London/Belfast (epd). Wer von Dublin mit dem Auto nach Belfast fährt, merkt kaum, dass er eine Grenze zwischen zwei Ländern überquert. Man muss schon genau darauf achten, ab wann die Schilder nicht mehr Kilometer sondern Meilen ausweisen. Dann weiß man, man ist in Nordirland. Doch um die heute fast unsichtbare Grenze tobt ein Streit, seit sich das Vereinigte Königreich mit dem Brexit-Referendum 2016 entschlossen hat, die Europäische Union zu verlassen.
Die Zukunft der Grenze ist der Hauptstreitpunkt bei den Brexit-Verhandlungen und ein wesentlicher Grund, warum Theresa May für ihr mit der EU ausgehandeltes Austrittsabkommen keine Mehrheit im Parlament bekommt. Mit der Aussicht auf einen ungeregelten Brexit ohne ein Abkommen steigt die Angst, dass der Nordirland-Konflikt zwischen denen, die loyal zum britischen Königreich stehen und denen die einen Zusammenschluss mit Irland möchten, wieder aufflammen könnte.
Alte Wunden könnten wieder aufreißen
Mehr als 3.500 Menschen wurden nach Zählungen des "Conflict Archive on the Internet (CAIN)" während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zwischen englisch- und schottischstämmigen Protestanten und irischen Katholiken getötet. Die mehrheitlich katholischen Nationalisten strebten eine Loslösung von Großbritannien und einen Zusammenschluss mit der Republik Irland an. Die überwiegend protestantischen Unionisten wollten hingegen Teil des Königreichs bleiben. Annähernd 50.000 Menschen wurden nach CAIN-Statistiken in den Jahren der sogenannten "Troubles" verletzt, überwiegend Zivilisten.
Wenn die Grenze zwischen Nordirland und Irland wieder sichtbarer wird, könnte das alte Wunden aufreißen und einen neuen Konflikt provozieren, der seit dem Karfreitagsabkommen 1998 eigentlich offiziell beendet ist, befürchten Beobachter auf beiden Seiten der Grenze. Und noch etwas bedroht den Friedensprozess: Die EU hat den Friedensprozess der vergangenen Jahre maßgeblich finanziert. Auch das könnte in Zukunft vorbei sein.
Laurence McKeown war 17 Jahre alt, als er sich der paramilitärischen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) anschloss, die im Bürgerkrieg für die Unabhängigkeit von Großbritannien kämpfte. Nachdem er auf ein Polizeiauto geschossen hatte, wurde er 1977 zu lebenslanger Haft verurteilt.
Seit seiner Entlassung setzt er sich für den Frieden ein, er schreibt Theaterstücke und macht Ausstellungen. In seinem Ausstellungsprojekt "Aftermath" erzählen Zeitzeugen von ihren Erfahrungen mit dem Konflikt. Eine Bäuerin beschreibt etwa, wie auf ihrem Feld an der Grenze eine Bombe explodierte, als Polizisten dort vorbeigingen. Später fand sie die Leichenteile auf dem Feld.
"Am Anfang hatten die Menschen teilweise Angst voreinander", sagt McKeown, "aber wir haben immer mehr Gruppen gegründet, ein Beratungsprogramm gestartet und später eine Sommeruniversität, an der Menschen aus allen Lebensbereichen teilnehmen konnten." In all den Jahren kam das Geld dafür von der EU.
Grenzüberschreitende Programme zwischen Irland und Nordirland
Bis heute dauert die Arbeit für Frieden in Nordirland an. Die EU hat in den vergangenen Jahrzehnten viel Geld investiert. Allein zwischen 1995 und 2013 flossen nach Angaben der EU im Rahmen des sogenannten PEACE-Programms 1,3 Milliarden Euro nach Nordirland. Damit wurden grenzüberschreitende Programme zwischen Irland und Nordirland finanziert, und zuvor verfeindete Gruppen arbeiteten zusammen in den Projekten. "Alle Projekte, an denen ich beteiligt war, wurden durch die EU finanziert", sagt McKeown.
Bis Ende 2020 sind Gelder für den Friedensprozess fest vorgesehen, auch wenn Großbritannien ohne Deal aus der EU ausscheiden sollte, wie die Europäische Kommission auf Anfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte. Auch für die Zeit danach soll weiter Geld bereitgestellt werden. Die britische Regierung kündigte im Januar an, auch nach dem Brexit Geld in die Projekte zu investieren.
Die Rolle der EU beim Friedensprozess in Nordirland sei nicht zu unterschätzen, sagt Giada Lagana, Politikwissenschaftlerin an der irischen Universität Galway. "Die Aussicht, dass die Finanzierung der Programme wegen des Brexit irgendwann enden könnte, bedeutet auch, dass eine weitere Verbesserung des Friedensprozesses in der Region aufgegeben wird."