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Corona

Politologe: Impfpflicht wäre bis Jahresende kaum umsetzbar



Osnabrück (epd). Der Osnabrücker Politik- und Verwaltungswissenschaftler Roland Czada bezweifelt, dass der Staat sich und seinen Bürgern mit einer allgemeinen Impfpflicht einen Gefallen täte. „Es drohen massive Umsetzungskonflikte und die Aussicht, dass fortlaufende Pflichtimpfungen neue Infektionswellen und Kontaktbeschränkungen nicht verhindern können“, sagte Czada dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Das würde das Vertrauen der Bürger in Politik und Wissenschaft beschädigen.“

Aus Czadas Sicht könnte eine allgemeine Impfpflicht bis Jahresende ohnehin nicht wirksam werden. Für die gesetzliche und administrative Umsetzung bräuchten das Parlament sowie die Regierungen und Behörden voraussichtlich mehr Zeit, als die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am 26. Januar in der Bundestagsdebatte veranschlagten vier bis sechs Monate. Zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Behörden seien Konflikte programmiert.

Kontrollen und Sanktionen

Offen sei auch, wer die Impfpflicht kontrollieren und sanktionieren könne. „Die Ärzte kämen in Rollenkonflikte. Die Krankenkassen werden sich dafür nicht hergeben, weil damit Misstrauen unter ihren Mitgliedern gesät würde“, sagte der Professor der Uni Osnabrück. Diese Aufgabe bliebe dann weitgehend an den Kommunen und der Polizei hängen, die ohnehin über chronischen Personalmangel klagten. Dort könne nach der Situation in den öffentlichen Gesundheitsämtern ein weiteres, noch größeres Verwaltungsversagen bevorstehen.

Ein Dilemma drohe auch, wenn beharrliche Impfverweigerer das von Bundestagsabgeordneten vorgeschlagene Zwangsgeld im vierstelligen Bereich nicht zahlen könnten. Die Justiz müsste diese Menschen dann zu Hunderten oder gar Tausenden in Erzwingungshaft setzen. Die Folgen für das gesellschaftliche Miteinander wären desaströs, warnte der Politologe.

Kein Verzicht aufs Zwangsmaßnahmen

Verzichte der Staat hingegen auf Zwangsmaßnahmen, mache er sich lächerlich und untergrabe das Vertrauen der Bürger auf andere Weise. „Vertrauen ist in einem Gemeinwesen das höchste Gut“, unterstrich Czada. Eine Regierung dürfe nicht der populistischen Versuchung erliegen, den starken Staat zu markieren und damit Konflikte anzuheizen.

Sinnvoll könne es jedoch sein, die Impfpflicht jetzt zu prüfen und eine an konkrete Bedingungen geknüpfte Wiedervorlage zu beschließen. Ein solcher „Vorratsbeschluss“ wäre ein Signal, dass die Impfpflicht nicht aus der Welt sei. „So bliebe die Option offen, und die Verwaltung könnte sich für den Fall vorbereiten.“ Dieser wäre aus Czadas Sicht gegeben, wenn der Nutzen die Kosten und Risiken einer Impfpflicht deutlich überwiege, etwa angesichts gefährlicherer Viren oder wirksamerer Vakzine.

Urs Mundt