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Corona

Leere Kassen gefährden Impfung für alle



Die Staats- und Regierungschefs geben die Parole aus: Jeder Mensch soll Zugang zu Impfstoffen gegen Covid-19 haben. Doch dem internationalen Programm für Impfungen, Heilmittel und Diagnostika fehlen Milliarden US-Dollar. Dem globalen Kampf gegen das Virus droht ein Debakel.

Selten herrschte unter den Staats- und Regierungschefs so viel Einigkeit. So gut wie alle Politiker beteuerten auf der Sondersitzung der Vereinten Nationen zu Covid-19: Jeder Erdenbewohner müsse gegen die schwere Krankheit immunisiert werden können, egal in welchem Land er lebe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte es so: Es dürfe nie vergessen werden, dass die Pandemie "nur dann überwunden werden kann, wenn alle Menschen weltweit einen fairen Zugang zu wirksamen Impfstoffen erhalten". UN-Generalsekretär António Guterres verlangte: Der Impfstoff müsse ein "globales öffentliches Gut" werden.

Doch ob das große Ziel einer universellen Impfung erreicht werden kann, bleibt auch wenige Tage nach der UN-Sondersitzung fraglich. Denn es klafft ein riesiges Finanzloch von rund 28 Milliarden US-Dollar in dem Programm der Weltgesundheitsorganisation, das den Zugang für alle zu einem Impfstoff organisieren soll.

Regierungen knausern beim Geld

Trotz ihrer wohlfeilen Appelle knausern die Regierungen beharrlich, wenn es um die Finanzierung des WHO-Projekts mit dem Namen Act Accelerator geht. Das Programm verfolgt das Ziel, weltweit die schnellstmögliche Bereitstellung von medizinischen Diagnoseinstrumenten, Medikamenten und eben Impfstoffen gegen Covid-19 sicherzustellen. Besonders in Entwicklungsländern sollen die Menschen mit Heilmitteln und Vakzinen versorgt werden. "Zahlungen an den Act Accelerator zu leisten ist nicht nur richtig, sondern auch intelligent, für alle Länder", wirbt WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Inzwischen haben sich fast alle Länder in den Act Accelerator eingeklinkt. In dem Programm wirken Experten führender Gesundheitsinstitutionen zusammen: Sie kommen von der Impfstoffallianz Gavi, dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria sowie Find, einer Organisation für die Bereitstellung von Diagnoseinstrumenten in armen Ländern. Auch die Weltbank und die milliardenschwere Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sitzen mit am Tisch.

Eigenes Medikament soll entwickelt werden

Sie wollen sicherstellen, dass bis Ende 2021 große Vorgaben erreicht werden: Die Therapieabteilung des Act Accelerators soll ein Medikament gegen Covid-19 entwickeln, produzieren und verteilen. Die Menge: 245 Millionen Behandlungseinheiten. Die Impfabteilung Covax hat einen noch ehrgeizigeren Plan umzusetzen: Sie soll zwei Milliarden Impfdosen bereitstellen und verteilen. Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" begrüßen die Initiative gegen Covid-19. "Behandlungen und Impfungen dürfen nicht Gelegenheiten für Profit oder politische Kontrolle werden", betont Christos Christous, der Präsident der medizinischen Hilfsorganisation.

Insgesamt veranschlagt die WHO ein Budget von 38 Milliarden US-Dollar für den "Beschleuniger". Doch Anfang Dezember fehlte weit mehr als die Hälfte davon. Mehr als vier Milliarden Dollar werden dringend benötigt, um die Finanzierung für die nächsten Wochen sicherzustellen. Für 2021 wartet das Programm noch auf weitere rund 24 Milliarden Dollar. Falls das Geld nicht fließt, so heißt es düster aus der WHO, werden Menschen in etlichen armen Staaten Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente gar nicht oder sehr verzögert erhalten. Die Folgen wären eine "langwierige Pandemie" mit "ernsthaften ökonomischen Konsequenzen".

Hoffen auf Rückkehr der USA

Das WHO-Programm leidet vor allem unter dem Ausscheren eines wichtigen Mitgliedslandes: Den USA. Die US-Amerikaner zahlten jahrelang die höchsten Beträge von allen 194 Mitgliedsländern in die WHO-Kassen ein. Doch der amtierende US-Präsident Donald Trump ordnete den Austritt seines Landes aus der WHO an und will auch nichts vom Act Accelerator wissen.

Zwar plant Trumps gewählter Nachfolger Joe Biden den Austrittsprozess der USA aus der WHO zu stoppen. Doch ob und wie viel Geld die USA unter Biden dem "Beschleuniger" geben werden, muss sich weisen. "Noch haben wir keine Diskussionen mit ihnen geführt", betonte WHO-Chef Tedros mit Blick auf die nächste US-Regierung.

Nicht genügend Impfstoff für arme Länder

Unterdessen verbreitet sich auch bei Nichtregierungsorganisationen die Angst, dass arme Länder bei den Impfungen ins Hintertreffen geraten. Reiche Staaten sicherten sich derzeit so viele Impfungen, dass bei einer Zulassung fast drei Mal mehr vorhanden wäre als zur Immunisierung der dortigen Bevölkerung nötig, erklärte die "People's Vaccine Alliance" am 9. Dezember. Fast 70 arme Länder könnten hingegen im kommenden Jahr nur jede zehnte Person impfen, wenn der Entwicklung nicht gegengesteuert werde.

Der Zusammenschluss von Aktivisten und Organisationen wie Amnesty International, Oxfam oder Global Justice Now analysierte Daten zu Vereinbarungen zwischen den einzelnen Staaten und den Herstellern der acht führenden Impfstoff-Kandidaten. Demnach wären 67 Länder mit geringem oder mittlerem Einkommen weit abgeschlagen bei der Verfügbarkeit von Impfdosen für ihre Bevölkerung.

Jan Dirk Herbermann