Ausgabe 31/2017 - 04.08.2017
Berlin (epd). Der 24. September rückt näher und nicht nur die Parteien sind im Wahlkampfmodus. Auch die Sozialverbände machen mobil. Sie leisten mit eigenen Kampagnen "Aufklärungsarbeit" - nicht ganz uneigennützig. Der Sozialverband VdK Deutschland hat einen "Kandidatentest" gestartet, der SoVD einen digitalen "Werkzeugkasten" veröffentlicht, der auch Argumente für Diskussionen mit Politikern liefern soll. Und es gibt "Wahlprüfsteine" und einen "Wahlcountdown". Doch was bringt das? Und welchen Sinn sehen die Verbände selbst darin?
SoVD-Präsident Adolf Bauer fordert selbstbewusst von den Parteien, "Farbe zu unseren Positionen zu bekennen. Wir wollen fundierte Argumente und einen sachlichen Diskurs anstatt populistischer Sprüche." Und markig fügt er hinzu: "Wir erteilen einem 'Weiter so!' eine klare Absage." Denn der sozialpolitische Handlungsbedarf sei enorm.
Damit die Wähler, darunter auch die nach eigenen Angaben 560.000 SovD-Mitglieder, im Herbst auf dem Wahlzettel ihr Kreuz an der richtigen Stelle machen, will die Organisation nichts dem Zufall überlassen. Sie hat den digitalen Werkzeugkoffer entwickelt: Der mache "den sozialpolitischen Test der Kandidatinnen und Kandidaten einfach". Die Internet-Broschüre enthält zudem ein Glossar wichtiger Begriffe der Sozialpolitik, Argumentationskarten für mögliche Diskussion, Checklisten und Mustertexte.
Die eigene Stimmenmacht will auch der VdK nutzen. Er hat seine Kampagne unter das Motto "Soziale Spaltung stoppen!" gestellt. Präsidentin Ulrike Mascher: "Wir haben über 1,8 Millionen Mitglieder, die zugleich Wählerinnen und Wähler sind. Und deren Interessen haben wir im Blick, wenn wir die Bundestagskandidatinnen und -kandidaten zur sozialen Gerechtigkeit befragen."
Deutlich zurückkaltender kommt die Caritas daher. "Wählt Menschlichkeit" hat der katholische Wohlfahrtsverband seine Initiative zur Wahl überschrieben. Man wolle "sensibilisieren für die Werte und Regeln, die ein gelingendes Zusammenleben ermöglichen, und für die Frage, wie sich dies in den Programmen der Parteien zeigt", sagt Pressesprecherin Claudia Beck. Es gehe ausdrücklich nicht darum, eine Wahlempfehlung auszusprechen.
Das sei so direkt auch gar nicht nötig, sagt der Münchner Politikwissenschaftler Michael Koß. "Auch ohne, dass man, wie früher direkt von der Kanzel herab sagt, wer gewählt werden soll", dienten solche Initiativen "als politischer Hebel im weiteren Sinne", sagte er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Dass die großen Verbände mit ihren Aktionen Druck auf die Wahlkandidaten ausüben, gehöre zum politischen Alltagsgeschäft, betont der Forscher: "Ich finde das überhaupt nicht ehrenrührig. Im Gegenteil. Wir leben im Pluralismus. Wir haben ja nicht nur die Parteien, sondern auch die Verbände, die an der politischen Willensbildung mitwirken sollen." Koß bezweifelt jedoch, dass die Sozialverbände in heißen Wahlkampfzeiten noch nennenswerten Einfluss auf die Programme der Parteien nehmen können: "Wenn jetzt spezielle Forderungen erhoben werden, kann ja etwa die SPD ihr Wahlprogramm nicht mehr ändern."
Müssen sie auch nicht, betont VdK-Chefin Mascher: "Unser Ziel ist es, dass zentrale Forderungen der Aktion in den Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung einfließen und eingelöst werden." Vor allem im Bereich der Rentenpolitik gebe es weiterhin genug zu tun.
Mascher räumt ein, dass die Kampagnen zur Wahl durchaus einen Selbstzweck verfolgen, ganz unter dem Motto: "Wir tun etwas." Diese Initiativen hätten positiven Einfluss auf die Mitgliederbindung und stärkten den Bekanntheitsgrad. Doch ganz unabhängig davon betont die Präsidentin: "Unser Einfluss ist groß und bleibt es."
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, sagt: "Wahlprüfsteine alleine verpuffen völlig, wenn sie nicht mit einer konkreten Kommunikations- und Aktionsstrategie unterlegt sind." Ziel solcher Instrumente seien daher nie alleine die Politiker oder die Verbandsmitglieder, sondern die breite Öffentlichkeit.
Sein Verband werde im August und September eigene Konzepte zur Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik sowie zur Mietpreisbremse vorlegen und abschließend gemeinsam mit Bündnispartnern aktuelle Umfrageergebnisse zum Thema Umverteilen veröffentlichen. Zudem habe der Paritätische im Internet ein Wahltool programmiert. Das solle "Orientierung über die sozialpolitischen Aussagen der Parteien geben und letztlich zum Wahlgang motivieren."
Frankfurt a.M. (epd). Zwei Monate vor der Bundestagswahl am 24. September rückt die heiße Phase des Wahlkampfs näher. Auch die Sozialverbände wollen Einfluss nehmen. Der epd stellt die wichtigsten Aktionen und Initiativen vor.
Der Sozialverband VdK trägt mit der Aktion "Soziale Spaltung stoppen!" zahlreiche Forderungen an die Politik heran. Ziel sei es, dass etwa eine Anhebung des Rentenniveaus oder eine stärkere Besteuerung der reichsten Deutschen in den Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung einfließen, sagt die Vorsitzende des Verbands, Ulrike Mascher. Auch auf Großveranstaltungen, Messen und Stadtfesten sollen die Forderungen des mitgliederstärksten deutschen Sozialverbands (1,8 Millionen) in den kommenden Wochen präsent gemacht werden.
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) richtet im Rahmen ihres "AWO Wahlcountdowns" ihre Forderungen an die Politik. Begleitend informiert sie online in zwölf Themenwochen über Probleme wie Kinderarmut. "Im Mittelpunkt der nächsten Legislaturperiode müssen soziale Verbesserungen für die Menschen in Deutschland stehen, damit die zunehmende soziale und politische Spaltung überwunden und der spürbaren Verunsicherung entgegengewirkt werden kann", fordert der AWO-Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler.
Die Diakonie will einen "Sozial-O-Mat" starten. Wie bei einem Wahl-O-Mat können Wähler ab dem 14. August dort testen, mit welcher Partei die eigene Meinung in puncto soziale Fragen am meisten übereinstimmt. Bei einer Sommertour trifft Diakonie-Präsident Ulrich Lilie in Berlin, Coburg, Halle und Düsseldorf gemeinsam mit örtlichen Vertretern der Diakonie Politiker, um über Themen wie sozialen Wohnraum und die Integration von Flüchtlingen zu diskutieren. Die Positionen der Diakonie zu diesen und anderen sozialen Fragen gibt es zusätzlich als Printprodukt "Auf den Punkt gebracht". Darüber hinaus sind Aktionen der Landesverbände geplant.
Die Caritas möchte mit ihrer Aktion "Wählt Menschlichkeit" vom 16. August bis zum 22. September ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile sowie gegen Ausgrenzung und Tendenzen der Entsolidarisierung setzen. Bei Veranstaltungen und an Infoständen sowie in den Sozialen Medien Facebook und Twitter soll es aber ausdrücklich nicht darum gehen, eine Wahlempfehlung auszusprechen.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) informiert auf seiner Webseite über Themen wie Verteilungsgerechtigkeit, Altersarmut und Lohngerechtigkeit. Außerdem hat der Verband einen Fragenkatalog zusammengestellt, der Bürger bei der Bewertung der Bundestagskandidaten ihres Wahlkreises helfen soll.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen richtet sich mit einem Fragenkatalog an die Parteien und will wissen, wie ernst es diesen ist "mit dem Verfassungsauftrag, die Gleichstellung von Frauen und Männern durchzusetzen". Ein zentrales Thema ist die Bekämpfung der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Die Reaktionen der Parteien sollen ab dem 31. Juli auf der Internetseite der BAG veröffentlicht werden. Diese sogenannten Wahlprüfsteine gibt es auch bei vielen anderen Organisationen.
Berlin (epd). "Wählt Menschlichkeit" - mit dieser Aktion wird sich die Caritas aktiv im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 mit eigenen Themen einmischen. Die Aktion ist Teil der Caritas-Kampagne "Zusammen sind wir Heimat". Aktionszeitraum ist der 16. August bis 22. September 2017.
Grundlegend für die Aktion sind folgende Überlegungen: Populismus hat Konjunktur, eine Verrohung der Sprache und die Gewalt gegen Flüchtlingseinrichtungen und Personen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, nehmen zu. Zwei Tendenzen stehen einander gegenüber: eine nach wie vor große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung bei gleichzeitig wachsender, verbal und teilweise physisch geäußerter Abwehr gegen das "Fremde". Die Gefahr der Entsolidarisierung wächst ebenso wie die Angst vor dem "Anderen", dem Fremden.
Die Caritas sieht sich in der Verantwortung, aktiv zu werden. Wir wollen ein Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile, gegen Ausgrenzung und Tendenzen der Entsolidarisierung, gleich ob es sich um Flüchtlinge oder beispielsweise um Wohnungslose handelt.
Die Caritas bezieht Stellung und erinnert daran, was für eine freiheitlich- demokratische und offene Gesellschaft unabdingbar ist: Solidarität, (Mit-)Menschlichkeit, Respekt und vieles mehr. Mit dieser Aktion sollen die Wählerinnen und Wähler sensibilisiert werden für die Werte und Regeln, die ein gelingendes Zusammenleben ermöglichen, und für die Frage, wie sich dies in den Programmen der Parteien zeigt.
Es geht ausdrücklich nicht darum, eine Wahlempfehlung auszusprechen. Es geht darum, an die Werte und Grundlagen unseres freiheitlich-demokratischen Verständnisses zu erinnern. Dabei sollen existierende Ängste in der Gesellschaft nicht ignoriert, sondern Anstöße gegeben und die Bereitschaft zum Nachdenken gefördert werden.
Die Aktion wird sowohl in den sozialen Medien umgesetzt (Facebook, Twitter) als auch in Veranstaltungen und an Infoständen der Caritas vor Ort. Wir wollen als Caritas aktiv Themen setzen und uns mit Fakten zu Zuwanderung, Arbeit, Europa, Bildung, sozialer Gerechtigkeit in die Debatten einmischen.
Wir wollen aber auch - vor allem in den sozialen Medien - aktiv werden, wenn sprachliche Entgleisungen oder Hetze gegen Gruppen in den Auseinandersetzungen des Wahlkampfs sichtbar werden. Plakate, Aufkleber und Postkarten für Aktionen vor Ort Schon jetzt zeigt die Resonanz aus den Diözesan- und den Orts-Caritasverbänden ein hohes Interesse an dieser Aktion und die Bereitschaft, vor Ort aktiv zu werden.
Für die Arbeit vor Ort wurden Materialien wie Plakate, Postkarten und Aufkleber produziert, die über den Carikauf bestellt werden können. Jede und jeder kann auch selbst Teil der Aktion werden: Indem er ein Foto von sich mit dem Aktionsschild "Ich wähle Menschlichkeit" macht. Wir setzen darauf, dass unsere Mitglieder auch Freunde, die Familie, die Nachbarn, den Bäcker, die Postbotin und viele andere dafür gewinnen, sich mit dem Schild fotografieren zu lassen und es auf www.caritas. de/fotos-aktionsschild hochzuladen. Die Fotos werden dann auf der Aktionsseite zu sehen sein, die ab 1. August freigeschaltet wird. Das Aktionsschild kann auf der genannten Carikauf-Webseite kostenlos angefordert werden.
Der Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift neue caritas 10/2017.
Berlin (epd). Die Diakonie plant im Vorlauf zur Bundestagswahl am 24. September auf Bundes- und Landesebene verschiedene Kampagnen. Wie das Hilfswerk mitteilte, können potenzielle Wähler ab dem 14. August auf der Internetseite mit dem "Sozial-O-Mat" testen, mit welcher Partei die eigene Meinung in puncto soziale Fragen am meisten übereinstimmt. In diesem Rahmen findet auch die Sommertour "Sozial-O-Meet" von Diakonie-Präsident Ulrich Lilie statt, hieß es.
In Berlin, Coburg, Halle und Düsseldorf trifft Lilie gemeinsam mit Vertretern der Diakonie vor Ort Politiker, um über gesellschaftliche Fragen zu diskutieren. Dabei sollten Antworten auf die Fragen "Wie schaffen wir bezahlbaren Wohnraum für alle?", "Wie kommen wir zu gleichen Lebensverhältnisse in Stadt und Land?" oder "Wie können wir Kinder- und Familienarmut wirksam bekämpfen?" gefunden werden. Auch die Integration von Flüchtlingen werden ein Thema sein. Die Positionen der Diakonie zu diesen und anderen sozialen Fragen gibt es zusätzlich als Printprodukt, Titel: "Auf den Punkt gebracht".
In Niedersachen plant die Diakonie gemeinsam mit der Caritas die Wiederauflage der Kampagne "Jeder braucht ein Stück vom Kuchen". Kernstück ist wie vor vier Jahren eine Sozialcharta mit Grundsätzen für ein besseres Zusammenleben, die auch online einsehbar ist. Mitarbeitende aus Einrichtungen besuchen Politiker in ihrem Wahlkreis, berichten über ihre Erfahrungen aus der Arbeit und formulieren Wünsche und Forderungen.
Bereits beendet ist die Aktion "Perspektiven für Alle" des bayrischen Landesverbands. Langzeitarbeitslose, Obdachlose, prekär Beschäftigte oder auch Rentner, die keine armutsfeste Rente beziehen, konnten bis zum 21. Juli ihre Fragen in über 50 Einrichtungen der Diakonie Bayern über eigens dafür bereitgestellte Briefkästen den Vertretern einer oder auch mehrerer Parteien stellen.
Der Politikwissenschaftler Michael Koß sagte im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst, Aktionen wie der "Kandidatencheck" oder "Wahlprüfsteine" gehörten zum politischen Alltagsgeschäft. Die Sozialverbände wirkten ganz legitim an der Willensbildung mit. Und: Die Wahlkandidaten müssen es aushalten, "dass auf sie konträrer Druck ausgeübt wird". Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Kaum ein großer Sozialverband verzichtet zur Bundestagswahl auf eine eigene Kampagne, um auch Einfluss zu nehmen auf die Kandidaten der Parteien. Machen solche Initiativen überhaupt einen Sinn? Die Wahlprogramme der Parteien sind doch längst in Druck?
Michael Koß: Es gibt in der Verbandsarbeit grundsätzlich zwei Seiten: Das Innenleben, wo quasi die echte Arbeit gemacht wird, und dann die Schauseite. Was jetzt im Wahlkampf an Kampagnen passiert, bewegt sich vor allem auf dieser Schauseite. Man muss ja nicht nur die Arbeit machen, sondern man muss als Verband auch nachweisen, was man für Aktivitäten gestartet hat. Und genau diesem Nachweis dient etwa ein Faktencheck oder ein Kandidatencheck. Und man hofft natürlich darauf, auch irgendwie Einfluss auf die Politik zu nehmen, indem man gegebenenfalls eine implizite oder explizite Wahlempfehlung ausspricht. Das ist das normale Tagesgeschäft.
epd: Bewirken diese Initiativen tatsächlich etwas?
Koß: Ja, sie können sich real tatsächlich auswirken. Die Sozialverbände zählen zu den größten Organisationen in Deutschland, haben also viele Mitglieder. Und wenn öffentlich gesagt oder geschrieben würde, dass etwa CDU-Positionen zur Sozialpolitik nicht wählbar sind, würde daraus für die potenziellen Wähler schon etwas resultieren. Auch ohne, dass man, wie früher direkt von der Kanzel herab, direkt sagt, wer gewählt werden soll. Das ist zwar kein Lobbying im engeren Sinne, dient aber sehr wohl als politischer Hebel im weiteren Sinne.
epd: Sind die Aktionen richtig getimt?
Koß: Man muss wissen, dass im politischen Berlin aktuell inhaltlich kaum noch gearbeitet wird. Es sei denn, es passiert etwas Brandaktuelles. Alles steht längst im Zeichen des Wahlkampfes, so dass auch die echte Arbeit in den Parteien steht jetzt hinten ansteht.
epd: Ist es ein Problem, dass die Verbände auch Druck auf die Kandidaten der Parteien ausüben, um ihre Ziele zu erreichen?
Koß: Ich finde das überhaupt nicht ehrenrührig. Im Gegenteil. Wir leben im Pluralismus. Wir haben ja nicht nur die Parteien, sondern auch die Verbände, die an der politischen Willensbildung mitwirken sollen. Die Abgeordneten müssen es auf jeden Fall abkönnen, dass dieser konträre Druck auf sie ausgeübt wird.
epd: Wie bewerten Sie den realen Einfluss auf einen Abgeordneten oder Kandidaten?
Koß: Das hängt davon ab, wie nahe diese Person den Zielen eines Sozialverbandes steht. Es gibt ja vor allem bei den großen Volksparteien viele Abgeordnete, sie sich selbst in den sozialen Organisationen, Stiftungen oder Vereinen aktiv engagieren. Die stehen natürlich unter größerem Druck, wenn die eigene Partei bei der Wahl schlecht abschneidet. Fakt ist aber auch, dass jetzt in Wahlkampfzeiten kein Verband mehr direkten Einfluss auf Programme nehmen kann. Wenn jetzt spezielle Forderungen erhoben werden, kann ja etwa die SPD nicht mehr ihr Wahlprogramm ändern.
epd: Liegt es vielleicht auch an der Fülle der ihrer Forderungen, dass die sozialen Interessengruppen nur bedingt Gehör finden?
Koß: Ich habe die Vermutung, dass die Verbände grundsätzlich selten richtig schlagkräftig auftreten. Das kommt daher, dass sie ein sehr breites Spektrum an Forderungen abdecken müssen. Interessen, die sich auf eine kleine hoch spezialisierte Gruppe beschränken, sind dagegen sehr, sehr wirkmächtig. Bestes Beispiel dafür ist der Bauernverband. Der bringt immer Power auf die Straße. Ich kann mich täuschen, aber dagegen ist der Einfluss der Sozialverbände im Wahlkampf doch überschaubar.
epd: Ließen sich die Ziele von Diakonie, Caritas, VdK und Co. nicht besser erreichen, wenn sie gemeinsam eine Kampagne starten?
Koß: Das mag sein, aber es gibt sicher auch viele allzu menschliche Gründe, warum das nicht klappt, etwa beim Beharren auf Eigenständigkeit oder das Festhalten an einem einflussreichen Vorstandsposten. Und die Organisationen haben ja auch eine Art Arbeitsteilung, mit der sie ihre Klienten bedienen. Selbst wenn es einen einzigen riesigen Verband gäbe, der nur mit einer Stimme spricht, wäre dessen Interesse zu diffus, um in Normalzeiten wahnsinnig einflussreich zu sein.
Berlin (epd). Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) betont Mascher den Einfluss des Verbandes auf Gesetzesreformen in der Vergangenheit. "Unser Ziel ist es, dass zentrale Forderungen der VdK-Aktion 'Soziale Spaltung stoppen!' in den Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung einfließen und eingelöst werden." Kampfgeist und Mobilisierungsfähigkeit in allen Verbandsstufen seien wichtige Erfolgsfaktoren, um als sozialpolitische Interessenvertretung wahrgenommen zu werden. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Der Sozialverband VdK Deutschland hat zur Bundestagswahl die Kampagne "Soziale Spaltung stoppen" gestartet, mit der für eine andere Sozialpolitik geworben wird? Wer ist der Adressat?
Ulrike Mascher: Unsere Aktion richtet sich an Politik, Medien, VdK-Mitglieder und Nichtmitglieder. Wir wollen unsere Vorstellungen von einer gerechten Sozialpolitik deutlich machen. Dabei machen wir öffentlichkeitswirksam auf Missstände aufmerksam, zeigen aber auch Lösungswege auf.
epd: Ihr Forderungskatalog ist recht dick, es geht um Armut, Rente, Steuern, Gesundheit, Pflege und Behinderung. Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?
Mascher: Es gibt noch etliche Baustellen in der Sozialpolitik, an der die nächste Bundesregierung mit Nachdruck arbeiten muss. Vor allem im Bereich der Rentenpolitik gibt es weiterhin genug zu tun. Deshalb fordern wir, dass die Talfahrt des Rentenniveaus endlich gestoppt und das Rentenniveau perspektivisch auf 50 Prozent angehoben wird. Die Kürzungsfaktoren in der Rentenformel müssen abgeschafft werden, damit die Renten wieder parallel zu den Löhnen steigen. Eine weitere zentrale Maßnahme im Kampf gegen Altersarmut ist die Abschaffung der Abschläge für Erwerbsminderungsrentner.
epd: Was ist mit den Mängeln im Gesundheitswesen?
Mascher: Von der zukünftigen Gesundheitspolitik erwarten wir eine zügige Entlastung der Versicherten. Konkret müssen die einseitigen Belastungen der Versicherten, insbesondere durch Zuzahlungen und Zusatzbeiträge, abgeschafft und die gesetzliche Krankenversicherung wieder solidarisch finanziert werden.
epd: Wie schätzen Sie ihre Einflussmöglichkeiten ein, denn eine direkte Wahlempfehlung geben Sie ja nicht?
Mascher: Unser Einfluss ist groß und bleibt es. Dazu trägt die Präsenz in den Medien bei vielen verschiedenen sozialpolitischen Themen, unsere Lobbyarbeit, die Größe und das Wachstum des Verbands bei. Wie kaum ein anderer Interessenverband konnte der VdK in den letzten Jahren sozialpolitisch wichtige Weichen stellen. Die Anhebung der Mütterrente, die Fortschritte bei der Erwerbsminderungsrente, die Verbesserungen für Demenzkranke durch die Pflegereform oder die Einführung des Mindestlohns: Den Anstrengungen des mit über 1,8 Millionen Mitgliedern stärksten Sozialverbands in Deutschland ist es mit zu verdanken, dass diese Gesetzesänderungen durchgesetzt werden konnten.
epd: Im Wahlkampf werden alle großen Sozialverbände aktiv. Dienen deren Initiativen nicht auch dazu, im Gespräch zu bleiben und den Mitgliedern zu signalisieren: "Wir tun etwas"?
Mascher: Ja natürlich, aber nicht nur alle vier Jahre. Das "Wir tun etwas" beeinflusst positiv die Mitgliederbindung und stärkt den Bekanntheitsgrad. Unsere Mitglieder wollen, dass wir den Finger in die Wunden legen und auf Missstände aufmerksam machen. Kampfgeist und Mobilisierungsfähigkeit in allen Verbandsstufen sind dabei wichtige Erfolgsfaktoren, um als sozialpolitische Interessenvertretung wahrgenommen zu werden und Einfluss auf politische Entscheidungsträger zu nehmen.
epd: Kommen solche Aktionen nicht zu spät: Die Wahlprogramme der Parteien sind doch längst gedruckt?
Mascher: Unser Ziel ist es, dass zentrale Forderungen der VdK-Aktion in den Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung einfließen und eingelöst werden. In den letzten Wochen hat die VdK-Aktion bereits in allen Landesverbänden Fahrt aufgenommen. In der heißen Phase folgen nun weitere Großveranstaltungen, Messen, Gesundheitstage oder Stadtfeste, die genutzt werden, um unsere Forderungen in die Fläche zu tragen. Viele Orts- und Kreisverbände organisieren Veranstaltungen, zu denen die Kandidaten des Wahlkreises eingeladen sind.
epd: Ist es eigentlich sinnvoll, dass die Sozialverbände mit vielen unterschiedlichen Stimmen sprechen? Warum gibt es keine konzertierte Aktion für einen Politikwechsel?
Mascher: Wir arbeiten mit Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden eng zusammen und beteiligen uns an vielen themenbezogenen Bündnissen. Aber es ist auch wichtig, dass jede Organisation ihre eigenen Schwerpunkte deutlich macht. Unser Eindruck ist, dass die unterschiedlichen Stimmen sich eher verstärken und sich nicht auseinanderdividieren lassen.
Berlin (epd). Im vergangenen Jahr hat Deutschland 918 Milliarden Euro für Sozialleistungen ausgegeben. Das geht aus dem Sozialbericht des Bundesarbeitsministeriums hervor, der am 2. August vom Kabinett gebilligt wurde. Demnach stiegen die Leistungen gegenüber 2015 um 3,7 Prozent. Das entspricht rund 33 Milliarden Euro. Sozialverbänden zufolge ist der Anstieg der Sozialausgaben unter anderem eine Folge prekärer Arbeitsverhältnisse.
Mehr als 80 Prozent der Sozialleistungen (etwa 720 Milliarden Euro) dienten laut Bericht zur Absicherung von Risiken, die mit Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Alter oder Tod verbunden sind. Die Sozialleistungsquote, also das Verhältnis der Leistungen zum Bruttoinlandsprodukt, liegt bei 29,3 Prozent. Im Vorjahr betrug sie 29,2 Prozent. Laut Prognose wird die Quote aufgrund von gesetzlichen Änderungen etwa bei der Kranken- und Pflegeversicherung 2017 vermutlich um 0,5 Prozentpunkte auf 29,8 Prozent steigen.
Nach den Worten des Präsidenten des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, ist die Entwicklung der Sozialausgaben unter anderem auf die Niedriglohnpolitik zurückzuführen. "Immer mehr Menschen in Deutschland sind arm, obwohl sie arbeiten", teilte Bauer mit. Forderungen die Sozialabgaben zu begrenzen, erteilte er eine Absage. "Richtiger wäre es, anständige Löhne zu zahlen."
Ähnlich äußerte sich der Bundesvorsitzende der AWO, Wolfgang Stadler. "Trotz der guten wirtschaftlichen Lage und Rekordbeschäftigung am Arbeitsmarkt muss Deutschland mittlerweile mehr als 900 Milliarden Euro an Sozialausgaben aufbringen", erklärte Stadler. Das zeige, welche Dimension die soziale Ungleichheit in Deutschland inzwischen erreicht hat. "Wir brauchen keine Debatte um Leistungskürzungen, sondern um die Frage, wie soziale Ungleichheit in einem so reichen Land wie Deutschland besser beseitigt werden kann." Er sprach sich unter anderem für höhere Löhne in sozialen Berufen aus. Soziale Dienstleistungen müssten neu bewertet werden.
Der Sozialverband VdK kritisierte, dass hohe Sozialleistungen trotz geringer Arbeitslosigkeit ein deutlicher Hinweis auf viele schlecht bezahlte Jobs seien. "Arbeit muss gut bezahlt werden. Dadurch erhalten die Sozialversicherungssysteme auch eine tragfähige Finanzgrundlage", sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher.
Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sabine Zimmermann, warf der Bundesregierung Versagen bei der Armutsbekämpfung vor. "Die hohen Sozialausgaben belegen, dass sowohl die sozialen Sicherungssysteme als auch Arbeit in vielen Fällen nicht mehr existenzsichernd sind", erklärte Zimmermann. Sie forderte einen Kurswechsel in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.
Für den sozialpolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Wolfgang Strengmann-Kuhn, macht der Bericht deutlich, dass die Armutsgefährdungsquote ein historisch hohes Niveau erreicht hat. "Vom anhaltenden Aufschwung profitieren längst nicht alle", sagte Strengmann-Kuhn. Jedes fünfte Kind unter 18 sei von Armut bedroht, Alleinerziehende und Familien mit geringen Einkommen seien besonders gefährdet trotz Erwerbsarbeit.
Wie bei den Familienleistungen gilt laut dem Grünen auch bei der Rente: "Um Altersarmut durch eine bessere Rente zu vermeiden sind zielgenaue und strukturelle Änderungen notwendig. Dazu gehören die Weiterentwicklung der Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung und die Einführung einer Garantierente, die ohne Bedürftigkeitsprüfung eine Rente über dem Grundsicherungsniveau garantiert."
Berlin (epd). Forderungen nach einem Rechtsanspruch auf eine ganztätige Betreuung in der Grundschule stoßen auf ein weitgehend positives Echo. "Nach dem Anspruch auf einen Kita-Platz ist dies die logische Konsequenz, wenn wir insgesamt eine gute Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur haben wollen", erklärte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Elke Hannack, am 1. August in Berlin. Die Ganztagsschule biete große Chancen für einen ganzheitlichen Bildungsansatz. Allerdings fordern Elternvertreter qualitativ hochwertige Angebote. Der Städte- und Gemeindebund sieht dagegen wenig Chancen die Pläne umzusetzen.
Der Deutsche Familienverband unterstützte die Forderungen nach einem Rechtsanspruch. Gerade die Betreuung von Grundschulkindern nach dem Unterricht sei für Eltern, die beide berufstätig sind, eine große Herausforderung, sagte der Bundesgeschäftsführer des Verbands, Sebastian Heimann, am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Allerdings müssten die Angebote für Eltern finanzierbar und kinderorientiert sein. Vor allem müsse ausreichend Personal eingestellt werden, das für die Altergruppe qualifiziert und auch gut bezahlt sei.
Einer Untersuchung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zufolge haben derzeit rund 44 Prozent der Grundschulkinder nach der Schule keine Betreuung. Nach Angaben von Experten liegt der bundesweite Bedarf an zusätzlichen Ganztagsplätzen bei 280.000. Für rund 275.000 Mädchen und Jungen sollte zudem das Betreuungsangebot erweitert werden. Unter anderem hatte Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) einen Rechtsanspruch auf Betreuung von Grundschulkindern gefordert.
Nach Ansicht des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter ist der Bedarf vor allem in Einelternfamilien enorm hoch. "Niemand kann in Ruhe Teilzeit und schon gar nicht auch nur annähernd Vollzeit arbeiten, wenn das Kind mittags aus der Schule kommt und Hunger hat", sagte Sigrid Andersen vom Bundesverband der Organisation dem epd. Sie bezog sich mit ihrer Forderung nicht nur auf Grundschüler, sondern auch auf Jugendliche bis 14 Jahre. Andersen plädierte zudem für eine hochwertige Betreuung und Förderung sowie qualifizierte Freizeitangebote. Die Qualität der Angebote für Schulkinder am Nachmittag und auch die Qualität der Mittagsverpflegung an Schulen schreie förmlich nach dringender Verbesserung, sagte Andersen.
Ähnlich sieht dies der Verband katholischer Tageseinrichtungen für Kinder. "Auch für Schulkinder ist es enorm wichtig, nach der Schulzeit ein Angebot nutzen zu können, durch das eine verlässliche Betreuung, eine sinnvolle Freizeitgestaltung verbunden mit einer kindgemäßen Hausaufgabenbetreuung gewährleistet wird", erklärte Geschäftsführer Frank Jansen. Dies sei gerade für Kinder von großer Bedeutung, die von benachteiligten Lebenssituationen betroffen seien. Der Fachverband gehört dem Deutschen Caritasverband an. Rund 8.000 katholische Kindertageseinrichtungen sind darüber organisiert.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund kritisierte dagegen die Forderungen. Für die gesetzlich garantierte Betreuung von Grundschülern seien weder genügend Räumlichkeiten noch genügend Personal da, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. "Wir können nur davor warnen, neue Rechtsansprüche zu versprechen, solange bereits in Kraft gesetzte Rechtsansprüche - wie etwa auf Betreuung der Kleinstkinder - nicht vollständig umgesetzt sind." Laut Landsberg fehlten mindestens fünf Milliarden Euro, um die rund 560.000 Grundschulkinder zu betreuen. Ministerin Barley hatte bereits deutlich gemacht, dass sich auch der Bund finanziell an den Betreuungsplätzen beteiligen muss.
Berlin (epd). Der Bedarf nach Ganztagsbetreuung von Schulkindern ist laut dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter vor allem in Einelternfamilien enorm hoch. "Niemand kann in Ruhe Teilzeit und schon gar nicht auch nur annähernd Vollzeit arbeiten, wenn das Kind mittags aus der Schule kommt und Hunger hat", sagte Sigrid Andersen vom Alleinerziehenden-Verband dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gebe dringenden Handlungsbedarf, ein bedarfsgerechtes Angebot für Kinder zu schaffen.
Andersen bezog sich mit ihrer Forderung nicht nur auf Grundschüler, sondern auch auf Jugendliche. "Einen Rechtsanspruch sollten Grundschulkinder und Schulkinder bis mindestens 14 Jahre haben", sagte die Verbandsvertreterin. Sie plädierte zudem für eine hochwertige Betreuung und Förderung sowie qualifizierte Freizeitangebote. Die Qualität der Angebote für Schulkindern am Nachmittag und auch die Qualität der Mittagsverpflegung an Schulen schreie förmlich nach Verbesserung, sagte Andersen.
Laut einer Untersuchung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums haben derzeit rund 44 Prozent der Grundschulkinder nach der Schule keine Betreuung. Experten zufolge liegt der bundesweite Bedarf an zusätzlichen Ganztagsplätzen bei 280.000. Für rund 275.000 Mädchen und Jungen sollte zudem das Betreuungsangebot erweitert werden.
Für einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Grundschüler hatte sich unter anderem Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) ausgesprochen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund kritisierte, dass den Kommunen weder genügend Räumlichkeiten noch Personal für die Umsetzung zur Verfügung stünden.
Düsseldorf (epd). Die Kinderarmut in Deutschland hat 2016 einer Untersuchung zufolge erneut spürbar zugenommen. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die unter der Armutsgefährdungsgrenze leben, stieg um 0,6 Prozentpunkte auf 20,3 Prozent, teilte das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung am 3. August in Düsseldorf mit. Das entspreche rund 2,7 Millionen Personen unter 18 Jahren. Das Deutsche Kinderhilfswerk und die Grünen forderten die Bundesregierung zum Handeln auf.
Als Grund für den Anstieg nennen die Forscher, dass sich die große Zahl der in letzter Zeit nach Deutschland geflüchteten Kinder und Jugendlichen jetzt in der Sozialstatistik niederschlägt. Dagegen seien die Armutsquoten unter Kindern und Jugendlichen, die keinen Migrationshintergrund haben oder als Kinder von Migranten in Deutschland geboren wurden, leicht rückläufig.
Die allgemeine Armutsquote in Deutschland stagniert der Statistik zufolge, während sich der langfristige kontinuierliche Anstieg der Armutsgefährdung unter Senioren auch 2016 fortgesetzt hat. Neben einer möglichst effektiven Integration von Zugewanderten in Bildung und Arbeitsmarkt sei auch eine Verbesserung der Alterssicherung notwendig, so die Wissenschaftler.
Die WSI-Forscher Eric Seils und Jutta Höhne haben die gerade erschienenen Armutsdaten des Mikrozensus 2016 ausgewertet. Als arm gelten nach gängiger wissenschaftlicher Definition Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Einkommens beträgt. Für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren lag die Armutsschwelle 2015 bei einem verfügbaren Nettoeinkommen von weniger als 1978 Euro im Monat.
Das Deutsche Kinderhilfswerk forderte strukturelle sozialpolitische Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut. Auch müsse es in der neuen Legislaturperiode mehr vorausschauende Integrationsmaßnahmen für zugewanderte Kinder und Jugendliche geben. Zum Kampf gegen Armut gehörten neben armutsfesten Hartz IV-Regelsätzen, eine Beschäftigungspolitik, die Eltern in die Lage versetzt, sich und ihren Kindern durch eigene Erwerbstätigkeit eine ausreichende finanzielle Lebensgrundlage zu bieten.
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, warf der großen Koalition Versagen vor. "Es war zu erwarten, dass die ohnehin schon hohe Kinderarmut in Deutschland durch die Zuwanderung steigen wird." Es fehle ein wirksames Integrationskonzept: "Damit Integration gelingt, müssen bei zugewanderten Familien die Eltern gezielt unterstützt werden: etwa durch eine zügigere Anerkennung der beruflichen Qualifikationen und durch die Förderung der Sprachkenntnisse."
Bonn (epd). Die Bundesländer haben bisher 66 Anträge mit einer Gesamtfördersumme von rund 484 Millionen Euro an den Krankenhausstrukturfonds gestellt. Damit hätten bis auf vier Länder alle Antragsteller den ihnen zustehenden Anteil an Fördermitteln des Bundes ausgeschöpft, teilte das Bundesversicherungsamt am 2. August in Bonn mit. Kritik kam vom Marburger Bund (MB).
Das Bundesamt verwaltet den Strukturfonds in Höhe von 500 Millionen Euro, mit dem Vorhaben der Länder zur Strukturverbesserung in der Krankenhausversorgung gefördert werden.
Bis zum 31. Juli konnten beim Versicherungsamt Anträge auf Auszahlung gestellt werden. Bezuschusst werde unter anderem der Abbau von Überkapazitäten und die Umwandlung in nicht akutstationäre Versorgungseinrichtungen wie Gesundheits- und Pflegezentren. Voraussetzung für die Förderung sei, dass das antragstellende Land mindestens 50 Prozent der förderfähigen Kosten trägt.
Seit der Einrichtung des Fonds 2016 seien mehr als 113 Millionen Euro an die Länder geflossen, hieß es. Gefördert wurden demnach sieben Projekte, darunter auch die ersatzlose Schließung eines Krankenhauses sowie eine Klinikumwandlung in eine nicht akutstationäre Einrichtung.
"Die hohe Zahl der Anträge sowie die Tatsache, dass die allermeisten Bundesländer ihren Förderanteil vollständig ausgeschöpft haben, zeigen, dass der Strukturfonds eine wichtige Motivation für Investitionen in Strukturreformen darstellt", sagte der Präsident des Bundesversicherungsamtes, Frank Plate. Der Fonds hat eine Laufzeit bis Ende 2018 und wird aus dem Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert.
„Der Strukturfonds wird das Investitionsproblem nicht lösen können. Im schlechtesten Fall werden Kapazitäten nur deshalb abgebaut, um notwendigen Investitionen aus dem Weg zu gehen", sagte MB-Chef Rudolf Henke. Er nahm die Länder in die Pflicht: "Sie müssen bei der Krankenhausplanung festlegen, welche Strukturen erforderlich sind, um eine bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen.“
Berlin (epd). Der Berliner Senat und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) streiten um die Zusammenarbeit bei Asylgerichtsverfahren. Die Senatoren für Justiz, Finanzen und Soziales warfen dem Bundesamt am 2. August mangelnde Mitarbeit bei der gerichtlichen Überprüfung von Asylverfahren vor. Das Amt wollte die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen und ging in die Offenive.
Derzeit bearbeite das Verwaltungsgericht Berlin rund 13.000 Asylverfahren, sagte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) in der Hauptstadt. Das Bamf wirke jedoch bei der Bearbeitung der Prozesse nicht ausreichend mit. In aller Regel erschienen keine Vertreter des Bundesamtes vor Gericht und Anfragen des Gerichts zu einzelnen Verfahren würden nicht beantwortet. "Wir sind weit davon entfernt, was wir uns in einem Rechtsstaat wünschen", sagte Behrendt.
Die Dauer der Verfahren wachse deshalb, obwohl das Berliner Verwaltungsgericht personell von 93 auf derzeit 113 Richter deutlich aufgestockt wurde. Für 2018/2019 sollen zudem zusätzliche weitere 16 Richter eingestellt werden, sagte Behrendt. Anders als in anderen Verwaltungsbereichen, wie beispielsweise dem Auswärtigen Amt bei Visastreitigkeiten üblich, schicke das Bamf keine Vertreter zu den Verfahren, obwohl das Gericht auf die Unterstützung des Bundesamtes als Entscheidungsinstanz angewiesen sei. Stattdessen werde bei Verfahrensfragen auf eine telefonische Hotline des Bundesamtes verwiesen. Ähnliche Erfahrungen machten auch andere Bundesländer.
Das Bundesamt wies die Vorwürfe zurück. Tatsächlich erschienen Vertreter des Amtes zumeist nur bei Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung in der Regel vor den Oberlandesgerichten (OVG) als nächsthöhere Instanz. Ansonsten sei dafür die spezielle Hotline eingerichtet worden. Hier könnten Mitarbeiter der Migrationsbehörde den Gerichten Auskünfte zu Verfahrensständen und Hintergründen geben, betonte der Leiter der Berliner Außenstelle des Bamf, Wolfgang Meier.
Ein Grund für die verzögerten Verfahren in Berlin sieht Meier auch in der umständlichen Bearbeitung von Akten beim Berliner Verwaltungsgericht. Während das Bundesamt seine Akten elektronisch an die Gerichte übermittle, erfolge umgekehrt der Schriftverkehr noch per "Schneckenpost", sagte Meier. Diese Schriftstücke müssten vom Bundesamt dann erst wieder eingescannt und den Akten zugefügt werden. Während das Verwaltungsgericht Hamburg, das seine Verwaltung voll digitalisiert habe, im vergangenen Monat 307 Verfahren entschied, seien es in Berlin nur 62 gewesen.
Viele der Klagen richteten sich zudem gegen Entscheidungen des Bundesamtes, syrischen Antragstellern nur einen subsidiären Schutz einzuräumen, sagte Bamf-Abteilungsleiter Andreas Jödecke. Der subsidiäre Schutz schließt einen Familiennachzug aus. Während bundesweit die meisten Verwaltungsgerichte derartige Klagen zurückwiesen gebe es dazu im Berliner Verwaltungsgericht unterschiedliche Ansichten. Auch das führe zu Verzögerungen, sagte Jödecke.
Kiel (epd). Das schleswig-holsteinische Innenministerium hat Ausnahmeregelungen für den Wohnortwechsel von Asylbewerbern geschaffen. Für ein Studium, eine Ausbildung oder einen Beruf können ab sofort auch nicht anerkannte Asylbewerber mit Bleibeperspektive einen Antrag auf "landesinterne Umverteilung" stellen, teilte das Innenministerium am 28. Juli mit. Bislang war dies in der Regel nur aus familiären oder humanitären Gründen möglich.
"Integration klappt am besten über Ausbildung und Arbeit", begründete Staatssekretär Torsten Geerdts (CDU) den Erlass. Deshalb dürfe es nicht länger passieren, dass Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive einen Job oder ein Studienangebot ausschlagen müssen, weil ihre Unterkunft zu weit weg ist, sagte er.
Zielgruppe des Erlasses sind Asylbewerber, die trotz des angestrebten Abbaus der durchschnittlichen Verfahrensdauer sehr lange auf eine endgültige Entscheidung über ihren Asylantrag warten müssen. Grundsätzlich sind sie nach ihrer in der Regel sechswöchigen Zeit in der Aufnahmeeinrichtung des Landes bis zur Entscheidung über ihren Antrag an den ihnen zugewiesenen Wohnort in den Kreisen oder Kreisfreien Städten gebunden.
In der Regel hätten die Asylsuchenden auf kommunaler Ebene die notwendigen Sprachkenntnisse für den Beginn einer Ausbildung, eines Studiums oder einer Erwerbstätigkeit erworben, sagte Geerdts weiter. Auch eigentlich abgelehnte - aber geduldete - Asylbewerber könnten bei Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung eine weitere Duldung für deren Dauer erhalten.
Hamburg (epd). Jeder Beschäftigte in Deutschland hat im vergangenen Jahr Antidepressiva für durchschnittlich zwei Wochen verschrieben bekommen. Nach Berechnungen der Techniker Krankenkasse (TK) hat sich die verschriebene Menge damit seit 2007 verdoppelt. Frauen bekommen mehr Antidepressiva verordnet als Männer, wie die TK am 1. August in Hamburg mitteilte.
Bei männlichen Beschäftigten stieg die Menge jedoch schneller: Sie erhielten 2016 im Schnitt für 10,5 Tage Medikamente gegen Depressionen, 114 Prozent mehr als 2007. Bei Frauen stieg die verordnete Dosis im selben Zeitraum um 93 Prozent von 8,7 auf 16,8 Tageseinheiten.
Laut der TK-Stressstudie fühlen sich 43 Prozent der Beschäftigten in Deutschland abgearbeitet und verbraucht. Jeder Vierte gibt an, dass der Stress schon so ungesund wurde, dass die üblichen Ausgleichsstrategien nicht mehr reichten, um runterzukommen. Auch das trägt nach Einschätzung der TK dazu bei, dass stressbedingte Krankschreibungen zunehmen und die Menge der Antidepressiva-Verordnungen steigt.
Wiesbaden (epd). Die Nutzung des Internets für medizinische Zwecke soll in Hessen deutlich erweitert werden. Mit diesem Ziel hat Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) eine Vereinbarung mit den Präsidenten der Gießener Justus-Liebig-Universität und der Technischen Hochschule Mittelhessen unterzeichnet. Sie sieht die Errichtung eines Kompetenzzentrums für Telemedizin und E-Health (elektronische Nutzung für Gesundheitszwecke) in Gießen vor. Die dort tätigen mehr als 60 Wissenschaftler sollen aus neutraler Warte und unabhängig von Interessen einzelner Firmen, Krankenhäuser oder Ärzteverbände Anwendungsmöglichkeiten in diesem Bereich erforschen und im Sinne der Patienten nutzbar machen.
Grüttner nannte es unabdingbar, hier voranzukommen. Gerade angesichts des Ärztemangels im ländlichen Raum, aber auch mangelnder Mobilität immer älter werdender Menschen spielten moderne Kommunikationstechnologien in Zukunft eine entscheidende Rolle für eine wohnortnahe medizinische Versorgung. Bereits seit 2014 werde mit Hilfe einer speziellen IT-App ein System im Rettungsdienst genutzt, bei dem freie Kapazitäten und notwendige Kompetenzen von Krankenhäusern erfasst und genutzt werden, so dass der Rettungswagen gezielt die richtige Klinik anfahren könne.
Noch in dieser Woche sollte außerdem zunächst im Landkreis Gießen begonnen werden, das System eines besonders ausgerüsteten Notarztwagens zu erproben, in dem die Rettungssanitäter bereits unterwegs etwa Ultraschallaufnahmen machen können, deren Bilder mit Hilfe des Internets zeitgleich im Krankenhaus gelesen und ausgewertet werden. Der Patient könne dann bei der Ankunft in der Klinik gleich entsprechend versorgt und behandelt werden.
Ein anderes System, das bereits in Gießen und Umgebung getestet wird, ist die Nachbehandlung an der Lungenkrankheit COPD erkrankter Patienten zu Hause. Mit einer speziellen Software könnten sie dabei auf dem Bildschirm erkennen, ob ihre Übungen zur Atemversorgung ausreichen, sowie bei Bedarf mit dem Lungenfacharzt kommunizieren, wenn es ihnen nicht gut geht.
Mitrovica (epd). In dem rechten Schulraum montieren sie gerade die Halterungen für eine abgehängte Rigipsdecke, im linken Klassenzimmer stehen Übungswände, an denen Waschbecken, Bidets und Toiletten montiert werden. Die Wände sehen aus wie ein Schweizer Käse: ein Loch neben dem anderen. 600 Menschen hat die Diakonie Kosova im vergangenen Jahr in den Übungswerkstätten ausgebildet; seit Beginn ihrer Tätigkeit im Jahr 2000 sind es etwa 10.000. "Wer hier das Handwerk lernt, hat später gute Chancen, einmal auf eigenen Füßen zu stehen", sagt der deutsche Leiter Bernd Baumgarten.
Neben dem Eisenbahngleis der alten Strecke nach Thessaloniki, auf dem schon lange kein Zug mehr fährt, liegt das Trainingscenter der Diakonie (DTC): Schmucke mit Holz verkleidete Häuser. Der Kampf gegen die Perspektivlosigkeit scheint sich zu lohnen: „Nicht wenige von den jungen Leuten, die mal bei uns waren, kommen nach ein paar Jahren wieder und erzählen uns von ihrer eigenen kleinen Firma.“
Offiziell liegt die Arbeitslosenquote im Kosovo bei rund 35 Prozent; bei Jugendlichen sogar 60. Seit fünf Jahren bietet die Diakonie im nordkosovarischen Mitrovica ihr Ausbildungsprogramm an. Rund 110.000 Menschen leben hier; 30.000 Serben im Norden, 80.000 Albaner im Süden – getrennt durch das Flüsschen Ibar. Und durch ihre Religion: Christlich-orthodoxe Serben gegen Albaner, die Muslime sind.
Nach dem Zerfall des Vielvölkerstaats Jugoslawiens, der 1991 mit Kriegen in Slowenien, Bosnien und Kroatien begann, eskalierten die Konflikte auch im Kosovo: Es kam zum Bürgerkrieg. Serbien und andere Balkanstaaten erkennen das Land nach wie vor nicht an. Seit 1999 sorgen internationale KFOR-Truppen für Ruhe und helfen beim Wiederaufbau; auch deutsche Soldaten sind hier stationiert.
Vieles ist anders hier in dem Balkanstaat: Krankenversicherung Fehlanzeige; wer einen Arzt braucht, muss Beziehungen haben oder Bargeld. Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld sind Fremdworte in dem Land, das Beitrittskandidat zur EU ist.
Im DTC können sich Frauen und Mädchen zur Schneiderin oder Friseurin schulen lassen. Hier entsteht sozusagen die Zukunft des Landes, wenn junge Menschen zu Trockenbauern, Fliesenlegern, Elektrikern, Klempnern, Zimmerleuten oder Installateuren ausgebildet werden. Senior Experts aus Deutschland vermitteln ehrenamtlich ihr Fachwissen in der jeweiligen Branche. Drei Monate dauern die Kurse; dazu kommt noch ein einmonatiges Praktikum. 20 Euro muss man dafür bezahlen; Geld, das sich gleich mehrfach rentiert.
An der Spitze des Verbandes steht Bernd Baumgarten: 65 Jahre alt, gelernter Koch, studierter Sozialarbeiter, langjähriger Geschäftsführer der Diakonie in Trier. 2007 kam er zum ersten Mal in den Kosovo, um zu sehen, in welche Verhältnisse von Deutschland abgelehnte Asylbewerber zurückkehren. Baumgarten: „80 Prozent der Häuser waren verbrannt oder zerstört; fast jeder Kosovare hat jemanden aus der Familie im Krieg verloren.“
2012 zog Baumgarten dann ganz hierher und brachte die Projekte, die die Kindernothilfe begonnen hatte, mit viel Geschick voran. Heute bietet die Diakonie Kosova 82 Arbeitsplätze. Neben dem Trainingscenter gibt es einen Montessori-Kindergarten, ein multiprofessionelles Team für die Traumatherapie sowie – außerhalb der Stadt – eine gut sieben Hektar große Farm mit rund 1.000 französischen Maran-Hühnern und einer Handvoll Ziegen, die knapp ein Dutzend Arbeitsplätze bietet für Menschen mit und ohne Behinderung. Das ist einmalig im Kosovo.
Luzerne und Mais fürs Futter der Tiere bauen die Mitarbeiter selber an. Und die großen braunen Eier mit der festen Schale kosten 20 Cent das Stück: Die deutsche Botschaft in Pristina, ein paar Supermärkte und viele Einzelkunden kaufen die Eier. Der Erlös fließt wieder zurück in die anderen Projekte. Hier einen Job zu haben, ist so etwas wie ein Sechser im Lotto. Nicht ohne Stolz sagt Bernd Baumgarten über die Arbeit seines Verbandes: "Diakonie ist so was wie ein Leuchtturm der Hoffnung für die Ärmsten hier im Lande."
Ein weiteres Projekt, mit dem die Diakonie Kosova Brücken zwischen den verfeindeten Nationalitäten bauen will, steht in Mitrovica unmittelbar neben der zentralen Brücke über den Ibar: das Jugendzentrum mit seiner schwarz-roten Fassade. In der "urban dance crew" treffen sich Jugendliche aus beiden Bevölkerungsgruppen unter der Leitung eines Roma zu atemberaubenden Breakdance-Sessions.
Im ersten Stock finden Englischkurse statt oder Programme für Videofilmer und Diskjockeys. Alles meist zum Brechen voll. Baumgarten: "Hier gibt es in der ganzen Stadt kein Kino und kein Theater; die Jugendlichen sind so was von dankbar.“
"Ich hätte nicht gedacht, dass es mitten in Europa noch so stark religiös motivierte Konflikte gibt", sagt Michael Frieß, Abteilungsleiter Gesundheit und Sozialpsychiatrie der Inneren Mission, nach einer Studienfahrt in die Krisenregion. Und Vorstand Günther Bauer ergänzt: "Das sind alles sehr zarte Pflänzchen der Hoffnung in einer leider ziemlich hoffnungslos erscheinenden Umwelt."
Stuttgart (epd). Vor 500 Jahren wurde durch die Reformation ein gesellschaftlicher Wandel in Gang gesetzt, der bis heute fortwirkt. Soziale Ungerechtigkeit, mit verursacht durch die Kirche, wurde angeprangert. Mit der individuellen Gewissensentscheidung und dem individuellen Glauben wurde der Mensch in den Mittelpunkt gerückt und damit seine Freiheit und seine Fähigkeit mitzugestalten. Mit diesem Menschenbild wurde die Reformation zu einer wichtigen Grundlage für die Aufklärung, für das Konzept der Menschenrechte und für die Demokratie.
Auch 500 Jahre nach der Reformation befinden wir uns im Wandel, und es wird deutlich, dass Demokratie nicht von alleine dauerhaft selbstverständlich ist. Gründe für den Wandel, den wir erleben, liegen in der Globalisierung der Märkte und der Kommunikation, in der technologischen Entwicklung (Digitalisierung), die nicht nur die Arbeitswelt gravierend verändert, sondern auch alle anderen Lebensbereiche, und in den weltweiten Fluchtbewegungen. Deutschland steht vor der Herausforderung, sich vom Einwanderungsland hin zu einer Einwanderungsgesellschaft zu entwickeln.
In den Veränderungen, die der Wandel mit sich bringt, liegen zwar große Chancen, es besteht aber auch die Gefahr, dass eine zunehmende Anzahl von Menschen sich abgehängt fühlen und Ängste um ihre eigene Zukunft entwickeln. Misstrauen gegenüber der Politik, Ressentiments und Abwehr gegenüber (neu) eingewanderten Menschen und ein Erstarken von Demokratiefeindlichkeit und Rassismus sind Phänomene, die wir vor diesem Hintergrund deutlich wahrnehmen und die große Herausforderungen für unsere Gesellschaft mit sich bringen.
Daher sind alle gesellschaftlichen Akteure gefordert, den Wandel so mitzugestalten, dass die Menschen mitgenommen werden und eine positive Lebensperspektive für sich entwickeln können. Junge Menschen mit schlechten Startvoraussetzungen sind hier besonders betroffen und können im aktuellen Wandel schnell an den Rand der Gesellschaft geraten. Daher ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sich besonders um sie zu kümmern. Dazu kann und muss die Jugendsozialarbeit ihren Beitrag leisten. Sie wird heute mehr denn je gebraucht, muss auf die Lebenssituation und die Bedarfe von Jugendlichen reagieren, vor Ort zur Lösung von Problemen beitragen, präventiv tätig sein und sich für die Demokratie stark machen.
Wo liegen in der aktuellen Situation die Herausforderungen und Aufgaben der Jugendsozialarbeit? Wohin muss sie aufbrechen, wen braucht sie als Begleiter und Unterstützer und was muss sie im Gepäck haben? Wie kann der eigenständige Bildungsauftrag der Jugendsozialarbeit besser zur Wirkung gebracht werden? Wann muss Jugendsozialarbeit breit aufgestellt und niedrigschwellig agieren und wann sind ganz spezifische Angebote notwendig?
Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Fragen ist sinnvollerweise der Blick auf die Jugendlichen selbst, verbunden mit der Frage, was sie brauchen. Dazu haben wir, die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit gemeinsam mit dem Diakonischen Werk Mecklenburg-Vorpommern, uns vorwiegend im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern umgeschaut. Hier werden in den meist ländlich geprägten Regionen aktuelle Entwicklungen und Probleme teilweise wie unter einem Brennglas deutlich. Gerade deswegen lassen sich hier aber auch interessante Ansätze in der Praxis der Jugendsozialarbeit finden, die die durch den Wandel bedingten Veränderungen aufgreifen.
In Anlehnung an die Thesen, die vor 500 Jahren den Prozess der Reformation in Gang setzten, haben wir auf der Grundlage unserer Erkundung fünf Thesen formuliert, die als hilfreiche Wegweiser für die Jugendsozialarbeit generell dienen können:
These 1: Jugendliche im ländlichen Raum brauchen Angebote und Perspektiven
Im ländlichen Raum sind Jugendliche durch den demografischen Wandel und Strukturveränderungen besonders davon betroffen, dass spezifische Freizeitangebote, außerschulische Bildungsangebote und Ausbildungsmöglichkeiten wegbrechen. Ganz bewusst und gezielt muss hier in die Infrastruktur investiert werden. Die Jugendsozialarbeit muss dahin kommen können, wo die Jugendlichen leben.
These 2: Jugendliche in der Schule brauchen mehr als Unterricht
Neben einem durchstrukturierten Ganztag in der Schule verlangt die Lebenswelt von Jugendlichen auch andere Erfahrungsräume, die nicht im Kontext von Schule organisiert sind. Sozialräumliche eigenständige Angebote der Jugendsozialarbeit müssen ausgebaut und auf solide finanzielle Füße gestellt werden.
These 3: Jugendliche brauchen zum Teil andere Formen des beruflichen Lernens
Nicht jeder Jugendliche schafft problemlos den Einstieg in eine Ausbildung. Neben der Möglichkeit einer sozialpädagogischen Begleitung während der Ausbildung muss es daher verstärkt auch niedrigschwellige Angebote geben, in denen durch produktives Lernen eine Heranführung an eine berufliche Qualifizierung möglich ist.
These 4: Jugendliche brauchen Wertschätzung und Beteiligung
Du bist wertvoll vor jeder Leistung! Diese Gewissheit brauchen Jugendliche, um sich entfalten und ihre Fähigkeiten entwickeln zu können und um sich eigenverantwortlich in ihrem Lebensumfeld und in der Gesellschaft beteiligen zu können. Neue Wege und Formen, Beteiligung zu ermöglichen, müssen entwickelt und erprobt werden.
These 5: Jugendliche über 18 Jahre brauchen Hilfe bevor sie zum "Fall" werden
Auch junge Volljährige, die sozialpädagogischen Unterstützungsbedarf haben, brauchen eine angemessene Begleitung und eine ihrem Bedarf entsprechende Förderung. Die Möglichkeiten der Jugendhilfe enden aber meist bei Vollendung des 18. Lebensjahres. Hier muss mehr investiert werden, um passende Angebote entwickeln und vorhalten zu können.
Einblicke in die Praxis der Jugendsozialarbeit zeigen, dass vielversprechende Konzepte, Projekte und Erfahrungen existieren, die Impulse zu den fünf Thesen geben. Damit diese Impulse nicht nur punktuell sondern insgesamt in der Gesellschaft wirken können, müssen sie bekannt, verstetigt und ausgebaut werden. Ein Austausch darüber muss stattfinden, nicht nur unter den Fachkräften der Jugendsozialarbeit. Alleine kann sie die anstehenden Aufgaben nicht stemmen. Mitstreiterinnen und Mitstreiter werden gebraucht. Insbesondere die Politik ist gefordert, im Zusammenspiel von kommunaler, Landes- und Bundesebene die Jugendsozialarbeit zu stärken. Denn: Sie wird mehr denn je gebraucht!
Berlin (epd). Der Berliner Diakonie-Dachverband hat Diakoniewerk Bethel, das wegen fragwürdigen Umgangs mit den eigenen Finanzen in die Kritik geraten ist, zum Austritt aufgefordert. Eine Frist, die der Dachverband zur Klärung von Vorwürfen und für Änderungen der Aufsichtsstrukturen des evangelisch-freikirchlichen Sozialträgers Mitte Juli gesetzt hatte, sei am 1. August ergebnislos verstrichen, teilte das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in Berlin mit.
Vom Diakoniewerk Bethel, das mehrere Krankenhäuser, Senioren- und Pflegeeinrichtungen betreibt, war bislang keine Stellungnahme zu bekommen. Der Träger, der nichts mit den bekannteren Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel zu tun hat, steht nach Berichten über mögliche finanzielle Unregelmäßigkeiten in der Kritik.
Der Vorstand Karl Behle soll Medienrecherchen zufolge durch Satzungsänderungen vor einigen Jahren die Kontrolle über den Träger übernommen haben. Sein Jahresgehalt soll mehr als 700.000 Euro betragen, außerdem soll er sich unter anderem Pensionsansprüche in Millionenhöhe gesichert haben.
Bis zum 1. August hätte zumindest eine Absichtserklärung des Sozialträgers eingehen müssen, dass Änderungen angestrebt werden, hieß es nach dem Ende der Frist beim Diakonischen Werk: "Da das mit dem Ablauf des 31. Juli nicht geschehen ist, gehen wir davon aus, dass das Diakoniewerk Bethel gGmbH selber die Konsequenz zieht und seine Mitgliedschaft beendet."
Damit wäre für den Träger ein großer Imageverlust verbunden. In letzter Konsequenz dürfte er sich auch nicht mehr als Diakoniewerk bezeichnen, hieß es beim Dachverband: "Name und Marke Diakonie darf nur tragen, wer Mitglied ist."
Auch der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, Dachverband der Baptisten, hat Konsequenzen gefordert und erwägt einen Ausschluss des Sozialträgers. Der freikirchliche Bund habe das als gemeinnützige GmbH mit Sitz in Berlin organisierte Diakoniewerk Bethel unter anderem aufgefordert, unabhängige Kontrollinstanzen einzuführen und transparente Aufsichtsstrukturen zu schaffen, heißt es in einem Schreiben von Mitte Juli, das dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.
Sollte dem nicht nachgekommen werden, sei ein Gesellschafterwechsel beim Diakoniewerk Bethel unabdingbar, betont der Bund Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden in dem Schreiben: "Ohne die erforderlichen Änderungen und ohne Klärung der erhobenen Vorwürfe sehen wir keine Basis für den Verbleib des Werkes im Status der Bekenntnisgemeinschaft." Seit dem Schreiben gebe es "keine neuen Entwicklungen", sagte der Sprecher des Baptisten-Bundes, Michael Gruber, dem epd in Elstal in Brandenburg.
Wenn es beim Diakoniewerk Bethel weiter keine inhaltliche Rückmeldung zu den Vorwürfen gebe, "sehen wir uns gezwungen, unser zuständiges Vereinsorgan mit dem Vorgang zu befassen", betonte der Diakonie-Dachverband am 1. August. Für Ausschlussverfahren ist der Diakonische Rat zuständig. Dieser werde sich in seiner nächsten Sitzung nach der Sommerpause mit dem weiteren Vorgehen beschäftigen. Sollte es bis dahin kein Einlenken des Sozialträgers geben, könne der Diakonische Rat den Vorstand des Berliner Diakonie-Dachverbandes damit beauftragen, den Ausschluss des Trägers vorzubereiten.
Frankfurt a.M. (epd). Alles fing damit an, dass sich in den 60er Jahren eine deutsche Außenministergattin auf Reisen im üblichen Damenprogramm langweilte: Brigitte Schröder (1917-2000) schlug vor, in Washington auch einmal Krankenhäuser zu besichtigen. Sie war die Frau des damaligen Chefdiplomaten Gerhard Schröder (CDU) - nicht zu verwechseln mit dem späteren SPD-Bundeskanzler - und hatte bereits als engagierte Lokalpolitikerin in Düsseldorf ein Herz für soziale Themen gezeigt.
Nun also inspizierte sie US-Kliniken und lernte die sogenannten "Pink Ladies" kennen, Ehrenamtliche in rosa Kitteln. Sie besuchten die Patienten und brachten vor allem eines mit: Zeit. "Und da sah ich die Lücke in Deutschland", erinnerte sich Schröder später. "So kam es zu den Grünen Damen bei uns."
Seit 1969 besuchen auch in Deutschland Ehrenamtliche Menschen in Altenheimen und Krankenhäusern, machen kleine Besorgungen, haben Zeit für ein Gespräch, trösten und hören zu. Ihr Erkennungszeichen sind Kittel in Lindgrün - denn das Rosa der Washingtoner Ideengeberinnen missfiel Schröder, nüchtern, wie sie war. Derzeit sind mehr als 8.000 Grüne Damen und rund 700 Grüne Herren für die Evangelische Kranken- und Alten-Hilfe e.V. (eKH) im Einsatz.
Schröder wurde vor 100 Jahren, am 28. Juli 1917, in Breslau als Tochter eines Bankiers geboren. Die Ehe mit Gerhard Schröder im Jahr 1941 konnte nur mit einer Sondergenehmigung geschlossen werden, da sie zwei jüdische Großelternteile hatte.
Die Mutter von drei Kindern galt als energisch und organisationsbegabt und knüpfte auch bei der Gründung der "Grünen Damen und Herren" schnell die entscheidenden Fäden. Alles begann im Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf, in dessen Kuratorium sie saß und wo sie eine Gruppe Einsatzbereiter um sich versammelt hatte.
"Am Anfang bin ich schon von Krankenhaus zu Krankenhaus gefahren, habe Klinken geputzt", erinnerte sie sich später. Jede Stationsschwester musste überzeugt, jedes Haus musste Stück für Stück erobert werden, bis das "Lieblingskind" der zupackenden Frau zum unverzichtbaren Dienst an heute mehr als 750 Krankenhäusern und Altenheimen im gesamten Bundesgebiet werden konnte. Fast im Alleingang organisierte Schröder von Bonn aus, dass Ehrenamtliche auf Station vorlasen, zu Spaziergängen luden und kleinere Dienste erledigten. Erst 1992 kam in der Zentrale ein Geschäftsführer hinzu.
Die eKH wuchs. Die Mitarbeiterschaft ist keineswegs nur evangelisch, die Arbeit ökumenisch. Der gemeinsame Nenner heißt: christliche Nächstenliebe. 1979 fand sich der erste Grüne Herr. Heute sind rund zehn Prozent Männer. Krankenhäuser und Altenheime beteiligten sich an der Finanzierung der Nebenkosten.
Schröders Nachfolgerinnen im Vorstand, Gabriele Trull und inzwischen Käte Roos, haben die eKH in einen eingetragenen, gemeinnützig anerkannten Verein überführt und nach dem Tod der Gründerin die Brigitte-Schröder-Stiftung gegründet. Die Geschäftstelle ist in Berlin.
Immer noch finanziert sich die eKH hauptsächlich durch Spenden. Man steht nach eigenen Angaben in freundschaftlichem Austausch mit der 1971 gegründeten Katholischen Krankenhaus-Hilfe. Und immer stehen neue Aufgaben an: etwa die Begleitung von Menschen mit Demenz oder mit Migrationshintergrund.
Brigitte Schröder starb im Jahr 2000 in Bonn. "Meine schönsten Momente sind natürlich immer die, wenn neue eKH-Gruppen zu uns stoßen", sagte sie 1996. "Ich habe ja schon immer auf der positiven Seite gelebt. Das ist mein Lebensprinzip."
Bremen (epd). Die Diakonie Deutschland warnt davor, die Wirkung sozialer Arbeit ähnlich wie in der verarbeitenden Industrie mit Kategorien wie Kosten und Nutzen zu messen. "Wir arbeiten mit Menschen - Menschen kann man nicht steuern wie eine Produktionslinie", sagte Maria Loheide, sozialpolitischer Vorstand der Diakonie Deutschland, am 2. August beim Jahresempfang des Bremer Vereins für Innere Mission. Eine Analyse sei gleichwohl wichtig: "Die Aufgabe von Wirkungsorientierung ist, zu erkennen, wann die Menschen den größten Nutzen von unserer Arbeit haben."
Im sozialen Bereich sei die Wirkung der Arbeit grundsätzlich schwerer zu messen als in anderen Feldern, sagte Loheide laut Redemanuskript. Ginge es nur um Geld und Mengen, würde das der Motivation der Mitarbeitenden nicht gerecht werden. "Wir beurteilen unseren Erfolg bei unserem Einsatz für Menschen schließlich auch auf einer ganz anderen Ebene, die mit Zahlen und Geld nichts zu tun hat." Zudem würde ein solcher Ansatz daran hindern, innovative Wege einzuschlagen.
Der Diakonie sei außerdem wichtig, dass kein Mensch vergessen werde, "auch wenn es sich vielleicht aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht 'lohnt'". Wer mit Menschen und ihren Lebensverläufen arbeite, könne nicht nur auf Fallzahlen schauen. "Wir können Wirkung analysieren, nicht aber messen. Wir müssen uns auf die Leistung der Organisation konzentrieren", ergänzte Loheide. Dabei gehe es auch "um positive Belege dafür, dass sich die Welt zum Besseren verändern lässt".
Der diakonische Verein für Innere Mission in Bremen engagiert sich eigenen Angaben zufolge mit rund 540 Mitarbeitenden als kirchlich-diakonisches Unternehmen in mehreren Arbeitsfeldern. Dazu gehören soziale Beratung, Altenhilfe, Flucht und Migration, psychosoziale Hilfen sowie Wohnungslosenhilfe.
Köln (epd). Vor den Risiken des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft hat das Fachzentrum für Pflegekinder mit Alkoholschädigungen in Köln gewarnt. Jährlich würden in Deutschland 10.000 Kinder mit Fetalen Alkoholspektrum-Störungen (FASD) geboren, erklärte das Zentrum zum "Tag des alkoholgeschädigten Kindes" am 9. September. Damit zähle FASD zu den häufigsten Behinderungen von Geburt an. Nur absoluter Verzicht auf Alkohol schütze das heranwachsende Baby vor dieser vermeidbaren und lebenslangen Behinderung.
Studien zufolge konsumierten zwischen 14 und 20 Prozent der Schwangeren regelmäßig Alkohol, hieß es. Dabei könnten bereits geringe Alkoholmengen zur Schädigung des Kindes führen. Über die Nabelschnur bleibe das Ungeborene bis zu zehn Mal länger dem Zellgift ausgesetzt, erklärte der Gynäkologe Tamme Goecke vom Universitätsklinikum Aachen. Die Organe, das körperliche Wachstum und die Nervenzellen würden in ihrer Entwicklung gestört. Die Schädigungen des Gehirns und des Zentralen Nervensystems hätten Langzeitfolgen für die Wahrnehmungsverarbeitung, die kognitiven Fähigkeiten und die Persönlichkeitsentwicklung.
Die betroffenen Kinder und Jugendlichen weisen nach Angaben des Kölner Fachzentrums zum Teil schwere geistige und körperliche Behinderungen auf. Sie seien außerdem impulsiv, ihre Lern- und Merkfähigkeit sei eingeschränkt, und sie hätten kein Gespür für Regeln oder Sozialverhalten. Therapie und Erziehung könnten diese Schäden nur geringfügig ausgleichen. Daher sei eine ständige Begleitung der Kinder erforderlich.
80 Prozent der Kinder mit FASD leben demnach in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Jugendhilfe. Auch als Erwachsene seien die Betroffenen auf Hilfe angewiesen. Nur zwölf Prozent könnten einem Beruf nachgehen. Eine frühzeitige Diagnose von FASD könne helfen, "langwierige Fehlbehandlungen zu vermeiden" und "in einem förderlichen Umfeld entscheidend zum Lebenserfolg" beitragen, erklärte das Fachzentrum.
Stuttgart (epd). Die Schwangerschaftsberatungsstellen der Caritas Rottenburg-Stuttgart und des Sozialdienstes Katholischer Frauen hatten 2016 fast zehn Prozent mehr Beratungsfälle als im Jahr davor. Viele Flüchtlingsfamilien seien dabei, teilte die Caritas am 2. August in Stuttgart mit. Immer öfter kämen Frauen in die Beratung, die existenzielle Bedrohung erlebt haben, und manche seien traumatisiert.
Besonders hilfreich sei die Zusammenarbeit mit einer arabischsprechenden Familienhebamme, die die Caritas an einem ihrer 41 Standorte gewinnen konnte, hieß es.
Die Zahl der ratsuchenden schwangeren Frauen und Familien aus dem nichteuropäischen Ausland habe sich im Vergleich zum Vorjahr von 922 auf 1.826 nahezu verdoppelt, hieß es weiter. Insgesamt hatten rund 60 Prozent der 7.192 Ratsuchenden im Jahr 2016 eine ausländische Staatsangehörigkeit.
Die Verständigung sei nach wie vor die größte Herausforderung. Es seien Dolmetscher im Einsatz, auch Familienangehörige und Vertrauenspersonen sowie Sprachcomputer. Die Beratung brauche auf diese Weise viel Zeit. Es gebe zudem bei den ausländischen Frauen großen Erläuterungsbedarf, weil es manche Begriffe und Sachverhalte in ihren Heimatländern nicht gibt.
Erfurt (epd). Nehmen sie an einer Fortbildung für ihre MAV-Arbeit teil, können sie keinen Freizeitausgleich über ihre regelmäßige Arbeitszeit hinaus einfordern, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 28. Juli veröffentlichten Urteil.
Im konkreten Fall ging es um eine bei einem diakonischen Verein in Niedersachsen angestellte teilzeitbeschäftigte Frau. Sie ist zudem Mitglied der gewählten MAV. Im Mai 2015 nahm die Frau für ihre MAV-Arbeit an einer Fortbildung teil. Das Rhetorikseminar ging über die übliche Arbeitszeit der Frau hinaus. Insgesamt brachte sie so 13,5 Stunden an persönlicher Freizeit ein, um das Seminar absolvieren zu können.
Von ihrem Dienstgeber verlangte sie Freizeitausgleich in dieser Höhe. Sie berief sich hierfür unter anderem auf Bestimmungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, wonach Teilzeitbeschäftigte nicht schlechter behandelt werden dürfen als vergleichbar vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer. Das müsse auch für die ehrenamtliche MAV-Arbeit gelten.
Für den Kurs seien vollzeitbeschäftigte Seminarteilnehmer unter Fortzahlung ihrer Vergütung freigestellt worden. Sie als Teilzeitbeschäftigte sei zwar auch freigestellt worden, sie habe aber nur ihre Vergütung entsprechend ihres Teilzeitjobs erhalten. Da sie persönliche Freizeit investieren musste, um das Seminar absolvieren zu können, müsse ihr für diese Zeit ein Freizeitausgleich gewährt werden. Der Dienstgeber lehnte das aber ab und verwies darauf, dass die MAV-Arbeit ehrenamtlich sei.
Vor dem BAG hatte die Beschäftigte ebenfalls keinen Erfolg. Nach dem Kirchengesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen in Mitarbeitervertretungen (MVG-K) hätten MAV-Mitglieder für die Teilnahme an Tagungen und Lehrgängen zwar Anspruch auf die "notwendige Arbeitsbefreiung ohne Minderung der Bezüge". Das gelte jedoch nicht über die regelmäßige Arbeitszeit des MAV-Mitglieds hinaus, auch wenn damit - anders als bei Vollzeitbeschäftigten - teilzeitbeschäftigte MAV-Mitglieder benachteiligt würden.
"Sie erhalten für die gleiche für eine erforderliche Schulung aufgewandte Zeit eine geringere Gesamtvergütung, weil sie kein Entgelt für die außerhalb ihrer individuellen Arbeitszeit aufgewandte Zeit bekommen", so die obersten Arbeitsrichter. Diese Benachteiligung sei aber sachlich gerechtfertigt.
Denn bei der MAV-Tätigkeit handele es sich um ein unentgeltliches Ehrenamt, für das MAV-Mitglieder keine Vergütung - oder wie hier ein Ausgleich für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus aufgebrachte persönliche Freizeit - verlangen können. Auf diese Weise solle die Unabhängigkeit des Amtes gewährleistet werden.
Az.: 6 AZR 495/16
Kassel (epd). Auf eine noch vor Renteneintritt gewährte „Betriebsrente“ werden bis zum tatsächlichen Renteneintritt noch keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung fällig. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am 25. Juli bekanntgegebenen Urteil klargestellt. Denn bis zum Rentenalter überwiege die "Überbrückungsfunktion" der finanziellen Leistung.
Der damals 54-jährige Kläger hatte seine Arbeit 1998 per Aufhebungsvertrag beendet. Dabei erhielt er eine einmalige Abfindung in Höhe von 94.231 Euro, zudem sagte ihm der Arbeitgeber ab dem 55. Geburtstag eine unbefristete "Betriebsrente" in Höhe von monatlich 679 Euro zu.
Die Krankenkasse wertete die monatlichen Zahlungen als beitragspflichtige "Versorgungsbezüge". Der Kläger meinte dagegen, bis zum Beginn der tatsächlichen Altersrente sei die "Betriebsrente" beitragsfrei, weil sie quasi als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werde.
Dieser Sichtweise folgte auch das BSG. Erst ab dem tatsächlichen regulären Renteneintritt müssten auf die Betriebsrente wieder Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden. Denn nur dann könne sie auch wirklich als Rente angesehen werden. Wie die Abfindung habe zuvor auch die "Betriebsrente" der Überbrückung der Zeit bis zum Renteneintritt gedient.
Mit dem Renteneintritt, spätestens mit Erreichen der Renten-Regelaltersgrenze von hier noch 65 Jahren habe sich dieser ursprüngliche Zweck allerdings erledigt. Ab diesem Zeitpunkt würden daher Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung fällig, urteilte das BSG.
Az.: B 12 KR 12/15 R
Karlsruhe (epd). In Betreuungsverfahren vor Gericht, bei denen psychisch Kranke persönlich angehört werden, muss auch ein einmal bestellter Verfahrenspfleger teilnehmen können. Anderenfalls ist die Entscheidung über die Betreuung fehlerhaft und muss aufgehoben werden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 27. Juli veröffentlichten Beschluss.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen muss das Betreuungsgericht bei der Einrichtung einer Betreuung einen Verfahrenspfleger bestellen, "wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist". In der Regel ist das der Fall, wenn ein Betreuer sich um alle Angelegenheiten des Betroffenen kümmern soll. Der Verfahrenspfleger soll im Betreuungsverfahren für die Rechte des zu Betreuenden eintreten.
Im jetzt entschiedenen Fall hatte eine 41-jährige, an einer paranoiden Schizophrenie erkrankte Frau die Aufhebung ihrer Betreuung beantragt. Das Amtsgericht hörte die Frau zwar an, der bestellte Verfahrenspfleger war bei der Anhörung aber nicht beteiligt. Das Landgericht bestätigte die Einrichtung der Betreuung, ohne die 41-Jährige nochmals persönlich zu befragen. Eine Betreuerin könne sicherstellen, dass Behandlungs- und Reha-Möglichkeiten besser umgesetzt werden. Einer weiteren Chronifizierung der Erkrankung könne entgegengewirkt werden.
Doch das Landgericht muss jetzt neu über die Einrichtung der Betreuung entscheiden, befand der BGH. Das Amtsgericht habe einen Fehler begangen, als es bei der persönlichen Anhörung der Betroffenen den Verfahrenspfleger nicht hinzugezogen habe. Das Landgericht hätte wegen dieses Fehlers daher erneut die Frau persönlich anhören und dem Verfahrenspfleger Gelegenheit zur Teilnahme an der Befragung geben müssen. Der Verfahrenspfleger ist „vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen“, entschied der BGH.
Zwar sei die Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht immer erforderlich. Sobald aber ein Gericht einen Verfahrenspfleger bestellt habe, erlange er „eine vollwertige Beteiligtenstellung in dem Betreuungsverfahren“, betonte das Gericht.
Az.: XII ZB 45/17
Karlsruhe (epd). Alternativmediziner müssen bei schweren Eingriffen nicht nur alternative, sondern auch schulmedizinische Behandlungen im Blick haben. Sie sind verpflichtet, die Folgen der einzelnen Behandlungsmöglichkeiten miteinander abzuwägen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 24. Juli veröffentlichten Urteil.
Im konkreten Fall hatte eine Frau aus dem Raum Frankenthal geklagt. Ein ganzheitlicher Zahnmediziner hatte ihr nach einer "Herd- und Störfeldtestung" diagnostiziert, dass wegen Entzündungsherden Eiweißgifte in den Körper gelangen. Der Zahnarzt zog ihr schließlich alle Backenzähne im Oberkiefer und verordnete eine Prothese.
Die Patientin vermutete schließlich einen Behandlungsfehler. Ein anderer Zahnarzt hielt die Behandlung seines Kollegen für fragwürdig. Daraufhin verlangte die Frau von dem Alternativ-Zahnmediziner die Rückzahlung des gezahlten Honorars, die Erstattung von Folgebehandlungskosten sowie Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro. Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken gab dem weitgehend statt.
Der BGH verwies das Verfahren an das OLG zur erneuten Prüfung zurück, da dieses einen Gutachter herangezogen hatte, der nicht mit ganzheitlicher Zahnmedizin vertraut war. Nicht allgemein anerkannte Therapieformen seien aber rechtlich erlaubt, vorausgesetzt, die Patienten wissen, auf was sie sich einlassen, urteilte der BGH. Auch dürfe die Behandlungsmethode nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Von einem Behandlungsfehler dürfe bei der Alternativmedizin nicht von vornherein ausgegangen werden.
Allerdings müssten Alternativmediziner insbesondere bei schweren Eingriffen, wie im vorliegenden Fall, immer auch schulmedizinische Behandlungen im Blick haben und die Vor- und Nachteile mit alternativen Behandlungsmethoden abwägen. Ob dem Zahnarzt dem gerecht geworden ist, müsse neu geprüft werden, so der BGH.
Az.: VI ZR 203/16
Hamm (epd). Die Vormundschaft für einen minderjährigen Flüchtling kann nach einer Gerichtsentscheidung seine volljährige Schwester übernehmen, auch wenn sie selbst Flüchtling ist. Bei einer Auswahl unter mehreren Möglichkeiten seien verwandtschaftliche Verhältnisse und der Wille der Eltern zu berücksichtigen, erklärte das Oberlandesgericht Hamm in einer am 27. Juli veröffentlichten Entscheidung. Verwandte hätten in der Regel Vorrang gegenüber nichtverwandten Menschen. In einem solchen Fall könne die Bestellung eines Amtsvormundes vermieden werden.
In dem konkreten Fall ging es um einen heute 14-Jährigen, der mit seiner Familie aus Syrien zunächst nach Libyen geflüchtet war. Der Junge kam nach Gerichtsangaben im November 2016 nach Deutschland, wo bereits seine 19-jährige Schwester lebte. Das Amtsgericht Olpe hatte für ihn jedoch das Jugendamt des Kreises Olpe zum Vormund bestellt. Die ältere Schwester spreche kein Deutsch und nur unzureichend Englisch, begründete das Amtsgericht seine Entscheidung.
Die Beschwerde des Jungen dagegen hatte vor dem Oberlandesgericht Erfolg. Dass die Schwester für ihren Bruder sorge, entspreche dem Willen der Eltern und des Jungen selbst, erklärte das Oberlandesgericht. Die Schwester hatte ein Schreiben der Eltern vorgelegt, nach dem sie sich um ihren jüngeren Bruder kümmern solle. Als nahe Verwandte kenne sie den Bruder am besten und könne seine Interessen am besten wahrnehmen, erklärte das Oberlandesgericht.
Zudem habe die Schwester etwa mit der Vorlage des elterlichen Schreibens gezeigt, dass sie trotz fehlender Kenntnissen der deutschen Sprache ihre Belange sowie die ihres Bruders regeln könne, betonten die Richter. Mit der Beauftragung eines Rechtsanwaltes habe sie zudem deutlich gemacht, dass sie rechtliche Fragen mit Hilfe von Rechtskundigen lösen könne. Der Beschluss des Senats für Familiensachen am Oberlandesgericht ist rechtskräftig.
Karlsruhe (epd). Ein staatlich gefördertes Plankrankenhaus kann nicht einen Teil als Privatklinik rechtlich abtrennen, um so höhere Honorare von Privatpatienten erhalten zu können. Sind Privat- und Plankrankenhaus räumlich und organisatorisch miteinander verbunden, müssen private Krankenversicherungsunternehmen nur die niedrigeren Fallpauschalen der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in einem am 28. Juli bekanntgegebenen Urteil.
Konkret ging es um die private "Arcus Sportklinik" in Pforzheim. Die Klinikbetreiber unterhalten am selben Standort zudem noch die „Arcus Klinik", die in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg aufgenommen wurde. Als Plankrankenhaus zahlt das Land Zuschüsse, weil die Klinik Betten, Geräte und Personal vorhalten muss.
Als ein privat Versicherter sich in der privaten Arcus Sportklinik die Hüfte operieren ließ, stellte die Klinik dem privaten Krankenversicherungsunternehmen rund 13.000 Euro in Rechnung. Doch der Versicherer zahlte nur etwa 6.500 Euro und berief sich dabei an den Fallpauschalen der gesetzlichen Krankenkassen.
Das OLG hielt das für rechtmäßig. Denn seit 2012 wollte der Gesetzgeber mit dem Krankenhausgesetz Quersubventionierungen von geförderten zu rein privaten Kliniken verhindern. Danach dürfe eine Einrichtung, die in räumlicher Nähe zu einem Plankrankenhaus liegt und mit diesem organisatorisch verbunden ist, für eine dem Versorgungsauftrag des Landes entsprechende Behandlung nur die in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Beträge berechnen.
Das greife auch im konkreten Fall. Privat- und Planklinik lägen am selben Standort. Sie teilten sich den Empfangsbereich, Internetauftritt und selbst die Telefonnummer. Räume, technische Einrichtungen und Personal würden teilweise ebenfalls gemeinsam genutzt. Darauf, dass die Arcus-Gesellschafter beide Kliniken rechtlich strikt getrennt haben, komme es nach den gesetzlichen Vorgaben nicht an.
Daher dürfe die Arcus Sportklinik auch für private Behandlungen seit Anfang 2012 nur noch die Fallpauschalen der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen und keine höheren Entgelte verlangen. Die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe wurde zugelassen.
Az.: 10 U 2/17
Bad Oeynhausen (epd). Zu Kappes Schwerpunktaufgaben gehört der weitere Aufbau des Medizinischen Behandlungszentrums für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) und der Integrierte Medizinische Dienst für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die Wittekindshofer Wohnangebote in den Kreisen Minden-Lübbecke und Herford nutzen. Hinzu kommt die Koordination der Zusammenarbeit mit niedergelassenen Haus- und Fachärzten sowie Krankenhäusern und Kliniken in der näheren und weiteren Umgebung.
Die Leitung des Integrierten Medizinischen Dienstes hat Kappe von Anke Richter übernommen, die weiterhin im Team des Integrierten Medizinischen Dienstes als Fachärztin für Innere Medizin, Palliativmedizin und hausärztliche Geriatrie arbeitet und ihre Praxis als Hausärztin am Rande des Wittekindshofer Gründungsgeländes für die Bevölkerung im Norden von Bad Oeynhausen betreibt.
Christian Kappe war bisher Chefarzt an der LNK Dr. Spernau, einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie, das für den nördlichen Teil des Kreises Lippe in Bad Salzuflen zuständig ist. Er hat Medizin in Bonn studiert, war in der LWL-Klink Marsberg tätig und hat seine neurologische Ausbildung in Hessisch Oldendorf absolviert, bevor er viele Jahre in Bad Salzuflen als Fach- und Chefarzt gearbeitet hat.
Ein Grundanliegen Kappes sei es, nicht Krankheiten, sondern Menschen zu behandeln. „Krankenhäuser sind stark ökonomisch organisiert. Zeit für den Patienten fehlt. Dieses Gesundheitssystem ist mit großen Nachteilen für Menschen mit Behinderung verbunden. Sie brauchen Zeit und sind auf interdisziplinäre Zusammenarbeit angewiesen, die im Klinikalltag kaum noch möglich ist“, erklärte Kappe.
Wolfgang Tereick (65) hat den Vorstand der Stadtmission Nürnberg verlassen und tritt in den Ruhestand. Der aus Nordrhein-Westfalen stammende Pfarrer war 20 Jahre für die Diakonie tätig, unter anderem als Gemeindepfarrer in der sozialen Brennpunktgemeinde Duisburg-Marxloh, als Geschäftsführer der Diakonie Freistatt und seit 2010 bei der Stadtmission in Nürnberg. Tereick war dort verantwortlich für die stationäre und ambulante Altenhilfe sowie die sozialen Beratungsdienste und die Gefährdetenhilfe. Sein Nachfolger Matthias Ewelt, bisher Dekan in Neustadt an der Aisch, wird am 27. September in sein Amt eingeführt.
Eberhard Vorbrodt, Arzt aus Berlin Mitbegründer der Kirchenasylbewegung in Deutschland, ist tot. Der 79-Jährige starb bereits am 24. Juli kurz vor seinem 80. Geburtstag. Vorbrodt habe die die Asylarbeit "zu seiner Herzensangelegenheit gemacht", heißt es im Nachruf. Zusammen mit seiner Frau Traudl Vorbrodt bot er bereits Anfang der 80er Jahre in West-Berlin kostenlose Sprechstunden und Beratung für Flüchtlinge in seiner Arztpraxis an. 1983 gewährte die Heilig-Kreuz-Gemeinde in Berlin einer Gruppe von Flüchtlingen Asyl. Es gilt als der erste Fall von Kirchenasyl in Deutschland.
Peter Berlin (36) ist neuer Geschäftsführer des Elisabeth-Krankenhauses Essen. Er hat die Nachfolge von Johannes Hartmann an, der feierlich verabschiedet wurde. Für Berlin ist es ein Wechsel von der Rur zur Ruhr: Bis vor wenigen Wochen war er Geschäftsführer der Eifelklinik St. Brigida in Simmerath, Städteregion Aachen/Rursee. Dort war er seit 2012 tätig, erst als Klinikleiter, später dann als Geschäftsführer. Berlin hat Gesundheitsökonomie an der Universität Köln studiert. Als Diplom-Gesundheitsökonom hat er seine berufliche Laufbahn in einer Unternehmensberatung begonnen und später fortgesetzt als Referent des Vorstands einer Betreibergesellschaft von Medizinischen Versorgungszentren. 2012 wechselte Berlin zur Artemed Gruppe.
Roland Rausch (63), Abteilungsleiter Wirtschaft und Finanzen bei der Inneren Mission München, geht in den Ruhestand. 15 Jahre lang stand er an der Spitze der Abteilung. Für seine herausragenden Leistungen erhielt der Diplom-Ökonom das Goldene Kronenkreuz, die höchste Auszeichnung, die die Diakonie in Deutschland vergeben kann. Für den Aufsichtsrat des diakonischen Trägers lobte Aufsichtsratsvorsitzender Andreas Bornmüller Rauschs Verdienste. Das Wachstum in seiner Zeit als Verantwortlicher für Wirtschaft und Finanzen sei ein "durch und durch gesundes Wachstum" gewesen. So wuchs etwa die Betriebsleistung von rund 45 Millionen Euro auf etwa 150 Millionen Euro an.
Dirk Rumpff, Geschäftsführer des Verbandes Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) in Kassel, wird neuer Vorstand im Evangelischen Kindertagesstättenverband (evKITA) Bayern mit Sitz in Nürnberg. Der Diakoniewissenschaftler wird ab Mitte Oktober mit Christiane Münderlein den Verband leiten. Er wird für die Bereiche Recht und Finanzen zuständig sein, Münderlein für Bildung und Soziales. Dem Verband gehören nach eigenen Angaben 800 Träger mit mehr als 1.400 Einrichtungen an
Susanne Isabel Becker hat als Chefärztin die Leitung der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Marienhaus Klinikum St. Antonius Waldbreitbach übernommen. Sie trat die Nachfolge Jörg Degenhardt an, der die Klinik auf dem Waldbreitbacher Klosterberg seit 1992 geleitet hatte. Degenhardt bleibt Chef der Psychiatrischen Tagesklinik, die in Neuwied angesiedelt ist. Sie studierte Medizin in Moskau und promovierte über Leukämie bei Kindern in Weißrussland, Russland und der Ukraine. Ihre Facharztausbildung in der Psychiatrie und Psychotherapie absolvierte sie am Isar-Amper Klinikum in München-Haar. In den zurückliegenden zwei Jahren war Becker Chefärztin der Klinik für Seelische Gesundheit am Helios Klinikum in Aue.
Hermann Kaiser hat die Schulleitung der Josef-Mayr-Nusser-Fachakademie für Sozialpädagogik der Caritas in Baiersdorf an Melanie Hömerlein übergeben. Nach einem Studium Lehramt für die Hauptschule und Diplompädagogik wurde Kaiser 1979 vom Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Erlangen als Lehrkraft für die Josef-Mayr-Nusser-Fachakademie eingestellt. Zum Schuljahr 1985/86 übernahm er die Leitung der Einrichtung. Melanie Hömerlein ist ebenfalls Sozialpädagogin und Lehrerin. 2014 nahm sie ihren Dienst im Sozialpädagogischen Seminar der Fachakademie auf.
August
22.8. Hannover:
Fachtag "Altenhilfe"
der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Curacon
Tel.: 0251/92208-0
www.curacon.de/fachtagungen
28.8.-1.9. Berlin:
Fortbildung "Integrierte Schuldnerberatung in Sucht- und Straffälligenhilfe, Sozialberatung und Betreuung"
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.:030/26309-0
31.8.-1.9. Düsseldorf:
Seminar "Kreative Methoden in der Beratung"
der Paritätischen Akademie NRW
Tel.: 0202/2822-232
www.paritaetische-akademie-nrw.de
September
1.-3.9. Halberstadt:
Workshop "Fundraising und Sponsoring in der aktiven Bürgergesellschaft"
der Konrad-Adenauer-Stiftung
Tel.: 0391/520887-101
www.kas.de
4.9. Berlin:
Seminar "Ambulant betreute Wohngemeinschaften im Quartier - Planung, Errichtung und Betrieb einer alternativen Wohnform im Alter als Bestandteil innovativer Quartierslösungen"
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356164
www.bfs-service.de
6.-8.9. Paderborn:
Seminar "Wertigkeit von Menschen als Ideologie - Rassismus, Rechtsextremismus und die Überwindung von Sprachlosigkeit"
der IN VIA Akademie
Tel.: 05251/2908-38
www.invia-akademie.de
11.-12.9. Hannover:
DEKV-Jahrestagung "Reformation verpflichtet! Krankenhaus neu denken"
des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes
Tel.: 030/801986-0
www.dekv-ev.de
12.-13.9. Paderborn:
Seminar "Umgang mit Sterben, Tod und Trauer"
der INVIA Akademie
Tel.: 05251/2908-38
www.inivia-akademie.de
14.9. Siegburg:
Seminar "Besonderheiten und Anfoderungen bei der geschlechtssensiblen Arbeit mit Jungen und Männern"
des SKM Katholischer Verband für soziale Dienste in Deutschland
Tel.: 0211/23394878
18.-19.9. Berlin:
Seminar "Behindertenhilfe - Aktuelle steuerliche und handelsrechtliche Entwicklungen"
der Solidaris Unternehmensgruppe
Tel.:02203/8997-221
www.solidaris.de
18.-19.9. Freiburg:
Einführungsseminar "Datenschutz in sozialen Einrichtungen"
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
www.fak-caritas.de
18.-19.9. Frankfurt a.M.:
Fortbildung "Scham - die Wächterin der Würde. Forum Ethik in der Caritas"
der Fortbildungs-Akademie der Caritas
Tel.: 0761/200-1700
www.fak-caritas.de
18.-19.9. Nürnberg:
10. Fachforum Onlineberatung
des Instituts für E-Beratung
Tel.: 0911/58802580
www.e-beratungsinstitut.de
18.-20.9. Würzburg:
Seminar "Arbeit mit jungen Menschen, die unsere Sprache und Kultur nicht kennen - Methoden, Wege, Zugänge"
des Evangelischen Erziehungsverbands
Tel.:0511/390881-0
19.-22.9. Bergisch Gladbach:
Seminar "Burn on statt Burnout -Boxenstopp"
der Fortbildungs-Akademie der Caritas
Tel.: 0761/200-1700
www.fak-caritas.de
21.-22.9. Bad Boll:
Fortbildung "Mitwirkung und Beteiligung im Wohnheim und in Wohngruppen"
der Evangelischen Akademie Bad Boll
Tel.: 07164/79-211
www.ev-akademie-boll.de
21.-22.9. Freiburg:
4. Caritas-Stiftersymposium
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
www.fak-caritas.de
25.-27.9. Berlin:
Seminar "Eltern und Jugendliche digital erreichen: Potenziale neuer Angebote und Herausforderungen für die kommunale Praxis"
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980605
26.-27.9. Kassel:
Fachtagung "Management in der Suchttherapie"
des Bundesverbandes für stationäre Suchthilfe
Tel.: 0561/779351
www.suchthilfe.de
28.9. Stuttgart:
Fachtag Ethik "Wenn Vielfalt zur Herausforderung wird"
des Diakonischen Werks Württembergs
Tel.: 0711/1656-340
www.diakonie-wuerttemberg.de
Oktober
5.-6.10. Darmstadt:
Fachtagung "Innovation und Legitimation in der aktuellen Migrationspolitik - ein Dialog zwischen Politikwissenschaft, politischer Praxis und Sozialer Arbeit"
der Schader-Stiftung
Tel.: 06151/1759-0
www.schader-stiftung.de/migrationspolitik
6.10. Ludwigsburg:
Fachforum "Diversity in Organisation und Gesellschaft - global denken, loyal handeln"
der Evangelischen Fachhochschule Luwigsburg
www.eh-ludwigsburg.de/weiterbildung
12.10. Freiburg:
Seminar "Behindertenhilfe - Aktuelle steuerliche und handelsrechtliche Entwicklungen"
der Solidaris Unternehmensgruppe
Tel.:02203/8997-221
www.solidaris.de
19.-20.10. Kassel:
DVSG-Bundeskongress "Soziale Arbeit im Gesundheitswesen"
der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen
Tel.: 030/394064540
www.dvsg-bundeskongress.de