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Fehlzeiten im Job: Mehr Depressionen, weniger Erkältungen




Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Medikamente
epd-bild/Norbert Neetz
Durch die Pandemie-Maßnahmen sind Berufstätige in Deutschland seltener krank, melden die Krankenkassen. Der Krankenstand aufgrund von Erkältungen ist so niedrig wie nie. Dafür erreichen Fehlzeiten wegen Depressionen einen neuen Höchststand.

Hamburg (epd). Die Berufstätigen in Deutschland sind 2021 Krankenkassen-Daten zufolge deutlich weniger krank gewesen als vor der Pandemie. Der Krankenstand bei den 5,5 Millionen Versicherten der Techniker Krankenkasse (TK) war 2021 mit 3,97 Prozent so niedrig wie seit acht Jahren nicht mehr, wie die TK am 31. Januar in Hamburg mitteilte. Das sei nochmal ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum ersten Corona-Jahr 2020 mit einem Krankenstand von 4,13 Prozent. „Hauptgrund sind deutlich weniger Krankmeldungen aufgrund von Erkältungskrankheiten“, sagte der TK-Vorstandsvorsitzende Jens Baas. Psychische Krankheiten nahmen dafür mit 21,8 Prozent den Spitzenplatz ein. Die DAK warnt Beschäftigte davor, im Homeoffice über ihre Grenzen zu gehen.

Strenge Hygienemaßnahmen

Auch bei den rund 2,4 Millionen erwerbstätigen DAK-Versicherten sank der Krankenstand mit 4,0 Prozent um 0,1 Punkte gegenüber 2019 vor der Pandemie. Erkältungen verursachten ein Drittel weniger Arbeitsausfall als noch 2019. Grund dafür seien die strengen Hygienemaßnahmen während der Pandemie, hieß es.

Bestätigte Corona-Infektionen spielten 2021 mit rund 19 Fehltagen je 100 Versicherte bei der DAK nur eine geringe Rolle. Mit gut 37.625 Krankschreibungen gab es bei der TK jedoch eine deutliche Zunahme bei den Fehltagen aufgrund einer Covid-19-Diagnose. Im Jahr zuvor waren es noch 26.833 gewesen.

Nicht ganz so positiv entwickelte sich im vergangenen Jahr der Krankenstand bei den AOK-Mitgliedern. Im Jahr 2021 waren hier bis einschließlich April im Vergleich zu den beiden Vorjahren ein unterdurchschnittlicher Krankenstand zu beobachten. Allerdings zeigen die AOK-Zahlen, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) exklusiv vorliegen, dass seit Juni 2021 der monatliche Krankenstand gleich hoch oder über dem Krankenstand der beiden vorangegangenen Jahre liegt. Der Krankenstand bewegt sich 2021 zwischen 4,7 Prozent im August und 6,6 Prozent im November, die Zahlen für Dezember liegen noch nicht vor. Bei der AOK sind nach Angaben der Kasse etwa 27 Millionen Menschen versichert - fast ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland.

Starker Anstieg bei Erzieherinnen

Bei den psychischen Erkrankungen verzeichnet die DAK-Analyse mit 276 Fehltagen je 100 Versicherte ein Rekordhoch. Allein Depressionen verursachten davon 108 Tage. „In der Corona-Pandemie fühlen sich viele Menschen gestresst und stehen unter Anspannung“, sagte der DAK-Vorstandsvorsitzende Andreas Storm. Besorgniserregend sei, dass Depressionen bei vielen Menschen in der Pandemie länger andauern. Beschäftigte mit dieser Diagnose fallen im Durchschnitt für 61 Tage aus. „Wir sehen strukturelle Änderungen im Krankenstand, die auch ein Signal an die Arbeitgeber sind, sich darauf einzustellen“, sagte der DAK-Vorstandsvorsitzende Andreas Storm.

Die meisten Fehltage gab es bei DAK-Versicherten wegen Rückenschmerzen und anderer Muskel-Skelett-Probleme. Mehr als ein Fünftel des Arbeitsausfalls ließ sich damit begründen. Den stärksten Anstieg hatten Erzieherinnen und Erzieher (plus 13 Prozent). Auch beim Klinikpersonal (plus 7 Prozent) und in der Altenpflege (plus 5 Prozent) gingen die Fehltage wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen weiter hoch.

Branchen mit Möglichkeiten für Homeoffice und digitales Arbeiten hatten 2021 laut DAK weniger Fehlzeiten als andere. Die Analyse zeigt für die Datenverarbeitungsbranche sowie für Banken und Versicherungen jeweils einen unterdurchschnittlichen Krankenstand von 2,3 beziehungsweise 2,9 Prozent. Diese Branchen hätten traditionell einen niedrigeren Krankenstand, doch der Abstand zum Durchschnitt sei unter Pandemie-Bedingungen besonders deutlich geworden, hieß es.

Risiko einer Über- und Fehlbelastung

Die DAK vermutet allerdings, dass Krankmeldungen auch deshalb unterbleiben, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Homeoffice trotz Erkrankung wenigstens für ein paar Stunden arbeiten. „Wir haben dazu aber keine Zahlen“, teilte die DAK mit und warnt: „Wenn Beschäftigte im Homeoffice regelmäßig über ihre Grenzen gehen, besteht langfristig das Risiko einer Über- und Fehlbelastung.“

Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sagte dem epd: „Neben der sinnvollen Eindämmung des Infektionsgeschehens in Zeiten der Pandemie hat Homeoffice auch Schattenseiten.“ Wie der DGB-Index „Gute Arbeit 2021“ zeige, habe sich für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Arbeitsbelastung im Homeoffice verschärft. „Der Höchststand von psychischen Erkrankungen im DAK-Report ist ein deutliches Warnzeichen“, sagte Piel.

Bereitschaft zur Selbstausbeutung

Die Ausweitung von Homeoffice und flexibleren Arbeitszeiten dürften nicht dazu führen, dass Beschäftigte krank arbeiten, ihre Krankheit verschleppen und dann länger oder sogar im schlimmsten Fall chronisch erkranken. Die Bereitschaft zur Selbstausbeutung und die Gefahr von entgrenztem Arbeiten seien im Homeoffice nachweislich deutlich höher und schadeten vielfach der Gesundheit der Beschäftigten. Die DGB-Vorständin forderte deshalb für das Arbeiten im Homeoffice „klare Regeln für Arbeitszeiterfassung sowie für den Gesundheits- und Arbeitsschutz“.

Grundsätzlich unterschätzen die Fehlzeiten-Statistiken der Krankenkassen insgesamt die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage (AU). „Denn die Statistik zeigt nur die AU-Tage an, für die die Beschäftigten eine Krankmeldung beim Arbeitgeber und ihrer Krankenkasse eingereicht haben. Da das bei vielen Unternehmen in den ersten Tagen nicht erforderlich ist, gehen insbesondere solche Kurzzeiterkrankungen nicht in die Statistik ein“, erläutert die DAK.

Die Tatsache, dass sich Beschäftigte seit Beginn der Pandemie vor zwei Jahren telefonisch und ohne persönliches Aufsuchen eines Arztes krankschreiben lassen können, hat laut Jochen Pimpertz, Forscher am Institut der deutschen Wirtschaft (IW, Köln), die Krankmeldungen insgesamt nicht in die Höhe getrieben. Er attestiert den Beschäftigten und den Ärztinnen und Ärzten „einen verantwortungsvollen Umgang mit dem neuen Verfahren“.

Nadine Heggen, Markus Jantzer