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Wichtige Erinnerungen an früh gestorbene Kinder




Pfarrerin Elke Rathert am Gräberfeld für Sternenkinder
epd-bild/Peter Sierigk
Zwei Mal im Jahr leitet Pfarrerin Elke Rathert Trauerfeiern für Kinder, die als Fehl- oder Totgeburten zur Welt kamen. Familien ernten oft Unverständnis für den Schmerz über ihren frühen Verlust, sagt sie. Am 13. Dezember wird weltweit der verstorbenen Kinder gedacht.

Ein eisiger Wind weht über den Braunschweiger Stadtfriedhof. In der hintersten Ecke des riesigen Areals bietet sich ein ungewöhnlicher Anblick: Bunte Windräder drehen sich emsig, und um einen runden Stein liegen Spielzeugautos und Kuscheltiere. Pfarrerin Elke Rathert kniet davor und entzündet eine Kerze, die sie behutsam abstellt. Seit mehreren Jahren initiiert die Seelsorgerin gemeinsam mit einer katholischen Kollegin dort zweimal im Jahr ökumenische Beerdigungen für die Kinder, die in einer frühen Phase der Schwangerschaft starben. Zum Weltgedenktag für verwaiste Eltern am 13. Dezember will sie gemeinsam mit Betroffenen mit zwei Gottesdiensten an die verstorbenen Kinder erinnern.

Zum "Worldwide Candle Lighting" entzünden Angehörige auf der ganzen Welt jeweils um 19 Uhr eine Kerze für ein verstorbenes Kind und stellen sie ins Fenster. So entsteht den Initiatoren zufolge eine Lichterwelle, die in 24 Stunden einmal um die Erde wandert. Für Pastorin Rathert ist es besonders wichtig, gerade in der Vorweihnachtszeit an die Kinder zu erinnern. "Zu der Zeit würden die Eltern ja sonst losgehen und Geschenke für ihre Kinder kaufen. So können sie zumindest eine Kerze anzünden."

Ein wichtiger Erinnerungsort

Auch an der Grabstelle auf dem Friedhof wird anhand der vielen Kerzen sichtbar, wie wichtig den Eltern ein Erinnerungsort ist. Hier werden Kinder, die mit einem Geburtsgewicht von oft unter 500 Gramm zur Welt kamen, in Urnen gemeinsam beerdigt. Bis vor wenigen Jahren war dies oft nicht möglich. Nun entstehen bundesweit immer mehr Grabfelder für die sogenannten Sternenkinder. Je nach Bundesland sind die Eltern ab einem Geburtsgewicht von 500 oder 1000 Gramm zu einer Einzelbestattung verpflichtet. Laut Statistischem Bundesamt gab es im Jahr 2019 etwa 3.100 Totgeborene mit einem Geburtsgewicht von über 500 Gramm, rund 4.600 starben während oder kurz nach der Entbindung.

Auf dem Braunschweiger Friedhof hat eine Mutter zum dritten Geburts- und Todestag einen Brief an ihren Sohn geschrieben: "Ich musste Dich gehen lassen, Dein Herz hörte einfach auf zu schlagen", steht auf dem mit Herzen und Marienkäfern verzierten Blatt. "Mein Herz ist seitdem gebrochen. Nichts wird, wie es einmal war!"

Rathert, die als Seelsorgerin am Krankenhaus Marienstift in Braunschweig arbeitet, behält zu vielen Sternenkind-Eltern oft noch jahrelang Kontakt. "Die Trauer um ein verlorenes Kind nimmt nicht ab", weiß sie. Besonders bewegend sei die Begegnung mit einer Großmutter gewesen, die zur Bestattung ihres zu früh gestorbenen Enkelkindes kam. "Sie war so dankbar, dass sie endlich nach 50 Jahren auch für ihr damals verlorenes Kind eine Rose ablegen konnte."

Anerkennung für den großen Schmerz

Umso wichtiger sei die Anerkennung für den Schmerz, auch für die sehr früh verlorenen kleinen Wesen, sagt Rathert. Familien müssten sich immer wieder anhören, dass es doch sicher besser so gewesen sei oder dass sie doch mit einem gesunden Kind zufrieden sein könnten. "Solche Sätze sind wie ein Messer mitten ins Herz."

Wie wichtig ein sensibler Umgang mit dem Thema ist, weiß auch Hanna Dallmeier, Pastorin aus Sievershausen. Die Theologin, die selbst ein Kind in der zwölften Schwangerschaftswoche verlor, berät regelmäßig Hebammen in der Ausbildung. So sei es hilfreich bei der Geburt eine Kamera dabei zu haben oder einen Fußbadruck zu machen, um für die Eltern bleibende Erinnerungen zu schaffen, sagt sie. Außerdem sollte das Kind beispielsweise mit einer schönen Decke behutsam eingebettet werden.

"Wenn man diese Situation nicht verarbeitet, kann es ein ganzes Leben prägen", sagt Dallmeier. So habe sie eine Dame betreut, die vor 50 Jahren ihre Tochter tot zur Welt brachte und diese auch nach der Geburt nicht sehen durfte. Erst im Alter habe sie das schmerzhafte Kapitel in ihrem Leben wieder aufgeschlagen und ihren Frieden gefunden.

Dallmeier hält auch die gängige Empfehlung für fragwürdig, in den ersten zwölf Wochen nichts von der Schwangerschaft zu erzählen. Dies führe dazu, dass betroffene Eltern oft allein mit den Erfahrungen seien. "Stattdessen könnte man sich überlegen, mit wem man die Freude über ein Kind, aber auch einen Verlust teilen würde." Dem Berufsverband der Frauenärzte zufolge erleidet jede dritte Frau vor der zwölften Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt.

Die Pastorin, deren Tochter Sophia inzwischen neun Jahre alt geworden wäre, hat sich ganz bewusst dafür entschieden, auch ihren drei anderen Kindern von der Schwester zu erzählen. Auch Seelsorgerin Rathert empfiehlt den Eltern, aktiv Erinnerungen zu schaffen. Seit 2013 dürfen diese beispielsweise auch für ihre Sternenkinder eine Geburtsurkunde ausstellen lassen. "Damit wird für die Eltern aber auch für die Umwelt die Existenz des Kindes bewiesen."

Am 13. Dezember werden in den Gottesdiensten für verwaiste Eltern in Braunschweig die Namen der Kinder verlesen, dessen Familien anwesend sind. Für jedes wird eine Kerze angezündet. Dabei sei der Schmerz einer Mutter, die ihren 19-jährigen Sohn bei einem Autounfall verloren habe nicht anders als die um ein totgeborenes Kind, sagt Rathert. "In der Trauer werden sie vereint und die Gemeinschaft spendet Trost."

Charlotte Morgenthal