Würzburg (epd). Als Philipp vor etwas mehr als sechs Jahren eine Hausarztpraxis aufsucht, denkt er nicht im Traum an solch eine Diagnose. Er hat Probleme mit der Haut und sein Allgemeinbefinden ist seit einiger Zeit nicht so gut. Auch als die Ärztin ihm nicht einfach bloß eine Creme verschreibt, sondern einen HIV-Test macht, hat Philipp keine Vorahnung. Einige Tage später steht das Testergebnis fest, und für den damals 24-Jährigen bricht eine Welt zusammen: HIV-positiv. Seit sechs Jahren lebt der Mann aus Unterfranken mit dem lebensgefährlichen Virus. "Heute geht es mir gut", sagt Philipp.
Bis heute weiß Philipp nicht genau, wann und wo er sich mit dem Virus infiziert hat. Aber eine Vermutung hat er. Anfang des Jahres 2014 besucht er eine Schwulensauna in Frankfurt am Main. "Klar bin ich aufgeklärt worden, aber mir war in diesem Moment nicht klar, dass ich ein Risiko eingehe", erinnert er sich. Philipp hat mit einem Mann Sex, den er nicht kennt und danach nie wieder sieht. Ein halbes Jahr später, im August, erhält er seine Diagnose. "Ich war dumm, ich war naiv, ich habe nicht aufgepasst: Die Frage nach dem Warum begleitet mich jetzt mein Leben lang."
In Deutschland leben nach aktuellen Schätzungen rund 90.000 Personen, die HIV-positiv sind, davon sind gut 80 Prozent Männer. Dazu gehören auch Menschen, die von ihrer Infektion nichts wissen, sagt Michael Koch, der Leiter der HIV- und Aids-Beratungsstelle Unterfranken der Caritas. "Das sind Menschen wie Philipp vor sechs Jahren, die sich angesteckt haben, das aber nicht ahnen." Dass die Infektion bei dem jungen Mann schnell entdeckt wurde, sei sehr erfreulich: "Manchmal dauert das auch viele Jahre."
Genau das ist auch das Problem, warum die HIV-Infektionszahlen seit Jahren zwar leicht sinken, aber nicht gegen Null gehen. Denn die unwissend Infizierten geben das Virus weiter. Bei Philipp etwa ist das nahezu ausgeschlossen. Er macht eine Antiretrovirale Therapie (ART), täglich nimmt er Tabletten, die die Vermehrung des Virus beinahe völlig blockieren. Alle drei Monate wird bei einem Check überprüft, wie hoch die Zahl der HI-Viren ist. "Sie sind eigentlich nicht mehr nachweisbar", sagt Philipp. Und das heißt, dass er das Virus momentan nicht mehr weitergeben kann.
Diese medizinischen Fortschritte sind Fluch und Segen zugleich. Sie ermöglichen HIV-Infizierten ein normales Leben mit einer ganz normalen Lebenserwartung. Aber sie nehmen dem lebensgefährlichen Virus auch in gewisser Weise den Schrecken. "Die schlimmen Bilder von Aids-Kranken aus den 1980er Jahren, die kennt heute kaum noch jemand - vor allem nicht die jüngeren Menschen", sagt Koch. Das HI-Virus verschwinde immer mehr aus dem öffentlichen Blickfeld. Dabei sind HIV und die Folgekrankheit Aids weltweit nach wie vor eine pandemische Seuche mit Millionen Toten weltweit.
Das liegt auch daran, dass Millionen Betroffener weltweit nicht den gleichen Zugang zu Medikamenten haben wie etwa Philipp. Er wünscht sich, dass die Menschen "entspannter" mit HIV-Infizierten umgehen. Es brauche mehr Aufklärung, dass HIV nicht automatisch Aids bedeute und nicht zwangsläufig tödlich ende. Gerade die Aufklärungsarbeit ist durch die Corona-Pandemie momentan stark beeinträchtigt, sagt Beratungsstellenleiter Koch: "Und auch unsere Klienten können teilweise nicht mehr zu uns kommen. Wir beraten jetzt eben vermehrt online und per Telefon."
Es gebe auch noch weitere Verknüpfungen zwischen HIV und Covid-19, sagt Koch. Nur wegen der Erkenntnisse aus der jahrzehntelangen HIV-Grundlagenforschung sei es nun möglich gewesen, in so kurzer Zeit Corona-Impfstoffe zu entwickeln.