsekretär. Guterres wünschte allen Menschen ein "glückliches, friedliches und erfolgreiches neues Jahr".



Starke Jobs für starke Frauen in Äthiopien


Sitina Tesfaye will Elektrikerin werden.
epd-bild/Marc Engelhardt
Präsidentin, Ministerin, oberste Richterin: Äthiopiens neuer Ministerpräsident Abiy hat Frauenförderung zur Chefsache gemacht. Auch Studentinnen, die mit Spenden aus Deutschland Männerberufe erlernen, hoffen auf bessere Chancen.

Sitina Tesfaye nimmt die Kombizange, zieht die Isolierung vom Kabel ab und schließt mit dem bloßen Kupferdraht den Stromkreis. Dann legt die Äthiopierin den Schalter um. Der Strom fließt, sie lächelt. "An der staatlichen Universität, wo ich vorher war, saßen wir nur im Hörsaal", sagt die 19-Jährige. "Aber hier kann ich ganz praktisch ausprobieren, was ich gelernt habe, das ist viel besser." Tesfaye studiert im zweiten Jahr an der Agrotechnischen und Technologischen Hochschule von Harar, kurz ATTC. Noch einmal zwei Jahre, und sie wird ausgebildete Elektrikerin sein - auch in Äthiopien ein Männerberuf.

"Frauen bekommen mehr Macht im Land"

"Aber das ändert sich jetzt, Frauen bekommen mehr Macht im Land", freut sich Sitina Tesfaye. "Das ist gut für uns junge Frauen, und es motiviert mich ganz persönlich." Äthiopien ist im Umbruch. Seit einem Dreivierteljahr fegt ein frischer Wind alte Gewissheiten hinweg. Sein Name: Abiy Ahmed, im April von der Einheitspartei zum neuen Regierungschef gekürt. Seitdem hat er Geschichte geschrieben und erstmals einer Frau ins Präsidentenamt verholfen, Sahle-Work Zewde. Zudem besteht die Hälfte des Kabinetts aus Frauen. Die zehn Ministerinnen führen einflussreiche Ressorts wie Verteidigung und Handel. Auch an der Spitze des obersten Gerichtshofs und der Wahlbehörde stehen Frauen.

Und so überrascht kaum, dass die angehende Elektrikerin Sitina Tesfaye an ihre Zukunft in einem äthiopischen Unternehmen glaubt: "Wenn man hart arbeitet, dann hat man es als Frau nicht schwerer als ein Mann." Ihr Lehrer Ethirajulu Jayarai nickt. "Unsere Absolventen haben es leicht, eine Anstellung zu finden, Frauen wie Männer - manche arbeiten für Mittelständler, manche für Großbetriebe wie Ethiopian Airlines." Viele Studierende am ATTC unterschreiben ihre Verträge schon vor dem Abschluss. "Wir unterrichten Grundlagen der Elektronik für den lokalen Bedarf - nicht Robotik oder so was, was man nur im Ausland brauchen würde."

Viel Praxis, flankiert durch Theorie: Das ist das Konzept der Hochschule, die 1992 von dem ehemaligen Schauspieler Karl-Heinz Böhm eröffnet wurde. Die von ihm gegründete Stiftung "Menschen für Menschen" trägt die ATTC bis heute. Mehr als 750 Studierende lernen Elektronik, Fertigungstechnik, Mechanik oder Landwirtschaft. Mehr als 200 von ihnen sind Frauen wie Besait Fikadu, die in einem verschmierten Overall den Motor eines Toyota Corolla zerlegt. "Ich wollte immer mit Autos arbeiten, und ich bin sicher, einen Job zu bekommen", strahlt sie. Ihre Eltern auf dem Land haben nur einen Ochsenkarren. Fikadus Traum ist: "Ein eigenes Auto, ein Toyota."

Traditionelle Rollenbilder

Doch gerade auf dem Land sind traditionelle Rollenbilder noch fest verwurzelt. Erst langsam setzt sich durch, dass Frauen nicht nur Familie, sondern auch Arbeit wollen und damit Eigenständigkeit und Selbstbestimmung etwa bei der Familienplanung. "Ich bin glücklich, wenn ich mich in meinem Beruf verwirklichen kann", sagt Besait Fikadu. "Meine Eltern waren Bauern, aber alle meine Schwestern haben studiert." Eine Jobgarantie bedeutet das nicht. 30 Millionen junge Äthiopier sind trotz Hochschulstudium arbeitslos. Viele kehren dann auf die Farm der Eltern zurück, junge Frauen kümmern sich um die Familie.

Ruhama Abdisa stammt aus Ambo, einer Stadt, in der frustrierte junge Männer vor zwei Jahren damit begonnen haben, auf die Straße zu gehen. "Wegen der Unruhen habe ich meinen Abschluss nicht machen können, es war eine schwere Zeit", sagt die junge Frau, die an der ATTC Öko-Landwirtschaft studiert. "Jetzt sind die Forderungen der Studenten in Ambo ja erst einmal erfüllt, und ich hoffe, dass die nächste Generation nicht die gleichen Probleme bekommt."

Eine praxisorientierte Ausbildung könnte der Schlüssel für eine bessere Zukunft sein. Das glaubt auch Tolla Nega, der Kanzler der Hochschule. "Die Wirtschaft boomt, was Äthiopien fehlt, sind qualifizierte Arbeiter." Das Interesse an der ATTC ist riesig: 900 junge Männer und Frauen bewarben sich im vergangenen Jahr auf 250 Studienplätze. Nega hätte gerne mehr akzeptiert. Doch weil "Menschen für Menschen" den Betrieb allein aus Spenden finanziert, ist die Kapazität begrenzt.

Toyba Ibrahim fräst an einer Maschine ein Zahnrad, das sie später in eine Bohrmaschine einpassen wird. Die 22-Jährige schaut konzentriert, bevor sie einer Kommilitonin das Werkstück überreicht. "Unsere Mütter und Großmütter haben früher wirklich gelitten, Gleichbehandlung war ein Fremdwort", sagt sie. "Aber gerade nach den jüngsten Veränderungen hoffe ich, dass wir künftig genauso behandelt werden wie Männer."

Marc Engelhardt (epd)


Wer hat den Kopf von Mangi Meli?


Mnyaka Sururu Mboro vor einem Foto von Mangi Meli
epd-bild/Jürgen Blume
Der Chagga-Führer Mangi Meli kämpfte gegen die deutschen Kolonialisten in Tansania, wurde hingerichtet. Sein Volk ist sicher, dass die Besatzer seinen Kopf abtrennten und nach Deutschland brachten. Mnyaka Sururu Mboro will den Schädel finden.

Als kleines Kind lauschte Mnyaka Sururu Mboro den Geschichten seiner Oma. In ihrer Hütte am Fuße des Kilimandscharos erzählte die Tansanierin dem Kleinen von seinem Chagga-Volk - und vom Widerstandsführer Mangi Meli, der seinen Kampf gegen die deutschen Kolonialherren einst mit dem Leben bezahlte. Als Mboro 27 war, bekam er ein Stipendium in just dem Land, das nach Überzeugung der Hinterbliebenen Mangi Meli im Jahr 1900 hinrichten ließ. Und nicht nur das: Auch seinen Kopf hätten die Deutschen abgetrennt und verschleppt. Nur mit einem Versprechen ließ die Großmutter Mboro ziehen: dass er das Haupt Melis zurückbringen würde.

Die Großmutter habe die Nachbarn zusammengerufen und gejubelt: "Er geht nach Deutschland, er bringt den Kopf von Mangi Meli zurück", erinnert sich Mboro. "Dabei hat sie mich angeschaut und gewartet, dass ich 'Ja' sage." Ein Jahr später, 1979, starb die alte Frau. "Bis dahin war ich noch überhaupt nicht weit gekommen mit der Suche", sagt Mboro. Doch das Versprechen spornte ihn weiter an.

Kolonialisten vermaßen die Menschen

Viele Tausende Schädel und Gebeine brachten die deutschen Kolonialisten aus ihren Überseegebieten mit nach Hause - unter anderem auch, um Menschen zu vermessen und Völker zu kategorisieren. So ließ sich etwa der Arzt und Anthropologe Felix von Luschan (1854-1924) für seine Forschungen Köpfe aus aller Welt nach Berlin schicken. Seine Sammlung wuchs nach Angaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) auf etwa 6.300 Schädel an, darunter archäologische Funde, aber eben auch viele Gebeine aus den deutschen Kolonien.

Ein Großteil der Luschan-Sammlung befindet sich heute im Besitz der SPK - und die forscht mit Hilfe von Drittmitteln gerade intensiv nach der Herkunft von rund 1.000 Schädeln. Diese sollen aus Ostafrika stammen, gut 200 davon aus dem Gebiet des heutigen Tansanias.

DNA-Probe soll Klärung bringen

"Wir haben hin und her gesucht, ohne Erfolg", sagt Mboro, der inzwischen seit langem in Berlin lebt. "Doch jetzt gibt es wieder Hoffnung." Kürzlich habe die SPK sechs Schädel ausgemacht, die aus seiner Region am Kilimandscharo und aus der Zeit Melis stammen, erklärt der 67-Jährige. Und, was die Suche noch weiter beflügelt: Ein Enkel von Mangi Meli, der 87 Jahre alte Isaria Meli, kam nach Berlin und gab eine DNA-Probe ab. Damit könnte eine Zuordnung zweifelsfrei erfolgen. Jetzt heißt es warten. Ein Ergebnis wird für dieses Jahr erwartet.

"In den uns zur Verfügung stehenden Dokumenten gibt es keine namentliche Erwähnung Mangi Melis, die darauf hindeutet, sein Schädel befände sich in der Sammlung", heißt es bei der SPK. Klarheit könne tatsächlich nur die DNA-Analyse bringen. Und wenn die Knochen des Chagga-Chefs wirklich dabei sind? "Es ist klar, dass dieser Schädel nicht in Berlin bleiben sollte, wenn er gefunden wird", betont Sprecherin Birgit Jöbstl. "Aus unserer Sicht ist eine Rückgabe die einzige sinnvolle Möglichkeit."

Eine Rückgabe sei auf jeden Fall geboten, wenn sicher sei, wo die Gebeine herkämen und der Erwerb "rechtlich oder ethisch Unrecht" gewesen sei, sagt auch Wiebke Ahrndt vom Bremer Übersee-Museum. Sie ist Leiterin der Arbeitsgruppe "Human Remains" (dt.: menschliche Überreste) des Deutschen Museumsbundes und federführende Herausgeberin der "Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen".

Höchste Sensibiliät gefordert

Gehe es um menschliche Gebeine, sollten die Museen höchste Sensibilität walten lassen, unterstreicht Ahrndt: "Es muss klar sein, dass es nicht allein um wissenschaftliche Forschung geht, dass auf der Waagschale auch andere Dinge liegen: berechtigte Familieninteressen, religiöse Vorstellungen, politische Verflechtungen und anderes mehr."

Vor einer Rückgabe müsse allerdings wirklich erwiesen sein, woher die Überreste stammen. Im ehemaligen Deutsch-Neuguinea etwa gebe es die Überzeugung, dass in Schädeln so viel Kraft wohne, dass Angehörige anderer Clans diese gar nicht berühren dürften, weil sie sonst Schaden nähmen.

Inwiefern es sich um unrechtmäßigen Erwerb handele - die Experten sprechen von "Unrechtskontext" -, das ist laut Ahrndt im Einzelfall zu ermessen. Wichtig sei aber auf jeden Fall, welche Bedeutung die "Human Remains" für die Nachfahren und die Herkunftsgesellschaft haben.

Im Falle der Berliner Sammlung betont die Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Unrechtskontext sei in Bezug auf "koloniale Human Remains" kein Entscheidungskriterium. Diese würden, wenn die Herkunftsländer das wünschen, zurückgegeben.

Mnyaka Sururu Mboro wehrt sich indes mit dem kleinen Verein "Berlin Postkolonial", den er vor rund zehn Jahren mitgründete, gegen die zumindest früher vertretene Ansicht, dass menschliche Gebeine zu Kolonialzeiten auch anders als unrechtmäßig nach Deutschland gekommen sein könnten. "Als mir gesagt wurde, dass die Forschung erst klären müsse, ob die mehreren Hundert Gebeine aus Tansania illegal nach Deutschland gelangt wären, bin ich fast umgefallen", sagt Mboro. Sein Mitstreiter Christian Kopp von "Berlin Postkolonial" spricht von Zynismus.

Das Volk der Chagga leidet

Mangi Meli muss zurück in den Norden Tansanias, das steht für Mboro nicht zur Debatte. "Die Vorstellung, dass unsere Vorfahren irgendwo in einer Kartonschachtel liegen könnten, ist für mich und meine Landsleute unerträglich", sagt er. Stattdessen sollen die Gebeine an einer Gedenkstätte beigesetzt werden, an dem Ort, an dem der Chagga-Führer nach Berichten der Vorfahren vor mehr als 100 Jahren gehängt wurde. "Der Baum steht noch", sagt Mboro.

So lange das nicht geschehen sei, leide das Volk: Noch immer werde das Fehlen der Gebeine für Unglück verantwortlich gemacht, sagt Mboro. "Wenn es nicht rechtzeitig regnet, wenn die Cholera grassiert, dann heißt es: Das ist, weil wir Mangi Meli noch nicht beerdigt haben."

Und wenn der Schädel nicht in Berlin identifiziert wird? "Dann geht die Suche weiter", sagt Mboro. "Dass der Kopf gefunden wird und auch alle anderen Häupter der Chagga an den Kilimandscharo zurückkehren, ist für uns immens wichtig. Erst dann werden wir unseren Frieden finden."

Silvia Vogt (epd)