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Mädchen auf der Flucht sexuell bedroht




Mädchen können auf der Flucht Opfer sexueller Gewalt werden.
epd-bild/Andreas Fischer
In Deutschland kommen deutlich weniger geflüchtete Mädchen als Jungen an. Ein Teil dieser Mädchen und jungen Frauen geraten an Zuhälter und Menschenhändler. Und für die, die es schaffen, gibt es wenig spezielle Angebote, berichten Helfer.

Die fünf Mädchen im Mädchenhaus Mäggie am Dortmunder Stadtrand haben das geschafft, was nicht allen Minderjährigen auf der Flucht gelingt: Sie sind angekommen. Und sie wohnen in Sicherheit. Losgegangen sind sie im Irak, Senegal, Eritrea und Serbien - ohne Eltern. "Alle haben schreckliche Gewalt erlebt", sagt Smiljana Hesse, Leiterin des im April eröffneten Hauses für traumatisierte 12- bis 18-jährige Mädchen des Vereins "Vive Zene!" (auf deutsch: Frauen lebt!), der schon vor 20 Jahren in Bosnien Therapiezentren für im Krieg vergewaltigte Frauen aufgebaut hat.

In die Prostitution geraten

"Eines der Mädchen ist auf der Flucht in die Prostitution geraten, eine andere musste vor einer erzwungenen Ehe fliehen", berichtet die Pädagogin. Auf der Flucht und im Krieg sei für Mädchen sexuelle Gewalt eine Dauerbedrohung.

Mindestens ein Jahr können sie im Mädchenhaus bleiben. "Damit versuchen wir, eine Lücke in der stationären Jugendhilfe zu schließen", sagt Hesse. Spezielle Angebote für Mädchen seien rar. "Gerade diejenigen, die Gewalt von Männern ausgesetzt waren, brauchen sie aber dringend."

Bei Mäggie gibt es deshalb ausschließlich weibliches Personal - von der Traumatherapeutin bis zur Betreuerin. "Hier kommt auch kein Mann von außen herein: Finden wir nur einen männlichen Handwerker, kündigen wir das den Mädchen an." Ohne diesen Schutzraum fänden die Mädchen keine Ruhe vor der quälenden Angst, die sie zum Teil jahrelang erleiden mussten.

Flucht vor Zwangsheirat

Rund 51.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben derzeit in Deutschland, zeigen die amtlichen Statistiken. Weltweit sind 28 Millionen Kinder auf der Flucht, immer mehr davon allein, meldet aktuell Unicef. Etwa 90 Prozent der unbegleiteten Minderjährigen, die hier ankommen, sind männlich, sagt Tobias Klaus vom Bundesfachverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. "Hat eine Familie nur für ein Kind Geld zur Flucht, geht eher ein Junge - in der Hoffnung, dass er sich besser wehren kann", sagt Klaus.

Mädchen haben in ihrer Heimat oft Fluchtgründe, die Jungen nicht haben: "Sie fliehen vor Genitalverstümmelung oder Zwangsheirat und damit auch vor Teilen ihrer Familie." Klaus vermutet deshalb, dass das Geschlechterverhältnis beim Aufbruch weniger ungleich ist. Viele Mädchen kämen aber nicht an, fürchtet er, sondern könnten Opfer von Menschenhändlern oder in der Prostitution gelandet sein - vor allem diejenigen, die den langen Land- und Seeweg nach Europa nehmen. "Kinder auf der Flucht sind sowieso besonders gefährdet, Mädchen wie Jungen."

Über diejenigen, die irgendwo unterwegs verschwinden, führt niemand Buch. Aber auch hierzulande gelten laut Bundeskriminalamt etwa 9.000 Flüchtlingskinder als vermisst. Bei den meisten geht die Behörde aber nicht von Straftaten aus, sondern von fehlenden Rückmeldungen oder Registrierungsfehlern.

In Italien ausgebeutet

Ein auf Augenzeugen gestützter Bericht der internationalen Hilfsorganisation Save the children zeigt, dass Kinderflüchtlinge in Italien zu Prostitution und Drogenhandel gezwungen werden. Viele müssen dies tun, um die Kosten ihrer Flucht - bis zu 50.000 Euro - beim Schlepper abzuarbeiten. Vor allem Mädchen aus Nigeria und Rumänien werden nach Angaben von Save the children mit falschen Versprechungen nach Italien gelockt und dann ausgebeutet. In legalen Strukturen kommen sie nicht an, bleiben unsichtbar.

Wie vielen Mädchen es in Deutschland auch so ergeht und ob es durch die Flüchtlingskrise mehr geworden sind, ist unklar. Acht minderjährige und 200 erwachsene Opfer von Menschenhandel meldeten sich 2015 bei der überregional bekannten Dortmunder Mitternachtsmission, darunter auch Asylberechtigte. Die Dunkelziffer sei aber groß - schon immer, sagt Leiterin Andrea Hitzke, die auch im Vorstand der bundesweiten Koordinierungsstelle gegen Menschenhandel arbeitet. Frauen und Kinder auf der Flucht seien natürlich gefährdet: "Ihnen geht unterwegs das Geld aus, einige schließen aber auch schon in der Heimat Verträge über abzuarbeitende Schulden." In einigen Ländern würden die dann mit Voodoo besiegelt.

Schutzraum ohne Männer

Davon berichten auch in der deutschen Jugendhilfe angekommenen Mädchen. Das Paul Gerhardt Werk in Berlin bietet deshalb seit eineinhalb Jahren auch ein spezielles Mädchenwohnen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge an. "Es gibt Mädchen, die sich wegen ihrer Erlebnisse in gemischten Gruppen einfach nicht sicher fühlen", sagt Alexandra Geisler, Leiterin des Berliner Mädchenwohnens. "Sie können sich auch männlichen Betreuern nicht anvertrauen."

Viel zu wenige solcher Angebote und oft zu wenig Sensibilität gebe es, findet sie, "die Nöte der Mädchen werden oft übersehen." Das bestätigt auch Birgit Hoffmann vom Mädchenhaus Bielefeld. Ihre Organisation nimmt im Clearinghaus Porto Amãl Flüchtlingsmädchen während des Clearingverfahrens in Obhut, bei dem Behörden sich einen ersten Überblick über Identität, Zustand und Bedarf der Geflüchteten verschaffen. Kinderehen, Vergewaltigungen - "viele Mädchen sind traumatisiert und brauchen einen Schutzraum ohne Männer", sagt Hoffmann. "Sonst öffnen sie sich auch nicht für Hilfen." Mädchenclearings gibt es dennoch kaum. Und auch daran anschließende Wohngruppen nur für Mädchen seien nicht die Regel. "Für unser Mädchenwohnprojekt zur Verselbstständigung müssen wir eine Warteliste führen."

Miriam Bunjes

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