sozial-Recht

Bundesgerichtshof

Alternativmedizin darf Schulmedizin nicht aus dem Blick verlieren



Alternativmediziner müssen bei schweren Eingriffen nicht nur alternative, sondern auch schulmedizinische Behandlungen im Blick haben. Sie sind verpflichtet, die Folgen der einzelnen Behandlungsmöglichkeiten miteinander abzuwägen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 24. Juli veröffentlichten Urteil.

Im konkreten Fall hatte eine Frau aus dem Raum Frankenthal geklagt. Ein ganzheitlicher Zahnmediziner hatte ihr nach einer "Herd- und Störfeldtestung" diagnostiziert, dass wegen Entzündungsherden Eiweißgifte in den Körper gelangen. Der Zahnarzt zog ihr schließlich alle Backenzähne im Oberkiefer und verordnete eine Prothese.

Die Patientin vermutete schließlich einen Behandlungsfehler. Ein anderer Zahnarzt hielt die Behandlung seines Kollegen für fragwürdig. Daraufhin verlangte die Frau von dem Alternativ-Zahnmediziner die Rückzahlung des gezahlten Honorars, die Erstattung von Folgebehandlungskosten sowie Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000 Euro. Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken gab dem weitgehend statt.

Der BGH verwies das Verfahren an das OLG zur erneuten Prüfung zurück, da dieses einen Gutachter herangezogen hatte, der nicht mit ganzheitlicher Zahnmedizin vertraut war. Nicht allgemein anerkannte Therapieformen seien aber rechtlich erlaubt, vorausgesetzt, die Patienten wissen, auf was sie sich einlassen, urteilte der BGH. Auch dürfe die Behandlungsmethode nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Von einem Behandlungsfehler dürfe bei der Alternativmedizin nicht von vornherein ausgegangen werden.

Allerdings müssten Alternativmediziner insbesondere bei schweren Eingriffen, wie im vorliegenden Fall, immer auch schulmedizinische Behandlungen im Blick haben und die Vor- und Nachteile mit alternativen Behandlungsmethoden abwägen. Ob dem Zahnarzt dem gerecht geworden ist, müsse neu geprüft werden, so der BGH.

Az.: VI ZR 203/16


« Zurück zur vorherigen Seite


Weitere Themen

Schwester als Vormund von jungem Flüchtling bestätigt

Die Vormundschaft für einen minderjährigen Flüchtling kann nach einer Gerichtsentscheidung seine volljährige Schwester übernehmen, auch wenn sie selbst Flüchtling ist. Bei einer Auswahl unter mehreren Möglichkeiten seien verwandtschaftliche Verhältnisse und der Wille der Eltern zu berücksichtigen, erklärte das Oberlandesgericht Hamm in einer am 27. Juli veröffentlichten Entscheidung. Verwandte hätten in der Regel Vorrang gegenüber nichtverwandten Menschen. In einem solchen Fall könne die Bestellung eines Amtsvormundes vermieden werden.

» Hier weiterlesen

Kein höheres Honorar für Privatklinik innerhalb von Plankrankenhaus

Ein staatlich gefördertes Plankrankenhaus kann nicht einen Teil als Privatklinik rechtlich abtrennen, um so höhere Honorare von Privatpatienten erhalten zu können. Sind Privat- und Plankrankenhaus räumlich und organisatorisch miteinander verbunden, müssen private Krankenversicherungsunternehmen nur die niedrigeren Fallpauschalen der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in einem am 28. Juli bekanntgegebenen Urteil.

» Hier weiterlesen

Vorzeitige Betriebsrente bis zum Renteneintritt beitragsfrei

Auf eine noch vor Renteneintritt gewährte „Betriebsrente“ werden bis zum tatsächlichen Renteneintritt noch keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung fällig. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am 25. Juli bekanntgegebenen Urteil klargestellt. Denn bis zum Rentenalter überwiege die "Überbrückungsfunktion" der finanziellen Leistung.

» Hier weiterlesen