sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

für den Vorstandsvorsitzenden der Diakonie Sachsen steht fest: Wenn die Gesundheitsbehörden ungeimpften Beschäftigten ab 16. März das Betreten ihres Unternehmens verbieten, muss der Arbeitgeber kein Gehalt mehr bezahlen. Sie verlieren „den Anspruch auf Entlohnung“, schreiben der Chef der Landesdiakonie, Dietrich Bauer, und der Geschäftsführer der Arbeitsrechtlichen Kommission, Steve Görnitz, in ihrem Gastbeitrag für epd sozial.

Zur Integration von Zuwanderern bleibt auch für die neue Bundesregierung noch viel zu tun. Zwar hat der Start des Nationalen Aktionsplans Integration vor zehn Jahren nach Ansicht des Sachverständigenrates Migration einige Fortschritte gebracht. Aber „die Anerkennung mitgebrachter Berufs- und Bildungsabschlüsse muss unbedingt schneller und effizienter werden“, sagt die Vorsitzende des Rates, Petra Bendel im Interview.

Die Berufstätigen in Deutschland waren 2021 etwas weniger krank als vor der Corona-Pandemie. Insbesondere Fehlzeiten wegen Erkältungen gingen aufgrund der strengen Hygienemaßnahmen deutlich zurück. Krankschreibungen wegen Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen erreichten indes einen Höchststand. „Viele Menschen fühlen sich gestresst und stehen unter Anspannung“, erklärt die DAK.

Ein tariflich vorgesehenes Beschäftigungsende mit Erreichen des Rentenalters ist nicht in Stein gemeißelt. Einer Weiterbeschäftigung über das Rentenalter hinaus muss allerdings der Betriebsrat zustimmen, entschied das Bundesarbeitsgericht.

Lesen Sie täglich auf dem Twitteraccount von epd sozial Nachrichten aus der Sozialpolitik und der Sozialbranche. Auf diesem Kanal können Sie mitreden, Ihren Kommentar abgeben und über Neuigkeiten Ihrer Einrichtung berichten. Gern lese ich auch Ihre E-Mail.

Markus Jantzer




sozial-Thema

Zuwanderung

Experten: Noch Luft nach oben bei der Integration




Integrationskurse helfen beim Ankommen in Deutschland.
epd-bild/Jörn Neumann
Vor zehn Jahren wurde der Nationale Aktionsplan Integration beschlossen. Neue Angebote entstanden, es ging voran. Doch sehen Experten die Bundesregierung in der Pflicht, bei der Eingliederung von Zuwanderern nicht nachzulassen - im Gegenteil.

Berlin (epd). Wer sich mit dem Erfolg der Integration von Migrantinnen und Migranten in Deutschland befasst, hat schnell die Frage zu beantworten, ob das Glas halb voll oder eher halb leer ist. Das ist nicht erstaunlich, denn dieses sozialpolitische Feld ist kaum zu überblicken. Es kommt auf die Perspektive an und auch darauf, welches Segment vom Einbürgerungsrecht, der Bildung bis hin zum Arbeitsmarkt man genauer betrachtet. Und auch welche Personengruppe man in den Fokus nimmt.

Dass aber noch viel zu tun ist, speziell für die weiterhin steigende Zahl von Flüchtlingen, belegen einige Zahlen. Im Jahr 2020 wurden rund 109.900 Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland eingebürgert - ein Rückgang um 15 Prozent gegenüber dem Jahr 2019. Im Schuljahr 2019/2020 machten 36,7 Prozent der Schulabsolventen Abitur. Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund kamen indes nur auf eine Quote von 14,5 Prozent. Von den Deutschen ohne Migrationshintergrund sind 2,8 Prozent arbeitslos, bei Ausländerinnen und Ausländern ist die Quote mit 8,7 Prozent mehr als drei Mal so hoch.

„Organisatorisches Hauptziel erreicht“

Gleichwohl blickt der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) recht zufrieden zurück auf die vergangene Dekade. Vor zehn Jahren habe es sich bei der Integration noch um einen überwiegend unkoordinierten Prozess gehandelt. „Mit dem Nationalen Aktionsplan Integration hat sich das geändert. Wir können sagen: Das organisatorische Hauptziel wurde erreicht.“, sagte die Vorsitzende, Petra Bendel, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Es gibt nach ihren Worten aber Verbesserungsbedarf überall dort. „Die Fähigkeiten von Eingewanderten müssen besser wertgeschätzt und genutzt, die Anerkennung mitgebrachter Berufs- und Bildungsabschlüsse unbedingt schneller und effizienter werden.“ Nötig sei auch mehr Chancengleichheit in der Bildung, beim Wohnen und in der Stadtentwicklung, im Gesundheitssystem sowie auf dem Arbeitsmarkt.

Bei Einbürgerungen hinkt Deutschland hinterher

Bendel ergänzt: „Deutschland schöpft in Bezug auf Einbürgerungen sein Potenzial bei weitem nicht aus - im Gegenteil. Im europäischen Vergleich liegen wir hier auf einem der hinteren Plätze. Im Jahr 2019 haben sich nur 2,5 Prozent aller Personen einbürgern lassen, die die Voraussetzungen dafür erfüllten“, sagt die Leiterin des Forschungsbereichs Migration, Flucht und Integration an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Das sieht auch die Deutschlandstiftung Integration so. Die doppelte Staatsbürgerschaft nicht aufgeben zu müssen, sei „eine integrationsfördernde Regelung“, sagte Geschäftsführer Mikolaj Ciechanowicz dem epd. „Der Deutschlandstiftung ist besonders wichtig, dass in der Bewertung nicht nur über neu Zugewanderte gesprochen wird, sondern auch die Situation der Menschen in zweiter oder dritter Generation betrachtet wird.“

Schulnote: sehr gute 3 plus mit Tendenz nach oben

Hier rückten Themen wie Aufstiegsmöglichkeiten, politische Partizipation und auch Repräsentanz in den Strukturen des öffentlichen Dienstes ins Blickfeld - „und da sehen wir noch sehr viel Entwicklungspotenzial“. Mit Blick auf die Vergangenheit vergebe er als Schulnote „eine sehr gute 3 plus mit Tendenz nach oben“. . Laut Ciechanowicz sind die Hürden für die Anerkennung eines ausländischen Berufsabschlusses zu hoch. Hier müsse das Beratungsangebot verbessert werden. Oft werde nur auf Deutsch oder Englisch beraten, das stelle besonders Personen, die erst vor kurzem nach Deutschland gekommen seien und noch nicht mit deutschen Verwaltungsabläufen vertraut seien, vor große Herausforderungen.

Beauftragte will „modernes Einwanderungsland“

Die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), agiert bisher in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend. Einen umfassenden Entwurf ihrer primären Ziele für diese Legislatur hat sie noch nicht präsentiert. Auf epd-Anfrage wollte sie sich aktuell nicht zu ihren Plänen äußern.

Bereits bekannt hat sie aber, mehr für die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland zu tun. Die Bundesrepublik müsse sich als modernes Einwanderungsland präsentieren, das neue Perspektiven bietet, sagte die vorherige Integrationsbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern dem „Tagesspiegel“. Dazu gehöre auch eine erleichterte Einbürgerung.

„Wir wollen die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglichen“, betonte Alabali-Radovan. Auch das Aufenthaltsgesetz müsse mit Blick auf Duldungen und Perspektiven für Aufenthaltserlaubnisse überarbeitet werden, sagte die Beauftragte. Unternehmen, die Arbeitskräfte benötigen, hätten kein Verständnis für Abschiebungen und unsichere Aufenthaltsrechte Beschäftigter.

Dirk Baas


Zuwanderung

Hintergrund

Vom Nationalen Integrationsplan zum Nationalen Aktionsplan Integration



Frankfurt a.M. (epd). Der 12. Juli 2007 ist der Geburtstag des Nationalen Integrationsplans. Dieser Plan sollte zu Verbesserungen bei der Eingliederung von Zuwanderern führen, doch die meisten der 400 beschlossenen Maßnahmen waren lediglich Selbstverpflichtungen.

Zur Vorgeschichte: Für einen regelrechten Schock hatte die PISA-Studie 2006 gesorgt, die unter anderem belegte, wie stark in Deutschland der Bildungserfolg von sozialer und auch ethnischer Herkunft abhängt. Vor diesem Hintergrund rief Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Deutschen Integrationsgipfel ins Leben, der erstmals am 14. Juli 2006 stattfand - elf weitere sollten bis 2021 folgen.

Messbare Zielvorgaben beschlossen

Der nächste, weitergehende Schritt erfolgte 2010. Es begann der Prozess, einen neuen, grundlegend veränderten „Nationalen Aktionsplan Integration“ zu erarbeiten - mit verbindlichen und messbaren Zielvorgaben für die Integrationspolitik. Und auch die interkulturelle Öffnung gewann als Zielsetzung an Bedeutung.

Fachleute und Betroffene bildeten elf Dialogforen, die unter der Federführung der jeweils zuständigen Bundesministerien und Bundesbeauftragten bestimmte Themenfelder bearbeiteten - von der frühkindlichen Bildung über den Arbeitsmarkt und das Erwerbsleben bis zum Ehrenamt und Sport. Das Ergebnis wurde vor genau zehn Jahren beim Fünften Nationalen Integrationsgipfel am 31. Januar 2012 veröffentlicht.

Hoher Zuzug von Flüchtlingen führt zu neuen Schritten

Nachdem im Jahr 2015 sehr viele Flüchtlinge ins Land kamen, bestand der dringende Bedarf, Fragen der Integration in einem neuen Licht zu diskutieren. Dazu die damalige Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Annette Widmann-Mauz: „Viele Menschen sind zu uns gekommen und auf der anderen Seite sind Ängste entstanden. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, der Integrationspolitik neue Impulse zu geben und den Zusammenhalt in Deutschland mit einem Nationalen Aktionsplan zu stärken.“ Er sollte alle Zuwanderergruppen umfassen und auch diejenigen Menschen mit ausländischen Wurzeln, die schon lange hier leben.

Der Nationale Aktionsplan Integration orientiert sich an fünf Phasen der Zuwanderung und des Zusammenlebens und nimmt dabei die individuellen Bedarfe der Zuwanderinnen und Zuwanderer in den Blick. Ab 2018 begann ein mehrjähriger Prozess, der 2021 zum Abschluss kam. Von rund 300 Organisationen und Vertretern aus Bund, Ländern, Kommunen sowie der Zivilgesellschaft, darunter 75 Migrantenorganisationen, ausgearbeitet, enthält er über 100 verschiedene Maßnahmen.

Zum Abschluss kamen die Beratungen im März 2021 beim 13. Integrationsgipfel. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verabschiedeten einen Katalog von Projekten, die von Hilfen für zuwandernde Fachkräfte im Heimatland über Unterstützung beim Spracherwerb bis zu Anstrengungen für mehr Chancengleichheit in Wirtschaft und öffentlichem Dienst reichen. Widmann-Mauz: „Mit dem Nationalen Aktionsplan Integration haben wir gemeinsam den strategischen, integrationspolitischen Ansatz für die 2020er Jahre geschaffen.“



Zuwanderung

Interview

Einbürgerung: "Doppelpass mit Generationenschnitt einführen"




Petra Bendel
epd-bild/SVR/Michael Setzpfandt
Zur Integration von Zuwanderern bleibt auch für die neue Bundesregierung viel zu tun. Zum umstrittenen Doppelpass präsentiert der Sachverständigenrat Migration einen eigenen Vorschlag, wie die Vorsitzende Petra Bendel im Interview erläutert.

Berlin (epd). Ob bei der schnelleren Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen, bei der Bildungsgerechtigkeit oder bei Reformen in Bleiberecht - der Sachverständigenrat Migration sieht die Notwendigkeit zu etlichen Reformen. „Beim Doppelpass geht es darum, grundsätzlich Mehrstaatigkeit zu erlauben“, erläutert die Vorsitzende Petra Bendel. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Wer Zuwanderer und Flüchtlinge in die Aufnahmegesellschaft erfolgreich integrieren will, muss etliche Politikfelder im Auge haben. Wo sieht der Sachverständigenrat mit Blick auf den Regierungswechsel den meisten Nachholbedarf?

Petra Bendel: Nachholbedarf sehen wir bei der Anerkennung von mitgebrachten Berufs- und Bildungsanschlüssen. Das im März 2020 in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte aus Drittstaaten zwar erleichtert. Die positiven Effekte sind bislang aber ausgeblieben. Wir brauchen eine weitere Vereinfachung von Anerkennungsverfahren, die Ausweitung der Regelungen auf zusätzliche Branchen und Personen sowie eine aktive Bewerbung des Standorts Deutschland auch durch die Politik. Und: Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass Bildungserfolge von sozialer Herkunft entkoppelt werden. Wir brauchen mehr Kita-Plätze und Schulen, die besser auf den Normalfall Vielfalt eingestellt sind. Ein Bleiberecht für gut integrierte Menschen mit einer Duldung ist zu begrüßen, hängt aber von der genauen Ausgestaltung ab.

epd: Deutschland braucht mehr Zuwanderung, um sich genügend Fachkräfte zu sichern. Warum stockt es bei der Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse?

Bendel: Um in Deutschland arbeiten zu können, müssen ausländische Fachkräfte gleichwertige Qualifikationen nachweisen. Das ist oftmals kompliziert. Wir haben es mit reglementierten und nicht-reglementierten Berufen sowie komplexen Bund- und Länderzuständigkeiten zu tun. Dennoch könnten die zuständigen Behörden versuchen, ihre Verfahren und Anforderungen abzugleichen und zu vereinfachen - zum Beispiel bei Verwaltungsvorschriften, Gebührenordnungen oder Art und Umfang der vorzulegenden Qualifikationsnachweise.

epd: Jetzt hat die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, versprochen, die Hürden bei der Einbürgerung zu senken. Was passiert nun mit dem Doppelpass?

Bendel: Beim Doppelpass geht es darum, grundsätzlich Mehrstaatigkeit zu erlauben. Viele Zugewanderte wollen gerne Deutsche werden, können sich aber den Verlust ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit nicht erlauben. Der kann zu Einreisebeschränkungen für das Herkunftsland und damit zu Problemen beim Besuch von Angehörigen vor Ort führen oder zum Verlust der Erbfähigkeit. Wir plädieren für die Einführung eines Doppelpasses mit Generationenschnitt. Das Modell sieht vor, Mehrstaatigkeit für eine oder mehrere Übergangsgenerationen zu ermöglichen und zugleich eine unbegrenzte Weitergabe der Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes zu vermeiden. Dafür sind Abkommen mit den jeweiligen Herkunftsstaaten nötig. Verschiedene Beispiele zeigen aber, dass völkerrechtliche Verträge im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts möglich sind; dazu könnte man sich auch Pilotprojekte vorstellen.



Zuwanderung

Interview

Stiftung: Probleme bei der Integration löst man nicht über Nacht




Mikolaj Ciechanowicz
epd-bild/DSI/Marcel Dykiert
Die Deutschlandstiftung Integration setzt sich seit ihrer Gründung 2009 mit diversen Projekten für Vielfalt und Chancengleichheit von Menschen mit Migrationsbiografie ein. Viele Verbesserungen wurden erreicht, sagt Geschäftsführer Mikolaj Ciechanowicz im Interview. Doch auch die neue Bundesregierung müsse weitere Reformen angehen.

Berlin (epd). Schnellere Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen, Reformen im Einbürgerungsrecht, mehr Aufstiege durch bessere Bildung: Es gibt noch viel zu tun, um die Integration von Migranten erkennbar voranzubringen, betont Mikolaj Ciechanowicz. Doch stehe Deutschland im internationalen Vergleich nicht schlecht da: Er gebe für das schon Erreichte die Schulnote 3 plus - „mit Tendenz nach oben“. Auf welchen Feldern die neue Bundesregierung handeln müsse, erfragte Dirk Baas.

epd sozial: Vor genau zehn Jahren wurde beim Fünften Integrationsgipfel der Nationale Aktionsplan Integration beschlossen. Vieles aus dem Vorhaben wurde umgesetzt, vieles auch nicht oder nur unvollständig. Integration ist wohl nur eine „politische Schnecke“?

Mikolaj Ciechanowicz: Ich finde es unfair und zu einfach, dem Bereich Integration einen solchen Stempel aufzudrücken. Wir dürfen nicht vergessen, dass gerade in der letzten Dekade Deutschland vor unerwarteten Aufgaben angesichts einer massiven Zunahme der Einwanderung gestellt wurde. Die Ereignisse von 2015 haben viele Annahmen und Ziele verändert und die Aufgaben neu definiert. Der „Nationale Aktionsplan Integration“ war fast zehn Jahre lang ein wichtiges Instrument zur Erreichung der festgelegten Ziele, das die Beteiligten von allen staatlichen Ebenen und vor allem aus der Zivilgesellschaft zusammengebracht hat. Große gesellschaftliche Herausforderungen können nur selten politisch über Nacht gelöst werden, schon gar nicht, ohne dass gemeinsam an diesen gearbeitet wird.

epd: Wo steht Deutschland heute bei der Integration?

Ciechanowicz: Es ist immer eine Frage der Perspektive. Der Deutschlandstiftung ist besonders wichtig, dass in der Bewertung nicht nur über neu Zugewanderte gesprochen wird, sondern auch die Situation der Menschen in zweiter oder dritter Generation betrachtet wird. Hier rücken dann Themen wie Aufstiegsmöglichkeiten, politische Partizipation oder Repräsentanz in den Strukturen des öffentlichen Dienstes ins Blickfeld - und da sehen wir noch sehr viel Entwicklungspotenzial nach oben.

epd: Wenn man das erreichte in der Kategorie von Schulnoten bewerten würden, welche Zensur vergeben Sie?

Ciechanowicz: Eine sehr gute 3 plus mit Tendenz nach oben.

epd: Wer Zuwanderer und Flüchtlinge in die Aufnahmegesellschaft mit Erfolg integrieren will, muss etliche Politikfelder im Auge haben. Wo sehen Sie den meisten Nachholbedarf?

Ciechanowicz: Gerade im Vergleich mit anderen Ländern steht Deutschland bei der Integration vom Zugewanderten nicht schlecht da. Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen, dass fast 50 Prozent der Geflüchteten in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Um hier noch besser zu werden, müssen die Bemühungen der neuen Bundesregierung weiter in Richtung Arbeitsmarktintegration und Bildungschancen gehen.

epd: Deutschland braucht mehr Zuwanderung, um sich genügend Fachkräfte zu sichern. Warum stockt es hier, etwa bei der Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse?

Ciechanowicz: Der Fachkräftemangel hat sich besonders durch die anhaltende pandemische Lage verschärft. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die Erwerbsmigration weiter erleichtern sollte, ist nahezu zeitgleich mit den Einreisebeschränkungen in der EU im März 2020 in Kraft getreten. Eine Beurteilung dieser neuen politischen Maßnahmen ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer. Trotzdem stelle ich in der engen Zusammenarbeit mit dem Alumninetzwerk unseres Stipendienprogramms immer wieder fest, dass die Hürden für eine Anerkennung eines Berufsabschlusses zu hoch sind.

epd: Woran liegt das konkret?

Ciechanowicz: Viele Eltern, deren Kinder bei uns Stipendiatinnen und Stipendiaten sind oder waren, konnten ihre Abschlüsse nicht anerkennen lassen. Das ist ein großes Problem, weil es oft nicht nur die Startbedingungen der Eltern, sondern auch die der nachfolgenden Generationen beeinflusst. Hinzu kommt, dass das Beratungsangebot oft nur auf Deutsch oder Englisch angeboten wird und dass besonders Personen, die erst vor kurzem nach Deutschland gekommen sind und noch nicht mit deutschen Verwaltungsabläufen vertraut sind, vor große Herausforderungen stellt.

epd: Um Reformen im Einbürgerungsrecht wird schon lange gerungen. Jetzt hat die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), versprochen, die Hürden bei der Einbürgerung zu senken. Was passiert nun mit dem Doppelpass?

Ciechanowicz: Die Debatte um die doppelte Staatsangehörigkeit ist eine sehr wichtige. Schon heute betrifft sie in etwa 500.000 Kinder. In den nächsten Jahren wird diese Zahl weiter wachsen und damit werden auch die Forderungen nach klaren politischen Regelungen lauter. Als Geschäftsführer einer überparteilichen Stiftung kann ich lediglich Wünsche aussprechen, die sowohl meine persönlichen Erfahrungen mit einbeziehen als auch das widerspiegeln, was mir bei meiner Arbeit von vielen Betroffenen berichtet wird.

epd: Und die lauten?

Ciechanowicz: Wir müssen endlich im 21. Jahrhundert ankommen. Als ich 1997 die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen habe, musste ich meine polnische Staatsbürgerschaft aufgeben. Für EU-Bürger trifft das zum Glück nicht mehr zu. Und wir müssen auch für alle anderen Menschen eine solche integrationsfördernde Regelung finden.

epd: Worauf kommt es aus Ihrer Sicht noch bei den Reformen bei der Einbürgerung an und warum sind sie so elementar für eine gelingende Integration?

Ciechanowicz: Die Einbürgerung ist nach meinem Verständnis eine zentrale Voraussetzung für gleichberechtigte Teilhabe in unserer Demokratie, weshalb die jetzt anstehenden gesetzlichen Änderungen - gerade auch der Doppelpass - zu einem größeren Bekenntnis zu unserem Land führen wird. Mehr Menschen werden sich einbürgern lassen - endlich! In Deutschland kann man nur mit der deutschen Staatsangehörigkeit an wirklich allen Wahlen teilnehmen. Laut einer Studie des Think Tanks „dpart“ wünschen sich Menschen mit Migrationsgeschichten mehrheitlich ein inklusiveres Wahlrecht und mehr Repräsentation in der Politik, erfahren jedoch häufig strukturelle Barrieren bei der politischen Beteiligung.

epd: Haben Sie Beispiele?

Ciechanowicz: Es gibt Bezirke hier in Berlin, wo 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner bei den letzten Bundestagswahlen nicht wählen durften. Ein solcher Ausschluss hat schnell auch Auswirkungen auf andere Bereiche des Lebens und verfremdet die Beziehung zu dem Land, in dem man lebt. Nur wer mitgestalten kann, fühlt sich auch zugehörig.




sozial-Politik

Corona

Regierung: Impfpflicht für Gesundheitspersonal wird umgesetzt




Impfnachweis gegen Covid-19 im Kartenformat
epd-bild/Heike Lyding
Die Bundesregierung besteht trotz der Warnungen aus der Sozial- und Gesundheitsbranche darauf, dass die einrichtungsbezogene Corona-Impfpflicht zum 16. März umgesetzt wird. Die zusätzliche Belastung sei "schaffbar" , sagt der Regierungssprecher.

Berlin (epd). Die Bundesregierung geht nicht davon aus, dass die Umsetzung der Impfpflicht für das Gesundheitspersonal scheitern könnte. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am 2. Februar in Berlin, die Diskussion darüber sei nicht nur kontraproduktiv, sondern auch schädlich. So werde es nicht kommen. Das Gesetz gelte und werde zum 16. März wirksam. Es sei mit breiter Mehrheit von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden, betonte Hebestreit.

Bezogen auf die Belastungen der Gesundheitsämter, wonach voraussichtlich jedes Amt im Durchschnitt etwa 500 Fälle von Pflegekräften oder anderen Beschäftigten prüfen muss, die am 16. März noch nicht geimpft sind, sagte Hebestreit, dies sei zwar eine zusätzliche Belastung, aber sie sei „schaffbar“. Wo dies nicht möglich sei, suchten die Bundesländer, die für die praktische Umsetzung zuständig sind, derzeit nach Lösungen.

Gesundheitsämter müssen Arbeit nicht allein machen

Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums betonte, der Bund unterstütze die Länder dabei, zu einheitlichen Lösungen zu kommen. Die Fachebenen arbeiteten gut zusammen. Das Gesetz lasse zudem genügend Spielraum bei der Umsetzung. So könnten die Länder auch andere Behörden als die Gesundheitsämter bestimmen, die die Impfverpflichtung kontrollieren. Zudem sei davon auszugehen, dass die Gesundheitsämter im März nicht mehr so belastet seien wie derzeit, erklärte der Sprecher. Gesundheitsämter mehrerer Bundesländer hatten gewarnt, sie seien mit der Kontrolle der Corona-Impfpflicht überfordert.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lehnt es ab, die einrichtungsbezogene Impfpflicht später als geplant wirksam werden zu lassen. Er hatte Ende Januar aber zugleich erklärt, es müsse im Einzelfall entschieden werden, wie mit ungeimpften Beschäftigten umgegangen werden solle. Dabei spiele auch eine Rolle, dass die Versorgung von Patienten oder Pflegebedürftigen gesichert sei.

„Versorgungslage prekär“

Aus der Pflegebranche kommen Warnungen, dass die Impfpflicht die Personalnot verstärken werde. Außerdem kritisieren etliche Pflegeverbände und die Deutsche Krankenhausgesellschaft, dass wesentliche Fragen zur Umsetzung noch ungeklärt seien.

Der Paritätische Gesamtverband warnte am 3. Februar vor erheblichen Engpässen in der Pflege, sollte die Impfpflicht im Gesundheitswesen wie geplant Mitte März umgesetzt werden. „Aus Einrichtungen bekommen wir Alarmmeldungen, dass echte Versorgungsengpässe drohen, wenn die Pflicht zum 16. März in Kraft tritt“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

„Es gibt so wenig Personal, dass wir uns nicht erlauben können, dass auch nur eine Einzige oder ein Einziger kündigt“, sagte die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, am 28. Januar dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Wenn ungeimpfte Pflegekräfte Tätigkeitsverbote bekommen, wird die Versorgungslage immer prekärer.“

Der Caritasverband berichtete angesichts der Omikron-Welle von Personalnot in der Pflege. „In den Einrichtungen und Diensten der Caritas - von den Kitas bis zu den Hospizen - fallen zunehmend Kollegen und Kolleginnen aus, sei es wegen Quarantäne oder wegen einer eigenen Corona-Infektion“, sagte die Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa dem RND.

Bettina Markmeyer, Markus Jantzer


Corona

Gastbeitrag

Betretungsverbot ausgesprochen - wie geht es weiter?




Dietrich Bauer (li.) und Steve Görnit
epd-bild/Montage/Tobias Ritz/Diakonie Sachsen
Am 16. März tritt die Covid-19-Impfpflicht für Beschäftigte in Sozial- und Gesundheitseinrichtungen in Kraft. Verlieren sie ihren Job, wenn sie sich nicht impfen lassen? Wie sollen sich Arbeitgeber verhalten? Auf die wichtigsten arbeitsrechtlichen Fragen geben der Vorsitzende der Diakonie Sachsen, Dietrich Bauer, und der Geschäftsführer der Arbeitsrechtlichen Kommission, Steve Görnitz, Antworten.

Kaum ein anderes Thema beschäftigt die Juristen im Bereich des Arbeitsrechts derzeit mehr als die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Eine der zentralen Fragen lautet: Was geschieht mit dem Arbeitsverhältnis und den gegenseitigen Leistungspflichten, wenn das Gesundheitsamt ein Betretungsverbot ausspricht?

Bedeutsam ist diese Frage nur für die Arbeitsverhältnisse, die bereits am 15. März 2022 und früher bestanden haben. Alle neuen Arbeitsverhältnisse ab dem 16. März 2022 dürfen ohnehin nur dann beginnen, wenn spätestens bei Arbeitsbeginn ein entsprechend gültiger Immunitäts-Nachweis gegen das Coronavirus vorliegt. Rechtlich empfehlenswert ist für diese Fälle die Vorlage des Nachweises vor Vertragsunterschrift, um spätere Nachweisprobleme von vornherein zu vermeiden.

Betretungsverbot führt zu Beschäftigungsverbot

Aber nun zum Eigentlichen: Ein Angestellter war bereits vor dem 16. März 2022 in der Einrichtung tätig, er hat keinen Nachweis vorgelegt. Der Arbeitgeber ist seiner Meldepflicht ab dem 16. März 2022 nachgekommen, und das Gesundheitsamt teilt mit, dass ein Betretungsverbot ausgesprochen wurde. Dann darf der Arbeitgeber den Angestellten in der Einrichtung nicht mehr beschäftigen. Sprich: Das Betretungsverbot führt zu einem Beschäftigungsverbot.

Das Beschäftigungsverbot wiederum führt dazu, dass Gehaltszahlungen ab dem Beginn des Betretungsverbots eingestellt werden können. Da der Beschäftigte keine Arbeitsleistung mehr erbringt, verliert er damit auch den Anspruch auf die Gegenleistung, also die Entlohnung. Auch eine Vergütung aus anderen Quellen kommt nicht infrage, da das Arbeitsverhältnis bestehen bleibt.

Letzteres wird von dem Betretungsverbot grundsätzlich nicht berührt, sondern es besteht fort, bis der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer selbst ordnungsgemäß die Kündigung nach den üblichen Formalien ausspricht. Mit dem Betretungsverbot wird aber in der Regel die Grundlage dazu gelegt, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Ob eine Kündigung aber letztlich ausgesprochen wird, bleibt weiterhin ein freiwilliger Entschluss der jeweiligen Vertragsparteien.

Keine Freistellung

Teilweise wird für die Zeit des Beschäftigungsverbots von einer „Freistellung“ gesprochen. Auf die hier beschriebene Situation trifft diese Bezeichnung aber nicht zu, da die Freistellung üblicherweise die Erlaubnis des Arbeitgebers oder die Vereinbarung der beiden Vertragsparteien meint, dass der Angestellte von der Arbeit (bezahlt oder unbezahlt) fernbleiben darf. Im vorliegenden Fall ist das Fernbleiben aber allein die Sache des Angestellten. Die Bezeichnung „Freistellung“ sollte daher von Seiten des Arbeitgebers vermieden werden.

Das Betretungsverbot kann für den Arbeitgeber in der Regel als Grundlage für eine außerordentliche Kündigung genutzt werden. Bevor eine außerordentliche, fristlose Kündigung aber ausgesprochen wird, ist der Einsatz eines milderen Mittels zu prüfen: Beispielweise, ob es in Betracht kommt, den Angestellten im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers umzusetzen. Das dürfte bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht allerdings nur selten möglich sein.

Wird das Betretungsverbot bekannt, kann und muss der Arbeitgeber dem Angestellten eine Frist setzen, die es ermöglicht, die Voraussetzung für eine Wiederaufnahme der Tätigkeit in der Einrichtung zu erfüllen. In der Regel dürfte eine Impfung das ausgesprochene Betretungsverbot aufheben.

Frist setzen, Abmahnung aussprechen

Nutzt der Arbeitnehmer diese Frist - ein bis zwei Wochen sollten genügen - nicht, wird eine Abmahnung auszusprechen sein, verbunden mit der Setzung einer Nachfrist. Dabei sollte darauf hingewiesen werden, dass bei einem Ablauf der Nachfrist mit weiteren Sanktionen, bis hin zur Kündigung zu rechnen ist. Verläuft auch die Nachfrist ohne Erfolg, kann außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt werden. Das Arbeitsverhältnis endet damit.

Im Einzelfall kann eine Abmahnung auch schon früher ausgesprochen werden. Dafür müssen aber besondere Gründe vorliegen. Teilweise wird vertreten, dass das ausgesprochene Betretungsverbot oder bereits die fehlende Vorlage des Nachweises über eine Impfung oder Genesung zur Abmahnung führen kann. Dies kann möglich sein, aber in rechtlicher Hinsicht bietet die vorherige Fristsetzung nach Vorliegen eines Betretungsverbots mehr Rechtssicherheit für den Arbeitgeber. (Ungeklärt ist die Frage, wie lange das Betretungsverbot noch gilt, wenn sich jemand in der gesetzten Nachfrist impfen lässt. Hier trifft das Gesundheitsamt die Entscheidung.)

Krankschreibung ohne Lohnfortzahlung

Da das Betretungsverbot das Arbeitsverhältnis zunächst nicht antastet, muss der Arbeitnehmer folglich auch alle weiteren aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Pflichten erfüllen. Dazu zählt, dass auch eine neue, vorübergehende Tätigkeit nicht begonnen werden darf. Eine außerordentliche Kündigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses wäre die Folge. Auch eine Krankschreibung dürfte in der Regel nicht zur Lohnfortzahlung führen, vor allem dann nicht, wenn die Erkrankung angekündigt wird. Ob bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber eine sogenannte Sperrfrist in Bezug auf die Zahlung von Arbeitslosengeld besteht, ist aktuell noch nicht vollständig geklärt.

Fazit: In jedem Einzelfall muss genau geprüft werden, ob eine außerordentliche Kündigung tatsächlich gerechtfertigt ist und alle milderen Mittel, mit entsprechender Abwägung, genutzt wurden. Im Zweifel sollten sich Arbeitgeber vorher sachkundigen Rat einholen, um die Risiken einschätzen zu können, die mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses einhergehen.

Dietrich Bauer ist Vorstandsvorsitzender der Diakonie Sachsen. Steve Görnitz leitet die Geschäftsstelle der Arbeitsrechtlichen Kommission.


Corona

Studie: Sprachbarrieren häufig Ursache für Impfskepsis



Gesundheitswissenschaftlerinnen fordern gezielte Aufklärung in Migrantengruppen zum Thema Impfen. Die Herkunft der Menschen sei indes nicht entscheidend für ihre Impfbereitschaft.

Berlin (epd). Der Migrationshintergrund von Menschen spielt laut einer aktuellen Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) für die Impfbereitschaft nur eine untergeordnete Rolle. Das Herkunftsland sei nicht maßgebend für die Impfbereitschaft. Vielmehr treffe dies auf sozioökonomische Merkmale wie Bildung, Einkommen, das Alter und Sprachbarrieren zu, sagte die Gesundheitswissenschaftlerin Elisa Wulkotte vom Robert Koch-Institut am 3. Februar in Berlin. Hinzu kämen Diskriminierungserfahrungen im Gesundheits- und Pflegebereich, etwa wegen des Aussehens, des Akzents oder wegen Verständnisproblemen.

Sprachbarrieren als Impf-Hürde

Für das Covid-19-Monitoring des RKI wird die Bevölkerung Deutschlands regelmäßig zu Themen rund um die Covid-19-Impfung befragt. Für die am 3. Februar veröffentlichte neunte Erhebung wurden 1.000 Menschen mit und 1.000 Menschen ohne Einwanderungsgeschichte interviewt.

Von den Menschen mit Migrationsgeschichte gaben demnach etwa 84 Prozent an, mindestens einmal geimpft zu sein. Die Impfquote für die Bevölkerungsgruppe ohne Migrationsgeschichte lag bei etwa 92 Prozent. In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen lag in beiden Gruppen die Impfquote mit knapp 93 Prozent gleich hoch. Am wenigsten waren in beiden Gruppen die 30- bis 39-Jährigen geimpft.

Sprachbarrieren könnten dabei einen Großteil der Impfquoten-Unterschiede erklären, sagte Wulkotte: „Je besser die Deutschkenntnisse eingeschätzt werden, umso höher ist die Impfquote.“ So gaben von den Befragten mit Deutsch als Muttersprache oder sehr guten Deutschkenntnissen etwa 92 Prozent an, mindestens einmal geimpft zu sein. Bei den Befragten mit mittelmäßigen Deutschkenntnissen lag die Quote bei 83 Prozent, bei denen mit sehr schlechten Deutschkenntnissen bei 75 Prozent.

Falschinformationen zu Langzeitfolgen

Die durchschnittliche Impfbereitschaft der Befragten mit Migrationsgeschichte, die noch keine Impfungen erhalten haben, war dabei signifikant höher als in der Gruppe ohne Migrationsgeschichte, wie Wulkotte sagte. Zugleich waren Falschinformationen beispielsweise zu den angeblichen Langzeitfolgen der Impfung mit Unfruchtbarkeit und Impotenz unter den Befragten mit Migrationshintergrund stärker verbreitet.

Die Bielefelder Gesundheitswissenschaftlerin Doris Schaeffer forderte deshalb mehr zielgruppenspezifische Aufklärung. „Wir müssen viel mehr mehrsprachige Informationen bereitstellen auf Flyern, Plakaten oder in den sozialen Medien“, sagte die Professorin für Gesundheitswissenschaften.

Da es hierzulande zu wenig seriöse Informationsangebote in anderen Sprachen gebe, landeten viele bei der Suche auf Internetseiten ihrer Herkunftsländer. Hinzu komme bei Arztbesuchen die Schwierigkeit, die Fachbegriffe zu verstehen - ein Problem, was nicht nur Nicht-Muttersprachler haben, sagte Schaeffer.

Dass es anders geht, habe Bremen vorgemacht, sagte die Professorin. Die Hansestadt hat eine Impfquote von 87 Prozent, die höchste bundesweit. Um dies zu erreichen, habe die Gesundheitsverwaltung die Leute da abgeholt, wo sie sind, sagte der Leiter der Bremer Impfzentren, Kay Bultmann. Beispielsweise mit mehrsprachigen mobilen Impfteams an Tafel-Ausgabestellen sowie in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften.

Markus Geiler


Corona

Politologe: Impfpflicht wäre bis Jahresende kaum umsetzbar



Osnabrück (epd). Der Osnabrücker Politik- und Verwaltungswissenschaftler Roland Czada bezweifelt, dass der Staat sich und seinen Bürgern mit einer allgemeinen Impfpflicht einen Gefallen täte. „Es drohen massive Umsetzungskonflikte und die Aussicht, dass fortlaufende Pflichtimpfungen neue Infektionswellen und Kontaktbeschränkungen nicht verhindern können“, sagte Czada dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Das würde das Vertrauen der Bürger in Politik und Wissenschaft beschädigen.“

Aus Czadas Sicht könnte eine allgemeine Impfpflicht bis Jahresende ohnehin nicht wirksam werden. Für die gesetzliche und administrative Umsetzung bräuchten das Parlament sowie die Regierungen und Behörden voraussichtlich mehr Zeit, als die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am 26. Januar in der Bundestagsdebatte veranschlagten vier bis sechs Monate. Zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Behörden seien Konflikte programmiert.

Kontrollen und Sanktionen

Offen sei auch, wer die Impfpflicht kontrollieren und sanktionieren könne. „Die Ärzte kämen in Rollenkonflikte. Die Krankenkassen werden sich dafür nicht hergeben, weil damit Misstrauen unter ihren Mitgliedern gesät würde“, sagte der Professor der Uni Osnabrück. Diese Aufgabe bliebe dann weitgehend an den Kommunen und der Polizei hängen, die ohnehin über chronischen Personalmangel klagten. Dort könne nach der Situation in den öffentlichen Gesundheitsämtern ein weiteres, noch größeres Verwaltungsversagen bevorstehen.

Ein Dilemma drohe auch, wenn beharrliche Impfverweigerer das von Bundestagsabgeordneten vorgeschlagene Zwangsgeld im vierstelligen Bereich nicht zahlen könnten. Die Justiz müsste diese Menschen dann zu Hunderten oder gar Tausenden in Erzwingungshaft setzen. Die Folgen für das gesellschaftliche Miteinander wären desaströs, warnte der Politologe.

Kein Verzicht aufs Zwangsmaßnahmen

Verzichte der Staat hingegen auf Zwangsmaßnahmen, mache er sich lächerlich und untergrabe das Vertrauen der Bürger auf andere Weise. „Vertrauen ist in einem Gemeinwesen das höchste Gut“, unterstrich Czada. Eine Regierung dürfe nicht der populistischen Versuchung erliegen, den starken Staat zu markieren und damit Konflikte anzuheizen.

Sinnvoll könne es jedoch sein, die Impfpflicht jetzt zu prüfen und eine an konkrete Bedingungen geknüpfte Wiedervorlage zu beschließen. Ein solcher „Vorratsbeschluss“ wäre ein Signal, dass die Impfpflicht nicht aus der Welt sei. „So bliebe die Option offen, und die Verwaltung könnte sich für den Fall vorbereiten.“ Dieser wäre aus Czadas Sicht gegeben, wenn der Nutzen die Kosten und Risiken einer Impfpflicht deutlich überwiege, etwa angesichts gefährlicherer Viren oder wirksamerer Vakzine.

Urs Mundt


Pflege

Erste Gütesiegel für faire Anwerbung von Pflegekräften vergeben




Vietnamesin in der Altenpflege (Archivbild)
epd-bild/Hanna Eder
Deutschland braucht mehr Pflegekräfte aus dem Ausland. Weil die nicht von alleine kommen, ist systematische Anwerbung auch außerhalb von Europa nötig. Ein neues Gütesiegel soll für ein transparentes und geordnetes Verfahren sorgen.

Berlin (epd). Die ersten Gütesiegel „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ sind am 2. Februar an 17 lizenzierte Vermittlungsagenturen und an selbst anwerbende soziale Einrichtungen verliehen worden. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Edgar Franke (SPD), sprach von einem „Meilenstein in der Fachkräftezuwanderung“. „Dadurch wissen Pflegekräfte aus dem Ausland, dass ihr künftiger Arbeitgeber oder die Vermittlungsagentur einen fairen und transparenten Anwerbeprozess sicherstellt“, sagte er. Bisher haben den Angaben nach 78 weitere Interessenten das Siegel beantragt.

Das Interesse an dem Prüfverfahren sei groß, hieß es beim Deutschen Kuratorium Altershilfe (KDA), unter dessen Dach das Siegel vergeben wird. Bei einer Umfrage vor der Veröffentlichung der genauen Prüfkriterien habe es rund 130 Einrichtungen und Personalserviceagenturen gegeben, die sich eine Teilnahme am Zertifizierungsprozess vorstellen konnten. Knapp 150 Agenturen kümmern sich nach Recherchen des KDA in Deutschland um die Anwerbung von ausländischen Fachkräften.

Beitrag zu einer modernen Einwanderungspolitik

Franke betonte, das gesetzlich eingeführte Siegel leiste einen wichtigen Beitrag zu einer modernen Einwanderungs- und Integrationspolitik. Es setze „einen hohen ethischen Standard“ und schaffe bei Fachkräften im Ausland Vertrauen, ohne eigene Kosten nach Deutschland zu kommen, verlässlich betreut und gut in einen neuen Job integriert zu werden. Und sie könnten sich darauf verlassen, keine Vermittlungskosten bezahlen zu müssen und ein faires Einkommen zu erhalten. Außerdem sorge der künftige Arbeitgeber für eine zügige Integration in den Kollegenkreis.

Deutschland brauche im Bemühen um mehr Fachkräfte für Kliniken und Heime auch mehr qualifizierte Zuwanderung, was durch die Corona-Pandemie noch einmal mehr als deutlich geworden sei, sagte Franke: „Wir brauchen zusätzliche Pflegekräfte aus dem Ausland. So ehrlich muss man sein.“ Diese Initiative sei Teil „einer modernen Einwanderungspolitik, die immer auch Migrationspolitik ist“.

„Ethisch, fair und transparent“

Das staatliche und geschützte Gütesiegel „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ wurde im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums unter dem Dach des KDA entwickelt. Es zeichne private Vermittlungsagenturen und Arbeitgeber aus, die den Prozess der Anwerbung ethisch, fair und transparent gestalten, erklärte der Vorsitzende der „Gütegemeinschaft Anwerbung und Vermittlung von Pflegekräften aus dem Ausland“ im KDA, Helmut Kneppe, die für die Lizenzierung zuständig ist. Insgesamt würden 19 Kriterien und 56 Indikatoren vorgegeben und überprüft, bevor das Siegel vergeben werde. „Damit geben wir auch Arbeitgebern eine Entscheidungshilfe bei der Auswahl einer Vermittlungsagentur“, sagte Kneppe.

„Das Gütesiegel ist nur ein kleines Rädchen im großen Räderwerk der Pflegestrukturen. Aber es ist notwendig, um den Bedarf an Fachkräften zu sichern und eine faire Anwerbung verbindlich zu machen“, betonte Kneppe. Das Verfahren stelle sicher, dass durch Anwerbung in den Heimatländern keine Fachkräfte verloren gehen, die dort selbst dringend gebraucht werden. Denn alle internationalen Verträge und Standards zur Anwerbung würden strikt eingehalten.

Laut KDA erfolgt die gezielte Anwerbung von Gesundheitsfachkräften derzeit vor allem in Bosnien, Herzegowina, auf den Philippinen, in Tunesien, Mexiko, Brasilien, El Salvador sowie in Vietnam.

Orientierung für Fachkräfte und Unternehmen

Jenny Wortha, stellvertretende Pflegedirektorin der Berliner Charité, die auch das Siegel trägt, betonte, in den vergangenen Jahren habe sich die Anwerbung von Fachkräften internationalisiert. War es bis vor zehn Jahren üblich, in EU-Staaten nach Personal zu suchen, erfolge das jetzt auch in Drittstaaten. Die Folge: Die Verfahren würden deutlich aufwendiger, vor allem die Anerkennung der Berufsabschlüsse sei komplexer geworden. Viele Sozialträger können das laut Wortha nicht mehr allein bewältigen und nutzten vermehrt die Dienste von Vermittlungsagenturen. Doch die seinen „in einem lukrativen Markt“ längst nicht alle auf seriösen Wegen unterwegs. Deshalb sei es wichtig, mit dem Gütesiegel die Spreu vom Weizen zu trennen.

Die Herausgabe des Gütesiegels „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ ist im Gesetz zur Sicherung der Qualität der Gewinnung von Pflegekräften aus dem Ausland geregelt, das am 1. Juli 2021 in Kraft trat. Inhaber des Gütesiegels ist das Bundesgesundheitsministerium, das die Vergabe an das KDA delegiert hat.

Dirk Baas


Armut

Knast für Schwarzfahrer ist "teuer und entwürdigend"




Straßenbahnhaltestelle
epd-bild/Steffen Schellhorn
Wer mehrfach ohne gültigen Fahrschein fährt und die dann folgende Geldstrafe nicht bezahlen kann, dem droht eine Ersatzfreiheitsstrafe. Wegen Schwarzfahrens in den Knast? Eine Initiative will das nicht länger hinnehmen - und kauft Betroffene frei.

München/Berlin (epd). Menschen mit wenig Geld können sich oft keine Fahrkarte für Bus oder Bahn leisten. Werden sie wiederholt beim Schwarzfahren erwischt, droht ihnen Gefängnis. Denn auch für eine Geldstrafe fehlen meistens die finanziellen Mittel. Der Berliner Politologe Arne Semsrott will ihnen helfen. Anfang Dezember hat er die Initiative „Freiheitsfonds“ gegründet, die seither 141 Schwarzfahrer freigekauft hat.

Ungerechtes System

„Niemand soll den Knast von innen sehen müssen, nur weil er wiederholt schwarzgefahren ist“, findet Semsrott. Das sei entwürdigend und diskriminierend. Und es verursache Leid. Der Gründer von „Frag den Staat“, einem Portal für Informationsfreiheit, sagt, dass die Ersatzfreiheitsstrafe schon dazu geführt habe, dass Kinder aus ihrer Familie genommen wurden. Auch kenne er Partnerinnen von Schwarzfahrern, die verzweifelt seien, weil die Polizei deshalb zu Hause vorfuhr.

Ein Autofahrer muss wegen nicht bezahlter Falschparker-Knöllchen nicht ins Gefängnis. Denn Parken ohne Parkschein ist nur ein Bußgeldtatbestand. Das zeigt für Semsrott, wie ungerecht das bestehende System ist. Denn Autofahrer seien finanziell eher bessergestellt, Schwarzfahrer hingegen oft die Ärmsten der Armen. 152.000 Euro hat seine Initiative bisher in „Freikäufe“ investiert: „Damit haben wir 11.000 Hafttage vermieden und dem Staat rund 1,5 Millionen Euro gespart.“ Im Schnitt kostet ein Hafttag der Statistik zufolge nämlich 150 Euro.

Semsrott will Schwarzfahrern aber nicht nur aus ihren Schwierigkeiten heraushelfen: „Im Idealfall können wir uns als Initiative bald abschaffen, weil das Schwarzfahren entkriminalisiert wurde.“ Eben darauf wirkt der „Freiheitsfonds“ jenseits der Freikäufe durch seine Öffentlichkeitsarbeit hin. Inzwischen gibt es Semsrott zufolge viele Mut machende Vorstöße zu gesetzlichen Reformen in ganz Deutschland.

„Die Spirale dreht sich immer höher“

Einen Knastaufenthalt vermeidet, wer in der Lage ist, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Doch dazu seien viele notorische Schwarzfahrer beispielsweise wegen psychischer Probleme nicht imstande. Jedenfalls gibt es Belege dafür, dass die Betreffenden häufig nicht nur langzeitarbeitslos und arm, sondern auch durch seelische Leiden beeinträchtigt sind. Wünschenswert wären laut Semsrott verlässliche Daten. Doch die gebe es nicht, sondern lediglich punktuelle Analysen, erläutert er.

Mobilität ist für Arne Semsrott ein Grundrecht. Mehr noch: Viele Menschen haben überhaupt keine Wahl, sie müssen in den Bus, die U-Bahn oder Tram steigen, um zu bestimmten Orten zu gelangen. „Es gibt Personen, die - weil sie straffällig geworden sind - zur Auflage bekamen, regelmäßig eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen“, schildert er. Oft bleibe den Betroffenen für den Weg dorthin nur der Bus. Wodurch sie sich oft neuerlich strafbar machen: „So dreht sich die Spirale immer weiter.“

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will das deutsche Strafrecht systematisch überprüfen. Dem „Spiegel“ sagte Buschmann, er wolle „mit einer “Modernisierung des Strafrechts für eine Entlastung der Justiz" sorgen. Schwarzfahren könnte also von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden.

Im bayerischen Justizministerium lehnt man dagegen die Entkriminalisierung der „Beförderungserschleichung“ ab. Die Strafbarkeit sei nicht nur nötig, um das Vermögen der Verkehrsbetriebe, sondern auch um „die Mehrheit der ehrlichen Kunden“ zu schützen, sagt Ministeriumssprecher Michael Bieber. Die Einbußen durch Schwarzfahrer würden in den Fahrpreis einkalkuliert. Je mehr Menschen ohne zu zahlen in den Bus oder die Tram steigen, desto teurer würden die Fahrscheine für jene, die brav ihr Ticket lösen.

Oft erwerbsunfähig

In Bayern sei bereits viel getan worden, um Gefängnisaufenthalte zu vermeiden, betont Bieber. Mit „Schwitzen statt Sitzen“ räume man Verurteilten seit mehr als 30 Jahren die Möglichkeit ein, die Haft mit gemeinnütziger Arbeit abzuwenden. Seit 2019 gebe es zudem das Projekt „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen“. Dabei lassen sich externe Träger den Anspruch etwa auf Hartz IV zum Teil abtreten und übernehmen das Abstottern der Geldstrafe.

Durch „Geldverwaltung statt Vollstreckung“ sowie „Schwitzen statt Sitzen“ konnten allein 2020 knapp 41.000 Hafttage vermieden werden. Bieber: „Auch über die beiden genannten Projekt hinaus prüfen die Vollstreckungsbehörden jeweils im Einzelfall, wie Ersatzfreiheitstrafen möglichst nicht angeordnet oder vollstreckt werden müssen.“

Pat Christ


Bundesregierung

Heizkostenzuschuss beschlossen




Heizkörper mit Thermostat
epd-bild/Heike Lyding
Wenn die Nachzahlungen kommen für das Heizen im vergangenen Jahr, sollen Haushalte mit geringen Einkünften einen einmaligen Zuschuss vom Staat erhalten. Damit will die Regierung die stark steigenden Belastungen durch hohe Energiekosten mindern.

Berlin (epd). Der Heizkostenzuschuss für Geringverdiener soll im Juni kommen. Das Bundeskabinett beschloss am 2. Februar in Berlin einmalige Zahlungen an Wohngeldbezieher und Bafög-Empfängerinnen und -empfänger. Damit sollen die finanziellen Belastungen durch die deutliche Verteuerung von Heizöl, Gas und Fernwärme abgemildert werden. Der Gesetzentwurf muss nun in den Bundestag eingebracht und vom Parlament verabschiedet werden. Die Opposition und Sozialverbände übten Kritik.

Eine erste schnelle Hilfe

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) sagte, Rentnerinnen und Rentner, Alleinerziehende oder Menschen mit wenig Einkommen könnten die steigenden Energiepreise nicht einfach wegstecken. Der Zuschuss sei eine erste schnelle Hilfe. Im nächsten Schritt werde man den CO2-Preis zwischen Vermietern und Mietern aufteilen, der gegenwärtig allein Mieterinnen und Mieter belastet.

Ein-Personen-Haushalte sollen einen Zuschuss von 135 Euro und Zwei-Personen-Haushalte 175 Euro bekommen. Für jede weitere Person im Haushalt soll es 35 Euro geben. Bafög-Bezieher erhalten eine Pauschale von 115 Euro. Hartz-IV-Haushalte bekommen die Hilfe nicht, da für sie die Heizkosten mit den Kosten der Unterkunft übernommen werden.

Profitieren werden dem Bundesbauministerium zufolge rund 710.000 Haushalte, die Wohngeld beziehen und rund 485.000 Bafög-Empfänger, insgesamt rund 2,1 Millionen Menschen. Das Geld soll ab Juni ausgezahlt werden, wenn die Betriebskostenabrechnungen kommen und Nachzahlungen anfallen. Die Bafög-Bezieher müssen den Heizkostenzuschuss beantragen, alle anderen erhalten ihn automatisch.

Akzeptanz der Energiewende

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Steffen Bilger (CDU), sagte, viele Millionen Normalverdiener, Familien oder der Mittelstand hätten von dem Zuschuss nichts, obwohl auch sie unter den hohen Energiekosten litten. Es sei höchste Zeit für ein Gesamtkonzept, damit die Akzeptanz der Energiewende, die auch von der Union unterstützt werde, nicht durch ausufernde Kosten untergraben werde, erklärte Bilger.

Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali, forderte mindestens 500 statt 135 Euro pro Haushalt und verwies darauf, dass auch Gewerkschaften und Sozialverbände weitere Entlastungen verlangen. Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, sagte im Inforadio des rbb, es gebe viele Haushalte, die kein Wohngeld beantragt oder keinen Anspruch hätten, weil sie mit ihren Einkünften knapp über der Grenze lägen. Auch ihnen müsse geholfen werden. Außerdem sei der Zuschuss zu niedrig.

Ähnlich äußerte sich der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Private Haushalte müssten allein für den Zeitraum September bis Dezember 2021 Preissteigerungen bei Öl und Gas von 50 bis 99 Prozent hinnehmen, sagte er. Der erhöhte CO2-Preis und die bereits erfolgten Preiserhöhungen für 2022 seien da noch nicht einberechnet.

Dem Statistischen Bundesamt zufolge geben die ärmsten Haushalte 9,5 Prozent ihrer Einkünfte für Energiekosten aus und damit anteilig doppelt so viel wie die einkommensstärksten Haushalte.

Bettina Markmeyer


Armut

Interview

Linken-Kandidat Trabert: "Die meisten Armen haben resigniert"




Gerhard Trabert
epd-bild/Kristina Schäfer
Der Sozialmediziner Gerhard Trabert kritisiert, dass zu wenig gegen die Armut in Deutschland getan werde. "Vielen Politikern ist die Dimension des Problems nicht bewusst", sagt er im Interview. Mit dem Präsidentschaftskandidaten der Linken für die Wahl am 13. Februar sprach Karsten Packeiser.

Mainz (epd). Der Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert kümmert sich seit mehr als 25 Jahren um Menschen am Rande der Gesellschaft. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) berichtet er, wieso Armut ein immer größeres Problem wird und was sich für ihn geändert hat, seit ihn die Linke als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten nominiert hat. Trabert ist Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden.

epd sozial: Herr Trabert, Deutschland wendet jedes Jahr riesige und ständig wachsende Summen für Sozialausgaben auf. Trotzdem haben viele den Eindruck, dass die Schere zwischen arm und reich immer größer wird. Woran liegt das?

Gerhard Trabert: Ich denke und vieles spricht dafür, dass Armut nicht wirklich bekämpft, sondern Reichtum stabilisiert wird. Solange in dieser Gesellschaft zum Beispiel der Familienstatus ein Risikofaktor für Armut ist, läuft etwas grundlegend falsch. Hier muss es eine intensive, differenzierte Form der Unterstützung geben. 40 Prozent der Alleinerziehenden und 30 Prozent der Paarhaushalte mit drei und mehr Kindern sind von Armut betroffen. Wir wissen, dass die Altersarmut stärker zunimmt als Armut insgesamt, und davon sind besonders Frauen betroffen. Noch immer bekommen Frauen für dieselbe Arbeit 18 Prozent weniger Lohn als Männer. Frauen leisten in der Care-Arbeit für Kindererziehung, bei der Betreuung von Angehörigen und der Pflege so viel, ohne dass daraus Rentenansprüche entstehen. Wir haben immer noch keine Bildungsgerechtigkeit. Es wird von der OECD immer wieder bemängelt, dass die Bildungskarriere in Deutschland so sehr wie in fast keinem europäischen Land vom Sozialstatus der Eltern abhängt. Da wird Armut quasi vererbt.

epd: Der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gilt als einer der Architekten von Gerhard Schröders „Agenda 2010“. Wie lautet Ihr Fazit der „Agenda-Maßnahmen“?

Trabert: Diese Reform hat das Land mehr gespalten. Es sind hierdurch mehr Menschen in prekäre Situationen, in Einkommensarmut geraten und die Kinderarmut hat auch zugenommen. Im europäischen Vergleich ist Deutschland inzwischen beim Niedriglohnsektor führend - im negativen Sinne. Was ich zudem als fatal empfinde, ist dieser Slogan vom „Fördern und Fordern“. Da wird immer unterschwellig suggeriert, die Leute seien faul. Meine Erfahrung mit Menschen am Rande der Gesellschaft ist eine andere: Sie wollen arbeiten, sie wollen fair entlohnt werden, und sie wollen eine sinnvolle Tätigkeit. Wenn sie das Gefühl haben, sie stecken in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die keinen Sinn macht, sind sie vielleicht nicht so motiviert. Das wäre ich auch nicht.

epd: Werden aus Ihrer Sicht arme Menschen von der Politik vertreten?

Trabert: Nein, ich finde, dass es so gut wie keine Lobby gibt für Menschen, die von Armut betroffen sind. Die Nationale Armutskonferenz, die Wohlfahrtsverbände und auch Betroffeneninitiativen melden sich immer wieder ganz klar zu Wort, aber im politischen Alltag wird das nicht gehört. Eine Erklärung sehe ich in der großen Ferne vieler politisch Aktiver von der Lebenswirklichkeit der von Armut Betroffenen. Ich habe den Eindruck, dass vielen Politikern die Dimension des Problems in unserer Gesellschaft nicht bewusst ist.

epd: Was meinen Sie damit?

Trabert: Viele glauben, dass es sich ja nur um „relative Armut“ handele, dass sich eben nicht alle eine Urlaubsreise oder das neueste Smartphone leisten können. Aber Menschen in prekären sozialen Verhältnissen sind im Schnitt 14 Jahre früher von chronischen Erkrankungen betroffen. Ein von Armut betroffener Mann hat die mittlere Lebenserwartung eines Nordafrikaners, 30 Prozent erreichen nicht einmal das 65. Lebensjahr. Wir kennen Studien, denen zufolge langzeitarbeitslose Männer eine 20-fache höhere Suizidquote haben als Erwerbstätige. Die Auswirkungen von Armut müssen doch ein politisches Querschnittsthema sein.

epd: Haben arme Menschen überhaupt noch die Hoffnung, dass sich für sie etwas verbessern könnte?

Trabert: Mein Eindruck ist, dass die meisten resigniert haben. Sie glauben nicht mehr, dass sie von der Politik ernst genommen werden. Als ich 2021 für den Bundestag kandidierte, habe ich von vielen wohnungslosen Menschen gehört: „Doc, ich war jetzt das erste Mal im Leben wählen“. Das war für mich das Wichtigste an meinem Wahlkampf. Wir müssen die Menschen, die ausgegrenzt werden, wieder für das Modell unserer Demokratie gewinnen. Denn es gibt eine Chance, mitzubestimmen.

epd: Glauben Sie, dass ein „Anwalt der Armen“ wie Sie auch in höheren Staatsämtern diese Rolle weiter glaubhaft ausfüllen könnte? Würde da nicht automatisch eine Distanz entstehen?

Trabert: Diese Gefahr besteht mit Sicherheit. Aber ich würde versuchen, auch weiter zumindest alle paar Wochen mit dem Arztmobil zu fahren. Auf jeden Fall würde ich als Bundespräsident auch mit einer Hilfsorganisation aufs Mittelmeer fahren, um Menschen zu retten, die in Gefahr sind. Ich würde versuchen, den Dialog mit Betroffenen zu institutionalisieren.

epd: Als Arzt weisen Sie regelmäßig auf den Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit hin. Wie empfinden Sie die Haltung Ihrer Berufskollegen zu dem Thema?

Trabert: Das ist ganz unterschiedlich. In jüngster Zeit habe ich das Gefühl, dass gerade unter den Studierenden viele mein Selbstverständnis von Medizin teilen. Und im vergangenen Jahr ist etwas Wichtiges passiert: Das Thema soziale Ausgrenzung und Armut wurde in den Prüfungskatalog aufgenommen. Das finde ich unheimlich wichtig. Machen wir uns nichts vor, im Studium beschäftigt man sich mehr mit den Themen, die auch geprüft werden. Aber es gibt auch eine andere Fraktion in der Ärzteschaft. Als ich kritisiert habe, dass Ärzte für das Impfen zu viel Geld bekommen, hieß es schnell, ich sei ein Nestbeschmutzer. Mein soziales Engagement sei ja ganz gut, aber aus Honorardiskussionen solle ich mich bitte heraushalten.

epd: Für Ihre Arbeit mit Wohnungslosen oder Menschen ohne Krankenversicherung haben Sie in der Vergangenheit fast ausnahmslos Lob und Ehrungen erhalten. Nun erscheint es so, dass Sie mehr Gegenwind erfahren, seit Sie sich auch mit Politik beschäftigen. Was macht das mit Ihnen?

Trabert: Ich betone ja immer, dass ich parteilos bin. Trotzdem hat es Konsequenzen, wenn man von den Linken vorgeschlagen wird oder sich als Parteiloser für die Linken um ein Direktmandat bewirbt. Ich stehe mit Überzeugung für eine Umverteilung von oben nach unten. Bestimmte gesellschaftliche Kreise sagen mir ganz klar: Jetzt, wo du für die „Kommunisten“ auftrittst, können wir dich nicht mehr unterstützen. Für die bin ich jetzt nicht mehr nur der liebe, gute Doktor, der Wohnungslose versorgt, sondern einer, der unser politisches System und unser Verteilungssystem infrage stellt.

epd: Und es gab Aufregung über eine Äußerung von Ihnen ...

Trabert: Ich habe davon gesprochen, dass in Deutschland einst auch das Wegschauen dazu führte, dass aus einer Demokratie eine Diktatur entstand, die mit unvergleichlichen Morden an jüdischen Mitbürgern, Sinti, Roma, körperlich oder geistig behinderten und wohnungslosen Menschen endete. Da wurde mir von bestimmten Medien unterstellt, dass ich Opfer von damals mit ausgegrenzten Menschen von heute gleichsetze - dies habe ich niemals getan und nie gesagt. Ich muss mich jetzt mit Angriffen auseinandersetzen, die nichts mehr mit einem fairen Diskurs zu tun haben.



Pflege

Richtlinien für Bezahlung von Pflegekräften in Tarifhöhe in Kraft



Berlin (epd). Der noch von der alten Bundesregierung gefasste Beschluss, dass ab 1. September 2022 nur noch Pflegeeinrichtungen zur Versorgung zugelassen werden, die ihre Pflege- und Betreuungskräfte mindestens in Tarifhöhe bezahlen, wird konkreter. Das Bundesgesundheits- und das Bundesarbeitsministerium haben dafür die vom GKV-Spitzenverband vorgelegten Richtlinien für eine tarifliche Entlohnung in Einrichtungen der Langzeitpflege genehmigt, wie die beiden Ministerien und die GKV am 28. Januar in Berlin mitteilten.

Die Richtlinien legen fest, wie Pflegeeinrichtungen die ab September geltenden Zulassungsvoraussetzungen bei der Entlohnung von Pflege- und Betreuungskräften erfüllen können. „Sie sind damit ein wesentlicher Pfeiler für das Ziel der Bundesregierung einer angemessenen Bezahlung in der Pflege“, erklärte das Gesundheitsministerium. Nach dem im Juli vergangenen Jahres verabschiedeten Gesetz können nur Einrichtungen in der Langzeitpflege, die ihre Pflege- und Betreuungskräfte mindestens in Tarifhöhe bezahlen, mit der Pflegeversicherung abrechnen.

Pragmatisches Verfahren

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte: „Tarifverträge sind künftig die Leitplanken für angemessene Entlohnung in der Altenpflege. Mit der Bezahlung nach Tariflohn setzen wir eine Aufwärtsspirale bei den Löhnen in der Pflege in Gang.“ Gernot Kiefer, stellvertretender Vorsitzender des GKV-Spitzenverbands, erklärte, mit den vorliegenden Richtlinien erhielten Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen einen Handlungsrahmen zur partnerschaftlichen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben.

Als nächsten Schritt wollen die Landesverbände der Pflegekassen zur Orientierung für die Pflegeeinrichtungen eine Übersicht veröffentlichen, welche in der Pflege regional anwendbaren Tarifverträge und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen nach Paragraf 82c Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) XI bei den Pflegevergütungsverhandlungen nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden können. Die Veröffentlichung soll bis spätestens 15. Februar 2022 erfolgen. Eine Entlohnung, die darüber hinaus geht, wird dann als wirtschaftlich anerkannt, wenn es für sie einen sachlichen Grund gibt.

Bis zum 28. Februar müssen die Pflegeeinrichtungen den Landesverbänden der Pflegekassen melden, für welche der genannten Möglichkeiten sie sich zur Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen entscheiden. Um den Einrichtungen genügend Zeit für die Umsetzung der neuen Regelungen zu geben, soll auch für nach dem 28. Februar eingehende Meldungen ein pragmatisches Verfahren etabliert werden, wie es in der Mitteilung der Bundesregierung weiter heißt.



Pflege

Experte fordert mehr Schutz vor Gewalt in der Pflege




Ralf Suhr
epd-bild/Laurence Chaperon

Berlin (epd). Um pflegebedürftige Menschen besser vor Gewalt zu schützen, fordert der Pflegeexperte Ralf Suhr eine bundesweite Allianz zur Gewaltprävention. „Diese muss politisch initiiert, gestützt und finanziert werden“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Initiative solle etwa konkrete Konzepte zur Umsetzung von Präventionsmaßnahmen erarbeiten sowie Aufgaben und Verantwortlichkeiten vereinbaren.

Wie häufig pflegebedürftige Menschen Opfer von Gewalt würden, sei wissenschaftlich kaum genau zu ergründen. Es handle sich um ein „vielschichtiges Dunkelfeld“, in dem Forschung an ihre Grenzen stoße, sagte Suhr. Doch Gewalt gegenüber pflegebedürftigen Menschen - ob von Pflegekräften, pflegenden Angehörigen oder Mitbewohnern in Pflegeheimen ausgehend - komme nicht nur ausnahmsweise vor.

„Gewalt hat viele Gesichter“

Das zeige sich einerseits in Pflegeheimen. So habe eine Umfrage der Stiftung unter Pflegedienstleitungen und Qualitätsbeauftragten ergeben, dass 47 Prozent von ihnen Konflikte, Aggression und Gewalt als eine besondere Herausforderung für Pflegeeinrichtungen sähen. Ähnliches berichtete Suhr auch von der häuslichen Pflege. In einer anderen Studie der Stiftung hätten 40 Prozent der pflegenden Angehörigen angegeben, Gewalt gegenüber dem Pflegebedürftigen angewandt zu haben.

„Gewalt in der Pflege fängt nicht erst beim Schlagen an. Sie hat viele Gesichter“, betonte Suhr. Als Gewalt würden unter anderem psychische Misshandlung, körperliche Angriffe, pflegerische Vernachlässigung, Freiheitsentzug, finanzielle Ausbeutung sowie sexualisierte Gewalt gelten. Alle Gewaltformen könnten die psychische oder physische Gesundheit der Betroffenen schädigen und im schlimmsten Fall bis zum Tod führen. „Darum ist Gewalt in der Pflege prinzipiell inakzeptabel und mit guter Pflege nicht vereinbar“, sagte Suhr.

„Arbeitsalltag reflektieren“

Um Gewalt in der Pflege entgegenzuwirken, brauche es auf gesellschaftlicher Ebene vor allem Aufklärung. Auch die Beratung und wirksame Unterstützung pflegender Angehöriger sei von zentraler Bedeutung, sagte der Experte.

In der professionellen Pflege plädierte Suhr für regelmäßige Schulungen und Fortbildungen. Gleichzeitig brauche es in den Organisationen eine Kultur, „in denen Mitarbeiter den Arbeitsalltag reflektieren, kritische Vorgänge offen ansprechen und verbessern können“, forderte er. „Engagierte Pflegende und Leitungskräfte, die sich für Gewaltprävention einsetzen, dürfen nicht als Nestbeschmutzer behandelt werden, sie sollten gefördert werden.“

Lynn Osselmann



sozial-Branche

Gesundheit

Fehlzeiten im Job: Mehr Depressionen, weniger Erkältungen




Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Medikamente
epd-bild/Norbert Neetz
Durch die Pandemie-Maßnahmen sind Berufstätige in Deutschland seltener krank, melden die Krankenkassen. Der Krankenstand aufgrund von Erkältungen ist so niedrig wie nie. Dafür erreichen Fehlzeiten wegen Depressionen einen neuen Höchststand.

Hamburg (epd). Die Berufstätigen in Deutschland sind 2021 Krankenkassen-Daten zufolge deutlich weniger krank gewesen als vor der Pandemie. Der Krankenstand bei den 5,5 Millionen Versicherten der Techniker Krankenkasse (TK) war 2021 mit 3,97 Prozent so niedrig wie seit acht Jahren nicht mehr, wie die TK am 31. Januar in Hamburg mitteilte. Das sei nochmal ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum ersten Corona-Jahr 2020 mit einem Krankenstand von 4,13 Prozent. „Hauptgrund sind deutlich weniger Krankmeldungen aufgrund von Erkältungskrankheiten“, sagte der TK-Vorstandsvorsitzende Jens Baas. Psychische Krankheiten nahmen dafür mit 21,8 Prozent den Spitzenplatz ein. Die DAK warnt Beschäftigte davor, im Homeoffice über ihre Grenzen zu gehen.

Strenge Hygienemaßnahmen

Auch bei den rund 2,4 Millionen erwerbstätigen DAK-Versicherten sank der Krankenstand mit 4,0 Prozent um 0,1 Punkte gegenüber 2019 vor der Pandemie. Erkältungen verursachten ein Drittel weniger Arbeitsausfall als noch 2019. Grund dafür seien die strengen Hygienemaßnahmen während der Pandemie, hieß es.

Bestätigte Corona-Infektionen spielten 2021 mit rund 19 Fehltagen je 100 Versicherte bei der DAK nur eine geringe Rolle. Mit gut 37.625 Krankschreibungen gab es bei der TK jedoch eine deutliche Zunahme bei den Fehltagen aufgrund einer Covid-19-Diagnose. Im Jahr zuvor waren es noch 26.833 gewesen.

Nicht ganz so positiv entwickelte sich im vergangenen Jahr der Krankenstand bei den AOK-Mitgliedern. Im Jahr 2021 waren hier bis einschließlich April im Vergleich zu den beiden Vorjahren ein unterdurchschnittlicher Krankenstand zu beobachten. Allerdings zeigen die AOK-Zahlen, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) exklusiv vorliegen, dass seit Juni 2021 der monatliche Krankenstand gleich hoch oder über dem Krankenstand der beiden vorangegangenen Jahre liegt. Der Krankenstand bewegt sich 2021 zwischen 4,7 Prozent im August und 6,6 Prozent im November, die Zahlen für Dezember liegen noch nicht vor. Bei der AOK sind nach Angaben der Kasse etwa 27 Millionen Menschen versichert - fast ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland.

Starker Anstieg bei Erzieherinnen

Bei den psychischen Erkrankungen verzeichnet die DAK-Analyse mit 276 Fehltagen je 100 Versicherte ein Rekordhoch. Allein Depressionen verursachten davon 108 Tage. „In der Corona-Pandemie fühlen sich viele Menschen gestresst und stehen unter Anspannung“, sagte der DAK-Vorstandsvorsitzende Andreas Storm. Besorgniserregend sei, dass Depressionen bei vielen Menschen in der Pandemie länger andauern. Beschäftigte mit dieser Diagnose fallen im Durchschnitt für 61 Tage aus. „Wir sehen strukturelle Änderungen im Krankenstand, die auch ein Signal an die Arbeitgeber sind, sich darauf einzustellen“, sagte der DAK-Vorstandsvorsitzende Andreas Storm.

Die meisten Fehltage gab es bei DAK-Versicherten wegen Rückenschmerzen und anderer Muskel-Skelett-Probleme. Mehr als ein Fünftel des Arbeitsausfalls ließ sich damit begründen. Den stärksten Anstieg hatten Erzieherinnen und Erzieher (plus 13 Prozent). Auch beim Klinikpersonal (plus 7 Prozent) und in der Altenpflege (plus 5 Prozent) gingen die Fehltage wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen weiter hoch.

Branchen mit Möglichkeiten für Homeoffice und digitales Arbeiten hatten 2021 laut DAK weniger Fehlzeiten als andere. Die Analyse zeigt für die Datenverarbeitungsbranche sowie für Banken und Versicherungen jeweils einen unterdurchschnittlichen Krankenstand von 2,3 beziehungsweise 2,9 Prozent. Diese Branchen hätten traditionell einen niedrigeren Krankenstand, doch der Abstand zum Durchschnitt sei unter Pandemie-Bedingungen besonders deutlich geworden, hieß es.

Risiko einer Über- und Fehlbelastung

Die DAK vermutet allerdings, dass Krankmeldungen auch deshalb unterbleiben, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Homeoffice trotz Erkrankung wenigstens für ein paar Stunden arbeiten. „Wir haben dazu aber keine Zahlen“, teilte die DAK mit und warnt: „Wenn Beschäftigte im Homeoffice regelmäßig über ihre Grenzen gehen, besteht langfristig das Risiko einer Über- und Fehlbelastung.“

Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sagte dem epd: „Neben der sinnvollen Eindämmung des Infektionsgeschehens in Zeiten der Pandemie hat Homeoffice auch Schattenseiten.“ Wie der DGB-Index „Gute Arbeit 2021“ zeige, habe sich für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Arbeitsbelastung im Homeoffice verschärft. „Der Höchststand von psychischen Erkrankungen im DAK-Report ist ein deutliches Warnzeichen“, sagte Piel.

Bereitschaft zur Selbstausbeutung

Die Ausweitung von Homeoffice und flexibleren Arbeitszeiten dürften nicht dazu führen, dass Beschäftigte krank arbeiten, ihre Krankheit verschleppen und dann länger oder sogar im schlimmsten Fall chronisch erkranken. Die Bereitschaft zur Selbstausbeutung und die Gefahr von entgrenztem Arbeiten seien im Homeoffice nachweislich deutlich höher und schadeten vielfach der Gesundheit der Beschäftigten. Die DGB-Vorständin forderte deshalb für das Arbeiten im Homeoffice „klare Regeln für Arbeitszeiterfassung sowie für den Gesundheits- und Arbeitsschutz“.

Grundsätzlich unterschätzen die Fehlzeiten-Statistiken der Krankenkassen insgesamt die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage (AU). „Denn die Statistik zeigt nur die AU-Tage an, für die die Beschäftigten eine Krankmeldung beim Arbeitgeber und ihrer Krankenkasse eingereicht haben. Da das bei vielen Unternehmen in den ersten Tagen nicht erforderlich ist, gehen insbesondere solche Kurzzeiterkrankungen nicht in die Statistik ein“, erläutert die DAK.

Die Tatsache, dass sich Beschäftigte seit Beginn der Pandemie vor zwei Jahren telefonisch und ohne persönliches Aufsuchen eines Arztes krankschreiben lassen können, hat laut Jochen Pimpertz, Forscher am Institut der deutschen Wirtschaft (IW, Köln), die Krankmeldungen insgesamt nicht in die Höhe getrieben. Er attestiert den Beschäftigten und den Ärztinnen und Ärzten „einen verantwortungsvollen Umgang mit dem neuen Verfahren“.

Nadine Heggen, Markus Jantzer


Jugend

Suizidprävention: Wenn jungen Menschen alles zu viel wird




Eine Jugendliche mit Suizidgedanken (gestelltes Foto)
epd-bild/Friedrich Stark
Für Jugendliche, die in einer tiefen Krise stecken und an Suizid denken, bietet die Caritas eine Online-Beratung an. Das Besondere daran: Hier werden sie von Gleichaltrigen beraten.

Freiburg (epd). Stephan (Name geändert) hat die Corona-Pandemie hart getroffen. „Kurz vor Ausbruch der Krise hat der 15-Jährige die Schule gewechselt. Dann musste er ins Homeschooling, ohne Chance, neue Kontakte zu knüpfen“, erzählt Lena, Peer-Beraterin im Suizidpräventionsprojekt „U25“ der Caritas in Freiburg. Stefan fühlte sich einsam und verlassen. Darum wandte er sich an die zum Projekt gehörende „Helpmail“ für Kinder und Jugendliche.

Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt ein Sprichwort. Doch es gibt Menschen, die niemanden haben, mit denen sie die eigenen Belastungen teilen können - wie Stefan.

Richtig verzweifelt

Allein im Homeschooling, wurde er nicht fertig mit all dem, was in seinem Leben vorgefallen war - etwa damit, dass er zu Hause viel geschlagen wurde. In seinen Mails an „U25“ gab der Teenager zu verstehen: Am liebsten würde er gar nicht mehr leben. „Er war richtig verzweifelt“, erzählt Lena, seine Mail-Beraterin bei der Caritas. An „U25“ wendeten sich junge Menschen ganz bewusst, weil sie von Menschen beraten werden wollen, die in einem ähnlichen Alter wie sie sind.

Das Caritas-Angebot gibt es an zehn Standorten in Deutschland. Auf die Idee, sich bei „U25“einzubringen, kam die 24-jährige Studentin durch ein Praktikum im „Arbeitskreis Leben“ der Freiburger Caritas. Dort entstand vor 20 Jahren die Idee für „U25“. Bundesweit sind rund 300 ehrenamtliche Peers engagiert. 1.500 junge Menschen suchten im Jahr 2020 bei der Initiative Hilfe. Im ersten Halbjahr 2021 waren es nach den Angaben 650.

Lena sagt, sie habe es mit jungen Leuten zu tun, von denen viele nicht auf Rosen gebettet sind. Und mit solchen, die materiell alles bekommen - bloß keine Liebe. Informationen über den sozialen Hintergrund erhalten die Peers allerdings nur zufällig. Systematisch erfasst wird das nicht, sagt Clara Nordfeld, die den „U25“-Standort in Freiburg leitet.

„Plötzlich hat er sich nicht mehr gemeldet“

Es gibt Mailwechsel, die Lena nach eigener Aussage ihr Leben lang nicht vergessen wird. Dazu gehört der Austausch mit dem verzweifelten Stefan. „Plötzlich hat er sich nicht mehr gemeldet“, erzählt die angehende Sozialarbeiterin. Sie wartete ein paar Tage, doch es kam keine Mail mehr. „Ich musste vom Schlimmsten ausgehen“, sagt die Studentin - und meint Suizid. Es bedrückte Lena, dass sie von Stefan nichts mehr gehört hat. Darüber habe sie mit Clara Nordfeld lange gesprochen: „Das hat mir sehr geholfen.“

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsbehörde WHO begehen jährlich weltweit mehr als 700.000 Menschen Suizid. In Deutschland nahmen sich im Jahr 2020 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mehr als 9.200 Menschen das Leben.

„'U25' ist ein ausgezeichnetes Beispiel für niedrigschwellige Suizidprävention“, sagt Hannah Müller-Pein vom Nationalen Suizidpräventionsprogramm. Das Konzept hole Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer eigenen Lebenswelt ab. Durch die Peers erfahren viele das bestehende Hilfesystem als positiv: „Dann gelingt bei Bedarf auch eher eine Weitervermittlung in andere professionelle Angebote.“

Bei „U25“ geht es nicht um Diagnosen, sondern in erster Linie darum, da zu sein für junge Menschen, die seelisch stark belastet sind. Sofern sie es für sinnvoll halten, fragen die Peers in ihren Mails auch nach, ob es einen Therapeuten oder Arzt vor Ort gibt, an den sich der oder die Jugendliche wenden könne.

Das Projekt sei auch deshalb so wichtig, weil es eben nicht in jeder Ortschaft eine Anlaufstelle für junge Menschen in Krisen gibt. Außerdem: Existiert in einer kleineren Stadt eine solche Hilfestelle, wird die nicht unbedingt aufgesucht. Nordfelds Erklärung: „Die Jugendlichen haben Angst haben, dass man sie beim Betreten erkennt.“

Pat Christ


Armut

Frank Zander: "Ich werde nicht erwachsen"




Frank Zander spendet regelmäßig an die Berliner Stadtmission.
epd-bild/Christian Ditsch
Musiker, Künstler und Ur-Berliner: Frank Zander organisiert seit 1995 mit seiner Familie jedes Jahr ein Weihnachtsfest für Obdachlose. Jetzt ist der Entertainer 80 Jahre alt geworden.

Berlin (epd). Für viele Menschen ist Frank Zander echtes Berliner Ur-Gestein. Einen wie ihn gebe es nicht noch einmal, sagen sie in Berlin. Sein Sohn und Manager Marcus Zander erklärt das so: „Die Menschen haben ganz unterschiedliche Erinnerungen an Frank: An den schwarzen Humor, an die Hertha-Hymne, an das persönliche Geburtstagslied, an seine Kunst und an sein Engagement für Obdachlose. Und alle Erinnerungen stimmen.“

Frank Zander kommt am 4. Februar 1942 in Berlin-Neukölln zur Welt, lernt den Beruf des Grafikers. Seine Musikkarriere startet er als Sänger und Gitarrist der Band, die sich später „Gloomys“ nennt. Seit er einmal mit einer Mandelentzündung auf Tour gegangen ist, statt sie zu Hause auszukurieren, ist sein Markenzeichen seine raue Stimme.

Der Durchbruch gelingt ihm 1974 mit dem Lied „Ur-Ur-Enkel von Frankenstein“. Frank Zander singt und rappt sich fortan unter Pseudonymen wie Fred Sonnenschein durch die deutsche Pop-Landschaft. Er moderiert im Fernsehen, etwa in der WDR-„Plattenküche“. Er arbeitet als Synchronsprecher wie in dem Film „Asterix, der Gallier“. 1990 nimmt er als Musiker eine neue Rolle an: Kurt, mit schwarzem Hut, Sonnenbrille und weißem Schal. Sein Hit heißt „Hier kommt Kurt“.

„Ich bin umtriebig“

Wenn man Frank Zander fragt, wo all das herkomme, sagt er: „Ich bin umtriebig“. Er sitze gerade in seiner eigenen Kneipe, erzählt er am Telefon. Die Küche der Nebenwohnung habe jemand für ihn umgebaut. In seiner Kneipe hängen Bilderrahmen mit Erinnerungen an die verschiedenen Stationen seines Lebens. „Ich bin der letzte der Mohikaner in meiner Branche. Wer so lange durchgehalten hat, hat einiges erlebt.“

Deutschlandweit bekannt ist auch sein Engagement für Menschen auf der Straße: Seit 1995 organisieren Frank Zander und seine Familie ein Weihnachtsfest für Obdachlose. Angefangen hat er im Schloss Diedersdorf mit 300 Gästen. Im Jahr 2019 waren es 3.000 obdachlose und bedürftige Gäste. Zander erinnert sich noch an das erste Fest: „Die Dankbarkeit war doch gewaltig.“ Die Menschen seien sehr herzlich. In den vergangenen zwei Jahren konnte das Obdachlosenfest wegen der Corona-Pandemie nicht in der üblichen Form stattfinden. Stattdessen servierte Zander Gänsebraten aus einem Foodtruck.

Die Feier gehe auf die Idee seiner Plattenfirma zurück, so wie Bruce Springsteen in den USA die neue CD vor armen Menschen vorzustellen. Ihm habe das nicht behagt, erzählt Frank Zander. „Das war eine ganz blöde Idee, auf dem Rücken von armen Menschen Werbung für eine CD zu machen“, erinnert sich auch Marcus Zander. So hätten sie die dann Feier ganz ohne CD-Werbung veranstaltet.

Diakonie unterstützt soziale Arbeit

Unterstützung bekommt Zander bei seinem Engagement vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, das die Spenden für das Event verwaltet. Die ehemalige Diakoniedirektorin Susanne Kahl-Passoth hat viele Jahre mit anderen Prominenten bei Zanders Obdachlosenfest die Gänsekeulen serviert. Sie erinnert sich: „Wenn die Gäste ankommen, steht Frank Zander am Eingang und begrüßt jeden persönlich. Er lässt sich umarmen. Dieser persönliche Bezug ist beeindruckend.“

Und Dieter Puhl, ehemaliger Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, sagt: „Frank Zander ist der beste Öffentlichkeitsarbeiter für das Thema Obdachlose.“ Vor 25 Jahren habe keiner das Thema und die Betroffenen sehen wollen. Damals hätten die Leute noch von „Pennern“ gesprochen und davon, dass in Deutschland niemand obdachlos sein müsste. Das habe sich geändert. „Das ist eine Pionierleistung von Frank Zander“, sagt Puhl, der seit 29 Jahren in der Obdachlosenhilfe arbeitet.

2002 gab es das Bundesverdienstkreuz

2002 bekommt Zander vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau das Bundesverdienstkreuz verliehen. Zander erinnert sich: „Dieser Orden, das Bundesverdienstkreuz, das hat mich überrascht.“ Seit dem Moment hätten ihn die Leute ernst genommen mit seinem Engagement für Obdachlose.

Marcus Zander sagt: „Was die meisten Menschen nicht wissen, ist, dass mein Vater Maler und Grafiker ist. Er malt viel und ist damit sehr erfolgreich.“ Und so malt Frank Zander „seine Fische“, wie er sagt. Das bereite ihm Freude und bringe Geld.

Zum 80. Geburtstag hat sich Frank Zander Gesundheit für seine Familie gewünscht und dass er noch lange weitermachen könne. „Ich habe immer das Gefühl, ich werde nicht erwachsen“, sagt er. Ein Wunsch fällt ihm dann doch noch ein: „Das Sparschwein für die nächste Feier steht bereit.“ Wer möchte, könne gerne für das Weihnachtsfest der Obdachlosen spenden.

Lena Högemann


Armut

Mit "Housing First" raus aus dem Teufelskreis




Max Hopperdietzel
epd-bild/Valeska Rehm
Das Konzept stammt aus den USA: "Housing First" steht für einen Paradigmenwechsel in der Obdachlosenhilfe. Die These: Gestrandete Menschen können erst einen Neuanfang machen, wenn sie eine eigene Wohnung haben.

Nürnberg (epd). Zu einem Interview war Stefan Rosenzweig sofort bereit. Schließlich müsse die Idee von „Housing First“ möglichst weit verbreitet werden. Im Oktober 2020 bekam er über Housing First eine eigene Wohnung. Der gelernte Schreiner lebte bis dahin in Pensionen, übernachtete bei Freunden oder auch mal eine Nacht im Wald.

Auf der Straße clean werden

Die Grundidee ist denkbar einfach: Ein Mensch, der den größten Teil der Zeit auf der Straße lebt oder in Notschlafstellen unterkommt, braucht, bevor er wieder Arbeit finden und ein geregeltes neues Leben beginnen kann, vor allem eines: eine eigene Wohnung. Erst dann werden weitere soziale Hilfen, Beratungen und nötige Betreuung angeboten - auf freiwilliger Basis.

Die Koordination von Housing First in Nürnberg übernimmt der Sozialpädagoge Max Hopperdietzel. Die Idee habe ihren Ursprung im New York der 1990er Jahre, erzählt er. Der Gedanke verbreitete sich Anfang der 2000er in Kanada und schließlich auch in Europa, wo Finnland in der Anwendung führend ist.

Lange sei es in der Obdachlosenhilfe genau andersherum gewesen, berichtet Hopperdietzel. Zuerst mussten alle anderen Bedingungen erfüllt sein, bevor eine eigene Wohnung überhaupt zur Sprache kam. Das hieß, zuerst einen Job finden und im Falle einer Suchterkrankung erstmal clean werden. Einen Job finden, ohne Meldeadresse und clean werden und bleiben, wenn man auf der Straße lebt? Schwierig. Ohne Meldeadresse wird schließlich kein Arbeitslosengeld ausgezahlt, also auch kein Geld für Miete.

„Wir haben keinen erzieherischen Anspruch“

Das Obdachlosengeld ermöglicht zwar das tägliche Überleben, aber auch die Aufrechterhaltung dieses Teufelskreises. „Man braucht eine Meldeadresse, dass man erreichbar ist und selber auch was erreichen kann“, erklärt Stefan Rosenzweig. Auf der Straße gehe es schließlich nur ums Überleben. Diese Menschen bräuchten vor allem Platz - räumlich und gedanklich. Das soll mithilfe von Housing First gelingen.

Ein Netzwerk aus dem Sozialmagazin „Straßenkreuzer“, den Vereinen Lilith, mudra und Hängematte will nun auch in Nürnberg einen Paradigmenwechsel in der Obdachlosenhilfe voranbringen. Schon vor Projektbeginn in diesem Frühjahr hätten bereits acht Mietverhältnisse abgeschlossen werden können, sagt Hopperdietzel. Die Rahmenbedingungen beschränken sich bei Housing First auf direkte Mietzahlungen des Arbeitslosengeldes an die Vermieterinnen und den Abschluss einer Haftpflicht- und eventuell noch einer Hausratsversicherung.

Die sozialpädagogische Betreuung muss nicht wahrgenommen werden. Es gelte das Prinzip der Freiwilligkeit, die Unterstützung darf also auch abgelehnt werden, sagt der Sozialpädagoge Hopperdietzel. „Wir haben keinen erzieherischen Anspruch“, sagt er. Es sei nicht Aufgabe der Obdachlosenhilfe, das Leben der Menschen umzukrempeln, sondern eine Grundlage zu schaffen. „Es geht darum, dass die Menschen mit ihrem Leben gut klarkommen.“ Housing First bewerte nicht, sondern akzeptiere und unterstütze.

Lisa Hopp


Familie

Sozialverbände gegen zu niedrigen Sofortzuschlag für Kinder



Bis die Kindergrundsicherung kommt, will die Ampel-Koalition bedürftige Kinder mit einem monatlichen Sofortzuschlag unterstützen. Sozialverbände befürchten eine weitere Durststrecke für arme Familien und fordern einen Zuschlag, der wirklich hilft.

Berlin (epd). Sozialverbände befürchten, dass bedürftige Kinder noch über Jahre mit einem geringen Zuschlag auf den Regelsatz abgespeist werden. Das Vorstandsmitglied der Diakonie Deutschland, Maria Loheide, forderte am 1. Februar in Berlin, der Zuschlag müsse „spürbar für Erleichterung sorgen“. VdK-Präsidentin Verena Bentele erklärte, es dränge sich der Eindruck auf, dass der Zuschlag möglichst wenig kosten solle und die Berechnung sich unnötig hinziehe. Ähnlich äußerten sich der Kinderschutzbund und der Alleinerziehenden-Verband. Die Verbände setzen sich seit Jahren gegen Kinderarmut ein und befürworten die Einführung einer Kindergrundsicherung.

Weit weniger als das Notwendige

Loheide erklärte, die derzeit diskutierte Höhe von 25 Euro monatlich für den Sofort-Zuschlag monatlich bleibe weit hinter dem Nötigen zurück und verwies auf Berechnungen, wonach Kinder in der Grundsicherung monatlich 78 Euro zu wenig erhalten. Der Regelsatz der Grundsicherung und das Existenzminimum entwickelten sich in dramatischer Weise auseinander, kritisierte die Sozialexpertin. Bentele kritisierte, wenn die Regierung jetzt nicht einen ausreichenden Zuschlag beschließe, „rückt die Bekämpfung der Kinderarmut in weite Ferne“. Denn bis die Kindergrundsicherung wirklich komme, würden sicherlich noch einige Jahre vergehen.

Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers verwies auf die steigenden Lebenshaltungskosten: „Was Kinder wirklich brauchen, wird durch die Realität diktiert - nicht durch den Haushaltsplan des Finanzministers“. Hilgers zufolge werden bei den regierungsinternen Verhandlungen über den Zuschlag derzeit Beträge zwischen zehn und 25 Euro im Monat erwogen. Wer wirklich helfen wolle, dürfe „keine Trostpflaster“ verteilen, sagte er.

Die Ampel-Koalition will die finanziellen Leistungen für Kinder in einer Kindergrundsicherung zusammenfassen. Bis dahin sollen bedürftige Familien zur Überbrückung einen monatlichen Zuschlag erhalten. Medienberichten zufolge wird über eine Höhe von maximal 25 Euro verhandelt.

Kinder in Armut

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) hatte Ende Januar im Bundestag angekündigt, der Zuschlag, von dem rund 2,7 Millionen Kinder profitieren würden, solle in den kommenden Wochen umgesetzt werden. Eine Höhe nannte sie nicht und verwies auf die noch laufenden Abstimmungen zwischen Familien-, Arbeits- und Finanzministerium. Der Sofort-Zuschlag soll Familien zugutekommen, die Hartz-IV-Leistungen, Sozialhilfe oder den Kinderzuschlag für einkommensarme Familien beziehen.

Die Gewerkschaft ver.di forderte im Zusammenhang mit den steigenden Energiepreisen einen einmaligen Kinderbonus von 200 Euro, der nicht auf die Hartz-IV-Regelsätze angerechnet werden dürfe. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) erklärte, an der Höhe des Zuschlags werde man sehen, wie ernst es der neuen Regierung damit sei, Kinder aus der Armut zu holen. Jedes fünfte Kind in Deutschland sei von Armut betroffen, davon die Hälfte bei Alleinerziehenden, erklärte der Verband.

Bettina Markmeyer



sozial-Recht

Bundesarbeitsgericht

Weiterbeschäftigung im Rentenalter ist mitbestimmungspflichtig




Gebäude der Deutschen Rentenversicherung in Frankfurt
epd-bild/Heike Lyding
Eine Weiterbeschäftigung im Rentenalter bringt Vorteile: Der Arbeitgeber verliert kein bewährtes Personal, der Arbeitnehmer kann seine spätere Rente erhöhen. Allerdings muss für solch eine Weiterbeschäftigung der Betriebsrat zustimmen, entschied das Bundesarbeitsgericht.

Erfurt (epd). Ein tarifliches Beschäftigungsende mit Erreichen der Regelaltersgrenze muss nicht unbedingt das Ende des Arbeitsverhältnisses bedeuten. Will ein Arbeitnehmer auch im Rentenalter angestellt bleiben, muss der Betriebsrat zustimmen, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 27. Januar veröffentlichten Beschluss.

Rente steigt um 0,5 Prozent pro Monat

Mit dem seit 2017 geltenden „Flexirentengesetz“ will der Gesetzgeber Rentnerinnen und Rentnern die Berufstätigkeit im Rentenalter erleichtern. Rentenberechtigte müssen mit Erreichen der Regelaltersgrenze keine Rente beziehen. Sie haben die Möglichkeit, ohne Rentenzahlung weiter zu arbeiten. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (DRV) gibt es dann für jeden Monat, den ein Versicherter trotz Rentenalters voll weiterarbeitet, später eine um 0,5 Prozent höhere Rente, bei einer Erwerbstätigkeit von einem Jahr also ein späterer Rentenzuschlag von sechs Prozent. Zusätzlich erhöht sich die Rente noch durch die laufende Beitragszahlung zur Rentenversicherung. Auch eine Teilrente und ein Hinzuverdienst sind möglich.

Doch mitunter können einer Weiterarbeit im Rentenalter auch gesetzliche oder tarifliche Altersbegrenzungen entgegenstehen. So hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am 5. Juli 2017 für Berufspiloten geurteilt, dass diese zumindest in ihrem Job mit 65 Jahren nicht mehr in die Luft gehen dürfen - aus Gründen der Flugsicherheit. Auch in anderen Berufen gibt es Höchstaltersgrenzen, etwa bei niedergelassenen Ärzten, die regelmäßig nur bis zum Alter von 68 Jahren als Vertragsarzt tätig sein und mit der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen dürfen.

Im aktuellen Streitfall vor dem BAG ging es um die Verkehrsbetriebe der Stadtwerke München und eine Beschäftigung über das Erreichen der tariflichen Altersgrenze hinaus. Der Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe sieht mit Erreichen der Regelaltersgrenze das Ende des Arbeitsverhältnisses vor, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Allerdings hatte der Gesetzgeber 2014 im Sozialgesetzbuch VI (Gesetzliche Rentenversicherung) Arbeitnehmern auch die Möglichkeit eingeräumt, dass sie mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters eine Weiterbeschäftigung mit dem Arbeitgeber vereinbaren können.

Befristete Weiterbeschäftigung

Davon machten auch die Verkehrsbetriebe mehrfach Gebrauch. Als im Streitfall ein Beschäftigter das Rentenalter erreichte, vereinbarte das Unternehmen mit ihm eine um ein Jahr befristete Weiterbeschäftigung.

Doch solch eine Weiterarbeit ist mitbestimmungspflichtig, rügte der Betriebsrat. Die Weiterbeschäftigung über die tarifliche Altersgrenze hinaus stelle eine zustimmungspflichtige Einstellung dar. Vor Gericht wollte die Arbeitnehmervertretung die Aufhebung der Beschäftigung erreichen, notfalls mit einem gerichtlichen Zwangsgeld.

Der Arbeitgeber argumentierte, dass der Betriebsrat doch schon seine Zustimmung zur ursprünglichen Einstellung des Mannes erteilt hat. Dabei sei die Zustimmung zur „unbefristeten Beschäftigung“ gegeben worden.

Mitbestimmungspflichtige Stellenbesetzung

Das Bayerische Landesarbeitsgericht gab dem Betriebsrat recht. Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde wies das BAG nun zurück. Hier sehe der Tarifvertrag mit Erreichen des Rentenalters das Beschäftigungsende vor. Werde von der gesetzlichen Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung Gebrauch gemacht, liege ebenso wie bei befristeten Arbeitsverhältnissen eine erneute, mitbestimmungspflichtige Stellenbesetzung vor.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates solle in erster Linie die Interessen der vorhandenen Beschäftigten schützen. Werde eine frei werdende Stelle neu besetzt, müsse der Betriebsrat prüfen können, ob etwa das Ausschreibungsverfahren eingehalten oder ob andere Kolleginnen und Kollegen übergangen wurden. Ein Anspruch auf Weitbeschäftigung bestehe nicht, so das BAG.

Entsprechend hatte das BAG auch schon früher entschieden, zuletzt am 10. März 1992. Bestimme eine Betriebsvereinbarung mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze das Ende des Arbeitsverhältnisses, sei damit eine Weiterbeschäftigung nicht verboten, urteilten damals die obersten Arbeitsrichter. Ohne ein ausdrückliches Verbot sei der Betriebsrat deshalb nicht berechtigt, seine Zustimmung zur Weiterbeschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers zu verweigern. Er müsse aber gefragt werden.

Nach der aktuellen BAG-Entscheidung ändert die 2014 eingeführte gesetzliche Möglichkeit der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses daran nichts. „Anknüpfungspunkt für die Beteiligung des Betriebsrats ist die tatsächliche Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb über das zunächst vorgesehene Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus, nicht aber die Verlängerung des Arbeitsvertrags. Es ist daher gleichgültig, auf welcher rechtlichen Grundlage die Weiterbeschäftigung beruht“, erklärte das BAG.

Az.: 7 ABR 22/20 (BAG, Tarifvertrag)

Az.: C-190/16 (Europäischer Gerichtshof)

Az.: 1 ABR 67/91 (BAG, Betriebsvereinbarung)

Frank Leth


Bundesarbeitsgericht

Betriebliches Eingliederungsmanagement geht vor Kündigung



Erfurt (epd). Arbeitgeber müssen bei hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten eines Beschäftigten nicht nur ein einziges betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) zum Arbeitsplatzerhalt durchführen. Erkrankt ein Arbeitnehmer nach Abschluss eines bEM innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen, ist eine weitere Eingliederungsmaßnahme erforderlich, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 1. Februar veröffentlichten Urteil.

Das 2004 vom Gesetzgeber eingeführte betriebliche Eingliederungsmanagement sieht bei Arbeitsunfähigkeit von länger als sechs Wochen innerhalb eines Jahres ein Prüfverfahren vor, wie der Beschäftigte künftig am besten seine Arbeit wieder nachkommen kann. Arbeitgeber, Arbeitnehmer, aber auch Reha-Träger und Betriebsrat sollen dann ausloten, wie der Arbeitsplatz erhalten bleiben kann. Dies können technische Hilfen oder auch veränderte Betriebsabläufe sein, die künftige Erkrankungen verhindern können. Ohne die Durchführung eines bEM ist eine krankheitsbedingte Kündigung regelmäßig unwirksam.

Länger als sechs Wochen krank

Im Streitfall ging es um einen als Produktionshelfer und Staplerfahrer angestellten Mann aus Nordrhein-Westfalen, der von 2017 bis 2019 jedes Jahr länger als sechs Wochen krank war. Im März 2019 fand ein bEM statt.

Als der Mann nach Abschluss des bEM erneut an 79 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankte, erhielt er im Februar 2020 die Kündigung. Der Beschäftigte hielt diese für sozial nicht gerechtfertigt.

Sowohl vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf als auch vor dem BAG bekam er recht. Sei ein Arbeitnehmer nach Abschluss eines bEM innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen krank, müsse ein erneutes bEM durchgeführt werden. Denn dies könne etwa wegen anderer Erkrankungen oder auch wegen neuer Ansätze für zielführende Präventionsmaßnahmen begründet sein.

Werde dies unterlassen, müsse der Arbeitgeber für die Wirksamkeit der Kündigung belegen, dass die betriebliche Eingliederungsmaßnahme nutzlos wäre, urteilte das BAG. Dies habe der Arbeitgeber hier nicht dargelegt, so dass die Kündigung unwirksam sei.

Az.: 2 AZR 138/21



Landessozialgericht

Pflegeversicherungsschutz muss lückenlos sein



Stuttgart (epd). Für den Widerruf eines Vertrags einer privaten Pflegepflichtversicherung muss ein nahtloser Versicherungsschutz bei einer Anschlussversicherung gewährleistet sein. Andernfalls können Pflegeversicherte den Vertrag nicht widerrufen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg einem am 28. Januar bekanntgegebenen Urteil.

Im konkreten Fall hatte eine Mutter für sich und ihre Tochter ab März 2009 eine private Pflegepflichtversicherung abgeschlossen. Doch für November 2014 zahlte sie die Versicherungsbeiträge nur teilweise und danach bis Januar 2018 gar nicht mehr.

Gefälschte Unterschrift

Im September 2018 widerrief sie den Versicherungsvertrag. Ein Widerruf ist zwar in der Regel nur innerhalb von zwei Wochen nach Vertragsschluss möglich. Hier hatte die Frau jedoch angegeben, dass das Vertragsdatum nicht korrekt gewesen sei und sie die Verbraucherinformationen, Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Widerrufsbelehrung nicht erhalten habe. Außerdem befinde sich auf dem nachträglich zugesandten Beratungsprotokoll eine gefälschte Unterschrift.

Die Versicherung meinte, dass keine wirksame Kündigung des Vertrages vorliege. Sie verlangte noch offene Versicherungsbeiträge in Höhe von rund 1.800 Euro sowie die Erstattung von Mahn- und Anwaltskosten von rund 200 Euro.

Das LSG gab der Versicherung recht. Es liege kein wirksamer Widerruf der privaten Pflegeversicherung vor. Zwar fange die Zweiwochenfrist für den Widerruf erst dann an zu laufen, wenn alle Vertragsunterlagen einschließlich Widerrufsbelehrung, AGB und Verbraucherinformationen dem Versicherungsnehmer in Textform zugegangen seien. Für die Wirksamkeit des Widerrufs hätte die Frau jedoch eine nahtlose Anschlussversicherung nachweisen müssen.

Denn der Gesetzgeber habe im Sozialgesetzbuch XI festgelegt, dass bei einer Versicherungspflicht eine Kündigung des Vertrages nur mit dem Nachweis einer Anschlussversicherung möglich ist. Offenbar habe der Gesetzgeber übersehen, dass auch beim Widerruf eines privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages ein versicherungsloser Zustand entstehen kann. Um einen nahtlosen Versicherungsschutz zu gewährleisten, müsse daher die Nachweispflicht eines lückenlosen Versicherungsschutzes nicht nur bei Kündigung, sondern auch bei Widerruf des Vertrages gelten, so das Gericht.

Az.: L 4 P 180/19



Landessozialgericht

Kein extra "Toilettengeld" für Senioren



Essen (epd). Senioren, die staatliche Grundsicherung im Alter beziehen, haben keinen Anspruch auf die Zahlung eines „Toilettengeldes“ für den Besuch kostenpflichtiger Toiletten in ihrer Freizeit. Weder der Mangel an öffentlichen Toiletten in der Stadt Essen noch ein selbstbestimmter, täglich längerer Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung begründeten einen zusätzlichen Grundsicherungsanspruch, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen am 31. Januar in Essen.

Geklagt hatte ein Rentner, der aufstockende Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch XII bezieht. Der Mann machte bei der beklagten Stadt Essen geltend, er müsse dreimal täglich außer Haus eine Toilette aufsuchen. Kostenlose öffentliche Toiletten habe die Stadt jedoch vor langer Zeit abgeschafft, somit müsse er für kostenpflichtige Toilettenbesuche in Schnitt zwei Euro veranschlagen. Auf 30 Tage bezogen errechnete der Mann für sich einen zusätzlichen Bedarf von 180 Euro pro Monat.

Kein Mehrbedarf aus medizinischen Gründen

Das Sozialgericht Duisburg wies die Klage ab, wogegen der Mann Berufung vor dem Landessozialgericht in Essen einlegte. Die Richter in Essen wiesen die Berufung zurück und erklärten, für den geltend gemachten Anspruch fehle eine Rechtsgrundlage. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Mehrbedarfs aus medizinischen Gründen nach Paragraf 30, Absatz fünf des SGB XII lägen nicht vor.

Zudem sei der Kläger nach seiner eigenen Schilderung altersentsprechend gesund und weise keine überdurchschnittliche Notwendigkeit von Toilettengängen auf, erklärten die Richter. Der geltend gemachte Aufwand liege jenseits des üblichen Verhaltens der Durchschnittsbevölkerung und sei daher eine Frage der Freizeitgestaltung. Im Regelsatz der Grundsicherung seien für die Bereiche Freizeit, Kultur, Gastronomie und Beherbergung Anteile enthalten. Wie der Kläger das Geld einsetze, liege in seiner Eigenverantwortung. Bei Beziehern von Grundsicherungsleistungen müsse nicht jeder Freizeitgestaltungswunsch bezahlt werden.

Az.: L 20 SO 174/21



Oberverwaltungsgericht

Kein Zugang zu Betäubungsmittel für Selbsttötung



Schwerkranke Menschen haben keinen Anspruch auf ein Betäubungsmittel des Bundesarzneimittelinstituts zur Selbsttötung. Ob und wie dieses künftig ermöglicht werden kann, müsse der Gesetzgeber entscheiden, erklärte das OVG in Nordrhein-Westfalen.

Münster (epd). Das Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen hat die Klage von drei schwer erkrankten Menschen abgelehnt, die den Zugang zu einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels verlangt hatten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn sei nicht verpflichtet, für eine Selbsttötung den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben, urteilte das Gericht in Münster am 2. Februar nach mündlicher Verhandlung. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte die Entscheidung.

Suizidwillige finden nur schwer Ärzte

Einem Erwerb von Natrium-Pentobarbital in einer tödlichen Dosis stehe das Betäubungsmittelgesetz entgegen, erklärte das Oberverwaltungsgericht. Zwar sei es zweifelhaft, ob dieses im Betäubungsmittelgesetz enthaltene generelle Verbot mit dem Grundgesetz vereinbar sei, führte Richterin Gudrun Dahme aus. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sei ein solches Verbot jedoch kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020 das Verbot von „geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung“ aufgehoben habe. Ärzte könnten zudem nach entsprechender Abänderung der Berufsordnungen ebenfalls entsprechende Medikamente verschreiben.

Geklagt hatten zwei Männer aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen sowie eine Frau aus Baden-Württemberg, die an schweren Krankheiten wie Multipler Sklerose, Parkinson und Krebs litten. Die gegen die Ablehnung der Arzneimittelbehörde erhobenen Klagen hatte das Verwaltungsgericht Köln im Jahr 2020 abgewiesen. Weil das Bundesinstitut seinen Sitz in Nordrhein-Westfalen hat, verhandelte das Oberverwaltungsgericht Münster über die Klage.

Einer der Kläger, ein an Parkinson erkrankter Mann aus Ramstein, ließ durch seinen Anwalt mitteilen, dass für ihn nur das Mittel Natrium-Pentobarbital infrage komme, weil es die beste Möglichkeit sei. Er habe auch nicht vor, die Hilfe der Palliativmedizin in Anspruch zu nehmen, er wolle sich im engsten Familienkreise selbstverantwortlich suizidieren. Dessen Anwalt, der Präsident der deutschen Gesellschaft für Sterbehilfe (DGHS), Robert Roßbruch, erklärte, dass es noch immer schwer sei, Ärzte zu finden, die bereit wären, Suizidwillige auf ihrem Weg zu begleiten.

Klägerin liegt im Sterben

Das OVG Münster räumte die Möglichkeit einer Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein. Ein solcher Schritt koste jedoch Zeit, erklärte Roßbruch: „Zeit, die meine Mandanten nicht haben.“ Er habe das Verfahren mit sieben Klägern angefangen, davon seien jetzt noch drei übrig. Eine der Klägerinnen, die an Krebs erkrankt ist, konnte laut der Richterin nicht mehr an der Verhandlung teilnehmen, weil sie im Sterben liege.

Die Stiftung Patientenschutz erklärte, es sei gut, dass der Gesetzgeber nicht gezwungen werden könne, das klare Verbot der Abgabe von Tötungsmitteln aufzuweichen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sei somit nicht verpflichtet, die Ausgabe von Suizidpräparaten zu genehmigen, sagte Vorstand Eugen Brysch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Schließlich sei mit dem Aufheben des Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung durch das Bundesverfassungsgericht eine neue Lage entstanden. Im Lichte dieser Entwicklung sollte sich der Bundestag bei einer möglichen Änderung der Gesetzgebung nicht der Eile, sondern der Qualität verpflichten, mahnte Brysch.

Im Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ aufgehoben. Die Karlsruher Richter begründeten die Entscheidung mit dem Selbstbestimmungsrecht. Das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben schließt demnach auch eine mögliche Hilfe Dritter ein. Der Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs muss nun neu gefasst werden.

Az.: 9 A 146/21, 9 A 147/21, 9 A 148/21

Holger Spierig


Verwaltungsgericht

Gefälschte Identität führt zu Verlust der Niederlassungserlaubnis



Schleswig (epd). Eine im Asylverfahren vorgelegte gefälschte Geburtsurkunde kann auch nach 23 Jahren noch zu einer Abschiebung führen. Denn wurde wegen eines gefälschten Identitätsnachweises der asylrechtliche Schutz zurückgenommen, geht auch eine dem Ausländer ursprünglich erteilte Niederlassungserlaubnis verloren, entschied das Verwaltungsgericht Schleswig in zwei aktuell veröffentlichten Beschlüssen vom 24. Januar. Eine daraufhin ausgesprochene Abschiebungsandrohung sei „offensichtlich rechtmäßig“.

Im Streitfall ging es um ein Elternpaar, das nach seiner Einreise in Deutschland 1998 Asyl beantragt hatte. Als die Eheleute - gefälschte - Geburtsurkunden vorgelegt hatten, erhielten sie Flüchtlingsschutz. Mit ihrer Tochter leben sie seit 23 Jahren nun in Deutschland, zuletzt im Landkreis Schleswig-Flensburg. Sie hatten wegen ihrer langen Aufenthaltsdauer mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis erhalten.

Verstöße gegen ausländerrechtliche Bestimmungen

Doch die Fälschung ihrer Identität und Herkunft flog auf. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) entzog ihnen daraufhin den asylrechtlichen Schutzstatus. Daraufhin wurde auch die Niederlassungserlaubnis wieder zurückgenommen. Der Familie wurde die Abschiebung nach Armenien angedroht.

Dies ist zumindest bei den Eltern nicht zu beanstanden, entschied das Verwaltungsgericht. Der asylrechtliche Schutzstatus sei bestandskräftig zurückgenommen worden. Damit sei auch die Erteilung der Niederlassungserlaubnis rechtswidrig erfolgt. Auch wenn die Eltern seit 23 Jahren in Deutschland leben, überwiege das öffentliche Interesse, „Verstöße gegen die ausländerrechtlichen Bestimmungen konsequent zu ahnden, um einen Nachahmungseffekt zu verhindern“. Sie hätten sich zudem nur spät ins Arbeitsleben integriert.

Im Fall der Tochter hat das Verwaltungsgericht allerdings die Aussetzung der Abschiebung angeordnet, da sie wohl aus humanitären Gründen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis habe.

Die Tochter sei in ihrer Lebenssituation durch die Täuschung der Eltern „ohne eigenes Zutun hineingewachsen“. Sie studiere und sei in Deutschland gut integriert. Dass sie die Behörden nicht über die Täuschung ihrer Eltern informiert habe, könne ihr nicht vorgeworfen werden. Denn das hätte sie in Loyalitätskonflikte gestürzt.

Az.: 1 B 10002/21, 1 B 10003/21



Sozialgericht

Hartz-IV-Sätze trotz hoher Inflation ausreichend



Oldenburg (epd). Hartz-IV-Bezieher können trotz der stark gestiegenen Inflation in der 2. Jahreshälfte 2021 kein höheres Arbeitslosengeld II verlangen. Nur weil in den letzten sechs Monaten die durchschnittliche Inflationsrate bei 3,9 Prozent gelegen hat, kann deshalb noch nicht zwingend auf eine Bedarfsunterdeckung geschlossen werden, entschied das Sozialgericht Oldenburg in einem am 25. Januar veröffentlichten Beschluss. Die Hartz-IV-Regelsätze seien weiterhin als verfassungsgemäß anzusehen.

Vor Gericht war eine fünfköpfige Familie aus Delmenhorst gezogen, die ergänzende Hartz-IV-Leistungen erhält. Im Zuge der seit der zweiten Hälfte des Jahres 2021 drastisch angestiegenen Verbraucherpreise, wollte sie per einstweiliger Anordnung erreichen, dass auch ihre Regelsätze entsprechend angehoben werden. Bei einer Inflationsrate von mittlerweile fünf Prozent müsse sich ab 2022 auch der Regelsatz entsprechend erhöhen.

Keine Bedarfsunterdeckung

Der Regelsatz für die fünfköpfige Familie wurde zwar entsprechend den gesetzlichen Bedingungen turnusmäßig angepasst, aber nur um insgesamt 16 Euro auf nun 1.857 Euro. Bei einer Berücksichtigung einer fünfprozentigen Inflationsrate müssten sie aber 76,05 Euro ausgleichen, trugen die Antragsteller vor.

Das Sozialgericht wies die Hartz-IV-Bezieher jedoch ab. Die Regelsätze seien nach der vom Bundesverfassungsgericht gebilligten Berechnungsmethode angepasst worden. Hierbei seien die Preiserhöhungen und die Entwicklung der Nettolöhne von Juli 2020 bis Juni 2021 zugrunde gelegt worden. Die Inflationsentwicklung der zweiten Hälfte des Jahres 2021 habe nicht berücksichtigt werden müssen.

Zwar dürfe der Gesetzgeber bei unvermittelt auftretenden, extremen Preissteigerung außer der Reihe eine Anpassung der Regelsätze zur Vermeidung einer existenzgefährdenden Unterdeckung vornehmen. Allerdings könne wegen einer durchschnittlichen Inflationsrate von 3,9 Prozent in den letzten sechs Monaten nicht zwingend auf eine Bedarfsunterdeckung geschlossen werden.

Die Anpassung der Regelsätze erfolge zudem nur nach der Preisentwicklung der im Regelbedarf enthaltenen Güter und Dienstleistungen und nicht nach der allgemeinen Preissteigerung. Ein wesentlicher Teil der Inflation beruhe zudem auf einer Steigerung der Energiekosten. Dass die Antragsteller dadurch konkret höhere Energiekosten zu tragen hätten, hätten sie aber nicht dargelegt, so das Sozialgericht. Gleiches gelte für sonstige konkrete Bedarfsunterdeckungen.

Az.: S 43 AS 1/22 ER



Arbeitsgericht

Kündigung von Oberlinhaus-Pflegekraft bestätigt



Vier Morde und ein Mordversuch: Die Gewalttaten Ende April 2021 im Oberlinhaus haben viele Menschen erschüttert. Nach der Verurteilung im Strafverfahren hat das Arbeitsgericht nun die Kündigung der Pflegekraft bestätigt, die die Morde verübt hatte.

Potsdam (epd). Das Arbeitsgericht Potsdam hat die Kündigung der wegen Mordes an vier Schwerstbehinderten im Oberlinhaus verurteilten Pflegekraft bestätigt. Die Klage der 52-Jährigen gegen ihre fristlose Kündigung sowie ihre Schadenersatzforderungen gegen das evangelische Sozialunternehmen als Arbeitgeber wurden am 1. Februar vom Gericht abgewiesen. Die schwerwiegende Pflichtverletzung, Menschen, die sie gepflegt habe, zu töten, rechtfertige die Kündigung auch im Fall verminderter Schuldfähigkeit, sagte die Vorsitzende Richterin Birgit Fohrmann bei der Verkündung der Entscheidung in Potsdam. Das Oberlinhaus hatte der langjährigen Pflegekraft kurz nach den am 28. April verübten Morden unter anderem verhaltens- und personenbedingt fristlos gekündigt.

Schwere Persönlichkeitsstörung

Der Kündigung stünden auch keine formalen Gründe entgegen. Für Schadenersatzforderungen gegen das Oberlinhaus gebe es keine Anspruchsgrundlage. Die Kosten des Verfahrens müsse die Klägerin tragen, sagte Fohrmann.

Dem Gewaltverbrechen im Oberlinhaus fielen zwei Frauen und zwei Männer zum Opfer, die wegen schwerster Behinderungen in einer Einrichtung des diakonischen Unternehmens lebten. Eine weitere Frau überlebte schwer verletzt. Die Täterin wurde im Strafverfahren wegen einer schweren Persönlichkeitsstörung als eingeschränkt schuldfähig eingestuft und im Dezember unter anderem wegen Mordes zu 15 Jahren Haft und Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt.

Ihr Anwalt Henry Timm hatte vor dem Arbeitsgericht beantragt, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen eine Abfindung in Höhe von mindestens gut 44.000 Euro zu bestätigen oder im Fall einer Ablehnung des Antrags gut 22.000 Euro Schadenersatz oder Schmerzensgeld an seine Mandantin zu zahlen. Die frühere Pflegekraft halte sich weiter für zur Tatzeit schuldunfähig. Der Arbeitgeber habe zudem seine Fürsorgepflicht ihr gegenüber verletzt, sagte er zur Begründung.

Weiteres Gerichtsverfahren im März

„Wir hatten stets vollstes Vertrauen in die Rechtsprechung der Gerichte“, erklärte das Oberlinhaus nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts: „Nunmehr können wir gemeinsam mit den Mitarbeitenden und Bewohnerinnen und Bewohnern die Verarbeitung und Aufarbeitung fortsetzen und uns mit ganzer Kraft unseren täglichen Aufgaben widmen.“

Im März will das Arbeitsgericht über die Kündigung der Leiterin der Wohneinrichtung verhandeln. Im Mordprozess vor dem Landgericht hatte es unter anderem kritische Berichte über die Arbeitsbedingungen dort gegeben. Das Oberlinhaus hat der Heimleiterin vor der fristlosen Kündigung im Dezember nach Gerichtsangaben zunächst andere Arbeitsmöglichkeiten angeboten. Die Klägerin hat dies abgelehnt.

Az.: 7 Ca 642/21

Yvonne Jennerjahn



sozial-Köpfe

Kirchen

Michael Endres wird Direktor des Caritasverbandes Bamberg




Michael Endres
epd-bild/Caritas Bamberg
Michael Endres (52) wird neuer Direktor des Caritasverbands in der Erzdiözese Bamberg. Er tritt das Amt am 1. April an und ist dann Chef von rund 12.000 Mitarbeitenden.

Bamberg (epd). Michael Endres kehrt nach Bamberg zurück: Er wechselt von der Lebenshilfe Forchheim zum Caritasverband Bamberg. Zum 1. April übernimmt er als Direktor die Leitung des katholischen Verbandes. In Bamberg hat er Sozialwesen studiert und war hauptamtlicher Diözesanvorstand des katholischen Jugendverbandes BDKJ sowie Leiter des Jugendamtes der Erzdiözese Bamberg.

2006 wurde Endres Bereichsleiter für Kinder- und Jugendhilfe der evangelischen Stadtmission Nürnberg. Von 2017 bis 2021 war er Direktor des Caritasverbandes der Diözese Passau, bevor er im vergangenen Jahr als Vorstandsvorsitzender zur Lebenshilfe Forchheim wechselte. Er folgt am 1. April beim Caritasverband Bamberg auf Helmar Fexer, der in den Ruhestand geht.

Der Caritasverband für die Erzdiözese Bamberg vertritt nach eigenen Angaben die Interessen von rund 800 Diensten und Einrichtungen mit mehr als 12.000 Mitarbeitenden und trete für die Anliegen von bis zu 220.000 Klienten ein.



Weitere Personalien



Pia Stapel (40) und Dominique Hopfenzitz (43) werden am 1. August die Leitung des Caritasverbandes für die Diözese Münster übernehmen. Zusammen mit dem Vorsitzenden, Christian Schmitt, werden sie den dreiköpfigen Vorstand bilden. Stapel und Hopfenzitz folgen auf Heinz-Josef Kessmann, der den Verband 24 Jahre leitete. Pia Stapel hat Erfahrungen als Vorstandsassistentin im Diözesancaritasverband Hildesheim gesammelt. Seit 2011 hat sie für den Verband die Stiftung Katholische Behindertenhilfe mit sechs Einrichtungen aufgebaut und geleitet. Caritas-Erfahrung bringt auch Dominique Hopfenzitz mit. Er ist derzeit Syndikusrechtsanwalt im Bischöflichen Generalvikariat Münster und hat von 2010 bis 2014 im Diözesancaritasverband Pflegeeinrichtungen als Anwalt vertreten. Der Diözesancaritasverband vertritt und berät mit seinen rund 160 Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle in Münster über 50 örtliche Verbände und rund 400 katholische Einrichtungen.

Sabine Richter (53) ist seit 1. Februar Theologische Vorständin der Stiftung kreuznacher diakonie. Das Kuratorium bestätigte sie in ihrem Amt, das sie seit gut einem Jahr kommissarisch innehat. Zuvor hatte Richter unter anderem in der Wohnungslosenhilfe und auch in der Geschäftsführung der Behindertenhilfe der Stiftung gearbeitet. Seit 2017 hat sie als Stellvertreterin des Theologischen Vorstandes das Referat Diakonik-Ethik-Seelsorge geleitet. Nun sind ihrem Geschäftsbereich neben der Diakonik-Ethik-Seelsorge Revision, Datenschutz, IT-Sicherheit, die Unternehmenskommunikation und das Referat Recht und Compliance sowie der Bereich Hospize zugeordnet. Richter führt die Stiftung gemeinsam mit drei Vorstandskollegen. Die kreuznacher diakonie beschäftigt rund 6.800 Mitarbeitende.

Christine Vogler, Geschäftsführerin des Berliner Bildungscampus für Gesundheitsberufe und Präsidentin des Deutschen Pflegerats, ist als Pflegemanagerin des Jahres ausgezeichnet worden. Die Jury würdigte ihr jahrzehntelanges Engagement für die Pflegenden, das weit über die Leitung eines Bildungscampus hinausgehe. „Sie versteht es herausragend, Positionen rund um Pflege und Pflegemanagement einzunehmen und diese nachdrücklich in der Politik zu platzieren“, argumentierte die Jury, In der Kategorie Nachwuchs-PflegemanagerIn des Jahres setzte sich Elena Wuzel durch. Den Preis vergibt der Bundesverband Pflegemanagement gemeinsam mit dem Springer Fachverlag.

Ulf Hartmann ist beim Paritätischen Baden-Württemberg neuer Vorstand für Finanzen und Mitgliederberatung. Er bildet gemeinsam mit Ursel Wolfgramm die neue Doppelspitze. Der 53-jährige Hartmann absolvierte eine Ausbildung und Weiterbildung zum Betriebswirt in einer Sparkasse. Danach folgte eine mehr als 20-jährige Tätigkeit in der Bank für Sozialwirtschaft. Zuletzt war er Mitglied im Vorstand einer regionalen VR Bank eG.

Georg Lunemann (54) wird Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Die LWL-Landschaftsversammlung wählte das CDU-Mitglied in Münster zum Chef der 18.000 Beschäftigten im Kommunalverband. Ein Fokus der Arbeit des LWL liegt darauf, Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und sich für deren gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft einzusetzen. Lunemann ist zur Zeit Kämmerer und Erster Landesrat des LWL. Er wird das Amt des Direktors, in das er für acht Jahre gewählt ist, am 1. Juli antreten. Er folgt auf Matthias Löb, dessen Amtszeit am 30. Juni endet. Lunemann war von 1998 bis 2010 beim LWL in unterschiedlichen Positionen tätig.

Thomas Popp wird neuer Präsident der Evangelischen Hochschule Nürnberg (EVHN). Die vierjährige Amtszeit beginnt am 1. Oktober dieses Jahres. Seit 2013 ist der promovierte Theologe Ausbildungsleiter der Rummelsberger Diakone und Diakoninnen. Der 55-Jährige leitet der Professor für Praktische Theologie den Bachelorstudiengang Diakonik an der EVHN. Die Evangelische Hochschule bietet Studiengänge in Sozialwissenschaften, Sozial- und Gesundheitswirtschaft, Gesundheit und Pflege sowie Pädagogik und Theologie an. An ihr sind rund 1.500 Studierende eingeschrieben.

Matthias Ewelt (56), Theologischer Vorstand der Stadtmission Nürnberg und der Diakonie Erlangen, verlässt das Sozialunternehmen im Sommer. Die Position des Vorstandsvorsitzenden oder der Vorstandsvorsitzenden werde ausgeschrieben und neu besetzt, sagte der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Stadtmission, Stadtdekan Jürgen Körnlein. Er dankte Ewelt für sein „ausdauerndes Engagement in den vergangenen fünf Jahren“. Der derzeitige Interimsvorstand Markus Köhler solle den Umbau des Vorstandes bis zum Ende des Jahres begleiten. Gabi Rubenbauer bleibe als Vorständin künftig für den Bereich Finanzen zuständig. Im Unternehmensverbund von Stadtmission Nürnberg und der Diakonie Erlangen sind 70 soziale Einrichtungen und Dienste vereint und elf Tochtergesellschaften. Sie beschäftigen nach eigenen Angaben 1.900 hauptamtliche und über 600 ehrenamtliche Mitarbeitende.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis April



Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.

Februar

9.-11.2.

Online-Fortbildung „Jenseits der Routine: Führen in Turbulenzen“

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

10.2. Köln

Seminar „Die neue Generation von Quartierszentren“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

14.-16.2.

Online-Seminar „Erfolgreiche Lobbyarbeit im politischen Raum“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

15.2. Berlin

Seminar „Strategisches Management und Management-Modelle in Non-Profit-Organisationen - Wie kann besseres Management gelingen?“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

17.2.

Online-Fortbildung: „Beratung und Begleitung von getrennt lebenden Eltern und deren Kindern und Jugendlichen“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-10

25.2.

Online-Seminar „Grundlagen des Mutterschutzes und der Elternzeit“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828212

März

3.3. Köln:

Seminar „Treasury in der Sozialwirtschaft - Finanzmittel bedarfsgerecht bereitstellen“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

8.-9.3.

Online-Fortbildung: „Datenschutz in sozialen Einrichtungen: Einführung in das KDG - rechtliche Anforderungen und Umsetzungen im operativen Tagesgeschäft“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

16.3.

Online-Fortbildung „Suchtprävention für Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828212

21.-22.3.

Online-Seminar: „Traumapädagogische Ansätze im Umgang mit jungen psychisch erkrankten Erwachsenen“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/3012819

23.-25.3.

Online-Fortbildung: „Das operative Geschäft: Steuerung und Controlling in der Eingliederungshilfe“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/3012819

30.3.-1.4. Marktbreit:

Seminar „Grundlagen des Zuwendungsrechts“

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139