Der Soziologe und Protestforscher Simon Teune von TU Berlin erwartet, dass die Proteste am Hambacher Forst weitergehen werden. Eine Mediation zwischen Braunkohlegegnern und Energieunternehmen hält er für wenig sinnvoll. Besser wäre es, eine gemeinsame Perspektive für die Region zu erarbeiten, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Interview im Wortlaut:

epd: Herr Teune, wie bewerten Sie die Demonstrationen rund um den Hambacher Forst und die Protestcamps, die schon über Jahre in dem Wald existiert hatten? Sind das neuartige Formen des Widerstandes oder eher eine traditionelle Art des Protestes?

Teune: Die Proteste um den Hambacher Forst funktionieren ganz klassisch wie frühere Infrastrukturproteste, etwa gegen Atomkraftwerke oder gegen die Startbahn West. Über die Besetzung werden die Rodungsmaßnahmen verhindert, Demonstrationen und andere öffentlichkeitswirksame Aktionen schaffen darüber hinaus Aufmerksamkeit und die Möglichkeit für viele, ihre Unterstützung auszudrücken.

epd: Der Hambacher Forst ist bundesweit zum Symbol des Widerstandes gegen die angebliche Macht der Konzerne - in diesem Fall der Energieunternehmen - geworden. Kann so ein Symbol zu einer breiteren Protestbewegung führen oder bleiben die Aktionsbündnisses auf die lokalen und regionalen Anlässe beschränkt?

Teune: Der Hambacher Forst ist ja nur ein Ausschnitt aus einer größeren Klimaschutzbewegung. Auch die hat nicht mit den konfrontativen Aktionen angefangen, sondern mit klassischen Formen: Einsprüche und Klagen gegen den Neubau von Kohlekraftwerken oder Demonstrationen. Der Hambacher Forst taugt als Symbol, weil man plakativ sagen kann: "Wald oder dreckige Energie?"

epd: Die Fronten in der Auseinandersetzung sind recht verhärtet. RWE pocht auf sein Recht als Eigentümer des Geländes und verweist auf die Notwendigkeit der Energiesicherheit, für so manche Waldbesetzer scheint der Protest zum Selbstzweck geworden sein. Inwieweit können weitere Protestaktionen da noch zur Lösung der Frontstellung beitragen oder verschärfen sie diese nur noch weiter?

Teune: Der Konflikt hat sich durch die Räumung zugespitzt und die Interessen, die sich da gegenüberstehen, sind ja auch kaum vermittelbar. RWE hat einen rechtlichen Anspruch, die Klimaaktivistinnen und -aktivisten bringen aber andere Argumente ein: nämlich dass der Klimawandel nicht von Gerichten berücksichtigt wird. Die Proteste werden weitergehen. Die Dringlichkeit, radikale Maßnahmen zum Klimaschutz zu beschließen, wird ja nur noch größer.

epd: Braucht es jetzt eine Moderation von außen, die die verfahrene Situation lösen kann?

Teune: Eine Mediation kann zwar helfen, die Perspektive der anderen Seite nachzuvollziehen, aber die Interessengegensätze lassen sich nicht wegmoderieren. Sinnvoll wäre es, eine gemeinsame Perspektive für die Region zu erarbeiten. Denn dass die Tage der Braunkohle gezählt sind, daran zweifelt wohl kaum jemand.

epd: Stellen Sie in der Gesellschaft grundsätzlich eine größere Bereitschaft fest, sich gegen politische und wirtschaftliche Entwicklungen zu wehren? Gibt es eine Art neue Protestkultur in Deutschland, die vor dem Hintergrund der Sozialen Netzwerke leichter zu organisieren ist?

Teune: Für Proteste gibt es bis auf wenige Ausnahmen nur ein Kurzzeitgedächtnis. Es ist eigentlich immer irgendwo etwas los, nur die Aufmerksamkeit ist sehr ungleich verteilt. Die wenigsten Proteste werden deutschlandweit diskutiert. Der Umfang der Proteste ist also nicht neu. Aber die Möglichkeit, über soziale Netzwerke Protest zu organisieren und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, hat Protest schon sehr stark verändert. Im Konflikt um den Hambacher Forst sind es wohl eher die klassischen Netzwerke, Organisationen, Initiativen und Freundeskreise, die die Menschen auf die Straße bringen. Wenn man aber an die Live-Streams zur Räumung und die Diskussion auf Twitter zurückdenkt - das hat auch für Journalisten die Dringlichkeit erhöht, zu berichten.