noch liegt die Impfverordnung des Bundesgesundheitsministeriums nicht vor. Doch sie wird sich eng an die jetzt publizierten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission halten. Danach sollen Hochbetagte, Heimbewohnerinnen und -bewohner, Pflegekräfte sowie medizinisches Fachpersonal zuerst immunisiert werden. Diese Strategie der Priorisierung wird von den Fachverbänden überwiegend begrüßt, Kritik kommt von den Behindertenvertretern. Noch gibt es aber viele offene Fragen zur Organisation und zum Ablauf der nie da gewesenen Massenimpfungen. Den aktuellen Sachstand erläutert epd sozial in einem Hintergrund.
"Bei den haushaltsnahen Dienstleistungen ist Schwarzarbeit die Regel, nicht die Ausnahme", sagte DGB-Vorstand Anja Piel epd sozial. Neu ist das nicht. Wohl aber der Vorschlag der Gewerkschaften, diesen Beschäftigten einen staatlichen Lohnzuschuss zu bezahlen, denn die Arbeit werde oft zu niedrigen Löhnen verrichtet. Die Idee dahinter: In diesem Bereich soll ein professioneller Dienstleistungssektor entstehen, der am Ende auch Mütter in bessere Jobs bringt.
Ganz egal, welche Kontaktbeschränkungen zu Weihnachten gelten, Corona hat für obdachlose Menschen bereits jetzt viele Treffen rund um die Feiertage unmöglich gemacht. Doch die Initiatoren sind kreativ. Viele setzen auf "Weihnachtsessen to go", um die bedürftigen Menschen zu unterstützen. epd sozial hat sich umgehört, wie die Pläne aussehen.
Wenn Ärzten und Pflegekräften gravierende Behandlungsfehler unterlaufen, ist das fast immer ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Aber: Vertuscht eine Pflegekraft bei einem sterbenskranken Heimbewohner die tödliche Verwechslung eines Medikamentes, muss damit nicht der Vorwurf des versuchten Mordes durch Unterlassen erfüllt sein. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 2. Dezember veröffentlichten Urteil entschieden.
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Dirk Baas
Berlin (epd). Erste Impfstoffe gegen das Corona-Virus sind bereits zugelassen, doch noch nicht in Deutschland. Längst aber laufen Diskussionen darüber, wer zuerst geimpft werden soll - auf freiwilliger Basis. Sozialexperten werben schon länger dafür, gefährdete Personen wie Hochbetagte, Heimbewohnerinnen und -bewohner und Menschen mit Behinderung schnell zu immunisieren. Sie werden bestätigt von der Ständigen Impfkommission, die am 7. Dezember ihre lange erwarteten Empfehlungen veröffentlich hat.
Experten gehen davon aus, dass das Bundesgesundheitsministerium die vorgeschlagene Priorisierung in die Impfverordnung aufnimmt. Die soll Verteilungskonflikte um den zunächst knappen Impfstoff verhindern.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte dazu am 8. Dezember im Gesundheitsausschuss des Bundestages, dass Schätzungen zufolge im Januar zunächst drei bis fünf Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen und im ersten Quartal elf bis 16 Millionen Dosen. Ab dem zweiten oder dritten Quartal sei möglicherweise ausreichend Impfstoff vorhanden, um ohne Prioritäten impfen zu können, sagte Spahn.
Für Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, ist die Sache eindeutig: "Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung müssen bei den Impfungen vorrangig berücksichtigt werden." Sie hätten ein erhöhtes Risiko für eine Erkrankung mit schwerem Verlauf durch Covid-19 und wohnten häufig in gemeinschaftlichen Wohnformen: "Daher ist eine Impfung dringend erforderlich, zum Schutz für die Einzelnen und die ganze Wohngruppe." Das gleiche gelte für die Betreuungskräfte in Einrichtungen der Behindertenhilfe, da sie "häufig körpernahe Unterstützung leisten".
Das sieht auch die Ständige Impfkommission so. Aufgrund von begrenzter Impfstoffverfügbarkeit sollen alle Menschen im Alter von über 80 Jahren, Heimbewohner, Pflegekräfte im ambulanten und stationären Bereich sowie Beschäftigte in Notaufnahmen und Covid-19-Stationen mit "sehr hoher Priorität" zuerst geimpft werden. Dann folgen in der nächsten Gruppe andere Beschäftigte in Pflegeheimen, Personen mit Behinderungen und Demenzpatienten sowie deren Betreuungspersonal. Das geht aus einem am 7. Dezember bekanntgewordenen Empfehlungsentwurf der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert-Koch-Institut hervor, der dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.
Diese Personengruppen hätten ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe oder seien beruflich besonders exponiert oder hätten engen Kontakt zu besonders gefährdeten Menschen, hieß es. Insgesamt gehen die Fachleute von ungefähr 8,6 Millionen Menschen aus, die zuerst den Impfstoff erhalten werden.
Ziel sei es, schwere Covid-19-Erkrankungen und Todesfälle zu verhindern, Personen mit einem erhöhten arbeitsbedingten Infektionsrisiko zu schützen sowie das Einschleppen des Erregers in besonders gefährdete Gruppen zu verhindern.
Der Vorsitzende der Stiko, Thomas Mertens, sagte, die Quantifizierung der Risiken habe ein klares Bild ergeben. Der größte Risikofaktor sei das Alter. Die Datenlage zeige überdies ein erhöhtes Risiko für Menschen mit Trisomie 21.
Wenn es gelinge, die sogenannten vulnerablen Gruppen mit Impfungen zu schützen, seien eine deutliche Entlastung des Gesundheitssystems sowie perspektivisch die Rücknahme von Restriktionen zu erwarten. Mertens sagte, es wäre eine denkbare Strategie der Länder, in Hotspots mit besonders vielen Infektionen zuerst zu impfen.
Die Stiko teilt die Bürger in unterschiedlich dringliche Kategorien ein, orientiert am Alter, an möglichen Vorerkrankungen und an den beruflichen Tätigkeiten. So folgen im Ranking später etwa jüngere Pflegekräfte, Bewohner von Asylbewerberheimen und Obdachloseneinrichtungen und "Personen mit prekären Arbeits- und Lebensbedingungen", etwa in der Fleischindustrie. In der nächsten Gruppe finden sich dann etwa Lehrerinnen, Erzieherinnen, Polizisten und Feuerwehrleute. Als letzte Impflinge sind "normale" Bürgerinnen und Bürger vorgesehen, die jünger als 60 Jahre alt sind.
Die Diakonie betonte, bei der Impfstrategie dürfe man "aber auch nicht die große Zahl der pflegenden Angehörigen vergessen". Angehörige, die mit einem pflegebedürftigen oder behinderten Menschen zusammenleben und mit ihm zur Impfung kommen, müssten gleich mitgeimpft werden, sagte Diakoniechef Ulrich Lilie. "Das Netz der sorgenden Familien trägt - unbemerkt vom Rampenlicht - in diesen Tagen eine große Last. Wir müssen es im Interesse aller stärken und immun gegen das Virus machen." Und er ergänzte: Menschen mit Behinderungen in Gemeinschaftseinrichtungen sowie schutzbedürftige Menschen in solchen Unterkünften benötigten ebenfalls raschen Zugang zur Impfung.
Kritik kommt von der FDP. "Menschen mit Behinderungen werden bei der Corona-Impfung übergangen. Insbesondere Menschen mit Schwer- und Mehrfachbehinderungen sowie ihre Pflegerinnen und Pfleger müssen schnellstmöglich Zugang zum Impfstoff erhalten", sagte der teilhabepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Jens Beeck. Sie tauchten nicht bei der sehr hohen Priorität in den Impfempfehlungen auf. "Das ist nicht hinnehmbar. Menschen mit einem Pflegegrad von 4 oder höher müssen daher wie andere vulnerable Gruppen ebenfalls eine sehr hohe Priorität beim Zugang zu Impfungen erhalten."
Bevor aber überhaupt mit den Impfungen begonnen werden kann, muss die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) die Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna zulassen. Das will sie nach eigenen Angaben bis zum 29. Dezember erledigt haben. Realistisch ist also davon auszugehen, dass die Impfungen erst im neuen Jahr beginnen, denn noch muss das Gesundheitsministerium seine Verordnung in Kraft setzen.
Die Stiko-Empfehlungen fügen sich ein in die vorläufige Nationale Impfstrategie, die bereits einen Zwei-Stufen-Plan enthält. Zunächst werden von mobilen Teams der Impfzentren Pflegeheimbewohner und Menschen mit Behinderungen sowie deren Betreuerinnen und Betreuer und etwa Klinikpersonal geimpft. In der zweiten Phase kommt die erwachsene Bevölkerung an die Reihe. Hier übernehmen auch niedergelassene Ärzte und Betriebsärzte das Impfen. Im Sommer, so das Ministerium, würden vermutlich genügend Impfdosen zur Verfügung stehen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte, zunächst eine kleinere Gruppe von Menschen in den Fokus zu nehmen. "Über acht Millionen Menschen scheinbar gleichberechtigt bei der Priorität auf Nummer eins zu setzen, kann nicht funktionieren", erklärte Vorstand Eugen Brysch. Deshalb müssten zunächst die Pflegebedürftigen und Schwerstkranken die Chance auf eine Impfung bekommen. Erst danach seien Menschen an der Reihe, die in medizinischen und pflegerischen Bereichen arbeiteten. Wenn die Bundesregierung jetzt von dieser klaren Rangfolge abweiche, mache das Pflegebedürftige "schnell zu Verlierern beim Kampf um die erste Impfung".
Berlin (epd). Die Zulassung von Corona-Impfstoffen ist auf der Zielgeraden. Auch Deutschland bereitet sich darauf vor. Im Mittelpunkt steht die Frage, wer zuerst geimpft werden soll. Dazu hat jetzt die Ständige Impfkommission (Stiko) beim Robert Koch-Institut erste Empfehlungen publiziert. Diese sind Grundlage der ausstehenden Impfverordnung, die das Bundesgesundheitsministerium vermutlich noch im Dezember erlässt. Der Evangelische Pressedienst (epd) erläutert, welche Bedingungen erst erfüllt sein müssen, welche Gruppen priorisiert werden und wo noch Schwierigkeiten liegen.
Warum gibt es noch keinen offiziellen Starttermin für die Massenimpfungen?
Weil es noch keinen von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassenen Impfstoff gibt. Die Zulassung aber ist nötig, bevor das Bundesgesundheitsministerium per Rechtsverordnung festlegt, in welcher Reihenfolge geimpft wird. Die EMA prüft derzeit zwei Vakzine.
Warum ist die bereits erarbeitete Impfstrategie des Gesundheitsministeriums noch in einem vorläufigen Status?
Das Ministerium lässt sich bei seinen Überlegungen von Experten beraten, so etwa von der Stiko, die am 7. Dezember erste Empfehlungen für die Reihenfolge der Impfungen festgelegt hat. Diese sind nötig, weil es anfangs nicht genug Impfdosen gibt.
Auf welcher Grundlage werden die Corona-Impfungen erfolgen?
Rechtliche Basis ist eine Verordnung des Ministeriums, die jetzt nach Vorlage der Stiko-Empfehlungen erarbeitet werden kann. Das soll bis Ende des Monats geschehen.
Welche Reihenfolge bei den Impfungen empfiehlt die Stiko?
Aufgrund von begrenzter Impfstoffverfügbarkeit sollen alle Menschen im Alter von über 80 Jahren, Heimbewohner, Pflegekräfte im ambulanten und stationären Bereich sowie Beschäftigte in Notaufnahmen und Covid-19-Stationen zuerst geimpft werden, ebenso andere Beschäftigte in Pflegeheimen, Personen mit Behinderungen und Demenzpatienten sowie deren Betreuungspersonal. Diese Personengruppen hätten ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe oder seien beruflich besonders exponiert oder hätten engen Kontakt zu besonders gefährdeten Menschen, hieß es. Die Stiko teilt die Bürger in unterschiedlich dringliche Kategorien ein, orientiert am Alter, an möglichen Vorerkrankungen und an den beruflichen Tätigkeiten. So folgen im Ranking später etwa jüngere Pflegekräfte, Bewohner von Asylbewerberheimen und Obdachloseneinrichtungen und "Personen mit prekären Arbeits- und Lebensbedingungen", etwa in der Fleischindustrie.
Wer folgt dann?
In der nächsten Gruppe finden sich dann etwa Lehrerinnen, Erzieherinnen, Polizisten und Feuerwehrleute. Als letzte Impflinge sind "normale" Bürgerinnen und Bürger vorgesehen, die jünger als 60 Jahre alt sind.
Welche Probleme bestehen?
Die größte Schwierigkeit besteht in der fachgerechten Verteilung der Impfstoffe. Das Vakzin des Herstellers Biontec/Pfizer muss bei minus 70 Grad gelagert und verteilt werden. Beim Impfstoff von Moderna, dem zweiten Anbieter, der die Zulassung bei der EMA beantragt hat, ist nur eine normale Kühlung nötig. Eine organisatorische Herausforderung ist die Aktion aber ganz unbestritten, zumal alle Impflinge zweimal in mehrwöchigem Abstand geimpft werden müssen. Zunächst werden Mobile Teams der Impfzentren ausschwärmen, denn viele Hochbetagte in Heimen und auch behinderte Menschen können nur in ihren Wohneinrichtungen immunisiert werden. Und: Noch sind die Bundesländer auf der Suche nach Ärzten und qualifiziertem Personal für die Impfzentren.
Wie viele Impfdosen werden gebraucht?
Diese Frage kann niemand beantworten. Denn das hängt von der Impfbereitschaft der Bürger ab, zu der es nur Umfrageergebnisse gibt. Laut einer Erhebung der Barmer Krankenkasse ist knapp über die Hälfte der Bevölkerung über 16 Jahren zu einer Corona-Impfung bereit. Um eine "Herdenimmunisierung" zu erreichen, sind das zu wenige. 42 Prozent der Befragten wollen ihre Kinder impfen lassen. 15 Prozent sagten, sie wollten sich vielleicht impfen lassen, 9 Prozent "eher nicht" und 13 Prozent "sicher nicht".
Wie will man einen Ansturm auf die Impfzentren vermeiden?
Das Gesundheitsministerium teilte dem epd mit, es solle ein einheitliches Terminmanagement geben, um lange Warteschlangen vor den Zentren zu vermeiden. Das Ministerium erarbeite zusammen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein standardisiertes Modul zur Terminvereinbarung für alle Impfzentren einschließlich der mobilen Impfteams. Dieses Modul soll ein freiwilliges Angebot an die Länder werden. Die können aber auch eigene Strukturen aufbauen. Zudem ist geplant, dass für bevorzugte Impfungen in den Zentren Atteste von Hausärzten vorgelegt werden müssen, aus denen hervorgeht, dass "ein krankheitsbedingt erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf in Bezug auf die Coronavirus-Krankheit-2019" vorliegt. Die Hausärzte lehnen dieses Verfahren rigoros ab, weil es die Praxen überfordern würde. Priorisierungsentscheidungen würden "quasi durch die Hintertür bei den Hausärztinnen und Hausärzten abgeladen".
Berlin (epd). Präsident Peter Neher betont im Interview, Behinderung sei keine Krankheit und nicht alle Betroffenen fielen folglich in die Hochrisikogruppe. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Senioren, Pflegekräfte und medizinisches Fachpersonal zuerst. Das rät die Stiko in ihrer jetzt vorgestellten Strategie zur Massenimpfung. Können Sie die Reihenfolge der Impfungen und die Begründung dafür nachvollziehen?
Peter Neher: Ja, wir finden die Vorschläge sinnvoll und nachvollziehbar. Der Impfstoff wird knapp sein, gerade wenn man bedenkt, dass jeder Geimpfte zwei Dosen braucht. Es würde also nicht helfen, dieser Liste noch andere Gruppen hinzufügen nach dem Motto "auch die und die müssen oben stehen", denn womöglich müsste man dann unter dieser Gruppe noch einmal Untergruppen bilden und innerhalb der Prioritätsgruppe priorisieren. Da wäre niemandem geholfen.
epd: Also stimmt die Reihenfolge?
Neher: Ja, ältere Menschen und diejenigen, die sie betreuen, sowie medizinisches Personal, das berufsbedingt dem Virus besonders ausgesetzt ist, müssen tatsächlich als Erste geimpft werden. Einziger Kritikpunkt: Nicht alle Pflegekräfte und ÄrztInnen werden in der ersten Phase geimpft, zum Beispiel nicht die Hausärzte.
epd: Menschen mit Behinderung, von denen ja auch viele Vorerkrankungen haben, gehören "nur" zur Gruppe mit hoher Priorität. Hat Sie das überrascht und halten sie diese Einschätzung für richtig?
Neher: Diese Kategorisierung halten wir für berechtigt. Die Kategorie "hohe Priorität" besagt, dass die betroffenen Menschen ein hohes Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Verlauf der Krankheit haben. Das ist sachlich korrekt. Behinderung ist aber für sich genommen keine "Erkrankung" und viele, aber nicht alle Menschen mit Behinderung haben Vorerkrankungen, die sie zu einer Hochrisikogruppe machen. Auch das Alter spielt eine große Rolle.
epd: Rechnet man alle Personen zusammen, die zur Gruppe mit sehr hoher Priorität zählen, dann kommt man auf über acht Millionen Personen. Die werden kaum innerhalb von wenigen Wochen geimpft werden können, das sind zu viele Impflinge. Muss man da noch mal neu priorisieren?
Neher: Aller Voraussicht nach wird es in der Tat eine Priorisierung der Priorisierung geben müssen. Wir wünschen uns, dass der Gesetzgeber diese Frage regelt. Solche Fragen müssen mit fachlicher Expertise letztlich im Parlament entschieden werden.
Berlin (epd). Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, hat sich dafür ausgesprochen, über die Prioritäten bei den Corona-Impfungen den Bundestag entscheiden zu lassen. "Die Empfehlungen der Stiko sind wissenschaftlich begründet und nachvollziehbar, ersetzen jedoch nicht eine ordentliche Befassung des Bundestags in dieser schwierigen Frage", sagte Schneider dem Evangelischen Pressedienst (epd). Angesichts der zunächst begrenzten Impfstoffkapazitäten müsse die Frage, wer prioritär Zugang erhält, gesetzlich normiert werden: "Das kann nicht einfach per Verordnung gelöst werden." Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung fordern Nachbesserungen bei der Impf-Riehefolge.
Wenn, wie derzeit angenommen, insgesamt erst einmal nur drei Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen, könnten in der ersten Impfgruppe zunächst nur 1,5 Millionen Menschen geimpft werden. "Im ersten Schritt muss also sogar noch über eine Priorisierung innerhalb der prioritären Gruppen entschieden werden - eine solch schwierige Entscheidung muss das Parlament diskutieren und legitimieren", betonte der Geschäftsführer.
Außerfrage steht für ihn dabei, dass neben besonderen Risikogruppen vorrangig das Personal in Einrichtungen und Diensten mit besonderem Schutzauftrag für vulnerable Gruppen berücksichtigt werden müsse.
Auch Menschen, die sich im häuslichen Bereich um hilfebedürftige Menschen kümmern, müssen laut Paritätischem Priorität im Zugang zu den Impfdosen haben: "Die Betreuung, Unterstützung und Pflege von Kranken, Pflegebedürftigen, Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen und auch Menschen in existenziellen Krisen- oder Notlagen muss sichergestellt bleiben." Deshalb, so Schneider, müssten auch alle, die Hilfe in der Pflege und Betreuung leisten, bei den Impfungen bevorzugt werden.
Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung forderten am 10. Dezember, dass Menschen mit schwerer mehrfacher Behinderung und hohem Unterstützungsbedarf in Institutionen ebenfalls in die Zugangsstufe "sehr hoch" eingruppiert werden, weil hre Risiken vergleichbar seien denen von Bewohnern und Bewohnerinnen von Altenpflegeheimen.
"Die von der Ständigen Impfkommission empfohlene Priorisierung sollte nach Auffassung der Fachverbände für Menschen mit Behinderung Gegenstand der nun im Entwurf vorliegenden Coronavirus-Impfverordnung werden", hieß es. Um eine zügige und nachvollziehbare Regelung im gesamten Bundesgebiet zu erreichen, sollten länderspezifische Priorisierungen möglichst vermieden werden.
Genf (epd). Selten herrschte unter den Staats- und Regierungschefs so viel Einigkeit. So gut wie alle Politiker beteuerten auf der Sondersitzung der Vereinten Nationen zu Covid-19: Jeder Erdenbewohner müsse gegen die schwere Krankheit immunisiert werden können, egal in welchem Land er lebe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte es so: Es dürfe nie vergessen werden, dass die Pandemie "nur dann überwunden werden kann, wenn alle Menschen weltweit einen fairen Zugang zu wirksamen Impfstoffen erhalten". UN-Generalsekretär António Guterres verlangte: Der Impfstoff müsse ein "globales öffentliches Gut" werden.
Doch ob das große Ziel einer universellen Impfung erreicht werden kann, bleibt auch wenige Tage nach der UN-Sondersitzung fraglich. Denn es klafft ein riesiges Finanzloch von rund 28 Milliarden US-Dollar in dem Programm der Weltgesundheitsorganisation, das den Zugang für alle zu einem Impfstoff organisieren soll.
Trotz ihrer wohlfeilen Appelle knausern die Regierungen beharrlich, wenn es um die Finanzierung des WHO-Projekts mit dem Namen Act Accelerator geht. Das Programm verfolgt das Ziel, weltweit die schnellstmögliche Bereitstellung von medizinischen Diagnoseinstrumenten, Medikamenten und eben Impfstoffen gegen Covid-19 sicherzustellen. Besonders in Entwicklungsländern sollen die Menschen mit Heilmitteln und Vakzinen versorgt werden. "Zahlungen an den Act Accelerator zu leisten ist nicht nur richtig, sondern auch intelligent, für alle Länder", wirbt WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Inzwischen haben sich fast alle Länder in den Act Accelerator eingeklinkt. In dem Programm wirken Experten führender Gesundheitsinstitutionen zusammen: Sie kommen von der Impfstoffallianz Gavi, dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria sowie Find, einer Organisation für die Bereitstellung von Diagnoseinstrumenten in armen Ländern. Auch die Weltbank und die milliardenschwere Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sitzen mit am Tisch.
Sie wollen sicherstellen, dass bis Ende 2021 große Vorgaben erreicht werden: Die Therapieabteilung des Act Accelerators soll ein Medikament gegen Covid-19 entwickeln, produzieren und verteilen. Die Menge: 245 Millionen Behandlungseinheiten. Die Impfabteilung Covax hat einen noch ehrgeizigeren Plan umzusetzen: Sie soll zwei Milliarden Impfdosen bereitstellen und verteilen. Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" begrüßen die Initiative gegen Covid-19. "Behandlungen und Impfungen dürfen nicht Gelegenheiten für Profit oder politische Kontrolle werden", betont Christos Christous, der Präsident der medizinischen Hilfsorganisation.
Insgesamt veranschlagt die WHO ein Budget von 38 Milliarden US-Dollar für den "Beschleuniger". Doch Anfang Dezember fehlte weit mehr als die Hälfte davon. Mehr als vier Milliarden Dollar werden dringend benötigt, um die Finanzierung für die nächsten Wochen sicherzustellen. Für 2021 wartet das Programm noch auf weitere rund 24 Milliarden Dollar. Falls das Geld nicht fließt, so heißt es düster aus der WHO, werden Menschen in etlichen armen Staaten Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente gar nicht oder sehr verzögert erhalten. Die Folgen wären eine "langwierige Pandemie" mit "ernsthaften ökonomischen Konsequenzen".
Das WHO-Programm leidet vor allem unter dem Ausscheren eines wichtigen Mitgliedslandes: Den USA. Die US-Amerikaner zahlten jahrelang die höchsten Beträge von allen 194 Mitgliedsländern in die WHO-Kassen ein. Doch der amtierende US-Präsident Donald Trump ordnete den Austritt seines Landes aus der WHO an und will auch nichts vom Act Accelerator wissen.
Zwar plant Trumps gewählter Nachfolger Joe Biden den Austrittsprozess der USA aus der WHO zu stoppen. Doch ob und wie viel Geld die USA unter Biden dem "Beschleuniger" geben werden, muss sich weisen. "Noch haben wir keine Diskussionen mit ihnen geführt", betonte WHO-Chef Tedros mit Blick auf die nächste US-Regierung.
Unterdessen verbreitet sich auch bei Nichtregierungsorganisationen die Angst, dass arme Länder bei den Impfungen ins Hintertreffen geraten. Reiche Staaten sicherten sich derzeit so viele Impfungen, dass bei einer Zulassung fast drei Mal mehr vorhanden wäre als zur Immunisierung der dortigen Bevölkerung nötig, erklärte die "People's Vaccine Alliance" am 9. Dezember. Fast 70 arme Länder könnten hingegen im kommenden Jahr nur jede zehnte Person impfen, wenn der Entwicklung nicht gegengesteuert werde.
Der Zusammenschluss von Aktivisten und Organisationen wie Amnesty International, Oxfam oder Global Justice Now analysierte Daten zu Vereinbarungen zwischen den einzelnen Staaten und den Herstellern der acht führenden Impfstoff-Kandidaten. Demnach wären 67 Länder mit geringem oder mittlerem Einkommen weit abgeschlagen bei der Verfügbarkeit von Impfdosen für ihre Bevölkerung.
Berlin (epd). Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert finanzielle Zuschüsse des Staates für haushaltsnahe Dienstleistungen. Damit solle dieser Bereich aus der Schwarzarbeit geholt werden, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Außerdem würde so die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert. Nach den Vorstellungen Piels könnte der Lohnzuschuss für eine Arbeitsstunde, etwa für Putzarbeiten oder die Unterstützung pflegebedürftiger Menschen in ihren eigenen vier Wänden, bei 15 Euro liegen. Mit den geltenden Regelungen zur steuerlichen Absetzbarkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen könnten sich Normalverdiener Haushaltshilfen dauerhaft nicht leisten.
"Bei den haushaltsnahen Dienstleistungen ist Schwarzarbeit die Regel, nicht die Ausnahme", sagte Piel. Die Beschäftigten leisteten diese Arbeit oft zu niedrigen Löhnen und schlechten Bedingungen und seien bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter nicht abgesichert. Piel mahnte bei der Bundesregierung an, der im Koalitionsvertrag erklärten Absicht, haushaltsnahe Dienstleistungen stärker zu fördern, nun auch Taten folgen zu lassen.
Das DGB-Vorstandsmitglied betonte, Ziel sei nicht, "wahllos jedem Haushalt Unterstützung zu finanzieren". Es gehe vielmehr darum, den großen und weiter wachsenden Bedarf an Hilfsleistungen für Privathaushalte in einen legalisierten Arbeitsmarkt und professionalisierten Dienstleistungssektor zu überführen. Nach wissenschaftlichen Prognosen sei bis 2030 die stärkste Expansion in personenbezogenen Dienstleistungen zu erwarten, darunter fallen Tätigkeiten in den Bereichen Bildung und Erziehung, Gesundheit und Pflege sowie in der Hauswirtschaft. Dieser Bereich sollte künftig nicht durch einen grauen Markt, sondern durch "gute Arbeit, sichere Einkommen sowie Aufstiegs- und Karrierechancen für die Beschäftigten" geprägt sein, sagte Piel.
Die staatliche Förderung könnte nach der Prognose des DGB rund 1,45 Millionen legale und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen. Außerdem könnten dadurch viele Frauen, insbesondere Mütter, ihre Erwerbsarbeit ausweiten. "Viele reduzieren ihre Arbeitszeit, weil sie in der Familie den Löwinnenanteil in Haushalt, Kindererziehung und Pflege schultern müssen", sagte Piel. In den Lohnzuschüssen sieht die Gewerkschafterin daher "eine pragmatische Lösung für den Fachkräftemangel und für das Problem Altersarmut, von dem Frauen besonders betroffen sind".
"Das Erwerbspotenzial qualifizierter Frauen muss durch Entlastung im Haushalt besser genutzt werden", forderte DGB-Vorstand Piel. Viele Frauen seien mit steigenden beruflichen Herausforderungen und gleichzeitig zunehmenden Aufgaben für die Familie überlastet. In dieser Situation suchten sie "den Ausweg in Teilzeitbeschäftigung - doch dieser Schritt ist oft nicht selbstbestimmt". Mit legalen Haushaltshilfen, die diese Familien sich aufgrund der staatlichen Zuschüsse dann auch leisten könnten, wäre den Familien, den Frauen, aber auch der Wirtschaft geholfen, ist die Gewerkschafterin überzeugt.
Der DGB sieht vor allem bei Haushalten mit Kindern und zu betreuenden Angehörigen Unterstützungsbedarf. Wenn jeder dieser insgesamt 28,8 Millionen Haushalte zwei Dienstleistungsstunden pro Woche in Anspruch nimmt, wären das laut DGB jährlich knapp drei Milliarden Dienstleistungsstunden. Eine Subventionierung jeder Arbeitsstunde brächte dem Staat jährliche Zusatzkosten in Milliardenhöhe. Dies sieht Piel jedoch gelassen, denn "den Kosten stehen Mehreinnahmen bei der Steuer und den Sozialversicherungen sowie weitere indirekte Einnahmen im Staatshaushalt gegenüber". Ein solcher Zuschuss sei also finanzierbar.
Berlin (epd). Das Vertrauen in Politik und Institutionen ist bei Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland laut einer Studie mindestens genauso groß oder höher ausgeprägt als im Rest der Bevölkerung. Wie aus dem am 9. Dezember in Berlin vorgestellten "Integrationsbarometer" hervorgeht, vertrauen beide Gruppen beispielsweise der Polizei jeweils zu gut 85 Prozent "voll" oder "eher". Der Anteil der Menschen, die der Polizei "voll" vertrauen, ist bei Menschen mit Migrationshintergrund sogar mit 47,1 Prozent höher als bei denen ohne Migrationshintergrund (36,9 Prozent). Insgesamt zeigt die Studie, dass während der Corona-Pandemie das Vertrauen aller Menschen in Deutschland in die Politik gestiegen ist.
Für das "Integrationsbarometer" hat der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration rund 15.000 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund im November 2019 und im August 2020 befragt, in jedem Bundesland dabei jeweils mindestens 500 Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Ausnahme waren wegen des geringen Migrantenanteils die ostdeutschen Bundesländer, wo das Mindestmaß Befragter mit Migrationshintergrund bei 300 lag.
Beim Vertrauen in die Polizei zeigt sich der Studie zufolge ein Unterschied dabei, ob die Befragten selbst Benachteiligung durch die Polizei erfahren haben. So sagen etwa nur 35 Prozent der Zuwanderer, die sich durch Polizisten benachteiligt fühlten, dass sie der Polizei "voll" vertrauen. Bei denjenigen ohne Diskriminierungserfahrung waren es 55 Prozent. Über Benachteiligung durch Polizisten klagen den Angaben zufolge dabei vor allem Türkeistämmige.
Durch die Befragungszeitpunkte vor und nach Beginn der Corona-Pandemie erlaubt die Studie einen Blick in die Veränderung von Einstellungen im Laufe des Jahres. Dem "Integrationsbarometer" zufolge ist dabei sowohl bei Menschen mit als auch ohne Migrationshintergrund das Vertrauen in die Demokratie und Politik in der Pandemie gewachsen. So gaben 63 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund vor der Pandemie an, der Politik zu vertrauen. Während der Pandemie waren es 68. Bei den Menschen ohne Migrationshintergrund stieg der Wert von 51 Prozent im November 2019 auf 65 Prozent im August dieses Jahres.
Die höheren Werte bei Menschen mit Migrationshintergrund erklärt die Studie mit einem "Honeymoon-Effekt" bei Zuwanderern. Insbesondere Zuwanderer aus nicht-demokratischen Ländern "empfinden das Leben in einer freiheitlichen Gesellschaft als Erleichterung, bevor die Mühen der Ebene kommen", sagte der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Markus Kerber, dessen Haus das "Integrationsbarometer" in diesem Jahr erstmals gefördert hat.
Die Zunahme von Vertrauen in die Politik bei Alteingesessenen auf insgesamt niedrigerem Niveau erklärte Diehl mit einem "Alt-Ehe-Effekt", bei dem man zwischenzeitlich genervt gewesen sei. Mit der Pandemie habe die Beziehung einen Schock erlitten und nun wisse man wieder mehr, was man hat, sagte sie.
Das in der Studie gemessene Integrationsklima ist verglichen zu 2018 stabil geblieben mit leichter Tendenz zum Positiven. Demnach bewertet eine Mehrheit in allen Gruppen das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft in Deutschland positiv. Vor allem Männer, die Zuwanderung in der Vergangenheit kritischer gesehen haben als Frauen, schätzen die Situation den Angaben zufolge heute positiver ein als noch vor zwei Jahren.
Frankfurt a.M. (epd). Die staatlichen Hilfspakete zur Abfederung der Pandemie-Folgen haben laut Studien dafür gesorgt, dass trotz zum Teil hoher finanzieller Einbußen die Ungleichheit bei den verfügbaren Einkommen der Bürger nicht zugenommen hat. So seien die erzielten Einkommen der Haushalte in der Corona-Krise zwar pro Person und Monat um durchschnittlich 107 Euro gesunken, wie das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln am 10. Dezember mitteilte. Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben sowie unter Berücksichtigung der staatlichen Transferleistungen habe sich das verfügbare Einkommen aber lediglich um zwölf Euro reduziert.
Die Haushalte in den beiden niedrigsten Einkommensbereichen hätten sogar etwas mehr Geld als im Vorjahr gehabt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das ifo Institut in München. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung widerspricht.
19 Prozent der Befragten sagten laut IW-Studie, dass sich ihre finanzielle Situation im Zuge der Corona-Krise etwas verschlechtert hat, weitere fünf Prozent sprachen von einer starken Verschlechterung. Weniger als fünf Prozent nahmen demnach eine finanzielle Verbesserung wahr. Die Erwerbstätigen, die besonders starke Einbußen verzeichneten, seien überproportional stark im unteren Bereich der Einkommen vertreten gewesen.
Durch die Maßnahmen und Hilfsprogramme der Politik, darunter höhere Regelsätze zur Grundsicherung, mehr Unterstützung bei Wohngeld und Kinderzuschlag, zeigten sich aber deutlich geringere Verluste in der Einkommensverteilung, erklärte IW-Direktor Michael Hüther. Auch das Kurzarbeitergeld habe dazu beigetragen, dass sich die Ungleichheit bei den verfügbaren Einkommen trotz Pandemie und erstem Lockdown nicht erhöht hat.
Unter Einrechnung aller Maßnahmen hätten die Haushalte im Schnitt nur noch weniger als 0,7 Prozent ihres verfügbaren Haushaltseinkommens pro Kopf verloren. Vor allem die Einkommen der Mitte und des unteren Bereichs seien durch die staatlichen Maßnahmen stabilisiert oder leicht gesteigert worden.
Nach einer gemeinsamen Untersuchung kommen das Münchner ifo Institut und das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zu der Erkenntnis, dass durch Corona das Bruttoeinkommen insgesamt um rund drei Prozent gesunken sei. Bei den unteren zehn Prozent der Einkommen betrage der Rückgang sogar 4,3 Prozent. Aufgrund der getroffenen sozialpolitischen Maßnahmen liege die Verringerung jedoch im Durchschnitt nur bei 1,1 Prozent. Dabei beziehen die Ergebnisse den Angaben zufolge die Entwicklungen bis September ein, also vor der starken Zunahme des Infektionsgeschehens seit Oktober 2020.
Zu anderen Resultaten kam dagegen die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. So seien Erwerbspersonen mit vorher niedrigem Einkommen im Verlauf der Pandemie weitaus häufiger von Einbußen betroffen als Menschen mit hohem Einkommen - und sie hätten zudem relativ am stärksten an Einkommen verloren, erklärte die Stiftung in Düsseldorf mit Verweis auf eine bereits im November vorgestellte Befragung der Stiftung.
Derzeit führe das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Stiftung eine Befragung unter Erwerbstätigen zu den Auswirkungen des seit November geltenden "Lockdown light" durch. Die ersten Ergebnisse erhärteten die Einschätzung, dass die Ungleichheit zwischen hohen und niedrigen Einkommen in Deutschland zunehme, sagte die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch.
IW-Direktor Hüther warnte selbst vor einer Überinterpretation der Ergebnisse seines Instituts. Die IW-Studie gehe davon aus, dass jeder Berechtigte die staatlichen Transferleistungen vollständig in Anspruch nehme. Das sei in der Realität aber "nicht immer der Fall".
Für die Studie hatte das IW im August mehr als 1.200 Personen zu ihren Einkommensänderungen durch die Corona-Pandemie befragt. Die Ergebnisse wurden mit Haushaltsbefragungsdaten des sozio-oekonomischen Panels kombiniert.
Mit Blick auf das kommende Jahr und den mittlerweile entwickelten Impfstoffen gegen Corona äußerte der IW-Direktor die Hoffnung, dass eine "schnelle Gesundung des Arbeitsmarktes" und eine Stabilisierung der Einkommen möglich sei. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte müsse im Zuge der wirtschaftlichen Konsolidierung wieder zurückgefahren werden. Bei dem Weg aus der Krise seien Steuererhöhungen aber "kontraproduktiv", sagte Hüther.
Berlin (epd). Bis Weihnachten sollen die ersten FFP2-Schutzmasken gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus an über 60-Jährige und Risikogruppen ausgegeben werden. Einer Verordnung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zufolge erhalten 27,3 Millionen zur Gruppe der Risikopersonen zählende Bürgerinnen und Bürger zunächst jeweils drei Masken in den Apotheken. Spahn sagte am 9. Dezember in Berlin, man habe sich für diese pragmatische Lösung entschieden, um den Schutz noch vor Weihnachten zu ermöglichen. Die Stiftung Patientenschutz kritisierte die hohen Kosten, die Caritas den Kreis der Berechtigten.
Gesundheitsminister Spahn hatte vor kurzem erklärt, die Verteilung der versprochenen 15 Masken pro Person - insgesamt 400 Millionen - könne sich bis weit in den Dezember hinziehen. Nun sollen die ersten Masken vor Weihnachten verteilt werden, der Rest bis Mitte April nächsten Jahres. Für die ersten drei Masken muss in der Apotheke nur der Personalausweis vorgelegt werden. Spahn hofft, dass Missbrauch dadurch minimiert wird, dass die Apotheker ihre Kundschaft kennen. Im kommenden Jahr werden dann noch zweimal jeweils sechs Masken pro Person verteilt. Dafür sind fälschungssichere Coupons vorzulegen, die von den Krankenkassen verschickt werden. Sie hätten laut Spahn bis Weihnachten nicht mehr gedruckt und verteilt werden können.
Den Anspruch auf die Extra-Masken haben privat und gesetzlich Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet haben oder chronische Erkrankungen haben wie eine schwere Krebserkrankung, Lungen-, Herz- oder Nierenerkrankungen. Die Zuzahlung für sechs Masken beträgt zwei Euro. Die Apotheker, die sie im Großhandel bestellen und bereithalten müssen, erhalten pro Maske sechs Euro Honorar.
Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte einen "warmen Geldregen" für die Apotheker. Das Geld für die Apotheker wäre in Schnelltests für die Altenpflege besser angelegt, sagte Brysch. Es sei aber gut, dass sich die Menschen mit den Masken schützen könnten.
"Das ist sicher gut gemeint, schießt aber klar übers Ziel hinaus", sagte Caritas-Präsident Peter Neher. Menschen mit gutem Einkommen brauchten diese Unterstützung nicht. "Die damit verbundenen Ausgaben für die Allgemeinheit sind nicht sinnvoll eingesetzt. Die Abgabe von Masken sollte sich auf die beschränken, die sich keine gut schützenden Masken leisten können", sagte Neher.
Es gibt laut Neher Bevölkerungsgruppen, die auf eine Verteilung durch den Staat dringend angewiesen sind. "Neben Personen mit niedrigem Einkommen sind das zum Beispiel Wohnungslose und Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten." Die geplante Abwicklung über die Krankenkassen erlaube es nicht, diese Menschen zu erreichen. Der Deutsche Caritasverband spreche sich in diesen Fällen für eine unbürokratische Abgabe in den Einrichtungen und Diensten aus, die diese Personen begleiten und betreuen.
Dem Bund entstehen laut der Rechtsverordnung aus dem Bundesgesundheitsministerium für die Verteilung der Masken Kosten in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Den Ausgaben stehe die Vermeidung von Behandlungskosten für schwere Krankheitsverläufe und Krankenhauseinweisungen gegenüber, heißt es in der Verordnung.
Bund und Länder hatten vor zwei Wochen vereinbart, dass Risikogruppen die Schutzmasken ab Anfang Dezember gegen eine geringe Eigenbeteiligung zur Verfügung gestellt bekommen. FFP2-Masken filtern Partikel aus der Luft und schützen damit deutlich besser vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus als die sogenannten Alltagsmasken. Im Handel sind FFP2-Masken ab zwei Euro pro Stück erhältlich. Zertifizierte Masken, wie sie in den Apotheken verteilt werden sollen, kosten aber etwa das Doppelte.
Berlin (epd). Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, hat zusammen mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Handreichung für Besuchskonzepte in Pflegeheimen vorgestellt. Ziel sei es, dass Bewohner und Bewohnerinnen auch während der Pandemie trotz des notwendigen Infektionsschutzes Besuche erhalten können, sagte Westerfellhaus am 4. Dezember in Berlin. Die Opposition rügte, die Richtschnur komme zu spät. Sozialverbände kritisierten, das Papier enthalte keine Angaben über die noch immer fehlenden Schnelltests.
"Autonomie und Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner dürfen auch in einer Pandemie nicht in Frage gestellt werden", sagte Westerfellhaus. Er sprach von einer "pragmatische Handreichung", die Grundlage sein solle für praxistaugliche Besuchskonzepte. Sie gebe den Einrichtungen "konkrete Informationen an die Hand, welche Regelungen in welcher Situation aus Expertensicht sinnvoll und welche weniger nützlich sind". Es sei eine Orientierung, keine rechtsverbindliche Vorschrift.
Der Leitfaden wurde in Zusammenarbeit mit den Verbänden der Einrichtungsträger und der Menschen mit Pflegebedarf sowie dem Expertenrat des Robert Koch-Instituts (RKI) entwickelt. Die Startauflage von 14.000 Exemplaren der Handreichung soll jetzt an Alten- und Pflegeheime verschickt werden und ist auch auf der Internetseite des Pflegebeauftragten abrufbar.
Spahn betonte, man wolle Ältere und Pflegebedürftige bestmöglich vor Infektionen schützen. "Aber wir wollen sie nicht wegsperren. Der Kontakt zu Angehörigen und Freunden soll weiterhin möglich sein."
Die Caritas begrüßte die Richtlinien: "Gute Besuchskonzepte, die Wege durch die Einrichtung klar definieren, unnötige Kontakte vermeiden und Abstandsregeln beschreiben, leisten einen großen Beitrag zum Schutz der Risikogruppe der älteren, pflegebedürftigen Menschen und der Mitarbeitenden", betonte Eva-Maria Güthoff, Vorsitzende des Verbandes katholischer Altenhilfe in Deutschland: "So kann die Versorgung auch in der Pandemie sichergestellt werden."
Es ist sei fraglich, ob die Handreichung die Isolation der 900.000 in Heimen lebenden Menschen verhindern könne, erklärte dagegen die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Vor Ort fehlten systematische PCR-Tests und ergänzend tägliche Schnelltests für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Besucher. "Doch hier personell und finanziell zu unterstützen, dazu findet sich nichts in dem rechtlich unverbindlichen Papier der Bundesregierung."
Kordula Schulz-Asche, Grünen-Sprecherin für Alten- und Pflegepolitik, sagte, der Leitfaden komme viel zu spät. "Er hätte schon vor Wochen da sein müssen, denn spätestens seit den steigenden Neuinfektionen in den Herbstmonaten stehen die Pflegeeinrichtungen im öffentlichen Fokus." Ob die Richtlinien tatsächlich hilfreich seien, werde sich in der Praxis zeigen müssen. "Pflegebedürftige haben ein Recht auf Kontakt mit ihrem Familien- und Freundeskreis."
Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), gehen die derzeitigen Beschränkungen indes noch nicht weit genug. "Menschlicher Kontakt ist wichtig", sagte Meurer. Bei der Organisation von Besuchen in Pflegeheimen müsse aber immer die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner und die Belastungsgrenzen der Pflegenden in den Mittelpunkt gestellt werden. Er sprach sich dafür aus, täglich nur einen Gast pro Heimbewohner zuzulassen und den Einrichtungen zu gestatten, "eine auf die jeweilige Situation angepasste tägliche Höchstzahl an Besuchen" festzulegen.
Würzburg (epd). Als Philipp vor etwas mehr als sechs Jahren eine Hausarztpraxis aufsucht, denkt er nicht im Traum an solch eine Diagnose. Er hat Probleme mit der Haut und sein Allgemeinbefinden ist seit einiger Zeit nicht so gut. Auch als die Ärztin ihm nicht einfach bloß eine Creme verschreibt, sondern einen HIV-Test macht, hat Philipp keine Vorahnung. Einige Tage später steht das Testergebnis fest, und für den damals 24-Jährigen bricht eine Welt zusammen: HIV-positiv. Seit sechs Jahren lebt der Mann aus Unterfranken mit dem lebensgefährlichen Virus. "Heute geht es mir gut", sagt Philipp.
Bis heute weiß Philipp nicht genau, wann und wo er sich mit dem Virus infiziert hat. Aber eine Vermutung hat er. Anfang des Jahres 2014 besucht er eine Schwulensauna in Frankfurt am Main. "Klar bin ich aufgeklärt worden, aber mir war in diesem Moment nicht klar, dass ich ein Risiko eingehe", erinnert er sich. Philipp hat mit einem Mann Sex, den er nicht kennt und danach nie wieder sieht. Ein halbes Jahr später, im August, erhält er seine Diagnose. "Ich war dumm, ich war naiv, ich habe nicht aufgepasst: Die Frage nach dem Warum begleitet mich jetzt mein Leben lang."
In Deutschland leben nach aktuellen Schätzungen rund 90.000 Personen, die HIV-positiv sind, davon sind gut 80 Prozent Männer. Dazu gehören auch Menschen, die von ihrer Infektion nichts wissen, sagt Michael Koch, der Leiter der HIV- und Aids-Beratungsstelle Unterfranken der Caritas. "Das sind Menschen wie Philipp vor sechs Jahren, die sich angesteckt haben, das aber nicht ahnen." Dass die Infektion bei dem jungen Mann schnell entdeckt wurde, sei sehr erfreulich: "Manchmal dauert das auch viele Jahre."
Genau das ist auch das Problem, warum die HIV-Infektionszahlen seit Jahren zwar leicht sinken, aber nicht gegen Null gehen. Denn die unwissend Infizierten geben das Virus weiter. Bei Philipp etwa ist das nahezu ausgeschlossen. Er macht eine Antiretrovirale Therapie (ART), täglich nimmt er Tabletten, die die Vermehrung des Virus beinahe völlig blockieren. Alle drei Monate wird bei einem Check überprüft, wie hoch die Zahl der HI-Viren ist. "Sie sind eigentlich nicht mehr nachweisbar", sagt Philipp. Und das heißt, dass er das Virus momentan nicht mehr weitergeben kann.
Diese medizinischen Fortschritte sind Fluch und Segen zugleich. Sie ermöglichen HIV-Infizierten ein normales Leben mit einer ganz normalen Lebenserwartung. Aber sie nehmen dem lebensgefährlichen Virus auch in gewisser Weise den Schrecken. "Die schlimmen Bilder von Aids-Kranken aus den 1980er Jahren, die kennt heute kaum noch jemand - vor allem nicht die jüngeren Menschen", sagt Koch. Das HI-Virus verschwinde immer mehr aus dem öffentlichen Blickfeld. Dabei sind HIV und die Folgekrankheit Aids weltweit nach wie vor eine pandemische Seuche mit Millionen Toten weltweit.
Das liegt auch daran, dass Millionen Betroffener weltweit nicht den gleichen Zugang zu Medikamenten haben wie etwa Philipp. Er wünscht sich, dass die Menschen "entspannter" mit HIV-Infizierten umgehen. Es brauche mehr Aufklärung, dass HIV nicht automatisch Aids bedeute und nicht zwangsläufig tödlich ende. Gerade die Aufklärungsarbeit ist durch die Corona-Pandemie momentan stark beeinträchtigt, sagt Beratungsstellenleiter Koch: "Und auch unsere Klienten können teilweise nicht mehr zu uns kommen. Wir beraten jetzt eben vermehrt online und per Telefon."
Es gebe auch noch weitere Verknüpfungen zwischen HIV und Covid-19, sagt Koch. Nur wegen der Erkenntnisse aus der jahrzehntelangen HIV-Grundlagenforschung sei es nun möglich gewesen, in so kurzer Zeit Corona-Impfstoffe zu entwickeln.
Hannover (epd). Ein unabhängiger Forschungsverbund hat mit der Untersuchung von Strukturen und Mustern sexualisierter Gewalt und Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche begonnen. Ziel des Forschungsprojektes sei eine Gesamtanalyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die sexualisierte Gewalt begünstigen und ihre Aufarbeitung erschweren, teilte die Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 4. Dezember in Hannover mit. Mit der Untersuchung soll eine empirische Basis für weitere Aufarbeitungsschritte entstehen. Ergebnisse der Studie sollen im Herbst 2023 vorliegen.
Der Präsident des EKD-Kirchenamtes in Hannover, Hans Ulrich Anke, betonte, dass alle 20 evangelischen Landeskirchen hinter der Untersuchung stünden. "Von der Aufarbeitungsstudie erhoffen wir uns, ein umfangreiches Bild über Fehler der Vergangenheit und Gegenwart sowie besondere Risiken zu bekommen, um unsere Gemeinden und Einrichtungen zu einem noch sichereren Ort für Kinder und Jugendliche zu machen", sagte er. Die EKD beteiligt sich finanziell mit 3,6 Millionen Euro an der Untersuchung.
Die Studie soll aus fünf themenbezogenen Teilprojekten bestehen. Der Forschungsverbund wird von Martin Wazlawik von der Hochschule Hannover koordiniert, der sich auf Kinder- und Jugendhilfe spezialisiert hat. An dem Forschungsverbund ForuM sind neben der Hochschule Hannover die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, die Bergische Universität Wuppertal, die Freie Universität Berlin, das Institut für Praxisforschung und Projektberatung München, das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim sowie die Universität Heidelberg beteiligt.
Das Forschungsvorhaben überzeuge durch die Interdisziplinarität der Forschenden und das Element der Betroffenenpartizipation, sagte der neue Sprecher des Beauftragtenrates der EKD zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, Christoph Meyns, der auch Braunschweiger Landesbischof ist. Denn eine wissenschaftliche Aufarbeitungsstudie könne ohne die Mitwirkung Betroffener keine aussagekräftigen Ergebnisse liefern.
Mit der wissenschaftlichen Studie wird ein weiterer Punkt des auf der EKD-Synode 2018 beschlossenen 11-Punkte-Plans umgesetzt. Die Gründung eines Betroffenenbeirats, die Verabschiedung einer Gewaltschutzrichtlinie und die Zusammenarbeit mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, sind ebenfalls unter den Punkten. Die katholische Kirche hatte die sogenannte MHG-Studie zum Missbrauchsskandal im September 2018 veröffentlicht. 881 Fälle sexualisierter Gewalt sind laut EKD derzeit im Bereich der EKD und der Diakonie seit etwa 1950 bekannt.
Verbundkoordinator Wazlawik verwies auf die wissenschaftliche Unabhängigkeit. Der Forschungsverbund agiere unabhängig von der evangelischen Kirche, und es sei vertraglich gesichert, dass der Abschlussbericht von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbstständig veröffentlicht werde. "Für Studien im Bereich sexualisierter Gewalt ist diese formelle und inhaltliche Unabhängigkeit elementar", sagte er.
Berlin (epd). Männer arbeiten einer Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zufolge fast doppelt so häufig mobil wie Frauen. Dem am 8. Dezember in Berlin vorgestellten DGB-Index "Gute Arbeit 2020" zufolge sind etwa 46 Prozent der männlichen Beschäftigten auch mobil tätig, während der Frauenanteil hier bei 25 Prozent liegt. Diese ungleiche Verteilung hänge unter anderem mit den Qualifikationen und Einkommen zusammen. So gelte generell: "Je höher der berufliche Status, desto häufiger wird mobil gearbeitet."
Bei Helfer- und Anlerntätigkeiten hätten bei der Umfrage 21 Prozent mindestens eine mobile Arbeitsform angegeben, bei hochkomplexen Tätigkeiten wie in Forschung, Entwicklung und Wissensvermittlung mehr als die Hälfte (53 Prozent). Ingesamt arbeiteten mehr als ein Drittel der abhängig Beschäftigten in Deutschland an mehreren Standorten. DGB-Chef Reiner Hoffmann erklärte, mobiles Arbeiten sehe dabei ganz unterschiedlich aus: Als Handwerker vor Ort bei Kunden oder als Pflegekraft bei Patienten sowie auf dem Bau, auf Dienstreise oder am heimischen Schreibtisch.
Dabei sei mobile Arbeit häufig auch mit hohen Belastungen verbunden. Arbeitszeiten von mehr als 48 Stunden pro Woche sind bei mobil Beschäftigten laut Index zwei- bis dreimal so häufig wie bei denen, die beruflich nicht viel unterwegs seien. Zugleich arbeiteten sie deutlich häufiger unbezahlt, weil nicht die vollständige Arbeitszeit angerechnet werde. Sie müssten zudem außerhalb der Arbeitszeit oft erreichbar sein. Ferner gibt es den Angaben nach in nur etwa einem Drittel der Betriebe, die mobile Arbeit anbieten, Betriebsvereinbarungen dazu.
Auf die Frage, ob sie gerne - zumindest gelegentlich - im Homeoffice arbeiten würden, antworteten 67 Prozent derer, die nicht von zu Hause aus arbeiten, mit Nein. Ja sagten wiederum 33 Prozent. Als Gründe gegen das Arbeiten zu Hause wurden unter anderem der Wunsch nach persönlichem Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen genannt sowie der Wunsch nach einer Trennung von Arbeit und Privatleben.
Für den Index werden seit 2007 einmal im Jahr abhängig Beschäftigte befragt. 2020 waren es von Januar bis Mai mehr als 6.000 Personen. Da sich die generelle Einschätzung der Arbeitsbedingungen im Verlauf der Befragung nicht wesentlich verändert habe, zeige sich in der Studie kein "Corona-Effekt".
Würzburg (epd). Früher durfte sie kommen, wann sie wollte: Roland T. (Namen geändert) freute sich jedes Mal sehr, seine Enkelin zu sehen. Überglücklich war er, wenn er einen Tag bei ihr verbringen konnte. Das ist seit Oktober nicht mehr möglich. Nun erfuhr der 79-Jährige, dass er wegen der Corona-Regeln seines Heims auch an Heiligabend nicht zu ihr darf. "Da hat er geweint", erzählt seine Enkelin Maria R.: "Es war das erste Mal, dass ich ihn weinen gehört habe."
Außenstehende würden sich keine Vorstellung machen, wie sehr Heimbewohner unter der Corona-Isolation leiden, meint Maria R., selbst examinierte Pflegekraft. Ihr Opa, bei dem die 31-Jährige aufgewachsen ist und zu dem sie eine innige Beziehung hat, habe sich in den letzten Monaten verändert: "Er ist frustriert, ich möchte sogar sagen depressiv." Neulich sagte er zu ihr: "Was soll's, was ich will, interessiert ja doch niemanden." "Solche Worte habe ich niemals zuvor von ihm gehört", berichtet die Pflegerin. Natürlich sei das Coronavirus gefährlich. "Doch man riskiert, dass sie letztlich an Einsamkeit sterben", sagt Maria R.
Um ihren Opa aus seiner Untergangsstimmung zu reißen, versucht Maria R. alles, dass ein Besuch an Weihnachten doch noch möglich würde. Sie organisierte ihre Arbeit so um, dass sie zwei Wochen vor Weihnachten ausschließlich im Homeoffice hätte tätig sein können, um so ihre Kontakte und damit auch das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Doch das Heim will keine Ausnahme zulassen. R. war fassungslos: "Selbst an Heiligabend darf ich ihn nur 30 Minuten im Heim besuchen, das ist doch nichts."
Der Staat schiebe die Verantwortung allein auf die Heime ab, moniert die Grünen-Landtagsabgeordnete Kerstin Celina, die auch sozialpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist. Auf ihre Initiative hin wurde ein Dringlichkeitsantrag in den Landtag eingebracht - darin war ein Bündel von Maßnahmen aufgelistet, das ein Weihnachten in Sicherheit und Geborgenheit für alle umsetzbar machen sollte. Dafür gab es aber keine Mehrheit. "Einsperren im Heim ist schlicht grundgesetzwidrig", sagt sie und appelliert an Angehörige, sich in solchen Fällen bei der örtlichen Heimaufsicht zu beschweren.
Das Münchner Kreisverwaltungsreferat teilt mit, dass kein Bewohner am Verlassen einer Einrichtung gehindert werden dürfe, solange keine etwaige Anordnung des Gesundheitsamts oder ein Gerichtsbeschluss vorliegt. "Das gilt auch für den Familienbesuch an Heilig Abend", sagt Sprecher Johannes Mayer. Die Münchner Heimaufsicht erhielt zwischenzeitlich mehrere Beschwerden aufgrund zu rigider Einschränkungen. "In manchen Fällen" seien unverhältnismäßige Besuchseinschränkungen festgestellt worden, erläutert er.
Matthias Matlachowski, Vorstand der Alzheimer-Gesellschaft in Bayern, weiß, dass demenziell erkrankte Menschen unter strengen Kontaktregeln besonders leiden: "Aber wir wissen auch, welcher Druck bei gleichzeitig nicht ausreichend vorhandenen Ressourcen auf nahezu allen Einrichtungen lastet." Der akute Personalmangel in der Pflege werde durch die Pandemie drastisch verschärft. Nun verließen zahlreiche frustrierte, demotivierte Mitarbeitende den Altenhilfesektor.
In den Heimen der Diakonie in Bayern soll eine so drastische Reglementierung wie ein Heimfahrverbot an Weihnachten wenn möglich verhindert werden. "Wir hoffen nicht, dass eine so gravierende Maßnahme in einer unserer Einrichtungen nötig sein wird", sagt der Sprecher des evangelischen Sozialverbandes, Daniel Wagner. Das sei allerdings jeweils abhängig vom lokalen Infektionsgeschehen. Die aktuelle Situation sei für Bewohnerinnen und Bewohner fraglos sehr schwierig, räumt Wagner ein: "Vor allem die Einsamkeit ist belastend."
Ein Familienbesuch an den Feiertagen dürfe nicht pauschal verboten werden, sagt die Landesseniorenvertretung Bayern (LSVB). Gerade an Weihnachten dürften Besuche im Heim nicht zu stark begrenzt sein. "Die Bewohner brauchen das, ihre Kinder und Enkel zu sehen", betont LSVB-Vorsitzender Franz Wölfl. Die Seniorenvertretung fordert, dass Sicherheitskonzepte grundsätzlich mit den Bewohnern abgestimmt werden: "Alte Menschen haben das Recht, selbst zu bestimmen." Fürsorge sei wichtig: "Doch sie darf nicht in Bevormundung umschlagen."
Bielefeld (epd). Die Weihnachtsbesuche stellen Senioreneinrichtungen vor große Herausforderungen. Einige Angehörige würden das Heim aus Sorge vor einer Ansteckung am liebsten komplett geschlossen halten, andere drängten auf die Besuche notfalls mit einem Anwalt, sagte der Leiter der Bielefelder Bethel-Einrichtung Haus Elim, Lars Kozian, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wichtig sei eine gute Kommunikation, dass die Besucher früh wüssten, welche Besuchsregelungen gelten und warum diese nötig seien.
Mittlerweile gebe es in vielen Pflege- oder Senioren-Einrichtungen Infektionen, erklärte Kozian. In seinem Haus seien bislang nur Mitarbeiter, die sich offenbar in ihrem privaten Umfeld angesteckt hätten, betroffen. "Wir konnten es aber so früh erkennen, dass sich bisher keine Bewohner angesteckt haben." Derzeit würden alle Bewohner sowie alle Mitarbeiter getestet. Haus Elim bietet 90 Pflegeplätze für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen, mit demenziellen Erkrankungen, gerontopsychiatrischen Beeinträchtigungen und für junge Menschen mit hoher Pflegebedürftigkeit an.
Besuche an den Weihnachtstagen sollen nach Worten Kozians über Anmeldungen koordiniert werden. Besucher werden auf Corona getestet und müssen eine FFP2-Maske tragen. Die Gottesdienste, zu denen sonst auch Angehörige eingeladen wurden, würden diesmal auf die Bewohner und die begleitenden Mitarbeiter begrenzt. Es würden aber diesmal mehr Gottesdienste mit jeweils weniger Besuchern angeboten. Da nicht gesungen werden dürfe, würden bekannte Weihnachtslieder mitgesummt und auf musiktherapeutischen Instrumenten begleitet.
Der Altenhilfe-Experte kritisierte, dass von der Politik der Eindruck vermittelt werde, dass Weihnachten ohne große Beschränkungen gefeiert werden könne und es keine harten Beschränkungen in Pflegeheimen geben werde. Das sei für alle, die in Heimen Verantwortung trügen, eine große Belastung: "Denn natürlich macht Corona keine Pause zu Weihnachten." Jeder Einkauf im Supermarkt, jede Fahrt mit der Straßenbahn und auch jeder Besuch in einem Pflegeheim erhöhe das Risiko.
Würzburg, Nürnberg (epd). Wer an den Weihnachtstagen einsam ist, das Fest aber trotzdem im Gemeinschaft verbringen möchte, hat vielerorts die Möglichkeit, sich einer öffentlichen Weihnachtsfeiern anzuschließen. Normalerweise. Doch solchen Plänen macht Corona oft ein Ende. So muss etwa die Weihnachtsfeier der ökumenischen Gemeinschaft Sant'Egidio in Würzburg, zu der in den vergangenen Jahren bis zu 1.500 Bedürftige, Geflüchtete, Einsame kamen, ausfallen. Es gibt keine Feier, dafür ein "To go"-Angebot. Das bieten sie in Nürnberg beim Obdachlosenfrühstück schon länger an.
Seit mehr als 30 Jahren ist das Obdachlosenfrühstück eine Institution der Nürnberger Innenstadt-Kirchengemeinden. Eine Erfolgsgeschichte aus traurigem Anlass. Und die gerät in diesem Jahr noch ein Stückchen trauriger. Rund 300 Menschen kommen seit Mitte März zum "Obdachlosenfrühstück to go" an das Nürnberger Haus der Kirche "eckstein" für ein warmes Getränk und eine Tüte Lebensmittel. An Heiligabend werden doppelt so viele erwartet, auch, weil die Feier für sozial Schwache in St. Jakob am 24. Dezember wegen Corona aus Platzgründen nicht möglich ist. Im eckstein soll es diesmal zusätzlich für die Gäste auch eine warme Mahlzeit zum Mitnehmen geben.
Der 25. Dezember ist wieder ein Freitag. Auch dann werden Projektkoordinatorin, Diakonin Ute Kollewe, und ihr Team den Menschen in der Schlange Tüten packen. "Das sind Leute wie Du und ich, sie haben eine Würde, und wir wollen sie auch so behandeln", erläutert Kollewe.
In München arbeitet der Katholische Männerfürsorgeverein an einem Ersatz für die Obdachlosen-Weihnachtsfeier. Die findet traditionell an Heiligabend im Hofbräuhaus statt. Rund 700 Gäste werden normalerweise von über 100 Ehrenamtlichen bewirtet, unter den geltenden AHA-Regeln ist das undenkbar. "Unser Plan war, das Essen in die Olympiahalle zu verlegen, um genug Platz zu haben", so die Organisatoren der Männerfürsorge. Das wurde nicht genehmigt. Man arbeite nun an einer "to go"-Variante.
Auch in der evangelischen Matthäuskirche am Sendlinger Tor gibt es für gewöhnlich ein Festessen für rund 350 Bedürftige. Dort hilft traditionell Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm beim Verteilen von Schweinebraten und Knödel mit. Man tue, "was möglich ist", sagt Pfarrer Thomas Römer von den Matthäusdiensten. Es werde einen gemeinsamen Gottesdienst am Mittag geben, anschließend bekommen ungefähr 150 Gäste ein Essen mit. "Unsere Idee, dass verschiedene Menschen unterschiedlicher Herkunft gemeinsam an einem Tisch sitzen, können wir momentan nicht leben", sagt er.
Auch in Regensburg wird es an Heiligabend nur "to go"-Varianten für Obdachlose und Hilfsbedürftige geben. Der Verein Strohhalm bereitet ab 14 Uhr ein warmes Drei-Gänge-Menü zum Mitnehmen. Rund 70 Gäste würden dort normalerweise von Ehrenamtlichen bewirtet. Aufgrund der Abstands- und Hygieneregeln sei das in den Vereinsräumen nicht möglich. Auch die Innenstadtseelsorge ist an Heiligabend aktiv. Nach einem Gottesdienst um 13.30 Uhr in der Basilika St. Emmeram werden im Pfarrgarten Essenpakete an etwa 100 Obdachlose und Hilfsbedürftige überreicht.
In Würzburg ist für viele bedürftige und einsame Menschen das Weihnachtsfest von Sant'Egidio am 25. Dezember jedes Jahr ein Höhepunkt. "Wir machen uns viele Gedanken und planen eifrig", wie man trotz Corona ein bisschen Weihnachtsstimmung erzeugen kann, sagte Sant'Egidio-Vorsitzender Klaus Reder. Momentan sei geplant, die Gäste dezentral in verschiedene Kirchengemeinden im Stadtgebiet einzuladen. Dort soll es laut Reder "einen kurzen Gruß, ein Weihnachtsessen to go und ein Geschenk" geben. Die Helfer der Laienorganisation jedenfalls stünden bereit.
Um die Corona-Auflagen einhalten zu können, entzerre man das ganze: "Jeder Gast bekommt von uns eine schriftliche Einladung mit einem genauen Ort und einem genauen Zeitpunkt", sagte Reder. Zudem werde man "corona-kompatible Hausbesuche" bei denjenigen machen, die bisher nicht selbstständig zu einer Feier kommen konnten und den Fahrdienst genutzt haben: "Wirklich jeder soll ein nettes Wort, ein Essen und ein Geschenk erhalten." Darüber hinaus plane man "auch noch verschiedene Streaming-Angebote für unsere Gäste" an Weihnachten.
Auch in Stuttgart hat man reagiert. Die Vesperkirche Stuttgart startet am 17. Januar in einer anderen Form. Nach aktuellem Planungsstand soll es in der ältesten Vesperkirche Deutschlands eine warme Mahlzeit zum Mitnehmen geben, und der Kirchenraum werde nur für eine begrenzte Anzahl an Menschen geöffnet. Nach heutigem Stand werde es auch keine Ärzte, Friseure, Fußpflege oder andere Angebote geben, hieß es. Aber wichtig sei letztlich, dass die Vesperkirche, wenn auch unter Corona-Bedingungen, stattfinden könne.
Auch das jährliche Weihnachtsfest für Obdachlose und Bedürftige in Berlin, das seit 1995 von Frank Zander mit seiner Familie organisiert wird, fällt aus. Zander widmet sich mit seinem Team aber einem neuen Projekt: Dem Caritas-Foodtruck. Die fahrende "Suppenküche", die seit Juli warmes Essen in Berlin an Orten verteilt, an denen sich Wohnungslose und Bedürftige aufhalten, ist ein Kooperations-Projekt des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin und dem Catering-Unternehmen Mama and Sons - unter stützt von der "Aktion Mensch". Bis zu 150 Portionen werden pro Tag ausgegeben.
Dank Zanders Hilfe, kann das Fahrzeug wesentlich länger als anfangs geplant unterwegs sein. Und doch werden weiter Spenden benötigt. Je mehr Geld zusammenkommen, desto länger kann der Foodtruck noch rollen. Zander: "Eine wirklich tolle und sinnvolle Sache, wie ich finde und vielleicht schaffen wir es ja sogar mit Hilfe weiterer Spenden, einen zweiten Foodtruck zu finanzieren."
Berlin (epd). Der Sozialverband Deutschland (SoVD) warnt vor einer zunehmenden sozialen Spaltung. SoVD-Vizepräsidentin Ursula Engelen-Kefer sagte bei der Vorstellung eines Gutachtens über "Einsamkeit und soziale Isolation" am 10. Dezember in Berlin, die Corona-Pandemie verschärfe die Probleme. Bereits jeder Fünfte fühle sich nicht mehr zugehörig. Das berge sozialen Sprengstoff, warnte Engelen-Kefer.
Besuchsverbote und Ausgangsbeschränkungen verstärkten die Isolation insbesondere von Pflegebedürftigen, chronisch kranken und behinderten Menschen. Die Schließung von Schulen, Kitas oder der Wegfall von Begegnungsorten wie Schwimmbädern, Bibliotheken oder Vereinsheimen erhöhten das Einsamkeitsrisiko, heißt es in dem Gutachten, das die Göttinger Soziologin und stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrats Ländliche Entwicklung der Bundesregierung, Claudia Neu, vorstellte.
Danach geben vier bis neun Millionen Menschen in Deutschland an, sich häufig einsam zu fühlen, das sind vier bis zwölf Prozent der Bevölkerung. Ein besonders hohes Risiko haben ältere Menschen ab 75 Jahre. Die Krise habe bei den ohnehin Einsamen die Einsamkeitsgefühle noch einmal verschärft, sagte Neu. Die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie verstärkten vor allem bei jungen Menschen das Gefühl von Einsamkeit, so das Gutachten, das sich unter anderem auf aktuelle Studien beruft.
Wenn öffentliche Begegnungsorte und kostenlose Angebote verschwinden oder geschlossen werden müssen, treffe dies besonders sozial schlechtergestellte Gruppen. Dabei spiele auch der Wohnort eine Rolle, erklärte Neu. Entscheidend seien aber nicht die Stadt-Land-Unterschiede, sondern die vorhandene Infrastruktur.
Der Sozialverband forderte die Politik auf, der Gefahr von zunehmender Einsamkeit und sozialer Isolation entgegenzuwirken. Zentral sei eine funktionierende öffentliche Infrastruktur. In der Corona-Krise müssten vor allem die sozial Schwachen unterstützt werden und die jungen Menschen besondere Aufmerksamkeit erhalten.
Braunschweig, Hannover (epd). Ein eisiger Wind weht über den Braunschweiger Stadtfriedhof. In der hintersten Ecke des riesigen Areals bietet sich ein ungewöhnlicher Anblick: Bunte Windräder drehen sich emsig, und um einen runden Stein liegen Spielzeugautos und Kuscheltiere. Pfarrerin Elke Rathert kniet davor und entzündet eine Kerze, die sie behutsam abstellt. Seit mehreren Jahren initiiert die Seelsorgerin gemeinsam mit einer katholischen Kollegin dort zweimal im Jahr ökumenische Beerdigungen für die Kinder, die in einer frühen Phase der Schwangerschaft starben. Zum Weltgedenktag für verwaiste Eltern am 13. Dezember will sie gemeinsam mit Betroffenen mit zwei Gottesdiensten an die verstorbenen Kinder erinnern.
Zum "Worldwide Candle Lighting" entzünden Angehörige auf der ganzen Welt jeweils um 19 Uhr eine Kerze für ein verstorbenes Kind und stellen sie ins Fenster. So entsteht den Initiatoren zufolge eine Lichterwelle, die in 24 Stunden einmal um die Erde wandert. Für Pastorin Rathert ist es besonders wichtig, gerade in der Vorweihnachtszeit an die Kinder zu erinnern. "Zu der Zeit würden die Eltern ja sonst losgehen und Geschenke für ihre Kinder kaufen. So können sie zumindest eine Kerze anzünden."
Auch an der Grabstelle auf dem Friedhof wird anhand der vielen Kerzen sichtbar, wie wichtig den Eltern ein Erinnerungsort ist. Hier werden Kinder, die mit einem Geburtsgewicht von oft unter 500 Gramm zur Welt kamen, in Urnen gemeinsam beerdigt. Bis vor wenigen Jahren war dies oft nicht möglich. Nun entstehen bundesweit immer mehr Grabfelder für die sogenannten Sternenkinder. Je nach Bundesland sind die Eltern ab einem Geburtsgewicht von 500 oder 1000 Gramm zu einer Einzelbestattung verpflichtet. Laut Statistischem Bundesamt gab es im Jahr 2019 etwa 3.100 Totgeborene mit einem Geburtsgewicht von über 500 Gramm, rund 4.600 starben während oder kurz nach der Entbindung.
Auf dem Braunschweiger Friedhof hat eine Mutter zum dritten Geburts- und Todestag einen Brief an ihren Sohn geschrieben: "Ich musste Dich gehen lassen, Dein Herz hörte einfach auf zu schlagen", steht auf dem mit Herzen und Marienkäfern verzierten Blatt. "Mein Herz ist seitdem gebrochen. Nichts wird, wie es einmal war!"
Rathert, die als Seelsorgerin am Krankenhaus Marienstift in Braunschweig arbeitet, behält zu vielen Sternenkind-Eltern oft noch jahrelang Kontakt. "Die Trauer um ein verlorenes Kind nimmt nicht ab", weiß sie. Besonders bewegend sei die Begegnung mit einer Großmutter gewesen, die zur Bestattung ihres zu früh gestorbenen Enkelkindes kam. "Sie war so dankbar, dass sie endlich nach 50 Jahren auch für ihr damals verlorenes Kind eine Rose ablegen konnte."
Umso wichtiger sei die Anerkennung für den Schmerz, auch für die sehr früh verlorenen kleinen Wesen, sagt Rathert. Familien müssten sich immer wieder anhören, dass es doch sicher besser so gewesen sei oder dass sie doch mit einem gesunden Kind zufrieden sein könnten. "Solche Sätze sind wie ein Messer mitten ins Herz."
Wie wichtig ein sensibler Umgang mit dem Thema ist, weiß auch Hanna Dallmeier, Pastorin aus Sievershausen. Die Theologin, die selbst ein Kind in der zwölften Schwangerschaftswoche verlor, berät regelmäßig Hebammen in der Ausbildung. So sei es hilfreich bei der Geburt eine Kamera dabei zu haben oder einen Fußbadruck zu machen, um für die Eltern bleibende Erinnerungen zu schaffen, sagt sie. Außerdem sollte das Kind beispielsweise mit einer schönen Decke behutsam eingebettet werden.
"Wenn man diese Situation nicht verarbeitet, kann es ein ganzes Leben prägen", sagt Dallmeier. So habe sie eine Dame betreut, die vor 50 Jahren ihre Tochter tot zur Welt brachte und diese auch nach der Geburt nicht sehen durfte. Erst im Alter habe sie das schmerzhafte Kapitel in ihrem Leben wieder aufgeschlagen und ihren Frieden gefunden.
Dallmeier hält auch die gängige Empfehlung für fragwürdig, in den ersten zwölf Wochen nichts von der Schwangerschaft zu erzählen. Dies führe dazu, dass betroffene Eltern oft allein mit den Erfahrungen seien. "Stattdessen könnte man sich überlegen, mit wem man die Freude über ein Kind, aber auch einen Verlust teilen würde." Dem Berufsverband der Frauenärzte zufolge erleidet jede dritte Frau vor der zwölften Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt.
Die Pastorin, deren Tochter Sophia inzwischen neun Jahre alt geworden wäre, hat sich ganz bewusst dafür entschieden, auch ihren drei anderen Kindern von der Schwester zu erzählen. Auch Seelsorgerin Rathert empfiehlt den Eltern, aktiv Erinnerungen zu schaffen. Seit 2013 dürfen diese beispielsweise auch für ihre Sternenkinder eine Geburtsurkunde ausstellen lassen. "Damit wird für die Eltern aber auch für die Umwelt die Existenz des Kindes bewiesen."
Am 13. Dezember werden in den Gottesdiensten für verwaiste Eltern in Braunschweig die Namen der Kinder verlesen, dessen Familien anwesend sind. Für jedes wird eine Kerze angezündet. Dabei sei der Schmerz einer Mutter, die ihren 19-jährigen Sohn bei einem Autounfall verloren habe nicht anders als die um ein totgeborenes Kind, sagt Rathert. "In der Trauer werden sie vereint und die Gemeinschaft spendet Trost."
Berlin (epd). Dass die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie allgegenwärtig sind, zeigte zuletzt die Debatte um den nächsten Bundeshaushalt. Die gute Nachricht: Der Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales soll im kommenden Jahr von 149 Milliarden auf rund 164 Milliarden Euro steigen. Der Reha-Haushalt für Einrichtungen der beruflichen Reha liegt bei 1,81 Mrd. Euro im Jahr 2020 und bei immerhin 1,82 Milliarden Euro im Jahr 2021. Da habe ich mir eine deutlichere Anhebung gewünscht. Die Berufsbildungswerke müssen 2021 und darüber hinaus durch die Bundesagentur für Arbeit sicher finanziert werden.
Denn es muss besonders in diejenigen investiert werden, die es auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ohnehin schwer haben. Dazu gehören Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung. Sie brauchen gerade jetzt in dieser angespannten Lage die Garantie, eine Ausbildungsstelle zu bekommen.
Denn: Investitionen in die berufliche Rehabilitation von Jugendlichen mit Behinderung lohnen sich. Das zeigt unsere Bilanz des vergangenen Jahres: Wir haben 2019 rund 90 Prozent unserer Auszubildenden erfolgreich durch die Abschlussprüfung vor den Kammern gebracht und 66 Prozent direkt in den ersten 1. Arbeitsmarkt vermittelt. Ich sage aber auch, dass wir weiter daran arbeiten müssen, diese Quoten noch zu verbessern.
Besonders nachdenklich stimmen mich die Kernergebnisse einer aktuellen Analyse des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) in Berlin. Es kommt zu der berechtigten Annahme, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland im Zuge der Corona-Krise enorm steigen wird. Vor allem die Zukunftsaussichten für geringqualifizierte junge Menschen sind den Forschern zufolge besonders ungünstig.
Es ist daher wichtig, dass der Übergang von der Schule in die Berufs- und Arbeitswelt künftig so gestaltet wird, dass leistungsschwächere Jugendlichen mit einer Beeinträchtigung gute Chancen auf Ausbildung und Integration in den Arbeitsmarkt erhalten. Es ist umso wichtiger, dafür das Angebot der bundesweit derzeit 50 BBW zu nutzen.
Bei uns bekommen Jugendliche mit schwacher schulischer Vorbildung, die anderswo kaum eine Chance auf eine betriebliche Ausbildung haben, eine optimale Starthilfe ins Berufsleben. Mit unseren kompetenten Fachleuten gelingt es, sie erfolgreich zum Ausbildungsabschluss zu führen und sie in einen Job auf dem 1. Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Neben beruflichem Fachwissen stehen vor allem die Persönlichkeitsentwicklung sowie eine stabile psychische und physische Gesundheit im Vordergrund. Bei uns lernen viele junge Menschen das erste Mal, selbstständig ihr eigenes Leben zu organisieren, von der Vorbereitung auf Prüfungen, über eine eigenverantwortliche Praktikumssuche bis hin zum Wohnen in den eigenen vier Wänden.
Die Ausbildung in einem Berufsbildungswerk ist nicht der vielzitierte "Sonderweg in eine Sondereinrichtung", sondern ein wichtiger Baustein im inklusiven Ausbildungssystem. Jede von uns begleitete Ausbildung hat hohe Praxisanteile. Deswegen sind alle BBW in ihrer Region eng vernetzt mit kleinen und mittleren Betrieben bis hin zu großen Unternehmen, um betriebliche Praxisanteile für die Auszubildenden sicherzustellen.
Eine Ausbildung unter der Käseglocke widerspricht sowohl unseren Anforderungen an die Qualität einer Reha-Ausbildung als auch den Ansprüchen der Jugendlichen mit Behinderungen. 22 Prozent der Ausbildungen finden verzahnt mit Unternehmen aus der Region statt. 86 Prozent der Jugendlichen aus der verzahnten Ausbildung sind spätestens nach zwölf Monaten in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung. Damit zeigen die BBW, dass sie inklusiv und wirtschaftsbezogen neue Fachkräfte qualifizieren.
Klar ist aber auch: Ohne eine ausreichende Zahl an Aus- und Arbeitsplätzen haben Jugendliche mit Behinderung keine Chancen auf berufliche Teilhabe. Ich finde es großartig, dass die Bundesregierung verschiedene Maßnahmenpakete geschnürt hat, um Betriebe zu unterstützen, die gerade in der Pandemie straucheln.
Gerade in Krisenzeiten benötigen vor allem Jugendliche mit Behinderung unsere gezielte Förderung. Daher appelliere ich an alle Arbeitgeber, weiterhin auf die Ausbildung behinderter Jugendlicher zu setzen, gerne gemeinsam mit uns BBW. Wenn uns das Menschenrecht auf Inklusion wirklich etwas wert ist, dann müssen wir zusammen dafür Sorge tragen, dass Jugendliche mit Behinderung auch nach der Coronakrise Chancen auf eine gute Ausbildung haben.
Während des Lockdown haben die BBW bewiesen, dass ihre Arbeit systemrelevant ist, dass sie kreativ und verlässlich alternative Lernangebote aufsetzen und keinen der 15.000 Jugendlichen, die aktuell ausgebildet werden, zurücklassen.
Hybrides Lernen, also die Kombination aus Präsenz- und Onlineunterricht, wird aus meiner Sicht auch in Zukunft den Ausbildungsalltag in den Berufsbildungswerken prägen. Wir müssen daher jetzt die Weichen für eine gute Ausbildung 4.0 stellen.
Dafür braucht es eine flächendeckende Digitalisierungsoffensive für die berufliche Bildung und dazu die nötigen finanziellen Mittel vom Bund. Digitalisierung bedeutet aber für mich mehr als eine gute digitale Infrastruktur. Wir brauchen in unseren Berufsbildungswerken nicht nur moderne Technik und stabile Netzwerk-Leitungen, sondern auch digitale Kompetenzen sowie gut qualifiziertes Personal. Nur so können wir auch den steigenden Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 gerecht werden.
Und wichtig ist uns außerdem, dass Reha-Angebote innovativ weiterentwickelt werden. Deswegen beteiligen wir uns bundesweit an Modellvorhaben. Aktuell sind wir Partner im Projekt "KI.ASSIST", das erforscht, welche Personengruppen an konkreten Lern- und Arbeitsorten nachhaltig vom Einsatz KI-basierter Assistenzsysteme profitieren und damit nachhaltig im Arbeitsleben bestehen können.
Norderstedt (epd). Dorothea Heinrich erinnert sich noch gut an den Flug im Rettungshubschrauber – und daran, wie friedlich sie ihn fand: "Ich habe mir die Städte und Dörfer von oben angesehen und alles um mich herum vergessen", sagt sie. Dass ihre zwei Jahre alte Tochter neben ihr lag, mit Schmerzen und schweren Brandverletzungen, blendete sie in diesem Moment aus – und genau dafür schämte sie sich später. "Erst als ich mit jemandem von 'Paulinchen' telefoniert habe, habe ich verstanden, dass das ganz normal ist: Das ist ein Moment, in dem man Kräfte sammelt, um später seinem Kind weiter beistehen zu können", sagt sie heute über den Flug mit ihrem verletzten Kind.
Dass ein Kind Brandverletzungen erleidet, geht schnell. Manchmal geschieht dies durch ein offenes Feuer, andere verbrühen sich - wie die Tochter von Dorothea Heinrich, die sich kochend heißen Kaffee über die Beine gegossen hatte. Doch eine solche Verletzung löst viel mehr aus: Traumata bei Kindern, Trauer und Schuldgefühle bei den Erwachsenen. All dies zu lindern oder nach Möglichkeit gar zu verhindern, das ist das Ziel von "Paulinchen". Der bundesweit operierende Verein mit Sitz in Norderstedt bei Hamburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich um brandverletzte Kinder und ihre Eltern zu kümmern.
"Jedes Jahr verbrennen und verbrühen sich mehr als 30.000 Kinder in Deutschland so schwer, dass sie ärztlich behandelt werden müssen. Mehr als 7.000 davon müssen stationär versorgt werden", sagt die Paulinchen-Vorsitzende Susanne Falk. Dabei ließen sich rund 60 Prozent der Unfälle durch Aufklärung verhindern. Viele Menschen wüssten nicht, wie es zu Brandunfällen kommt – und wenn sie dann geschehen, was sie auslösen. Das mussten Anfang der 1990er Jahre zwei befreundete Familien erfahren, die selbst brandverletzte Kinder hatten. Auf ihre Erfahrungen geht die Gründung von "Paulinchen" im Jahr 1993 zurück. "Diese schweren Unfälle sind nicht nur für das betroffene Kind lebenseinschneidend, sondern sie traumatisieren die ganze Familie und alle am Unfall beteiligten Personen", sagt Falk.
Als Dorothea Heinrichs Tochter im Krankenhaus versorgt wurde, gab einer der Ärzte ihr die Nummer von "Paulinchen". Erst jetzt merkte sie, wie mitgenommen sie selbst von der Situation war und wie dringend sie auf Beistand angewiesen war. Die ersten Male sprach sie direkt mit einer Mitarbeiterin von "Paulinchen", später bekam sie die Nummer eines Psychologen, der auf den Umgang mit Brand-Trauma spezialisiert war. "Das hat mir geholfen, stark zu sein und selbst Entscheidungen zu treffen", sagt Heinrich.
"Jeder Unfall und jede Verletzung ist anders, und jede Familie wird individuell betreut", sagt Falk. Das fange schon damit an, dass sich die Familien zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten melden würden: Oft direkt, wenn der Unfall geschehen sei, manchmal aber auch erst Jahre danach. "Etwa, wenn das Kind zum Beispiel als Kleinkind verunglückt ist und in der Pubertät durch die Narben neue Probleme entstehen. Dann können wir einen Kontakt zu Spezialisten herstellen." Nicht nur sei die Behandlung von Verbrennungswunden und -narben viel komplexer und langwieriger, als sich die meisten Menschen das vorstellen. "Das Gefühl, das eigene Kind nicht vor dem Unfall bewahrt zu haben, ist für die Eltern sehr belastend." Deswegen gebe es einmal im Jahr ein Seminar, zu dem betroffene Familien zusammenkommen – insgesamt 530 Familien hätten im Lauf der Jahre schon daran teilgenommen.
Auch Dorothea Heinrich war dort – und sie erinnert sich, wie gut es ihr tat, mit anderen Eltern zu reden. Viele von ihnen machten sich Vorwürfe, andere waren mit Vorhaltungen aus dem Umfeld konfrontiert. "Wir haben die Unfallsituationen nachgestellt, und das war befreiend. Es stellte sich heraus, dass sie sich alle auf eine gewisse Weise ähnelten." Wer war wann wo, wer hat aufgepasst und wer nicht – diese Frage sei immer Thema gewesen. "Ich habe plötzlich gemerkt, ich bin nicht allein", sagt Dorothea Heinrich.
Berlin (epd). Die Delegierten der 30 Landes- und Bezirksverbände der AWO haben bei einem digitalen Treffen den weiterentwickelten AWO-Governance-Kodex beschlossen. Wolfgang Stadler, Chef des Bundesverbandes, begrüßte die neu gefassten Regeln am 9. Dezember und sagte, das verdeutliche "erneut das klare Verständnis für Compliance im Verband". Zugleich wurde eine neue Arbeitshilfe zur Vergütung der Geschäftsführung veröffentlicht.
Seit der Verabschiedung des AWO-Governance-Kodex im November 2017 habe man hilfreiche Hinweise zu den Regelungen aus dem Verband erhalten. "Natürlich haben wir unser Regelwerk auch in Anbetracht der Vorkommnisse in Hessen und Thüringen evaluiert." Nach vielen und intensiven Beratungen mit Expertinnen und Experten sei er mit dem Ergebnis mehr als zufrieden. "Es unterstützt die AWO, unsere Werte nachhaltig zu bewahren."
Im Mittelpunkt der Weiterentwicklung stehen den Angaben nach Interessenkonflikte im Zusammenhang mit geschäftlichen Beziehungen, die Stärkung der Aufsichtsgremien durch mehr Rechte und die Vergütung der Geschäftsführung.
"Insbesondere die Vergütung der Geschäftsführung hat viele Berichterstattungen und Debatten in der Öffentlichkeit geprägt", räumte Stadler ein. Das sei nachvollziehbar, "da wir unsere wichtigen gesellschaftlichen Leistungen zum Teil mit öffentlichen Mitteln erbringen, Spenden erhalten und eine gemeinnützige, selbstlos tätige Organisation sind". Gleichzeitig leisteten die Geschäftsführungen in der AWO eine großartige Arbeit. Daher sollten sie stets angemessen und leistungsgerecht vergütet werden.
"Wir orientieren uns weiterhin an den Größenordnungen des Öffentlichen Diensts. Damit wird ebenso gewährleistet, dass sich die Spreizung der Vergütung der Geschäftsführungen und der Vergütung der Mitarbeitenden in einem angemessenen Verhältnis bewegt", betonte der Verbandschef.
Zur Verbesserung der Transparenz müssen nun außerdem alle Gliederungen, unabhängig davon, ob ein Kreisverband oder eine ausgegliederte gGmbH, die Vergütung der Geschäftsführung gegenüber dem Bundesverband offenlegen und den Ausnahmefall gemessen am verbandlichen Vergleich schriftlich darlegen, sobald ein Schwellenwert, der sich aus dem Öffentlichen Dienst ableiten lässt, überschritten wird.
Stadler: "Die Verträge der Geschäftsführungen der Landes- und Bezirksverbände erhalten wir unabhängig von den neuen Regelungen seit jeher, weil das im Verbandsstatut niedergeschrieben ist." Man haben nun ein Regelwerk, das auf der einen Seite klare Grenzen definiert, aber den auch eigene Entscheidungen ermöglicht, die jeweils vom vollständigen Aufsichtsgremium zu beschließen seien.
Berlin (epd). Zum 20. Mal hat der Dachverband Frauenhauskoordinierung (FHK) Daten zu Frauenhäusern in ganz Deutschland erhoben. Demnach leben dort mehr Kinder als Mütter. Mit der "Bewohnerinnenstatistik" biete die FHK die einzige bundesweite Übersicht über Nutzungsmerkmale und Leistungen der Schutzeinrichtungen, heißt es in einer Mitteilung vom 7. Dezember. Für 2019 lägen Daten zu 182 Frauenhäusern und damit zu 7.045 erwachsenen Bewohnerinnen sowie 8.134 Kindern vor.
"Während in der Gesamtgesellschaft wirklich Frauen jeden Alters, aus allen Einkommens- und Bildungsschichten und ungeachtet ihrer Herkunft häusliche Gewalt erleben, sind es besonders vulnerable Gruppen mit begrenzten finanziellen oder sozialen Ressourcen, die die Unterstützung der Frauenhäuser in Anspruch nehmen", erklärte Geschäftsführerin Heike Herold. So waren 79 Prozent der Bewohnerinnen vor ihrer Flucht nicht berufstätig. Zwei Drittel der Nutzerinnen waren nicht in Deutschland geboren und knapp jede dritte Frau gab an, körperliche und/oder psychische Beeinträchtigungen beziehungsweise Behinderungen zu haben.
Zusätzliche Bedarfe entstehen laut Herold außerdem durch die hohe Anzahl von Kindern, die mit ihren Müttern Schutz finden. Mit 8.134 übersteigt ihre Zahl sogar die der erwachsenen Bewohnerinnen. Mangelnde Ressourcen für Kinderbetreuung und die verminderte Aufnahmekapazität für schutzsuchende Frauen stellten das Hilfesystem dabei vor Herausforderungen. FHK setze sich für einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe bei Gewalt und eine einheitliche, ausreichende Finanzierung des Hilfesystems ein.
Bremen (epd). Der deutsch-italienische Kindergarten "Girotondo" in Bremen ist Bundessieger im Wettbewerb "Forschergeist 2020". Die Einrichtung sei eine von fünf Kitas, die mit ihren Projekten aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) besonders überzeugt haben, teilte eine Sprecherin der Stiftung "Haus der kleinen Forscher" am 9. Dezember in Berlin mit. Die Auszeichnung ist mit 3.000 Euro dotiert.
In der Bremer Kita haben die Kinder mit Unterstützung ihrer Erzieherinnen ein Kinderhaus gebaut. Dabei recherchierten sie auf einer benachbarten Baustelle, planten ihr Haus als Modell und lernten viel über die Berufe auf dem Bau und die Arbeitsmaterialien. Am Ende habe das Haus sogar noch eine Klingel und eine Hausnummer erhalten, hieß es in der Projektbeschreibung. Um die Preise der Deutschen Telekom Stiftung und der Stiftung "Haus der kleinen Forscher" hatten sich deutschlandweit 651 Kitas beworben.
Karlsruhe (epd). Ärzte und Pflegekräfte bewegen sich bei gravierenden Behandlungsfehlern auf strafrechtlich dünnem Eis. Vertuscht eine Pflegekraft bei einem sterbenskranken Heimbewohner die tödliche Verwechslung eines Medikamentes, muss damit aber noch nicht der Vorwurf des versuchten Mordes durch Unterlassen erfüllt sein, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 2. Dezember veröffentlichten Urteil.
Vielmehr müssten alle Motive für das Verschweigen des Behandlungs- oder Pflegefehlers berücksichtigt werden, befand das Gericht. Dazu gehöre auch, ob die Pflegekraft etwa aus selbstlosen Gründen den Fehler kaschierte, etwa um den Willen eines sterbenskranken Patienten in seiner Patientenverfügung zu erfüllen. Das könne einem bedingten Vorsatz für versuchten Mord durch Unterlassen entgegenstehen, hieß es.
Im konkreten Fall hatte das Landgericht Landshut eine Wohnbereichsleiterin eines Alten- und Pflegeheimes wegen versuchten Mordes durch Unterlassen zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Frau habe mit "bedingtem Tötungsvorsatz" den Tod des Mannes in Kauf genommen, so das Gericht. Als Mordmerkmal wurde die Verdeckungsabsicht angesehen. Zwei mitangeklagte Altenpflegekräfte erhielten in dem Verfahren Bewährungsstrafen.
Vor Gericht ging es um den Tod eines 66-jährigen, sterbenskranken Mann, der seit November 2015 dauerhaft in einem Pflegeheim untergebracht war. Er litt unter anderem an einer starken Herzschwäche, einem fortgeschrittenen Schilddrüsenkrebs und zahlreichen Metastasen in den Knochen und den Nieren. Er befand sich in der "Terminalphase seiner Erkrankung".
Nach einem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt kehrte er auf eigenem Wunsch in das Heim zurück und wurde dort palliativmedizinisch unter anderem mit Morphium versorgt. Im Mai 2016 kam es zu einer verhängnisvollen Medikamentenverwechslung. Die Angeklagte gab dem Mann in einem Becher eine blutdrucksenkende Arznei, die für eine andere Patientin bestimmt war. Hausintern war eigentlich ein sogenannter Medikamentendispenser vorgeschrieben, bei dem die Arzneimittel für jeden Patienten nach Tageszeit einsortiert werden.
Als die andere Patientin wenige Minuten später auf die falsche Medikamentengabe hingewiesen hatte, hatte der Mann bereits den Blutdrucksenker eingenommen. Doch statt den Fehler zu dokumentieren und einen Arzt zu verständigen, wollte die angeklagte Pflegekraft die Medikamentenverwechslung verschweigen. Als Schichtleiterin hatte sie zwar die zwei mitangeklagten Pflegekräfte darüber mündlich informiert, wies sie aber an, zunächst abzuwarten und den Gesundheitszustand des Mannes öfter zu prüfen.
Als dieser immer schlechter wurde und eine Kollegin meinte, jetzt einen Arzt rufen zu müssen, entgegnete die Angeklagte: "Spinnst du, die sperren mich ein." Sie hoffe aber, dass der Patient nun endlich sterben könne. Zwei Tage später wurde eine Arztpraxis über den schlechten Gesundheitszustand des Mannes informiert, ohne aber auf die Medikamentenverwechslung hinzuweisen. Erst kurz darauf unterrichtete eine Mitangeklagte den Hausarzt über den Behandlungsfehler. Der Mann starb schließlich am 14. Mai 2016. Die genaue Todesursache blieb ungeklärt, weil der Leichnam bereits verbrannt war.
Der BGH urteilte, dass das Landgericht fehlerhaft von einer bedingt vorsätzlichen Tötung durch Unterlassen ausgegangen ist. Diese liege vor, wenn die Angeklagte billigend die "Inkaufnahme des Todeseintritts" im Blick hatte. Es gebe jedoch Hinweise, dass die Pflegekraft davon nicht ausging. Ihr sei vielmehr daran gelegen gewesen, dass der Tod nicht eintritt. Denn dann hätte sie mit einem Auffliegen der Medikamentenverwechslung rechnen müssen. Sie habe zudem geäußert, dass der 66-Jährige hoffentlich "endlich sterben könne". Das könne auch als Indiz gewertet werden, dass sie nicht von dem sicheren Eintritt des Todes ausging.
Das Landgericht sei zudem vom Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht ausgegangen. So habe sie arbeitsrechtliche Konsequenzen gefürchtet, wenn die Medikamentenverwechslung bekanntwerde. Es sei aber nicht aufgeklärt, ob die Angeklagte nicht dem Wunsch des Patienten in seiner Patientenverfügung nachgekommen sei. An diesem Patientenwunsch, der hier noch festgestellt werden müsse, seien auch die Pflegekräfte grundsätzlich gebunden. Weil der 66-Jährige bereits palliativ-medizinisch unter anderem mit Morphium versorgt wurde, könne davon ausgegangen werden, dass er seinen Willen auch nicht mehr mündlich äußern könne, so dass es auf die Patientenverfügung ankommen könne.
Das Verfahren verwies der BGH zur erneuten Prüfung an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurück.
Az.: 1 StR 474/1
Karlsruhe (epd). Arbeitnehmer müssen eine vom Arbeitgeber an sie vermietete Wohnung nach dem Ende der Beschäftigung nicht unbedingt räumen. Auch wenn die Dauer des Mietvertrages an das Ende des unbefristeten Arbeits- oder Dienstvertrages geknüpft ist, kann der Mieter sich später einem Auszug verweigern, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) im Fall einer bei der evangelischen Kirche früher angestellten Frau aus München. Das Mietverhältnis werde dann grundsätzlich "unverändert fortgesetzt", urteilten die Karlsruher Richter.
Im Streitfall hatte die Evangelisch Lutherische Gesamtkirchengemeinde München bereits im Februar 1977 ein Reihenhaus an einen Diakon vermietet. Der Mietvertrag enthielt die Klausel, dass das Mietverhältnis "ohne weiteres mit dem Ausscheiden aus dem kirchlichen Dienst" endet. Die Miete betrug zuletzt 803,50 Euro monatlich.
Als der Diakon im Oktober 2002 in den Ruhestand trat, wurde das Mietverhältnis fortgesetzt, da dessen Ehefrau ebenfalls im kirchlichen Dienst beschäftigt war. Als ihr Mann starb und sie Ende Mai 2015 in den Ruhestand versetzt wurde, sollte die Frau mit ihren zwei volljährigen Kindern aus dem Reihenhaus ausziehen. Das Haus sei für den neuen Diakon vorgesehen. Derzeit habe für ihn eine um 600 Euro teurere Wohnung angemietet werden müssen.
Bei einem Gespräch mit dem kirchlichen Vermieter wurde die Räumung der Wohnung vereinbart. Trotz dieser Vereinbarung weigerte sich die Frau auszuziehen.
Das Landgericht München I verpflichtete sie zum Auszug. Der BGH hob dieses Urteil jedoch auf und verwies das Verfahren zurück. Werde die Beendigung eines Mietvertrages an die Beendigung eines unbefristeten Arbeits- und Dienstverhältnisses geknüpft, könne der Mieter den Auszug verweigern. Das Landgericht müsse aber noch prüfen, ob die Fortsetzung des Mietvertrages für den Vermieter unzumutbar ist.
Zwar sei hier die Räumung des Reihenhauses mündlich vereinbart worden. Unter Umständen haben Mitarbeiter des kirchlichen Vermieters der Frau aber "widerrechtlich gedroht", so dass die Vereinbarung angefochten werden könne. Die Mieterin hatte angeführt, dass sie dem vorgeschlagenen Räumungstermin zustimmen solle, andernfalls werde man vorher schon "mit einem Rechtsanwalt vor der Tür stehen und dann müssten sie raus". Hierzu müsse das Landgericht noch Feststellungen treffen, entschied der BGH.
Az.: VIII ZR 191/18
Frankfurt a.M. (epd). Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat klargestellt, dass jeder Elternteil nicht nur ein Recht auf Umgang mit seinen Kindern hat, sondern auch die Pflicht dazu. Dies entspreche dem Recht der Kinder auf Umgang mit ihren Eltern, teilte das Gericht am 3. Dezember mit. In dem Streitfall wiesen die Richter die Beschwerde eines getrennt lebenden Vaters gegen die Verpflichtung zurück, einmal im Monat tagsüber Umgang mit seinen drei Söhne zu haben. Der Vater hatte eingewandt, wegen Arbeitsüberlastung dazu nicht in der Lage zu sein.
Das Sorgerecht in dem Fall steht den getrennt lebenden, noch nicht geschiedenen Eltern gemeinsam zu. Der Vater hatte nach seinem Auszug Anfang 2017 nur sporadischen Umgang mit seinen Kindern gehabt. Die Mutter leitete im Herbst 2019 vor dem Amtsgericht ein Umgangsverfahren ein, da die Kinder einen regelmäßigen Umgang mit dem Vater wünschten. Dieser verwies darauf, dass er ein neugeborenes Kind habe, bis zu 120 Stunden wöchentlich arbeite, nur drei bis vier Stunden täglich schlafe und keine Zeit zum Umgang mit den Kindern habe.
Das Amtsgericht fasste den Beschluss, dass der Vater das Recht und die Pflicht habe, die drei Söhne an einem Sonntag im Monat tagsüber sowie in näher bezeichneten Ferienzeiten zu sich zu nehmen. Das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung und verwies auf die gesetzliche Pflicht von Elternteilen zum Umgang mit ihren Kindern. Diese Umgangspflicht konkretisiere die den Eltern grundrechtlich zugewiesene Verantwortung für ihr Kind.
Das Gericht führte aus, dass mit der Verpflichtung der Eltern gegenüber dem Kind, es zu pflegen und zu erziehen, das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern korrespondiere. "Das Kind ist nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung, es ist Rechtssubjekt und Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten", sagten die Richter. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Az.: 3 UF 156/20
Dortmund (epd). Wegen der Corona-Pandemie müssen laut einer Gerichtsentscheidung Jobcenter bei gerechtfertigten Umzügen die höheren Kosten für den Einsatz eines professionellen Umzugsunternehmens übernehmen. Dies entschied das Sozialgericht Dortmund in einem am 8. Dezember bekanntgegebenen Beschluss und gab damit in einem Eilverfahren einer Frau aus Dortmund recht, die einen Umzug nicht mit Hilfe von Familie und Freunden durchführen wollte. Nach Ansicht des Gerichts wäre die Durchführung eines privat organisierten Umzugs mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen "unzumutbar".
Anlass für die Klage war die Tatsache, dass das Jobcenter der Empfängerin von Transferleistungen die Übernahme der Kosten für ein Umzugsunternehmen mit der Begründung abgelehnt hatte, dass die Kosten unangemessen seien. Der Umzug könne vielmehr kostengünstiger mit studentischen Hilfskräften, einem Fahrer des Umzugswagens und einem Elektriker für den Anschluss der Starkstromgeräte in der Küche durchgeführt werden. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrer Klage.
Nach Auffassung des Sozialgerichts Dortmund könne ein Leistungsberechtigter vom Jobcenter zwar grundsätzlich nur die angemessenen Kosten für einen erforderlichen Umzug verlangen. Aufgrund der derzeit geltenden Corona-Schutzverordnung des Landes NRW sei jedoch davon auszugehen, dass der Einsatz von Helfern bei einem privat organisierten Umzug ein höheres Infektionsrisiko darstelle, da diese Helfer aus verschiedenen Haushalten und von verschiedenen Arbeitgebern stammten. Bei einem Umzugsunternehmen sei die Infektionsgefahr hingegen deutlich geringer, weil davon auszugehen sei, dass dessen Mitarbeiter regelmäßig miteinander tätig seien und somit eher "einem Haushalt" entsprächen.
Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.
Az.: S 30 AS 4219/20 ER
Münster (epd). Eine Grundschule in Coesfeld hat laut einem Urteil des Verwaltungsgerichts Münster zwei Schüler zu Recht vom Unterricht ausgeschlossen, weil sie sich weigerten, eine Alltagsmaske zu tragen. Die gegen die Entscheidung der Schule gerichteten Eilanträge wurden abgelehnt, wie ein Gerichtssprecher am 7. Dezember mitteilte. Sämtliche vorgelegten Atteste hätten nicht die Mindestanforderungen an ein ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht erfüllt.
Die Schüler hatten mehrere ärztliche Atteste vorgelegt, laut denen bei ihnen "eine schwerwiegende Beeinträchtigung der physiologischen Atem- und Kreislauffunktion" besteht. Diese Beeinträchtigung entstehe "durch ständiges Einatmen von CO2-reicher Luft" unter dem Mund-Nasen-Schutz. Außerdem sei es "aus gravierenden medizinischen Gründen" nicht zumutbar, eine Maske oder ein "Face-Shield" (Visier) zu tragen, oder es könne aufgrund einer Hauterkrankung keine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden, hieß es in den Bescheinigungen.
Diese Atteste waren aus Sicht der Grundschule nicht ausreichend, die Kinder wurden sofort vom Schulbesuch ausgeschlossen. Das Verwaltungsgericht gab der Schule Recht. Die Richter beriefen sich in ihrem Beschluss auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster. Danach müssten in einem aktuellen ärztlichen Attest die gesundheitlichen Beeinträchtigungen konkret benannt werden, und es müsse dargelegt werden, woraus sie resultieren. Auch seien eventuelle "relevante Vorerkrankungen" konkret zu bezeichnen und die Grundlage für die Einschätzung des Arztes müsse "im Regelfall" erkennbar werden.
In den durch die beiden Schüler vorgelegten Attesten seien diese Anforderungen nicht erfüllt worden, entschied das Gericht. Vor allem seien die angeführten gesundheitsschädlichen Folgen des Maske-Tragens nicht fundiert belegt worden. Ebenso wenig setzten sich die Dokumente damit auseinander, ob die Beeinträchtigungen auch bei der für Grundschüler relativ kurzen Tragedauer zu befürchten seien, erklärte das Verwaltungsgericht. Gegen die Beschlüsse kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden.
Az.: 5 L 1019/20 und 5 L 1027/20
Mainz (epd). Das rheinland-pfälzische Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung darf einem drogen- und medikamentenabhängigen Arzt vorläufig die Approbation entziehen. Das Mainzer Verwaltungsgericht wies in einem am 3. Dezember veröffentlichten Beschluss den Eilantrag des Mediziners zurück. Die Behörde habe zurecht entschieden, dass der Mediziner aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, seinen Beruf auszuüben.
Der Mann stehe nahezu ständig unter dem Einfluss von Drogen, Schlaf-, Beruhigungs- und morphinhaltigen Schmerzmitteln. Ein Gutachten habe gezeigt, dass er in diesem Zustand nicht in der Lage sei, seinen Beruf "zum Wohle seiner Patienten" auszuüben. Auch fehle ihm derzeit die Bereitschaft zu Verhaltensänderungen und einer Therapie. Auf die im Grundgesetz verankerte Berufsfreiheit könne der Arzt sich in dieser Situation nicht berufen.
Az.: 4 L 789/20.MZ
Straßburg (epd). Ein Bürger, der durch die Corona-Politik seines Landes die Menschenrechte verletzt sieht, kann sich nicht ohne weiteres an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wenden. Das geht aus einem Urteil des Straßburger Gerichts vom 3. Dezember hervor, in dem es die Individualbeschwerde eines Franzosen als unzulässig abwies. Er habe nicht gezeigt, wie er persönlich von den beklagten Missständen betroffen sei, hieß es zur Begründung.
Der Mann aus Marseille hatte sich vor dem EGMR auf mehrere Menschenrechte berufen, darunter das Recht auf Leben. Seiner Ansicht nach tat der französische Staat nicht genug, um die Bürger vor dem Virus zu schützen. Unter anderem beklagte er laut EGMR Beschränkungen beim Zugang zu Corona-Tests.
Die Richter urteilten aber, dass das zu allgemein sei. Die individuelle Beschwerde eines Bürgers vor dem EGMR könne sich nicht allein darauf stützen, dass ein Gesetz oder eine Praxis die Europäische Menschenrechtskonvention zu verletzen scheine. Gemäß Artikel 34 der Konvention müsse sie vielmehr darlegen, dass der Bürger selbst dadurch wahrscheinlich in seinen Rechten verletzt werde.
Az.: 18108/20
Brüssel, Luxemburg (epd). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Klagen Polens und Ungarns gegen EU-Regelungen abgewiesen, die die Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer aus anderen EU-Ländern denen der inländisch Beschäftigten angleichen. Das entsprechende Gesetz zur Entsendung von Arbeitnehmern sei rechtens, erklärte der EuGH am 8. Dezember in Luxemburg. Der Gesetzgeber habe die Interessen der entsendenden Unternehmen und der entsandten Arbeitnehmer mit Blick auf den Wettbewerb mit den inländischen Firmen neu gestalten dürfen.
Polen und Ungarn hatten die sogenannte Entsenderichtlinie von 2018, die die ältere Entsenderichtlinie von 1996 ändert, für nichtig erklären wollen. Aus beiden Ländern arbeiten viele Beschäftigte im Dienstleistungssektor in anderen EU-Staaten, darunter Deutschland.
Die neue Richtlinie soll laut EuGH sicherstellen, dass der Wettbewerb zwischen den diese entsandten Arbeitnehmern beschäftigenden Firmen und den einheimischen Firmen nicht darauf beruht, dass für die Beschäftigten verschiedene Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gelten - je nachdem, wo die Firma sitzt. Zugleich sollten die Entsandten besser geschützt werden. Nicht zuletzt müssen sie demnach grundsätzlich wie alle anderen Beschäftigten in dem Land entlohnt werden.
Der EuGH hatte sich mit verschiedenen Klagegründen auseinanderzusetzen. Er stellte dabei fest, dass die Entsenderichtlinie keine Harmonisierung der Regelungen in den verschiedenen EU-Ländern vornimmt. Sie beschränke sich darauf vorzuschreiben, dass bestimmte Vorschriften des Aufnahmelandes auch für die entsandten Arbeitnehmer gelten.
Daneben wies das Gericht unter anderem darauf hin, dass die Richtlinie trotz der Regelungen zum Lohn nicht alle möglichen Wettbewerbsvorteile der entsendenden Unternehmen beseitige. Diese könnten demnach beispielsweise mit höherer Effizienz der Arbeitnehmer punkten.
Az.: C-620/18 und C-626/18
Berlin (epd). Der unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, will überraschend sein Amt vorzeitig niederlegen. "Nach mehr als neun Jahren werde ich mich zum Ende dieser Legislaturperiode aus dem Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs zurückziehen, auch um mich neuen Herausforderungen stellen zu können", teilte Rörig am 4. Dezember in Berlin mit.
Bis zu seinem Ausscheiden werde er sich weiterhin "mit voller Kraft und ganzem Herzen für einen konsequenteren Kampf gegen sexuellen Missbrauch und seine Folgen einsetzen", sagte er. Rörig hatte das Amt 2011 von seiner Vorgängerin Christine Bergmann übernommen. Die Stelle wurde unter seiner Führung aufgewertet. Im vergangenen Jahr wurde er für eine neue fünfjährige Amtszeit berufen. Rörig wäre regulär also bis 2024 im Amt.
Der 61-Jährige erklärte, es freue ihn, "dass trotz geringer Ressourcen und ohne gesetzlichen Auftrag zukunftsfähige Strukturen der Betroffenenbeteiligung und unabhängigen Aufarbeitung auf Bundesebene etabliert werden konnten". Er forderte, das Amt weiter zu stärken und auf gesetzlicher Grundlage dauerhaft fortzuführen. Rörig hat den Angaben zufolge Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), zu deren Ressort seine Stelle gehört, über seine Entscheidung informiert und gebeten, seine Nachfolge rechtzeitig zu regeln.
Rörig trat beharrlich für einen intensiveren Kinderschutz ein und forderte immer wieder konsequente Schritte, um sexuelle Gewalt in Deutschland stärker einzudämmen. Er verwies auf jährlich mehr als 20.000 Fälle von Kindesmissbrauch und "Kinderpornografie in Terrabytedimension".
Erst am vergangenen Donnerstag mahnte Rörig einen erheblichen Nachbesserungsbedarf beim Kampf gegen den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen an. Im Familienausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags beklagte er, dass es bislang "keinen erkennbaren Rückgang der Fallzahlen" gebe. Rörig sprach von einer "erschreckenden Normalität" in diesem Bereich.
Anfang des Jahres hatte Rörig einen "Pakt gegen sexuellen Missbrauch" gefordert. Dafür werde die Unterstützung aller Bürger benötigt. Ausdrücklich appellierte er an den "ersten Mann im Staat", Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er müsse "diesen Abgrund der Gesellschaft in seine Reden aufnehmen" und damit die Priorität erhöhen, sagte Rörig.
Auch von den Kirchen verlangte er eine umfassende Aufarbeitung ihrer Missbrauchsskandale. Dazu gehöre, Betroffenen Unterstützung bei der individuellen Aufarbeitung zu geben und sie mit starken Rechten auszustatten. Mit der katholischen Kirche einigte sich Rörig im Frühjahr auf verbindliche Kriterien für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen. Mit der evangelischen Kirche laufen die Verhandlungen noch.
Bevor Rörig am 1. Dezember 2011 sein Amt als Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs antrat, arbeitete der ausgebildete Jurist 13 Jahre lang im Bundesfamilienministerium, zuletzt als Unterabteilungsleiter. Zuvor war er Richter am Arbeitsgericht Berlin.
Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, dies zu beachten.
7.-8.1. Hamburg:
Seminar "Implementierung von Peerarbeit in Organisationen und Teams der Sozialpsychiatrie"
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/3012819
11.-13.1.:
Online-Tagung: "Sexualpädagogik reloaded - Fachwoche Katholische Schwangerschaftsberatung 2021"
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/2001801
12.-13.3.1:
Online-Fortbildung: "Mitarbeiter entwickeln, fördern und binden"
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/2758282 17
14.-15.1.:
AWO-Jahrestagung (online): Suchthilfe und Wohnungsnotfallhilfe
Tel.: 030/26309-139
19.1.-20.1. Berlin:
Seminar "Sexualpädagogische Konzeptentwicklung in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe"
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/2758282-27
21.1.:
Online-Seminar "Hass ist keine Meinung! Umgang mit Hate Speech im Netz"
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-488
21.-27.1.:
Online-Seminar "Agile Führung - Teams und Organisationen in die Selbstorganisation führen" der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828215
22.1.-4.2.:
Online-Seminar "Ausländer- und Sozialrecht für EU-Bürger*innen"
Tel.: 030/26309-139
25.-29.1. Freiburg:
Fortbildung "Moderations- und Leitungskompetenz für Konferenzen, Arbeitsteams und Projektgruppen"
der Fortbildungsakademie der Caritas
Tel.: 0761/2001700
26.1.:
Online-Seminar "Grundzüge des Arbeitsrechts aus Arbeitgebersicht"
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/2758282 17
26.-27.1.:
Webinar "Fachtag 8. Altersbericht - Digitalisierung und ältere Menschen" |
des Deutschen vereins (https://www.deutscher-verein.de/de/veranstaltungen-2021-fachtag-8-altersbericht-digitalisierung-und-aeltere-menschen-4203,2036,1000.htm)
Tel.: 030/62980419
27.1. Berlin:
Seminar "Strategisches Management und Management-Modelle in Non-Profit-Organisationen - Wie kann besseres Management gelingen?"
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159
27.1.-1.3.:
Online-Fortbildung: "Qualität in stationären Hospizen sorgsam gestalten"
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-488