Berlin (epd). Schnellere Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen, Reformen im Einbürgerungsrecht, mehr Aufstiege durch bessere Bildung: Es gibt noch viel zu tun, um die Integration von Migranten erkennbar voranzubringen, betont Mikolaj Ciechanowicz. Doch stehe Deutschland im internationalen Vergleich nicht schlecht da: Er gebe für das schon Erreichte die Schulnote 3 plus - „mit Tendenz nach oben“. Auf welchen Feldern die neue Bundesregierung handeln müsse, erfragte Dirk Baas.
epd sozial: Vor genau zehn Jahren wurde beim Fünften Integrationsgipfel der Nationale Aktionsplan Integration beschlossen. Vieles aus dem Vorhaben wurde umgesetzt, vieles auch nicht oder nur unvollständig. Integration ist wohl nur eine „politische Schnecke“?
Mikolaj Ciechanowicz: Ich finde es unfair und zu einfach, dem Bereich Integration einen solchen Stempel aufzudrücken. Wir dürfen nicht vergessen, dass gerade in der letzten Dekade Deutschland vor unerwarteten Aufgaben angesichts einer massiven Zunahme der Einwanderung gestellt wurde. Die Ereignisse von 2015 haben viele Annahmen und Ziele verändert und die Aufgaben neu definiert. Der „Nationale Aktionsplan Integration“ war fast zehn Jahre lang ein wichtiges Instrument zur Erreichung der festgelegten Ziele, das die Beteiligten von allen staatlichen Ebenen und vor allem aus der Zivilgesellschaft zusammengebracht hat. Große gesellschaftliche Herausforderungen können nur selten politisch über Nacht gelöst werden, schon gar nicht, ohne dass gemeinsam an diesen gearbeitet wird.
epd: Wo steht Deutschland heute bei der Integration?
Ciechanowicz: Es ist immer eine Frage der Perspektive. Der Deutschlandstiftung ist besonders wichtig, dass in der Bewertung nicht nur über neu Zugewanderte gesprochen wird, sondern auch die Situation der Menschen in zweiter oder dritter Generation betrachtet wird. Hier rücken dann Themen wie Aufstiegsmöglichkeiten, politische Partizipation oder Repräsentanz in den Strukturen des öffentlichen Dienstes ins Blickfeld - und da sehen wir noch sehr viel Entwicklungspotenzial nach oben.
epd: Wenn man das erreichte in der Kategorie von Schulnoten bewerten würden, welche Zensur vergeben Sie?
Ciechanowicz: Eine sehr gute 3 plus mit Tendenz nach oben.
epd: Wer Zuwanderer und Flüchtlinge in die Aufnahmegesellschaft mit Erfolg integrieren will, muss etliche Politikfelder im Auge haben. Wo sehen Sie den meisten Nachholbedarf?
Ciechanowicz: Gerade im Vergleich mit anderen Ländern steht Deutschland bei der Integration vom Zugewanderten nicht schlecht da. Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen, dass fast 50 Prozent der Geflüchteten in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Um hier noch besser zu werden, müssen die Bemühungen der neuen Bundesregierung weiter in Richtung Arbeitsmarktintegration und Bildungschancen gehen.
epd: Deutschland braucht mehr Zuwanderung, um sich genügend Fachkräfte zu sichern. Warum stockt es hier, etwa bei der Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse?
Ciechanowicz: Der Fachkräftemangel hat sich besonders durch die anhaltende pandemische Lage verschärft. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die Erwerbsmigration weiter erleichtern sollte, ist nahezu zeitgleich mit den Einreisebeschränkungen in der EU im März 2020 in Kraft getreten. Eine Beurteilung dieser neuen politischen Maßnahmen ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer. Trotzdem stelle ich in der engen Zusammenarbeit mit dem Alumninetzwerk unseres Stipendienprogramms immer wieder fest, dass die Hürden für eine Anerkennung eines Berufsabschlusses zu hoch sind.
epd: Woran liegt das konkret?
Ciechanowicz: Viele Eltern, deren Kinder bei uns Stipendiatinnen und Stipendiaten sind oder waren, konnten ihre Abschlüsse nicht anerkennen lassen. Das ist ein großes Problem, weil es oft nicht nur die Startbedingungen der Eltern, sondern auch die der nachfolgenden Generationen beeinflusst. Hinzu kommt, dass das Beratungsangebot oft nur auf Deutsch oder Englisch angeboten wird und dass besonders Personen, die erst vor kurzem nach Deutschland gekommen sind und noch nicht mit deutschen Verwaltungsabläufen vertraut sind, vor große Herausforderungen stellt.
epd: Um Reformen im Einbürgerungsrecht wird schon lange gerungen. Jetzt hat die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), versprochen, die Hürden bei der Einbürgerung zu senken. Was passiert nun mit dem Doppelpass?
Ciechanowicz: Die Debatte um die doppelte Staatsangehörigkeit ist eine sehr wichtige. Schon heute betrifft sie in etwa 500.000 Kinder. In den nächsten Jahren wird diese Zahl weiter wachsen und damit werden auch die Forderungen nach klaren politischen Regelungen lauter. Als Geschäftsführer einer überparteilichen Stiftung kann ich lediglich Wünsche aussprechen, die sowohl meine persönlichen Erfahrungen mit einbeziehen als auch das widerspiegeln, was mir bei meiner Arbeit von vielen Betroffenen berichtet wird.
epd: Und die lauten?
Ciechanowicz: Wir müssen endlich im 21. Jahrhundert ankommen. Als ich 1997 die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen habe, musste ich meine polnische Staatsbürgerschaft aufgeben. Für EU-Bürger trifft das zum Glück nicht mehr zu. Und wir müssen auch für alle anderen Menschen eine solche integrationsfördernde Regelung finden.
epd: Worauf kommt es aus Ihrer Sicht noch bei den Reformen bei der Einbürgerung an und warum sind sie so elementar für eine gelingende Integration?
Ciechanowicz: Die Einbürgerung ist nach meinem Verständnis eine zentrale Voraussetzung für gleichberechtigte Teilhabe in unserer Demokratie, weshalb die jetzt anstehenden gesetzlichen Änderungen - gerade auch der Doppelpass - zu einem größeren Bekenntnis zu unserem Land führen wird. Mehr Menschen werden sich einbürgern lassen - endlich! In Deutschland kann man nur mit der deutschen Staatsangehörigkeit an wirklich allen Wahlen teilnehmen. Laut einer Studie des Think Tanks „dpart“ wünschen sich Menschen mit Migrationsgeschichten mehrheitlich ein inklusiveres Wahlrecht und mehr Repräsentation in der Politik, erfahren jedoch häufig strukturelle Barrieren bei der politischen Beteiligung.
epd: Haben Sie Beispiele?
Ciechanowicz: Es gibt Bezirke hier in Berlin, wo 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner bei den letzten Bundestagswahlen nicht wählen durften. Ein solcher Ausschluss hat schnell auch Auswirkungen auf andere Bereiche des Lebens und verfremdet die Beziehung zu dem Land, in dem man lebt. Nur wer mitgestalten kann, fühlt sich auch zugehörig.