Karlsruhe (epd). Ärzte und Pflegekräfte bewegen sich bei gravierenden Behandlungsfehlern auf strafrechtlich dünnem Eis. Vertuscht eine Pflegekraft bei einem sterbenskranken Heimbewohner die tödliche Verwechslung eines Medikamentes, muss damit aber noch nicht der Vorwurf des versuchten Mordes durch Unterlassen erfüllt sein, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 2. Dezember veröffentlichten Urteil.
Vielmehr müssten alle Motive für das Verschweigen des Behandlungs- oder Pflegefehlers berücksichtigt werden, befand das Gericht. Dazu gehöre auch, ob die Pflegekraft etwa aus selbstlosen Gründen den Fehler kaschierte, etwa um den Willen eines sterbenskranken Patienten in seiner Patientenverfügung zu erfüllen. Das könne einem bedingten Vorsatz für versuchten Mord durch Unterlassen entgegenstehen, hieß es.
Im konkreten Fall hatte das Landgericht Landshut eine Wohnbereichsleiterin eines Alten- und Pflegeheimes wegen versuchten Mordes durch Unterlassen zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Frau habe mit "bedingtem Tötungsvorsatz" den Tod des Mannes in Kauf genommen, so das Gericht. Als Mordmerkmal wurde die Verdeckungsabsicht angesehen. Zwei mitangeklagte Altenpflegekräfte erhielten in dem Verfahren Bewährungsstrafen.
Vor Gericht ging es um den Tod eines 66-jährigen, sterbenskranken Mann, der seit November 2015 dauerhaft in einem Pflegeheim untergebracht war. Er litt unter anderem an einer starken Herzschwäche, einem fortgeschrittenen Schilddrüsenkrebs und zahlreichen Metastasen in den Knochen und den Nieren. Er befand sich in der "Terminalphase seiner Erkrankung".
Nach einem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt kehrte er auf eigenem Wunsch in das Heim zurück und wurde dort palliativmedizinisch unter anderem mit Morphium versorgt. Im Mai 2016 kam es zu einer verhängnisvollen Medikamentenverwechslung. Die Angeklagte gab dem Mann in einem Becher eine blutdrucksenkende Arznei, die für eine andere Patientin bestimmt war. Hausintern war eigentlich ein sogenannter Medikamentendispenser vorgeschrieben, bei dem die Arzneimittel für jeden Patienten nach Tageszeit einsortiert werden.
Als die andere Patientin wenige Minuten später auf die falsche Medikamentengabe hingewiesen hatte, hatte der Mann bereits den Blutdrucksenker eingenommen. Doch statt den Fehler zu dokumentieren und einen Arzt zu verständigen, wollte die angeklagte Pflegekraft die Medikamentenverwechslung verschweigen. Als Schichtleiterin hatte sie zwar die zwei mitangeklagten Pflegekräfte darüber mündlich informiert, wies sie aber an, zunächst abzuwarten und den Gesundheitszustand des Mannes öfter zu prüfen.
Als dieser immer schlechter wurde und eine Kollegin meinte, jetzt einen Arzt rufen zu müssen, entgegnete die Angeklagte: "Spinnst du, die sperren mich ein." Sie hoffe aber, dass der Patient nun endlich sterben könne. Zwei Tage später wurde eine Arztpraxis über den schlechten Gesundheitszustand des Mannes informiert, ohne aber auf die Medikamentenverwechslung hinzuweisen. Erst kurz darauf unterrichtete eine Mitangeklagte den Hausarzt über den Behandlungsfehler. Der Mann starb schließlich am 14. Mai 2016. Die genaue Todesursache blieb ungeklärt, weil der Leichnam bereits verbrannt war.
Der BGH urteilte, dass das Landgericht fehlerhaft von einer bedingt vorsätzlichen Tötung durch Unterlassen ausgegangen ist. Diese liege vor, wenn die Angeklagte billigend die "Inkaufnahme des Todeseintritts" im Blick hatte. Es gebe jedoch Hinweise, dass die Pflegekraft davon nicht ausging. Ihr sei vielmehr daran gelegen gewesen, dass der Tod nicht eintritt. Denn dann hätte sie mit einem Auffliegen der Medikamentenverwechslung rechnen müssen. Sie habe zudem geäußert, dass der 66-Jährige hoffentlich "endlich sterben könne". Das könne auch als Indiz gewertet werden, dass sie nicht von dem sicheren Eintritt des Todes ausging.
Das Landgericht sei zudem vom Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht ausgegangen. So habe sie arbeitsrechtliche Konsequenzen gefürchtet, wenn die Medikamentenverwechslung bekanntwerde. Es sei aber nicht aufgeklärt, ob die Angeklagte nicht dem Wunsch des Patienten in seiner Patientenverfügung nachgekommen sei. An diesem Patientenwunsch, der hier noch festgestellt werden müsse, seien auch die Pflegekräfte grundsätzlich gebunden. Weil der 66-Jährige bereits palliativ-medizinisch unter anderem mit Morphium versorgt wurde, könne davon ausgegangen werden, dass er seinen Willen auch nicht mehr mündlich äußern könne, so dass es auf die Patientenverfügung ankommen könne.
Das Verfahren verwies der BGH zur erneuten Prüfung an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurück.
Az.: 1 StR 474/1