sozial-Politik

Ruhestand

Neue Prognosen: Rentenniveau sinkt bis 2045 drastisch




Für viele Menschen könnte es im Alter finanziell knapp werden.
epd-bild/Jürgen Blume
Das Niveau der gesetzlichen Rente wird in den nächsten 30 Jahren drastisch sinken, wenn die Politik nicht gegensteuert. Geringverdiener und kleine Selbstständige sind besonders gefährdet. Den heutigen Rentnern geht es aber noch gut.

Das Rentenniveau könnte im Jahr 2045 bei 41,6 Prozent des Durchschnittslohns liegen und damit um mehr als sechs Prozentpunkte unter dem heutigen Niveau von 47,8 Prozent. Dies geht aus neuen Berechnungen aus dem Bundesarbeitsministerium hervor, die am 28. September in Berlin bekanntwurden. Der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums legte einen Tag später ähnliche Zahlen vor.

Das fortlaufende Abrutschen des Sicherungsniveaus untergrabe das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung und verunsichere Arbeitnehmer und Rentner, hieß es aus dem Arbeitsministerium. Es brauche eine Haltelinie beim Rentenniveau. Die Berechnungen gehen erstmals über das Jahr 2030 hinaus, bis zu dem alle bisherigen Prognosen reichen.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund begrüßte, dass Berechnungen über die Entwicklung in der Rentenversicherung über das Jahr 2030 hinaus angestellt werden. Denn dadurch könnten "belastbare Vorstellungen über weitere Anpassungsbedarfe wie über Anpassungsmöglichkeiten" entwickelt werden. Es ist jetzt durchaus an der Zeit, darüber zu reden, ob wir neue Leitplanken nach 2030 bei Rentenniveau und Beitragssatz brauchen und wie diese aussehen sollen", erklärte der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung.

40 Milliarden Euro nötig

Die Gewerkschaften und Teile der SPD fordern seit Monaten eine Stabilisierung des Rentenniveaus. Die jüngsten Zahlen der Bundesregierung unterstreichen nach Auffassung des DGB den Reformbedarf. "Die Regierung muss jetzt handeln, nach 2030 ist es definitiv zu spät" sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach in Berlin. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will im November ein Gesamtkonzept für die Alterssicherung vorlegen, das die neuen Zahlen berücksichtigt.

Aus den Berechnungen geht auch hervor, wie teuer es wäre, das Rentenniveau zu halten. Die Rentenversicherung würde jedes Jahr 40 Milliarden Euro zusätzlich benötigen, davon 32 Milliarden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und acht Milliarden Zuschuss vom Bund. Im Jahr 2045 läge der Beitrag dann bei 26,4 Prozent des Einkommens. Heute beträgt er 18,7 Prozent. Er ist bis 2020 auf 20 Prozent und bis 2030 auf 22 Prozent begrenzt. Für die darauffolgenden Jahre gibt es keine Vorgaben.

Für Geringverdiener und kleine Selbstständige muss aus Sicht des Arbeitsministeriums schnell etwas getan werden, um sie vor Altersarmut besser zu schützen. Die geplante Reform der betrieblichen Altersversorgung soll Geringverdienern zugutekommen. Geplant sind staatliche Zuschüsse, damit mehr Beschäftigte es sich leisten können, einen Teil ihres Lohns für die zusätzliche Rente aufzuwenden. 2015 hatten 17,7 Millionen Arbeitnehmer eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung.

Tarifpartner in der Pflicht

Auf das Konzept hat sich Nahles bereits mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verständigt. Sie will demnächst einen Gesetzentwurf vorlegen. Einzelheiten sollen die Tarifpartner vereinbaren. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann erklärte, ein Konsens zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften liege noch in der Ferne. Insbesondere sei nicht klar, wer künftig für die Betriebsrenten hafte.

Einzelheiten über eine stärkere Unterstützung kleiner Selbstständiger wurden noch nicht bekannt. Fast die Hälfte der ehemaligen Selbstständigen erhält den Angaben aus dem Arbeitsministerium zufolge schon heute eine Rente von weniger als 1.000 Euro im Monat. Der Anteil der Kleinverdiener unter den Selbstständigen steigt seit Jahren.

Den heutigen Rentnern geht es indes noch gut. Nur drei Prozent sind auf die staatliche Grundsicherung angewiesen, von den ehemals Berufstätigen nur zwei Prozent. Ein Ehepaar hatte 2015 im Durchschnitt zusammen ein Einkommen von 2.543 Euro, ein alleinstehender Mann 1.614 Euro und eine alleinstehende Frau 1.420 Euro. Die Einkommen setzen sich aus der gesetzlichen Rente und weiteren Einkünften zusammen.

Bettina Markmeyer, Markus Jantzer


Ruhestand

Wissenschaftlicher Beirat warnt vor sinkender Netto-Rente



Nach dem Bundesarbeitsministerium warnt auch der Wissenschaftliche Beirat von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) vor einem deutlich sinkenden Rentenniveau.

Die Wissenschaftler, die am 29. September in Berlin ihr Gutachten über die Zukunft der Sozialversicherungen vorstellten, kommen für die Entwicklung in den nächsten 30 Jahren zu beinahe identischen Prognosen wie das Arbeitsministerium.

Im Jahr 2045 wird danach das Niveau der Durchschnittsrente auf rund 42,5 Prozent des durchschnittlichen Lohns sinken. Die Prognose ist aufgrund anderer Annahmen etwas optimistischer als die entsprechende Prognose aus dem Rentenversicherungsbericht (41,6 Prozent). Den Beitragssatz sehen die Wissenschaftler in 30 Jahren bei über 23 Prozent. Er beträgt heute 18,7 Prozent des Bruttoeinkommens. Das Sicherungsniveau für die Rente liegt gegenwärtig bei 47,8 Prozent des Durchschnittslohns.

Gegen feste Altersgrenze

Der Beirat unter dem Vorsitz des Züricher Ökonomen Hans Gersbach spricht aber Empfehlungen aus, die Gabriel und Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nicht teilen. Um die Rentenversicherung bezahlbar zu halten und das Rentenniveau nicht abstürzen zu lassen, sei die feste Altersgrenze abzuschaffen und das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln.

Setzt sich die Entwicklung fort, wonach die Lebenserwartung alle zehn Jahre um zwei Jahre steigt, läge das Renteneintrittsalter nach den Empfehlungen des Beirats im Jahr 2045 bei 69 Jahren. Tätig werden müsse die Politik erst nach 2030. Bis dahin soll das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre steigen.

Pflichtrente für Selbstständige

Als "teure Dummheit" bezeichnete der Wirtschaftswissenschaftler und Renten-Experte Axel Börsch-Supan vom Münchner Max-Planck-Institut für Sozialpolitik Überlegungen in der SPD und Forderungen der Gewerkschaften, das Rentenniveau stabilisieren oder auf einem bestimmten Niveau fixieren zu wollen.

Zugleich schränkte Börsch-Supan ein, etwa 20 Prozent der Erwerbstätigen könnten ihre Arbeit nicht bis zur Rente durchhalten. Das sei schon heute so. Für diese Gruppe müssten Lösungen gefunden werden.

Hohe Armutsrisiken sehen die Wissenschaftler für Langzeitarbeitslose, gesundheitlich eingeschränkte Berufstätige und Solo-Selbstständige. Sie empfehlen, die Erwerbsminderungsrenten anzuheben, die kleinen Selbstständigen zu verpflichten, sich gesetzlich zu versichern und für Langzeitarbeitslose wieder Rentenbeiträge abzuführen.

Bettina Markmeyer


Ruhestand

Das aktuelle Stichwort: Rentenniveau



Das sogenannte Rentenniveau stellt die Relation zwischen der Höhe der Standardrente und dem Entgelt eines Durchschnittsverdieners dar. Die fiktive Standardrente wird nach 45 Jahren Beitragszahlung auf der Basis eines Durchschnittsverdienstes erzielt.

Das Rentenniveau wird als Netto-Wert angegeben: das Nettorentenniveau vor Steuern. Es werden also von der Standardrente die darauf entfallenden Sozialabgaben (Kranken- und Pflegeversicherung) abgezogen. Vom Durchschnittsverdienst werden ebenfalls die darauf entfallenden durchschnittlichen Sozialabgaben (hier: Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) sowie zusätzlich der durchschnittliche Aufwand zur zusätzlichen privaten Altersvorsorge abgezogen. Steuern bleiben außer Betracht, da Renten seit 2005 nicht mehr einheitlich besteuert werden.

Ein Absinken des Rentenniveaus, von dem in den Debatten so viel die Rede ist, heißt nicht, dass die Brutto-Renten sinken. Das ist durch die Rentengarantie sogar gesetzlich ausgeschlossen. Sie werden auch künftig steigen, aber nicht so stark wie die Einkommen.

Im Rentenversicherungsbericht 2015 ging die Bundesregierung davon aus, dass sich das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 wie folgt entwickelt: Im Jahr 2017 werde es bei 47,9 Prozent liegen und von da an stetig sinken. 2030 werde es 44,3 Prozent betragen. Für spätere Jahre hat die Bundesregierung für den Rentenversicherungsbericht 2015 keine Berechnungen angestellt.

Wie weit das Rentenniveau in Zukunft jedoch tatsächlich sinken wird, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Unter anderem spielen die Arbeitsmarktlage und die Entwicklung im Altersaufbau der Bevölkerung eine entscheidende Rolle. Außerdem wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Reformen vorgenommen, die den Anstieg der Renten dämpfen.

Sollte die Politik einem weiteren Sinken des Rentenniveaus gegensteuern, wäre dies nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund mit Kosten verbunden. Nach einer Faustformel würde eine Anhebung des Rentenniveaus um einen Prozentpunkt überschlägig einem Finanzvolumen von knapp einem halben Beitragssatzpunkt entsprechen. Ein halber Beitragssatzpunkt entspricht aktuell einem Finanzvolumen von 6,65 Milliarden Euro, teilt der Rentenversicherungsträger mit.



Ruhestand

Bundestag debattiert über Flexi-Rente



Der Bundestag hat am 29. September in Berlin über den Gesetzentwurf zur Flexi-Rente beraten, mit dem der Übergang in den Ruhestand flexibler ausgestaltet werden soll als bisher. Union und SPD wollen erreichen, dass ältere Beschäftigte möglichst lange im Erwerbsleben gehalten werden. Die Betroffenen sollten bessere Möglichkeiten erhalten, ihren Übergang in den Ruhestand flexibel, selbstbestimmt und gemäß ihren individuellen Lebensentwürfen zu gestalten.

Union und SPD mussten ihren Entwurf im Bundestag gegen scharfe Kritik aus der Opposition verteidigen. Die Linksfraktion sprach von einer "zynischen Politik". Seit Jahren sänken die heutigen und künftigen Renten. Als Kompensation werde den Beschäftigten angeboten, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten. Die Grünen kritisierten die Regelungen als untauglich. Das Gesetz trage nichts dazu bei, Ältere im Arbeitsleben zu halten. Die Mehrheit habe Schwierigkeiten, bis 67 durchzuhalten; darum müsse sich die Politik kümmern.

Zu den von der Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen gehört die verbesserte Möglichkeit, vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Teilzeitarbeit durch eine Teilrente zu ergänzen. Teilrente und Hinzuverdienst sollen "flexibel und individuell miteinander kombinierbar" sein. Bisher sind die Vorgaben so starr, dass Teilrentner fürchten müssen, ihre Rente zurückzahlen zu müssen, wenn sie die Verdienstgrenzen auch nur um einen Euro überschreiten.

Wer eine vorgezogene Vollrente bezieht wie die Rente mit 63 bei 45 Beitragsjahren und weiterarbeitet, soll dadurch künftig regelmäßig den Rentenanspruch erhöhen. Auch Vollrentner sollen nach den Regierungsplänen künftig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sein, bis sie die Regelaltersgrenze erreichen.

Arbeitet jemand nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiter, kann er auf die dann bestehende Versicherungsfreiheit verzichten, um so weitere Entgeltpunkte und damit einen höheren Rentenanspruch zu erwerben.

Zudem soll die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer dadurch attraktiver werden, dass der bisher anfallende gesonderte Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung für Beschäftigte jenseits der Regelaltersgrenze für die Dauer von fünf Jahren wegfällt.



Frauen

Gewalt

Mädchen auf der Flucht sexuell bedroht




Mädchen können auf der Flucht Opfer sexueller Gewalt werden.
epd-bild/Andreas Fischer
In Deutschland kommen deutlich weniger geflüchtete Mädchen als Jungen an. Ein Teil dieser Mädchen und jungen Frauen geraten an Zuhälter und Menschenhändler. Und für die, die es schaffen, gibt es wenig spezielle Angebote, berichten Helfer.

Die fünf Mädchen im Mädchenhaus Mäggie am Dortmunder Stadtrand haben das geschafft, was nicht allen Minderjährigen auf der Flucht gelingt: Sie sind angekommen. Und sie wohnen in Sicherheit. Losgegangen sind sie im Irak, Senegal, Eritrea und Serbien - ohne Eltern. "Alle haben schreckliche Gewalt erlebt", sagt Smiljana Hesse, Leiterin des im April eröffneten Hauses für traumatisierte 12- bis 18-jährige Mädchen des Vereins "Vive Zene!" (auf deutsch: Frauen lebt!), der schon vor 20 Jahren in Bosnien Therapiezentren für im Krieg vergewaltigte Frauen aufgebaut hat.

In die Prostitution geraten

"Eines der Mädchen ist auf der Flucht in die Prostitution geraten, eine andere musste vor einer erzwungenen Ehe fliehen", berichtet die Pädagogin. Auf der Flucht und im Krieg sei für Mädchen sexuelle Gewalt eine Dauerbedrohung.

Mindestens ein Jahr können sie im Mädchenhaus bleiben. "Damit versuchen wir, eine Lücke in der stationären Jugendhilfe zu schließen", sagt Hesse. Spezielle Angebote für Mädchen seien rar. "Gerade diejenigen, die Gewalt von Männern ausgesetzt waren, brauchen sie aber dringend."

Bei Mäggie gibt es deshalb ausschließlich weibliches Personal - von der Traumatherapeutin bis zur Betreuerin. "Hier kommt auch kein Mann von außen herein: Finden wir nur einen männlichen Handwerker, kündigen wir das den Mädchen an." Ohne diesen Schutzraum fänden die Mädchen keine Ruhe vor der quälenden Angst, die sie zum Teil jahrelang erleiden mussten.

Flucht vor Zwangsheirat

Rund 51.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben derzeit in Deutschland, zeigen die amtlichen Statistiken. Weltweit sind 28 Millionen Kinder auf der Flucht, immer mehr davon allein, meldet aktuell Unicef. Etwa 90 Prozent der unbegleiteten Minderjährigen, die hier ankommen, sind männlich, sagt Tobias Klaus vom Bundesfachverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. "Hat eine Familie nur für ein Kind Geld zur Flucht, geht eher ein Junge - in der Hoffnung, dass er sich besser wehren kann", sagt Klaus.

Mädchen haben in ihrer Heimat oft Fluchtgründe, die Jungen nicht haben: "Sie fliehen vor Genitalverstümmelung oder Zwangsheirat und damit auch vor Teilen ihrer Familie." Klaus vermutet deshalb, dass das Geschlechterverhältnis beim Aufbruch weniger ungleich ist. Viele Mädchen kämen aber nicht an, fürchtet er, sondern könnten Opfer von Menschenhändlern oder in der Prostitution gelandet sein - vor allem diejenigen, die den langen Land- und Seeweg nach Europa nehmen. "Kinder auf der Flucht sind sowieso besonders gefährdet, Mädchen wie Jungen."

Über diejenigen, die irgendwo unterwegs verschwinden, führt niemand Buch. Aber auch hierzulande gelten laut Bundeskriminalamt etwa 9.000 Flüchtlingskinder als vermisst. Bei den meisten geht die Behörde aber nicht von Straftaten aus, sondern von fehlenden Rückmeldungen oder Registrierungsfehlern.

In Italien ausgebeutet

Ein auf Augenzeugen gestützter Bericht der internationalen Hilfsorganisation Save the children zeigt, dass Kinderflüchtlinge in Italien zu Prostitution und Drogenhandel gezwungen werden. Viele müssen dies tun, um die Kosten ihrer Flucht - bis zu 50.000 Euro - beim Schlepper abzuarbeiten. Vor allem Mädchen aus Nigeria und Rumänien werden nach Angaben von Save the children mit falschen Versprechungen nach Italien gelockt und dann ausgebeutet. In legalen Strukturen kommen sie nicht an, bleiben unsichtbar.

Wie vielen Mädchen es in Deutschland auch so ergeht und ob es durch die Flüchtlingskrise mehr geworden sind, ist unklar. Acht minderjährige und 200 erwachsene Opfer von Menschenhandel meldeten sich 2015 bei der überregional bekannten Dortmunder Mitternachtsmission, darunter auch Asylberechtigte. Die Dunkelziffer sei aber groß - schon immer, sagt Leiterin Andrea Hitzke, die auch im Vorstand der bundesweiten Koordinierungsstelle gegen Menschenhandel arbeitet. Frauen und Kinder auf der Flucht seien natürlich gefährdet: "Ihnen geht unterwegs das Geld aus, einige schließen aber auch schon in der Heimat Verträge über abzuarbeitende Schulden." In einigen Ländern würden die dann mit Voodoo besiegelt.

Schutzraum ohne Männer

Davon berichten auch in der deutschen Jugendhilfe angekommenen Mädchen. Das Paul Gerhardt Werk in Berlin bietet deshalb seit eineinhalb Jahren auch ein spezielles Mädchenwohnen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge an. "Es gibt Mädchen, die sich wegen ihrer Erlebnisse in gemischten Gruppen einfach nicht sicher fühlen", sagt Alexandra Geisler, Leiterin des Berliner Mädchenwohnens. "Sie können sich auch männlichen Betreuern nicht anvertrauen."

Viel zu wenige solcher Angebote und oft zu wenig Sensibilität gebe es, findet sie, "die Nöte der Mädchen werden oft übersehen." Das bestätigt auch Birgit Hoffmann vom Mädchenhaus Bielefeld. Ihre Organisation nimmt im Clearinghaus Porto Amãl Flüchtlingsmädchen während des Clearingverfahrens in Obhut, bei dem Behörden sich einen ersten Überblick über Identität, Zustand und Bedarf der Geflüchteten verschaffen. Kinderehen, Vergewaltigungen - "viele Mädchen sind traumatisiert und brauchen einen Schutzraum ohne Männer", sagt Hoffmann. "Sonst öffnen sie sich auch nicht für Hilfen." Mädchenclearings gibt es dennoch kaum. Und auch daran anschließende Wohngruppen nur für Mädchen seien nicht die Regel. "Für unser Mädchenwohnprojekt zur Verselbstständigung müssen wir eine Warteliste führen."

Miriam Bunjes


Frauen

Gewalt

Expertin: "Kinderflüchtlinge erleben in Europa sexuelle Ausbeutung"



Viele unbegleitete Kinderflüchtlinge sind laut der Kinderschutzexpertin Viviana Coppola von der internationalen Hilfsorganisation Save the children nach ihrer Ankunft in Europa nicht in Sicherheit.

Minderjährige Mädchen werden laut Coppola in Italien zu Prostitution, Drogenhandel oder zu Arbeit auf Baustellen gezwungen. "Die Ankunft in Europa bedeutet nicht das Ende der Ausbeutung", sagte die Expertin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Save the children betreibt in italienischen Städten Zentren für Flüchtlinge und hat für einen Bericht betroffene Minderjährige befragt.

Die Zahl der neu angekommenen unbegleiteten Kinderflüchtlinge habe sich in Italien mit mehr als 10.500 im ersten Halbjahr 2016 verdoppelt. "Das verschärft das Problem immer weiter", sagte Coppola. Besonders häufig in der Zwangsprostitution landeten vor allem Mädchen aus Nigeria und Rumänien. Die nigerianischen Mädchen würden auf dem langen Weg nach Italien oft bereits nach dem Überqueren des Niger oder in Libyen zur Prostitution gezwungen. "Sie kommen dann unter der Herrschaft ihrer Ausbeuter bei uns an", sagte Coppola. In Italien müssen sie die Kosten ihrer Flucht abarbeiten - bis zu 50.000 Euro.

"Ihre Schulden wachsen aber mit jedem Tag in Italien weiter, weil sie auch Miete zahlen müssen", berichtete die Kinderschützerin. Andere gerieten in der Umgebung der Auffanglager in Italien an Zuhälter. "Viele Mädchen prostituieren sich für sehr niedrige Preise oder bieten ungeschützten Geschlechtsverkehr an", sagte Coppola. "Viele von ihnen sind erst 13 Jahre alt."

Viele Kinderflüchtlinge, insbesondere aus Eritrea und Somalia, seien auf der Durchreise nach Nordeuropa und wollten weiter nach Deutschland, Belgien und Skandinavien. Auch sie seien besonders gefährdet, weil sie in Italien unsichtbar bleiben müssten und Geld und Hilfe für die Weiterreise bräuchten. Viele seien bereits auf der Flucht an Menschenhändler geraten, würden zum Drogenhandel oder harter körperlichen Arbeit gezwungen. "Auf der sehr langen Flucht erleben sie unglaubliche Gewalt und zum Teil Folter", sagte Coppola.

Miriam Bunjes


Abschiebung

Flüchtlingsfamilie Mustermann soll gehen



Sie sind "bestens integriert": Selbst im örtlichen Fanfarenzug spielen alle sechs Shenoudas mit. Dennoch wurde ihr Asylantrag abgelehnt. Nun entscheidet ein Gericht, ob die christlichen Flüchtlinge bleiben können oder nicht.

Sie können als Musterbeispiel für eine gelungene Integration gelten, und doch droht ihnen die Abschiebung. Seit drei Jahren lebt die Flüchtlingsfamilie Shenouda aus Ägypten in Speyer. Der Vater arbeitet als Hausmeistergehilfe im katholischen Kloster St. Magdalena. Die 21-jährige Tochter Sara absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr und hat den Führerschein gemacht. Ihre jüngere Schwester Selvia (18) arbeitet auf das Fachabitur hin und will später Polizistin werden. Selbst im "Fanfarenzug Rot-Weiß Speyer" ist die Familie aktiv.

Nachdem ihr Asylantrag im Juni vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt wurde, hat die Familie gegen den Bescheid Klage eingereicht. Die Shenoudas waren in ihrer ägyptischen Heimat nach eigenen Angaben als Christen der Diskriminierung durch Behörden ausgesetzt.

"Ziemlich unfassbar" findet es ihr juristischer Beistand Jens Dieckmann, dass die Familie nun das Land verlassen soll. Die Situation sei für Christen in Ägypten derzeit sehr gefährlich und die Menschenrechtslage dort katastrophal, sagt der Bonner Anwalt für Ausländerrecht. Seine Kanzlei vertritt 70 von rund 5.000 koptischen Familien in Deutschland. Für koptische Flüchtlinge aus Ägypten müsse es generell einen Abschiebestopp geben, fordert er.

Am 16. November steht vor dem Trierer Verwaltungsgericht die mündliche Verhandlung über den Asylantrag der Shenoudas an. Sie genießen derzeit Abschiebeschutz und erhalten eine Prozesskostenbeihilfe - ein Indiz dafür, dass die Dinge für sie gut stehen, wie der Strafverteidiger sagt.

Dieckmann ist sicher, dass die Flüchtlingsfamilie ihre Asylgründe glaubhaft darstellen kann. "Es gibt ein Happy End", zeigt er sich optimistisch. Problematisch sei es, dass die Entscheidungspraxis der Asylbehörden seit diesem Jahr wohl auch unter dem Druck zahlreicher neuer Fälle "extrem restriktiv" sei.

Alexander Lang


Gesundheit

Heilpraktiker müssen in Zukunft strengere Kontrollen fürchten




Heilpraktiker setzen Akupunktur zur Schmerztherapie ein.
epd-bild / Andrea Enderlein
Nach Todesfällen am Niederrhein und in Bayern erwägt das Bundesgesundheitsministerium strengere Zulassungsbedingungen für Heilpraktiker. Der Bund Deutscher Heilpraktiker kontert, die Zulassungsprüfung sei schon heute "enorm schwer".

Nachdem am Niederrhein mehrere Patienten in einem alternativen Krebszentrum starben, ist die Heilpraktikerausbildung in Deutschland erneut in die Schlagzeilen gerückt. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) denkt nun über strengere Zulassungsregeln nach. Jetzt gehe es darum, "mögliche Lücken im Patientenschutz zu identifizieren und zu beseitigen", sagte ein Sprecher des Ministeriums. Und Gesundheitsstaatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) schrieb in ihrer Antwort auf eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen, dass man "die aktuellen Vorgänge zum Anlass für eine kritische Prüfung im Bereich der komplementärmedizinischen Methoden" nehmen wolle.

Krebspatient ausgependelt

Bei dem konkreten Fall am Niederrhein hatte ein Heilpraktiker seine Patienten mit einem nicht als Medikament zugelassenen Mittel behandelt, die daraufhin verstorben waren. In einem anderen Fall muss sich ein Heilpraktiker in Bayern wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten, weil er eine Krebspatientin mit Pendel und Homöopathie behandelt hatte. Bundesweit gibt es etwa 43.000 Heilpraktiker.

"Die Bundesregierung ist nun angehalten, gemeinsam mit den Heilpraktikerverbänden für einheitliche, hochwertige und verbindliche Ausbildungsstandards zu sorgen", fordert die Gesundheitsexpertin der Grünen im Bundestag, Kordula Schulz-Asche. Dagegen sei absolut nichts einzuwenden, entgegnet Ulrich Sümper, Präsident des Bundes Deutscher Heilpraktiker, in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Uns ärgert es enorm, dass immer auf den Prüfungen herumgeritten wird. Dabei liegt etwa dem Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen schon seit Jahren eine Empfehlung für einheitliche Prüfungen vor."

Heilpraktikerverbände setzen sich seit langem für eine bundesweite Regelung und verbindliche Ausbildungsinhalte ein. "Es ist nicht einzusehen, warum das von Bundesland zu Bundesland verschieden ist." Sümper würde es sehr begrüßen, "wenn man sich in der Heilpraktikerausbildung an einem Katalog orientieren könnte, der überall gleich ist". Bislang werden die Prüfungen von den Gesundheitsämtern der Kommunen abgenommen.

Enorme Durchfallquoten

Allerdings weist Sümper vehement Vorwürfe zurück, die bisherige Prüfung sei nicht ausreichend: "Die sogenannte Kenntnisüberprüfung, wie sie korrekt heißt, ist richtig schwer, mit enormen Durchfallquoten."

Das kann auch Heilpraktikerin Jessica Rudmann bestätigen, die ihre Prüfung 2014 in Köln absolviert hat. Nach einer zweijährigen Ausbildung an einer Heilpraktikerschule bereitete sie sich ein weiteres Jahr ausschließlich darauf vor: erst auf die schriftliche Prüfung in Form von Multiple-Choice-Fragen und dann auf die mündliche, die eine Amtsärztin abnahm. "Ich habe ein Jahr lang nichts anderes gemacht, als von morgens bis spät abends zu lernen."

"Wir mussten die gesamte Pathologie, Physiologie und Anatomie des menschlichen Körpers bis ins kleinste Detail beherrschen, und dazu noch mehrere hundert Krankheitsbilder auswendig können." Beide Prüfungen hätten weniger als 20 Prozent der Prüfungskandidaten bestanden, erinnert sie sich.

"Genaueste Dokumentation"

Viele Vorwürfe dem Beruf der Heilpraktiker gegenüber seien schlicht ungerecht und basierten auf Unwissen, kritisiert sie. So findet sie die Forderung der Bundestagsabgeordneten Schulz-Asche nach "Melde- und Dokumentationspflichten für Heilpraktiker" schlicht lächerlich: "Das gibt es schon längst. Ich muss jede Diagnose und jede Therapie, jedes Kügelchen und jede Akupunkturnadel, die ich setze, aufs Genaueste dokumentieren und in der Patientenakte festhalten."

Der gesamten Heilpraktikerbranche zur Last zu legen, was am Niederrhein und in Bayern passiert sei, sei hanebüchen, sagt Ulrich Sümper. "Dort wurde, wenn sich die Vorwürfe bestätigen, schlicht kriminell gehandelt." Sümper weist Zweifel an seinem Berufstand zurück. "In keinem anderen medizinischen Beruf gibt es eine so niedrige Schadensquote wie bei den Heilpraktikern."

Barbara Driessen


Gleichstellungsgesetz

Maas: Schutz vor Diskriminierung aktueller denn je



Seit zehn Jahren ist in Deutschland die Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Religion oder einer Behinderung verboten. Verbesserungen hat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vor allem im Berufsleben gebracht.

Der Schutz vor Diskriminierung ist nach den Worten von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) "aktueller, als uns lieb sein kann". Bei einem Festakt zum Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vor zehn Jahren sagte Maas am 27. september in Berlin, in einer zunehmend vielfältigeren Gesellschaft sichere nur die Gleichbehandlung aller Bürger den inneren Frieden. Das Gesetz habe dazu viel beigetragen und den Grundsatz der Gleichbehandlung im Arbeits- und im Zivilrecht verankert.

Schlechtere Chancen für Muslime

Für die Ausübung eines Berufs etwa dürfe nicht entscheidend sein, woran jemand glaube, sagte Maas. Eine Muslimin mit Kopftuch habe aber in Deutschland ein vierfach höheres Risiko, auf eine Bewerbung eine Absage zu erhalten wie Bewerber mit gleicher Qualifikation, deren Religion nicht erkennbar sei.

Maas ging auch auf die Forderungen der Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, nach Fristverlängerungen für Klagen und einem Verbandsklagerecht ein. Er sagte, man könne beim AGG noch besser werden, und machte deutlich, dass die SPD die Forderungen politisch unterstützt. Er stellte aber keine Novellierung in Aussicht. Zur Rehabilitierung der in der Bundesrepublik und DDR auf der Basis des alten Homosexuellen-Paragrafen verurteilten Männer will Maas hingegen im Oktober einen Gesetzentwurf vorlegen.

Die EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung, Vera Jourová, bescheinigte der Bundesrepublik eine Vorreiterrolle in der Anti-Diskriminierungspolitik. Deutschland sei über die Mindestanforderungen der Europäischen Union hinausgegangen. Daran könnten sich andere Länder orientieren, sagte die EU-Kommissarin. Auf EU-Ebene steht die Verabschiedung einer Richtlinie noch aus, die das Antidiskriminierungsrecht über das Arbeitsrecht hinaus auch im Zivilrecht verankert.

Verbesserungen im Arbeitsrecht

Im deutschen Arbeitsrecht habe das Antidiskriminierungsrecht für Verbesserungen gesorgt, bilanzierte die Vorsitzende des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts, Anja Schlewing. Die Gleichbehandlung sei Teil des Arbeitsrechts geworden. Das Gesetz helfe nicht nur, Fälle von Benachteiligung vor Gericht zu bringen, sondern auch Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern. Verschwunden sei sie allerdings nicht.

Nach einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat nahezu jede und jeder Dritte in den vergangenen zwei Jahren eine Diskriminierung erlebt. In einzelnen Gruppen liegen die Werte den Angaben zufolge höher. Behinderte gaben zu rund 40 Prozent an, benachteiligt worden zu sein, unter den Migranten war es jeder Zweite. Seit der Einrichtung der Stelle vor zehn Jahren haben sich 16.000 Bürger an das Beratungsteam gewandt.

Das Gleichbehandlungsgesetz war im August 2006 in Kraft getretenen. Es hat zum Ziel, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der ethnischen Herkunft, Religion oder Weltanschauung sowie einer Behinderung oder wegen Alters zu beseitigen. Es wirkt sich vor allem im Arbeitsleben aus, aber beispielsweise auch im Mietrecht oder in der Freizeit. Anfang dieses Jahres sorgte für Schlagzeilen, dass Flüchtlingen und ausländisch aussehenden Deutschen in mehreren Städten der Einlass in Diskotheken verwehrt worden war.

Bettina Markmeyer


Bundesregierung

De Maizière: Integration ist Chance für Muslime in Deutschland



Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat die muslimischen Verbände in Deutschland zu einem stärkeren Engagement bei der Integration der Flüchtlinge aufgefordert. "Die Integration ist eine Chance, aber auch eine Verpflichtung für die hier lebenden Muslime", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wenn sie das nutzen, können sie ihre Reichweite erhöhen und der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland zeigen, dass sie bei der Integration mitwirken", ergänzte der CDU-Politiker.

Wenn sie das nicht täten, "bestätigen sie Vorurteile, die manche ihnen gegenüber haben", warnte de Maizière. Es sei im Interesse der Verbände, auch über die bestehende Förderung des Bundes hinaus hier mehr zu tun als bisher. Das Bundesinnenministerium fördert über das Projekt "Weißt du, wer ich bin?" Integrationsangebote mit interreligiösen Ansatz. Für das Projekt, das Ende Mai gestartet wurde, stehen bis Ende des Jahres 500.000 Euro zur Verfügung.



Meldewesen

Jedes Flüchtlingsbaby hat Recht auf Geburtsurkunde



Deutsche Standesbeamte müssen die Geburt eines Flüchtlingskindes beurkunden, auch wenn sich dessen Eltern nicht ausweisen können. In seinem solchen Fall handele es sich um eine sogenannte eingeschränkte Beurkundung der Geburt, sagte Beate Tripp vom Hessischen Landesverband der Standesbeamtinnen und -beamten dem Evangelischen Pressedienst (epd). Als Nachweis erhielten die Eltern eine Abschrift aus dem Geburtsregister, die dieselbe rechtliche Qualität habe wie eine Geburtsurkunde.

Zuletzt hatten das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin und das Diakonische Werk in Hessen von Fällen berichtet, in denen Eltern, die ohne Papiere nach Deutschland kamen, für ihr Neugeborenes keinen Geburtsnachweis erhalten hätten. Dies erschwere den Zugang zu Untersuchungen und zur Stellung eines Asylantrags, monierten sie.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Standesämtern haben laut Tripp zwar zunächst die Pflicht, die Identität der Flüchtlingseltern anhand von Dokumenten festzustellen und möglichst deren Geburts- und Heiratsurkunden beizubringen. Dies könne mitunter Wochen und Monate dauern, erläuterte die stellvertretende Landesfachberaterin. "Aber letztlich können die Beamten die Beurkundung nicht ablehnen", betonte Tripp.

Der hessische Diakoniechef Horst Rühl hatte kritisiert, "dass immer mehr Standesbeamte die Eintragung ins Geburtenregister verweigern, wenn die Eltern keine eigenen Geburtsurkunde vorlegen können". Die amtliche Erfassung sei aber immens wichtig für die Integration der Kinder, sagte der evangelische Theologe. Denn erst die Eintragung ins Geburtsregister und eine Staatsangehörigkeit ermöglichten ihnen den Zugang zu "öffentlicher Bildung, Teilhabe und Zugehörigkeit zur Gesellschaft".



Zuwanderung

Kramp-Karrenbauer für Gesetz zu Migration



Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat sich für ein Einwanderungsgesetz ausgesprochen, das die Themen Asyl und Integration ebenfalls beinhaltet. "Die Debatte greift zu kurz, wenn es nur um Einwanderung in den Arbeitsmarkt geht", sagte sie am 23. September in Berlin. "Wir brauchen ein umfassendes und abgestimmtes Regelwerk, das die Säulen Arbeitsmarkt, humanitäre Verpflichtung und auch Integration verbindet und zueinander in Beziehung setzt."

"Wer behauptet, mit einem isolierten Einwanderungsgesetz käme kein Flüchtling mehr, belügt die Leute", betonte die CDU-Politikerin. "Aber wir müssen schon eine Debatte führen, welche Zuwanderung wir bei uns haben wollen und in welchem Rahmen wir gleichzeitig unseren humanitären Verpflichtungen nachkommen können."



Zuwanderung

Staatssekretär: "Integration von Flüchtlingen in Arbeitsmarkt braucht Geduld"



Bei der Integration von Flüchtlingen kommt Arbeitgebern nach Ansicht von Politikern, Theologen und Wirtschaftsexperten eine besondere Verantwortung zu. Dabei brauchten einstellungswillige Unternehmen allerdings ein hohes Maß an Geduld, Engagement und Verständnis, weil viele Asylbewerber keine verwertbare Berufsqualifikation hätten, sagte Wilhelm Schäffer, Staatssekretär im NRW-Arbeitsministerium am 22. September auf der "Schwerter Wertekonferenz" in der Evangelischen Akademie Haus Villigst. "Es muss der Wirtschaft klar sein, dass sich die Aufnahme von Flüchtlingen in die Betriebe nicht vom ersten Tag an rechnen kann." Im Berufsalltag müssten deshalb beide Seiten eine Art "Frustresistenz" entwickeln.

Vor diesem Hintergrund bescheinigte auch Oliver Stettes vom Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft den Unternehmen nach wie vor eine allenfalls "zurückhaltende Bereitschaft", Flüchtlinge einzustellen. Bei allen Bedenken und innerbetrieblichen Risiken gebe es aber zugleich auch eine große Chance, Kreativität im eigenen Unternehmen zu steigern, Konflikte zu reduzieren, neue Märkte zu erschließen und nicht zuletzt die eigene Firmen-Reputation nachhaltig zu verbessern, betonte Stettes.

Von positiven Erfahrungen berichteten Vertreter von Diakonie und Unternehmensverbänden aus der Region. Gerade in den Beratungsdiensten der Diakonie seien Flüchtlinge in den vergangenen Monaten vielfach zu wertvollen Mitarbeitern geworden, sagte der Theologische Vorstand des Diakoniewerks Gelsenkirchen und Wattenscheid, Ernst Udo Metz. "Wir brauchen sie einfach mit ihrer sozialen Kompetenz, ihren Muttersprachkenntnissen und nicht zuletzt ihrem kulturellen Migrationshintergrund."

Verschiedene Unternehmen der Region hätten ihre Werkstore bereits für die Geflüchteten geöffnet und gute Erfahrungen gemacht, sagte auch Egbert Neuhaus, Vorsitzender des Unternehmensverbandes Westfalen-Mitte. "Die Flüchtlinge haben sich ihrerseits fast ausnahmslos als wertvolle und engagierte Mitarbeiter erwiesen." Er sei sicher, dass weitere Unternehmen nachziehen würden, "sofern die Politik die hohen bürokratischen Hürden bei der Einstellung von Geflüchteten weiter abbaut".



Rheinland-Pfalz

Land setzt auf neues Konzept für schnellere Asylverfahren



Der Anteil der Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz, die selbst Monate nach der Ankunft nicht einen Asylantrag stellen konnten, soll bis Ende Oktober deutlich reduziert werden. Bis Ende des kommenden Monats hätten voraussichtlich alle Asylsuchenden aus den derzeitigen Hauptherkunftsländern Syrien, Pakistan, Afghanistan, Iran und Somalia einen Termin zur Antragstellung, teilte das Mainzer Integrationsministerium am 23. September mit. Mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe die Landesregierung sich dabei auf ein besonderes Vorgehen geeinigt. Bei den Asylsuchenden sollen Nachregistrierung, Antragstellung und Anhörung an einem Termin stattfinden.

Noch im Juli hätten sich landesweit 14.500 Menschen aus den fünf Staaten in Rheinland-Pfalz aufgehalten, die noch keinen Termin für eine Antragstellung erhalten hatten. Seit der Einrichtung eines speziellen Koordinierungsstelle in Trier sei deren Zahl auf 9.200 gesunken. Das Vorgehen des Landes garantiere, dass die Anträge tatsächlich schnell entschieden werden, versicherte das Ministerium. In den herkömmlichen Asylverfahren vergehen zwischen Antragstellung und Anhörung oft etliche weitere Monate.

In Rheinland-Pfalz sind zurzeit weitere 21.000 sogenannte Altfälle anhängig, in denen Flüchtlinge bereits einen formellen Antrag gestellt haben, aber noch auf Anhörung oder Entscheidung warten. Wie deren Abarbeitung beschleunigt werden kann, wollen Landesregierung, Kommunen und Bundesamt in einem weiteren Pilotprojekt testen.



Flüchtlinge

Bund fördert Integrationsprojekt in Bautzen



In Bautzen wird in den kommenden Wochen ein neues Zentrum für Integrationsarbeit aufgebaut. Das Projekt mit dem Namen "House of Resources" wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert, wie der Verein "Willkommen in Bautzen" am 23. September mitteilte. Deutschlandweit werden den Angaben zufolge insgesamt 14 dieser Einrichtungen ins Leben gerufen, in Sachsen soll eine weitere in Dresden entstehen. Ziel ist, die Integrationsarbeit zu verbessern.

Das Projekt im ostsächsischen Bautzen ist zunächst auf drei Jahre angelegt. In dieser Zeit soll das "House of Resources" als Anlaufstelle für ehrenamtliche Helfer und Vereine dienen, die mit Flüchtlingen und Migranten arbeiten. Es wird sowohl finanzielle als auch fachliche Unterstützung bieten und darüber hinaus mit Behörden im Landkreis Bautzen in Kontakt bleiben. Außerdem soll das Zentrum den Helfern die tägliche Arbeit erleichtern, indem zum Beispiel Technik oder Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden.

Der Verein "Willkommen in Bautzen" plant zudem weitere Kulturprojekte, Fortbildungen, Kommunikationstraining, Sprachkurse für Migranten und Veranstaltungen, die sich gegen Rassismus in der Gesellschaft richten. Wie hoch die finanzielle Förderung durch den Bund genau ausfällt, steht allerdings noch nicht fest.



Kongress

Mediziner beklagen Kommerzialisierung des Gesundheitswesens



Im deutschen Gesundheitswesen gibt es nach Einschätzung von Medizinern zu viel Kommerzialisierung, die einer gerechten Versorgung der Patienten zunehmend schadet. Privatisierungen und immer mehr Selbstbeteiligungen der Patienten führten zu einer wachsenden Entsolidarisierung des Gesundheitssystems, warnte der Arzt und Vorsitzende des Vereins Armut und Gesundheit in Deutschland mit Sitz in Mainz, Gerhard Trabert, am 24. September in Wuppertal.

Obwohl Deutschland einen erheblichen Teil seines Wohlstands für Gesundheitsleistungen ausgebe, stürben Geringverdiener hierzulande inzwischen deutlich früher, betonte der Mediziner auf einer Gesundheitskonferenz der Linken-Bundestagsfraktion. Bei armen Männern liege die Lebenserwartung um elf, bei armen Frauen um acht Jahre unter dem Durchschnitt. Zudem sei die Ärztedichte in sozial schwächeren Quartieren niedriger.

Trabert kritisierte vor allem, dass mit der Festschreibung des Beitragsanteils der Arbeitgeber an der gesetzlichen Krankenversicherung die Parität mit den Arbeitnehmern aufgekündigt worden sei. Kostensteigerungen des Systems würden nun einseitig auf die Bürger abgewälzt. Darüber hinaus dürfe es nicht sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt chronische Erkrankungen durch hohe Selbstbeteiligungen bei den Medikamenten zu Verschuldung und Armut führten.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Inge Höger sagte, die zunehmende Privatisierung führe zu einer Flut von medizinischen Extraleistungen, die die Patienten bezahlen müssten. Gleichzeitig arbeite das Pflegepersonal immer mehr am Limit. So müsse ein Pflege-Beschäftigter in Deutschland inzwischen 21 Patienten betreuen, während es beispielsweise in Dänemark nur zehn und in Norwegen acht Patienten seien.



Brandenburg

Woidke würdigt evangelische Behindertenarbeit



Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat das Engagement des evangelischen Betreuungsverbundes "Lebensräume Uckermark" gewürdigt. Die Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen seien ein "wichtiger Bestandteil der sozialen Landschaft in der Region", erklärte Woidke am 23. September anlässlich einer Festveranstaltung in Schwedt. Träger ist das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF).

Die Beschäftigten der Einrichtungen sorgten dafür, "dass Teilhabe wirklich stattfinden kann", betonte Woidke: "Wie wundervoll die Arbeit vor Ort ist, zeigt die Lebensfreude der Bewohnerinnen und Bewohner." Bei der Festveranstaltung wurden vier Jubiläen gefeiert. Der Standort "Lebensraum am Waldrand" und die ambulanten Wohngemeinschaften wurden 20, die ambulante Tagesgruppe "Kranich" 15 und die Wohnstätte "Lebensraum Lindenallee" 10 Jahre alt.

Das EJF ist ein diakonisch-sozialer Träger aus Berlin mit bundesweit mehr als 120 Einrichtungen. In der Behindertenhilfe betreibt das EJF in Brandenburg den Verbund "Lebensräume Uckermark" und eine Frühförder- und Beratungsstelle in Potsdam mit insgesamt rund 180 Beschäftigten.




sozial-Branche

Medizin

Brustkrebs

Eine Behinderung wird zur Begabung




Eine blinde Tastuntersucherin bei der Arbeit.
epd-bild/Annette Zöpf
Blinde Menschen haben einen besonders guten Tastsinn. Damit können sie Auffälligkeiten im weiblichen Brustgewebe erkennen - und so im besten Fall einem Brustkrebs vorbeugen. Viele Ärzte aber sind skeptisch.

Ein Umzug in eine fremde Stadt. Allein und mit einer Behinderung. Filiz Demir hat diesen Schritt vor zwei Jahren gewagt - von Marburg nach Duisburg. "Die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Viele Freunde leben in Marburg. Aber ohne Job war ich dort nicht so glücklich", sagt die 41-Jährige. Ihre Arbeit hat sie 2010 verloren, in dem Jahr, in dem sie blind wurde. "Ich kann nur noch zwischen hell und dunkel unterscheiden."

"Man hat mir wenig zugetraut"

Demir ist gelernte Datenverarbeitungskauffrau und hat bis zu ihrer Erblindung in der Buchhaltung gearbeitet. Um sich in ihrem neuen Leben zurechtzufinden, lernte sie die Braille-Schrift und arbeitete mit Vorlesesoftware. So gerüstet versuchte sie wieder eine Anstellung im kaufmännischen Bereich zu finden - vergeblich: "Man hat mir wegen meiner Krankheit nicht genug zugetraut."

Also suchte Demir im Internet nach Umschulungen. Dort las sie zum ersten Mal über die Ausbildung zur Medizinischen Tastuntersucherin (MTU). Das Ausbildungsangebot richtet sich ausschließlich an blinde Frauen. Ihre Behinderung wird zur Begabung: Viele blinde Menschen haben einen feineren Tastsinn als Sehende. Als MTU untersuchen sie das Brustgewebe von Frauen auf auffällige Veränderungen. So sollen bösartige Tumore möglichst früh entdeckt und behandelt werden.

"Ich war mit der Qualität meiner eigenen Tastuntersuchung nicht zufrieden", sagt der Duisburger Frauenarzt Frank Hoffmann. Als er über eine Lösung nachdachte, fiel ihm der besondere Tastsinn blinder Menschen ein. Gemeinsam mit Berufsförderungswerken entwickelte er ein Ausbildungsprogramm. Die Berufsförderungswerke in Halle, Düren, Nürnberg und Mainz bieten die Ausbildung an: Auf sechs Monate Unterricht folgen drei Monate Praktikum. "Am Ende steht die Abschlussprüfung vor einer Ärztekammer", erklärt Hoffmann.

Eine Untersuchung für 46,50 Euro

Demir hat bei Hoffmann ihr Praktikum gemacht und ist geblieben. "Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu machen. Dadurch ist die Arbeit sehr befriedigend", sagt sie.

Am Ende der 30- bis 60-minütigen Untersuchung steht jedoch keine Diagnose. Demir gibt ihren Befund an den Arzt weiter, der entscheidet über weitere Schritte. "Darum kann das als ärztliche Leistung abgerechnet werden", sagt Hoffmann. Eine Untersuchung kostet 46,50 Euro. Zwölf Krankenkassen übernehmen die Kosten. Deutschlandweit arbeiten derzeit gerade einmal etwa 30 Frauen als MTU. Einige Frauen nähmen deshalb teilweise weite Wege in Kauf, um zu einer Untersuchung zu kommen, erzählt Hoffmann.

Solche Untersuchungen könnten dazu beitragen, das Bewusstsein der Frauen für ihre Brustgesundheit zu verstärken, sagt Walter Heindel, Professor am Universitätsklinikum in Münster. Ansonsten spreche die Datenlage gegen Tastuntersuchungen: "Große randomisierte Studien haben gezeigt, dass beispielsweise die Brustselbstuntersuchung nicht nützlich ist. Auch für die routinemäßige Tastuntersuchung beim Gynäkologen ist die Evidenz nicht gegeben." Die Deutsche Gesellschaft für Senologie empfiehlt sie daher nicht.

Kritik an Tastuntersuchungen

Auch wenn Medizinische Tastuntersucherinnen zwar kleinere Gewebeauffälligkeiten entdeckten, wie eine erste Studie nahelegt, heißt das nicht, dass in der Folge automatisch die Sterberate sinke, erklärt Heindel. Der Duisburger Frauenarzt Hoffmann kennt die Kritik und verweist auf eine Studie, die in absehbarer Zeit erscheinen soll. "Wir wollen beweisen, dass die Medizinischen Tastuntersucherinnen einen Mehrwert liefern."

Ein anderes Problem hat er bereits gelöst: Trotz positiver Resonanz wollten nur wenige Praxen und Kliniken die blinden Frauen anstellen. "Das Kündigungsschutzgesetz für Menschen mit Behinderung ist streng, so dass viele diesen Schritt nicht gewagt haben", sagt Hoffmann. Deshalb hat der Frauenarzt das Sozialunternehmen "Discovering Hands" gegründet. "In Zukunft wird Discovering Hands alle Medizinische Tastuntersucherinnen einstellen. Wir vermitteln sie dann an Arztpraxen", erklärt Hoffmann.

Christiane Meister-Mathieu


Ehrenamt

Über 1.500 Geflüchtete arbeiten im Bundesfreiwilligendienst




Die Syrerin Hamida Simo (2. von rechts) betreut als Bufdi Flüchtlinge.
epd-bild/Maike Böschemeyer
Flüchtlinge im sozialen Einsatz für andere Flüchtlinge: Das ermöglicht seit Dezember auch der Bundesfreiwilligendienst. Hamida Simo aus Syrien ist eine dieser Bufdis.

Hamida Simo weiß, was Flucht und Fremdsein bedeuten: Die 45-Jährige aus dem Norden Syriens kam im Jahr 2000 mit ihrer Familie als Flüchtling nach Deutschland. "Da hilft es am besten, wenn man Ansprechpartner hat", sagt die Kurdin. Heute hilft Hamida Simo selbst Flüchtlingen - als "Bufdi" im Bundesfreiwilligendienst (BFD). Fast 5.000 Menschen arbeiten inzwischen wie Simo im bundesweiten Sonderprogramm "BFD mit Flüchtlingsbezug". Knapp jeder Dritte von ihnen ist selbst Asylbewerber oder bereits als asylberechtigt anerkannt.

An Selbstsicherheit gewonnen

Weil Simo Kurdisch und Arabisch spricht, ist sie für viele Flüchtlinge im Bonner Stadtteil Bad Godesberg eine Anlaufstelle für alle möglichen Fragen. Schon bei einem kurzen Gang durch das Wohnheim, in dem sie mit Ehrenamtlichen eine Kleiderausgabe organisiert, kommt die zweifache Mutter kaum vom Fleck, weil viele Bewohner mit ihr reden wollen. Oft begleitet Simo Menschen zu Behörden oder Ärzten, um zu übersetzen. Das würde die Familienbildungsstätte "Haus der Familie" der evangelischen Thomas-Kirchengemeinde Bad Godesberg ohne die Hilfe der Freiwilligen nicht schaffen.

"Ohne Hamida Simo könnten wir in der Flüchtlingsarbeit viel weniger persönliche Hilfe im Einzelfall leisten", sagt die Leiterin der Einrichtung, Regina Uhrig. Simo bietet ein Kontaktcafé an und begleitet einen Kochkurs. Flüchtlinge kommen auf sie zu, bitten sie um Hilfe oder wollen sich einfach mit ihr unterhalten. Seit dem Beginn ihres Bufdi-Einsatzes im März habe die Syrerin bereits an Selbstsicherheit gewonnen, lobt Uhrig die persönliche Entwicklung ihrer Bufdi und richtet den Blick auch in deren berufliche Zukunft: "Hamida hat so viele Fähigkeiten, aber ohne einen Berufsabschluss und Zeugnisse hat man es schwer."

Der Bundesfreiwilligendienst könne aber bei der Berufsorientierung und einer möglichst schnellen Integration helfen, betont Jürgen Thor, Leiter des Zentrums Freiwilligendienste bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. "Ich bin sicher, dass trotz mancher Kritikpunkte im Einzelnen der BFD für deutlich mehr Flüchtlinge eine sinnvolle Perspektive bieten würde - wenn diese Möglichkeit besser bekannt wäre." Es müsse noch mehr die Werbetrommel für das BFD-Sonderprogramm gerührt werden.

Bürokratische Hürden

Auch Simo wusste lange Zeit nichts von dem Programm. Die kontaktfreudige Frau war im "Haus der Familie" jedoch bereits als Nachbarin bekannt und hatte das Kontaktcafé ehrenamtlich mit aufgebaut, so dass es nicht schwer fiel, sie zum BFD-Einsatz zu ermutigen. Dass sie problemlos eingestellt werden konnte, lag allerdings auch an dem Glücksfall, dass die 45-Jährige inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Unter den bislang 4.935 Bufdis im Sonderprogramm zur Flüchtlingshilfe sind auch 1.560 Geflüchtete, für die eine Zulassung häufig komplizierter war.

Denn es gebe bürokratische Hürden, kritisiert Diakonie-Experte Thor: "Wir erleben leider immer wieder, dass die Aufnahme von Flüchtlingen in dieses Sonderprogramm an Fragen des Aufenthaltsrechts und der Beschäftigungserlaubnis scheitert." Die Diakonie RWL habe bisher lediglich 20 ihrer rund 200 Stellen im BFD-Sonderprogramm mit Flüchtlingen besetzen können. "Das Verfahren und die Regeln sollten vereinfacht werden", fordert Thor mit Blick auf das Sonderprogramm, mit dem der Bund bis Ende 2018 jährlich bis zu 10.000 zusätzliche BFD-Plätze unterstützt.

Deutschkurse neben dem Bufdi

Ein weiteres Problem sind unzureichende Deutschkenntnisse. Während Simo gut Deutsch spricht, haben viele Flüchtlinge nicht das Mindestsprachniveau B 1, das gerade in der Altenhilfe gefordert ist. "Wir vermitteln daher häufig noch Deutschkurse neben dem Bundesfreiwilligendienst, der auch in Teilzeit geleistet werden kann", erläutert Thor.

Nach seinen Worten passt auch kulturell und wirtschaftlich ein Einsatz im BFD nicht immer zu den Vorstellungen der Geflüchteten: "Viele Flüchtlinge kennen die soziale Arbeit, zum Beispiel in der Behindertenhilfe, aus ihren Heimatländern nicht und haben Berührungsängste oder gar Vorurteile", sagt der Experte. Viele Flüchtlinge wollten mehr verdienen, als dies im Bundesfreiwilligendienst möglichst ist, um ihren Familien im Heimatland Geld schicken zu können. Simo ist dagegen mit ihren monatlich 319 Euro Bufdi-Taschengeld zufrieden.

Regina Illemann


Gastbeitrag

Sozialunternehmen

Die Digitalisierung des Sozialen – eine besondere Herausforderung




Helmut Kreidenweis.
Es gibt viel zu tun, um die Sozialbranche fit zu machen für die wachsenden Herausforderungen der Digitalisierung. Professor Helmut Kreidenweis verweist in seinem Gastbeitrag auf bestehende Schwächen und zeigt als Vorstandsmitglied des Fachverbandes Informationstechnologie in Sozialwirtschaft und Sozialverwaltung FINSOZ auf, wohin der Weg der Nutzung technischer Innovationen künftig führt.

Soziale Arbeit und Pflege sind rein menschliche Tätigkeiten und werden es immer bleiben. Aber was gilt für die Soziale Arbeit und Pflege in zehn Jahren? Wer vor nicht allzu langer Zeit behauptet hätte, dass BMW, Audi & Co. Angst vor Suchmaschinen-Programmierern bekommen und Telefonbauer zu den schärfsten Konkurrenten der Uhrenindustrie werden, wäre belächelt worden.

Fakt ist: Die Digitalisierung entfaltet eine Dynamik, die in der Sozialbranche vielfach noch unterschätzt wird. Dieser Beitrag zeigt aktuelle Entwicklungen auf und stellt Strategien vor, um den digitalen Wandel aktiv zu gestalten.

1. Was ist Digitalisierung und welche Bedeutung hat sie für die Gesellschaft?

Mit Digitalisierung wird ein durch technische Innovationen getriebener Wandel aller gesellschaftlichen Bereiche bezeichnet. Prägendes Merkmal ist der Ersatz oder die Ergänzung menschlicher Denk- und Kommunikationsleistungen sowie komplexer Handlungen durch Computer und Roboter. Auf technologischer Ebene bedeutet Digitalisierung, dass elektronische Systeme Informationen autonom sammeln, bewerten, Entscheidungen treffen und diese umsetzen. Mit dieser neuen Dimension der Technisierung geht einher, dass tradierte Denk- und Handlungsmuster binnen kurzer Zeit ihre Gültigkeit verlieren und sich neue menschliche Verhaltensweisen entwickeln sowie radikal neuartige Geschäftsmodelle entstehen.

2. Was bedeutet diese Entwicklung für soziale Dienste?

Unter Digitalisierung wird oft noch die Nutzung von Office- oder Fachsoftware an Stelle von Papier verstanden. Bei weiterreichenden Technologien gehen viele Verantwortliche davon aus, dass es sich hierbei um Phänomene im Industrie- oder Unterhaltungs-Sektor handelt, von dem personenbezogene Dienstleistungen bestenfalls am Rande betroffen sind. Ursache dieser Fehleinschätzung ist häufig mangelndes Wissen - sowohl über den Stand der Entwicklung in der Informationstechnologie und Robotik als auch über die damit verbundenen Potenziale und Risiken für den Bereich sozialer Dienste.

2.1. Bestehende Geschäftsmodelle und Arbeitsformen werden in Frage gestellt

Die industriegetriebene Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen ermöglicht, dass ein immer breiteres Spektrum an potenziellen Kunden adressiert werden kann. Geschäftsmodelle, die vor diesem Hintergrund entwickelt werden, sind gleichermaßen für Menschen ohne und mit Hilfebedarf geeignet und werden zunehmend in den Wettbewerb zu klassisch sozialwirtschaftlichen Geschäftsmodellen treten. Erste Beispiele dafür sind Essensversorgung und Reinigung. Die Globalisierung und Industrialisierung solcher Services machen es oft möglich, sie deutlich attraktiver anzubieten, als das klassische Träger können.

Ebenso hält die Automatisierungstechnik über leistungsfähige Sensoren zur Erfassung der Vitalfunktionen des Menschen und des Zustandes seiner Umwelt längst Einzug in den Bereich der Sozial- und Gesundheitsdienste. Die zunehmende Verbreitung technischer Assistenzsysteme wird insbesondere das Feld der ambulanten Betreuung von alten Menschen stark beeinflussen.

Nach und nach wird menschliche Arbeit auch bei komplexen Leistungen durch immer mehr Roboter ersetzt. Beispiele wie Kommunikations- und Trinkroboter, Anti-Dekubitus-Betten oder vollautomatisierte Transport- und Verteilsysteme für Wäsche oder Medikamente sind erste Vorboten dieses Trends.

Auch Pflegeroboter, die große Teile der pflegerischen Handarbeit übernehmen, sind bereits in der Erprobung. IT-Systeme sind schon heute in der Lage, Sprache, Töne und bewegte Bilder auf menschenähnliche Weise kontextsensitiv zu erfassen und kommunikative Situationen zu gestalten, die sich kaum mehr von menschlicher Kommunikation unterscheiden lassen. Menschliche Beziehungs- und Betreuungsarbeit, wie sie durch viele klassische Sozialberufe erbracht wird, kann damit perspektivisch durch den humanoiden „Kollegen Roboter“ ergänzt und später vielleicht ersetzt werden.

Treiber dieser Entwicklungen sind internationale Großkonzerne, die ihre Produkte branchenneutral entwickeln und preisgünstig auf den Markt bringen. Die Nutzung solcher Systeme in der Sozialen Arbeit oder Pflege wird lediglich eine Art "Abfallprodukt" sein, ihre ausgeprägte Selbstlernfähigkeit wird den Anpassungsaufwand in Grenzen halten.

2.2. Das Kommunikationsverhalten der Klienten, Angehörigen und Mitarbeiter ändert sich

Soziale Medien wie Facebook oder Twitter haben binnen weniger Jahre das Kommunikationsverhalten ganzer Generationen einschneidend verändert. Wer diese Entwicklungen nicht in die Kommunikation mit seinen Kunden integriert, wird von vielen Menschen kaum mehr wahrgenommen. Klienten und deren persönliches Umfeld kommen bislang kaum als direkte Kommunikationspartner in den elektronischen Medien sozialer Organisationen vor. Bisher genutzte Fachsoftware-Systeme sind isolierte Inseln innerhalb der Organisationen, deren Nutzer ausschließlich Fach- und Verwaltungskräfte sind. Ansätze mit Elementen aus der Social Media Welt, welche die Interaktion mit Angehörigen etwa durch spezielle Apps gewährleisten, sind bislang kaum zu finden. Und wer als Träger seinen Mitarbeitern nicht die aus ihrem Privatleben gewohnten Arbeits- und Kommunikationsmittel zur Verfügung stellt, wird künftig nicht mehr als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen und tut sich im Kampf um die besten Köpfe als Mitarbeiter zunehmend schwer.

2.3. IT-Infrastrukturen und IT-Organisation wandeln sich radikal

Die Sozialbranche hat zwar in den letzten Jahren wahrnehmbar in Informationstechnologie investiert, jedoch bleibt ihre informationstechnische Reife zumeist noch weit hinter den Anforderungen für einen Einstieg in die Digitalisierung zurück. Vielfach wird die Rolle von IT-Abteilungen noch immer als Bereitsteller von Technik definiert. In dieser Rolle ist sie als mitarbeitende oder gar treibende Kraft der Digitalisierung jedoch nur schwer vorstellbar.

Ebenso entwicklungsfähig sind vielfach Standardelemente eines professionellen IT-Betriebes wie Cloud- und Mobile-Computing oder eine serviceorientierte IT-Organisation. Sie sind eine Grundvoraussetzung dafür, um überhaupt in die Welt höherwertigerer IT-Services, wie sie im Rahmen der Digitalisierung benötigt werden, einsteigen zu können. Insbesondere kleinere Sozialträger tun sich zunehmend schwerer, sich diesen Anforderungen zu stellen. Hier ist vermehrt die Verbandsebene gefragt, Beratungs- und Unterstützungsleistungen zu organisieren, wie sie etwa im Qualitäts- oder Finanzmanagement längst selbstverständlich sind.

3. Was ist zu tun?

Die in diesem Abschnitt beschriebenen Aspekte sind an unterschiedliche Akteure adressiert. Nur in ihrem Zusammenwirken können sie mit Blick auf die Anforderungen der Digitalisierung nachhaltige Effekte erzeugen.

3.1. Einrichtungen und Verbände

Spätestens mit der Digitalisierungsdebatte wird Informationstechnologie zu einem strategischen Führungsthema. Leitungskräfte müssen sich an die rasanten Entwicklungen anschlussfähig machen. Es gilt, eine aktiv gestaltende Rolle einzunehmen. Hierzu zählt neben der systematischen Beschaffung und Bewertung relevanter Informationen auch die Berücksichtigung der mit der Digitalisierung verbundenen Chancen, Kunden- und Mitarbeitererwartungen sowie der Gefahren.

Heute müssen die noch vorhandenen Spielräume einer relativ gesicherten Finanzierung genutzt werden, um sich auf die künftigen Herausforderungen eines harten Wettbewerbs mit neuen Konkurrenten einzustellen. Auch die Ausrichtung der bisherigen IT-Strategien und-Abteilungen muss sich radikal wandeln: Klassische IT-Services wie der Betrieb von Servern oder Software kommen zunehmend „aus der Steckdose“. Statt Techniker werden künftig sozialinformatisch ausgebildete Gestalter gebraucht, die Fachlichkeit, Prozesse und IT zusammendenken und neue Service-Konfigurationen gestalten können.

3.2. Ausbildung in Sozialberufen

In den grundständigen Ausbildungen für pflegerische und soziale Berufe muss die Auseinandersetzung mit den Chancen, Grenzen und Gefahren der IT in sozialen Organisationen fester Bestandteil werden. Dazu gehört auch die Vorbereitung der künftigen Mitarbeiter auf die verantwortungsvolle Nutzung berufsrelevanter Software-Systeme. In managementorientierten Ausbildungen muss IT als strategisches Führungsthema sowie die Befähigung künftiger Leitungskräfte zur aktiven Entwicklung neuer Geschäftsmodelle im Vordergrund stehen.

3.3. Politik und Verwaltung

Es ist an der Zeit, die Digitalisierung bei Sozialgesetzgebung und der damit verbundenen Lobbyarbeit der Verbände mitzudenken. Digitale und hybride Leistungen müssen in den Leistungskatalogen künftig adäquat berücksichtigt werden. Die deutsche Kleinstaaterei mit unterschiedlichen Regelungs- und Vergütungssystemen bis hinunter auf die kommunale Ebene ist Gift für innovative Entwicklungen und bremst eine wirtschaftliche Organisation von Sozialdienstleistungen mit Hilfe moderner Technologien aus.

3.4. Anbieter von Branchenlösungen

Auch die Architekturen branchenspezifischer Software-Systeme müssen künftig offener gestaltet sein, um eine Interoperabilität zwischen den Programmen als Basis durchgängig IT-gestützter Geschäftsprozesse zu ermöglichen. Weiterhin müssen sie bestehende und neu aufkommende Technologien des „Internets der Dinge“, wie etwa die Sensorik, integrieren. Die mobile Verfügbarkeit der Systeme muss sich deutlich verbessern.

4. Was tut der IT-Fachverband FINSOZ?

Ziel des Fachverbandes für IT in Sozialwirtschaft und Sozialverwaltung (FINSOZ e.V.) ist es, den Wertbeitrag der Informationstechnologie im Sozialen zu steigern. Der Verband bringt seine Positionen und sein Technologie-, Theorie- und Praxiswissen in die politischen Entscheidungsprozesse ein und regt konkrete Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen politischen und administrativen Handelns an. Er versteht sich als eine verbandsübergreifende Plattform, die sowohl Einrichtungen und Verbände, als auch IT-Anbieter kompetent auf dem Weg in die digitale Welt begleitet und sie dabei unterstützt, ihre Angebote zum Nutzen der Adressaten sozialer Dienstleistungen weiter zu entwickeln.

Dieser Beitrag basiert auf dem im April 2016 veröffentlichten FINSOZ-Positionspapier "Digitalisierung der Sozialwirtschaft". Am 25. November bietet der Fachverband in Berlin eine Diskussionsveranstaltung zum Thema an, zu der Vertreter der Politik, Verbände der Sozialwirtschaft, Vorstände und Geschäftsführer sozialer Organisationen, IT-Leiter und Anbieter von Branchensoftware eingeladen sind, um gemeinsam über Herausforderungen und Lösungsansätzen zu diskutieren.

Helmut Kreidenweis, Professor für Sozialinformatik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, ist Vorstandsmitglied des Fachverbandes Infomationstechnologie in Sozialwirtschaft und Sozialverwaltung FINSOZ.


Armut

Anforderungen an Tafeln wachsen



Immer mehr Menschen in Deutschland wenden sich in ihrer Not an die Tafeln. Hier hoffen sie auf Lebensmittel und andere Hilfe. Doch auch dort muss jetzt gespart werden. Tafel-Chef Brühl warnt vor einer Überlastung.

Die mehr als 900 Tafeln bundesweit unterstützen immer mehr Menschen mit gespendeten Lebensmitteln. Die Zahl der Bedürftigen sei in den vergangenen Monaten um 18 Prozent auf zeitweilig bis zu 1,5 Millionen Menschen gestiegen. Im gleichen Zeitraum hätten die Warenspenden aber nur um etwa zehn Prozent auf 215.000 Tonnen zugenommen, sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Tafeln, Jochen Brühl, am 27. September in Berlin.

Flüchtlinge als Ehrenamtliche

Die Folge sei, dass jeder Einzelne im Durchschnitt etwas weniger Lebensmittel bekomme. Allerdings seien die Zahlen regional sehr unterschiedlich, sagte Brühl unter Verweis auf eine aktuelle Umfrage unter den Tafeln. Gemeldet wurden die Zahlen zwischen März 2015 und März 2016.

Bundesweit wurden auch bis zu 280.000 Flüchtlinge zusätzlich unterstützt, hieß es. Dennoch habe sich die schwierige Situation bei vielen Tafeln wieder etwas entspannt. "Tafeln sind zu einem zentralen Motor der Integration geworden", sagte Brühl und verwies darauf, dass in 40 Prozent der Tafeln mittlerweile auch Flüchtlinge als Ehrenamtliche oder als sogenannte Bundesfreiwillige mithülfen. Insgesamt engagieren sich rund 60.000 Menschen ehrenamtlich bei den Tafeln. Sie erhalten die Lebensmittelspenden vor allem von Discountern, dem Großhandel, Restaurants und dem Einzelhandel.

Zugleich kritisierte Brühl, dass Armut in Deutschland längst zum Dauerzustand geworden sei. Trotz guter wirtschaftlicher Lage wachse die Armut weiter. So habe sich die Zahl der Menschen in Not, die sich an die Tafeln wenden, in weniger als zehn Jahren verdoppelt. "Verliert die Regierung die Ärmsten weiter aus dem Blickfeld, droht der gesellschaftliche Unfriede", unterstrich der Chef des Bundesverbandes der Tafeln. Zwar leisteten Tafeln niederschwellige Soforthilfe und förderten die Integration: "Unsere Angebote dürfen seitens der Politik jedoch nicht länger überstrapaziert werden", betonte Brühl.

Angebot lindert Armut

Mit Sorge betrachte er auch "Versuche von außen, einen Keil zwischen die Ärmsten in diesem Land zu treiben". Zwar habe es in der Vergangenheit vereinzelt Konkurrenz zwischen "Altkunden" und beispielsweise Flüchtlingen gegeben, berichteten einzelne Tafeln. Viele Anfangsschwierigkeiten seien aber mittlerweile behoben. Zu der bei den meisten Tafeln deutlich veränderten Hauptklientel gehörten neben Flüchtlingen vor allem Alleinerziehende, Alte, große Familien und Menschen mit Migrationshintergrund.

Tafeln könnten keine Vollversorgung garantieren, sondern nur Armutslinderung, unterstrich Brühl. Mancher Kunde müsse erst darüber aufgeklärt werden, dass es sich bei dem Angebot nicht um eine staatliche Leistung handele, sondern um freiwillige Hilfe. Außerdem seien Tafeln Orte der Begegnung und würden etwas gegen die Lebensmittelverschwendung tun.

Lukas Philippi


Jubiläum

Diakoniepräsident ruft zu Einsatz für Menschen ohne Lobby auf



Diakonie-Präsident Ulrich Lilie hat zu Einsatz für recht- und machtlose Menschen aufgerufen. "Viel zu viele, unzählige Menschen warten darauf, dass ein Mensch an ihrer statt, für sie den Mund aufmacht und für sie eintritt", sagte der Präsident der Diakonie Deutschland am 25. September im Festgottesdienst zum 100-jährigen Bestehen der Düsseldorfer Diakonie. Lilie verwies laut Redetext auf die zahlreichen Asylsuchenden und Flüchtlingskinder, die teils stark traumatisiert nach Deutschland kommen, aber auch auf alte Menschen, die in Pflegeheimen vereinsamen.

Wenn ein anderer Mensch neben ihnen aufstehe und für sie spreche, gebe das diesen Menschen ihre Bedeutung und Würde zurück, sagte Lilie, der vor seinem Wechsel zur Diakonie Theologischer Vorstand der Graf Recke Stiftung und Düsseldorfer Superintendent war. Er würdigte die Arbeit der Diakonie Düsseldorf, unter deren Dach sich zahlreiche haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter für andere Menschen einsetzten, denen oft jede Lobby fehle. "Weil die Zivilcourage der Einzelnen zwar unverzichtbar bleibt, aber leider nicht reicht, um den Verstummten nachhaltig zu ihrem Recht zu verhelfen. Weil es den vielen Einzelnen hilft, sich auf die Kraft einer Organisation stützen zu können."

Die Diakonie Düsseldorf wurde 1916 mit vier Mitarbeitern als Evangelisches Jugend- und Wohlfahrtsamt gegründet. Heute ist sie mit rund 2.500 Mitarbeitern in mehr als 180 Einrichtungen eine der bundesweit größten Stadtdiakonien.



Obdachlose

Medien

"Strassenfeger"-Verkäufer schützen sich



Die Verkäufer der Berliner Obdachlosenzeitung "strassenfeger" sind künftig auch an grünen Westen erkennbar. Mit dem personalisierten Kleidungsstück wiesen sie sich als autorisierte Händler aus, bestätigte Mara Fischer, Vorstandsmitglied im Verein "mob e.V. - strassenfeger" am 23. September dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Zudem sollen sie damit auch besser vor Übergriffen geschützt werden.

Hintergrund ist, dass sich die Verkäufer der Obdachlosenzeitung zunehmend durch betrügerische Verkäufer in der Existenz bedroht sehen. Die Zahl der Trickbetrüger sei durch die wachsende EU-Armutsmigration gestiegen, betonte der Verein.

Allerdings tragen auch künftig nicht alle Verkäufer des "strassenfegers" die neuen Westen. Manche von ihnen seien weiterhin lediglich anhand ihres Verkäufer-Ausweises erkennbar. "Wir können die Menschen ja nicht zwingen, grüne Westen zu tragen", betonte Fischer.

Bislang seien 77 personalisierte Westen hergestellt. Mehr als 50 davon seien bereits in Umlauf. Die Zahl der Westenträger könne mittelfristig noch steigen. "Aber es dauert immer einige Zeit, bis die Westen hergestellt und ausgegeben sind", sagte Fischer.

Immer häufiger kommt es nach Angaben des Vereins vor, dass vermeintliche Verkäufer mit nur einem Exemplar aggressiv betteln oder auch Diebstähle begehen. Oftmals würden auch Kinder mit einem "strassenfeger"-Exemplar zum Betteln geschickt. Dies sei inzwischen existenzgefährdend für die Obdachlosenzeitung.

Mitunter komme es auch zu gewalttätigen Übergriffen auf die echten Händler des Blattes. "Verkaufs- und Bettelplätze an hochfrequentierten Stellen der Stadt sind hart umkämpft", erklärte Fischer.

Um dem Missbrauch vorzubeugen, will der Verein das Gespräch mit betrügerischen Verkäufern suchen. Viele EU-Migranten seien die "Verlierer von allen", sagte Fischer. Der Verein wolle auch diesen Menschen, die oft unterhalb der Armutsgrenze leben, ein Angebot zur Zusammenarbeit machen, um den Verkauf des Obdachlosenmagazins wieder in den Griff zu bekommen.

Nötig seien dafür jedoch mehr Personalstellen im Verein, betonte Fischer. Die Mitstreiter des "strassenfegers" erhoffen sich dafür unter anderem mehr Unterstützung durch die neue Berliner Landesregierung.

Der "strassenfeger" hat in Berlin und Brandenburg eine Auflage von etwa 10.000 Exemplaren. Die Zeitung erscheint alle drei Wochen montags. Ein Exemplar kostet 1,50 Euro, davon gehen 90 Cent an den Verkäufer, 60 Cent werden für den Druck der Zeitung und die Vereinsarbeit verwendet.



Tarifgespräche

Caritas-Beschäftigte fordern für Osten Löhne auf West-Niveau



Zum Auftakt der Tarifverhandlungen für die 30.000 Beschäftigten der Caritas in der Region Ost haben die Mitarbeitervertreter eine Angleichung der Löhne an das Westniveau gefordert. In der Region Ost (neue Bundesländer, Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein) erhielten die Caritas-Beschäftigten teilweise nur 89 Prozent der Gehälter, die die Beschäftigten im Westen für die gleiche Arbeit bekommen, erklärte Andreas Jaster, Sprecher der Mitarbeiterseite, am 26. September in Berlin.

Hinzu komme, dass die Caritas-Beschäftigten im Osten 40 Stunden pro Woche arbeiteten, während bei der Caritas im Westen die 39-Stundenwoche gelte. "Das bedeutet eine zusätzliche Lohnabsenkung um 2,5 Prozent", so Jaster. "Caritas-Beschäftigte im Osten arbeiten also mehr für weniger Geld als die Kolleginnen und Kollegen im Westen."

Laut Jaster glichen sich bis zum Jahr 2009 die Tarifgebiete bis auf etwa 95 Prozent an. Seit sechs Jahren sei diese Entwicklung im Osten wieder gegenläufig.



Beratung

Telefonseelsorge: Problem der Männer ist die Einsamkeit



Die Telefonseelsorge wird nach Beobachtungen der Lübecker Leiterin der Telefonseelsorge, Marion Böhrk-Martin, immer häufiger von Männern genutzt. Etwa 45 Prozent der Anrufe kämen mittlerweile von Männern, sagte die Pastorin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Top-Thema am Telefon sei Einsamkeit. Gesprochen werde aber auch über männliches Selbstbild, Aggression, Selbstwert und Beziehungsgestaltung.

Das Männerbild ist nach Einschätzung von Böhrk-Martin zwar vielfältiger geworden. Im Mittelpunkt stehe jedoch nach wie vor das Machen und Tun - weniger das Empfinden. Dies gelte auch für Männer, die Sabbaticals nehmen, pilgern oder in ihrer Freizeit Gemüse pflanzen. "Scheitern ist im Lebenslauf eines Mannes nicht vorgesehen."

Vielen Männern sei im Laufe ihres Aufwachsens in Kindheit und Jugend der Zugang zu ihren Gefühlen abhandengekommen, sagte Böhrk-Martin. So entstehe eine innere Leere. Männer fänden oft keinen Zugang zu ihrem Inneren, dem Klein-Klein ihres Gefühlsalltags. "Das können sich Frauen oft gar nicht vorstellen. Über ihre Nöte schweigen sich Männer deshalb aus."

Einsamkeit würden vor allem Männer um die 60 erleben. "Sie müssen sich mit neuen Befindlichkeiten auseinandersetzen", sagte die Pastorin. Die Rolle in Beruf und Familie ändere sich: Körperliche Erkrankungen nehmen zu, Altern und Gebrechlichkeit werden Thema. "Männer waren es gewohnt, ihren Wert und Lebenssinn an den erkennbaren Erfolg und an die Messbarkeit ihrer Leistung zu legen - das geht in diesem Alter nicht mehr."

Konfliktreich wird das Leben von älteren Männern vor allem, wenn sie arbeitslos werden oder aus dem Berufsleben aussteigen. Männer würden soziale Beziehungen vorwiegend im beruflichen Umfeld aufbauen, sagte Böhrk-Martin. Mit dem Ausstieg aus dem Erwerbsleben löse sich diese Bande auf. Oft würden die Kinder dann das Haus verlassen und Paarkonflikte deutlicher hervortreten. "Wünschenswert wären Präventionsmaßnahmen wie etwa ein begleiteter Übergang in den Ruhestand", empfiehlt Böhrk-Martin.

Die Telefonseelsorge Lübeck hat "Einsamkeit" als Jahresthema gewählt. 2015 nannten 18 Prozent der Anrufer Einsamkeit als Grund für den Griff zum Hörer. Einsamkeit sei "ein Tabuthema", weiß die Pastorin. "Doch das Thema schwingt bei vielen Gesprächen im Hintergrund mit."



Kirchen

Diözese fördert Arbeit mit Flüchtlingskindern in Kitas



Die Diözese Rottenburg-Stuttgart unterstützt in diesem Kindergartenjahr aus ihrem Zukunftsfonds "Kindergarten" besonders die Arbeit mit Flüchtlingskindern. Kinder-Tageseinrichtungen in der Diözese könnten dafür einen Zuschuss bis 25.000 Euro erhalten, teilte die Diözese am 22. September in Stuttgart mit. In gut jedem vierten katholischen Kindergarten in Württemberg seien Flüchtlingskinder aufgenommen worden.

Zu den Aufgaben der betroffenen Kindergärten gehören beispielsweise, Dolmetscher zu organisieren und mit Diensten der Flüchtlingshilfe zusammenzuarbeiten. Sie müssten psychologische Unterstützung und gezielte Sprachförderung leisten und unter anderem auch kindgerechte Spiele und Bücher zum Thema Flucht bereitstellen, sagte die Leiterin der Hauptabteilung Caritas in der Diözese und Verantwortliche für den Fonds, Ordinariatsrätin Irme Stetter-Karp. Sie kritisierte, dass die Finanzhilfen des Landes auf diesem Gebiet hinter dem Bedarf her hinken.

Für den Zukunftsfonds "Kindergarten" hat die Diözese 2008 rund 2,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Bis 2015 wurden für 59 Anträge rund eine Million Euro Fördermittel bewilligt. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart gibt es insgesamt 885 Kindertages-Einrichtungen katholischer Träger mit knapp 2.500 Gruppen, die zusammen mehr als 44.000 Kinder und 7.680 Mitarbeitende haben.



Kirchen

Ökumenische Krankenhausseelsorge mit Modellcharakter



Die ökumenische Krankenhausseelsorge in Singen am Bodensee hat Modellcharakter. Als erste in Baden-Württemberg hätten die evangelischen und katholischen Klinikseelsorger dort einen Kooperationsvertrag geschlossen, der verbindlich das Miteinander regelt, sagte die Direktorin des landeskirchlichen Zentrums für Seelsorge, Kirchenrätin Sabine Kast-Streib, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Was bereits im Alltag seit Jahren am Hegau-Bodensee-Klinikum in Singen bestens funktioniere, sei nun auch vertraglich geregelt. Das Singener Modell solle als positives Beispiel für andere Kliniken im Land dienen, um dort die Zusammenarbeit zu intensivieren, zu strukturieren und weiterzuentwickeln.

Kast-Streib bezeichnete die Seelsorge als Kernaufgabe und die "Muttersprache der Kirche". Seit 2014 gibt es eine gemeinsame Vereinbarung der evangelische Landeskirche und der Erzdiözese Freiburg zur verbindlichen ökumenischen Zusammenarbeit bei der Klinikseelsorge. Die ökumenische Zusammenarbeit stärke die Stimme des christlichen Glaubens, erhöhe die Glaubwürdigkeit der Klinikseelsorge und das Wirken der Kirche Christi im Krankenhaus, heißt es darin.

Die Krankenhausseelsorge sei Teil des umfassenden Behandelns und Heilens von Körper, Seele und Geist. Krankenhausseelsorger seien offen für die Erfahrungen und Bedürfnisse von Patienten und ihren Angehörigen. In vielen Kliniken bieten sie Gespräche, Begleitung, Gebete und Gottesdienste an, auch für Klinikmitarbeiter und immer unabhängig von Religion, Konfession oder Weltanschauung.

Die Klinikseelsorger seien für ihre Arbeit qualifiziert durch ein theologisches oder religionspädagogisches Studium, Supervision und Fortbildungen. Sie seien Anwälte von Patienten und Fürsprecher für christlich-ethische Positionen, heißt es in der Vereinbarung weiter.



Behinderung

Sozialverband testet Fitnessstudios auf Inklusion



Der Sozialverband Deutschland will niedersächsische Fitnessstudios auf den Umgang mit Menschen mit Behinderungen testen. Hintergrund seien die Erfahrungen eines Sehbehinderten in Hannover, sagte eine Sprecherin des Landesverbands am 26. September in Hannover. Ihm sei in einem Studio die Mitgliedschaft gekündigt worden, weil er zu viel Aufwand mache und andere Gäste sich gestört fühlten. In zwei weiteren Studios sei ihm dann die Mitgliedschaft verwehrt worden.

Manche Studios seien mittlerweile mit einem barrierefreien Zugang beispielsweise schon gut auf Rollstuhlfahrer eingestellt, hieß es. Für Blinde oder Sehbehinderte sei es oft schwerer, passende Trainingsmöglichkeiten zu finden. Bis Mitte Oktober will der Verband die landesweite Untersuchung auswerten.

Bei einem ersten Test in Braunschweig erhielten den Angaben des Kreisverbands zufolge alle fünf überprüften Einrichtungen ein lobendes Urteil: Alle Fitnessstudios seien sehr bemüht gewesen, Lösungen für die speziellen Anforderungen der sehbehinderten Testperson zu finden, hieß es. Der Test in Braunschweig wurde in Studios unterschiedlicher Größe Anfang August in Begleitung eines Verbandsmitarbeiters durchgeführt.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) vertritt nach eigenen Angaben die Interessen von Mitgliedern der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung sowie von pflegebedürftigen, behinderten und sozial benachteiligten Menschen. Er wurde 1917 als Kriegsopferverband gegründet und hat heute bundesweit etwa 560.000 Mitglieder. Mit knapp 280.000 Verbandsangehörigen stellt der Landesverband Niedersachsen die Hälfte aller Mitglieder.



Bildung

Experten: Kinder mit Rechtschreibschwäche weiter benachteiligt



Kinder mit einer Lese-Rechtschreib- oder einer Rechenschwäche werden nach Einschätzung von Experten im deutschen Schulsystem immer noch benachteiligt. Etwa zehn Prozent der Kinder in Deutschland seien von Legasthenie oder Dyskalkulie betroffen, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker, am 23. September in Berlin.

Trotz erklärter Inklusionsabsichten werde für diese Kinder aber in unserem Bildungssystem überwiegend immer noch Exklusion, "also Ausschluss", praktiziert, kritisierte Becker. Die Gesellschaft könne sich aber ein Fallenlassen dieser Kinder sowohl aus ethischen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht leisten.

Gemeinsam mit dem Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) hat die Kinderhilfe den 30. September zum bundesweiten Tag der Legasthenie und Dyskalkulie ausgerufen. Ziel ist es, auf die Belange der betroffenen Kinder aufmerksam zu machen sowie Politik, Gesellschaft und Lehrer stärker für das Thema zu sensibilisieren.

Unter anderem fordern die Verbände, beide Themen zum festen Bestandteil eines jeden Lehramtsstudiums zu machen. Bislang ist es den Lehrern weitgehend freigestellt, sich darin fortbilden zu lassen. In sieben Bundesländern gebe es zudem bislang überhaupt keine Regelungen zum schulischen Umgang mit Dyskalkulie, kritisierte BVL-Vorstand Tanja Scherle.



Publikation

Spitzenkräfte für Sozialunternehmen gesucht



Die Zukunftsfähigkeit von Sozialunternehmen hängt nach Auffassung von Thomas Müller ganz wesentlich davon ab, inwieweit es den Führungskräften in den Betrieben gelingt, geeignete Nachfolger für frei werdende Spitzenpositionen zu finden, sie zu fördern und auch zu binden. Ein neues Buch soll deshalb die Top-Kräfte der Branche darin unterstützen, in ihren Häusern eine "erfolgreiche strategische Nachfolgesicherung zu implementieren".

Geschrieben hat es ein Autorenteam um Thomas Müller, Geschäftsführer der Unternehmensberatung contec GmbH. Die 123 Seiten starke Publikation "Der Wechsel an der Spitze in Verbänden, Organisationen und Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Betriebliche Kontinuität sichern - Schlüsselpositionen rechtzeitig nachbesetzen" soll ihnen dabei als Handlungsleitfaden dienen. In dem Buch entwickeln die Autoren, wie die Berater am 27. September in Bochum mitteilten, Strategien zur kurz-, mittel-, und langfristigen Nachfolgeplanung. Ziel müsse die Sicherung der betrieblichen Kontinuität durch das rechtzeitige Besetzen von Schlüsselpositionen sein.

Wie die Autoren schreiben, kann mit einer gelungene Nachfolgeplanung eine epassende Antwort auf rückläufige Bewerberzahlen und absehbare Verrentungswellen in den Führungsebenen der Sozialbranche gegeben werden. Die Management- und Unternehmensberatung contec ist seit mehr als 25 Jahren auf die Gesundheits- und Sozialwirtschaft spezialisiert.



Publikation

Arbeitsbelastungen in Pflegeeinrichtungen



Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe DBfK hat seine Aktion "Mein Recht auf Frei" in einer 48 Seiten starken Broschüre zusammengefasst. Sie enthält, wie der DBfK am 22. September in Berlin mitteilte, eine Menge Informationen, Quellen, Berichte aus der Praxis, Tipps und Empfehlungen. Auch die Ergebnisse der Online-Umfrage, in der Pflegekräfte über ihre Erfahrungen am Arbeitsplatz berichteten, wurden in dem zusammengetragen. Dabei zeigte sich nach Angaben des Berufsverbandes, dass die Themen Dienstplangestaltung, Dienstplansicherheit, Kompensation von Personalausfall und Pausenregelung Dauerbrenner sind und immer öfter für Konflikte, Verunsicherung und häufig auch bei den Beschäftigten für Resignation sorgen.

Die Broschüre könne laut DBfK als Arbeitsbuch und Informationsquelle für alle beruflich Pflegenden, insbesondere in leitenden Funktionen, "nützlich und hilfreich" sein. Sie kann über den DBfK-Verlag bestellt werden.



Niedersachsen

Soziale Projekte für Kinder ausgezeichnet



Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) und der Kinderschutzbund haben am 23. September in Hannover drei Initiativen für ihren Einsatz für Kinderrechte ausgezeichnet. Dioe Preise sind insgesamt mit 9.000 Euro dotiert. Unter dem Motto "Ich gehör' dazu" würdigt der "Kinder-Haben-Rechte-Preis 2016" Projekte, die sozialer Ausgrenzung von Kindern entgegenwirken sollen, wie Kinderschutzbund und Sozialministerium mitteilten.

Den mit 4.000 Euro dotierten ersten Preis erhält der Osnabrücker Verein Outlaw für die Initiative "Querbeet". Dabei erhalten Flüchtlingsfamilien die Möglichkeit, Kleingärten zu bewirtschaften und sich über den Umweltschutz zu informieren.

3.000 Euro gehen den Angaben zufolge an den Sportverein "Yurdumspor' 88" aus Lehrte, der unter anderem eine Fußballmannschaft für Flüchtlinge eingerichtet hat und Schwimmkurse für Flüchtlingskinder anbietet. 2.000 Euro bekommt die Jugendkulturarbeit in Oldenburg für ihr Projekt "Mut plus". Der Verein erarbeitet seit Mitte 2014 gemeinsam mit behinderten und nicht behinderten Kindern und Jugendlichen Theaterstücke.



Auszeichnung

Nachhaltigkeitspreis für evangelische Pensionskasse



Die kirchliche Pensionskasse VERKA (Berlin) hat in der Kategorie "Bestes Nachhaltigkeitsprogramm" einen europäischen Preis erhalten. Der "European Peer-to-Peer-Award" wurde der VERKA VK Kirchliche Vorsorge VVaG, dem evangelischen Spezialversicherer für Kirchen und deren Versorgungseinrichtungen, am 14. September in Stockholm verliehen, wie das Unternehmen am 28. September in Berlin mitteilte. Die VERKA ist eine überbetriebliche Pensionskasse im Bereich der betrieblichen Altersversorgung.

Das evangelische Unternehmen sieht diese Auszeichnung, wie es erklärte, "als Bestätigung für die bisherigen Anstrengungen und Erfolge im Bereich der nachhaltigen Kapitalanlagen und zugleich als Ansporn, die Aktivitäten stetig weiter auszubauen und zu optimieren". Denn Nachhaltigkeit bleibe für die VERKA ein wesentliches und mit den übrigen Zielen der Kapitalanlage wie Sicherheit, Rentabilität und jederzeitige Liquidität gleichrangiges Ziel im Rahmen von Investmentprozessen.

Der European Peer-to-Peer-Award wurde zum zweiten Mal verliehen. Die Besonderheit und Einzigartigkeit der Institutional-Investor-Awards liegen nach den Angaben darin, dass sowohl Nominierungen als auch Abstimmungen "peer-to-peer", also durch andere institutionelle Anleger, erfolgen. Der VERKA VK Kirchliche Vorsorge VVaG war als Gewinner des nationalen Awards im April 2016 nominiert.




sozial-Recht

Landessozialgericht

Klinik kann auf Kosten für Nothilfe sitzen bleiben




Kliniken müssen rechtzeitig Kostenerstattung beantragen.
Foto: Gustavo Alabiso
Eine Klinik muss unverzüglich beim Sozialamt die Übernahme der Behandlungskosten beantragen, wenn es Nothilfe für einen nicht versicherten Patienten leistet. Bei unnötigen Verzögerungen hat das Krankenhaus keinen Anspruch auf Kostenerstattung.

Bei einem medizinischen Notfall am Wochenende, wenn der Sozialhilfeträger nicht erreichbar ist, steht dem Krankenhaus zumindest für diese Behandlungstage die Erstattung der Kosten zu. Nur wenn das Sozialamt schließlich die Kostenzusage erteilt und der Patient auf finanzielle Hilfe des Staates angewiesen ist, kann die Klinik die volle Fallpauschale geltend machen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen in einem am 7. September veröffentlichten Urteil.

Sprung aus dem dritten Stock

Damit bleibt die Klägerin, eine Klinik für Gefäßchirurgie, weitgehend auf den Kosten für eine erbrachte Notfallbehandlung eines nicht versicherten, aus Kenia stammenden Patienten in Höhe von fast 30.000 Euro sitzen. Der Kenianer war für einen Sprachkurs nach Deutschland gekommen.

Als der Mann während seines Aufenthalts eine Deutsche kennenlernte, diese aber seinen Heiratsantrag zurückwies, sprang er in Suizidabsicht aus dem dritten Stock eines Wohnhauses. Dabei verletzte er sich schwer, unter anderem an der Hauptschlagader. Der Mann wurde in der Klinik für Gefäßchirurgie am 20. Dezember 2009, einem Sonntag, notfallmäßig aufgenommen. Erst am darauffolgenden Dienstag wurde per Fax die Übernahme der Behandlungskosten durch das örtliche Sozialamt beantragt.

Die Behörde lehnte ab. Es sei nicht belegt, dass der Mann auf finanzielle Hilfe des Staates angewiesen sei. Dieser war Mitte Januar bereits nach Kenia ausgereist. Außerdem habe die Klinik zu spät die Kostenerstattung beantragt. Eine Kostenübernahme sei aber erst mit vorheriger Zusicherung durch die Behörde möglich. Erst in einem gerichtlichen Vergleich erklärte sich das Sozialamt bereit, für die Tage von Sonntag bis Dienstag knapp 3.900 Euro zu zahlen. Für den weiteren knapp dreiwöchigen Klinikaufenthalt wollte das Sozialamt nicht aufkommen.

Information in "angemessener Zeit"

Das LSG urteilte, dass die Klinik die Übernahme der verbliebenen Kosten in Höhe von knapp 26.000 Euro nicht verlangen kann. Zwar kann laut LSG ein Krankenhaus im Notfall die Übernahme der Behandlungskosten für einen hilfebedürftigen, nicht versicherten Patienten vom Sozialamt einfordern. Das Sozialamt müsse aber in "angemessener Zeit" darüber informiert werden und die Kostenerstattung genehmigen. Dies sei hier aber nicht der Fall gewesen.

Liege ein Eilfall vor, bei dem die Behörde nicht sofort in Kenntnis gesetzt werden kann, wie an einem Sonntag, könne aber für diese Zeit auch ohne Zustimmung des Sozialhilfeträgers eine Kostenerstattung "in gebotenem Umfang" für die Behandlung verlangt werden. Danach müsse ausgehend von der Fallpauschale eine tagesbezogene anteilige Vergütung vom Sozialamt gezahlt werden, so das LSG. Darüber hätten sich Klinik und Sozialamt in einem Teilvergleich verständigt. Ohne Erfolg machte die Klinik noch geltend, dass sie gerade am Aufnahmetag des Patienten die kostenintensivsten Leistungen erbracht hatte und ihr deshalb höhere Leistungen zustehen müsse.

Az.: L 9 SO 328/14

Frank Leth


Bundesgerichtshof

Versprechen einer Schenkung nur mit Notar gültig



Eine von einer geistig gesunden Person erteilte Vollmacht kann ungültig sein. Will eine sterbenskranke Frau kurz vor ihrem Tod ihr ganzes Vermögen verschenken, muss dies ein Notar beurkunden. Andernfalls ist die Schenkung nichtig, selbst wenn das Vermögen bereits an den Beschenkten übergeben wurde, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 21. September veröffentlichten Urteil.

Im konkreten Fall hatte eine Frau aus Düsseldorf im März 2007 einem Bekannten eine Vollmacht erteilt, über ihre Investmentfondsanteile im Wert von knapp 80.000 Euro verfügen zu können. Der Bekannte sollte auch das gesamte Vermögen erhalten - allerdings erst dann, wenn der Tod der Frau unmittelbar bevorsteht.

Am 23. Januar 2008 war es soweit. Wenige Stunden vor dem Tod der Frau verkaufte der Bekannte die Fondsanteile und überwies das Geld auf sein Konto.

Der Nachlassverwalter forderte das Geld jedoch zurück. Die Schenkung hätte von einem Notar beurkundet werden müssen, rügte er.

Dem stimmte auch der BGH zu. Nach dem Gesetz müsse bei einer beabsichtigten Übertragung und Schenkung eines Vermögens ein Notar das Schenkungsversprechen beurkunden. Dies gelte erst recht auch dann, wenn die Vermögensübertragung kurz vor dem Tod erfolgen soll.

Hier sei dieses formale Erfordernis aber nicht eingehalten worden. Auch wenn der Beschenkte das Vermögen noch zu Lebzeiten der Frau erhalten hat, werde damit der formale Mangel nicht beseitigt. Mit dem Zwang zur notariellen Beurkundung sollen laut BGH Betroffene vor übereilten Übertragungen ihres gesamten Vermögens geschützt werden.

Az.: X ZR 65/14



Verwaltungsgerichtshof

Schwerbehinderte müssen geringeren Rundfunkbeitrag zahlen



Stark Schwerbehinderte können nicht die volle Befreiung vom Rundfunkbeitrag verlangen. Die festgelegte Beitragsreduzierung auf ein Drittel reicht aus und ist rechtmäßig, entschied der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in Mannheim in einem am 26. September bekanntgegebenen Urteil. Denn auch schwerbehinderte Menschen würden von dem öffentlichen Rundfunkangebot profitieren.

Seit 2013 müssen Haushalte einen einheitlichen "Rundfunkbeitrag" von derzeit 17,50 Euro im Monat bezahlen. Während früher Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von mindestens 80 Prozent keinerlei Rundfunkgebühren zahlen mussten, müssen sie nun monatlich 5,83 Euro aufbringen. Völlig befreit sind nur noch Taubblinde, Empfänger von Blindengeld und bestimmte Kriegsopfer.

Im jetzt entschiedenen Fall meinte der zu über 80 Prozent schwerbehinderte Kläger, dass er Anspruch auf Nachteilsausgleich für seine Behinderung habe und deshalb auch komplett vom Rundfunkbeitrag befreit werden müsse.

Doch der VGH wies die Klage ab. Eine Fortgeltung der alten Befreiungsbescheide habe der Gesetzgeber "ausdrücklich nicht angeordnet". Ein Verstoß gegen den Vertrauensschutz sei dies nicht.

Die heutige Beteiligung Schwerbehinderter an der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei gerechtfertigt und angemessen. Der staatliche Förderauftrag gegenüber Menschen mit Behinderung bleibe gewahrt. Denn auch Schwerbehinderte könnten das öffentliche Rundfunkangebot nutzen. Nur für Taubblinde gelte dies nicht; diese seien deshalb befreit.

Az.: 2 S 2168/14



Sozialgericht

Hartz-IV-Bezieher muss Pflichtteil an Erbschaft einfordern



Jobcenter können unter bestimmten Bedingungen erwarten, dass von einem Erbe ausgeschlossene Hartz-IV-Bezieher ihren Pflichtteil einfordern. Das Mainzer Sozialgericht wies in einer am 27. September veröffentlichten Entscheidung die Klage eines Mannes ab, dessen Vater gestorben war. Die Eltern des Klägers hatten ein sogenanntes Berliner Testament verfasst, in dem der überlebende Ehegatte zum Alleinerben bestimmt wurde und die beiden Kinder nach dessen Tod den gesamten Nachlass erhalten sollten. Der Sohn war auch nach einer Aufforderung durch das Jobcenter nicht bereit, seinen Pflichtteil in Höhe von einem Achtel des Erbes geltend zu machen.

Die Mainzer Richter folgten den Argumenten des Mannes nicht. Zwar sei es im Grundsatz nicht zumutbar zu verlangen, den Willen der Eltern zu unterlaufen. Eine Ausnahme gelte jedoch, wenn genügend Barvermögen vorhanden sei. Im verhandelten Fall könne der ausgeschlossene Erbe ausgezahlt werden, ohne dafür beispielsweise eine Immobilie zu verkaufen. Auch der Unterhalt der 80-jährigen Mutter des Klägers wäre durch das restliche Erbe für die nähere Zukunft sichergestellt. In der Verhandlung ging es um eine Erbschaft im Wert von rund 140.000 Euro. Darunter befand sich ein Barvermögen von 80.000 Euro.

Az.: S 4 AS 921/15



Sozialgericht

Jobcenter muss neue Heizung von Hartz-IV-Empfängerin zahlen



Ein Jobcenter muss auch bei Hartz-IV-Empfängern mit hohen Wohnkosten Instandhaltungen übernehmen, wenn es die Bezieher nicht vorab zur Kostensenkung aufgefordert hat. Mit einem entsprechenden Urteil gab das Sozialgericht Dortmund einer langzeitarbeitslosen Hauseigentümerin aus Lüdenscheid recht, die das Jobcenter Märkischer Kreis auf Übernahme der Kosten für die Erneuerung ihrer defekten Gasheizung verklagt hatte, wie das Gericht am 26. September mitteilte. Die Behörde hatte der Bezieherin von Arbeitslosengeld II, die mit ihrem Sohn ein eigenes Reihenhaus bewohnt, für die Kosten von etwa 5.200 Euro lediglich einen Zuschuss von 6,60 Euro gewährt.

Zur Begründung erklärte das Jobcenter, in dem Fall würden die angemessenen Wohnkosten für einen Zwei-Personen-Haushalt in Lüdenscheid überschritten. Die arbeitslose Mutter klagte dagegen mit Erfolg vor dem Sozialgericht Dortmund. Die Richter entschieden, die Behörde habe die Aufwendungen für die Heizungserneuerung als Instandhaltungskosten zu tragen. Dafür spiele es keine Rolle, ob die Wohnkosten wie von dem Jobcenter angenommen unangemessen seien. In jedem Fall habe die Behörde es versäumt, der Klägerin vorab eine Kostensenkungsaufforderung zuzustellen. Dies sei als Voraussetzung bei Wohneigentümern ebenso erforderlich wie bei Mietern, hieß es in dem Urteil vom 19. September.

Az.: S 19 AS 1803/15



Sozialgericht

Sozialamt darf Auszahlung von Darlehen nicht verzögern



Das Sozialamt muss mit einem Überbrückungsdarlehen einspringen, wenn mittellose Menschen bis zur ersten Auszahlung ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente ihren Lebensunterhalt nicht decken können. Die Behörde darf die Auszahlung nicht verzögern und von der Bestandskraft des Darlehensbescheids abhängig machen, entschied das Sozialgericht Braunschweig in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 19. September.

Im konkreten Fall wurde einem Mann aus dem Landkreis Harz eine Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt. Diese wird immer erst am Monatsende ausgezahlt, hier Ende September 2016. Weil er nicht wusste, wie er bis dahin im September 2016 seinen Lebensunterhalt decken kann, beantragte er beim zuständigen Landkreis ein Überbrückungsdarlehen. Der Landkreis bewilligte zwar die Sozialhilfemittel auf Darlehensbasis, wollte diese aber erst später, mit Bestandskraft des Bescheides auszahlen.

Das Sozialgericht verpflichtete den Landkreis jedoch, das gewährte Darlehen auch vor Bestandskraft des Darlehensbescheides, also vor Ablauf der Widerspruchsfrist dem Rentner zu überweisen. Denn Ansprüche auf Sozialleistungen würden grundsätzlich mit dem Entstehen fällig werden und nicht erst mit der Rechtskraft eines Bescheides. Der Sinn und Zweck des Überbrückungsdarlehens würde "konterkariert", wenn der Hilfebedürftige erst einmal bis zur Bestandskraft auf das gewährte Darlehen warten müsste.

Az.: S 32 SO 136/16 ER



Arbeitsgericht

Duzen ist kein Grund für eine Abmahnung



Das Duzen eines Kollegen, vermeintliches Auslachen oder das Aufstellen von ironischen Aufklebern im Büro sind noch keine Gründe für eine Abmahnung. Denn eine Abmahnung muss verhältnismäßig sein, und der betroffene Arbeitnehmer muss auch zuvor angehört werden, stellte das Arbeitsgericht Paderborn in einem vor kurzem veröffentlichten Urteil vom 9. Juni klar.

Damit bekam eine 61-jährige Sachbearbeiterin recht, die in einer Einrichtung der katholischen Kirche arbeitete. 2015 erhielt sie insgesamt vier Abmahnungen, unter anderem, weil sie eine Kollegin wiederholt geduzt und sie als "Schätzchen" und "krank" bezeichnet hat.

Dann wurde gerügt, dass sie einen Aktenordner mit vollem Schwung auf den Schreibtisch ihrer Kollegin beförderte und sie anschließend "lauthals ausgelacht" habe. Auch auf einem Pappschild geklebte Aufkleber mit Lebensweisheiten wie "Die Suche nach Sündenböcken ist von allen Jagdarten die einfachste und bequemste" wurden als beleidigend und provozierend gerügt.

Das Arbeitsgericht verpflichtete den Arbeitgeber, sämtliche Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen. Die Abmahnungen wegen des "Duzens" eines Kollegen seien "offensichtlich unverhältnismäßig". Außerdem habe der Arbeitgeber seine Pflicht verletzt, die Beschäftigte zuvor anzuhören.

Zudem sei weder der Vorfall mit dem Aktenordner noch das vermeintliche Auslachen als schwerwiegendes Fehlverhalten oder als Arbeitsvertragsverstoß anzusehen. Gleiches gelte für das Aufstellen von Aufklebern mit Lebensweisheiten. Solche Sprüche könnten eher zum "Schmunzeln" und damit "zu einer aufgeheiterten Stimmung" im Betrieb anregen, meinten die Arbeitsrichter.

Az.: 2 Ca 457/15




sozial-Köpfe

Kinderhilfswerk

Angerstein im Vorstand von terre des hommes




Jörg Angerstein.
epd-bild/Kovermann/terre des hommes
Jörg Angerstein (52) ist neuer Vorstandssprecher des Kinderhilfswerks terre des hommes. Er folgt auf Albert Recknagel, der das Amt ein Jahr lang kommissarisch ausübte und dem Leitungsgremium weiter angehört.

Jörg Angerstein leitet seit 1. März den Bereich Kommunikation bei terre des hommes. Er stammt aus Braunschweig und arbeitete zuletzt als Bereichsleiter Kommunikation und Marketing beim Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes. Davor war er Geschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes.

"Wir freuen uns, dass wir mit Jörg Angerstein einen Kommunikationsexperten gewinnen konnten, der zugleich auch langjährige Erfahrung im Bereich der Kinderrechte mitbringt", erklärte Martin Gürtler, der damalige Vorsitzender des Präsidiums von terre des hommes, im Januar nach der Berufungsentscheidung.

Zum Vorstand von terres des hommes gehören neben Angerstein und Albert Recknagel auch Ursula Gille-Boussahia. Recknagel ist zuständig für die Programme des Hilfswerkes, Gille-Boussahia ist verantwortlich für Finanzen, Verwaltung und Personal.

Terre des hommes Deutschland wurde 1967 von engagierten Bürgern gegründet, um schwer verletzten Kindern aus dem Vietnamkrieg zu helfen. Heute fördert das Hilfswerk weltweit und in Deutschland mehr als 400 Projekte für ausgebeutete und benachteiligte Kinder. In Deutschland engagieren sich den Angaben nach Freiwillige in 120 Orten für die Organisation.



Weitere Personalien



Albrecht Bähr (55), Pfarrer und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Diakonie in Rheinland-Pfalz, ist zum dritten Mal in Folge zum Vorsitzenden des Landesjugendhilfeausschusses gewählt worden. Der pfälzische Diakoniepfarrer wurde einstimmig gewählt. Bähr sagte, er wünsche sich, dass die Politik die fachliche Expertise des Gremiums nutze. Forderungen an die Landespolitik dürften nicht bereits im Vorfeld an möglichen Folgekosten scheitern. Dem Landesjugendhilfeausschuss gehören den Angaben zufolge 25 stimmberechtigte Mitglieder und weitere beratende Mitglieder aus unterschiedlichen Institutionen und Behörden an. Er befasst sich mit allen Angelegenheiten der Jugendhilfe, insbesondere mit der aktuellen Lage junger Menschen in Rheinland-Pfalz.

Matthias Weber (50), Pfarrer, übernimmt ab Januar die Leitung des Diakonischen Werkes Mannheim, das größte Werk innerhalb der badischen Landeskirche. Er tritt die Nachfolge von Direktor Peter Hübinger an, der Ende des Jahres in den Ruhestand geht. Gleichzeitig erhält das Werk Mannheim eine theologisch und kaufmännisch geführte Doppelspitze: Weber wird gemeinsam mit dem bisherigen stellvertretenden Direktor Helmut Bühler, der ab Januar kaufmännischer Leiter ist, die Geschicke des DW Mannheim leiten. Weber (50) hat Theologie in Heidelberg und Tübingen und später in Heidelberg zusätzlich Diakoniemanagement (M.A.) studiert. Nach seiner Berufung auf eine Pfarrstelle in Kandern wurde er 2013 Stellvertreter der Dekanin im Kirchenbezirk Markgräflerland. Dipl.-Betriebswirt Helmut Bühler (50), der ebenfalls zusätzlich Unternehmensführung im Wohlfahrtsbereich studiert hat, arbeitet seit 2004 beim Diakonischen Werk Mannheim. Er ist stellvertretender Direktor und Leiter der Abteilungen Personal und Finanzen, Pflege und Gesundheit

Anja Bieber, Annemarie Franzmann, Arnold Lehnert und 16 weitere sächsische Bürger haben für ihr soziales Engagement die Annen-Medaille erhalten. "Mit Ihren Händen und mit Ihrem Herzen tun sie Gutes für unser Gemeinwesen und damit für uns alle", würdigte Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) die Preisträger in Dresden. Die Medaille wird seit 1995 in Erinnerung an die wohltätige Kurfürstin Anna von Sachsen auf Vorschlag der Wohlfahrtsverbände, der Kirchen und Kommunen verliehen. Anja Bieber aus Seiffen im Erzgebirge erhielt die Auszeichnung für ihren herausragenden Einsatz für eine bessere Betreuung von Demenzkranken. Annemarie Franzmann aus Dresden gründete 1992 einen Verein gründete, der sich um aus dem Gefängnis entlassene Straftäter kümmert. Arnold Lehnert, ebenfalls aus Dresden, erhielt die Medaille für sein Engagement zur Beratung von Gewaltopfern.

Tom Weber (45), evangelischer Diakon, ist in Hannover als neuer Beauftragter der Diakoniegemeinschaft Stephansstift eingeführt worden. Weber ist bereits seit dem 1. März im Amt. Zuvor arbeitete er sieben Monate in der Flüchtlingsarbeit bei den Johannitern. Davor war fünf Jahre lang Kirchenkreisjugendwart in Celle. Seine Aufgabe ist Mitgliederpflege und Interessensvertretung bei berufsständischen Angelegenheiten. Die Gemeinschaft hat rund 400 Mitglieder, überwiegend in Niedersachsen. Die Diakoniegemeinschaft besteht seit 147 Jahren. Früher waren die Diakone, die im hannoverschen Stephansstift ausgebildet wurden, automatisch Mitglied der Gemeinschaft. Heute hat sie sich für weitere Berufsgruppen geöffnet.

Onno Hagenah (38) hat sein Amt als kaufmännischer Vorstand der diakonischen Stiftung Friedehorst in Bremen übernommen. Der Jurist tritt damit die geplante Nachfolge des jetzigen Vorstands Ralph Freiherr von Follenius an. Von Follenius war im Februar 2015 als Chief Restructuring Officer (CRO) für die 2. Phase der Sanierung nach Friedehorst gekommen. Hagenah war in den vergangenen Jahren als Verwaltungsleiter und Prokurist des Agaplesion Diakonieklinikums Rotenburg tätig. Friedehorst, das mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat, pflegt, betreut und versorgt etwa 2.000 Menschen.

Gerhard Behlau hat die alleinige Geschäftsführung des DRK-Kreisverbandes Bremen übernommen. Er löste am 1. August Geschäftsführer Jürgen Höptner ab, der 32 Jahre für das Rote Kreuz aktiv war. Er ist jetzt im Ruhenstand. Behlau, bisheriger Bereichsleiter, war im Januar zum zusätzlichen Geschäftsführer ernannt worden, um den Übergang zu erleichtern. Der Diplom-Sozialarbeiter Höptner war 1984 von der Bremer Arbeiterwohlfahrt zum Roten Kreuz gewechselt. Neun Jahre war er Abteilungsleiter für den Bereich Sozialarbeit sowie stellvertretender Geschäftsführer – und danach 23 Jahre als Geschäftsführer. Behlau arbeitete nach seinem Studium zunächst als Sozialpädagoge, bevor er 1992 zum Bremer Roten Kreuz kam. Hier leitete er zunächst die Abteilung "Frühförderung und integrative Hilfen", ehe er 2004 den Bereich "Kinderhilfe" übernahm.

Manfred Führ hat die Leitung des Caritasverbandes Mosel-Eifel-Hunsrück übernommen. Er löste Winfried Görgen ab, der den Posten sieben Jahre lang innehatte. Für ist ehemaliger Bürgermeister aus Treis-Karden im Landkreis Cochem-Zell. Führ ist zukünftig für die 16 Dienststellen in den beiden Landkreisen Bernkastel-Wittlich und Cochem-Zell mit rund 370 Mitarbeitern zuständig.

Sabine Kösling übernimmt im Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste bpa den Vorstandsvorsitz der Landesgruppe Sachsen-Anhalt. Kösling, die seit 2004 dem Vorstand der bpa-Landesgruppe angehört, folgt auf Sabine Mrosek. Mrosek war 16 Jahre lang Vorsitzende und kandidierte bei der turnusgemäßen Neuwahl nicht mehr für dieses Amt. Sie hat seit der Gründung der Landesgruppe vor 20 Jahren die Entwicklung des Verbandes begleitet und aktiv mitgestaltet.




sozial-Termine



Die wichtigsten Fachveranstaltungen bis November

Oktober

4.10. Münster:

Seminar "Die Reform der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen -

Referentenentwurf Bundesteilhabegesetz"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe

5.10. Berlin:

Tagung "Vielfalt und Wandel des Alters - Zwei Jahrzehnte Deutscher Alterssurvey"

der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen

Tel.: 0228/2499930

www.bagso.de

5.-6.10. Fulda:

Fachtagung "Das geht ... Erfahrungen teilen ... Ideen entwickeln"

des Bundesverbandes katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen

Tel.: 0761/200-756

www.bvke.de

6.10. Berlin:

Seminar "Schreckgespenst Betriebsprüfung"

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-221

www.solidaris.de

11.10. Frankfurt a.M.:

Tagung "Jugendsozialarbeit in der Einwanderungsgesellschaft -

Wie lösen wir die Integrationsaufgabe?"

der BAG EJSA

Tel.: 0711/1648920

www.bagejsa.de

11.10. Stuttgart:

Tagung "Sorge? Los! - Zweiter Hospiz- und Palliativkongress Baden-Württemberg"

des Hospiz- und Palliativverbandes Baden-Württemberg

Tel.: 07142/776156

www.hpvbw.de

11.10. München:

Seminar "Neues vom Bundesarbeitsgericht"

der Solidaris Unternehmensgruppe

Tel.: 02203/8997221

www.solidaris.de

13.10. Freiburg:

Seminar "Konfliktgespräche fair und wirksam führen"

der Caritas-Akademie für Gesundheits- und Sozialberufe

Tel.: 0761/70861125

www.caritasakademie-freiburg.de

14.10. Linz:

Symposium "Einrichtungen brauch` ich nicht! - Die Zukunft sozialer Arbeit

des Diakoniewerks Gallneukirchen

Tel.: 0043/7235/63251

www.diakoniewerk.at/symposium

21.-23.10. Frankfurt a.M.:

Seminar "BWL in der Caritas: Vertiefung"

der Fortbildungs-Akademie des Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.caritas-akademien.de

23.10. Frankfurt a.M.:

Fachtag "Frauen fördern Frauen - Netzwerke für weibliche Führungskräfte in der Caritas"

der Fortbildungs-Akademie des DCV

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

24.-25.10. Rummelsberg:

Tagung "Doing Culture II - Diakonische Unternehmenskultur gestalten"

der Führungsakademie für Kirchen und Diakonie

Tel.: 030/204597513

www.fa-kd.de

25.10. Münster:

Seminar "Risikomanagement in Einrichtungen des Gesundheitswesens"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe

26.10. Loccum:

Tagung "Linderung von Leid, Schmerz und Angst - Palliativversorgung als interdisziplinäre Herausforderung"

des Zentrums für Gesundheitsethik an der Ev. Akademie Loccum

Tel.: 0511/1241-496

www.zfg-hannover.de

27.-28.10. Wiesbaden:

Seminar "Beste Aussichten?! - Kompetent älter werden im Beruf"

des SkF Gesamtvereins

Tel.: 0231/55702613

November

8.11. Hannover:

Fachtag Gemeinnützigkeitsrecht/Steuerrecht

der Curacon GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

www.curacon.de/fachtagungen

8.11. Ulm:

Symposium "Armut - Bildung - Gesundheit"

der Fröhlich Management GmbH

www.froehlich-management.de

9.11. Frankfurt a.M.:

Schulung "Aktuelle Rechtsprechung im Arbeitsrecht 2016"

der Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen (AcU)

Tel.: 0228/9261660

www.a-cu.de