Berlin (epd). Ob bei der schnelleren Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen, bei der Bildungsgerechtigkeit oder bei Reformen in Bleiberecht - der Sachverständigenrat Migration sieht die Notwendigkeit zu etlichen Reformen. „Beim Doppelpass geht es darum, grundsätzlich Mehrstaatigkeit zu erlauben“, erläutert die Vorsitzende Petra Bendel. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Wer Zuwanderer und Flüchtlinge in die Aufnahmegesellschaft erfolgreich integrieren will, muss etliche Politikfelder im Auge haben. Wo sieht der Sachverständigenrat mit Blick auf den Regierungswechsel den meisten Nachholbedarf?
Petra Bendel: Nachholbedarf sehen wir bei der Anerkennung von mitgebrachten Berufs- und Bildungsanschlüssen. Das im März 2020 in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte aus Drittstaaten zwar erleichtert. Die positiven Effekte sind bislang aber ausgeblieben. Wir brauchen eine weitere Vereinfachung von Anerkennungsverfahren, die Ausweitung der Regelungen auf zusätzliche Branchen und Personen sowie eine aktive Bewerbung des Standorts Deutschland auch durch die Politik. Und: Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass Bildungserfolge von sozialer Herkunft entkoppelt werden. Wir brauchen mehr Kita-Plätze und Schulen, die besser auf den Normalfall Vielfalt eingestellt sind. Ein Bleiberecht für gut integrierte Menschen mit einer Duldung ist zu begrüßen, hängt aber von der genauen Ausgestaltung ab.
epd: Deutschland braucht mehr Zuwanderung, um sich genügend Fachkräfte zu sichern. Warum stockt es bei der Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse?
Bendel: Um in Deutschland arbeiten zu können, müssen ausländische Fachkräfte gleichwertige Qualifikationen nachweisen. Das ist oftmals kompliziert. Wir haben es mit reglementierten und nicht-reglementierten Berufen sowie komplexen Bund- und Länderzuständigkeiten zu tun. Dennoch könnten die zuständigen Behörden versuchen, ihre Verfahren und Anforderungen abzugleichen und zu vereinfachen - zum Beispiel bei Verwaltungsvorschriften, Gebührenordnungen oder Art und Umfang der vorzulegenden Qualifikationsnachweise.
epd: Jetzt hat die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, versprochen, die Hürden bei der Einbürgerung zu senken. Was passiert nun mit dem Doppelpass?
Bendel: Beim Doppelpass geht es darum, grundsätzlich Mehrstaatigkeit zu erlauben. Viele Zugewanderte wollen gerne Deutsche werden, können sich aber den Verlust ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit nicht erlauben. Der kann zu Einreisebeschränkungen für das Herkunftsland und damit zu Problemen beim Besuch von Angehörigen vor Ort führen oder zum Verlust der Erbfähigkeit. Wir plädieren für die Einführung eines Doppelpasses mit Generationenschnitt. Das Modell sieht vor, Mehrstaatigkeit für eine oder mehrere Übergangsgenerationen zu ermöglichen und zugleich eine unbegrenzte Weitergabe der Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes zu vermeiden. Dafür sind Abkommen mit den jeweiligen Herkunftsstaaten nötig. Verschiedene Beispiele zeigen aber, dass völkerrechtliche Verträge im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts möglich sind; dazu könnte man sich auch Pilotprojekte vorstellen.