Berlin (epd). Wer sich mit dem Erfolg der Integration von Migrantinnen und Migranten in Deutschland befasst, hat schnell die Frage zu beantworten, ob das Glas halb voll oder eher halb leer ist. Das ist nicht erstaunlich, denn dieses sozialpolitische Feld ist kaum zu überblicken. Es kommt auf die Perspektive an und auch darauf, welches Segment vom Einbürgerungsrecht, der Bildung bis hin zum Arbeitsmarkt man genauer betrachtet. Und auch welche Personengruppe man in den Fokus nimmt.
Dass aber noch viel zu tun ist, speziell für die weiterhin steigende Zahl von Flüchtlingen, belegen einige Zahlen. Im Jahr 2020 wurden rund 109.900 Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland eingebürgert - ein Rückgang um 15 Prozent gegenüber dem Jahr 2019. Im Schuljahr 2019/2020 machten 36,7 Prozent der Schulabsolventen Abitur. Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund kamen indes nur auf eine Quote von 14,5 Prozent. Von den Deutschen ohne Migrationshintergrund sind 2,8 Prozent arbeitslos, bei Ausländerinnen und Ausländern ist die Quote mit 8,7 Prozent mehr als drei Mal so hoch.
Gleichwohl blickt der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) recht zufrieden zurück auf die vergangene Dekade. Vor zehn Jahren habe es sich bei der Integration noch um einen überwiegend unkoordinierten Prozess gehandelt. „Mit dem Nationalen Aktionsplan Integration hat sich das geändert. Wir können sagen: Das organisatorische Hauptziel wurde erreicht.“, sagte die Vorsitzende, Petra Bendel, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Es gibt nach ihren Worten aber Verbesserungsbedarf überall dort. „Die Fähigkeiten von Eingewanderten müssen besser wertgeschätzt und genutzt, die Anerkennung mitgebrachter Berufs- und Bildungsabschlüsse unbedingt schneller und effizienter werden.“ Nötig sei auch mehr Chancengleichheit in der Bildung, beim Wohnen und in der Stadtentwicklung, im Gesundheitssystem sowie auf dem Arbeitsmarkt.
Bendel ergänzt: „Deutschland schöpft in Bezug auf Einbürgerungen sein Potenzial bei weitem nicht aus - im Gegenteil. Im europäischen Vergleich liegen wir hier auf einem der hinteren Plätze. Im Jahr 2019 haben sich nur 2,5 Prozent aller Personen einbürgern lassen, die die Voraussetzungen dafür erfüllten“, sagt die Leiterin des Forschungsbereichs Migration, Flucht und Integration an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Das sieht auch die Deutschlandstiftung Integration so. Die doppelte Staatsbürgerschaft nicht aufgeben zu müssen, sei „eine integrationsfördernde Regelung“, sagte Geschäftsführer Mikolaj Ciechanowicz dem epd. „Der Deutschlandstiftung ist besonders wichtig, dass in der Bewertung nicht nur über neu Zugewanderte gesprochen wird, sondern auch die Situation der Menschen in zweiter oder dritter Generation betrachtet wird.“
Hier rückten Themen wie Aufstiegsmöglichkeiten, politische Partizipation und auch Repräsentanz in den Strukturen des öffentlichen Dienstes ins Blickfeld - „und da sehen wir noch sehr viel Entwicklungspotenzial“. Mit Blick auf die Vergangenheit vergebe er als Schulnote „eine sehr gute 3 plus mit Tendenz nach oben“. . Laut Ciechanowicz sind die Hürden für die Anerkennung eines ausländischen Berufsabschlusses zu hoch. Hier müsse das Beratungsangebot verbessert werden. Oft werde nur auf Deutsch oder Englisch beraten, das stelle besonders Personen, die erst vor kurzem nach Deutschland gekommen seien und noch nicht mit deutschen Verwaltungsabläufen vertraut seien, vor große Herausforderungen.
Die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), agiert bisher in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend. Einen umfassenden Entwurf ihrer primären Ziele für diese Legislatur hat sie noch nicht präsentiert. Auf epd-Anfrage wollte sie sich aktuell nicht zu ihren Plänen äußern.
Bereits bekannt hat sie aber, mehr für die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland zu tun. Die Bundesrepublik müsse sich als modernes Einwanderungsland präsentieren, das neue Perspektiven bietet, sagte die vorherige Integrationsbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern dem „Tagesspiegel“. Dazu gehöre auch eine erleichterte Einbürgerung.
„Wir wollen die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglichen“, betonte Alabali-Radovan. Auch das Aufenthaltsgesetz müsse mit Blick auf Duldungen und Perspektiven für Aufenthaltserlaubnisse überarbeitet werden, sagte die Beauftragte. Unternehmen, die Arbeitskräfte benötigen, hätten kein Verständnis für Abschiebungen und unsichere Aufenthaltsrechte Beschäftigter.