Ausgabe 31/2017 - 04.08.2017
Mitrovica (epd). In dem rechten Schulraum montieren sie gerade die Halterungen für eine abgehängte Rigipsdecke, im linken Klassenzimmer stehen Übungswände, an denen Waschbecken, Bidets und Toiletten montiert werden. Die Wände sehen aus wie ein Schweizer Käse: ein Loch neben dem anderen. 600 Menschen hat die Diakonie Kosova im vergangenen Jahr in den Übungswerkstätten ausgebildet; seit Beginn ihrer Tätigkeit im Jahr 2000 sind es etwa 10.000. "Wer hier das Handwerk lernt, hat später gute Chancen, einmal auf eigenen Füßen zu stehen", sagt der deutsche Leiter Bernd Baumgarten.
Neben dem Eisenbahngleis der alten Strecke nach Thessaloniki, auf dem schon lange kein Zug mehr fährt, liegt das Trainingscenter der Diakonie (DTC): Schmucke mit Holz verkleidete Häuser. Der Kampf gegen die Perspektivlosigkeit scheint sich zu lohnen: „Nicht wenige von den jungen Leuten, die mal bei uns waren, kommen nach ein paar Jahren wieder und erzählen uns von ihrer eigenen kleinen Firma.“
Offiziell liegt die Arbeitslosenquote im Kosovo bei rund 35 Prozent; bei Jugendlichen sogar 60. Seit fünf Jahren bietet die Diakonie im nordkosovarischen Mitrovica ihr Ausbildungsprogramm an. Rund 110.000 Menschen leben hier; 30.000 Serben im Norden, 80.000 Albaner im Süden – getrennt durch das Flüsschen Ibar. Und durch ihre Religion: Christlich-orthodoxe Serben gegen Albaner, die Muslime sind.
Nach dem Zerfall des Vielvölkerstaats Jugoslawiens, der 1991 mit Kriegen in Slowenien, Bosnien und Kroatien begann, eskalierten die Konflikte auch im Kosovo: Es kam zum Bürgerkrieg. Serbien und andere Balkanstaaten erkennen das Land nach wie vor nicht an. Seit 1999 sorgen internationale KFOR-Truppen für Ruhe und helfen beim Wiederaufbau; auch deutsche Soldaten sind hier stationiert.
Vieles ist anders hier in dem Balkanstaat: Krankenversicherung Fehlanzeige; wer einen Arzt braucht, muss Beziehungen haben oder Bargeld. Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld sind Fremdworte in dem Land, das Beitrittskandidat zur EU ist.
Im DTC können sich Frauen und Mädchen zur Schneiderin oder Friseurin schulen lassen. Hier entsteht sozusagen die Zukunft des Landes, wenn junge Menschen zu Trockenbauern, Fliesenlegern, Elektrikern, Klempnern, Zimmerleuten oder Installateuren ausgebildet werden. Senior Experts aus Deutschland vermitteln ehrenamtlich ihr Fachwissen in der jeweiligen Branche. Drei Monate dauern die Kurse; dazu kommt noch ein einmonatiges Praktikum. 20 Euro muss man dafür bezahlen; Geld, das sich gleich mehrfach rentiert.
An der Spitze des Verbandes steht Bernd Baumgarten: 65 Jahre alt, gelernter Koch, studierter Sozialarbeiter, langjähriger Geschäftsführer der Diakonie in Trier. 2007 kam er zum ersten Mal in den Kosovo, um zu sehen, in welche Verhältnisse von Deutschland abgelehnte Asylbewerber zurückkehren. Baumgarten: „80 Prozent der Häuser waren verbrannt oder zerstört; fast jeder Kosovare hat jemanden aus der Familie im Krieg verloren.“
2012 zog Baumgarten dann ganz hierher und brachte die Projekte, die die Kindernothilfe begonnen hatte, mit viel Geschick voran. Heute bietet die Diakonie Kosova 82 Arbeitsplätze. Neben dem Trainingscenter gibt es einen Montessori-Kindergarten, ein multiprofessionelles Team für die Traumatherapie sowie – außerhalb der Stadt – eine gut sieben Hektar große Farm mit rund 1.000 französischen Maran-Hühnern und einer Handvoll Ziegen, die knapp ein Dutzend Arbeitsplätze bietet für Menschen mit und ohne Behinderung. Das ist einmalig im Kosovo.
Luzerne und Mais fürs Futter der Tiere bauen die Mitarbeiter selber an. Und die großen braunen Eier mit der festen Schale kosten 20 Cent das Stück: Die deutsche Botschaft in Pristina, ein paar Supermärkte und viele Einzelkunden kaufen die Eier. Der Erlös fließt wieder zurück in die anderen Projekte. Hier einen Job zu haben, ist so etwas wie ein Sechser im Lotto. Nicht ohne Stolz sagt Bernd Baumgarten über die Arbeit seines Verbandes: "Diakonie ist so was wie ein Leuchtturm der Hoffnung für die Ärmsten hier im Lande."
Ein weiteres Projekt, mit dem die Diakonie Kosova Brücken zwischen den verfeindeten Nationalitäten bauen will, steht in Mitrovica unmittelbar neben der zentralen Brücke über den Ibar: das Jugendzentrum mit seiner schwarz-roten Fassade. In der "urban dance crew" treffen sich Jugendliche aus beiden Bevölkerungsgruppen unter der Leitung eines Roma zu atemberaubenden Breakdance-Sessions.
Im ersten Stock finden Englischkurse statt oder Programme für Videofilmer und Diskjockeys. Alles meist zum Brechen voll. Baumgarten: "Hier gibt es in der ganzen Stadt kein Kino und kein Theater; die Jugendlichen sind so was von dankbar.“
"Ich hätte nicht gedacht, dass es mitten in Europa noch so stark religiös motivierte Konflikte gibt", sagt Michael Frieß, Abteilungsleiter Gesundheit und Sozialpsychiatrie der Inneren Mission, nach einer Studienfahrt in die Krisenregion. Und Vorstand Günther Bauer ergänzt: "Das sind alles sehr zarte Pflänzchen der Hoffnung in einer leider ziemlich hoffnungslos erscheinenden Umwelt."