Kirchen

Die Flüchtlingsbürgin


Die evangelische Pastorin Uta Heine
epd-bild/Darius Simka/regios24
Im Jahr 2014 bürgt die evangelische Pastorin Uta Heine dafür, eine syrische Familie nach Deutschland zu holen. Jahre später erhält sie Post vom Jobcenter. Die Wolfsburgerin soll mehr als 38.500 Euro zahlen. Eine Zeit der Ungewissheit beginnt.

Als Tausende Menschen im Jahr 2014 vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) im Nordirak fliehen, verfolgt die evangelische Pastorin Uta Heine im mehr als 4.000 Kilometer entfernten Wolfsburg die Bilder betroffen am Fernseher. "Ich war fix und fertig", erinnert sich die 57-Jährige. Angesichts des Flüchtlingsdramas wird ihr klar, dass sie etwas tun möchte.

Heine übernimmt, wie viele Menschen bundesweit, eine sogenannte Verpflichtungsgeberschaft. Sie bürgt dafür, dass eine siebenköpfige syrische Familie auf legalem Weg nach Deutschland reisen kann. Damals ahnt die alleinerziehende Mutter noch nicht, was ihr bevorsteht.

Etwa drei Jahre später flattern der Pastorin Briefe vom Jobcenter ins Haus. Sie soll rund 38.500 Euro an Sozialleistungen zurückzahlen. "Ich war fassungslos", sagt Heine. Die syrische Familie hatte nur wenige Monate nach ihrer Ankunft den Flüchtlingsstatus erhalten. Wie vielen anderen war auch Heine gesagt worden, dass ihre finanzielle Verantwortung damit erlischt. Doch der Bund legte rückwirkend längere Fristen fest.

Politische Lösung gesucht

Für Heine beginnt eine anstrengende Zeit der Ungewissheit. Unklar bleibt, für wie viele Jahre sie für die Familie bürgen wird. "Mein Verhältnis zu diesem Land, zur Politik und zur Rechtsprechung hat sich in den vergangenen zwei Jahren deutlich verändert", sagt die Pastorin, während sie von ihrem Amtszimmer auf den Wolfsburger Schlosspark blickt. In einer Ecke des Raums erinnert noch ein Samowar an die Zeiten, als die Gemeinde zu Zeiten der Flüchtlingswelle regelmäßig Menschen zum Tee und zur Begegnung einlud.

Bundesweit verschickten die Jobcenter Forderungen von insgesamt 21 Millionen Euro. In Niedersachsen stehen Rückzahlungen von 7,2 Millionen Euro im Raum. "Ein gewisses Risiko war mir bewusst, aber mit Bescheiden in dieser Höhe habe ich nicht gerechnet", sagt Heine schließlich mit fester Stimme. "Wenn Juristen Entscheidungen überdenken oder nach einiger Zeit zu anderen Urteilen kommen, kann dies nicht zulasten der Bürger fallen, die man vorher anders informiert hat."

Heine sucht gemeinsam mit einer Kirchengemeinde, die ebenfalls eine Bürgschaft übernommen hat, zunächst nach einer politischen Lösung. Die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen setzt sich an verschiedenen Stellen dafür ein. Gespräche der Innenminister mit dem Bund bringen vorerst keine Ergebnisse. Schließlich sucht Heine sich einen Anwalt. Die E-Mails und Briefe, die sie ihm übergibt, füllen mehrere Ordner. Allein in Niedersachsen haben mehr als 480 Bürgen gegen die Kostenbescheide geklagt.

Ende Januar scheinen Bund und Länder schließlich einen erlösenden Kompromiss gefunden zu haben. Die Bürgen müssten keine Rückzahlungen befürchten, heißt es aus Berlin. Heine will sich nicht zu früh freuen. "So richtig erleichtert bin ich erst dann, wenn ich es schwarz auf weiß habe", sagt sie mit einem leichten Lächeln. Auch der niedersächsische Flüchtlingsrat sieht bei der Einigung noch viele Detailfragen offen.

Gericht entscheidet über Anwaltskosten

Vom niedersächsischen Innenministerium in Hannover heißt es derzeit, dass es "nur noch in wenigen Fällen" zu einer Erstattungspflicht kommen kann. Ob die Bürgen auch für die Anwalts- und Gerichtskosten aufkommen müssen, entschieden die Verwaltungsgerichte. Die Wolfsburger Pastorin hätte gerne auch dieses Geld lieber ihrer syrischen Familie gespendet. Während sich die fünf Kinder in Kindergarten und Schule gut integrieren, fällt es den Eltern noch schwer, in Deutschland Fuß zu fassen.

Dass nun manche kritisieren, dass der Steuerzahler für die Naivität der Flüchtlingsbürgen aufkommen muss, findet Heine kurzsichtig. Manche Probleme habe man damals noch nicht absehen können. Nach vier Jahren in der Flüchtlingshilfe sehe auch sie vieles differenzierter, denn nicht alle könnten sich gleichermaßen leicht integrieren. "Mir war wichtig, in aktueller Not zumindest für einige Hilfe zu ermöglichen." Dazu stehe sie auch heute noch. "Wir können nicht einfach so tun, als würde unsere Verantwortung an der Haustür aufhören."

Charlotte Morgenthal (epd)


Wolfgang Huber würdigt Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffers Lebenswerk sei zu einem der stärksten theologischen Impulse geworden, die aus dem vergangenen Jahrhundert in unsere Gegenwart hinüberwirken, schreibt der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Huber in seinem neuem Buch.

Der Theologe und Sozialethiker Wolfgang Huber (76) hat Dietrich Bonhoeffer als einen der wichtigsten deutschen Theologen des 20. Jahrhunderts gewürdigt. Bonhoeffers Lebenswerk sei zu einem der stärksten theologischen Impulse geworden, die aus dem vergangenen Jahrhundert in unsere Gegenwart hinüberwirken, schreibt Huber in seinem neuen Buch "Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit", das am 14. Februar im Münchner Verlag C.H. Beck erschienen ist. Bonhoeffers Einsatz im Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur habe viele Menschen weltweit zu Widerständigkeit und politischem Engagement ermutigt.

Einheit von Lebensgeschichte und Denkweg

Huber beschreibt in seinem Buch die Wechselwirkungen zwischen Leben und Denken Bonhoeffers. "In der Beschäftigung mit dem Denken Bonhoeffers habe ich die Erfahrung gemacht, dass seine großen Themen gerade dann zu leuchten beginnen, wenn sie in seiner Lebensgeschichte verortet werden", schreibt der Berliner Altbischof und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Frage des politischen Widerstands, die Verantwortung für den Frieden und die öffentliche Rolle der Kirche - dies sind nach Hubers Auffassung Bonhoeffers wichtigste Themen. Und so arbeitet er in seinem Buch dessen Wirken nicht chronologisch auf, sondern widmet sich in thematischen Einheiten Bonhoeffers Leben und Werk. Die Einheit von Lebensgeschichte und Denkweg, von Theologie und Biografie fasziniere bis heute, schreibt Huber.

Huber zeichnet Bonhoeffer als wegweisenden theologischen Denker, dessen Werk zu Lebzeiten unvollendet blieb und erst posthum Bekanntheit erlangte. Der Altbischof war mitverantwortlich für die Herausgabe der Neuauflage von Bonhoeffers gesammelten Schriften. Huber ist nicht nur ein Kenner, sondern zugleich auch ein Verehrer Bonhoeffers.

Es ist Bonhoeffers Schicksal und sein berühmtestes Gedicht "Von guten Mächten", das ihn über die Sphären der Theologie hinaus bekanntgemacht hat. Und so wird Bonhoeffer von Huber sofort zu Beginn des Buches als "Märtyrer" eingeführt, der für seine Glaubensüberzeugung gestorben ist.

Theologischer Überflieger

1906 in Breslau geboren, entwickelt sich Bonhoeffer mit Anfang 20 als theologischer Überflieger. Er kritisiert das nationalsozialistische Regime von Anfang an für dessen Rassenpolitik, wird Mitglied der Bekennenden Kirche, die sich gegen die Hitler-treuen Deutschen Christen wendet. Dank persönlicher Beziehungen arbeitet Bonhoeffer während des Kriegs bis zu seiner Verhaftung für den militärischen Auslandsgeheimdienst im Oberkommando der Wehrmacht. Das schützt ihn vor dem Militärdienst an der Front.

Durch seine Arbeit kommt er mit dem militärischen Widerstand gegen Hitler in Kontakt und schließt sich dem Widerstand an. 1943 wird er deswegen von der Gestapo verhaftet, am 9. April 1945 wird er schließlich auf Hitlers Befehl im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet. Das Tragische: 1939 hatte Bonhoeffer sich gegen eine Pfarrstelle in New York und damit gegen die Emigration entschieden.



EKD-Präsesr: Kirche soll jungen Menschen mehr Gehör schenken

Junge Menschen sollten nach Ansicht der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, in den Synoden mehr Gehör erhalten. Viele der jungen Menschen könnten mit den traditionellen kirchlichen Bräuchen nichts anfangen, sagte sie in ihrem Grußwort am 17. Februar beim Festakt zum 150-jährigen Bestehen der Württembergischen Evangelischen Landessynode in Stuttgart.

Deshalb müssten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst entscheiden, wie sie ihren Glauben leben: "Ihre Ideen sind wichtig, lassen wir sie machen." Die Kirche werde dadurch mit Sicherheit bereichert.

Zudem beobachtet Schwaetzer, dass viele Kirchenmitglieder sich vor allem projektbezogen einbringen - bei Themen, die sie interessieren. Auch seien Angebote wie Citykirchen, Tourismusseelsorge und andere Formate gefragt, in denen eine "Gemeinde auf Zeit" gelebt werden könne.

Erfreulich sei, dass auch Kasualien stark nachgefragt seien, selbst bei Menschen, die nicht zur Kirche gehörten. Hier stelle sich die Frage, ob man Menschen ohne Mitgliedschaft tatsächlich wegschicken wolle, wenn sie sich eine Taufe oder kirchliche Hochzeit wünschen.

Bis zur vollkommenen Teilhabe von Frauen in der Kirche ist es nach Einschätzung von Schwaetzer noch ein weiter Weg. Vor allem in den mittleren und höheren Leitungsämtern wie den Bischofsämtern gebe es noch zu wenig Frauen, kritisierte sie.

Am 18. Februar 1869 hatte sich die erste Landessynode in Württemberg konstituiert. Die württembergische Landeskirche ist die einzige in Deutschland, die ihre Synodalen nach dem Prinzip der Urwahl wählt.



Kirchentagssonntag wirbt für Gottvertrauen


Kirchentagspräsident Hans Leyendecker (links), Präses Annette Kurschus und Kirchentagsgeneralsekretärin Julia Helmke mit dem Leitwort für den 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund
epd-bild/Friedrich Stark

Evangelische Theologen haben in ihren Predigten am sogenannten Kirchentagssonntag bundesweit für Gottvertrauen und Gottes Güte in Krisenzeiten geworben. Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, betonte am 17. Februar in der Bielefelder Matthäuskirche, dass sie sich einen Kirchentag wünsche, "auf dem die Menschen erfahren können, dass die Güte Gottes nicht rationiert ist und niemand zu kurz kommt, weil sich andere dazusetzen". In 160 Gottesdiensten bundesweit, davon 118 in der Evangelischen Kirche von Westfalen, stimmten Predigten auf den evangelischen Kirchentag und seine biblische Losung "Was für ein Vertrauen" ein. Der evangelische Kirchentag ist vom 19. bis 23. Juni zu Gast in Dortmund.

Die leitende westfälische Theologin warb für einen Kirchentag, "der auch und gerade da, wo er kritisch ist, nicht nörgelt, nicht besser weiß und nicht den moralischen Zeigefinger erhebt, sondern von der Fülle Gottes herkommt und mit dieser Fülle der Wirklichkeit zuprostet". Kirchentagsbesucher sollten dazu befreit werden, den eigenen Lebensdurst und den Durst der anderen miteinander ins Gleichgewicht zu bringen, sagte Kurschus.

Leyendecker: Menschen scheinen bereit für Schwarzbrot

Kirchentagspräsident Hans Leyendecker sagte in der Dortmunder Reinoldikirche, er habe den Eindruck, die Menschen seien das Glatte leid und bereit für "Schwarzbrot" beziehungsweise für die Herausforderungen des Lebens. Die Kirchentagslosung aus dem 2. Buch Könige verweise auf einen "sperrigen Text" der Bibel. Für ihn mache die Kriegsgeschichte um einen Regenten, dessen Stadt von der Zerstörung eines übermächtigen Heers verschont bleibt, deutlich, dass Gottvertrauen letztlich ein "tiefes Beziehungsgeschehen" zwischen Mensch und Gott sei. Ein Vertrauen, das in ungewissen Zeiten Zuversicht bedeute und nicht lähmende Resignation gewinnen lasse. "Gottvertrauen ist für mich der Puls des christlichen Lebens", sagte der Journalist.

Auch Kirchentagsgeneralsekretärin Julia Helmke unterstrich in der Dortmunder Petrikirche, Gottvertrauen sei für sie die Grammatik des christlichen Lebens. "Mit Vertrauen fängt alles an", sagte die Pfarrerin. Vertrauen sei etwas individuelles und zugleich Grundlage und Kitt einer Gemeinschaft. Der Kirchentag bedeute eine verdichtete und besondere Zeit, in der durch Diskussion und Feiern Vertrauen wachsen könne.

Der theologische Vizepräsident der westfälischen Kirche, Ulf Schlüter, betonte in der evangelischen St. Marienkirche in Dortmund seine Skepsis gegenüber Gottvertrauen in Kriegsgeschichten. Es sei ein Segen, dass die "Gott mit uns"-Zeiten in diesem Land und in dieser Kirche beendet seien, sagte er in seiner Predigt. Schlüter verwies auf das preußische Militär, das den Spruch einst im Kampf gegen Napoleon als Slogan eingesetzt hatte. Die Kirche habe in ihrer Geschichte "furchtbare Irrwege" beschritten. Es sei ein Segen, dass heute kein deutscher Militärseelsorger mehr auf den Gedanken käme, Krieg als gottgewollt zu glorifizieren. Gott habe keinen Vertrag mit einer Nation, betonte Schlüter. Gott sei kein Siegergott, sondern geleite Menschen durch die Dunkelheit.

"Büdchen"-Sternfahrt durch NRW

Am Tag zuvor gab es als Aktion eine Sternfahrt fahrbarer "Büdchen", die in 13 Städten in Nordrhein-Westfalen für die Großveranstaltung im Juni warb. Für den "Budenzauber" waren am 16. Februar acht Teams unterwegs, um an den verschiedenen Stationen über den Kirchentag vom 19. bis 23. Juni im Ruhrgebiet zu informieren.

Die mobilen Kioske machten unter anderem in Leverkusen, Wuppertal, Gelsenkirchen, Bochum, Iserlohn oder Düsseldorf Halt, auch in Attendorn, Bad Berleburg, Herford und Brilon. Ziel war die Reinoldikirche in Dortmund, wo unter anderem der Kirchentags-Chor mit mehr als 300 Sängerinnen und Sängern auftrat. Organisiert wurde die Sternfahrt vom westfälischen Landesausschusses für den Kirchentag.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag besteht seit 1949 und findet alle zwei Jahre in einer anderen Großstadt statt. Nach 1963 und dem Ruhrgebietskirchentag 1991 ist das Protestantentreffen zum dritten Mal in Dortmund zu Gast. Die Veranstalter erwarten in diesem Jahr rund 100.000 Dauerteilnehmer.



Leyendecker: Wir brauchen eine "Dafür-Republik"

Der Präsident des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentages, Hans Leyendecker, möchte zum Protestantentreffen besonders auch Menschen einladen, "die sich andernorts einfach nicht gehört fühlen". In der Mitte der Gesellschaft finde eine innere Auswanderung aus der Demokratie statt, weil das Vertrauen in das politische System und ihre Verantwortlichen schwinde, warnte Leyendecker am 14. Februar beim Jahresempfang des Evangelischen Kirchenkreises Iserlohn. Kirchentage gründeten immer in der Überzeugung, dass Christsein und politische Überzeugung zusammengehörten. "Gemeinsam müssen wir gerade auch jetzt in Dortmund die Vertrauenskrise überwinden helfen", unterstrich Leyendecker.

Christen-Pflicht zur Zuversicht

Für Christen gibt es nach Worten Leyendeckers "eine regelrechte Pflicht zur Zuversicht": Zuversicht sei das Gegengift gegen die Lust an der manchmal schon modisch gewordenen Untergangsstimmung. "Wir brauchen vielmehr eine Dafür-Republik. Und ich bin davon überzeugt, dass der Kirchentag dabei helfen kann", betonte der Journalist und Kirchentagspräsident.

Das Kirchentagsmotto "Was für ein Vertrauen" kann nach Worten Leyendeckers eine wichtige Hilfestellung für jeden Einzelnen sein: "Kern dieser Losung ist der lebendige Gott. Mit dem Vertrauen auf ihn fängt alles an." Im Vertrauen auf Gott habe er auch selbst weiterhin Vertrauen in die Menschen: "Angesichts all unserer Sehnsucht nach Gewissheit sollten wir aber auch unsere Zweifel akzeptieren und ernst nehmen. Aber ganz ohne Hass gegen jene, die nicht in unser Weltbild zu passen scheinen", sagte der Kirchentagspräsident.

Leyendecker bekräftigte die Entscheidung, offizielle Vertreter der AfD nicht zu Podien des Kirchentages einzuladen. "Wir dürfen Hassern, Hetzern, Rassisten und Nazis keine Plattform bieten!", sagte er. Trotz Podiumsverbot müsse aber die Auseinandersetzung mit Antisemiten und Rechtsextremisten gesucht und geführt werden - auch auf dem Kirchentag, sagte Leyendecker.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag vom 19. bis 23. Juni in Dortmund steht unter dem Motto "Was für ein Vertrauen". Die Veranstalter erwarten rund 100.000 Dauerteilnehmer.



Weltgebetstag: Appell für gemeinsames Abendmahl

Der Weltgebetstag am 1. März soll ein Zeichen für ein gemeinsames Abendmahl setzen. "Die Trennung der Konfessionen am Tisch des Herrn ist für die im Weltgebetstag engagierten Frauen ein unerträglicher Zustand, denn sie stellt die Glaubwürdigkeit der christlichen Kirchen und Gemeinschaften infrage", erklärte das deutsche Weltgebetstags-Komitee am 12. Februar in Stein bei Nürnberg.

"Wir rufen auf, mit uns rund um den 1. März 2019 zu beten für das gemeinsame Abendmahl und für eine gerechte Welt, in der alle Menschen mit am Tisch sitzen - unabhängig von ihrer Hautfarbe, Herkunft, Alter, sexueller Orientierung und Religion", erklärte das Komitee.

Größte Basis-Bewegung christlicher Frauen

Der Weltgebetstag gilt als weltweit größte Basis-Bewegung christlicher Frauen. In Deutschland laden dazu elf Mitgliedsorganisationen aus verschiedenen christlichen Konfessionen ein. Der Aktionstag soll Christinnen und Christen unterschiedlicher Konfessionen in Gebet und Handeln für Frieden, Gerechtigkeit und Frauenrechte verbinden.

Die Gebete, Texte und Lieder stammen in diesem Jahr von Frauen aus Slowenien. "Für Christinnen und Christen überall auf der Welt sind ihre Worte auch die Einladung zur eucharistischen Tisch-Gemeinschaft, die wir immer noch nicht mit allen Konfessionen gemeinsam feiern können", erklärte das Weltgebetstags-Komitee.



Verschollene Fundstücke aus Luthers Grab


Zinkstück (vorne) und Metallspäne (links, in Streichholzschachtel) vom Sarg des Reformators Martin Luther
epd-bild/Steffen Schellhorn
In einer geheimen Aktion wurde Ende des 19. Jahrhunderts das Grab des Reformators Martin Luther geöffnet. Dabei wurden sogar "Beweisstücke" entnommen. Ein verschollen geglaubter Teil der Funde ist nun in Braunschweig wieder aufgetaucht.

Das Grab des Reformators Martin Luther (1483-1526) sollte verschlossen bleiben. Kaiser Wilhelm II. hatte eine Graböffnung ausdrücklich verboten. So beginnt ein "archäologischer Krimi", den der ehrenamtliche Leiter der Goslarschen Marktkirchen-Bibliothek und Theologe Helmut Liersch erforscht hat. Im Jahr 1892 fand dennoch eine heimliche Grabung statt, wie Liersch berichtet. Sogar "Beweisstücke" wurden aus dem Grab des Reformators entnommen. Ein Teil davon galt lange als verschollen und ist nun nach mehr als 100 Jahren in Braunschweig wieder aufgetaucht. Am Mittwoch wurden die Fundstücke an das Lutherhaus in Wittenberg übergeben.

Über Jahrzehnte lagerte eine kleine Schachtel im Pfarrhaus von Ruhestandspastor Martin Quandt. Erst kürzlich habe er herausgefunden, was sich im Nachlass seines Urgroßvaters, damals Superintendent in Wittenberg, befindet, berichtet er: Ein wenige Zentimeter großes Zinkstück, das von der Innenverkleidung des Luther-Sarges stammt und eine mit Rostpartikeln gefüllte Streichholzschachtel mit einer beigelegten Notiz "Aus Luthers Grabe zu Wittenberg". Zudem noch vier Schriftstücke.

Gemeinsam mit Bibliotheksleiter Liersch begab sich Quandt im vergangenen Jahr auf die Spuren der geheimnisvollen Grabung. Ende des 19. Jahrhunderts hätten ein Baumeister und sein Maurerpolier trotz des kaiserlichen Verbots der Versuchung nicht widerstehen können, erzählt Liersch. "Sie wollten nachschauen, ob der Reformator wirklich in der Wittenberger Schlosskirche begraben liegt." Während der Sanierung der Kirche bot sich die Gelegenheit für die geheime Aktion.

"Sensationelle Auskunft"

In Wittenberg habe sonst niemand von der Grabung gewusst. Nur durch Zufall habe der beteiligte Maurerpolier Jahre später einem Touristen in der Kirche erzählt, dass Luther entgegen anderslautender Gerüchte tatsächlich dort begraben sei. "Eine sensationelle Auskunft", betont Liersch. So habe auch Quandts Urgroßvater davon erfahren.

Kurze Zeit später enthüllt ein wissenschaftlicher Bericht, dass sogar "Beweisstücke" aus dem Grab entnommen wurden. Eine weitere Sensation, die aber kaum zur Kenntnis genommen wurde, sagt Liersch. Niemand habe nach den Fundstücken gefragt. Die Pappschachtel wanderte in Quandts Besitz und wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Der Maurerpolier übergab im Jahr 1913 schließlich einen Handgriff vom Sarg, ein weiteres Fundstück, an das Wittenberger Lutherhaus.

An diese größte reformationsgeschichtliche Sammlung der Welt hat nun auch Quandt die lange verschollen geglaubten Fundstücke überreicht. Im Privateigentum seien diese nicht gut aufgehoben, betont der Theologe. "Dann geht es eventuell verloren, das will ich auf keinen Fall."

Charlotte Morgenthal (epd)


Wenn die Kirche im Dorf bleiben soll


Die 1926/27 erbaute Gustav-Adolf-Kirche im Dortmunder Stadtteil Deusen ist nun ein Begegnungszentrum.
epd-West/ StadtBauKultur NRW
Weil es immer weniger Kirchenmitglieder gibt, werden viele Gotteshäuser nicht mehr gebraucht. Die Landesinitiative StadtBauKultur NRW startete am 14. Februar ein Projekt, das Gemeinden bei der Umnutzung von Kirchen unterstützen soll.

Erst verließen Post und Sparkasse den Ort. Als dann auch noch die evangelische Kirche geschlossen werden sollte, reichte es vielen Menschen im Dortmunder Stadtteil Deusen. Sie gründeten einen Bürgerverein, der die Gustav-Adolf-Kirche übernahm und zu einem Begegnungszentrum umbaute. Heute, 15 Jahre später, gilt die gelungene Umwandlung als Vorbild für andere Gemeinden. Denn nach Schätzungen der Landesinitiative StadtBauKultur NRW werden in den kommenden Jahren 25 bis 30 Prozent der Kirchen in Nordrhein-Westfalen nicht mehr gebraucht. Viele Gemeinden stellt das vor große Probleme.

Die Landesinitiative mit Sitz in Gelsenkirchen startete deshalb am 14. Februar ein Projekt, das Gemeinden bei der Umnutzung von Kirchengebäuden unterstützen soll. Mit Gotteshäusern könne man nicht einfach so verfahren wie mit anderen Gebäuden, die ihren Zweck verloren hätten, sagt Projektinitiator Tim Rieniets. Denn selbst Kirchen, die nur noch wenig genutzt würden, hätten oftmals eine große emotionale Bedeutung für ein Stadtviertel. "Kirchen sind zudem aus architekturhistorischer Sicht einer der bedeutendsten Bautypen, an dem man die gesamte Baugeschichte unserer Region ablesen kann."

Website klärt auf

Doch genau das mache es auch so schwierig, eine neue Verwendung für diese oftmals denkmalgeschützten Gebäude zu finden. "Kirchen bergen Herausforderungen, die andere Bauwerke nicht haben", weiß Rieniets. "Und hinzukommt, dass diejenigen in den Kirchengemeinden, die sich für den Erhalt ihrer Kirche einsetzen wollen, sehr häufig Laien sind." Ihnen will die Landesinitiative StadtBauKultur NRW nun mit dem Projekt "Zukunft-Kirchen-Räume" Unterstützung bieten.

Dazu wurde eine Website entwickelt, die verständliche Informationen zu allen Themen bietet, die bei der Umnutzung oder baulichen Anpassung einer Kirche beachtet werden müssen, darunter etwa Baurecht oder Denkmalschutz. Zudem finden Gemeinden hier rund 60 bereits realisierte Beispiele für gelungene Umnutzungen von Kirchen. Hinzu kommt eine Liste mit Ingenieuren, Architekten und anderen Fachleuten, die Erfahrung mit solchen Projekten haben. Darüber hinaus will die Landesinitiative eine begrenzte Anzahl von Gemeinden dabei unterstützen, ein Zukunftskonzept für ihre Kirche zu erarbeiten. Dafür können sich Gemeinden aus Nordrhein-Westfalen auf einen offenen Projektaufruf bewerben.

Das Thema Umnutzung von Gotteshäusern ist für die Kirchen in NRW nicht ganz neu. Schon in den vergangenen zehn bis 15 Jahren seien im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland jährlich 20 bis 25 Kirchen- oder Gemeindegebäude umgewidmet worden, sagt Gudrun Gotthardt vom Bau-Dezernat des Landeskirchenamtes in Düsseldorf. "Das Projekt der Landesinitiative bietet nun den Vorteil, dass Informationen gebündelt werden und zudem Best-Practice-Beispiele präsentiert werden."

Mitunter komplizierter und langwieriger Prozess

Burkhard Kämper vom Katholischen Büro Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf betont, dass die Umwidmung von Kirchengebäuden ein komplizierter und langwieriger Prozess sei, bei dem auch kirchenrechtliche Aspekte eine Rolle spielten. Erste Ansprechpartner für betroffene Gemeinden blieben daher die Landeskirchenämter oder Generalvikariate, die Erfahrung mit dem Thema haben. Für die Kirche stehe eine würdige Nutzung des Gebäudes an oberster Stelle, sagt Kämper.

Auch die evangelische Kirche legt Wert darauf, dass Gotteshäuser so umgewidmet werden, dass der symbolische und städtebauliche Wert berücksichtigt wird. "Unsere Beratung geht dahin, dass die Gebäude gehalten werden, zum Beispiel für eine erweiterte kirchliche Nutzung", sagt Gotthardt. Gemeint ist damit etwa die Verlagerung von Gemeinderäumen in das Kirchengebäude.

Ein gutes Beispiel dafür aus dem Bereich der rheinischen Landeskirche sei etwa die Umgestaltung der evangelischen Kirche im rheinland-pfälzischen Baumholder. Dort wurde das Gemeindezentrum in das Gotteshaus verlegt, nachdem die Gemeinde deutlich geschrumpft war. Dadurch konnten Gemeindehaus und Jugendzentrum verkauft werden. Für ihre pfiffige Lösung erhielt die Gemeinde 2011 den ersten Preis im Architekturwettbewerb der rheinischen Landeskirche. Andernorts konnten Kirchen zum Beispiel auch durch die Umwandlung in Konzert- und Veranstaltungssäle oder Stadtteilzentren weiter genutzt werden.

In Deusen erreichte die Gemeinde sogar, dass sie die Kirche für neue Zwecke verwenden darf, ohne sie zu entwidmen. So finden dort inzwischen Seminare, Tagungen und Feiern statt. Versorgt werden können die Gäste von einer Gastronomie, die in einem Anbau unterkam. Zugleich kann die Gemeinde in der Kirche weiterhin Gottesdienste feiern.

Claudia Rometsch (epd)


Schunkeln mit Anspruch bei "Prot's"


"Prot's"-Sitzung bietet Spaß und Kölsch
epd-bild/Jörn Neumann
Wer glaubt, dass die Kölner Protestantische Karnevalssitzung "Prot's" nur zum Spaß stattfindet, irrt. Tatsächlich treffen sich zum Schunkeln an der Kanzel die Logen des geheimen Prot's-Ordens. 500 Jahre nach der Reformation gibt es Klärungsbedarf.

Soll der Protestant mehr reden, sich einmischen? Oder soll er schweigen, Zurückhaltung üben? Wie gut, dass der Großmeister des geheimen protestantischen Prot's-Ordens, der Leverkusener Pfarrer Christoph Prößdorf, zur Beratung nach Köln in die Kartäuserkirche geladen hat. Zum schunkelnden Konvent der Logenbrüder und -schwestern in der evangelischen Kirche mit katholischer Ordensvergangenheit sind ausdrücklich auch weltliche Jecken willkommen. Alle sind vom Schweigegelübde entbunden. Premiere der evangelischen Karnevalssitzung "Prot's" war am 16. Februar. Weitere Aufführungen mit Kabarett auf der Bühne, mit Kölsch und Nudelsalat in der Kirchenbank folgen am 22., 23. und 24. Februar.

Karneval an der Kanzel? Ja, endlich, atmet die Kölner Pfarrerin Dorothee Schaper, langjähriges Mitglied im Prot's-Präsidium, auf. Zu relevant seien die Themen um kontaktscheue Päpste, die kriselnde Ökumene zwischen Köln und Düsseldorf und Frömmigkeit unter den Auflagen der Datenschutzgrundverordnung, um die Diskussion weiterhin in Gemeindesäle zu verbannen. Zudem seien mit dem Umzug in die Kölner Südstadt die protestantischen Karnevalisten endlich im Epizentrum des rheinischen Frohsinns angekommen, betonen Schaper und Kartäuserkirchen-Gastgeber, Pfarrer Mathias Bonhoeffer. Bislang hatten alle zwei Jahre zentrumsferne Stadtteile wie Bocklemünd und Michaelshoven der Prot's eine Heimat geboten.

Trauungen nach EU-Datenschutzgrundverordnung

Unter der professionellen Regie von Lutz Weber und Sabine Nurtsch, mit Beiträgen des Dünnwalder Laien-Ensembles "Dünnpfiff", von Berufsschulpfarrer Herbert Rösner und anderen Kreativen der evangelischen Szene sei ein beachtliches Programm von lauter Ehrenamtlern auf und hinter der Bühne entstanden, erläutern die Prot's-Macher. Der Sitzungsbesuch dürfte nicht nur den angekündigten Gästen aus dem Düsseldorfer Landeskirchenamt als Fortbildung dienen, sondern auch die Lachmuskeln von Kirchenfernen strapazieren. Der Erlös der Eintrittskarten kommt der Jugendarbeit der Kölner evangelischen Gemeinde zugute.

Weniger zum Lachen sind allerdings die neuen Auflagen durch die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Trauungen, Taufen - dürfen Pfarrer da noch persönliche Daten der Beteiligten nennen? Natürlich nicht, erfahren Besucher der Prot's, die einer DSGVO-konformen Trauung beiwohnen dürfen. Der recht häufig erklingende Piepton zum Übertönen der Namen von Braut und Bräutigam stört fast gar nicht.

Blick in die Papst-WG

Auch in diesem Jahr haben es die protestantischen Karnevalisten geschafft, einen Blick in die Papst-WG von Benedikt und Franziskus zu werfen. Zwischen Kreuzworträtsel und Abendlektüre, zwischen bayerischer Grantelei und lateinamerikanischer Geschwätzigkeit erfahren die Zuschauer, warum der Protestantismus so wenig Gehör in Rom findet und das päpstliche Grußwort zu einer dieser evangelischen Großveranstaltungen ausbleiben wird. Benedikt hat einfach keine Lust, mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland zu telefonieren und deswegen die Leitung zu blockieren. Es könnten ja wichtigere Leute anrufen. Da hört das Telefon auf dem WG-Beistelltischchen ganz von selbst auf zu klingeln. Endlich wieder Ruhe im Vatikan.

Die Stadt Köln hingegen ist bemüht, das Kommunikationsklima zu verbessern. Das Lachseminar der staatlich geprüften Gelotologin Hannelore für städtische Mitarbeiter soll alle zum Lachen benötigten Muskeln aktivieren. Der Erfolg will sich nicht so recht einstellen. Und dann schwätzen auch noch unmotivierte Kursteilnehmer miteinander. Satzfetzen wie "Oper und Schauspiel bis spätestens 2023 saniert", "Container auf dem Breslauer Platz nur Provisorium" oder "Dieselfahrverbot in der Innenstadt" gehen in unkontrollierten Zuckungen und Lachsalven unter.

Dauerkrise zwischen den Karnevalshochburgen

Dieser innerstädtische Frohsinn steht im Gegensatz zur Dauerkrise zwischen den Karnevalshochburgen Köln und Düsseldorf. Die Begegnung des versehentlich gleichzeitig zur Prot's eingeladenen Kölner Dreigestirns mit Prinz, Bauer, Jungfrau und des Düsseldorfer Prinzen samt seiner Venetia droht, in einem Straßenkampf der verfeindeten Lager zu enden. Kann hier die spontan erblühende Liebe zwischen der Düsseldorfer Venetia und der Kölner Jungfrau Frieden stiften? Die Zuschauer finden sich im Musical "West Side Story" wieder - mit den großartigen Gesangssolisten Katharina Schneider und Alexander Schüller, dem Frontmann der souverän aufspielenden Hausband "Vogelsang Noise Connection".

Dass sich Gegensätze anziehen und gemeinsam Konflikte überwunden werden können, erkennen zum Schluss auch die zerstrittenen Logen des geheimen Prot's-Ordens. Es brauche eben Schweigen und Reden in der Kirche, sagen die nun vereinten Lager: damit zugehört und nicht weggehört wird, damit der Mund an der richtigen Stelle aufgemacht und nicht nur rumgemeckert wird. Wehmut angesichts des "Untergangs der guten alten Schweigekultur im Landeskirchenamt" empfinden da vielleicht nur noch einzelne Brüder und Schwestern.

Gabriele Fritz (epd)


Rheinischer Präses würdigt Vesperkirchen

Der rheinische Präses Manfred Rekowski hat das Konzept der Vesperkirchen gewürdigt. "Die Vesperkirche ist eine Erfolgsgeschichte, weil sich an der Tischgemeinschaft ganz elementar zeigt, was Jesus will", erklärte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland. Der leitende Theologe hielt am 17. Februar vor der Vesperkirche in der Stadtkirche Wülfrath die Predigt. Die Stadtkirche dient bis 24. Februar täglich ab 11.30 Uhr als Vesperkirche, bei der im Kirchraum gedeckte Tische zum Essen, zum Reden und zur Begegnung bereitstehen.

Willkommenskultur

"Menschen nehmen dieses Angebot der offenen Kirche aus ganz unterschiedlicher Motivation wahr", sagte Rekowski laut Predigtmanuskript. Die offene Kirche heiße sie alle willkommen. Ihn habe beeindruckt, wie viele Menschen in die Vesperkirche kommen, erklärte der Präses. Ein Grund liege darin, dass der Besuch nichts voraussetze, auch keine religiöse Einstellung. Man dürfe dazugehören, bevor man überhaupt einen Zugang zum Glauben gefunden habe, betonte er in seiner Predigt.

Unter dem Motto "Vielfalt unterm Kirchendach" ist die Stadtkirche in Wülfrath für 15 Tage zu einem Gastraum umgestaltet worden. Im Rahmen des Projekts Vesperkirche gibt es den Angaben zufolge Beratung der sozialen Dienste, eine Arztsprechstunde, eine Fußpflege sowie kulturelle und religiöse Angebote. Mehr als 400 Ehrenamtliche wirken mit.

Die Stadtkirche in Wülfrath ist die zweite Vesperkirche im Kreis Mettmann. Bis Anfang Februar hatte die Vesperkirche in Velbert geöffnet. Als erste Vesperkirche Nordrhein-Westfalens hatte die Martin-Luther-Kirche in Gütersloh 2018 ihre Türen geöffnet.

Die Idee stammt aus Süddeutschland. Die erste evangelische Vesperkirche Deutschlands wurde 1994 in Stuttgart eröffnet und zu einem jährlichen Winterprojekt zugunsten von Bedürftigen ausgebaut.



Bibelgesellschaft informiert online über Religionspädagogik

Die Deutsche Bibelgesellschaft hat ihr religionspädagogisches Online-Angebot ausgebaut. Im "Wissenschaftlich-Religionspädagogischen Lexikon im Internet" (WiReLex) seien derzeit 450 Artikel kostenlos zugänglich, teilte die Bibelgesellschaft am 11. Februar in Stuttgart mit. WiReLex ist eingebunden in das Portal www.bibelwissenschaft.de. Das ökumenische Angebot richte sich an alle, die mit religiöser Bildung und Erziehung zu tun haben.

Unterstützt werde das Angebot durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz, hieß es weiter. Das Comenius Institut, die evangelische Arbeitsstätte für Erziehungswissenschaft, ist Kooperationspartner. Zum weiteren Angebot im wissenschaftlichen Bibelportal gehören die Bibeltexte in den Ursprachen, eine Bibelkunde, die Bibel in der Kunst, der Online-Bibelkommentar und das Wissenschaftliche Bibellexikon.



Mediziner und Friedensaktivist Karl Bonhoeffer gestorben

Der Mediziner und Friedensaktivist Karl Bonhoeffer ist tot. Der Neffe des NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer starb im Alter von 88 Jahren, wie der Pfarrer der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau , Björn Mensing, erklärte. Bonhoeffer sei bereits am 8. Februar gestorben und im engsten Familienkreis bestattet worden.

Bonhoeffer füllte verschiedene Funktionen in der Friedensbewegung aus und war Professor und Direktor des Instituts für Anästhesiologie und Intensivmedizin an der Universität Köln. Seine Universitätsstelle gab er Mensing zufolge 1987 auf, um sich ganz der Friedensarbeit widmen zu können: Karl Bonhoeffer war im Vorstand der deutschen Sektion der Vereinigung "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs" (IPPNW), als Präsident organisierte er den 6. Weltkongress der "Ärzte gegen den Atomkrieg" 1987 in Köln.

Als ihm nach seiner Beteiligung bei einer Sitzblockade vor einer US-Militärbasis der Prozess gemacht wurde, habe er sich auf den friedensethischen Ansatz seines Onkels Dietrich Bonhoeffer berufen. In den letzten Jahren lebte Karl Bonhoeffer in München. Im Juni 2016 sprach er bei einem ökumenischen Gedenkgottesdienst in der Dachauer Versöhnungskirche zum 75. Jahrestages des deutschen Angriffs auf Russland.



NRW-Verdienstorden für Theologen Johann Baptist Metz

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat den katholischen Theologen Johann Baptist Metz aus Münster mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet. Metz sei ein "Theologe von Weltrang", erklärte Laschet am 15. Februart in Düsseldorf. "Er ist eine wichtige und starke Stimme in der Debatte um eine Theologie nach den Verbrechen des Holocaust und in der Frage, warum Gott das unfassbare Leid an Millionen von Menschen nicht verhinderte."

Der Ministerpräsident würdigte seinen außergewöhnlichen und prägenden Einsatz in Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft. Metz gehöre zu den bedeutenden Wissenschaftlern einer "Theologie nach Auschwitz" und sorge als ein Streiter für den christlich-jüdischen Dialog dafür, dass dieser Diskurs von zentraler Bedeutung bleibt.

Der 90-jährige Theologe gilt als Begründer der "neuen" Politischen Theologie. Nach seinen Studien in Bamberg, Innsbruck und München und der Priesterweihe übernahm er 1963 eine Professur für Fundamentaltheologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, wo er bis 1993 lehrte.



Friedensinitiative fordert von EKD klares Nein zu Atomwaffen

Evangelische und katholische Christen fordern von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein klares Nein zu Atomwaffen. Die EKD müsse sich deutlich für ein Verbot von Atomwaffen und deren Ächtung aussprechen, erklärte die Projektgruppe "Kirchen gegen Atomwaffen" am 13. Februar in Bonn. "Angesichts eines drohenden nuklearen Rüstungswettlaufs nach der Aufkündigung des INF-Vertrages, aber auch der Ankündigung der Atommächte, ihre Waffenarsenale modernisieren zu wollen, ist hier ein klares Wort der evangelischen Kirche dringend nötig", mahnte die Gruppe aus Vertretern evangelischer Landeskirchen und der katholischen Friedensbewegung Pax Christi auf ihrer Sitzung in Frankfurt.

Der INF-Vertrag zu nuklearen Mittelstreckenwaffen von 1987 zwischen den USA und der Sowjetunion gilt als zentrale Wegmarke zur Beendigung des Kalten Kriegs. Anfang Februar hatten die US-Regierung und Russland sich gegenseitig Verstöße gegen das Abkommen vorgeworfen und den Vertrag aufgekündigt.

Aktionstag am 7. Juli

Die EKD-Synode in Dresden in November, bei der Friedensthemen im Mittelpunkt der Beratungen stehen sollen, sollte sich mit dem nuklearen Rüstungswettlauf beschäftigen, forderte die Projektgruppe. "Viele Landeskirchen haben sich bereits für ein Atomwaffenverbot, für die Aufnahme eines Atomwaffenverbots in das Grundgesetz und einen Abzug der Nuklearwaffen aus Deutschland ausgesprochen. Jetzt ist die EKD am Zuge."

Die Projektgruppe ruft erneut am 7. Juli, dem Jahrestag der Verabschiedung des Atomwaffenverbotsvertrages durch 122 Staaten, zu einem Aktionstag am letzten deutschen Atomwaffenstützpunkt in Büchel in der Eifel auf. Dabei wird die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann in der Andacht am dortigen Fliegerhorst die Predigt halten. Im vergangenen Jahr hatte der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms (Bremen) die Bundesregierung aufgefordert, sich dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag abzuschließen und sich dafür starkzumachen, dass die letzten Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden.

Die Projektgruppe "Kirchen gegen Atomwaffen" hatte sich im Dezember 2017 auf Initiative des badischen Forums Friedensethik gebildet. Ihr gehören derzeit Christen aus den evangelischen Landeskirchen in Baden, Bayern, Hessen-Nassau, Kurhessen-Waldeck, der Pfalz, dem Rheinland und Württemberg an sowie Mitglieder der katholischen Friedensbewegung Pax Christi.



EKD-Ratsvorsitzender predigt zum Sterbetag Luthers in Eisleben

Mit einem Gottesdienst ist am 17. Februar in Eisleben (Sachsen-Anhalt) an den Sterbetag des Reformators Martin Luther (1483-1546) erinnert worden. Die Predigt hielt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm. Er predigte von der Lutherkanzel der St. Andreaskirche in Eisleben.

Der EKD-Ratsvorsitzende ging dabei auch auf Luthers antisemitische Äußerungen ein. "Gerade in den letzten Lebensjahren waren die Predigten des Reformators oft auch von Polemiken gegen Andersdenkende geprägt, die uns heute befremden. Und wo die Polemik sich gegen die Juden richtet, erfüllt sie uns heute mit tiefer Scham", sagte Bedford-Strohm. Es seien deshalb eher die leiseren Passagen Luthers, "die etwas von seiner persönlichen Frömmigkeit und Glaubenspraxis zum Ausdruck bringen, was auch für uns heute eine Quelle der Inspiration sein kann."

Bedford-Strohm verwies dabei auf die zentrale Bedeutung der Taufe im christlichen Glauben. "Wenn meine inneren Gewissheiten ins Wanken geraten, dann weiß ich trotzdem: Ich bin getauft und damit für alle Zeiten mit Gott verbunden. Das kann mir niemand nehmen", betonte der EKD-Ratsvorsitzende. Die Taufe sei auch für Luther "kein magischer Akt", sondern eine "Stärkung und Kräftigung des Glaubens" gewesen.

Martin Luther kam am 10. November 1483 in Eisleben als Sohn von Hans und Margarete Luder zur Welt. Einen Tag nach seiner Geburt ließ man ihn in der St.-Petri-Pauli-Kirche auf den Namen Martin taufen. Am 18. Februar 1546 starb er im Alter von 62 Jahren, als er sich in Eisleben aufhielt. Drei Tage später wurde er in der Wittenberger Schlosskirche beigesetzt.

Die St. Andreaskirche wurde im Jahr 1180 erstmals erwähnt, ihre heutige Form erlangte sie erst Ende des 15. Jahrhunderts. Auf der 1509 erbauten Kanzel hielt Martin Luther im Februar 1546 seine letzten vier Predigten, bevor er am 18. Februar verstarb. Zum Reformationsjubiläum 2017 wurde die Lutherkanzel saniert.



Evangelische Kirche Duisburg besorgt über "Wera-Gemeinde"

Die evangelische Kirche in Duisburg äußert sich besorgt über die freie Wera-Gemeinschaft. Die Aussagen ehemaliger Mitglieder dieser Gemeinschaft, die sich selbst als evangelische Freikirche bezeichne, sowie vorliegende Dokumente "lassen uns daran zweifeln, dass die Gemeindeleitung noch auf dem Boden des Evangeliums steht", erklärte der Duisburger Superintendent Armin Schneider am 11. Februar. Aussteiger der Wera-Gemeinschaft hatten sich zuvor hilfesuchend an den evangelischen Ortspfarrer gewandt und von Kontrolle, Druck und Zwang berichtet.

Die evangelische Kirche Duisburg stelle nicht die redliche Christlichkeit des Glaubens der ehemaligen und aktuellen Mitglieder der Wera-Gemeinschaft infrage, unterstrich der Superintendent. "Wir verurteilen jedoch ausdrücklich jede Form von Druck und Zwang, von christlichem Fundamentalismus und geistlichem Machtmissbrauch." Für den Kirchenkreis Duisburg könne es keinen Kontakt zu einer Gemeindeleitung geben, "deren Verkündigung des Evangeliums die Menschen unfrei macht, ausbeutet, in Abhängigkeit führt und das christliche Gottesbild verzerrt".

Konflikt um sektenartige Glaubensgemeinschaft

Auch der Landespfarrer für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche im Rheinland, Andrew Schäfer, hatte zuvor dem Evangelischen Pressedienst (epd) von einem anhaltende Konflikt zwischen der freien Wera-Gemeinde in Duisburg und ehemaligen Mitgliedern berichtet. Dieser Konflikt bedeute für die Aussteiger eine große Belastung. Der Bruch mit der sektenartigen Glaubensgemeinschaft habe für viele der russlanddeutschen Gemeindemitglieder zu großen Spannungen in der Familie und im Freundeskreis geführt, sagte Schäfer. Für Betroffene sei die Gemeinde ein wichtiges soziales Umfeld.

Schäfer verwies darauf, dass der Gemeindeleiter des Wera-Forums Besuchs- und Kontaktverbote für Gemeindemitglieder mit Ausgetretenen und Ausgeschlossenen verhängt habe. Der Landespfarrer kritisierte die sektenartigen Strukturen der Gemeinde und warf dem Gemeindeleiter "geistlichen Missbrauch" vor. Ehemalige Wera-Mitglieder hätten berichtet, der Pastor verlange unbedingten Gehorsam und habe mit Familienangehörigen und Leitungsmitgliedern ein System der Angst und der Überwachung aufgebaut. Eine Chance für die Wera-Gemeinde sehe er nur mit einer anderen Leitung, erklärte der Landespfarrer.

Träger des Duisburger Wera-Forums ist der Verein Evangeliumskirche "Glaubensgeneration". Neben der Duisburger Gemeinde gibt es Tochtergemeinden in Castrop-Rauxel, Wuppertal und Heilbronn.




Gesellschaft

Dresden erinnert an 13. Februar 1945


Am Abend schloss sich die Menschenkette.
epd-bild/Matthias Rietschel
Mit einer Menschenkette für Toleranz ist in Dresden an die Bombardierung der Stadt 1945 erinnert worden. Der Tag stand im Zeichen der Partnerschaften mit Coventry und Breslau. Aktionen von Rechten überschatteten das Gedenken.

Rund 11.500 Menschen haben am 13. Februar in Dresden ein Zeichen für Frieden und Versöhnung gesetzt. Hand in Hand bildeten sie eine Menschenkette um die Altstadt, um diese symbolisch zu schützen. An der Aktion zum Gedenken an die Bombardierung Dresdens 1945 nahmen auch Delegationen aus dem britischen Coventry und dem polnischen Breslau teil. Mit beiden Städten verbindet Dresden eine inzwischen 60-jährige Partnerschaft.

Auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) reihte sich in die Kette ein. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter hatte er zuvor erklärt, es heiße, "ein Zeichen für das demokratische Fundament unserer Gesellschaft zu setzen und zu erinnern, an die Opfer der furchtbaren Bombardierung vor 74 Jahren". Der stellvertretende Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) sagte, die Botschaft von Frieden und Versöhnung dürfe nicht 1945 stehenbleiben und müsse mehr denn je in die Gegenwart weitergetragen werden.

Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) erinnerte an die Opfer des Zweiten Weltkrieges nicht nur in Dresden, sondern auch in Coventry und Breslau und anderen europäischen Städten. Er unterstrich die Bedeutung der Städtepartnerschaften bis heute, die auf Versöhnung aufgebaut seien. In Europa gebe es in der Gegenwart aber auch "Versöhnungslücken", die es zu schließen gelte, sagte Hilbert.

Menschenkette ist Tradition

Seit 2010 versammeln sich in Dresden jedes Jahr am 13. Februar traditionell Tausende zu einer Menschenkette. Die etwa vier Kilometer lange Strecke führt über alle zentralen Plätze der Innenstadt sowie über zwei Elbbrücken.

Dresden wurde am 13. Februar 1945 und in den Tagen danach bei Luftangriffen der Alliierten schwer zerstört. Bis zu 25.000 Menschen kamen dabei ums Leben.

Mit zahlreichen Veranstaltungen erinnerten die Dresdner und ihre Gäste am Mittwoch an die Opfer des Zweiten Weltkrieges und die Zerstörung der Stadt vor 74 Jahren. Oberbürgermeister Hilbert und Sachsens Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar legten auf dem städtischen Heidefriedhof weiße Rosen nieder.

Aktionen von Rechten

Überschattet wurde das Gedenken von Aktionen einiger Rechtsextremisten und Rechtspopulisten. Auf dem Heidefriedhof legten Vertreter der Jungen Alternative der AfD einen Kranz nieder. Auch Mitglieder der NPD waren vor Ort. Die AfD-Bundestagsfraktion und der AfD-Kreisverband Görlitz lehnten Kränze an den Gedenkstein auf den Altmarkt vor der Kreuzkirche. Dort waren nach den Angriffen der Alliierten im Februar 1945 die Leichname von Tausenden Opfern verbrannt worden.

In der Dresdner Frauenkirche versammelten sich knapp 100 Menschen zu einem Friedensgebet. Frauenkirchenpfarrer Sebastian Feydt würdigte in seiner Ansprache die 60-jährige Partnerschaft zwischen Dresden und Coventry. 1959, nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, sei es nicht selbstverständlich gewesen, eine solche Städtepartnerschaft zu begründen, sagte Feydt. Im Prozess der Versöhnung zwischen einst verfeindeten Nationen seien gerade Christen vorangegangen. Gemeinsam mit Gästen aus der britischen Partnerstadt wurde das Versöhnungsgebet von Coventry gesprochen, das von der Bitte "Vater vergib" bestimmt wird.

Gedenken auf den Neumarkt

Die Fördergesellschaft der Frauenkirche hatte zum stillen Gedenken auf den Neumarkt eingeladen. Besucher nutzten die Gelegenheit, um auf dafür vorbereiteten Flächen Kerzen zur Mahnung und Erinnerung abzustellen. Am späteren Abend sollte ein ökumenischer Gottesdienst in die Dresdner Kreuzkirche stattfinden. Zum Zeitpunkt des ersten Angriffs auf Dresden am 13. Februar 1945 um 21.45 Uhr sollten wie jedes Jahr alle Kirchenglocken der Elbestadt läuten.



"Napalm Girl" mit Dresdner Friedenspreis geehrt

Das Foto ging vor mehr als 40 Jahren um die Welt: Ein neunjähriges Mädchen läuft im Vietnamkrieg nackt und schreiend um sein Leben. Es ist Opfer eines Napalm-Angriffs. Bis heute schmerzen die Brandnarben. Doch Kim Phuc hat ihren Frieden gemacht.

Die als "Napalm Girl" bekanntgewordene Vietnamesin Kim Phuc Phan Thi ist am 11. Februar mit dem Dresdner Friedenspreis geehrt worden. Die Unesco-Botschafterin erhalte die Auszeichnung, weil sie sich als Opfer dem Hass verweigert habe, sagte der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), der Ehrenmitglied des auslobenden Vereins Friends of Dresden Deutschland ist.

Als internationale Friedensaktivistin werde die 55-Jährige für ihren unermüdlichen Einsatz für Versöhnung und Vergebung geehrt. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Die Vietnamesin war durch ein Foto von Nick Ut weltberühmt geworden. Es zeigt sie 1972 als Neunjährige auf einer Straße in Südvietnam weglaufend - nackt und schreiend mit von Napalm verbrannten Wunden.

"Mit Liebe die Zukunft heilen"

Allein ihr christlicher Glaube habe ihr geholfen zu vergeben, sagt sie. Sie bete jeden Tag für den Frieden der Welt. "Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber mit Liebe können wir die Zukunft heilen", betonte die Preisträgerin. Sie rief dazu auf, sich Vorurteilen und Hass entgegenzustellen.

Kim Phuc habe aus einem Leben des Krieges ein Leben des Friedens gemacht, sagte der bekannte US-amerikanische Kriegsfotograf James Nachtwey in seiner Laudatio. Sie habe sich gegen Verbitterung und Feindseligkeit gewehrt. "Ich habe den Frieden so sehr gebraucht", sagte Kim Phuc. Es habe zuvor Tage gegeben, da wollte sie einfach nicht mehr leben. Bis heute leide sie an den Folgen des Angriffs. Es vergehe kein Tag ohne Schmerzen. Die Brandnarben bedecken ihren gesamten Rücken und einen Arm.

Als "Napalm Girl" blieb Kim Phuc im kollektiven Gedächtnis. Das Foto des Mädchens habe ein überproportionales Gewicht entfaltet, sagte Nachtwey. Es sei die Anklage gegen den Vietnamkrieg und überhaupt gegen jeden Krieg. Nachtwey hatte 2012 selbst den Dresdner Friedenspreis bekommen.

Gorbatschow und Barenboim

Die internationale Auszeichnung wurde der Vietnamesin in der Semperoper in Dresden vom Friedenspeisträger des Jahres 2015, dem Herzog von Kent, überreicht. Kim Phuc wurde "Botschafterin des guten Willens" bei der Unesco und gründete vor 20 Jahren eine Stiftung für vom Krieg versehrte Kinder. Sie ist zum Symbol des Leidens unschuldiger Kriegsopfer geworden. Nach vielen Operationen durfte Kim Phuc 1982 nach Deutschland zur Nachbehandlung ausreisen. Heute lebt sie in Kanada.

Der Friedenspreis wird jährlich um den Dresdner Kriegsgedenktag vergeben. Er ehrt herausragende Persönlichkeiten, die vor allem präventiv wirken und Eskalationen verhindern helfen. Gestiftet wird er von der Heidelberger Klaus Tschira Stiftung. Die Auszeichnung wurde zum zehnten Mal verliehen. Sie setzt auch ein Zeichen gegen die versuchte Vereinnahmung des Gedenktages durch Rechtsradikale.

Erster Preisträger war 2010 der Friedensnobelpreisträger und frühere sowjetische Staatspräsident, Michail Gorbatschow. Es folgten unter anderen der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim und der Whistleblower Daniel Ellsberg. 2016 ging die Auszeichnung an den Bürgermeister des italienischen Flüchtlingsdorfes Riace, Domenico Lucano, 2017 an den Olympiasieger und US-Bürgerrechtler Tommie Smith.

Von Katharina Rögner (epd)


Lew Kopelew Preis ehrt "Lifeline"-Seenotrettungscrew


Rettungsschiff "Lifeline" im Einsatz vor der libyschen Küste.
epd-bild/Hermiine Poschmann/Mission Lifeline

Der diesjährige Lew Kopelew Preis für Frieden und Menschenrechte geht an die Dresdner Seenotrettungsorganisation "Mission Lifeline" mit Kapitän Claus-Peter Reisch. Damit werde das humanitäre Anliegen der Initiative geehrt, erklärte das Lew Kopelew Forum in Köln. Der undotierte Preis wird am 7. April in Köln verliehen. Die Festrede hält den Angaben nach der luxemburgische Außen- und Asylminister Jean Asselborn. Das musikalische Rahmenprogramm gestaltet der "Prinzen"-Sänger Sebastian Krumbiegel. Die Auszeichnung wird seit 2001 jährlich vergeben.

Die Preisträger hätten "im Mittelmeer aus eigenem Antrieb unter mutigem persönlichem Einsatz zahlreiche Menschen vor dem Tod durch Ertrinken gerettet", erklärte das Forum in der Begründung für die Preisvergabe. Sie versuchten mit vergleichsweise bescheidenen und durch Spenden erworbenen Mitteln mit ihrem Schiff zu verhindern, dass sich Teile des Mittelmeers in einen stillen Friedhof verwandelten. Gleichzeitig rücke ihr Einsatz das Schicksal der vielen in Seenot geratenen Bootsflüchtlinge vor der europäischen Küste in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Mit dem Preis will das Forum Menschen, Projekte oder Organisationen auszeichnen, die im Sinne des russischen Germanisten, Schriftstellers und Humanisten Lew Kopelew (1912-1997) tätig sind. Bisherige Preisträger waren unter anderem der türkische Journalist Can Dündar und der russische Soziologe Lew Gudkow (2017), syrische Friedensaktivisten (2013) und der Religionswissenschaftler Hans Küng (2006).



Neues Gesetz soll Abschiebungen deutlich leichter machen

Deutschland soll Abschiebungen nach dem Willen Seehofers künftig notfalls mit mehr Härte durchsetzen. In der Bundesregierung wird über einen Entwurf aus seinem Haus diskutiert, der erleichterte Inhaftierung und andere Sanktionen vorsieht.

Abschiebungen nicht anerkannter Asylbewerber sollen künftig deutlich konsequenter erfolgen. Wie am 14. Februar aus dem Bundesinnenministerium in Berlin verlautete, wurde die Ressortabstimmung zum Entwurf eines entsprechenden Gesetzes eingeleitet. Wer nicht kooperiert, muss demnach mit Folgen rechnen: Ausreisepflichtigen drohen zum Beispiel künftig Sanktionen, wenn sie ihre Abschiebung verzögern, indem sie kurzzeitig untertauchen oder keine Papiere beschaffen.

Gesonderte Rechtsstellung geplant

Im vergangenen Jahr gab es den Ministeriumskreisen zufolge rund 230.000 Ausreisepflichtige in Deutschland, von denen 180.000 eine Duldung hatten. Bei geschätzten vier von fünf Geduldeten sei die Abschiebung an fehlenden Reisepapieren gescheitert. Künftig sollen daher jene, die selbst Schuld daran sind, dass sie nicht ausgewiesen werden können, schlechtergestellt werden gegenüber jenen, die wegen Krankheit, einer Ausbildung minderjähriger Kinder oder anderen humanitären Gründen nicht abgeschoben würden.

Geschaffen werden soll dafür eine gesonderte Rechtsstellung für Menschen mit Ausreiseaufforderung. Dieser neue Status wirkt sich unter anderem auch negativ auf staatliche Leistungen aus. Asylbewerber sollen auch rechtlich verpflichtet werden, einen Reisepass zu beschaffen. Menschen, die eine Mitwirkung verweigern, indem sie etwa vor Anhörungen zur Bestimmung ihrer Identität abtauchen, müssen ebenfalls mit Konsequenzen rechnen.

Niedrigere Voraussetzungen für Sicherungshaft

Im vergangenen Jahr standen den Angaben nach rund 26.000 erfolgten Rückführungen etwa 31.000 gescheiterte Rückführungen gegenüber. Gescheitert seien viele Abschiebungen aus dem Grund, dass die betreffenden Personen nicht anwesend gewesen seien. Daher sollen die Voraussetzungen für die Sicherungshaft insofern abgesenkt werden, als dafür der Ablauf der Ausreisefrist hinreichend ist. Eine weitere Fluchtgefahr soll dafür nicht mehr erforderlich sein.

Für Straftäter soll der Ausweisungsschutz auf ein europa- und völkerrechtliches Minimum abgesenkt werden. Jene Straftäter, die wiederum nicht abgeschoben werden können, sollen besser überwacht werden: zum Beispiel mit Meldepflichten, einer räumlichen Beschränkung oder der elektronischen Fußfessel. "Gefährder" und Terrorverdächtige wie auch Personen, die eine andere Identität vortäuschen, sollen vor ihrer Abschiebung leichter in Haft oder Gewahrsam genommen werden können. Theoretisch ist eine Abschiebehaft von bis zu 18 Monaten möglich. In der Praxis dauerte die in den meisten Fällen aber maximal sechs Wochen, wie es hieß. Ein Ausreisegewahrsam dauert höchstens zehn Tage.

Da es nicht genügend Abschiebungshaftplätze gebe, solle zudem das Trennungsgebot von Abschiebungs- und Strafgefangenen zeitweise ausgesetzt werden. Das bedeutet, dass Menschen, die abgeschoben werden sollen, auch in Justizvollzugsanstalten festgehalten werden dürfen. Das geschehe aber baulich getrennt, so dass die Abschiebehäftlinge normalen Strafgefangenen niemals begegnen. Derzeit gebe es bundesweit 479 Abschiebungshaftplätze. Bis Ende 2020 sollen es deutlich mehr werden.

Strafbar können sich nach den Plänen künftig auch jene Personen machen, die abgelehnte Asylbewerber vor einer bevorstehenden Abschiebung warnen und dabei den konkreten Termin nennen.

Über den Entwurf mit dem Titel "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" wurden den Angaben nach neben den anderen Ministerien auch die Koalitionsfraktionen informiert. Am Freitag sollen die Innenminister der Bundesländer über die Einzelheiten aufgeklärt werden. Im Bundesinnenministerium hofft man auf zügige Anhörungen.



EU-Behörde: Zahl legal einreisender Asylbewerber steigt

Asylbewerber in der Europäischen Union reisen immer öfter über reguläre Wege und visafrei ein, um in der EU einen Asylantrag zu stellen. Im vergangenen Jahr stammte bereits fast jeder fünfte Asylantrag von Staatsangehörigen eines Landes, dessen Bürger visafrei in die EU-Schengenzone reisen dürfen, vor allem aus Lateinamerika und dem Westbalkan, wie die EU-Asylbehörde EASO mit Sitz in Malta mitteilte. Zunächst hatten die Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (17. Februar) darüber berichtet.

Starker Zustrom aus Venezuela

Den Angaben der Behörde EASO (European Asylum Support Office) zufolge hat sich allein die Zahl der Asylbewerber aus Venezuela, die ohne Visa in die EU einreisen durften, im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr auf 22.200 verdoppelt. Weitere fast 20.000 visafrei eingereiste Antragsteller stammten aus Georgien, 10.200 aus Kolumbien, rund 21.900 aus Albanien.

Vor allem sei der Anstieg von Asylbewerbern aus Kolumbien um 210 Prozent und aus Venezuela um 88 Prozent gegenüber dem Jahr 2017 besonders hoch ausgefallen, wie die EASO berichtet. Die Zahl der Asylsuchenden aus Georgien lag um 72 Prozent höher. Kolumbien, Georgien und Venezuela gehören zu den Ländern, aus denen Menschen mit einem biometrischen Pass ohne Visum in die EU-Schengen-Zone einreisen dürfen.

Die Zahl entsprechender Asyl-Anträge nach visafreien Einreisen hat sich den Angaben der Asylexperten zufolge im vergangenen Jahr in der EU um fast ein Drittel auf etwa 115.000 erhöht. Damit liege die Zahl bereits höher als die Asylanträge von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak zusammen, auch wenn die Anzahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden in der EU aus Syrien mit 74.800 im vergangenen Jahr immer noch die höchste Zahl einer Nationalität ausmachte.

Aus den Daten ergibt sich auch, dass in der EU die Zahl der Asylbewerber insgesamt deutlich langsamer zurückgeht als in Deutschland. Die Bundesregierung hatte für 2018 einen Rückgang der Asylanträge um 16 Prozent auf insgesamt 185.000 gemeldet gegenüber dem Jahr 2017. Der Rückgang in der EU insgesamt betrug nach EASO-Angaben rund zehn Prozent auf insgesamt 634.700 Asylanträge. Damit sei in der EU etwa wieder der Stand von 2014 erreicht worden. Die Zahl der Asylbewerber sei seit dem Sommer 2018 allerdings wieder steigend.



NRW-Justizminister gegen Abschiebehäftlinge in JVAs

Der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) spricht sich gegen eine Unterbringung von Abschiebehäftlingen auf dem Gelände regulärer Haftanstalten in NRW aus. Als Gründe nannte Biesenbach am 13. Februar in seinem Bericht vor dem Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags fehlende räumliche und personelle Kapazitäten der Justizvollzugsanstalten (JVA). Unter diesen Bedingungen könne das Land den Besonderheiten der Abschiebehaft nicht gerecht werden.

Biesenbach: keine Belegungs- und Personalkapazitäten

Nicht zuletzt aufgrund der Teilräumung der JVA Münster sei ein andauernder Belegungsdruck im Strafvollzug entstanden, und es fehle an den räumlichen Kapazitäten, um die Durchführung der Abschiebehaft im Justizvollzug sicherstellen zu können, erklärte der Minister. Aufgrund von dringenden Sanierungs- und Baumaßnahmen in den Haftanstalten des Landes stehe für die Aufnahme ausreisepflichtiger Menschen keine weitere Haftplatzreserve zur Verfügung, ohne die eigenen Aufgaben des Justizvollzugs zu gefährden.

Biesenbach betonte, dass es sich bei der Abschiebehaft um eine Verwaltungsmaßnahme zur Durchsetzung der Ausreisepflicht handele. Straffälligkeit stelle ausdrücklich kein Kriterium für die Anordnung der Abschiebehaft dar. Die Ausgestaltung der Abschiebehaft bedeute unter anderem mehr Freiheiten für die Inhaftierten. Um dies und gesetzliche Besonderheiten sicherzustellen, sei die frühere JVA Büren als ausschließliche Abschiebungshaftanstalt umgewidmet worden

Lockerung des sogenannten Trennungsgebotes

Der Düsseldorfer Justizminister zitierte in seinem Bericht aus einem Beschluss der Ministerpräsidenten. Ende vergangenen Jahres hatten die Ministerpräsidenten sich demnach für eine Lockerung des sogenannten Trennungsgebotes ausgesprochen, um eine Unterbringung von abzuschiebenden Migranten und Strafgefangenen auf demselben Gelände zu ermöglichen, "wenn eine vollständige Trennung des Vollzugs von Strafhaft und von Abschiebungshaft gewährleistet ist".

Der Europäische Gerichtshof hatte 2014 die in Deutschland gängige Unterbringung von Abschiebehäftlinge in regulären Justizvollzugsanstalten als Verstoß gegen die EU-Rückführungsrichtlinie beurteilt. Seither müssen abgelehnte und ausreisepflichtige Asylbewerber oder Migranten grundsätzlich in speziellen Einrichtungen untergebracht werden.



Forscher halten jährlich 260.000 Zuwanderer für nötig

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie der Hochschule Coburg im Auftrag der Bertelsmann Stiftung sieht Bedarf für einen kontinuierlichen Zuzug von Arbeitskräften.

Wissenschaftler rechnen bis 2060 mit einer jährlich nötigen Zuwanderung von mindestens 260.000 Menschen nach Deutschland. Das Angebot an Arbeitskräften nehme ohne Zuwanderung bis 2060 um fast 16 Millionen ab, heißt es in der am 12. Februar im Auftrag der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh veröffentlichten Studie. Selbst eine wachsende Erwerbsbeteiligung der Inländer könne diese Entwicklung nur um maximal 1,8 Millionen Personen abbremsen.

Die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sowie der Hochschule Coburg im Auftrag der Stiftung basiert auf einer 2015 erschienenen Arbeit der Autoren mit dem Titel "Zuwanderungsbedarf aus Drittstaaten bis 2050". In ihren Modellrechnungen berücksichtigten die IAB-Mitarbeiter Johann Fuchs und Alexander Kubis sowie der Coburger Wirtschaftswissenschaftler Lutz Schneider den Angaben zufolge die Entwicklung der inländischen Erwerbsbeteiligung, die Migration aus EU-Staaten sowie den Einfluss der Digitalisierung.

Fachkräfte mit hoher Qualifikation gefragt

Demnach gehen die Forscher von jährlich rund 114.000 Zuwanderern aus EU-Staaten aus, rund 146.000 müssten somit aus Drittstaaten einwandern. Die Untersuchung zeige, dass die Zuwanderer aus Drittstaaten bisher eher Stellen mit geringem Anforderungsprofil besetzten, schreiben die Studienautoren. Die Engpässe am deutschen Arbeitsmarkt lägen aber im mittleren und hohen Anforderungsbereich. "Nur eine Zuwanderung von Drittstaatenangehörigen mit geeigneter Qualifikation sichert eine schnelle und qualifikationsadäquate Integration in den Arbeitsmarkt und beugt Fachkräfteengpässen vor beziehungsweise lindert diese", hieß es.

Ein zunehmend digitalisierter Arbeitsmarkt erfordert den Berechnungen zufolge nicht weniger Arbeitskräfte, sondern stattdessen mehr Fachkräfte mit hoher Qualifikation. Langfristig sei mit einer Entspannung der Engpässe bei Akademikern, aber eher mit einer Verschärfung im Bereich der mittleren Qualifikation zu rechnen.

Die Forscher plädieren unter anderem für ein "Einwanderungsgesetz aus einem Guss", da die Zuwanderung bisher in vielen Gesetzen und Vorschriften geregelt und dadurch für potenzielle Zuwanderer unübersichtlich sei. Auch eine Einreise zur zeitlich befristeten Arbeitsplatzsuche ohne vorliegendes Arbeitsangebot bei einem mittleren Qualifikationsniveau sei vorstellbar.



Zahl der Straftaten in NRW geht zurück

Nordrhein-Westfalen ist nach Angaben von Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) im vergangenen Jahr erneut sicherer geworden. Wie der Minister am 13. Februar bei der Vorlage der Kriminalitätsstatistik 2018 vor Journalisten in Düsseldorf erklärte, sank die Gesamtzahl der Straftaten gegenüber 2017 um etwa sieben Prozent auf nunmehr 1,28 Millionen und damit auf "den niedrigsten Stand seit 1991". Zugleich habe die Aufklärungsquote mit 53,7 Prozent so hoch gelegen wie noch nie in der Geschichte des Landes, erklärte der Minister bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalitätsstatistik.

Weniger Einbrüche und Diebstähle

Besonders stark gesunken ist den Angaben zufolge die Zahl der Wohnungseinbrüche: 2018 wurden knapp 30.000 Fälle gezählt, das war fast ein Viertel weniger als 2017 mit 39.000 Fällen. Außerdem gab es gut neun Prozent weniger Diebstähle. Auch die Gewaltkriminalität ging laut Statistik um knapp vier Prozent zurück. Den erneuten Rückgang der festgestellten Straftaten führte der Innenminister unter anderem auf die "Nulltoleranz-Strategie" der NRW-Polizei, den Ausbau der Präventionsprogramme und auf die strafrechtliche Verfolgung auch von sogenannten Bagatell-Delikten zurück.

Zufrieden zeigte sich der Minister außerdem auch über den Rückgang bei der Kinder- und Jugendkriminalität. Ermittelt wurden 2018 insgesamt 15.000 Fälle von Kinder- und 42.000 Fälle von Jugendkriminalität. Die Zahl der unter 14-jährigen Tatverdächtigen ging um neun Prozent zurück, die Zahl der 14 bis 18 Jahre alten jugendlichen Tatverdächtigen sank um 6,6 Prozent gegenüber 2017.

Mehr Sexualdelikte und Missbrauchsfälle

"Sehr große Sorgen" bereitet dem NRW-Innenminister allerdings die Zunahme an Sexualdelikten und Kindesmissbrauchs-Fällen. Hier verzeichnet die Kriminalstatistik mit 14.076 Fällen in 2018 einen Anstieg um 1.190 Fälle oder 9,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Reul sprach von einer "ernstzunehmenden Entwicklung", wies allerdings zugleich darauf hin, dass in dieser Gesamtzahl auch sexuelle Übergriffe - etwa Anfassen oder sexuelle Beleidigungen - mit enthalten seien, die früher nicht als Straftatbestand gewertet wurden.

Die Zahl der Vergewaltigungen verringerte sich von 2.138 Fällen in 2017 um 16,5 Prozent auf nunmehr 1.723 Fälle. 83,5 Prozent aller Vergewaltigungsfälle im vergangenen Jahr wurden aufgeklärt, so der Minister. Wegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie ermittelte die Polizei in insgesamt 2.422 Fällen, 85 mehr als im Vorjahr. 1.922 Fälle davon wurden aufgeklärt. Der Innenminister wies jedoch darauf hin, dass es gerade in diesem Bereich eine "deutlich höhere Dunkelziffer" gebe.

Bei Kindesmissbrauchsfällen hat es die Polizei laut Reul sehr häufig mit Wiederholungstätern zu tun. Ihr Anteil liege bei etwa 40 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen, so der Minister. Bei der Kinderpornografie beträgt der Anteil der Wiederholungstäter etwa ein Drittel.



NRW und Hessen nehmen Darknet-Plattformen ins Visier

Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hessen wollen stärker gegen kriminelle Handelsplattformen im sogenannten Darknet vorgehen. Die geltende Rechtslage sei nicht ausreichend, erklärte NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) am 15. Februar. Gesetzeslücken sollten durch die Einführung eines neuen Paragrafen im Strafrecht geschlossen und so ein eigenständiger Straftatbestand gegen diese Art der Computerkriminalität geschaffen werden. Eine entsprechende Gesetz-Initiative der beiden Bundesländer sollte am 15. Februar im Bundesrat eingebracht werden.

Vermehrt würden im Internet über spezielle Handelsplattformen illegale Waren und Dienstleistungen angeboten, sagte Biesenbach. "Kriminelle können 'Cybercrime as a Service' ordern, um ganze Botnetze zu übernehmen oder Unternehmen und kritische Infrastrukturen mit Schadsoftware zu attackieren beziehungsweise auszuspähen." Die neue Vorschrift soll seinen Worten zufolge das Anbieten von Diensten im Darknet unter Strafe stellen, wenn sie eine Straftat wie die Verbreitung von Rauschgift, Sprengstoff oder Kinderpornografie ermöglichen. Höchststrafe wäre ein dreijähriger Freiheitsentzug.

Nach Angaben von Minister Biesenbach verlagert sich der Handel mit Betäubungsmitteln, Waffen, gefälschten Ausweispapieren, Falschgeld und Kinderpornografie zunehmend in den virtuellen Raum und dort vor allem in das anonymisierte Darknet. Kriminelle Anbieter könnten dort weltweit eine Vielzahl potenzieller Kunden erreichen. Ihre Spuren seien gegenüber der analogen Welt kaum oder aber nur mit großem Aufwand nachzuvollziehen und noch dazu flüchtig, hieß es.



Vom Dienstmädchen zur Sozialpionierin


Die weiblichen Abgeordneten der Mehrheitssozialisten in der Weimarer Nationalversammlung, unter ihnen Marie Juchacz (1. Reihe, 3.v.re.).
epd-bild/AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung
Sie machte als eine der ersten Frauen in Deutschland in der Politik Karriere: die Parlamentsabgeordnete und Sozialpolitikerin Marie Juchacz. Die von ihr gegründete Arbeiterwohlfahrt besteht noch heute.

Sie war die erste: Marie Juchacz hielt als erste Frau eine Rede vor einem deutschen Parlament. Im Weimarer Nationaltheater betrat die Sozialdemokratin am 19. Februar 1919 die Rednertribüne. Mit den Worten "Meine Herren und Damen" wandte sie sich an die überwiegend männlichen Abgeordneten der erst einen Monat zuvor gewählten Verfassunggebenden Nationalversammlung. Das sorgte für Heiterkeit, wie im Protokoll der Sitzung vermerkt ist.

Juchacz stellte klar: Für das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, seien die Frauen der Regierung keinen Dank schuldig. "Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist." Erst durch die politische Gleichstellung der Frau könne man von einem "neuen Deutschland" sprechen.

Der Chefredakteur des SPD-Parteiblattes "Vorwärts", Friedrich Stampfer, sah in ihrer Rede einen geschichtlichen Augenblick: "Marie Juchacz ist die Frau, die ihre errungenen Rechte mit würdiger Selbstverständlichkeit wahrnimmt." Jahrzehntelang hatten Frauen für das Wahlrecht kämpfen müssen, bis 41 weibliche Abgeordnete im Februar 1919 in die Nationalversammlung einzogen.

Für Marie Juchacz war der Aufstieg in der Politik in keiner Weise vorgezeichnet. Die Tochter eines Handwerksmeisters wurde am 15. März 1879 in Landsberg an der Warthe geboren, dem heutigen polnischen Gorzów Wielkopolski. Die Schulzeit war für sie nach acht Jahren beendet. Ihr älterer Bruder Otto brachte ihre Perspektiven einmal so auf den Punkt: "Haushalt und Fabrik und dann Versorgung durch Heirat, das ist dein Lebensweg." Doch Maries Leben sollte anders verlaufen.

Frauenbildungsverein

Die junge Frau verlässt 1906 ihre Heimatstadt, um nach Berlin zu ziehen. Hinter ihr liegt eine kurze, gescheiterte Ehe mit dem Schneidermeister Bernhard Juchacz, mit dem sie zwei Kinder hat. Tatsächlich hatte sie nach der Volksschule zunächst als Dienstmädchen gearbeitet, dann kurz in einer Fabrik und schließlich als Wärterin in einer Nervenheilanstalt.

Als sie genügend Geld gespart hat, macht sie eine Ausbildung zur Schneiderin. Ihre beiden kleinen Kinder Lotte und Paul nimmt sie nach der Trennung von ihrem Mann mit nach Berlin. Ihre jüngere Schwester Elisabeth kommt mit - auch sie wird 1919 als SPD-Abgeordnete in die Nationalversammlung einziehen. Gemeinsam erziehen die beiden Frauen die Kinder. Den Lebensunterhalt verdienen sie in Heimarbeit mit Nähen.

In der Reichshauptstadt engagieren die Schwestern sich zunächst in einem Frauenbildungsverein, der Leseabende organisiert. Sie lernen, Versammlungen zu leiten und Reden zu halten. Als 1908 in Preußen das Verbot der politischen Betätigung für Frauen fällt, tritt Marie Juchacz in die SPD ein.

Obwohl sie sich nie in den Vordergrund drängt, wird sie bald zu einer gefragten Rednerin. 1913 geht sie hauptberuflich in die Politik und übernimmt die Stelle einer SPD-Frauensekretärin für die Obere Rheinprovinz in Köln. Das Nähen kann sie nun endlich aufgeben. 1917 wird Juchacz Frauensekretärin im SPD-Parteivorstand in Berlin.

Auf einem Abgeordnetenfoto aus dem Jahr 1919 sieht man sie am Schreibtisch sitzen. Ernst und entschlossen blickt sie mit großen, braunen Augen in die Kamera, das dunkle Haar ist in der Mitte gescheitelt.

Als Juchacz mit knapp 40 Jahren in die Nationalversammlung einzieht, kennt sie die sozialen Probleme ihrer Zeit aus eigener Erfahrung. Sie hat Erfahrungen in der Armenpflege und ist dem Elend der Kriegswitwen und Waisenkinder, der Arbeitslosen und Invaliden begegnet. Und sie ist entschlossen, auch als Abgeordnete zur Linderung der sozialen Not beizutragen.

"Starke und schöne Stimme"

Auf einem anderen Foto aus dem gleichen Jahr sieht man die große, schlanke Frau im Mantel auf einem Balkon stehen, wo sie eine Rede vor einer Menschenmenge hält. "Sie hatte eine starke und schöne Stimme, die sie gut zu gebrauchen wusste", schrieb ihr Neffe und Biograf Fritzmichael Roehl. "Wenn ihr auch - zumindest im Beginn ihrer Laufbahn - eine gewisse Schlagfertigkeit mangelte und wenn es ihr auch nicht gegeben war, zündende, die Massen mitreißende Reden zu halten, so sprach sie doch eindringlich und wirkungsvoll und gewann damit ihre Hörer."

Schon in ihrer ersten Parlamentsrede definierte Marie Juchacz die Sozialpolitik als große Aufgabe der Frauen in der Politik. Im Dezember 1919 rief sie darum den Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt (AWO) in der SPD ins Leben. Im Vordergrund stand die Idee der Selbsthilfe innerhalb der Arbeiterschaft. Die Organisation, die sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auflöste, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wiedergegründet und existiert bis heute.

Im Jahr 2017 errichtete die AWO unweit des Mehringplatzes in Berlin-Kreuzberg ein Denkmal für ihre Gründerin. "Marie Juchacz setzte sich ihr Leben lang für diejenigen ein, die in der Gesellschaft keine Stimme hatten", würdigt sie der AWO-Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler.

"Niemals habe ich mich zu einem Amt gedrängt", schrieb die Sozialpionierin selbst über sich. "Ich wurde immer irgendwie aufgespürt, für eine Funktion ausgesucht und vorgeschlagen oder gerufen."

Bis 1933 war Marie Juchacz Reichstagsabgeordnete, Mitglied des SPD-Parteivorstandes und Vorsitzende der AWO. Nach der Machtübernahme Hitlers ging sie ins Exil. 1949 kehrte sie aus den USA nach Deutschland zurück und begleitete als Ehrenvorsitzende den Wiederaufbau der AWO. Sie starb am 28. Januar 1956 im Alter von 76 Jahren in Düsseldorf.

Jürgen Prause (epd)


Sozialdemokraten kritisieren Pläne zur Abschaffung der Stichwahl

Die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) in NRW hat die von den CDU- und FDP-Landtagsfraktionen geplante Abschaffung der Stichwahlen bei den Kommunalwahlen als "verfassungswidrig" abgelehnt. Die Abschaffung der Stichwahl entspreche nicht "den verfassungsrechtlichen Anforderungen für eine Änderung des Wahlmodus", sagte der SGK-Landesvorsitzende, der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD), am 15. Februar in Düsseldorf bei der Vorstellung eines Gutachtens zu der Zulässigkeit der Abschaffung der Stichwahlen.

Wahlen bräuchten eine gute demokratische Basis und Verlässlichkeit, erklärte Baranowski. Die Voraussetzungen der Wahlen dürften nicht nach Belieben in kurzen Abständen verändert werden.

Offener Brief an Laschet

Die Abschaffung der Stichwahl würde "Minderheiten-Bürgermeister" hervorbringen, die im ersten Wahlgang "mit nur relativer Mehrheit weit unterhalb der Schwelle der absoluten Mehrheit gewählt" würden, erklärte der Ersteller des Gutachten, Frank Bätge von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Deren demokratische Legitimation sei "besonders gefährdet", da sich die Mehrheit der Wähler nicht für sie ausgesprochen habe.

Mehr als 50 Bürgermeister und Landräte aus NRW forderten in einem offenen Brief an Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) den Erhalt der Stichwahl. Die Stichwahl sei "ein Garant für mehr Demokratie in unserem Land", erklärten sie. Sollte sie abgeschafft werden, wäre NRW das einzige Bundesland, das keinen zweiten Wahlgang bei einer Kommunalwahl mehr hätte. "NRW wäre dann trauriger Vorreiter für weniger Demokratie", mahnten die Kommunalpolitiker.

Nach den derzeitigen Plänen der Regierungsfraktionen im Landtag soll die Stichwahl bei den Bürgermeister- und Landratswahlen zum Jahr 2020 wieder abgeschafft werden. Damit würde ein Kandidat für ein Bürgermeister- oder Landratsamt schon im ersten Wahlgang mit einer relativen Mehrheit der Stimmen gewählt. Ein zweiter Wahlgang, bei dem sich die beiden erstplatzierten Bewerber dem Votum der Wähler stellen, würde entfallen. Als Grund für die Abschaffung der Stichwahl verweisen CDU und FDP darauf, dass der zweite Wahlgang nicht mehr Bürger zur Wahlurne locke als der erste. Stattdessen würden lediglich zusätzliche Kosten verursacht.

Die Stichwahl in NRW war bereits unter der Regierung des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers 2007 abgeschafft worden. Die rot-grüne Landesregierung unter Hannelore Kraft (SPD) hatte den zweiten Wahlgang bei den Bürgermeister- und Landratwahlen dann 2011 wieder eingeführt, weil sie eine stärkere demokratische Legitimation für die gewählten Chefs der kommunalen Verwaltungen erreichen wollte.



Studie: Wenige Social Bots können Netzwerke stark beeinflussen

Nur wenige Software-Roboter können offenbar mit künstlich produzierten Posts und Likes Stimmungen und Meinungen in Sozialen Medien deutlich beeinflussen. Bereits eine geringe Anzahl von zwei bis vier Prozent "Social Bots" reiche aus, damit sich Netzwerk-Teilnehmer in einer kontroversen Diskussion lieber still verhielten und Vertretern anderer Meinungen das Feld überließen, erklärten Forscher der Universität Duisburg-Essen am 11. Februar. Informatiker und Projektleiter Björn Ross verwies auf das Ergebnis eines virtuellen Experiments, das ein Netzwerk mit 1.000 virtuellen Akteuren simulierte.

Effekt der "Schweigespirale"

Durch die Platzierung von Bots steige in einem Netzwerk mit einem hälftigen Anteil zweier Meinungslager die Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent auf zwei Drittel, dass sich die von den Robotern unterstützte Meinung durchsetzt, wie die Forscher erklärten. Begünstigt von dem bekannten Effekt der "Schweigespirale", der Menschen mit einer Minderheitenmeinung eher schweigen lässt, entstehe ein falscher Eindruck zur Stimmungslage.

Wie stark Bots in der Lage seien, Themen künstlich nach vorne zu bringen, Debatten zu verfälschen oder gar politische Wirkung zu entfalten, hänge nicht nur von der Qualität ihrer Programmierung ab, erklärten die Forscher. Auch komme es darauf an, wie viele Verbindungen es zwischen den Mitgliedern eines sozialen Mediums gebe und an welcher Stelle des Netzwerks die Bots platziert würden.

Noch seien Social Bots nicht so vollkommen, dass sie sich nicht erkennen lassen, hieß es. Doch wahrscheinlich würden sie nach und nach optimiert, auch für wenig wünschenswerte Zwecke wie Täuschungen. "Und dann wären Software-Roboter tatsächlich eine Gefahr für die Demokratie", warnte Ross.



Antisemitismusbeauftragte: Amt darf keine Alibifunktion haben


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
epd-bild / Andreas Schoelzel

Die NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat angesichts zunehmender Judenfeindlichkeit die Bedeutung von Beauftragten für die Bekämpfung von Antisemitismus betont. Die Ämter dürften "keine Alibifunktion" haben und auch "keine Beruhigungspille" für die Mehrheitsgesellschaft sein, sagte Leutheusser-Schnarrenberger am 12. Februar bei einer Diskussionsveranstaltung im nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf. Beschimpfungen, Hass, antisemitische Äußerungen, tätliche Angriffe und Morddrohungen in den sozialen Medien gegen Juden seien in Deutschland "keine punktuellen Ereignisse". Viele Juden hätten Angst und überlegten, Deutschland zu verlassen.

Sie habe sich früher nicht vorstellen können, dass 74 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz Antisemitismusbeauftragte in Bund und Ländern nötig werden könnten, sagte die frühere Bundesjustizministerin. Sie rief Schulen und andere Bildungseinrichtungen auf, den Kampf gegen Antisemitismus "neu auf die Agenda" zu setzen. Antisemitische Einstellungen dürften sich nicht schon in jungen Jahren verfestigen. Man müsse verhindern, dass sich Dinge entwickelten, die irgendwann nicht mehr zu stoppen seien. Die Landesregierung hatte Leutheusser-Schnarrenberger im November als erste nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte eingesetzt.

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, kritisierte bei der Veranstaltung, dass der Respekt der Mehrheitsgesellschaft Juden gegenüber abnehme. "Juden müssen hierzulande für ihre Grundrechte so vehement kämpfen wie lange nicht mehr", sagte der Vorstand der Synagogengemeinde Köln. Noch sei man allerdings "weit entfernt von dem Punkt, wo wir den jüdischen Menschen sagen müssten, verlasst dieses Land." "Wir machen uns Sorgen, aber wir leben nicht in Angst", betonte Lehrer.



Wechsel an der Spitze der Allgemeinen Rabbinerkonferenz

Der Berliner Rabbiner Andreas Nachama ist neuer Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ARK). Nachama folgt auf den 92-jährigen früheren Dortmunder Landesrabbiner, Henry G. Brandt, der den Vorsitz der Rabbinerkonferenz seit deren Gründung 2005 innehatte, teilte die Rabbinerkonferenz am 15. Februar in Berlin mit. Neben Nachama sitzen die Bamberger Rabbinerin Yael Deusel und der Berliner Rabbiner Jonah Sievers weiterhin im Vorstand.

Der 1951 geborene Andreas Nachama ist Rabbiner der Berliner Synagoge Sukkat Schalom. "Mein Ziel ist es, die jetzt zunehmend schwierigere Zeit für neues jüdischen Leben und Denken zu öffnen", sagte Nachama.

Die Allgemeine Rabbinerkonferenz vertritt die liberale Strömung im Judentum unter dem Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ihr gehören derzeit bundesweit 29 Rabbiner und Rabbinerinnen an. Zudem ist sie für die Mitgliedsgemeinden der Union progressiver Juden in Deutschland mit Sitz in Bielefeld zuständig.



Einziger muslimischer Kindergarten in Rheinland-Pfalz muss schließen

Die vor zehn Jahren gestartete erste muslimische Kindertagesstätte in Rheinland-Pfalz steht vor dem Aus. Das Landesjugendamt hat die Betriebserlaubnis widerrufen. Allerdings kündigt der Trägerverein Widerstand an.

Die Behörden in Rheinland-Pfalz haben dem ersten und bislang einzigen muslimischen Kindergarten im Land die Betriebsgenehmigung entzogen. Spätestens zum 31. März müsse die Mainzer Al-Nur-Kindertagesstätte geschlossen werden, gab der Präsident des Landesjugendamts, Detlef Placzek, am 11. Februar bekannt. Grund für die bedauerliche Entscheidung sei mangelnde Zuverlässigkeit des Trägervereins. "Der Verein vertritt Inhalte der Ideologie der Muslimbruderschaft sowie zum Salafismus und steht damit nicht mehr auf dem Boden der Verfassung der Bundesrepublik", erklärte Placzek.

Der 2009 eröffnete Kindergarten und der für die Einrichtung verantwortliche "Arab Nil-Rhein Verein" seien in den vergangenen zehn Jahren intensiv vom Landesamt beraten und begleitet worden. Erste öffentliche Hinweise auf eine Nähe des Vereins zum Salafismus habe es bereits zum Jahreswechsel 2012/2013 gegeben, als ein umstrittener Prediger in dem Verein auftrat. Weitere Sachverhalte seien der Behörde aber erst im vergangenen Jahr bekanntgeworden. Im vergangenen Herbst habe das Landesamt erfahren, dass der Verein bei einem interkulturellen Fest eine jugendgefährdende Schrift verteilt habe und als Prüfstelle für Studenten einer "Online-Universität" des Islamisten Bilal Philips fungierte.

"Unfair und verfassungswidrig"

Ein vom Verfassungsschutz angefertigtes "Behördenzeugnis" beschreibe weitere Sachverhalte, sagte Placzek. Einzelheiten aus dem Papier könne er jedoch nicht nennen. Hinweise auf eine unmittelbare Beeinflussung der betreuten Kinder mit radikalem Gedankengut gebe es nicht. Versäumnisse in der eigenen Behörde habe es nicht gegeben, denn das Landesjugendamt habe immer wieder auf Missstände hingewiesen, aber keine nachrichtendienstlichen Befugnisse, um den Hintergrund des Trägervereins zu durchleuchten.

Mit der Stadt Mainz gebe es bereits Absprachen darüber, wie die Betreuung der derzeit 22 in der Einrichtung betreuten Kinder künftig organisiert werden könne. Nach Placzeks Angaben ist der Mainzer Al-Nur-Kindergarten der erste in der rheinland-pfälzischen Landesgeschichte, der durch die Behörden wieder geschlossen werden musste.

Der Vereinsvorsitzende Samy El Hagrasy kündigte Widerstand gegen die Schließungspläne des Landes an. "Das ist Unrecht, das ist unfair, das ist verfassungswidrig", sagte er. Der Anwalt des Vereins werde Widerspruch gegen den Bescheid des Landesamtes einlegen und ein Eilverfahren am Verwaltungsgericht starten, damit die Einrichtung bis zum Abschluss des Rechtsstreits geöffnet bleiben könne. Die Vorwürfe gegen seinen Verein bezeichnete er als "Hetzerei" und "Hexenjagd". Niemand aus dem Vorstand des "Arab Nil-Rhein Vereins" sei Salafist oder Anhänger der Muslimbruderschaft.

Landespolitisches Thema

Wer sich ein Gesamtbild machen wolle, solle die Aktivitäten und Äußerungen der vergangenen 20 Jahre betrachten, sagte El Hagrasy. Der Verein habe mit anderen muslimischen Gemeinden sowie der katholischen und evangelischen Kirche zusammengearbeitet, niemand dort habe je extremistische Bestrebungen bemerkt. Bis zum Sommer 2018 habe es auch keine Beanstandungen durch das Landesamt gegeben, das Auflagen nicht erfüllt worden seien.

Die Entwicklungen in dem Kindergarten waren zuletzt auch Thema für die Landespolitik. AfD und CDU sprachen von einem überfälligen Schritt.

Auslöser für das harte Vorgehen des Landesamtes gegen den Trägerverein waren zwei im Sommer 2018 bekanntgewordene Gutachten über die Islamverbände in Rheinland-Pfalz. Darin war erstmals ausdrücklich erwähnt worden, dass der Verfassungsschutz sich mit dem "Arab Nil-Rhein Verein" befasste, weil es dort "Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen" gebe.



Kieler Universität erlässt Schleier-Verbot

Die Christian-Albrechts-Universität in Kiel hat ein Schleier-Verbot erlassen. Das Präsidium der Hochschule habe sich dazu entschieden, weil eine muslimische Studentin kurz vor Weihnachten mit einem Gesichtsschleier (Nikab) zu einem Tutorium in Botanik erschienen war, sagte Uni-Sprecher Boris Pawlowski am 13. Februar dem Evangelischen Pressedienst (epd) und bestätigte damit einen Bericht der "Kieler Nachrichten". In einer neuen Richtlinie erklärt das Präsidium, Kommunikation beruhe nicht nur auf dem gesprochenen Wort, sondern auch auf Mimik und Gestik. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) begrüßte den Beschluss und kündigte eine Gesetzesinitiative gegen das Tragen von Gesichtsschleiern in den Schulen an. Kritik kommt dagegen von den Grünen.

Bislang gelten an den Schulen in Schleswig-Holstein Handlungsleitlinien zum Umgang mit Religion, Islamismus und Salafismus. In der vom Bildungsministerium herausgegebenen Broschüre werden Formen der vollständigen Gesichtsverschleierung in der Schule als "nicht angemessen und unzulässig" erklärt. Lehrkräfte und Lernende sollen bei schulischen Veranstaltungen ihren Gesprächspartnern ins Gesicht schauen können. Nikab und Burka machten "nicht nur die Identifikation der Schülerin unmöglich. Sie sind zudem im täglichen Unterrichtsbetrieb ein objektives Hindernis für die Erfüllung des pädagogischen Auftrags der Schule", heißt es in der Broschüre.

"Diskurs mit offenem Visier"

Bildungsministerin Prien will diese Handlungsleitlinie im Zuge einer Reform des Schulgesetzes, die im Sommer 2020 in Kraft treten könnte, konkretisieren. Ein Kopftuchverbot soll damit ausdrücklich nicht verbunden sein, das ist im Unterricht erlaubt. Es sei denn, das Kopftuch gefährdet die Sicherheit der Trägerinnen oder anderer Personen. So können Lehrkräfte die betroffenen Schülerinnen im Chemie- oder Sportunterricht anweisen, das Kopftuch abzulegen, wenn es ein Risiko darstellt. "So genannte 'Sport-Kopftücher' von Sportartikelherstellern können im Einzelfall Kompromisslösungen darstellen", heißt es in der Leitlinie.

Aus den eigenen Reihen bekommt die Ministerin Unterstützung für ihren Vorstoß. "Der wissenschaftliche Diskurs muss mit offenem Visier geführt werden", sagte der CDU-Landtagsabgeordnete Tobias Loose. Wo es gehe, solle Vollverschleierung verboten werden, so Loose.

Der Grünen-Landtagsabgeordnete Lasse Petersdotter bezeichnete den Uni-Beschluss dagegen als Fehler. "Eine freiheitlich demokratische Gesellschaft darf Menschen nicht aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen und Ausdrucksweise von staatlichen Bildungseinrichtungen ausschließen", betonte er. Er halte das Argument der Uni Kiel, eine Verschleierung stehe Forschung und Lehre im Weg, für vorgeschoben. "Dozierende und Professoren sind weder in der Lage noch beauftragt, die Mimik und Gestik der Studierenden zu bewerten", so Petersdotter.



Verein Aachener Friedenspreis sucht Preisträger

Der Verein Aachener Friedenspreis sucht wieder Aktivisten oder Initiativen, die sich in besonderer Weise für den Frieden starkmachen. Bis zum 11. März können Vorschläge für den Aachener Friedenspreis 2019 eingereicht werden, wie der Trägerverein am 12. Februar mitteilte. Am 8. Mai, dem Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, will der Verein die Preisträger bekanntgeben, die am 1. September auf einem Festakt in Aachen ausgezeichnet werden.

Jeder, der sich für Friedensarbeit und Abrüstung interessiere, könne Vorschläge einreichen, erklärte Sprecherin Lea Heuser. Besonders gehe es um Menschen, Gruppen, Projekte oder Organisationen, die bislang noch nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Gesucht würden internationale und nationale Graswurzelbewegungen, Bürgerinitiativen, Friedensaktivisten und "unermüdliche Streiter für die Friedensarbeit". Auch den schier aussichtslosen Kampf gegen Aufrüstung, Waffenexporte und Rüstungsindustrie betrachte der Aachener Friedenspreis als würdig für die Auszeichnung.

Seit 1988 verleiht der Verein Aachener Friedenspreis am 1. September, dem internationalen Antikriegstag, seinen gleichnamigen Preis. Das Preisgeld beträgt jeweils 2.000 Euro. Erste Preisträger waren 1988 die evangelischen Pfarrer Werner Sanß und Jutta Dahl, die mit Sitzblockaden vor Nato-Stützpunkten gegen die sogenannte Nachrüstung protestierten. Auch Pro Asyl, die Petersburger Soldatenmütter und die türkische Menschenrechtsanwältin Eren Keskin gehören zu den Geehrten. Zuletzt ging der Preis an die kolumbianische Menschenrechts- und Entwicklungsorganisation "Concern Universal Colombia" und das Berliner Aktivistenkollektiv "Peng!", das mit satirischen Aktionen gegen Rüstungskonzerne und soziale Missstände protestiert.

Der Aachener Friedenspreis wird von rund 50 kirchlichen, politischen, gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen sowie etwa 350 Einzelpersonen getragen, die im Verein "Aachener Friedenspreis" zusammengeschlossen sind.




Umwelt

Der Präsident, das Paradies und das Plastik


Bundespräsident Steinmeier und seine Frau beobachten eine Riesenschildkröte auf Galapagos.
epd-bild/Christian Irrgang
Das Thema Umweltschutz gehörte bislang nicht zu den Schwerpunkten von Bundespräsident Steinmeier. Auf seiner Südamerika-Reise zeigt er sich besorgt über den Planeten. Besonders eine Umweltsünde ist ihm ein Dorn im Auge: der Plastikmüll.

Ganz ohne Plastik geht es auch auf den Galapagos-Inseln nicht. Ein Mädchen am Strand der Insel Santa Cruz spült im Meer den vielen Sand von ihren Kunststoff-Sandalen. Der Lutscher im Mund eines Jungen hat einen Plastik-Stiel. Aber die Inseln bemühen sich um Verzicht. Tüten aus Kunststoff sind verboten.

In einem deutschen Regierungsflieger wird an Plastik bislang eher nicht gespart. Jedes Essensschälchen ist hygienisch in Frischhaltefolie gewickelt, jedes Besteck vor neuer Benutzung neu eingeschweißt. "Da gibt es schon Potenzial zu sparen", findet Helene Radloff.

Die 20-Jährige Medizinstudentin hat 2017 gemeinsam mit zwei Schulfreunden den Wettbewerb "Jugend forscht" gewonnen. Zwei Jahre später sind die drei früheren Klassenkameraden Teil der Delegation, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf seiner Südamerika-Reise begleitet. Am 16. Februar endete die gut fünftägige Reise auf den Spuren des Naturforscher Alexander von Humboldt, der vor mehr als 200 Jahren Südamerika erkundete und fasziniert war von der besonderen Flora und Fauna. Es ging auf dieser Reise also auch um Artenschutz, Klimaveränderung, Umweltbewusstsein - und ziemlich viel um Plastik.

Riesige Plastikinseln im Meer

"Wenn wir weitermachen wie bislang, schwimmt bis 2050 womöglich mehr Plastik als Fisch in den Ozeanen", sagte Bundespräsident Steinmeier. Helene Radloff, Johanna Romahn und Felix Engelhardt würden da nicht widersprechen. Ihr "Jugend forscht"-Projekt zeigte 2017, dass Mikroplastik vielleicht viel tiefer in den Meeresboden eindringt und damit auch eine noch viel größere Belastung für die Meere ist als bis dahin von der Forschung angenommen.

Die riesigen Plastikinseln, die inzwischen im Meer schwimmen, sind die sichtbaren Folgen des unbedarften Kunststoffkonsums. Mikroplastik - Teilchen bis zu einer Größe von fünf Millimetern - ist das nicht. Wie viel Schaden es in den Meeren anrichtet, ist nicht bis ins letzte Detail erforscht. Wissenschaftler haben aber längst herausgefunden, dass es Fische aufnehmen und das Plastik damit auch irgendwann in den Mägen anderer Tiere oder vom Menschen landet.

Miteinander von Natur und Mensch

Das bedroht auch das Naturparadies auf den Galapagos-Inseln. Freiwillige sieben auf Santa Cruz, einer der größeren Inseln, den Sand am Strand, um Plastikteilchen herauszufischen. Sie wollen es fernhalten von den Echsen, Leguanen, Blaufußtölpeln, Fregattenvögeln und Riesenschildkröten, die hier heimisch sind. Das Archipel ist ein einzigartiges Biotop. Besucher staunen über Tiere, die kaum natürliche Feinde haben und daher auch Menschen in ihrer Nähe tolerieren. Die Parkregeln erlauben maximal zwei Meter. Und dennoch: "Wer hier ist und sich ein bisschen umschaut, der merkt, wie bedroht dieses Paradies ist", stellt Steinmeier fest, der als erster Bundespräsident die Inseln besuchte.

Steinmeier hat auf seiner Südamerika-Reise das Miteinander von Natur und Mensch in den Vordergrund gestellt. "Wir haben nur einen Planeten", mahnte er in seiner Rede an der katholischen Universität in Ecuadors Hauptstadt Quito. Nicht nur Europa müsse sich mit dem Thema Plastikmüll befassen, sagte er. Konkrete Forderungen hatte der Bundespräsident nicht, merkte aber an, dass Verbote in der Vergangenheit durchaus Erfolg hatten.

Erhalt des Archipels

Dass beim Thema Plastikmüll endlich mehr geschieht, wünscht sich auch der Geschäftsführer der Charles Darwin Foundation, Arturo Izurieta. Die Einrichtung auf den Galapagos-Inseln, benannt nach dem berühmten Evolutionsforscher, will mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit zum Erhalt des Archipels beitragen. Ein neues Forschungsprojekt hat sich zum Ziel gesetzt herauszufinden, woher der Plastikmüll auf den Galapagos-Inseln angeschwemmt wird.

Das Thema Plastik erfordere eine ähnliche Anstrengung auf UN-Ebene wie der Klimaschutz, sagt Izurieta im Gespräch mit Steinmeier. Und auch die Jugend in der Delegation hat Ideen. Auf Plastikverpackungen könnte eine Steuer erhoben werden, schlägt Helene Radloff vor. Das könne Menschen dazu bewegen, ihr Verhalten zu ändern. Sie selbst ist im Alltag nach ihrem Forschungsprojekt inzwischen ziemlich konsequent. Kosmetikprodukte wie Deo oder Zahnpasta stellt sie selbst her, ohne Mikroplastik. Das sei ganz einfach: "Kokosöl, Natron und je nach Geschmack Pfefferminzöl."

Corinna Buschow (epd)


NRW-Landesregierung will Neustart im rheinischen Revier


Tagebau Garzweiler (Archivbild)
epd-bild / Stefan Arend
Die Kohlekommission hat einen Kohleausstieg bis 2038 empfohlen. Was das konkret für das rheinische Braunkohlerevier bedeutet, war am 13. Februar Thema im Landtag.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung appelliert an die Bundesregierung und den Energiekonzern RWE, die Empfehlungen der Kohlekommission zügig umzusetzen. "Nun müssen alle Akteure die Ärmel hochkrempeln und ihre Hausaufgaben machen", schreibt Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) in einem am 13. Februar im Wirtschaftsausschuss des Düsseldorfer Landtags vorgelegten Bericht. Die Empfehlungen der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" müssten entschlossen umgesetzt werden. Im Wirtschaftsausschuss wurden am 13. Februar nach dem Bericht der Landesregierung rund 40 Sachverständige zum Strukturwandel im rheinischen Revier angehört.

"Es gibt noch eine Menge zu tun, damit aus der Jahrhundertherausforderung auch eine Jahrhundertchance für Nordrhein-Westfalen werden kann", heißt es in dem Bericht des Wirtschaftsministeriums. Dazu müsse der Bund die erforderlichen Mittel langfristig und verlässlich zur Verfügung stellen. Für das geplante "Rheinische Zukunftsrevier" werden demnach in den kommenden 20 Jahren rund 15 Milliarden Euro benötigt. Die Kohlekommission hatte in ihrem Ende Januar vorgelegten Abschlussbericht einen Kohleausstieg bis spätestens 2038 empfohlen.

RWE sieht Bund in der Pflicht

Auch den Essener Energiekonzern RWE sieht die Regierung in der Pflicht, Entwürfe für eine neue Planung für die von ihm betriebenen Tagebaue vorzulegen. Dazu gehörten auch Vorschläge zum Erhalt des Hambacher Forstes und zu den geplanten Umsiedlungen von Dörfern in den Tagebauregionen. Die Landesregierung werde ihre Entscheidungen nach den Verhandlungen zwischen dem Bund und RWE anpassen, hieß es in dem Bericht. Den Dialog mit Bürgern, die von Umsiedlung betroffen sind, werde das Land fortsetzen und vertiefen.

Für die Zukunft stehe ein Neustart im rheinischen Revier an, das zu einer Modellregion für Energie- und Ressourcensicherung, klimaneutrale Industrie sowie Mobilität und Wohnen der Zukunft werden solle, erklärte das Ministerium. Dazu zählten etwa Forschungen zum autonomen Fliegen und die Zukunft des Flugverkehrs in Aachen-Merzbrück, die Ansiedlung einer Batterieproduktion für Elektro-Fahrzeuge sowie der Umbau von Kohle- zu Gaskraftwerken.

DGB fordert mehr Eigeninitiative der Landesregierung

Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte mehr Eigeninitiative der Landesregierung. "Sich auf eine moderierende Rolle zurückzuziehen, reicht nicht aus", erklärte die nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Anja Weber. Die Landesregierung müsse gemeinsam mit den Akteuren vor Ort und den Sozialpartnern die Ausrichtung des Strukturwandels festlegen und mit einer Industrie- und Energiestrategie koppeln. "Wichtig wäre zum Beispiel, von vornherein in der Projektplanung soziale Kriterien zu verankern, zum Beispiel die aktuellen und zukünftigen Arbeitsplatzeffekte und die Tarifbindung", forderte die Gewerkschafterin.

Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) forderte zudem klare Ziele zum Ausbau der regenerativen Energien. Die Braunkohlereviere und Steinkohlestandorte könnten mittels innovativer Technologien zu Modellregionen für die Energiewende werden. "Es reicht nicht, nur 15 Milliarden Euro als Strukturhilfen zu verteilen, um dann beim Klimaschutz wieder in Agonie zu versinken", mahnte der Verbandsvorsitzende Reiner Priggen.



Kohleausstieg: Umweltverbände für schnelle Umsetzung

Umweltverbände haben eine schnelle Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission angemahnt. Deutschlands Ausstieg aus der Kohle müsse umgehend mit Abschaltungen im Rheinischen Revier starten, damit der Kompromiss der Kohlekommission erfolgreich ist, erklärten Vertreter von Greenpeace, BUND und Deutschem Naturschutzring (DNR) am 18. Februar in Berlin.

Die Verbände verlangen außerdem, analog zur Gesetzgebung für den Strukturwandel, bis Mai auch Eckpunkte für ein Gesetz zum Kohleausstieg vorzulegen und zügig zu verabschieden. "Strukturhilfen und Klimaschutz müssen verzahnt sein", erklärte der BUND-Vorsitzende, Hubert Weiger.

Kritik an Bergbaukonzernen

Die Umweltverbände werfen den Bergbaukonzernen LEAG und RWE vor, trotz des Kohlekompromisses weiterhin Fakten zu schaffen und die Zerstörung von Dörfern voranzutreiben. Die Bundesregierung forderten sie auf, sich schnellstmöglich mit dem Energiekonzern RWE darauf zu verständigen, im Rheinischen Revier drei Gigawatt der ältesten Braunkohleblöcke der Kraftwerke Niederaußem und Neurath ab 2020 bis spätestens 2022 vom Netz zu nehmen.

Zugleich warnten die Umweltverbände davor, "den mühsam errungenen Kohlekompromiss zu zerreden". Greenpeace, BUND und der Dachverband DNR waren Mitglieder der Kommission, die Ende Januar ihre Vorschläge zum Klimaschutz vorstellte und unter anderem einen Ausstieg Deutschlands aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038 vorgeschlagen hatte.

"Wenn der Kohleausstieg jetzt sehr schnell im Westen startet, ist das das richtige Signal, um den offenen Konflikt um das Tempo beim Klimaschutz, den Erhalt des Hambacher Walds und der bedrohten Dörfer zu entschärfen", sagt Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser. Die Bundesregierung müsse jetzt verbindlich regeln, dass die schmutzigsten Braunkohlekraftwerke von RWE bis spätestens 2022 vom Netz gehen.

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hatte den Angaben zufolge vor wenigen Tagen angekündigt, nur 2,4 Gigawatt anstatt der vereinbarten drei Gigawatt stilllegen zu wollen.



1.674 Straftaten in drei Jahren Protest im Hambacher Forst

Die Polizei hat im Hambacher Wald zwischen 2015 und 2018 insgesamt 1.674 Straftaten erfasst. Dazu zählen Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, Körperverletzungen und Landfriedensbruch, wie aus einem am 14. Februar im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags vorgelegten Bericht von Innenminister Herbert Reul (CDU) hervorgeht. Die Zahl von politisch links motivierten Tatverdächtigen stieg demnach von 68 im Jahr 2015 auf zuletzt 241. Die Polizei hatte allein von Anfang Oktober 2018 bis Ende Januar 2019 mehr als 1.500 Einsätze im Hambacher Forst und im Umland.

Die Zahlen könnten sich durch Nachmeldungen oder Korrekturen noch ändern, hieß es. Während im Jahr 2015 von den insgesamt 670 gezählten Delikten 526 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz waren, verringerte sich diese Zahl in den folgenden Jahren deutlich. Im Jahr 2018 listete die Polizei 667 Vergehen im Zusammenhang mit dem Hambacher Forst auf. Nahezu die Hälfte davon waren Gewaltdelikte wie Widerstandshandlungen (218) und Körperverletzungen (49). Verstöße gegen das Versammlungsgesetz machten nur noch 25 Vergehen aus.

Veränderte Form des Protests

Die Form des Protests im Zusammenhang mit dem Tagebau im rheinischen Braunkohlerevier habe sich verändert, erklärte das Innenministerium. Seit 2016 richteten sich Angriffe und Gewalttaten vermehrt auch gegen Mitarbeiter des Essener Energieunternehmens RWE, die sich in der Nähe des Waldes aufhalten. Der meist "überfallartige Bewurf mit Steinen und Pyrotechnik sowie der Beschuss mit Zwillen" seien regelmäßig festzustellen und führten immer wieder zu potenziell lebensgefährlichen Situationen und Verletzungen bei RWE-Mitarbeitern und Polizisten.

Zudem habe sich die Besetzerszene verändert, zu der mittlerweile Autonome aus ganz Deutschland und Europa gehörten. Der Bericht spricht von einer "gewalt- und zerstörungsaffinen Straftätergruppe", die menschenverachtend und herabwürdigend mit der Polizei umgehe. Das zeige sich etwa in dem massiven Bewurf von Beamten mit Fäkalien. Eine weitere Eskalationsstufe sei die Nichteinhaltung einer Weihnachtsruhe im vorigen Jahr gewesen, während der teils vermummte Täter unter anderem Steine auf Polizisten und RWE-Mitarbeiter warfen.

Der Hambacher Wald im Kreis Düren gilt als Symbol des Widerstands gegen den Kohle-Abbau. Die RWE Power AG wollte ursprünglich vom 14. Oktober an die Hälfte des noch stehenden Waldes roden. Das Oberverwaltungsgericht Münster verhängte jedoch einen Rodungsstopp, bis über eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland gegen den Hauptbetriebsplan des Tagebaus entschieden ist. Die Entscheidung wird für Mitte März erwartet.



Sorge über möglichen Atommüll-Export in die USA


Atommüll
epd-bild / Klaus G. Kohn

US-amerikanische Atomkraftgegner warnen vor einem Export des Atommülls aus dem Forschungszentrum Jülich in die USA. In einer veröffentlichten Stellungnahme anlässlich des Besuchs des Nationalen Begleitgremiums zur Endlagersuche am 19. Februar in Jülich erklärt der US-Umweltaktivist Tom Clements, dass eine Lagerung der 152 Castoren in Deutschland weit weniger riskant und umweltbelastend sei. Bei einer Entsorgung der Brennelemente in der Atomanlage Savannah River Site (SRS) in South Carolina würde seinen Angaben nach wegen der dort geltenden geringeren Standards radioaktives Kohlenstoff-14 in die Atmosphäre gelangen. Zudem lagerten dort bereits große Mengen hochradioaktiven Abfalls.

Nach der Stellungnahme von Clements, Direktor der Umweltorganisation "Savannah River Site Watch", wird die Atomanlage vom US-Energieministerium verwaltet, weshalb dort nicht die strengeren Standards der Kernenergie-Regulierungskommission (Nuclear Regulatory Commission) gelten. So würden zwar radioaktive Partikel aus den Brennelementen gefiltert, es gelangten aber gasförmige radioaktive Emissionen in die Atmosphäre. "Sollte die US-Option weiter in der Diskussion bleiben, muss Deutschland verlangen, dass im SRS deutsche Umweltstandards und EU-Vorgaben erfüllt werden", forderte Clements.

Sicherheitsbedenken

Der Umweltaktivist verwies zudem auf Berichte des US-Energieministeriums über den maroden Zustand von Teilen der Savannah-River-Site-Anlage und Bedenken über die Sicherheit im Fall eines Erdbebens. In der Anlage lagerten bereits große Mengen hochradioaktiven Atommülls, für den es keinen langfristigen Lagerungs- oder Entsorgungsplan gebe, darunter 140 Millionen Liter flüssigen Atommülls aus dem Kalten Krieg. "Mehr hochradioaktiven Müll zu erhalten, würde die Situation nur schlimmer machen", erklärte Clements. Die Hauptmotivation für die SRS-Betreiber, deutsche Castoren einführen zu wollen, sei das Geld, das sie dadurch verdienen würden. Clements forderte, stattdessen weniger riskante und umweltschädigende Optionen für eine Entsorgung des Atommülls in Deutschland in den Fokus zu rücken.

Das Nationale Begleitgremium, ein unabhängiges, pluralistisch zusammengesetztes gesellschaftliches Gremium, will bei seinem Besuch in Jülich unter anderem über den weiteren Umgang mit den dort lagernden 152 Castor-Behältern mit knapp 300.000 hochradioaktiven Brennelementekugeln sprechen. Das Jülicher Zwischenlager muss so schnell wie möglich geräumt werden, weil die Betriebsgenehmigung wegen mangelnder Erdbebensicherheit bereits 2014 abgelaufen ist. Geprüft werden neben dem Export in die USA zwei weitere Lösungen: ein Transport der Brennelemente von Jülich ins 180 Kilometer entfernt gelegene münsterländische Ahaus und der Bau eines neuen Zwischenlagers in Jülich.



Studie: Deutsche kauften 2018 mehr Bio-Produkte


Bio-Siegel
epd-bild/Norbert Neetz
Biolebensmittel werden beliebter - vor allem Frauen zwischen 30 und 39 Jahren greifen gern zu nachhaltigen Produkten. Gekauft werden sie meist im Supermarkt.

Die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln nimmt einer Studie zufolge weiter zu. Mehr als drei Viertel der Menschen in Deutschland kaufen Bio: 50 Prozent gelegentlich, 25 Prozent häufig und drei Prozent ausschließlich, wie aus dem am 12. Februar veröffentlichten Ökobarometer 2018 im Auftrag des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung hervorgeht. Das ist ein leichter Anstieg im Vergleich zu 2017. Zuerst hatten die Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (12. Februar) über die Zahlen berichtet.

Laut der infas-Studie, für die rund 1.000 Teilnehmer befragt wurden, planen mehr Menschen, in Zukunft Bio-Lebensmittel zu kaufen. Vor allem bei Gemüse und Obst stieg demnach der Anteil der Befragten, die "ausschließlich" oder "häufig" Bio kaufen, um elf Prozentpunkte.

Männer sind eher Bio-Muffel

Männer sind der Erhebung zufolge im Vergleich zu Frauen eher Bio-Muffel. 29 Prozent der Männer kaufen nie Bio-Lebensmittel, bei den Frauen sind es nur 16 Prozent. 30 Prozent der Frauen entscheiden sich häufig für Bio, 52 Prozent gelegentlich. Sie sind auch eher bereit, in Restaurants einen höheren Preis für ein Gericht mit nachhaltigen Zutaten zu zahlen, wie es hieß: 42 Prozent der Frauen würden ein Bio-Gericht trotz eines höheren Preises bewusst bestellen, bei den Männern sind es nur 35.

Am häufigsten werden Biolebensmittel im Supermarkt gekauft (91 Prozent) gefolgt vom Discounter (70 Prozent). 61 Prozent der Befragten gaben an, außerdem noch auf dem Wochenmarkt Bioprodukte zu kaufen. Dabei legen die Käufer insbesondere Wert auf artgerechte Tierhaltung (95 Prozent) und regionale Herkunft der Produkte (93 Prozent). Wichtig sind ihnen außerdem eine möglichst geringe Schadstoffbelastung sowie der Beitrag zum effektiven Umweltschutz. Lebensmittelskandale spielten lediglich für 55 Prozent der Befragten eine Rolle.

Bei den Lebensmitteln sind vor allem Eier aus nachhaltiger Produktion beliebt - 68 Prozent der Deutschen kaufen sie der Studie zufolge ausschließlich oder häufig. Ähnlich hoch sind die Werte bei Gemüse und Obst, danach folgen Milchprodukte, Kartoffeln, Fleisch und Wurst. Kaum nachgefragt sind alkoholische Getränke aus ökologischer Produktion - nur sechs Prozent entscheiden sich ausschließlich oder häufig dafür. Am häufigsten greifen der Studie zufolge übrigens Menschen in der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen zu Biolebensmitteln.



Lanuv will Vorbild für nachhaltige Verwaltung sein

Mit Elektroautos, Kantinenessen aus regional produzierten Lebensmitteln und einem nachhaltigen Abfallmanagement will das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) zum Vorbild für andere Behörden werden. "Die Landesverwaltung muss bei ihrem eigenen Handeln mit gutem Beispiel vorangehen", erklärte die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser bei der Abschlussveranstaltung des Modellprojekts "Nachhaltige Verwaltung der Zukunft" am 13. Februar in Düsseldorf. "Das Lanuv kann dabei als Blaupause dienen, wie nachhaltiges und klimaneutrales Wirtschaften in einer Landesbehörde umgesetzt werden kann."

In dem zweijährigen Modellprojekt, das vom Ministerium und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert wurde, habe man gemeinsam mit den Mitarbeitern Konzepte entwickelt und umgesetzt, um etwa Strom zu sparen, Abfall zu vermeiden und die betriebliche Mobilität umzustellen, erklärte Lanuv-Präsident Thomas Delschen. Unter anderem wurde der Fuhrpark auf Elektroautos umgestellt und ein Pendlerportal für die rund 7.400 Mitarbeiter in der nordrhein-westfälischen Umwelt- und Wirtschaftsverwaltung eingerichtet. Der Kantinenbetrieb wurde auf saisonale und regionale Lebensmittel umgestellt. Am Standort Duisburg erzeuge nun eine Photovoltaikanlage Strom, am Standort Essen sei der Energieverbrauch um zehn Prozent verringert worden, hieß es.

Nach der zweijährigen Modellphase gehe es nun um eine Verstetigung der Prozesse, erläuterte Delschen. "Dabei steht für uns im Vordergrund, mit einem professionellen Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagement die vielen einzelnen Prozesse systematisch und strukturiert anzugehen, um unsere Bemühungen und Erfolge auch messbar zu machen." Der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, Alexander Bonde, ergänzte, das Projekt solle andere Verwaltungen zur Nachahmung motivieren.



Bundesregierung: Schadstoffbelastung durch Binnenschiffe ist gering

Der Einfluss von Binnenschiffen auf die Stickstoffdioxid-Konzentration in den Städten ist nach Ansicht der Bundesregierung gering. Die nachweisbaren Wirkungen der Binnenschifffahrt seien "stark auf die Flussnähe beschränkt", heißt es in einer Antwort des Bundes auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. So nehme laut Untersuchungen der Bundesanstalt für Gewässerkunde die durch die Binnenschifffahrt verursachte "mittlere Stickstoffdioxidzusatzbelastung überproportional und sehr schnell mit der Entfernung von der Fahrrinne ab", hieß es. Zuerst hatte die in Düsseldorf erscheinenden "Rheinische Post" (15. Februar) darüber berichtet.

Die Untersuchungen der Bundesanstalt für Gewässerkunde stammen den Angaben nach aus dem Jahr 2015. Geprüft wurde die Stickstoffdioxid-Konzentration am Niederrhein bei Wesel, am Mittelrhein bei Köln und Bonn, am Oberrhein südlich von Karlsruhe und an der Spree in Berlin. Der Grenzwert sei oft schon im Uferbereich "deutlich unterschritten worden", heißt es dem Bericht. Entscheidender als das Tempo seien bei Schiffen die Strömung, Gewässertiefe oder Ladung. Den Nutzen eines Tempolimits für Binnenschiffe zieht die Bundesregierung deshalb in Zweifel.

Im Zusammenhang mit Diesel-Fahrverboten für Pkw und Lkw in den Innenstädten war auch ein Tempolimit für Binnenschiffe diskutiert worden. Die Bundesregierung verwies in ihrer Antwort darauf, dass in Kanälen - also Wasserstraßen ohne Strömung - ein solches Tempolimit bereits bestehe.




Soziales

Dabrock: "Gesetzentwurf zu 219a ist sinnvoller Kompromiss"


Peter Dabrock ist Vorsitzender des Deutschen Ethikrates.
epd-bild/Peter Roggenthin
Bundesregierung und Bundestag beschäftigen derzeit auffallend viele bioethische Debatten: Der evangelische Theologe Peter Dabrock, der auch Vorsitzender des Deutschen Ethikrats ist, erklärt, warum er den Kompromiss zum Paragrafen 219a für sinnvoll hält, und warum er findet, dass Bluttests für Schwangere von der Krankenkasse finanziert werden sollten.

epd: Herr Dabrock, das Bundeskabinett hat den Kompromiss zur Änderung des Werbeverbots für Abtreibungen auf den Weg gebracht. Ist es ein guter Kompromiss?

Dabrock: Ja, ich halte das für einen sinnvollen Kompromiss. Einerseits wird der Paragraf 219a modifiziert, um dem Informationsrecht der Frauen gerecht zu werden. Andererseits bleibt das Gesamtgefüge der Schwangerschaftskonfliktparagrafen im Strafrecht und in den begleitenden Gesetzen unangetastet. Dabei sollte es zugunsten des Rechts- und des sozialen Friedens bleiben.

epd: Glauben Sie, durch eine weitergehende Diskussion - etwa um die Abschaffung des gesamten Abtreibungsparagrafen - wäre der soziale Friede gefährdet?

Dabrock: Eine solche Diskussion hat alles Potenzial, den gesellschaftlichen Frieden hochgradig zu gefährden. Wir leben in einer Zeit, in der - unter anderem bedingt durch den stärkeren Einfluss sozialer Medien - Emotionalisierung und einseitige Betrachtungsweisen die Bereitschaft zu einem politisch und gesellschaftlich sinnvollen Kompromiss senken. Dabei müssen alle Seiten anerkennen, dass ein Schwangerschaftsabbruch keine "lockere" Angelegenheit der Empfängnisverhütung ist und keine Frau sich leichtfertig dafür entscheidet. Es kann keine Schwangerschaft gegen den Willen der Mutter geben. Und gleichzeitig muss man anerkennen, dass das Ungeborene ein Recht auf Leben hat.

epd: Den Bundestag beschäftigen derzeit auch andere ethische Fragen. Wie stehen Sie zu der Frage, ob die Bluttests an Schwangeren Kassenleistung werden sollen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Auskunft darüber geben, ob das Kind das Down-Syndrom hat?

Dabrock: Ich begrüße sehr, dass es eine gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit Menschen mit Behinderung gibt. Es kann uns weiterbringen ehrlich festzustellen, dass es sowohl mit "behinderten" als auch mit sogenannten normalen Kindern Beglückendes, aber auch Anstrengungen und Schwierigkeiten gibt. Wir neigen sehr dazu, das eine zu romantisieren und das andere als untragbar zu betrachten. Bei der anstehenden Entscheidung geht es um die Finanzierung der nichtinvasiven Pränataldiagnostik bei Risikoschwangerschaften. Die risikoreiche invasive Methode, die Fruchtwasseruntersuchung, wird von der Kasse finanziert. Wenn wir das eine bezahlen, können wir das bei der anderen Methode nicht verweigern.

epd: Kritiker befürchten, dass die risikoarme Methode zu einem Massenscreening führen könnte ...

Dabrock: Nochmal, es geht um Risikoschwangerschaften, wobei natürlich die Zahl der Risikoschwangerschaften steigt. Ich finde es aber zynisch, gegenüber Frauen eine pseudo-heroische Erwartungshaltung zu haben: Momentan verlangt man von ihnen, bei invasiven Tests das Kind dem Risiko einer Fehlgeburt auszusetzen. Hinzu kommt die Frage nach sozialer Gerechtigkeit. Der Test ist ohnehin zugelassen. Wer die 300 bis 500 Euro dafür hat, kann ihn machen. Nicht jede Familie kann sich das leisten. Das ist sozial ungerecht.

epd: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollte auch die Präimplantationsdiagnostik (PID) zur Kassenleistung machen. Nach Protest aus Kirchen und der Union hat er das gestoppt. Ist die Debatte um die PID, bei der Paare den Embryo bei künstlichen Befruchtungen im Reagenzglas vor dem Einsetzen in die Gebärmutter untersuchen lassen können, auch eine soziale Frage?

Dabrock: In Deutschland ist die PID grundsätzlich verboten. Erlaubt ist sie, wenn eine schwerwiegende genetische Krankheit oder eine Totgeburt zu erwarten sind. Überprüft wird dies durch ein komplexes Verfahren. Der in der Debatte stets mitschwingende Vorwurf, Paare würden die Methode für ein "Designerbaby" missbrauchen, geht völlig an der Realität vorbei. Das derzeit geradezu unbarmherzige Verfahren sollte gelockert werden: Es müsste unbürokratischer werden. Warum es bei den schweren Belastungen der Betroffenen nicht von der Kasse finanziert wird, leuchtet mir auch nicht ein.

epd: Was meinen Sie damit?

Dabrock: Die Präimplantationsdiagnostik ist bei uns so scharf geregelt, als handele es sich um ein Verbrechen. Man befürchtet offensichtlich Ausweitungstendenzen. Aber die Zahl möglicher Anwendungen ist schon deshalb begrenzt, weil sie nur bei künstlichen Befruchtungen infrage kommt. Das derzeitige Kontrollverfahren ist für die betroffenen Paare geradezu entwürdigend. Das sind doch Familien, in denen es Totgeburten - oft mehrere - gegeben hat oder Geschwisterkinder schwerste Erkrankungen haben. Hier Missbrauch zu unterstellen, während die Pränataldiagnostik für alle Risikoschwangerschaften völlig legal ist, ist doch "schräg". Ich wünsche mir sehr, dass man mit den betroffenen Hochrisikopaaren, die eine PID wünschen, gnädiger umgeht.

epd: Wie beurteilen Sie die Rolle der Kirchen in den Debatten zu diesen Themen?

Dabrock: Kirchen haben zwar in den vergangenen Jahren an Mitgliedern und damit auch an politischem Einfluss verloren. Die evangelische Kirche repräsentiert aber immer noch knapp ein Viertel der Bevölkerung dieses Landes. Sie ist immer noch über die Diakonie ein starker gesellschaftlicher Player. Die christliche Tradition bleibt ein wichtiger Kulturfaktor. Von daher finde ich es sehr wichtig, dass die Kirchen sich nicht von einer moralistischen Warte aus in solche Debatten einbringen, sondern Sensibilität für Konflikte zeigen. Die evangelische Kirche hat da in den vergangenen Jahren gut dazu gelernt.

epd: Gerade in den bioethischen Debatten zeigen sich schon die unterschiedlichen Positionen der evangelischen und katholischen Kirche. Läuft die evangelische Kirche Gefahr, ihr Profil zu verlieren, wenn sie zu stark auf Ökumene setzt?

Dabrock: Es ist eine Stärke der evangelischen Kirche, dass sie in solchen Debatten den Respekt für unterschiedliche Auffassungen hochhält. Das ist kein Beliebigkeitspluralismus. Die Sensibilität für Konflikte sollte nicht zugunsten forcierter Ökumene-Bemühungen aufgegeben werden. Die evangelische Kirche sollte in diesen Debatten zeigen, wie ein legitimer Korridor unterschiedlicher Positionen entwickelt und beworben werden kann. Das steht ihr gut zu Gesicht. Wenn man in diesem Sinne gemeinsame Positionen mit der katholischen Kirche findet, kann man sie auch gemeinsam vertreten.

epd: Die AfD sitzt nun mit im Bundestag. Wie wird sich das auf Debatten über ethisch sensible Themen auswirken?

Dabrock: Die bioethischen Debatten finden in einem Bundestag statt, der von einem deutlich verschärften Diskursklima geprägt ist. Bei der Debatte über die Organtransplantation haben sich die Abgeordneten der AfD, die sich zu Wort gemeldet haben, durchaus sachlich geäußert. Meine erste Vermutung, diese im Bundestag neue Partei würde auch diese Debatten unterschiedslos nutzen, um zu polarisieren, hat sich nicht bestätigt.

epd-Gespräch: Corinna Buschow und Franziska Hein


Schwachstellen beim Erkennen von Organspendern


Nierentransplantation
epd-bild / Werner Krüper
Die Bundesregierung hofft durch interne Strukturreformen auf mehr Organspender. Experten begrüßen diesen gesetzlichen Weg. Noch befindet sich viel Sand im Getriebe des Transplantationswesens. Eine Studie zeigt, dass Verbesserungen greifen können.

Politiker und Experten streiten vehement über die Auswirkungen der Widerspruchslösung im Transplantationsrecht. Käme sie, dann wäre im Todesfall jeder automatisch Organspender, der zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat. Doch der Plan spaltet die Nation. Dass der Organmangel hierzulande auch ganz andere Ursachen hat, gerät leicht aus dem Blick.

Wo es intern hakt im Spendenprozess, belegt eine Untersuchung mit dem Titel "Rückgang der Organspenden in Deutschland - Eine bundesweite Sekundärdatenanalyse aller vollstationären Behandlungsfälle". Sie zeigt, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) offenbar mit seinen Reformen auf dem richtigen Weg ist. Sein "Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende" hat der Bundestag jetzt beschlossen. Es soll zum 1. April in Kraft treten.

Die zehn Forscher kommen zu dem Schluss, dass der zuletzt gestoppte Rückgang der postmortalen Organspenden vor allem mit einem Erkennungs- und Meldedefizit der Entnahmekrankenhäuser zusammenhängt. "Gelingt es, diesen Prozess organisatorisch und politisch zu stärken, könnte die Zahl der gespendeten Organe erheblich gesteigert werden" - genau das soll das neue Gesetz bewirken.

"Trendwende möglich"

Der an der Studie beteiligte Arzt Kevin Schulte sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Unser Hauptproblem ist, dass der überwiegende Anteil der möglichen Organspender in den Kliniken nicht erkannt wird. In diesen Fällen stellt sich die Frage gar nicht, ob der betreffende Patient mit einer Organspende einverstanden gewesen wäre."

Zunächst zur Ausgangslage: Die Zahl der möglichen Organspender stieg von 2010 bis 2015 um 13,9 Prozent von 23.937 auf 27.258. Alarmierend ist aber, dass die Zahl der realisierten Organspenden laut Untersuchung im selben Zeitraum um 32,3 Prozent zurückging.

Die Wissenschaftler suchten aus allen vollstationären Behandlungen der Jahre 2010 bis 2015 (mehr als 112 Millionen Fälle) diejenigen Todesfälle heraus, bei denen eine Hirnschädigung vorlag und eine Organspende theoretisch möglich war. Als Referenzgröße wurden die Ergebnisse eines 2010 begonnenen Inhouse-Koordinationsprojekt der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) ausgewählt. Hier wurde in mehr als 100 Krankenhäusern zwei Jahre lang jeder mögliche Organspender nachträglich auf seine reelle Eignung als Organspender untersucht. Ergebnis: Nahezu alle möglichen Organspender wurden tatsächlich für eine Organspende in Betracht gezogen. Die Realisationsquote der Organentnahmen lag bei 10,2 Prozent.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass 2015 unter der Annahme, dass dieselbe Realisationsquote wie im DSO-Inhouse-Koordinationsprojekt erreichbar gewesen wäre, statt der erfolgten 877 Organspenden 2.780 hätten erreicht werden können - 33,8 Organspenden pro einer Million Einwohner. 2017 lag der Wert in Deutschland bei 10,4.

"Eine Trendwende unter den aktuellen Rahmenbedingungen ist möglich", betonten die Forscher. Genau die will Spahn nun erreichen. Krankenhäuser sollen mehr Zeit und Geld für Organtransplantationen bekommen. Das interne System der Spendererkennung und -meldung wird verbessert. Auch wird es künftig verbindliche Vorgaben für die Freistellung der Transplantationsbeauftragten, deren Arbeit von den Kassen voll refinanziert werden soll. Und: Flächendeckend wird ein neurologischer beziehungsweise neurochirurgischer Rufbereitschaftsdienst eingerichtet, um den Hirntot verlässlich zu feststellen zu können.

Die DSO ist von dem Vorhaben überzeugt. "Die Maßnahmen setzen genau da an, wo Schwachstellen in der Organisation und Zusammenarbeit mit den Entnahmekrankenhäusern bestehen", sagte der Medizinische Vorstand Axel Rahmel. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, erklärte: "Es ist gut, die Organisation und Strukturen der Entnahmekrankenhäuser zu stärken. Denn nur hier können mögliche Organspender erkannt und gegebenenfalls gemeldet werden."

Dirk Baas (epd)


Mehr Hausärzte im Ruhrgebiet


Empfang einer Arztpraxis
epd-bild/Jürgen Blume
Seit der Sonderstatus des Ruhrgebiets bei der Ärzteversorgung abgeschafft wurde, steigt die Zahl der niedergelassenen Mediziner. Um die neu geschaffenen Sitze für Psychotherapeuten herrscht ein harter Wettbewerb.

Im Ruhrgebiet steigt die Zahl der Hausärzte und Psychotherapeuten. Seit Ende 2017 wurden 62 von knapp hundert neu freigegebenen Hausarztsitzen im Revier besetzt, wie aus Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) Nordrhein und Westfalen-Lippe hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegen. Besonders Duisburg und Oberhausen, aber auch Dortmund und Hamm profitierten vom Ende des "Sonderstatus'", der dem Ruhrgebiet bis vor einem Jahr eine geringere Hausarztdichte vorschrieb. Die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (WAZ, 11. Februar) in Essen hatte zuerst darüber berichtet.

In Duisburg wurden nach Angaben der KV Nordrhein alle zwölf zusätzlichen Sitze als Hausarzt besetzt, in Oberhausen waren es 7 von 7,5. In Essen wird es erst ab Sommer 2020 zusätzliche Hausärzte geben. Im westfälischen Teil des Ruhrgebiets seien bisher 30 Hausarztsitze dazugekommen, 20 davon in Dortmund und Hamm, teilte die KV Westfalen-Lippe mit.

Grund für den Sonderstatus des Ruhrgebiets bei der ärztlichen Bedarfsplanung war, dass dort große Städte quasi nahtlos ineinander übergehen. Der für die Bedarfsplanung zuständige Gemeinsame Bundesausschuss nahm daher an, dass in den Revierstädten im Verhältnis zur Einwohnerzahl weniger Ärzte nötig seien, weil sie nicht wie anderswo Patienten aus dem Umland mitversorgen müssen. Nachdem eine Studie 2017 zu dem Ergebnis kam, dass im Ruhrgebiet mehr Ärzte nötig wären, wurde der Sonderstatus abgeschafft.

Auch Zahl der Psychotherapeuten steigt

Auch die Zahl der Psychotherapeuten steigt. Knapp 80 neue Therapeuten-Zulassungen, um die ein harter Wettbewerb herrscht, entstanden seit Ende 2017 im Ruhrgebiet. Im nordrheinischen Teil des Ruhrgebiets stehen nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein 50 neuen Psychotherapeuten-Zulassungen rund 280 Anträge gegenüber. Im westfälischen Teil des Ruhrgebiets wurden 29,5 neue Sitze geschaffen. Aufgrund der hohen Nachfrage seien derzeit nicht alle Zulassungsbescheide bestandskräftig, da Widerspruch gegen die Entscheidungen des zuständigen Ausschusses eingelegt worden sei, erklärte die KV Westfalen-Lippe.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte der WAZ, die Aufhebung des Sonderstatus bewirke eine verbesserte Versorgung der Menschen im Ruhrgebiet. "Die Sorge vor einem Sogeffekt bei der hausärztlichen Versorgung in die großen Ruhrgebietsstädte zulasten des ländlichen Umlands war nicht unbegründet", betonte der Minister.

Das Ruhrgebiet soll nach dem Ende des Sonderstatus bis 2028 insgesamt 600 zusätzliche Hausarztsitze erhalten. Dabei ist eine schrittweise Anpassung an den Bundesschnitt geplant, und zwar von 2.134 Einwohnern auf 1.671 Einwohner je Hausarzt. Im Moment liegt diese Zahl im Ruhrgebiet bei 2.000. Die nächste Anpassung ist für 2020 geplant.



Jedes sechste Kind lebt mit süchtigen Eltern


Ein Kind sieht seiner Mutter beim Bier trinken zu (gestelltes Foto).
epd-bild/version
Scham, Druck, Angst: Wenn Eltern Drogen nehmen, leiden darunter auch die Kinder. Rund drei Millionen Kinder leben Schätzungen zufolge in Deutschland in Suchtfamilien, ihr Leiden bleibt oft unentdeckt. Hilfsorganisationen fordern bessere Aufklärung.

Eines von sechs Kindern lebt Schätzungen zufolge in Deutschland in einer Suchtfamilie. Rund drei Millionen Jungen und Mädchen wachsen somit bundesweit mit mindestens einem alkohol- oder drogenabhängigen Elternteil auf, wie der Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, Rolf Rosenbrock, am 11. Februar in Berlin sagte. Die Kinder litten nicht nur an der Krankheit selbst, sondern auch an der Stigmatisierung und Tabuisierung der Erkrankung ihrer Eltern. Langfristig könne dies zu schweren psychischen Störungen führen.

Um dem entgegenzuwirken, will die zehnte bundesweite "Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien" auf das Thema aufmerksam machen. Geplant sind rund 120 Veranstaltungen in mehr als 60 Städten, die auf das Schicksal der betroffenen Kinder hinweisen sollen, wie der Verein Nacoa als Initiator der Aktionswoche mitteilte. Der Verein fordert zudem ein flächendeckendes und regelfinanziertes Hilfesystem für die Kinder. Die Aktionswoche findet zeitgleich auch in den USA, in der Schweiz und in Großbritannien statt.

Kinder aus Suchtfamilien suchten sich oft keine Hilfe, sagte Rosenbrock. Gründe seien Scham oder Angst vor Konsequenzen: "Stattdessen übernehmen sie Rollen, die weder ihrem Entwicklungsstand noch ihren Kräften entsprechen." Als Folge würden sie oftmals selbst abhängig. Zudem seien sie stark gefährdet, eine psychische Krankheit oder soziale Störung zu entwickeln.

Bleibende Schäden

Katharina Balmes, Vorstandsmitglied des Hamburger Vereins Sucht(t)- und Wendepunkt, berichtete von einem großen Druck, unter dem die betroffenen Kinder stehen: "Sie kümmern sich oft um ihre jüngeren Geschwister, gehen einkaufen und schmeißen den Haushalt." Viele Kinder suchten die Schuld für die Erkrankung der Eltern bei sich selbst: "Sie sind mehr darauf bedacht, wie es den Eltern geht, als wie sie sich fühlen."

Besonders in Familien mit Alkoholproblemen ist laut Balmes zudem Gewalt weit verbreitet: "Dabei geht es nicht nur um körperliche Gewalt, sondern auch verbale." Manche Kinder zögen sich als Folge zurück, andere würden aggressiv oder spielten den Klassenclown. Nur etwa ein Drittel der Kinder trage keine langfristigen Schäden davon. "Das sind wahrscheinlich die Kinder, die einen stabilen Ansprechpartner außerhalb der Familie hatten", sagte sie.

Hilfsvereine hätten aber oftmals keine Planungssicherheit, kritisierte Balmes. Grund sei eine unsichere Finanzlage, oftmals müssten sich die Organisationen auf Spenden verlassen. Eine verlässliche Finanzierung sei aber entscheidend, um die Kinder lückenlos betreuen zu können. Generell würde die Situation der Kinder nur bei einem Bruchteil erkannt - wenn sie zum Beispiel zufällig an einen erfahrenen Jugendamtsmitarbeiter geraten: "Etwas so Grundlegendes wie Hilfe sollte aber nicht von Glück abhängen."

Rosenbrock sagte: "Es ist an der Zeit, dieses stille Leiden öffentlich wahrzunehmen." Dabei sei auch die Politik gefragt: Bereits 2017 habe der Bundestag beschlossen, dass Kinder psychisch- und suchtkranker Eltern in Deutschland Hilfe bekommen sollen. Dazu gehörten Aufklärungskampagnen sowie Aus- und Weiterbildungen für Erzieher, Lehrer, Ärzte und Psychotherapeuten. "Wichtig ist, dass nach all den versäumten Jahren endlich Maßnahmen ergriffen werden", fügte er hinzu.

Henning Mielke vom Verein Nacao betonte die Wichtigkeit von Aus- und Weiterbildung: Nur wenige Mädchen und Jungen könnten ein spezielles Hilfeangebot für Kinder von Suchtkranken nutzen. "Umso wichtiger ist es, dass in jeder Kita und jeder Schule die dort tätigen Menschen in der Lage sind, diese Kinder zu erkennen, zu verstehen und zu unterstützen, damit sie nicht die Süchtigen und psychisch Kranken von morgen werden", unterstrich Mielke.



WHO: Masern breiten sich stark aus

Die hochansteckenden und potenziell lebensgefährlichen Masern breiten sich nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation wieder stark aus. In den vergangenen zwei Jahren habe sich weltweit die Zahl der erfassten Fälle verdoppelt, in Europa sogar verdreifacht, teilte die WHO am 14. Februar in Genf mit.

Für 2018 seien bis Mitte Januar dieses Jahres 229.000 Fälle der Infektionskrankheit gemeldet worden, sagte die WHO-Direktorin für Impfungen, Katherine O'Brien. Mitte Januar 2018 hatte die WHO 115.000 Masernfälle für 2017 erfasst. Die abschließende Zahl für 2017 habe bei 173.000 gelegen.

Die WHO-Mitgliedsländer können ihre Fälle für 2018 noch bis April 2019 melden. Die Zahl der erfassten Fälle für 2018 wird deshalb laut der WHO noch steigen. Die Dunkelziffer dürfte jedoch erheblich über den gemeldeten Fällen liegen.

In Europa habe sich die Zahl der gemeldeten Fälle 2018 sogar auf 60.000 verdreifacht, diese Entwicklung gehe vor allem auf die Ausbreitung der Krankheit in der Ukraine zurück.

Viele Erkrankungen auf den Philippinen

Bis zum Jahr 2016 habe sich die Zahl der Fälle weltweit zurückentwickelt. Die WHO macht den geringen Impfschutz für die starke Ausbreitung der Masern mitverantwortlich. In den Philippinen etwa seien 2017 nur rund 70 Prozent der Kinder geimpft worden.

Für einen wirksamen Schutz müssen den Angaben nach 95 Prozent aller Kinder geimpft sein. In den Philippinen sind laut WHO seit Anfang Januar mehr als 4.300 Masernfälle registriert worden, 70 Menschen seien gestorben.

Die WHO nennt zwei Hauptursachen für niedrige Impfraten. Viele Menschen in abgelegen Gebieten oder in Konfliktregionen seien für Impfteams schwer oder überhaupt nicht zu erreichen. Zudem habe das Vertrauen in die Impfung abgenommen.

Die WHO führt den Vertrauensschwund auch auf gezielte Desinformation zurück. Die Masern sind eine schwere Infektionskrankheit und werden durch Viren übertragen. Es kommt zu hohem Fieber, Schnupfen, Husten sowie Hautausschlag. Die Masern greifen das Immunsystem an. Die betroffenen Menschen sind anfälliger für andere Krankheiten.



Düsseldorfer Kinderärzte nach Tod von Jungen freigesprochen

Das Amtsgericht Düsseldorf hat zwei Kinderärzte des Evangelischen Krankenhauses vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Nach Anhörung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung könne kein fahrlässiges Handeln festgestellt werden, teilte das Gericht am 12. Februar mit. Die Mediziner mussten sich vor Gericht verantworten, nachdem ein siebenjähriger Junge im Herbst 2016 in der Düsseldorfer Klinik an den Folgen eines Darmverschlusses gestorben war. (AZ: 140 DS - 10 JS 309/17 - 44/18)

Die Richter erklärten, dass eine Operation zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben des Jungen gerettet hätte. Es sei nach Ansicht des Sachverständigen aber vertretbar gewesen, dass die Kinderärzte das Kind konservativ behandelten. Die Entscheidung über eine Operation habe zudem im Verantwortungsbereich der Chirurgie gelegen. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, die zwischenzeitlich eingestellten Ermittlungen gegen Chirurgen der Klinik wieder aufzunehmen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat den Angaben zufolge ebenfalls Freispruch beantragt, kann jedoch binnen einer Woche Berufung oder Revision einlegen.

Der Tod des siebenjährigen Jungen hatte Entsetzen ausgelöst. Er war von seinem Vater ins Evangelische Krankenhaus Düsseldorf gebracht worden, nachdem er tagelang unter Bauchschmerzen und Übelkeit gelitten hatte. Die Ärzte stellten einen Darmverschluss fest, ordneten aber keine Operation an, sondern behandelten ihn mit Infusionen. Am selben Tag starb der Junge.



Film soll Vorurteile gegenüber Heimkindern abbauen

Mit einem Film will die Düsseldorfer Graf Recke Stiftung Vorurteilen über das Leben von Kindern und Jugendlichen in Wohngruppen und Heimen begegnen. Der knapp einstündige Streifen von Anke Bruns trägt den Titel "Wir sind doch keine Heimkinder!" und richtet sich an Schulen, Jugendzentren, Kirchengemeinden oder Volkshochschulen, wie Stiftungsvorstand Markus Eisele am 14. Februar erläuterte. "Der Film soll eine gesellschaftliche Diskussion über die Vorurteile und die Stigmatisierung von Kindern und Jugendlichen in Heimen anstoßen und so einen Beitrag zu ihrer verbesserten Inklusion und Teilhabe leisten."

Graf Recke Stiftung will Diskussion über Jugendhilfe heute anstoßen

Das Leben in den heutigen Wohngruppen der Jugendhilfe unterscheide sich deutlich von den Heimen der Nachkriegszeit, ergänzte Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. "Sie werden dort von familiären Konflikten entlastet, von pädagogischen Fachkräften gezielt gefördert und können neue Beziehungen zu anderen jungen Menschen knüpfen."

In dem Film kommen heutige und frühere Heimbewohner, aber auch Erzieher, Eltern und Verantwortliche aus der Graf Recke Stiftung zu Wort. "Wenn mich jemand Heimkind nennt, bin ich wütend und traurig", sagt ein Jugendlicher in dem Film. Eine ehemalige, ältere Heimbewohnerin betont, sie habe sich noch Jahrzehnte nach ihrer Entlassung geschämt und ihre Jahre im Heim als "Makel" empfunden.

"Der Film soll einen Blick hinter die Kulissen werfen und dazu beitragen, Vorurteile über das Leben im Heim aus dem Weg zu räumen und Verständnis und Toleranz zu erzeugen", sagte Stiftungsvorstand Petra Skodzig. Obwohl sich seit der Nachkriegszeit in Deutschland vieles in der Heimerziehung und der Heimpädagogik zum Positiven verändert habe, bestehe nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu, darüber zu sprechen. Ebenso hartnäckig hielten sich die Vorurteile der Gesellschaft sowie die Schamgefühle der aktuell bundesweit 1,7 Millionen Menschen mit Heimerfahrung.

Die Graf Recke Stiftung als eine der ältesten diakonischen Einrichtungen Deutschlands hat eine nahezu 200-jährige Geschichte in Sachen Heimerziehung. Adelberdt Graf von der Recke-Volmerstein gründete 1822 in Düsselthal bei Düsseldorf ein Rettungshaus für Straßenkinder.

Der Film kann im Internet unter der Website www.wir-sind-doch-keine-heimkinder.de heruntergeladen und angeschaut werden. Schulen und interessierte Lehrer könnten den Film und dazugehöriges Informationsmaterial kostenlos nutzen, um das Thema im Unterricht mit Schülerinnen und Schülern einzusetzen, erklärte der Leiter des Geschäftsbereichs Erziehung & Bildung der Stiftung, Michael Mertens.



Anmeldefrist für Psychiatrie-Opfer um ein Jahr verlängert

Die Anmeldefrist beim Hilfsfonds von Bund, Ländern und Kirchen für Psychiatrie-Opfer wird um ein Jahr bis Ende 2020 verlängert. Das teilten am 12. Februar in Berlin Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Sozialministerkonferenz der Länder gemeinsam mit. Bei dem Fonds können Menschen Hilfen beantragen, die als Kinder und Jugendliche in Heimen der Behindertenhilfe und psychiatrischen Einrichtungen Leid und Unrecht erfahren haben.

Für die Bundesrepublik geht es um die Jahre von 1949 bis 1975, für die DDR um den Zeitraum von 1949 bis Oktober 1990. Kirchen, Landschaftsverbände, Kommunen und der Staat waren Träger der Heime. Nach diversen Verhandlungen bekannten sie sich zu ihrer Verantwortung und richteten die Stiftung ein, ähnlich dem Hilfsfonds für ehemalige Heimkinder.

Menschen, die unter den Folgen von Gewalt, Zwang, Vernachlässigung oder sexuellen Übergriffen in den Einrichtungen leiden, können sich an die Stiftung wenden. Voraussetzung ist, dass sie als Kinder oder Jugendliche in einer Behinderteneinrichtung oder Psychiatrie waren. Sie können Hilfen für Therapien und Nachzahlungen an die Rentenkasse erhalten, wenn sie als Jugendliche in den Einrichtungen arbeiten mussten, ohne dass Sozialversicherungsbeiträge für sie gezahlt wurden.



Flüchtlinge dürfen gefundenes Geld behalten

Eine syrische Flüchtlingsfamilie aus Holzminden darf 14.000 D-Mark behalten, die sie im Mai 2017 in einem Bettbezug entdeckt hatte. "Wir geben das Geld an die Finder heraus", sagte eine Sprecherin der niedersächsischen Stadt am 13. Februar dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Familie hatte die Bettwäsche bei der Holzmindener Tafel erworben und das Geld als Fundsache bei der Polizei abgegeben. Kurz vor Ablauf einer halbjährigen Frist, in der sich ein rechtmäßiger Eigentümer melden oder ermittelt werden kann, meldete die Tafel einen Anspruch auf den Fund an. Seitdem prüfte das Holzmindener Rechtsamt den Fall.

Die Stadt sei nun zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei den Geldscheinen nicht um eine Fundsache handele und deshalb nicht einem Besitzer übergeben werden müsse, sagte die Sprecherin. Sowohl die syrische Familie als auch die Holzmindener Tafel seien über die Entscheidung informiert worden. Die 14.000 D-Mark entsprechen 7.158 Euro.



Handwerkskammer: Jeder zehnte neue Lehrling ein Flüchtling

Jeder zehnte neue Lehrling des im vergangenen Jahr im Bereich der Handwerkskammer Düsseldorf gestarteten Ausbildungsjahres stammt aus einem der acht Hauptherkunftsländer für Asylbewerber. Wie die Handwerkskammer am 14. Februar mitteilte, haben zum 31. Oktober 617 Lehrlinge aus Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien eine Ausbildung in einem handwerklichen Beruf aufgenommen. Das waren 199 mehr als im Vorjahr, ein Zuwachs von 48 Prozent.

Die Integration von Flüchtlingen in den regionalen Ausbildungsmarkt schreite voran, hieß es. "Viele Betriebsinhaber setzen sich mit großem persönlichen Einsatz für die Ausbildung junger Menschen mit Fluchthintergrund ein", sagte der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, Axel Fuhrmann. Wichtig sei es nun, dass die Azubis mit Hilfe zusätzlicher Deutsch- und Nachhilfekurse in die Lage versetzen würden, die anstehenden Zwischen- und Abschlussprüfungen zu bestehen. Fuhrmann mahnte zugleich in Richtung der Ausländerbehörden, dass sie "keinen Lehrling aus einer laufenden Ausbildung abschieben" sollten.



IW: 3,2 Millionen bedürftige Rentner gehen bei Grundrente leer aus


Senioren-Paar
epd-bild / Gustavo Alabiso

Die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene Grundrente ist nach Einschätzung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln kein Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut, sondern würde zu neuen Ungerechtigkeiten führen. Von knapp sechs Millionen älteren Menschen mit geringen Renten würden nur 2,8 Millionen von der "Respekt-Rente" profitieren, teilte das IW am 14. Februar in Köln mit. 3,2 Millionen Betroffene gingen leer aus.

Der Arbeitsminister will eine Aufstockung geringer Renten nach 35 Beitragsjahren. Diese Grundrente soll erhalten, wer in der Beitragszeit im Durchschnitt weniger als 0,8 Entgeltpunkte pro Jahr aufweist. Dieses Kriterium erfüllten zwar knapp sechs Millionen Rentner, stellt IW-Forscher Jochen Pimpertz in seiner Studie fest. Mehr als die Hälfte der Betroffenen unterschreite jedoch die geforderten 35 Beitragsjahre um mindestens ein Jahr. Für die Untersuchung legte der IW-Ökonom Zahlen des Rentenversicherungsberichtes 2018 der Bundesregierung zugrunde.

Vor allem westdeutsche Frauen gingen in der Mehrzahl leer aus, hieß es. Von 3,7 Millionen bedürftigen Renterinnen in den westdeutschen Bundesländern kämen nur 1,2 Millionen auf 35 Beitragsjahre und könnten eine Aufstockung beanspruchen. 2,5 Millionen blieben außen vor. In Ostdeutschland würden dagegen 83 Prozent der betroffenen Rentnerinnen von der Respekt-Rente profitieren. Auch bei den Männern bekämen 91 Prozent der bedürftigen Rentner in Ostdeutschland den Zuschuss, im Westen nur 56 Prozent.

"Die Berechnungen zeigen, dass dieses Rentenkonzept weder bedarfs- noch leistungsgerecht ist", erklärte Studienautor Pimpertz. "Es sorgt für mehr Ungerechtigkeiten und kommt nicht bei denen an, die tatsächlich von Altersarmut bedroht sind."



SPD-Vorschlag zur Grundrente stößt auf große Zustimmung

Die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene Grundrente stößt in der Bevölkerung auf große Zustimmung: Für zwei Drittel der Deutschen (67 Prozent) geht die "Respekt-Rente" in die richtige Richtung, wie eine am 14. Februar in Köln veröffentlichte ARD-Umfrage ergab. Der Minister will niedrige Renten für Menschen, die mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, ohne Bedürftigkeitsprüfung aufstocken.

Mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Deutschen hält laut Umfrage die eigene Altersversorgung für unzureichend: 53 Prozent der Befragten gaben an, sie fühlten sich für ihr Rentenalter nicht ausreichend abgesichert. Von den befragten Männern halten sich 49 Prozent für nicht ausreichend abgesichert, bei den Frauen sind es 57 Prozent.

Besonders besorgt sind Menschen mit niedrigem Einkommen: Drei Viertel (76 Prozent) der Menschen, die über weniger als 1.500 Euro netto im Monat verfügen, fühlen sich nicht ausreichend abgesichert. Dagegen glaubt mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Befragten mit einem monatlichen Haushalts-Nettoeinkommen von mehr als 3.000 Euro, fürs Alter gut abgesichert zu sein.

Das Institut Infratest dimap befragte für den ARD-Deutschlandtrend am 11. Februar und 12. Februar dieser Woche telefonisch 1.003 Wahlberechtigte.




Medien & Kultur

Bauhaus Dessau als Symbol der Moderne


Bauhaus in Dessau-Roßlau
epd-bild/Jens Schlüter
Das Bauhaus bestand nur 14 Jahre als Schule für Kunst, Design und Architektur, doch es revolutionierte diese Bereiche und gilt bis heute als Inbegriff der Moderne. Dessau steht neben Weimar und Berlin im Jubiläumsjahr besonders im Fokus.

Vor 100 Jahren wurde das Bauhaus von Walter Gropius (1883-1969) gegründet. Zunächst in Weimar ins Leben gerufen und beheimatet, gingen die Bauhäusler schon einige Jahre später aufgrund des politischen Drucks nach Dessau. Diese Stadt in Sachsen-Anhalt mit dem charakteristischen und auffälligen Bauhaus-Hauptgebäude von Gropius, zugleich Sitz der Stiftung Bauhaus Dessau, ist bis heute eng mit dem Namen Bauhaus verbunden. Dort erlebte die Hochschule für Gestaltung von 1925 bis 1932 ihre Blütezeit, bevor sie sich 1933 in Berlin unter dem Druck der Nationalsozialisten selbst auflöste.

In Dessau entstand die Alltagskultur der Moderne: Schrifttypen, Möbel, Textilien, Tapeten und Architektur. Das Bauhaus gilt als eine der wichtigsten kulturellen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, es beeinflusste maßgeblich die Auffassung von Architektur und Design weltweit. Heute ist Dessau-Roßlau nach der Fusion mit der Stadt Roßlau mit mehr als 80.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt in Sachsen-Anhalt nach Halle und Magdeburg und verweist stolz auf meisten authentischen Bauhausbauten weltweit. Dort kann man in die Bauhausgeschichte eintauchen und sich mit den Ideen des Bauhauses vertraut machen.

"Dieses Haus muss man gesehen haben"

Das Hauptgebäude aus Stahlbeton und Glas, das Ende 1926 eröffnet wurde, befindet sich nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof in Dessau-Roßlau entfernt. Auffällig sind die großen Fensterfronten, die das helle Gebäude förmlich einhüllen. An der Seite ist ein großer Schriftzug "Bauhaus" angebracht. Über eine zweigeschossige Brücke, die für Verwaltung und das Büro des Bauhaus-Direktors vorgesehen war, wurde die einstige Gewerbeschule mit den Werkstätten verbunden. Mit einem großen Fest war das Gebäude damals eröffnet worden. "Dieses Haus muss man gesehen haben", schrieb das "Berliner Tageblatt" im Dezember 1926.

"Mit seinen klaren Linien, der damals revolutionären Glasvorhangfassade und den offenen Werkstattflächen kann man es auch als 'gebautes Curriculum' verstehen", sagt die Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, Claudia Perren. "Zum einen ging es darum, neue Lehr- und Lernmethoden zu etablieren. Zum anderen hatte man den Anspruch, überzeugende Antworten auf die gestalterischen Herausforderungen der damaligen Zeit zu finden." Perren sagt, es sei wichtig zu betonen, "dass das Bauhaus eben nicht nur ikonische Designobjekte hervorbrachte, sondern dass dahinter in erster Linie ein pädagogisches Konzept stand".

Zweitgrößte Bauhaussammlung der Welt

Im Krieg wurde auch der Gebäudekomplex in Dessau durch Bomben getroffen und beschädigt. Die entstandenen Schäden wurden zunächst notdürftig repariert. 1972 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt und erstmals restauriert. Nach der Ernennung zum Weltkulturerbe durch die Unesco im Jahr 1996 folgten dann umfassende Sanierungsarbeiten, die 2006 abgeschlossen wurden. Für Bauhaus-Fans oder Interessierte wartet Dessau in diesem Jahr jedoch nicht nur mit restaurierten Originalbauten und Jubiläumsprogrammen auf, die Eröffnung eines neuen Museums am 8. September soll ein Höhepunkt im Jubiläumsjahr werden.

Die 1994 gegründete Stiftung Bauhaus Dessau verfügt nach Berlin über die zweitgrößte Bauhaussammlung der Welt. Um diese endlich umfassend präsentieren zu können, entsteht derzeit mitten in der Stadt das neue Bauhaus Museum Dessau. Perren betont: "Dabei geht es uns nicht darum, einzelne Design-Ikonen auf einen Sockel zu stellen. Vielmehr wollen wir auf anschauliche Art vermitteln, welche Fragen die damaligen Bauhäuslerinnen und Bauhäusler beschäftigten, wie sie sich einer Gestaltungsaufgabe näherten und wie ihre Lösungen dann konkret aussahen."

In dem neuen Haus soll die Geschichte der Schule anhand der originalen Möbel, Dokumente, Fotografien, Kunstwerke und Zeichnungen erzählt werden. Und es soll laut Perren auch als Ort etabliert werden, "an dem Platz ist für neue Begegnungen, Ideen und Experimente - wie schon am historischen Bauhaus". Am 23. Februar wird das Museum - noch als Baustelle - erstmals öffnen und mit einem Auftakt einen Vorgeschmack auf das Jubiläumsprogramm präsentieren. Jährlich zählt die Stiftung Bauhaus Dessau bisher etwa 100.000 Besucher, die sich für die Originalbauten interessieren.

Romy Richter (epd)


Kulturrat: AfD betreibt "Kulturkampf von rechts"


Olaf Zimmermann
epd-bild/Jürgen Blume

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, hat das Erstarken der AfD für einen "Kulturkampf von rechts" verantwortlich gemacht. Die Partei versuche verstärkt, in die Autonomie des Kunstbereichs einzugreifen, sagte Zimmermann dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. "Debatten um Kunst gab es schon immer, aber diese Übergriffe sind neu", unterstrich er. Besonders in ländlichen Regionen würden kulturelle Einrichtungen immer stärker von Rechten bedrängt.

"Wir hatten eine Gesellschaft, in der Rechte marginalisiert werden. Jetzt sitzen sie in zahlreichen Parlamenten", sagte Zimmermann. Durch parlamentarische Anfragen zu missliebigen Projekten und Veranstaltungen versuche die Partei, Druck auf Künstler auszuüben. Zudem habe sie das rechte Milieu salonfähig gemacht. "Die Stimmung in Deutschland hat sich verändert", sagte der Geschäftsführer des Spitzenverbands deutscher Kulturverbände.

Staat soll Kunstfreiheit schützen

Zu den Angriffen auf politischer Ebene kämen auch Übergriffe von einzelnen Personen oder Gruppen, sagte Zimmermann. "Es kann nicht sein, dass Schauspieler mit ausländischen Wurzeln nach Proben bedroht werden", beklagte er. Er sieht den Staat in der Verantwortung: "Die Kunstfreiheit muss geschützt werden, darauf haben wir einen Anspruch."

Zimmermann sagte, keine Partei setze sich in ihrem Programm so sehr mit Kultur auseinander wie die AfD. Parteiangehörige würden zudem gezielt versuchen, wichtige Positionen im Kulturbereich zu besetzen. "Dass die AfD den Vorsitz des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages erhält, konnte zum Glück noch verhindert werden", sagte er. Der AfD-Politiker Marc Jongen, der den Vorsitz angestrebt hatte, habe zuvor noch mit einer "Entsiffung des Kulturbetriebs" gedroht.

Betroffen von dieser "Entsiffung" wäre laut Zimmermann jeder Kulturschaffende, der in den Augen der AfD "links-grün-versifft" ist - oder in anderen Worten "jeder, der nicht ihrer Meinung ist". Dabei sei der Kulturbereich nicht besonders links. "Es gibt nur wenige Bereiche, die so vielseitig sind", betonte Zimmermann.

epd-Gespräch: Jana-Sophie Brüntjen


Evangelisches Journalismus-Projekt für Geflüchtete läuft weiter

Die Finanzierung des Nachrichtenportals "Amal, Berlin!" mit Nachrichten für Geflüchtete ist bis Ende 2021 gesichert. Das unter anderem von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geförderte Projekt werde in einigen Wochen auch eine Redaktion in Hamburg eröffnen, teilte die Evangelische Journalistenschule (EJS) am 12. Februar in Berlin mit. "Wir freuen uns über die neue Redaktion an der Elbe", sagte die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer. Die Journalistenschule betreibt die journalistische Nachrichtenplattform für Geflüchtete.

Für das Nachrichtenportal produzieren derzeit neun Journalisten aus Ägypten, Syrien, Afghanistan und dem Iran eine regionale und täglich aktuelle Online-Zeitung auf Arabisch und Farsi. Dadurch sollen Flüchtlinge mit Nachrichten, Reportagen und Videos aus der Hauptstadt und Deutschland versorgt werden, um ihnen so die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu erleichtern. "Für die evangelische Kirche ist Amal ein Leuchtturmprojekt. Integration funktioniert nur durch Information und Teilhabe - und dafür braucht es Qualitätsmedien und professionelle Journalistinnen und Journalisten", sagte Schwaetzer. Ab Frühjahr 2019 sollen 13 Redakteurinnen und Redakteure für "Amal, Berlin!" arbeiten, heißt es in der Mitteilung der EJS.

Ausgezeichnetes Projekt

Das Nachrichtenportal erreicht inzwischen über seine Website und Facebook täglich rund 35.000 geflüchtete Menschen. Professionelle deutsche Journalistinnen und Journalisten begleiten das Projekt. "Amal, Berlin!" arbeitet seit Juni 2017 und wurde seither schon mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Die Finanzierung wird nicht nur durch die EKD sichergestellt, auch mehrere Landeskirchen und Stiftungen beteiligen sich an dem Projekt.

Die EJS in Berlin bildet seit 1995 Journalistinnen und Journalisten aus. Sie gehört zum Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main. Das GEP ist das zentrale Mediendienstleistungsunternehmen der EKD, ihrer Gliedkirchen, Werke und Einrichtungen. Es trägt unter anderem die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd), das evangelische Magazin "chrismon" und das Internetportal "evangelisch.de".



69. Berlinale bot kein rauschendes Fest

Es sollte ein Abschlussfest unter Freunden für den scheidenden Berlinale-Leiter Dieter Kosslick werden. Doch zahlreiche fragwürdige Beiträge drückten die Stimmung bei den 69. Berliner Filmfestspielen.

Zwei chinesische Filme bestimmten die Diskussion im letzten Drittel des Berlinale-Wettbewerbs: Zhang Yimous "One Second" und Wang Xiaoshuais "So long, My Son". Den Film von Zhang Yimou, der seine Karriere 1988 auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären für "Das rote Kornfeld" startete, bekam niemand zu sehen. Er wurde von den chinesischen Behörden zurückgezogen, angeblich wegen "technischer Probleme in der Postproduktion".

Fall von Zensur

Ein Fall von Zensur - das war jedem klar - und der erste Film, der in der langen Geschichte der Berlinale aus dem Wettbewerb herausgeholt wurde. Die Filme von Zhang Yimou waren in der vergangenen Zeit eher linientreu, umso mehr wundert es, dass die Behörden ihr Exempel am wahrscheinlich immer noch prominentesten chinesischen Regisseur statuierten.

Wang Xiaoshuais "So long, My Son" war das Meisterwerk des diesjährigen Wettbewerbs. Ein Film mit einem langen Atem mit seinen drei Stunden Laufzeit, dem man aber auch noch länger hätte zuschauen können. "So long, My Son" ist ein historischer Bilderbogen, der drei Jahrzehnte chinesischer Geschichte umfasst, ein wunderbar konstruierter Film, der immer wieder zwischen den Zeitebenen springt.

Der politische Rahmen ist die Ein-Kind-Politik, die die chinesische Regierung seit Ende der 1970er Jahre durchsetzte. Zu Beginn des Films stirbt das Kind von Liyun und Yaojun. Aber auch, wenn sie ein anderes Kind adoptieren, das sie nach ihrem verstorbenen Xinxing nennen, wird nichts mehr so sein wie es war. Liyun wird zur Abtreibung gezwungen, weil sie ja schon ein Kind hat. Die drei sind irgendwie auch die Verlierer von Chinas Weg in die Marktwirtschaft.

"So Long, My Son" wäre der ideale Gewinner des Goldenen Bären, privat und politisch zugleich, und noch dazu furios und emotional erzählt. Aber die Jury unter dem Vorsitz der französischen Schauspielerin Juliette Binoche entschied sich für die französisch-israelische Produktion "Synonymes" von Nadav Lapid. Das ist sicherlich auch ein kraftvoller Film, der in grotesken Sketchen von den Versuchen eines jungen Israeli erzählt, in Paris beziehungsweise Frankreich heimisch zu werden. Aber das Wasser reichen kann er "So Long, My Son" nicht. Immerhin haben die beiden großartigen Schauspieler aus dem chinesischen Beitrag, Yong Mei und Wang Jingchun, Silberne Bären für die besten Darsteller gewonnen.

Abschlussfest unter Freunden

Aber die Stimmung eines Abschlussfests unter Freunden, wie der letzte Wettbewerb des scheidenden Berlinale-Leiters Dieter Kosslick gerne apostrophiert wurde, wollte sich nicht einstellen. Dazu gab es zu viele fragwürdige Beiträge. Fatih Akins "Der goldene Handschuh" war ein erkenntnisleerer Slasher-Horror, Angela Schanelec' "Ich war zuhause, aber", erschöpfte sich in der spröden Ästhetik der Berliner Schule (auch wenn sie dafür einen Silbernen Bären für die beste Regie erhielt), "Elisa y Marcela" von Isabel Coixet (auch sie ein oft gesehener Gast auf der Berlinale) trug den Kitsch mitunter ziemlich dick auf, und "Mr. Jones" von Agnieszka Holland erwies sich als zähes und politisch dubioses Politstück.

Einen aufrechten und mutigen, wenngleich ziemlich konventionellen Film hat Francois Ozon gedreht: "Grace a Dieu" (Gott sei gelobt). Es geht um den Fall des Paters Bernard Preynat, der in den 1980er Jahren über 70 Jungen sexuell missbraucht hat und dessen Verbrechen von der Kirche und dem Kardinal Barbarin unter den Tisch gekehrt wurden. Fast dokumentarisch schildert Ozon, wie sich drei Opfer zusammen finden und einen Verein zur Aufdeckung dieser Verbrechen gründen. Ozon verwendet die echten Namen der beiden Kirchenleute, aber bislang sind alle Versuche, den Film per einstweiliger Verfügung zu stoppen, gescheitert: In dieser Woche, am 20. Februar, soll er in Frankreich anlaufen. In Berlin ist er mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet worden.

Rudolf Worschech (epd)


Ökumenische Jury ehrt Film über Frauenrechte

Der Film "God Exists, Her Name Is Petrunya" von Regisseurin Teona Strugar Mitevska ist auf der Berlinale mit dem Hauptpreis der Ökumenischen Jury geehrt worden. Gewürdigt werde damit die "wagemutige Schilderung der Verwandlung einer entmachteten jungen Frau in eine unverblümte Verteidigerin der Rechte der Frau", begründete die aus sechs Mitgliedern bestehende Jury am 16. Februar auf der Berlinale. Der Film war einer der diesjährigen Wettbewerbsfilme der Internationalen Filmfestspiele.

Seit 1992 sind die internationalen Filmorganisationen der evangelischen und der katholischen Kirchen - Interfilm und Signis - durch die unabhängige gemeinsame ökumenische Jury auf der Berlinale vertreten.

Bruch mit sozialen und kirchlichen Traditionen

Der mit dem undotierten Hauptpreis geehrte Film erzählt die Geschichte der 31-jährigen arbeitslosen Historikerin Petrunya in Mazedonien. Als Petrunya spontan an einem Ritual der orthodoxen Kirche teilnimmt, im Rahmen dessen junge Männer einem Kreuz hinterher springen, das von einem Priester in einen Fluss geworfen wird, bricht sie mit sozialen und kirchlichen Traditionen. "Ihre anfängliche Weigerung, das Kreuz zurückzugeben, setzt ihre innere Kraft angesichts institutioneller Konventionen frei und offenbart, dass Gott in ihr selbst ist", hieß es.

Weiter vergab die Ökumenische Jury den mit 2.500 Euro dotierten Preis in der Sektion Panorama an "Buoyancy" von Rodd Rathjen. Der Film handele von moderner Sklaverei und erzähle auf einzigartig erschütternde Weise vom Erwachsenwerden. Eine lobende Erwähnung fand zudem "Midnight Traveler" von Hassan Fazili, in der es um eine Fluchtgeschichte aus Afghanistan geht. Verwendet worden sei dafür ausschließlich Filmmaterial, das mit Smartphones aufgezeichnet wurde. Fazili verleihe der weltweiten Migrationskrise eine besondere Dringlichkeit und Unmittelbarkeit, hieß es.

Der ebenfalls mit 2.500 Euro dotierte Preis für die Sektion Forum ging an "Erde" von Nikolaus Geyrhalter für die Beschreibung der Verwüstung unseres Planeten durch menschliches Eingreifen, wie die Jury begründete. Der Dokumentarfilm zeige "brennend scharfe Bilder von der Zerstörung der Topographie der Erde und ebenso offenherzige Gespräche mit Arbeitern, Ingenieuren und Wissenschaftlern".

Ehrenpreis für Kosslick

Zum Start der Berlinale hatte die Ökumenische Jury zudem den langjährigen Berlinale-Direktor Dieter Kosslick (70) mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Unter Kosslick habe sich das Filmfest zu einem politischen Festival entwickelt. "Man erkennt vielleicht erst heute, nach der Erschütterung zahlreicher politischer, moralischer und kulturell-kommunikativer Gewissheiten, den Wert und die Bedeutung dieser entschiedenen Positionierung", hatte die Präsidentin der Internationalen Kirchlichen Filmorganisation "Interfilm", Julia Helmke, betont.



Schauspieler Bruno Ganz gestorben

Mit dem Film "Der Untergang" wurde er als Adolf Hitler einem breiten Publikum bekannt. Doch auch für das deutschsprachige Theater war Bruno Ganz von großer Bedeutung.

Der Schweizer Schauspieler Bruno Ganz ist tot. Der 77-Jährige starb am 16. Februar in seiner Heimatstadt Zürich an einer Krebserkrankung, wie seine Agentin Patricia Baumbauer dem epd sagte. Vertreter von Kultur und Politik würdigten Ganz als einen der ganz Großen seines Fachs.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte Ganz einen großartigen Menschen und Schauspieler von Weltrang. "So manche Figur der Weltliteratur hat erst durch ihn Profil und Farbe erhalten", erklärte Steinmeier in Berlin. "Man sah ihm zu und spürte, dass da auf der Bühne etwas geschah, was mit profanen Bergriffen nicht zu beschreiben war." Aber auch mit seinen Darstellungen in Kino und Fernsehen habe Ganz unzählige Menschen fasziniert. In vielen Rollen habe Ganz "den höchsten Höhen und den tiefsten Tiefen der deutschen Geschichte Ausdruck gegeben", betonte der Bundespräsident. "Damit hat er unsere Kultur nicht nur bereichert, sondern entscheidend mitgeprägt."

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) würdigte Ganz als eine Ikone des deutschsprachigen Theaters und einen herausragenden Könner auch der internationalen Schauspielkunst. In zahlreichen Theaterstücken und in berühmten Filmen habe Ganz die Bandbreite und Intensität seiner jahrzehntelangen herausragenden Interpretationskunst gezeigt, erklärte Grütters in Berlin. "Niemand konnte sich der faszinierenden Kraft seiner Rollengestaltung entziehen." Das Publikum habe ihn für seine Experimentierfreude, aber auch für sein leises, oft melancholisches Spiel geliebt.

Maas: "Sein fulminantes Werk bleibt"

Außenminister Heiko Maas (SPD) nannte Ganz einen der bedeutendsten Schauspieler unserer Zeit. "Sein fulminantes Werk bleibt", erklärte der Minister über Twitter.

Berlinale-Direktor Dieter Kosslick sagte, Ganz sei ein Vertreter für "großes Kino" gewesen und in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach in verschiedenen Berlinale-Sektionen präsent. Ganz sei nicht nur ein sehr ernster, "sondern auch ein sehr, sehr lustiger" Künstler und Mensch gewesen, betonte Kosslick bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin. Der Festival-Direktor rief zu "großem Applaus für Bruno auf Deinen Weg nach oben" auf.

Der am 22. März 1941 in Zürich geborene Ganz galt als einer der führenden deutschsprachigen Schauspieler. Seine Theaterlaufbahn begann er in Bremen, gehörte in den 70er und 80er Jahre zum Ensemble der Berliner Schaubühne. Er verkörperte unzählige große Rollen des klassischen Theaters. Weil ihm die Herangehensweise der jungen Generation von Theaterregisseuren nach eigenen Angaben fremd war, widmete er sich in späteren Jahren zunehmend dem Film. Zu seinen wichtigsten Filmen gehören "Der Himmel über Berlin" von Wim Wenders, "Die Ewigkeit und ein Tag" von Theo Agelopoulos und "Der Untergang" von Oliver Hirschbiegel, in dem Ganz Adolf Hitler spielte.



Barocke Sammler-Pracht im Arp Museum

Das Arp Museum Rolandseck zeigt florentinische Barock-Malerei. Zugleich präsentieren Stipendiatinnen und Stipendiaten des Künstlerhauses Schloss Balmoral und des Landes Rheinland-Pfalz ihre Werke zum Thema Zukunft.

Es ist ein Treffen der besonderen Art: In der "Kunstkammer Rau" des Arp Museums multiplizieren sich derzeit die Schätze von Kunstsammlern von der Renaissance bis in die Gegenwart zu einer opulenten Schau zwischen Lust und Leidenschaft. Zu sehen sind bis 8. September 46 barocke Gemälde sowie einige Skulpturen, die an den Höfen der kunstliebenden florentinischen Herrscher-Dynastie der Medici entstanden.

US-Sammlung florentinischer Malerei

Erneut zusammengetragen wurden die Werke von dem US-amerikanischen Kunstsammler Mark Fehrs Haukohl. Seine Haukohl Family Collection macht auf ihrer Europa-Tournee einen Zwischenstopp in Rolandseck. Dort treffen sie auf Werke aus der Sammlung des deutschen Arztes Gustav Rau, die dem Arp Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung stehen.

Unter dem Titel "Im Lichte der Medici. Barocke Kunst Italiens" ist das illustre Sammlertreffen in der "Kunstkammer Rau" des Arp Museums zu sehen. Haukohl brachte 34 Gemälde seiner selbst zusammengestellten Sammlung mit nach Rolandseck. Ihr Herzstück sind Gemälde der Künstler-Familie Dandini, die generationsübergreifend im Dienst der Herrscher-Dynastie der Medici stand. Dazu gehören Allegorien, religiöse Motive, Genreszenen und Porträts. Die Haukohl Family Collection gilt als bedeutendste Privatsammlung Florentiner Barock-Malerei außerhalb Italiens.

Dynastie der Medici steht im Zentrum

Im Zentrum der Ausstellung steht die Dynastie der Medici, die Künste und Wissenschaften in Florenz zur Blüte brachten. Empfangen werden die Besucher von einer marmornen Porträtbüste von Papst Clemens VII., der als Guilio de Medici geboren wurde. Der Bildhauer Giovanni Angelo da Montorsoli zeigt einen Ehrfurcht gebietenden Papst, der in einer politisch schwierigen Zeit um das Jahr 1532 durch geschickte Heiratspolitik Verbindungen seiner Familie zum französischen Königshaus und den Habsburgern schaffte.

Imposante Porträtreliefs von Antonio Montauti präsentieren das Umfeld, mit dem sich die Medici umgaben: Künstler wie Michelangelo, den Humanisten Ficino oder aber auch den Gelehrten Galileo Galilei, der bei den Medicis Zuflucht fand.

Nach einer Begegnung mit den Medicis und ihrer Entourage präsentiert die Ausstellung die Florentiner Lebenswelt zur Zeit des Barock. Es sind die starken Gefühle und die Mimik der Gesichter, die die Malerei des italienischen Barock prägten. Im Vordergrund standen die Körperlichkeit und Sinnlichkeit der Figuren. An der von Großherzog Cosimo I. gegründeten Kunstakademie wurde großer Wert auf Zeichnen und Aktstudium gelegt. Das ist den Gemälden anzumerken, die den Faltenwurf kostbarer Stoffe, die Anatomie und die Hautstruktur der Figuren meisterhaft wiedergeben.

Drastische Darstellung von Gewalt

Sinnliche Erfahrung vermitteln die Gemälde zum einen durch drastische Darstellung von Gewalt. Im Gemälde von Onorio Marinari, das die Enthauptung des Holofernes durch Judith darstellt, spritzt das Blut. Sinnlichkeit versprüht hingegen Felice Ficherellis "Heiliger Sebastian". Während ihm die Heilige Irene den Pfeil aus dem Arm zieht, schaut er entrückt gen Himmel. Ebenso wenig wie er Schmerz empfinden zu scheint, wirkt sein Körper geschunden. Vielmehr scheint er - nur mit einem roten Tuch über den Lenden bekleidet - regelrecht zu posieren.

Ein weiterer Teil der Ausstellung präsentiert die Inbrunst, mit der die Maler des Barock sich religiösen Motiven widmeten. In ihnen spiegeln sich die politischen Verhältnisse der Epoche. So können etwa die zahlreichen Heiligendarstellungen der Zeit als gegenreformatorische Propagandabilder gelesen werden. Da ist etwa Carlo Dolcis "Evangelist Johannes", der sehnsuchtsvoll gen Himmel blickt, während Marinaris "Heiliger Sebastian" innere Zwiesprache mit Gott zu halten scheint.

Typisch für die Zeit der Gegenreformation war auch die große Marienverehrung. Als Mittlerin zwischen Mensch und Gott wurde Maria immer wieder dargestellt. Voller Emotionen und Bewegung ist etwa Alessandro Gherardinis "Verkündigung" mit den leuchtend roten und gelben Gewändern von Maria und dem Engel vor einem düsteren Hintergrund.

Während die Ausstellung in der "Kunstkammer Rau" in die Vergangenheit schaut, wagt die zweite neue Wechselausstellung im Arp Museum einen Blick in die Zukunft. Stipendiatinnen und Stipendiaten des Künstlerhauses Schloss Balmoral und des Landes Rheinland-Pfalz präsentieren bis zum 5. Mai ihre Werke unter dem Motto "Gestaltung der Zukunft". Die Skulpturen, Gemälde, Fotografien, Zeichnungen, Installationen, Videoarbeiten und Performances der jungen Künstler kreisen um die Frage: "Wie wollen wir in Zukunft leben, lieben und arbeiten?"

Claudia Rometsch (epd)


"Künstler müssen provozieren"


Jonathan Meese stellt in Lübeck aus.
epd-bild/Philipp Reiss
In Lübeck zeigt Jonathan Meese seine bislang größte Ausstellung. "Ich mag es, Skandal-Künstler oder das 'enfant terrible' zu sein", sagt der 49-Jährige.

Eine rote Kuh begrüßt die Besucher gleich zu Beginn der Jonathan-Meese-Ausstellung in der Lübecker Kulturkirche St. Petri. Fast hätte man das Hüpftier für Kinder übersehen - ist es doch nur ein kleiner Teil einer gigantischen Gesamt-Installation, die in ihrer Fülle fast erschlägt. Mit Katzen, Delfinen und Tigern bedruckte Kitsch-Decken hängen im Kirchenschiff. In der einen Ecke stehen zum Teil bemalte Schaufensterpuppen, in der anderen Skelette, darunter ein Haufen Chipsdosen. Auf dem Altar hat Meese eine Styropor-Säule installiert, mit der Aufschrift: "Der heillose Gral".

Jonathan Meese (49) ist ein zeitgenössischer Hamburger Künstler und längst kein unbekannter mehr, wie sich auch an dem Presserummel am Lübecker Holstentor am 15. Februar ablesen lässt. Meese war gekommen, um seine bislang größte Ausstellung vorzustellen, die am 17. Februar an zunächst zwei von fünf Standorten in Lübeck eröffnet wurde. Unter dem Titel "Dr. Zuhause: K.U.N.S.T. (Erzliebe)" zeigt er in der Kulturkirche St. Petri und im Günter Grass-Haus Installationen und Malereien zum Thema Heimat. Die Kunsthalle St. Annen und die Overbeck-Gesellschaft sollen am 30. März folgen.

Radikal und expressiv

Meese gilt als radikal und expressiv. Wo er geht und steht, propagiert er die Diktatur der Kunst. Vor der Presse gibt er sich zahm, schüttelt den Journalisten die Hand, umarmt seine Lübecker Kooperationspartner mit Küsschen. An seiner Seite ist stets "Mami", seine 89-jährige Mutter Brigitte Meese, die ihn managt und seine engste Vertraute ist. Ihr gilt auch am Freitag seine erste Frage: "Ist Mami schon da? Das ist das Wichtigste!" Ja, Mami ist da. Sie ist die zahlreichen Stufen bis in den ersten Stock des Holstentors gekraxelt.

Meese kraxelt hinterher, angetan von der Architektur des Lübecker Wahrzeichens. "Das Holstentor ist Kunst! Es hat das politische System, in dem es entstand, überlebt!", ruft er und hat damit seine Kernbotschaft für die Lübecker schon platziert. Religiöse und politische Ideologien muss man zerstören, sagt Meese, die Zukunft gehört allein der Kunst. Und die will er mit seiner Ausstellung nach Lübeck bringen.

Sowohl für Meese als auch für die Kulturschaffenden der Hansestadt ist die umfangreiche Schau einmalig - und ein Experiment. Keiner von den Verantwortlichen wusste genau, was Meese in Lübeck anstellen würde. Auf dem Presse-Podium wirken alle zufrieden. Dabei ist seine Kunst umstritten.

Auf die Frage, ob Lübeck einen Skandal-Künstler wie Meese braucht, nimmt der Kurator der Ausstellung, Oliver Zybok, seinen langjährigen Freund in Schutz. Die Kritik an ihm sei oft "pauschal diffamierend". Stattdessen wolle man mit dem Lübeck-Projekt einen differenzierteren Blick auf Meese bieten. "Denn wenn man dem Künstler genau zuhört, merkt man schnell, dass hier jemand unsere Gegenwart genau beobachtet und die Finger in die Wunden legt. Und genau das ist eine Aufgabe von Kunst", so Zybok.

Meese selbst ist es egal, ob seine Kunst dem Betrachter gefällt oder nicht. "Ich mag es, Skandal-Künstler oder das 'enfant terrible' zu sein", sagt er. Er male auch nicht, um sich zu gefallen, sondern um sich herauszufordern. "Künstler müssen provozieren. Und die Selbstzensur, die sich einige Künstler auferlegen, ist wahnsinnig", so Meese. Allerdings sei er kein Atheist, wie er oft lese. "Ich bin wie ein Tierbaby. Ich kenne keine Ideologie, meine Mutter hat mir das nicht antrainiert. Ich bin völlig frei."

Kunst ohne Grenzen

Frei für die Kunst, die für Meese keine Grenzen kennt. Die Ausstellung in St. Petri steht unter dem Titel "Großmutter und Macht". Die "Oma" findet sich auch tatsächlich in St. Petri - als übermenschlich großer Styropor-Klumpen, in Teilen angemalt und mit einer Locken-Perücke. Vier Tage lang hat Meese die Ausstellung mit seinem Team arrangiert. Zwei Trucks mit Anhängern sind aus Berlin angereist, um alle Exponate in die Kulturkirche zu schaffen. Aus den Lautsprechern ertönen Hörspiele, die Meese vor Jahren selbst geschrieben und gesprochen hat.

Ob das rote Hüpftier aus St. Petri so lange überlebt wie das spätgotische Holstentor? Wenn Jonathan Meese sich für ein Pressefoto draufsetzt, vielleicht schon. Denn die Figur Meese ist selbst ein großer Teil seiner Kunst.

Nadine Heggen (epd)


Städel zeigt Meisterwerke von Tizian und Bellini


Tizian-Gemälde "Madonna mit dem Kaninchen" im Städel
epd-bild/Thomas Rohnke

Das Frankfurter Städel-Museum widmet sich in diesem Frühjahr der venezianischen Malerei der Renaissance. Vom 13. Februar bis 26. Mai seien mehr als 100 Meisterwerke zu sehen, darunter allein 20 Arbeiten des einflussreichsten Vertreters Tizian (1488/90-1576), sagte Städel-Direktor Philipp Demandt am 12. Februar. Darüber hinaus seien Gemälde und Zeichnungen von Giovanni Bellini (um 1435-1516), Jacopo Palma il Vecchio (1479/80-1528), Jacopo Tintoretto (um 1518/19-1594) und Paolo Veronese (1528-1588) versammelt.

Die Sonderausstellung "Tizian und die Renaissance in Venedig" wolle einen umfassenden Einblick in die künstlerische und thematische Bandbreite der venezianischen Malerei des 16. Jahrhunderts geben und deutlich machen, warum sich Künstlerinnen und Künstler der nachfolgenden Jahrhunderte immer wieder auf die Werke dieser Zeit beziehen, sagte Demandt. Charakteristisch für diese Kunst seien etwa atmosphärisch aufgeladene Landschaftsdarstellungen, Idealbilder schöner Frauen (die sogenannten "Belle Donne") und die Bedeutung von Farben und Licht.

Neben dem venezianischen Bestand der Städelschen Sammlung, zu dem etwa Tizians Bildnis eines jungen Mannes (um 1510) gehört, werden Leihgaben aus mehr als 60 deutschen und internationalen Museen gezeigt, wie es hieß. Darunter sind etwa Sebastiano del Piombos "Dame in Blau mit Parfümbrenner" (um 1510/11; National Gallery of Art in Washington), Tintorettos "Heiliger Hieronymus (um 1571/72; Kunsthistorisches Museum Wien) und Paolo Veroneses Großbildnis "Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (um 1572; The John and Mable Ringling Museum of Art in Sarasota/Florida).



NS-Gedenkort in Münster kooperiert mit Holocaust-Museum in USA

Die NS-Erinnerungsstätte Villa ten Hompel in Münster vertieft ihre Kooperation mit dem United States Holocaust Memorial Museum in Washington. Zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 2020 solle die neue Washingtoner Wanderausstellung "Einige waren Nachbarn" in Münster gezeigt werden, teilte die Stadt am 11. Februar mit. Weiter geplant sei eine gemeinsame Tagung zur Täterforschung im Oktober ebenfalls in Münster.

Die Direktorin des Holocaust Memorial Museum, Sara J. Bloomfield, bezeichnete die Villa ten Hompel den Angaben nach als "international wichtigen Ort der Forschung und musealen Vermittlung". Holocaust- und Tätergeschichte werde am Beispiel der normalen Polizei dargestellt, sagte Bloomfield in Berlin bei einem Treffen mit dem Münsteraner Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) und Vertretern der Villa ten Hompel. In der Dauerausstellung in dem früheren Wohnhaus des Zementfabrikanten Rudolf ten Hompel (1878-1948) geht es unter anderem um die Verbrechen der Ordnungspolizei im Zweiten Weltkrieg und um die Entnazifizierung.

Bei der Tagung zur Täterforschung wird unter anderem der US-Historiker Christopher J. Browning erwartet. Anlass für die Konferenz ist der 25. Jahrestag des Erscheinens von Brownings Buch "Ganz normale Männer". Darin geht es um das Reserve-Polizei-Bataillon 101, das laut dem Historiker während des Zweiten Weltkriegs an der Ermordung und Deportation Zehntausender Juden beteiligt war. Die US-Wanderausstellung "Einige waren Nachbarn" untersucht den Angaben zufolge die Rolle der gewöhnlichen Menschen im Holocaust. Mit Unterstützung des Deutschen Städtetags und der Villa ten Hompel soll sie auch in weiteren deutschen Städten gezeigt werden.



Chorsänger für "Martin Luther King"-Musical gesucht

Sängerinnen und Sänger, die beim Musical "Martin Luther King" auf dem Dortmunder Kirchentag mitwirken wollen, können sich für den großen Chor anmelden. Nach der Musical-Premiere in der Essener Gruga mit professionellen Solisten, Bigband und Streichorchester kommt das Musical rund um den US-amerikanischen Bürgerrechtler auf dem Kirchentag in der Dortmunder Westfalenhalle am 20. Juni zur Aufführung, wie das Kirchentagsbüro ankündigte. Melden können sich regionale Chöre, Sängergruppen oder Einzelsänger. Bereits 1.500 Laiensänger haben ihr Mitwirken an der Dortmunder Aufführung zugesagt und sich damit zugleich eine Dauerkarte für den gesamten Kirchentag gesichert, der in diesem Jahr vom 19. bis 23. Juni in Dortmund stattfindet.




Entwicklung

Im Zweifel für den Profit


Spuren der Zerstörung nach einem Dammbruch in Brasilien 2015 (Archivbild).
epd-bild/Alberto Veiga
Hunderte Menschen starben nach dem Bruch eines Damms in einer Eisenerzmine im Südwesten Brasiliens. Wissenschaftler sprechen von einer vermeidbaren Katastrophe. Immer mehr fatale Sicherheitsverstöße des Bergbaukonzerns Vale werden jetzt publik.

Nach dem verheerenden Dammbruch in einer Eisenerzmine in Brumadinho mischt sich in die Verzweiflung der Menschen Wut - auf das Minenunternehmen Vale und auf die Politik. Immer mehr Einzelheiten kommen jetzt ans Licht, wie Brasiliens größter Bergbaukonzern Sicherheitsrisiken kontinuierlich ignorierte. Experten haben schon lange vor einer "tickenden Zeitbombe" gewarnt. Für den Umweltwissenschaftler Bruno Milanez war der Dammbruch eine Katastrophe mit Ansage. Denn alte Dämme wie die in Brumadinho im Südwesten Brasiliens sind zwar kostengünstig, aber auch mit dem größten Risiko behaftet.

Nach dem Bruch des Damms am Rückhaltebecken der Erzmine Córrego do Feijão am 25. Januar wurden bislang 157 Tote aus den Schlammmassen geborgen. 182 Menschen werden noch vermisst. Für sie gibt es keine Hoffnung mehr. Es ist das Unglück mit den meisten Opfern in der jüngeren brasilianischen Bergbaugeschichte.

Schon mehr als ein halbes Jahr vor dem Unglück haben Ingenieure des mit der Zertifizierung beauftragten TÜV Süd auf die mangelnde Stabilität des 85 Meter hohen Damms hingewiesen. Sensoren, mit denen der Wasserdruck kontrolliert wird, schlugen Alarm. Es gab Probleme mit dem Drainagesystem, wie die Tageszeitung "Folha de São Paulo" unter Berufung auf polizeiliche Vernehmungsprotokolle berichtet.

TÜV warnte

Demnach hat Vale erfolglos versucht, das Problem zu beheben. Danach habe sich der Konzern für ein zeitaufwendiges Ausschreibungsverfahren für die Arbeiten entschieden. Dennoch attestierte der TÜV Süd im September 2018 die "Stabilität" des Damms.

Zwei brasilianische Ingenieure des TÜV Süd wurden wenige Tage nach dem Unglück vorübergehend festgenommen. Sie gaben an, sie seien von Vertretern des Vale-Konzerns unter Druck gesetzt worden, die Sicherheit des Damms zu zertifizieren. In ihrem Abschlussbericht schreiben die beiden Männer aber auch, dass wegen der Stabilitätsprobleme Detonationen im Umfeld des Damms verboten wurden, wie die Zeitschrift "Veba" berichtet.

Daran hat sich Vale aber nicht gehalten, wie viele Anwohner bestätigten. Der gebrochene Damm befindet sich nur einen Kilometer von der Mine Córrego do Feijão entfernt. "Fast jeden Tag gegen drei Uhr nachmittags hörten wir den Lärm von Explosionen", sagt die Anwohnerin Carolina Mora der Zeitschrift. In vielen Häusern, auch in ihrem, seien dadurch Risse in den Wänden entstanden. Etwa 23 Detonationen soll es in dem Minenkomplex pro Monat gegeben haben. Damit wird das Gestein zerkleinert, um das Eisenerz extrahieren zu können.

Die bislang größte Umweltkatastrophe in Brasilien ereignete sich 2015, als ein Damm eines Rückhaltebeckens in dem Ort Mariana, ebenfalls im Bundesstaat Minas Gervais, brach. Damals kamen 19 Menschen ums Leben. Der Vale-Konzern, der weltweit größte Eisenerz-Exporteur, gehörte mit zu den Betreibern der Mine.

Nach dieser Katastrophe haben Wissenschaftler der Staatsanwaltschaft eine Reihe von Vorschlägen für mehr Sicherheit eingereicht. Die meisten Empfehlungen seien nicht umgesetzt worden, sagt Umweltwissenschaftler Milane der "Folia de São Paulo". Einer der Vorschläge war, dass zwischen einem Auffangbecken und der nächsten Wohnsiedlung mindestens zehn Kilometer Entfernung sein müssen. In Brumadinho wären dadurch deutlich weniger Menschen ums Leben gekommen.

3.000 Risiko-Dämme

Vale habe überhaupt kein Interesse, in mehr Sicherheit zu investieren, sagt der auf Zivilschutz spezialisierte Professor Ayrton Bordstein von der Universität in Rio de Janeiro. Die Kosten dafür seien um ein vielfaches höher als die Strafzahlungen, die Vale bei Sicherheitsvergehen leisten müsse.

Die Dämme in Brumadinho und Mariana wurden mit der sogenannten Upstream-Methode errichtet. Sie werden meist in Etappen gebaut, was die Gesamtkonstruktion instabiler und Qualitätskontrollen schwieriger macht. Die Methode gilt inzwischen als veraltet und wird in vielen Ländern nicht mehr angewandt. In Brumadinho war 1976 bei Baubeginn eine ursprüngliche Höhe von 18 Metern für den Damm geplant. Durch zahlreiche Erweiterungen ist der Damm dann auf etwa 85 Meter angewachsen.

Brasiliens Regierung kündigte an, dass es im ganzen Land etwa 3.000 Dämme mit einem "hohen Risiko" gebe, die jetzt zusätzlich geprüft werden sollen. Den Unternehmen wurde allerdings kein Zeitraum für das Monitoring gesetzt und auch keine Verpflichtung für einen Rückbau.

Susann Kreutzmann (epd)


Hilfswerke begrüßen Pläne zu Menschenrechtsstandards

Hilfs- und Entwicklungsorganisation begrüßen die Pläne von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU), deutsche Unternehmen bei der Einhaltung von Menschenrechtsstandards stärker in die Pflicht zu nehmen. Der laut einem Zeitungsbericht erarbeitete Entwurf für ein "Wertschöpfungskettengesetz" sei überfällig, erklärte das katholische Hilfswerk Misereor am 11. Februar in Aachen. Union und SPD hätten in ihrem Koalitionsvertrag zugesagt, dass die Bundesregierung auf nationaler Ebene gesetzlich tätig werde, wenn Unternehmen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nicht auf freiwilliger Basis umsetzten.

Blick auf Textilsektor

Vor allem die Erfahrungen im Textilsektor zeigten, dass nur ein Teil der Unternehmen bereit sei, freiwillig Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte wahrzunehmen, kritisierte Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel. Wenn Tochterunternehmen deutscher Unternehmen oder Auftragnehmer im Ausland Menschenrechte verletzten, hätten die Betroffenen kaum eine Chance, die deutschen Firmen vor deutschen Gerichten zur Verantwortung zu ziehen.

Auch das entwicklungspolitische Südwind-Institut in Bonn hält es für notwendig, die Verantwortung der Unternehmen für die gesamte Lieferkette gesetzlich zu regeln, um die betroffenen Menschen zu schützen. Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre hätten gezeigt, dass freiwillige Ansätze die Probleme nicht lösen könnten. Ein solches Gesetz sei auch im Interesse deutscher Unternehmen, die keine Missstände in ihrer Wertschöpfungskette dulden wollten. Verbindliche Regeln für alle Marktteilnehmer könnten sicherstellen, "dass Ausgaben zur Achtung der Menschenrechte nicht länger einen Wettbewerbsnachteil darstellen".

Nach einem Bericht der Berliner "tageszeitung" (11. Februar) hat das Entwicklungsministerium einen Gesetzentwurf erarbeitet, der Firmen zur Achtung der Menschenrechte in ihren Wertschöpfungsketten verpflichten soll. Hintergrund sind demnach die Unglücke in den asiatischen Fabriken Ali Enterprises und Rana Plaza 2012 und 2013, bei denen mehr als tausend Menschen ums Leben kamen. Eine Ministeriumssprecherin wollten den Bericht am 11. Februar auf Anfragen nicht kommentieren, bestätigte aber, dass es vorbereitende Arbeiten für verbindliche Ansätze gebe.



Steinmeier besucht Anlaufstelle für Flüchtlinge aus Venezuela


Bundespräsident Steinmeier in einer Anlaufstelle für venezolanische Flüchtlinge in Kolumbien
epd-bild/Christian Irrgang

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei seinem Besuch in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá eine Aufnahmeeinrichtung für venezolanische Flüchtlinge besucht. In der Einrichtung am zentralen Busbahnhof informierten sich Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender über die aktuelle Situation und den Umgang Kolumbiens mit den Flüchtlingen aus dem Nachbarland, die wegen der dortigen Krise das Land verlassen. Steinmeier hatte bei seinem Besuch die Anstrengungen Kolumbiens wiederholt gewürdigt. Das Land trage eine Last, sagte er.

Kolumbien mit 50 Millionen Einwohnern verzeichnete im Februar nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) 1,17 Millionen Flüchtlinge aus Venezuela. Durchschnittlich rund 80 Personen erreichen nach Angaben von Mitarbeitern der Einrichtung in Bogotá täglich den Busbahnhof der Hauptstadt Kolumbiens. In Bogotá leben nach ihren Angaben inzwischen mehrere Hunderttausend venezolanische Flüchtlinge.

Gespräche am Busbahnhof

Viele, die die Grenze nach Kolumbien überqueren, wollen nach Angaben der Mitarbeiter auch weiter nach Ecuador und Peru. Sie erhalten nach ihren Worten Papiere für die Weiterreise. Venezolanische Flüchtlinge, die in Kolumbien bleiben wollen, erhielten Sonderaufenthaltsgenehmigungen. Mit den Papieren habe die kolumbianische Regierung flexibel auf den Andrang der Flüchtlinge aus Venezuela reagiert, sagte die Einrichtungsleiterin Cristina Vélez. Die Flüchtlinge könnten damit legal in Kolumbien bleiben und eine Arbeit aufnehmen.

Für den Besuch der Einrichtung haben sich Steinmeier und seine Frau am 13. Februar eine Stunde Zeit genommen. Sie redeten auch mit Flüchtlingen, die am Busbahnhof auf ein Beratungsgespräch und die Ausstellung ihrer Aufenthaltspapiere warten. Am Vormittag wollte Steinmeier weiter nach Ecuador reisen. Auch in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito will der Bundespräsident eine Einrichtung für venezolanische Flüchtlinge besuchen.



Gustav-Adolf-Werk nimmt Frauen in Südamerika in den Blick

Die Arbeitsgemeinschaft Frauenarbeit des Gustav-Adolf-Werks widmet ihr diesjähriges Jahresprojekt Frauen und Indigenen in Argentinien und Uruguay. Unterstützt werden sollen unter anderen Beratungsstellen für Frauen in den Armenvierteln der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, wie das evangelische Missionswerk am 11. Februar in Leipzig mitteilte.

Ebenfalls in Argentinien will sich das Werk demnach für eine zweisprachige Schule für Indigene in der nördlichen Provinz Misiones und für eine Frauenkonferenz einsetzen. In Uruguay sei geplant, sich für die ersten Pfarrerinnen-Pensionen der Waldenserkirche zu engagieren. Für die Projekte sollen 2019 insgesamt etwa 95.000 Euro an Spenden gesammelt werden, wie es hieß.

Das Gustav-Adolf-Werk wurde 1832 in Leipzig gegründet und unterstützt seit 1948 im offiziellen Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) protestantische Kirchen in der Diaspora. Pro Jahr fließen rund zwei Millionen Euro an Spenden an die Partnerkirchen. In Deutschland wird die Arbeit des Werkes nach eigenen Angaben von 21 Haupt- und 19 Frauengruppen getragen. Mit seinem Namen erinnert das Werk an den lutherischen schwedischen König Gustav II. Adolf (1594-1632), der als Verteidiger des Protestantismus gilt.



Ärger über kurzfristige Verschiebung der Wahl in Nigeria

Die nigerianische Wahlkommission hat die geplante Abstimmung kurz vor Öffnung der Wahllokale verschoben.

Nach der kurzfristigen Verschiebung der Präsidentenwahl hat die Wahlkommission in Nigeria Vorwürfe politischer Einflussnahme zurückgewiesen. Die Kommission übernehme die volle Verantwortung für die Verschiebung, sagte ihr Vorsitzender, Mahmood Yakubu, am 16. Februar. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen waren in der Nacht zum 16. Februar, wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale, aus logistischen Gründen um eine Woche auf den 23. Februar verschoben worden.

Yakubu erklärte, die Organisation der Wahlen in Afrikas bevölkerungsreichstem Land sei eine Mammutaufgabe. In den vergangenen Monaten seien knapp 422 Millionen Stimmzettel gedruckt und eine Million Wahlhelfer ausgebildet worden. Verzögerungen bei der Auslieferung von Wahlmaterial seien angesichts des Umfangs nichts Außergewöhnliches. Zugleich habe es Versuche gegeben, die Vorbereitungen zu sabotieren: In drei lokalen Büros der Kommission seien Brände gelegt und Hunderte Wählerkarten verbrannt worden, die erneut gedruckt werden müssten.

Schon in der Vergangenheit hat die Kommision immer wieder kurzfristig Abstimmungen verschoben. Oftmals kam es danach zu Protesten und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Bei den Wahlen 2015 kündigte die Kommission eine Woche vorher an, wegen Sicherheitsbedenken die Abstimmung um sechs Wochen zu verschieben. 2011 wurden die Präsidenten- und Parlamentswahlen am Wahltag selbst verschoben, als in manchen Teilen bereits gewählt wurde. Weil es Verzögerungen bei der Auslieferung von Wahlmaterial gegeben hatte, fand die Wahl zwei Tage später statt.

Kritik an Wahlkommission

Auch diesmal sorgte die kurzfristige Verschiebung der Wahlen landesweit für Ärger. Präsident Muhammadu Buhari (76) schrieb auf Twitter, er sei tief enttäuscht. Die Wahlkommission habe immer wieder versichert, bereit zu sein. "Wir und alle Bürger haben ihr geglaubt." Buhari erklärte, die Wahlkommission müsse sicherstellen, dass die bereits ausgelieferten Wahlunterlagen nun nicht in falsche Hände gelängten. Er rief die Bürger auf, Ruhe zu bewahren.

Auch der Kandidat der Opposition, Atiku Abubakar, rief die Wähler zu Geduld auf. Man habe die Misswirtschaft der Regierung die vergangenen vier Jahre ausgehalten und müsse nur noch ein paar Tage durchhalten. "Man kann eine Wahl verschieben, aber nicht das Schicksal", schrieb Atiku auf Twitter. Der 72-Jährige sah in der Verschiebung einen Versuch, die Wahlbeteiligung zu beeinflussen und einen möglichen Sieg der Opposition zu verhindern.

Bei der Präsidentenwahl wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Amtsinhaber Buhari und dem Geschäftsmann und Milliardär Atiku erwartet. Insgesamt 84 Millionen Wähler sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Wegen Politikverdrossenheit in der Bevölkerung wird mit einer niedrigen Wahlbeteiligung gerechnet. Die Verschiebung könnte dazu führen, dass noch weniger Bürger ihre Stimme abgeben. Viele Wähler waren am Wochenende bereits in ihre Heimat-Bundesstaaten gereist, um dort ihre Stimme abzugeben.

Erschwert wird die Wahl durch islamistischen Terror im Norden und Nordosten des Landes. Konflikte zwischen bewaffneten Viehtreibern und sesshaften Bauern im Zentrum Nigerias sowie die starke Zunahme von Entführungen in der nigerianischen Mittelschicht stellen weitere Krisenherde dar. Zentrale Probleme in Afrikas größter Ölfördernation sind außer der Sicherheitslage die Folgen einer seit zwei Jahren währenden Wirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit gerade bei jungen Nigerianern, die die Mehrheit der Bevölkerung von mehr als 200 Millionen ausmachen.



"Save the Children": Etwa jedes fünfte Kind weltweit lebt im Krieg

Noch nie lebten so viele Kinder im Krieg: Schätzungsweise jedes fünfte Kind wächst in einem Konfliktgebiet auf. Zugleich gibt es mehr Angriffe auf Schulen, und die Zahl der Kindersoldaten steigt. Aktivisten sprechen von "verlorenen Generationen".

Schätzungen zufolge wächst weltweit jedes fünfte Kind in einem Konflikt- oder Kriegsgebiet auf. 2017 waren es demnach rund 420 Millionen Kinder, wie aus dem Bericht "Krieg gegen Kinder" der Kinderrechtsorganisation "Save the Children" hervorgeht, der am 14. Februar in Berlin vorgestellt wurde. Die Zahl habe sich seit Beginn der 1990er Jahre verdoppelt. Damals hätten 200 Millionen Kinder im Krieg gelebt. "Save the Children" wird in diesem Jahr 100 Jahre alt.

Die Organisationen wurde 1919 von Eglantyne Jebb in Großbritannien gegründet. Die Arbeit der Organisation sei aktueller denn je, sagte Martina Dase, Direktorin der deutschen Jubiläumskampagne. "Noch nie hat es so viele Kinder gegeben, die im Krieg aufwachsen", unterstrich sie.

Indirekte Kriegsfolgen

Die zehn gefährlichsten Länder für Kinder sind dem Bericht zufolge Afghanistan, der Jemen, der Südsudan, die Zentralafrikanische Republik, die Demokratische Republik Kongo, Syrien, der Irak, Nigeria, Somalia und Mali. In diesen zehn gefährlichsten Staaten seien zwischen 2013 und 2017 mindestens 550.000 Babys durch die Folgen von Konflikten ums Leben gekommen - durchschnittlich also mehr als 100.000 pro Jahr. Die meisten von ihnen seien an indirekten Kriegsfolgen wie Hunger oder mangelndem Zugang zu Gesundheitsversorgung gestorben.

Würden nicht nur Babys, sondern alle Kinder unter fünf Jahren in die Rechnung einbezogen, starben der Organisation zufolge in diesen Ländern im gleichen Zeitraum knapp 870.000 Kinder und Säuglinge. Dem gegenüber stünden Hochrechnungen nach 175.000 kämpfende Erwachsene, die in dieser Zeit ums Leben kamen.

Jeden Tag Kinder unter Beschuss

"Das Leid der Kinder in Kriegen wird immer grauenvoller", sagte Susanna Krüger, Geschäftsführerin von "Save the Children" Deutschland. "Wir sind schockiert, dass die Menschheit im 21. Jahrhundert den einfachsten moralischen Standards den Rücken kehrt", kritisierte sie. Kinder und Zivilisten dürften niemals Angriffsziele seien. Dennoch gerieten jeden Tag Kinder unter Beschuss. "Kriegsverbrechen wie der Gebrauch chemischer Waffen, Zwangsrekrutierung oder Vergewaltigung sind an der Tageordnung und die Welt schaut zu", beklagte sie.

"Save the Children" wertete nach eigenen Angaben für den Bericht auch Daten der Vereinten Nationen zu schweren Kinderrechtsverletzungen aus. Zwischen 2010 und 2017 habe sich demnach die Zahl der Kinderrechtsverletzungen fast verdreifacht, von knapp unter 10.000 auf mehr als 25.000 pro Jahr. Täglich würden Kinder gezielt getötet, verstümmelt, von bewaffneten Gruppen rekrutiert oder entführt. Zudem würde Kindern humanitäre Hilfe vorenthalten.

Verstöße gegen das Völkerrecht

So stieg den Angaben nach zwischen 2016 und 2017 die Zahl der Kindersoldaten um drei Prozent, die Fälle der sexuellen Gewalt gegen Kinder um zwölf Prozent und die Zahl der entführten Kinder um 62 Prozent. Im Jahr 2017 habe es zudem 1.432 bestätigte Angriffe auf Schulen gegeben. Auch Krankenhäuser, Kliniken und andere Gesundheitseinrichtungen würden häufig angegriffen oder zu militärischen Zwecken genutzt.

Meike Riebau, Projekt-Koordinatorin des Berichts, verurteilte diese Angriffe: "Wenn Schulen und Krankenhäuser nicht sicher sind, bedeutet das, dass der ganze Wiederaufbau schwerer wird." So gehe eine ganze Generation verloren. Gezielte Angriffe auf Kinder oder Einrichtungen, in denen sich Kinder befinden, seien klare Verstöße gegen das Völkerrecht.

"Die internationale Gemeinschaft muss klar machen, dass sie nicht toleriert, wenn internationale Verhaltensregeln im Krieg missachtet werden", forderte Geschäftsführerin Krüger. Täter müssten zur Verantwortung gezogen und Kinder besser geschützt werden. "Unser Appell richtet sich auch an die Bundesregierung, die mit dem Sitz im UN-Sicherheitsrat und als einer der größten Geber eine besondere Verantwortung für das Wohl und den Schutz der Kinder hat", unterstich sie.




Ausland

Brexit und der Friedensprozess in Nordirland


Gibt es künftig eine EU-Außengrenze zwischen Irland und Nordirland?
epd-bild / Gustavo Alàbiso
Die Grenze zwischen Irland und Nordirland ist zentraler Streitpunkt in den Brexit-Diskussionen. Beobachter befürchten, dass ein Brexit den Nordirland-Konflikt wieder entfachen könnte. Derzeit investiert die EU noch viel Geld in Friedensprojekte.

Wer von Dublin mit dem Auto nach Belfast fährt, merkt kaum, dass er eine Grenze zwischen zwei Ländern überquert. Man muss schon genau darauf achten, ab wann die Schilder nicht mehr Kilometer sondern Meilen ausweisen. Dann weiß man, man ist in Nordirland. Doch um die heute fast unsichtbare Grenze tobt ein Streit, seit sich das Vereinigte Königreich mit dem Brexit-Referendum 2016 entschlossen hat, die Europäische Union zu verlassen.

Die Zukunft der Grenze ist der Hauptstreitpunkt bei den Brexit-Verhandlungen und ein wesentlicher Grund, warum Theresa May für ihr mit der EU ausgehandeltes Austrittsabkommen keine Mehrheit im Parlament bekommt. Mit der Aussicht auf einen ungeregelten Brexit ohne ein Abkommen steigt die Angst, dass der Nordirland-Konflikt zwischen denen, die loyal zum britischen Königreich stehen und denen die einen Zusammenschluss mit Irland möchten, wieder aufflammen könnte.

Alte Wunden könnten wieder aufreißen

Mehr als 3.500 Menschen wurden nach Zählungen des "Conflict Archive on the Internet (CAIN)" während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zwischen englisch- und schottischstämmigen Protestanten und irischen Katholiken getötet. Die mehrheitlich katholischen Nationalisten strebten eine Loslösung von Großbritannien und einen Zusammenschluss mit der Republik Irland an. Die überwiegend protestantischen Unionisten wollten hingegen Teil des Königreichs bleiben. Annähernd 50.000 Menschen wurden nach CAIN-Statistiken in den Jahren der sogenannten "Troubles" verletzt, überwiegend Zivilisten.

Wenn die Grenze zwischen Nordirland und Irland wieder sichtbarer wird, könnte das alte Wunden aufreißen und einen neuen Konflikt provozieren, der seit dem Karfreitagsabkommen 1998 eigentlich offiziell beendet ist, befürchten Beobachter auf beiden Seiten der Grenze. Und noch etwas bedroht den Friedensprozess: Die EU hat den Friedensprozess der vergangenen Jahre maßgeblich finanziert. Auch das könnte in Zukunft vorbei sein.

Laurence McKeown war 17 Jahre alt, als er sich der paramilitärischen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) anschloss, die im Bürgerkrieg für die Unabhängigkeit von Großbritannien kämpfte. Nachdem er auf ein Polizeiauto geschossen hatte, wurde er 1977 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Seit seiner Entlassung setzt er sich für den Frieden ein, er schreibt Theaterstücke und macht Ausstellungen. In seinem Ausstellungsprojekt "Aftermath" erzählen Zeitzeugen von ihren Erfahrungen mit dem Konflikt. Eine Bäuerin beschreibt etwa, wie auf ihrem Feld an der Grenze eine Bombe explodierte, als Polizisten dort vorbeigingen. Später fand sie die Leichenteile auf dem Feld.

"Am Anfang hatten die Menschen teilweise Angst voreinander", sagt McKeown, "aber wir haben immer mehr Gruppen gegründet, ein Beratungsprogramm gestartet und später eine Sommeruniversität, an der Menschen aus allen Lebensbereichen teilnehmen konnten." In all den Jahren kam das Geld dafür von der EU.

Grenzüberschreitende Programme zwischen Irland und Nordirland

Bis heute dauert die Arbeit für Frieden in Nordirland an. Die EU hat in den vergangenen Jahrzehnten viel Geld investiert. Allein zwischen 1995 und 2013 flossen nach Angaben der EU im Rahmen des sogenannten PEACE-Programms 1,3 Milliarden Euro nach Nordirland. Damit wurden grenzüberschreitende Programme zwischen Irland und Nordirland finanziert, und zuvor verfeindete Gruppen arbeiteten zusammen in den Projekten. "Alle Projekte, an denen ich beteiligt war, wurden durch die EU finanziert", sagt McKeown.

Bis Ende 2020 sind Gelder für den Friedensprozess fest vorgesehen, auch wenn Großbritannien ohne Deal aus der EU ausscheiden sollte, wie die Europäische Kommission auf Anfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte. Auch für die Zeit danach soll weiter Geld bereitgestellt werden. Die britische Regierung kündigte im Januar an, auch nach dem Brexit Geld in die Projekte zu investieren.

Die Rolle der EU beim Friedensprozess in Nordirland sei nicht zu unterschätzen, sagt Giada Lagana, Politikwissenschaftlerin an der irischen Universität Galway. "Die Aussicht, dass die Finanzierung der Programme wegen des Brexit irgendwann enden könnte, bedeutet auch, dass eine weitere Verbesserung des Friedensprozesses in der Region aufgegeben wird."

Christiane Link (epd)


"Für eine anständige Slowakei"


Redaktion des Nachrichtenportals "Aktuality.sk" in Bratislava
epd-bild/Kilian Kirchgeßner
Er wurde nur 27 Jahre alt. Vor einem Jahr erschoss ein Auftragsmörder den slowakischen Journalisten Ján Kuciak, der über die Verstrickungen von Mafia und Politik recherchierte. Heute kämpft sein Vater Josef für das Vermächtnis des Sohnes.

Der Garten ist eine Idylle, hier in den Karpaten im Westen der Slowakei. Stiavnik heißt der kleine Ort, und noch vor einem Jahr hätte niemand geglaubt, dass die Ausläufer der großen Politik einmal bis hierher reichen können. "Die ersten drei Tage nach dem Mord haben wir uns eingeschlossen, wir haben keine Nachrichten verfolgt und es einfach nicht wahrhaben wollen, was passiert ist", sagt Josef Kuciak. Er ist der Vater des Journalisten Ján Kuciak, der vor einem Jahr, am 21. Februar 2018, ermordet wurde. Der 27-jährige Investigativreporter des Nachrichtenportals "Aktuality.sk" hatte zuletzt zu Verstrickungen zwischen organisiertem Verbrechen und Politik in der Slowakei recherchiert.

Jetzt sitzt der Vater mit einer Tasse Kaffee im Gartenhäuschen in Stiavnik, der Schmerz ist ihm ins Gesicht geschrieben. "Erst nach diesen ersten drei Tagen habe ich langsam mitbekommen, dass die ganze Welt auf den Mord reagiert."

In der Slowakei hat der Tod des Reporters für ein Erdbeben gesorgt, in dessen Folge der Regierungschef Robert Fico, zwei Minister und der Polizeipräsident zurücktreten mussten. Die Dimension des Falls zeichnete sich schon an dem Tag ab, als die Leichen des Reporters und seiner Verlobten Martina Kusnirova gefunden wurden, dem 25. Februar: "Sie wurden getötet mit Schüssen in Brust und Kopf. Wahrscheinlich hängt der Mord mit seiner journalistischen Tätigkeit zusammen", sagte der damalige Polizeichef auf einer Pressekonferenz.

Systematisch ausgespäht

Ján Kuciak galt als einer der geschicktesten Enthüllungsreporter des Landes. Er deckte Skandale auf, die bis in die hohe Politik hinein reichen. "Über seine Arbeit haben wir nicht viel gesprochen", sagt sein Vater im Rückblick, "und wenn ich ihn gefragt habe, was er so macht, hat er geantwortet: 'Hey, das ist streng geheim!' Er hat da immer Witze darüber gemacht. Dass etwas geschehen könnte, hat er sich selbst nie eingestanden."

Nach dem Mord kam nach und nach heraus, dass Ján Kuciak offenbar über Wochen hinweg systematisch ausgespäht worden ist, bevor er dann in seinem Haus, das er gerade gekauft hatte und noch renovieren wollte, erschossen worden ist. Seine Verlobte, eine Archäologin, sollte eigentlich auf Ausgrabungsarbeiten sein, die aber wegen des schlechten Wetters abgesagt wurden.

Ein halbes Jahr lang hat die slowakische Polizei ermittelt, bis sie den Täter fassen konnte: Ein Mann, der früher als Söldner gearbeitet hatte, hat den Mord inzwischen gestanden. Ein paar Zehntausend Euro bekam er dafür - Auftraggeber soll ein Unternehmer sein, der dubiose Geschäfte mit der Unterwelt machte und bis in die höchsten Etagen der Politik gut vernetzt ist. Zu dessen Machenschaften hatte Kuciak immer wieder recherchiert. Es ist den Ermittlern allerdings bisher nicht gelungen, die Anstiftung zum Mord wasserdicht nachzuweisen; der Beschuldigte sitzt derzeit wegen anderer Delikte im Gefängnis.

Josef Kuciak, der Vater, der zum Zeitpunkt des Mordes gerade erst in Rente gegangen war, kämpft jetzt für das Vermächtnis seines Sohnes. Ein Museum für die Pressefreiheit könnte in seinem Haus eingerichtet werden, so überlegen derzeit viele Slowaken. "Ich wäre schon froh, wenn so ein Mord nicht mehr vorkommt", sagt Josef Kuciak und fügt hinzu: "Und wenn die Leute sich vor Augen halten, wer dafür verantwortlich ist und warum das passiert ist."

Diese politische Dimension ist es, die die Slowakei bis heute in Atem hält. Unmittelbar nach dem Mord gingen in allen größeren Städten des Landes Zehntausende Demonstranten auf die Straße, ihr Motto lautete: "Für eine anständige Slowakei".

Behörden bleiben unttätig

Seit Jahren schon machen Journalisten immer wieder darauf aufmerksam, wie eng Justiz, Politik und mutmaßliche Mafiagrößen miteinander verwoben sind. Da wohnen Minister in Luxus-Apartments, die sie sich von ihrem offiziellen Salär nie leisten könnten, da werden öffentliche Aufträge dubiosen Geschäftsleuten zugeschanzt - und obwohl Reporter die Geschäfte detailliert beschreiben, bleiben die Ermittlungsbehörden weitgehend untätig.

Eine Frau, die diese Geschichten gut kennt, ist Iveta Radicová. Die Soziologie-Professorin war von 2010 bis 2012 Premierministerin, bis sie über eine Intrige ihres Koalitionspartners stolperte. Sie gilt als Sauberfrau in der slowakischen Politik.

Der Wirtschaftsboom komme bei den meisten Bürgern nicht an, analysiert sie: "Der Graben vergrößert sich, das Armutsrisiko für Kinder ist sogar gewachsen, auch die regionalen Unterschiede werden größer. In dieser problematischen Lage passierte der Mord an dem Journalisten, es kommen immer neue Korruptionsskandale ans Licht, und die Menschen gehen auf die Straße mit der klaren Ansage: Es ist endlich genug!" Ob die Demonstranten einen ausreichend langen Atem haben werden, um wirkliche Änderungen in der Slowakei zu bewirken, muss sich erst noch zeigen.

Jan Kuciaks Vater erinnert sich inzwischen an einen Satz, den sein Sohn öfters sagte: "Immer, wenn er jemandem mit irgendetwas geholfen hat, mit einer Reparatur zum Beispiel, sagte er am Schluss: 'Bedank dich nicht, aber erinnere dich daran!'" Dieser Satz soll nach dem Willen des Vaters über den Eingang zum Museum stehen, das im Haus seines Sohnes entstehen soll. Die Worte haben jetzt nach dem Mord für die Slowaken einen neuen, einen tieferen Sinn bekommen.

Kilian Kirchgeßner (epd)


US-Baptisten ringen um Konsequenzen aus Missbrauchsfällen

Hunderte Missbrauchsvorwürfe gegen Pastoren und ehrenamtliche Mitarbeiter des Südlichen Baptistenverbandes haben in der größten protestantischen Kirche der USA Forderungen nach Reformen hervorgerufen. Der Informationsdienst "Religion News Service" zitierte den Präsidenten des Baptistenverbandes, J.D. Greear, es sei nun Zeit für "tiefgreifende Veränderungen". Missbrauch sei nicht nur eine Sünde, sondern auch eine Straftat. Greear rief zum Gebet für die 700 Missbrauchsopfer auf und die "vielen anderen Opfer", die noch nicht bekannt seien.

Im Informationsdienst "Baptist Press" forderte der baptistische Berater Dale Johnson am 12. Februar, Kirchen müssten sexuellen Missbrauch künftig grundsätzlich bei der Polizei melden. Der frühere Kirchenpräsident James Merritt erklärt im Kurznachrichtendienst Twitter, noch nie sei die Kirche mit einer größeren Krise konfrontiert worden.

380 Beschuldigte

Die Zeitungen "Houston Chronicle" und "San Antonio Express-News" hatten am Wochenende über zahlreiche Missbrauchsvorwürfe im 15 Millionen Mitglieder zählenden Baptistenverband berichtet. In den vergangenen zwei Jahrzehnten seien 380 Pastoren und Kirchenhelfer glaubhaft beschuldigt worden. Die Zeitungsartikel berichteten über Vorfälle, bei denen Verantwortliche in der Kirche Vorwürfe nicht ernst genommen und Beschuldigte gedeckt hätten.

Der Gründer der Missbrauchs-Hilfsorganisation "Grace", Boz Tchividjian, sagte, Kirchenführer müssten prüfen, ob sie zum Entstehen einer Kultur beigetragen hätten, die Opfer "ignorieren, marginalisieren oder dämonisieren". Im Rundfunksender NPR klagte Tchividjian, Kinder hätten keine Chance, wenn sie jemanden in einer Führungsposition beschuldigen.



US-Forscher Lederach erhält Niwano-Friedenspreis

Der US-amerikanische Friedensforscher John Paul Lederach erhält den höchstdotierten buddhistischen Friedenspreis. Lederach sei seit dreißig Jahren als Vermittler in bewaffneten Konflikten, beim Aufbau von Frieden und internationaler Versöhnung tätig, teilte die Niwano-Stiftung am 18. Februar in Rom zur Begründung der Preisverleihung mit. Der mit umgerechnet 160.000 Euro dotierte Preis wird am 8. Mai in Tokyo verliehen.

In Ländern wie Nicaragua, Somalia, Nordirland, Kolumbien, Nepal und den Philippinen habe Lederach mit Vertretern von Regierung und Opposition verhandelt, während er gleichzeitig von Jahrzehnten der Gewalt betroffene lokale Gemeinschaften begleitete, betonte die Jury. Seine wissenschaftliche Arbeit sei aus reicher Erfahrung als Vermittler, Verhandlungsführer, Trainer und Berater erwachsen.

Engagement in Tradition der Mennoniten

Lederachs Engagement sei in der Tradition der Mennoniten verankert, deren Überzeugungen er durch sein Engagement verkörpere, aber nicht predige. Bei seiner Friedensarbeit ermutige er die Betroffenen, die ihren Glaubensüberzeugungen zugrunde liegenden Werte umzusetzen, ohne dabei zu versuchen, sie zu einem Glauben zu bekehren. Die Mennoniten sind eine protestantische Freikirche, die ihre Wurzeln in der Reformationszeit des 16. Jahrhunderts hat. Weltweit gehören mehr als eine Million Mitglieder der historischen Friedenskirche an.

Eine Jury aus Juden, Christen, Muslimen und Buddhisten wählt die Träger des Niwano-Friedenspreises aus. Zu den bisherigen Preisträgern gehören der brasilianische Erzbischof Helder Camara und der Schweizer Theologe Hans Küng. Vor zwei Jahren erhielt der ehemalige Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB), Munib Younan, die Auszeichnung.

Stifter des buddhistischen Friedenspreises ist Nikkyo Niwano, einer der wenigen nicht-christlichen Beobachter des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65). Die Verleihung soll die dabei erfolgte Öffnung der katholischen Kirche für den interreligiösen Dialog würdigen.