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Armut

Knast für Schwarzfahrer ist "teuer und entwürdigend"




Straßenbahnhaltestelle
epd-bild/Steffen Schellhorn
Wer mehrfach ohne gültigen Fahrschein fährt und die dann folgende Geldstrafe nicht bezahlen kann, dem droht eine Ersatzfreiheitsstrafe. Wegen Schwarzfahrens in den Knast? Eine Initiative will das nicht länger hinnehmen - und kauft Betroffene frei.

München/Berlin (epd). Menschen mit wenig Geld können sich oft keine Fahrkarte für Bus oder Bahn leisten. Werden sie wiederholt beim Schwarzfahren erwischt, droht ihnen Gefängnis. Denn auch für eine Geldstrafe fehlen meistens die finanziellen Mittel. Der Berliner Politologe Arne Semsrott will ihnen helfen. Anfang Dezember hat er die Initiative „Freiheitsfonds“ gegründet, die seither 141 Schwarzfahrer freigekauft hat.

Ungerechtes System

„Niemand soll den Knast von innen sehen müssen, nur weil er wiederholt schwarzgefahren ist“, findet Semsrott. Das sei entwürdigend und diskriminierend. Und es verursache Leid. Der Gründer von „Frag den Staat“, einem Portal für Informationsfreiheit, sagt, dass die Ersatzfreiheitsstrafe schon dazu geführt habe, dass Kinder aus ihrer Familie genommen wurden. Auch kenne er Partnerinnen von Schwarzfahrern, die verzweifelt seien, weil die Polizei deshalb zu Hause vorfuhr.

Ein Autofahrer muss wegen nicht bezahlter Falschparker-Knöllchen nicht ins Gefängnis. Denn Parken ohne Parkschein ist nur ein Bußgeldtatbestand. Das zeigt für Semsrott, wie ungerecht das bestehende System ist. Denn Autofahrer seien finanziell eher bessergestellt, Schwarzfahrer hingegen oft die Ärmsten der Armen. 152.000 Euro hat seine Initiative bisher in „Freikäufe“ investiert: „Damit haben wir 11.000 Hafttage vermieden und dem Staat rund 1,5 Millionen Euro gespart.“ Im Schnitt kostet ein Hafttag der Statistik zufolge nämlich 150 Euro.

Semsrott will Schwarzfahrern aber nicht nur aus ihren Schwierigkeiten heraushelfen: „Im Idealfall können wir uns als Initiative bald abschaffen, weil das Schwarzfahren entkriminalisiert wurde.“ Eben darauf wirkt der „Freiheitsfonds“ jenseits der Freikäufe durch seine Öffentlichkeitsarbeit hin. Inzwischen gibt es Semsrott zufolge viele Mut machende Vorstöße zu gesetzlichen Reformen in ganz Deutschland.

„Die Spirale dreht sich immer höher“

Einen Knastaufenthalt vermeidet, wer in der Lage ist, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Doch dazu seien viele notorische Schwarzfahrer beispielsweise wegen psychischer Probleme nicht imstande. Jedenfalls gibt es Belege dafür, dass die Betreffenden häufig nicht nur langzeitarbeitslos und arm, sondern auch durch seelische Leiden beeinträchtigt sind. Wünschenswert wären laut Semsrott verlässliche Daten. Doch die gebe es nicht, sondern lediglich punktuelle Analysen, erläutert er.

Mobilität ist für Arne Semsrott ein Grundrecht. Mehr noch: Viele Menschen haben überhaupt keine Wahl, sie müssen in den Bus, die U-Bahn oder Tram steigen, um zu bestimmten Orten zu gelangen. „Es gibt Personen, die - weil sie straffällig geworden sind - zur Auflage bekamen, regelmäßig eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen“, schildert er. Oft bleibe den Betroffenen für den Weg dorthin nur der Bus. Wodurch sie sich oft neuerlich strafbar machen: „So dreht sich die Spirale immer weiter.“

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will das deutsche Strafrecht systematisch überprüfen. Dem „Spiegel“ sagte Buschmann, er wolle „mit einer “Modernisierung des Strafrechts für eine Entlastung der Justiz" sorgen. Schwarzfahren könnte also von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden.

Im bayerischen Justizministerium lehnt man dagegen die Entkriminalisierung der „Beförderungserschleichung“ ab. Die Strafbarkeit sei nicht nur nötig, um das Vermögen der Verkehrsbetriebe, sondern auch um „die Mehrheit der ehrlichen Kunden“ zu schützen, sagt Ministeriumssprecher Michael Bieber. Die Einbußen durch Schwarzfahrer würden in den Fahrpreis einkalkuliert. Je mehr Menschen ohne zu zahlen in den Bus oder die Tram steigen, desto teurer würden die Fahrscheine für jene, die brav ihr Ticket lösen.

Oft erwerbsunfähig

In Bayern sei bereits viel getan worden, um Gefängnisaufenthalte zu vermeiden, betont Bieber. Mit „Schwitzen statt Sitzen“ räume man Verurteilten seit mehr als 30 Jahren die Möglichkeit ein, die Haft mit gemeinnütziger Arbeit abzuwenden. Seit 2019 gebe es zudem das Projekt „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen“. Dabei lassen sich externe Träger den Anspruch etwa auf Hartz IV zum Teil abtreten und übernehmen das Abstottern der Geldstrafe.

Durch „Geldverwaltung statt Vollstreckung“ sowie „Schwitzen statt Sitzen“ konnten allein 2020 knapp 41.000 Hafttage vermieden werden. Bieber: „Auch über die beiden genannten Projekt hinaus prüfen die Vollstreckungsbehörden jeweils im Einzelfall, wie Ersatzfreiheitstrafen möglichst nicht angeordnet oder vollstreckt werden müssen.“

Pat Christ