Norderstedt (epd). Dorothea Heinrich erinnert sich noch gut an den Flug im Rettungshubschrauber – und daran, wie friedlich sie ihn fand: "Ich habe mir die Städte und Dörfer von oben angesehen und alles um mich herum vergessen", sagt sie. Dass ihre zwei Jahre alte Tochter neben ihr lag, mit Schmerzen und schweren Brandverletzungen, blendete sie in diesem Moment aus – und genau dafür schämte sie sich später. "Erst als ich mit jemandem von 'Paulinchen' telefoniert habe, habe ich verstanden, dass das ganz normal ist: Das ist ein Moment, in dem man Kräfte sammelt, um später seinem Kind weiter beistehen zu können", sagt sie heute über den Flug mit ihrem verletzten Kind.
Dass ein Kind Brandverletzungen erleidet, geht schnell. Manchmal geschieht dies durch ein offenes Feuer, andere verbrühen sich - wie die Tochter von Dorothea Heinrich, die sich kochend heißen Kaffee über die Beine gegossen hatte. Doch eine solche Verletzung löst viel mehr aus: Traumata bei Kindern, Trauer und Schuldgefühle bei den Erwachsenen. All dies zu lindern oder nach Möglichkeit gar zu verhindern, das ist das Ziel von "Paulinchen". Der bundesweit operierende Verein mit Sitz in Norderstedt bei Hamburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich um brandverletzte Kinder und ihre Eltern zu kümmern.
"Jedes Jahr verbrennen und verbrühen sich mehr als 30.000 Kinder in Deutschland so schwer, dass sie ärztlich behandelt werden müssen. Mehr als 7.000 davon müssen stationär versorgt werden", sagt die Paulinchen-Vorsitzende Susanne Falk. Dabei ließen sich rund 60 Prozent der Unfälle durch Aufklärung verhindern. Viele Menschen wüssten nicht, wie es zu Brandunfällen kommt – und wenn sie dann geschehen, was sie auslösen. Das mussten Anfang der 1990er Jahre zwei befreundete Familien erfahren, die selbst brandverletzte Kinder hatten. Auf ihre Erfahrungen geht die Gründung von "Paulinchen" im Jahr 1993 zurück. "Diese schweren Unfälle sind nicht nur für das betroffene Kind lebenseinschneidend, sondern sie traumatisieren die ganze Familie und alle am Unfall beteiligten Personen", sagt Falk.
Als Dorothea Heinrichs Tochter im Krankenhaus versorgt wurde, gab einer der Ärzte ihr die Nummer von "Paulinchen". Erst jetzt merkte sie, wie mitgenommen sie selbst von der Situation war und wie dringend sie auf Beistand angewiesen war. Die ersten Male sprach sie direkt mit einer Mitarbeiterin von "Paulinchen", später bekam sie die Nummer eines Psychologen, der auf den Umgang mit Brand-Trauma spezialisiert war. "Das hat mir geholfen, stark zu sein und selbst Entscheidungen zu treffen", sagt Heinrich.
"Jeder Unfall und jede Verletzung ist anders, und jede Familie wird individuell betreut", sagt Falk. Das fange schon damit an, dass sich die Familien zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten melden würden: Oft direkt, wenn der Unfall geschehen sei, manchmal aber auch erst Jahre danach. "Etwa, wenn das Kind zum Beispiel als Kleinkind verunglückt ist und in der Pubertät durch die Narben neue Probleme entstehen. Dann können wir einen Kontakt zu Spezialisten herstellen." Nicht nur sei die Behandlung von Verbrennungswunden und -narben viel komplexer und langwieriger, als sich die meisten Menschen das vorstellen. "Das Gefühl, das eigene Kind nicht vor dem Unfall bewahrt zu haben, ist für die Eltern sehr belastend." Deswegen gebe es einmal im Jahr ein Seminar, zu dem betroffene Familien zusammenkommen – insgesamt 530 Familien hätten im Lauf der Jahre schon daran teilgenommen.
Auch Dorothea Heinrich war dort – und sie erinnert sich, wie gut es ihr tat, mit anderen Eltern zu reden. Viele von ihnen machten sich Vorwürfe, andere waren mit Vorhaltungen aus dem Umfeld konfrontiert. "Wir haben die Unfallsituationen nachgestellt, und das war befreiend. Es stellte sich heraus, dass sie sich alle auf eine gewisse Weise ähnelten." Wer war wann wo, wer hat aufgepasst und wer nicht – diese Frage sei immer Thema gewesen. "Ich habe plötzlich gemerkt, ich bin nicht allein", sagt Dorothea Heinrich.