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Jugend

Suizidprävention: Wenn jungen Menschen alles zu viel wird




Eine Jugendliche mit Suizidgedanken (gestelltes Foto)
epd-bild/Friedrich Stark
Für Jugendliche, die in einer tiefen Krise stecken und an Suizid denken, bietet die Caritas eine Online-Beratung an. Das Besondere daran: Hier werden sie von Gleichaltrigen beraten.

Freiburg (epd). Stephan (Name geändert) hat die Corona-Pandemie hart getroffen. „Kurz vor Ausbruch der Krise hat der 15-Jährige die Schule gewechselt. Dann musste er ins Homeschooling, ohne Chance, neue Kontakte zu knüpfen“, erzählt Lena, Peer-Beraterin im Suizidpräventionsprojekt „U25“ der Caritas in Freiburg. Stefan fühlte sich einsam und verlassen. Darum wandte er sich an die zum Projekt gehörende „Helpmail“ für Kinder und Jugendliche.

Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt ein Sprichwort. Doch es gibt Menschen, die niemanden haben, mit denen sie die eigenen Belastungen teilen können - wie Stefan.

Richtig verzweifelt

Allein im Homeschooling, wurde er nicht fertig mit all dem, was in seinem Leben vorgefallen war - etwa damit, dass er zu Hause viel geschlagen wurde. In seinen Mails an „U25“ gab der Teenager zu verstehen: Am liebsten würde er gar nicht mehr leben. „Er war richtig verzweifelt“, erzählt Lena, seine Mail-Beraterin bei der Caritas. An „U25“ wendeten sich junge Menschen ganz bewusst, weil sie von Menschen beraten werden wollen, die in einem ähnlichen Alter wie sie sind.

Das Caritas-Angebot gibt es an zehn Standorten in Deutschland. Auf die Idee, sich bei „U25“einzubringen, kam die 24-jährige Studentin durch ein Praktikum im „Arbeitskreis Leben“ der Freiburger Caritas. Dort entstand vor 20 Jahren die Idee für „U25“. Bundesweit sind rund 300 ehrenamtliche Peers engagiert. 1.500 junge Menschen suchten im Jahr 2020 bei der Initiative Hilfe. Im ersten Halbjahr 2021 waren es nach den Angaben 650.

Lena sagt, sie habe es mit jungen Leuten zu tun, von denen viele nicht auf Rosen gebettet sind. Und mit solchen, die materiell alles bekommen - bloß keine Liebe. Informationen über den sozialen Hintergrund erhalten die Peers allerdings nur zufällig. Systematisch erfasst wird das nicht, sagt Clara Nordfeld, die den „U25“-Standort in Freiburg leitet.

„Plötzlich hat er sich nicht mehr gemeldet“

Es gibt Mailwechsel, die Lena nach eigener Aussage ihr Leben lang nicht vergessen wird. Dazu gehört der Austausch mit dem verzweifelten Stefan. „Plötzlich hat er sich nicht mehr gemeldet“, erzählt die angehende Sozialarbeiterin. Sie wartete ein paar Tage, doch es kam keine Mail mehr. „Ich musste vom Schlimmsten ausgehen“, sagt die Studentin - und meint Suizid. Es bedrückte Lena, dass sie von Stefan nichts mehr gehört hat. Darüber habe sie mit Clara Nordfeld lange gesprochen: „Das hat mir sehr geholfen.“

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsbehörde WHO begehen jährlich weltweit mehr als 700.000 Menschen Suizid. In Deutschland nahmen sich im Jahr 2020 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mehr als 9.200 Menschen das Leben.

„'U25' ist ein ausgezeichnetes Beispiel für niedrigschwellige Suizidprävention“, sagt Hannah Müller-Pein vom Nationalen Suizidpräventionsprogramm. Das Konzept hole Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer eigenen Lebenswelt ab. Durch die Peers erfahren viele das bestehende Hilfesystem als positiv: „Dann gelingt bei Bedarf auch eher eine Weitervermittlung in andere professionelle Angebote.“

Bei „U25“ geht es nicht um Diagnosen, sondern in erster Linie darum, da zu sein für junge Menschen, die seelisch stark belastet sind. Sofern sie es für sinnvoll halten, fragen die Peers in ihren Mails auch nach, ob es einen Therapeuten oder Arzt vor Ort gibt, an den sich der oder die Jugendliche wenden könne.

Das Projekt sei auch deshalb so wichtig, weil es eben nicht in jeder Ortschaft eine Anlaufstelle für junge Menschen in Krisen gibt. Außerdem: Existiert in einer kleineren Stadt eine solche Hilfestelle, wird die nicht unbedingt aufgesucht. Nordfelds Erklärung: „Die Jugendlichen haben Angst haben, dass man sie beim Betreten erkennt.“

Pat Christ