Ausgabe 31/2017 - 04.08.2017
Berlin (epd). Im vergangenen Jahr hat Deutschland 918 Milliarden Euro für Sozialleistungen ausgegeben. Das geht aus dem Sozialbericht des Bundesarbeitsministeriums hervor, der am 2. August vom Kabinett gebilligt wurde. Demnach stiegen die Leistungen gegenüber 2015 um 3,7 Prozent. Das entspricht rund 33 Milliarden Euro. Sozialverbänden zufolge ist der Anstieg der Sozialausgaben unter anderem eine Folge prekärer Arbeitsverhältnisse.
Mehr als 80 Prozent der Sozialleistungen (etwa 720 Milliarden Euro) dienten laut Bericht zur Absicherung von Risiken, die mit Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Alter oder Tod verbunden sind. Die Sozialleistungsquote, also das Verhältnis der Leistungen zum Bruttoinlandsprodukt, liegt bei 29,3 Prozent. Im Vorjahr betrug sie 29,2 Prozent. Laut Prognose wird die Quote aufgrund von gesetzlichen Änderungen etwa bei der Kranken- und Pflegeversicherung 2017 vermutlich um 0,5 Prozentpunkte auf 29,8 Prozent steigen.
Nach den Worten des Präsidenten des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, ist die Entwicklung der Sozialausgaben unter anderem auf die Niedriglohnpolitik zurückzuführen. "Immer mehr Menschen in Deutschland sind arm, obwohl sie arbeiten", teilte Bauer mit. Forderungen die Sozialabgaben zu begrenzen, erteilte er eine Absage. "Richtiger wäre es, anständige Löhne zu zahlen."
Ähnlich äußerte sich der Bundesvorsitzende der AWO, Wolfgang Stadler. "Trotz der guten wirtschaftlichen Lage und Rekordbeschäftigung am Arbeitsmarkt muss Deutschland mittlerweile mehr als 900 Milliarden Euro an Sozialausgaben aufbringen", erklärte Stadler. Das zeige, welche Dimension die soziale Ungleichheit in Deutschland inzwischen erreicht hat. "Wir brauchen keine Debatte um Leistungskürzungen, sondern um die Frage, wie soziale Ungleichheit in einem so reichen Land wie Deutschland besser beseitigt werden kann." Er sprach sich unter anderem für höhere Löhne in sozialen Berufen aus. Soziale Dienstleistungen müssten neu bewertet werden.
Der Sozialverband VdK kritisierte, dass hohe Sozialleistungen trotz geringer Arbeitslosigkeit ein deutlicher Hinweis auf viele schlecht bezahlte Jobs seien. "Arbeit muss gut bezahlt werden. Dadurch erhalten die Sozialversicherungssysteme auch eine tragfähige Finanzgrundlage", sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher.
Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sabine Zimmermann, warf der Bundesregierung Versagen bei der Armutsbekämpfung vor. "Die hohen Sozialausgaben belegen, dass sowohl die sozialen Sicherungssysteme als auch Arbeit in vielen Fällen nicht mehr existenzsichernd sind", erklärte Zimmermann. Sie forderte einen Kurswechsel in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.
Für den sozialpolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Wolfgang Strengmann-Kuhn, macht der Bericht deutlich, dass die Armutsgefährdungsquote ein historisch hohes Niveau erreicht hat. "Vom anhaltenden Aufschwung profitieren längst nicht alle", sagte Strengmann-Kuhn. Jedes fünfte Kind unter 18 sei von Armut bedroht, Alleinerziehende und Familien mit geringen Einkommen seien besonders gefährdet trotz Erwerbsarbeit.
Wie bei den Familienleistungen gilt laut dem Grünen auch bei der Rente: "Um Altersarmut durch eine bessere Rente zu vermeiden sind zielgenaue und strukturelle Änderungen notwendig. Dazu gehören die Weiterentwicklung der Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung und die Einführung einer Garantierente, die ohne Bedürftigkeitsprüfung eine Rente über dem Grundsicherungsniveau garantiert."