sozial-Politik

Arbeit

Gewerkschaften kämpfen um ihre Legitimation




Mann mit Einfluss: Ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske.
epd-bild/Rolf Zöllner
Vor dem Bundesverfassungsgericht kämpfen derzeit Gewerkschaften um ihren Einfluss, den sie vom neuen Tarifeinheitsgesetz ausgehöhlt sehen. Die Tarifbindung in Unternehmen sinkt ohnehin. Zugleich treten wieder mehr Beschäftigte in Gewerkschaften ein.

Die Gewerkschaften sind zurück auf den Straßen: Anfang Februar streikten in drei Bundesländern Tausende Lehrer, im Zusammenhang mit der laufenden Tarifrunde für den öffentlichen Dienst. Jetzt liegt zwar eine Einigung vor, doch ruhiger wird es damit um die Gewerkschaften sicher nicht: Das Gesetz zur Tarifeinheit ist von existenzieller Bedeutung für die Vertreter der Arbeitnehmerschaft - und beschäftigt jetzt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Das umstrittene Regelwerk entstand 2015 - nach wochenlangen Kita-Streiks in jenem Jahr, in dem auch Lokführer und Piloten streikten. Über die "Streikrepublik Deutschland" erregten sich nicht nur die Arbeitgeber. Kleine Gewerkschaften wie die der Lokführer (GdL) strapazierten mit ihrem Aufstand über Monate die Nerven der Bahnkunden. Infolge der schier endlosen Streiks entstand das Gesetz zur Tarifeinheit - über das nun die Richter des Bundesverfassungsgerichts grübeln.

Elf Gewerkschaften zogen vor Gericht

Sein Kern ist auch sein Streitpunkt: Überschneiden sich in einem Betrieb mehrere Tarifverträge, gilt nur der der Gewerkschaft, die dort die meisten Mitglieder hat. Klage eingereicht haben elf Gewerkschaften - Berufsgewerkschaften wie die Klinikärzte im Marburger Bund und die Vereinigung Cockpit, aber auch die DGB-Gewerkschaft ver.di, die sich damit gegen den eigenen Dachverband stellt. "Ein Betrieb, ein Tarifvertrag", das will der DGB, gesetzlich geregelt. Genau wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDA: "Wenn die Solidarität im Betrieb durch Einzelinteressen torpediert wird, zerfasert unsere Tarifordnung", erklärt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer.

Die klagenden Gewerkschaften sehen sich dagegen durch das Gesetz in ihrer grundgesetzlich garantierten Vertragsfreiheit und auch beim Streikrecht beschnitten. Und die kleinen sogar in ihrer Existenz bedroht. "Wir sind in den Kliniken immer die Minderheit", sagt Marburger-Bund-Sprecher Hans-Jörg Freese. "Wir werden gerne als unsolidarisch dargestellt, weil wir uns ausschließlich für Ärzte einsetzen. Ärzte haben aber eine Sonderrolle in Klinken." Eine viel längere Ausbildung zum Beispiel.

"Wer tritt in eine Gewerkschaft ein, die ihre Interessen gar nicht durchsetzen kann?", drückt Freese die Sorge der Berufsgewerkschaften aus. Für einen Vielleicht-Einfluss gehe keiner in die Gewerkschaft, fürchtet auch Jens Schubert, ver.di-Rechtsexperte und Klagevertreter. "Das Gesetz zerfasert damit auch Flächentarifverträge", sagt er.

Mitgliedszahlen erholen sich wieder

Dabei erholen sich die Mitgliedszahlen gerade. 20,6 Prozent der Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert, zeigen die Daten des arbeitgebernahen Instituts der Wirtschaft in Köln - und bescheinigen eine "Trendwende unter Vorbehalt". Vor zehn Jahren waren es 18 Prozent. "Gewerkschaften sind wieder angesagter unter Arbeitnehmern", sagt Stefan Schmalz, Arbeitssoziologe an der Uni Jena.

Auf der anderen Seite: Immer weniger Unternehmen binden sich an Tarifverträge: Nur 15 Prozent der Betriebe, wie die Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen. 45 Prozent der Beschäftigten bekommen Tariflohn. Die Zahlen sind uneinheitlich: Das Forschungsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit IAB kommt auf 29 Prozent Tarifbetriebe. Mit sinkender Tendenz.

"Und jetzt gibt es ein Gesetz, das nur Gewerkschaften in Sachen Tarifeinheit regulieren will", sagt ver.di-Mann Schubert. Arbeitgeberverbände akzeptierten dagegen zunehmend Firmen ohne Tarifbindung als Mitglied. "Das schwächt die Tarifautonomie." Arbeitgeberpräsident Kramer sieht auch das komplett anders: Es sei ein Angebot für Firmen, die nie tariflich gebunden waren, und begleite sie oft zu Haustarifverträgen. Das sei "segensreich".

Miriam Bunjes


Bundesregierung

Eckpunkte des Tarifeinheitsgesetzes



Das Gesetz zur Tarifeinheit ist Mitte 2015 in Kraft und wurde am 24. und 25. Januar 2017 vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Elf Gewerkschaften haben gegen das Gesetz geklagt, fünf dieser Klagen behandelt das Gericht in Karlsruhe jetzt beispielhaft: die der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, des Beamtenbundes, des Marburger Bundes, in dem die Klinikärzte organisiert sind, der Pilotengewerkschaft Cockpit und der Flugbegleitergewerkschaft Ufo.

Das umstrittene Gesetz legt fest, dass bei Überschneidungen mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb nur derjenige gilt, dessen Gewerkschaft die meisten Mitglieder im Betrieb hat.

Ein Betrieb, ein Tarifvertrag - das war bis 2010 die Regel. Arbeitsrichter gaben im Streitfall dann dem Vertrag den Vorrang, der den Bedürfnissen des Betriebes insgesamt am besten entsprach. 2010 entschied das Bundesarbeitsgericht jedoch, dass es grundsätzlich auch mehrere Tarifverträge in einem Betrieb geben darf.

Die Tarifeinheit schrieb Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) just zu der Zeit ins Gesetz, als die Gewerkschaft der Lokführer monatelang den deutschen Bahnverkehr lahmlegte.

Gerade die kleinen Gewerkschaften, die einzelne Berufsgruppen vertreten, sehen sich in der Vertragsfreiheit und beim Streikrecht beschnitten, wenn nur die Mehrheit im Betrieb zählt. Sie fürchten um ihre Existenz. Die DGB-Gewerkschaft ver.di sieht auch die Gefahr, dass Arbeitgeber das Gesetz dazu nutzen, Firmen so umzustrukturieren, dass die genehme Gewerkschaft die Mehrheit hat.



Soziologe

"Gewerkschaften sind zurück aus der Bedeutungskrise"



Die jüngere Generation unter den Arbeitnehmern hat nach Expertenangaben wieder mehr Interesse an Gewerkschaften. Das zeigten Umfragen in Betrieben, aber auch die stabilen oder leicht steigenden Mitgliederzahlen der Gewerkschaften, sagte Stefan Schmalz, Arbeitssoziologe an der Universität Jena, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Gewerkschaften haben sich seit der Finanzkrise 2008 aus einer Bedeutungskrise zurückgearbeitet." Die Fragen stellte Miriam Bunjes.

Viele Gewerkschaften hätten den Mitgliederschwund gestoppt. Das sei ihnen vor allem durch ihre Arbeit an Rettungspaketen für bedrohte Belegschaften gelungen, erläuterte Schmalz. Wichtig für ihre positive Wahrnehmung sei aber auch, dass sie "verstärkt an den Rechten prekär Beschäftigter ansetzen und mit Kampagnen auch in Betriebe und Branchen gehen, die lange Zeit nicht gewerkschaftlich organisiert waren".

Auch der Mindestlohn sei mit dem Einfluss der Gewerkschaften zustande gekommen. Ein Erfolg, der aber auch deutlich mache, dass sich die Bedingungen von Arbeit verschärft haben. "Dass es überhaupt einen Mindestlohn braucht, liegt ja daran, dass sich immer mehr Unternehmen aus der Tarifbindung zurückziehen oder sie mit Ausgründungen umgehen", sagte Schmalz.

"Arbeitskämpfe sind auf beiden Seiten härter geworden." Das Gründen sogenannter gelber Betriebsräte oder Gewerkschaften, die während Tarifstreits die Unternehmens-Positionen vertreten, käme immer wieder vor. Das Gesetz zur Tarifeinheit, gegen das einige Gewerkschaften gerade vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, könnte das befeuern, sagte der Experte. Da mit dem Gesetz nur die mehrheitlich vertretene Gewerkschaft Tarife verhandeln kann, "besteht das Risiko in schwach organisierten Branchen, dass die Arbeitgeber eine ihnen passende Mehrheit im Betrieb schaffen". Die Macht der Gewerkschaften würde das natürlich beschneiden, erläuterte Schmalz.



Tarifeinigung

Ver.di: "Insgesamt ist das ein positives Ergebnis"



In der Tarif- und Besoldungsrunde für die Beschäftigten der Bundesländer haben sich Gewerkschaften und Arbeitgeber auf ein umfassendes Gesamtpaket aus prozentualen Anhebungen und strukturellen Verbesserungen verständigt. "Wir haben ein Ergebnis mit deutlichen Reallohnsteigerungen erzielt", sagte Frank Bsirske, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) am 17. Februar in Potsdam. Bsirske hob zugleich hervor, dass es gelungen sei, die Bezahlungen im Sozial- und Erziehungsdienst zu verbessern und Akzente zugunsten der Auszubildenden und jüngeren Beschäftigten zu setzen: Bsirske: "Insgesamt ist das ein positives Ergebnis."

Die Einigung sieht eine Anhebung der Gehälter um 2,0 Prozent rückwirkend zum 1. Januar beziehungsweise um mindestens 75 Euro vor. Dann steigen die Bezüge zum 1. Januar um weitere 2,35 Prozent erfolgt zum 1. Januar 2018.

Zudem wurde eine Prozessvereinbarung über die Aushandlung einer neuen Entgeltordnung verabredet, von der künftig insbesondere die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst und dem Pflegebereich profitieren sollen. Bis zu einer Einigung, die in der Tarifrunde 2019 angestrebt wird, erhalten Sozialarbeiter je nach Eingruppierung 50 bis 100 Euro mehr pro Monat, Erzieherinnen und Kita-Leitungen 80 Euro.

Darüber hinaus erhalten die Auszubildenden eine in zwei Schritten von jeweils 35 Euro erhöhte Vergütung sowie künftig 29 Tage Urlaub im Jahr. Keine abschließende Einigung wurde in der Frage der Einbeziehung der schulischen Ausbildungsgänge in den Geltungsbereich der Azubi-Tarifverträge erzielt. Hier haben die Tarifpartner weitere Verhandlungen vereinbart.

Die ver.di-Bundestarifkommission hat das Verhandlungsergebnis einstimmig für die jetzt folgende Mitgliederbefragung zur Annahme empfohlen. ver.di fordert von den Bundesländern die zeit- und inhaltsgleiche Übertragung des Ergebnisses auf die Beamtinnen, Beamten und Versorgungsempfänger.



Bundestag

Unterhaltsvorschuss: Reform soll ab Juli greifen



Der Bundestag hat am 16. Februar in erster Lesung den Entwurf zum Ausbau des Unterhaltsvorschusses beraten. "Kinder, deren Elternteile keinen Unterhalt zahlen, brauchen unsere Unterstützung. Deshalb soll der staatliche Vorschuss jetzt für Kinder bis zum Alter von 18 Jahren ausgeweitet werden", sagte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD). Sie sprach von guten Nachrichten für Alleinerziehende.

Dem Entwurf des Bundesfamilienministeriums hat der Bundesrat am 10. Februar 2017 bereits zugestimmt. Ziel ist es, ab dem 1. Juli den Unterhaltsvorschuss bis zur Volljährigkeit des Kindes zu zahlen. Die bisherige Höchstbezugsdauer von 72 Monaten wird für alle Kinder aufgehoben. Für Kinder nach Vollendung des 12. Lebensjahres ist zusätzlich Voraussetzung, dass sie selbst nicht auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) angewiesen sind oder dass der alleinerziehende Elternteil im SGB II-Bezug mindestens 600 Euro brutto monatlich verdient.

Es wird gewährleistet, dass der Staat mit Unterhaltsvorschuss oder SGB II im Bedarfsfall lückenlos für alle Kinder einspringt, wenn sie ihnen zustehende Unterhaltszahlungen nicht erhalten. Zugleich wird für die Haushalte, die nicht hilfebedürftig sind bzw. durch eigene Erwerbseinkünfte unabhängig von Grundsicherungsleistungen werden könnten, ein wichtiger Anreiz geschaffen, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern.

Schwesig betonte, der Unterhaltsvorschuss sei eine wichtige Leistung für alleinerziehende Eltern und ihre Kinder. Das bestätige nicht nur die Gesamtevaluation der familienbezogenen Leistungen. Er sichert nicht nur die finanzielle Situation der Alleinerziehenden Familien ab, vielmehr gelingt es durch die Bemühungen der Unterhaltsvorschussstellen um die Unterhaltszahlungen des Partners oft, dass Unterhalt fließt.



Asyl

Bundesregierung bringt schärferes Abschieberecht auf den Weg




Berliner Notaufnahmelager Marienfelde vor 60 Jahren eröffnet
epd-bild / Rolf Zöllner
Abgelehnte Asylbewerber sollen künftig schneller wieder in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Das ist Ziel eines "Gesetzentwurfs zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht", den das Bundeskabinett am 22, Februar in Berlin gebilligt hat. Sozialverbände wie die Diakonie sehen rechtsstaatliche Grundsätze gefährdet.

Die Regierung plant unter anderem die Erweiterung der Abschiebehaft für Personen, von denen eine Gefahr für Leib und Leben anderer Menschen ausgeht. Zudem soll die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden beschränkt werden, die über ihre Identität täuschen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll künftig die Handys von Flüchtlingen zur Klärung der Identität auslesen dürfen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte nach dem Kabinettsbeschluss, gerade angesichts der zu erwartenden hohen Zahl an Ablehnungen von Asylanträgen sei es wichtig, dass die Ausreisepflicht durchgesetzt werde. Zu den Neuregelungen gehört auch eine Erweiterung des sogenannten Abschiebegewahrsams - ein Festhalten unter der Schwelle der Abschiebehaft - von vier auf zehn Tage.

Beschlüsse der Sonderkonferenz werden umgesetzt

Vorgesehen sind außerdem eine Verpflichtung der Jugendämter zum Stellen eines Asylantrags für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und die Möglichkeit zur Verlängerung der Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende mit geringer Chance auf einen positiven Asylbescheid.

Mit dem Gesetz soll ein Teil der Beschlüsse der Sonderkonferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 9. Februar umgesetzt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten hatten ein Maßnahmenpaket mit insgesamt 15 Punkten vereinbart. Der erste betrifft das im Kabinett verabschiedete Gesetz, das noch im Bundestag und Bundesrat beraten werden muss. Die Bundesländer behielten sich vor, das Gesetz im Lichte des konkreten Entwurfs zu bewerten. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte bereits Widerstand angekündigt.

Verbände gehen auf Distanz

Auch Sozialverbände und Flüchtlingsorganisationen kritisierten die schärferen Abschieberegelungen. In einer gemeinsamen Stellungnahme von insgesamt 20 Organisationen, darunter Arbeiterwohlfahrt, Deutsches Kinderhilfswerk, SOS-Kinderdorf und terre des hommes, wird vor allem auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen verwiesen. Durch den längeren Verbleib in Erstaufnahmeeinrichtungen würde ihnen dauerhaft der Zugang zu Schulen verwehrt, rügen die Verbände.

Sie unterstreichen, dass Kinder und Jugendliche grundsätzlich so kurz wie möglich in Flüchtlingseinrichtungen untergebracht werden sollten, weil diese Bauten oftmals nicht sicher und nicht kindgerecht sind. "Das Zusammenleben mit vielen fremden Menschen auf engem Raum, mangelnde Privatsphäre und fehlende Rückzugsorte haben negative Auswirkungen auf die Sicherheit und das Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen", lautet die Kritik. Zudem seien der Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie zu Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche in Erstaufnahmeeinrichtungen stark eingeschränkt.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagte: "Statt das Bleiberecht großzügig anzuwenden, das erst 2015 geschaffen wurde, werden mit den neuen Regelungen zur Abschiebehaft rechtsstaatliche Grundsätze gefährdet." Abschiebehindernisse wie die fehlende Aufnahmebereitschaft des Herkunftsstaates blieben trotz Haft bestehen. Und: "Sozialer Unfriede und gesellschaftliche Polarisierung sind vorprogrammiert, wenn Asylsuchende, Geduldete und ihre Kinder gezwungen werden, unbefristet und ohne Arbeit in Aufnahmeeinrichtungen zu leben." Derartige mit heißer Nadel gestrickte politische Vorhaben gefährdeten die Grundrechte, "sie schielen in die ultrarechte Ecke und nützen dem Anliegen wenig."

"Brutalisierung der Abschiebepraxis"

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl warnte vor einer "Brutalisierung der Abschiebepraxis" und vor dem Hintergrund der Handy-Ausleserechte vor einem "gläsernen Flüchtling". De Maizière widersprach derweil der Befürchtung von Pro Asyl, durch die Überprüfung der Handys könnten Reiserouten rekonstruiert werden, um mehr Dublin-Abschiebungen zu ermöglichen.

Auch in einigen Bundesländern werden die Abschiebungen kritisch gesehen. Schleswig-Holstein hat einen Abschiebestopp für Afghanen erlassen, den Bundesinnenminister de Maizière kritisiert hat. Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) verteidigte vor dem Landtag in Kiel die Entscheidung seiner Regierung. Er verwies unter anderem auf über 3.500 Kinder, die im vergangenen Jahr in Afghanistan verletzt oder getötet wurden. Die Mehrheit der Menschen im nördlichsten Bundesland wolle nicht, dass Menschen dorthin abgeschoben werden, betonte Albig.



Flüchtlinge

Weitere 18 Afghanen per Sammelcharter abgeschoben




In einem Flugzeug der Linie "Meridiana" nach Afghanistan: Sammelabschiebung vom Münchner Flughafen.
epd-bild/Lukas Barth

Bei der dritten bundesweiten Sammelabschiebung sind 18 abgelehnte afghanische Asylbewerber ausgeflogen worden. Wie das bayerische Innenministerium am 23. Februar mitteilte, ging der Charterflug am Abend zuvor gegen 21 Uhr vom Flughafen München nach Kabul. Es war der erste Flug von Bayern aus, seit Deutschland wieder nach Afghanistan abschiebt. Die Sammelabschiebung wurde von Protesten am Münchner Flughafen begleitet.

Mehr als 350 Menschen demonstrierten nach Angaben des Bayerischen Flüchtlingsrates im Zentralbereich des Flughafens, darunter etliche afghanische Geflüchtete. Dem bayerischen Innenministerium zufolge kamen fünf der nun abgeschobenen Asylbewerber aus Bayern, vier aus Baden-Württemberg, vier aus Hessen, je zwei aus Hamburg und Sachsen-Anhalt sowie einer aus Rheinland-Pfalz. Es habe sich nur um alleinstehende junge Männer gehandelt, darunter auch Straftäter.

Das Bundesverfassungsgericht stoppte kurz zuvor die Abschiebung eines afghanischen Flüchtlings. Er dürfe nicht abgeschoben werden, bevor über seine Verfassungsbeschwerde entschieden worden sei, heißt es in der Entscheidung der Karlsruher Richter, die dem epd vorliegt. Der Flüchtling hatte einen Asylfolgeantrag gestellt, über den noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Die badische evangelische Landeskirche zeigte sich erfreut über den Abschiebestopp.

Herrmann verteidigt Aktion

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, man werde Ablehnungsbescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge auch weiterhin vollziehen: "Abgelehnte Asylbewerber müssen Deutschland wieder verlassen und in ihre Heimatstaaten zurückkehren."

Seit Tagen streitet sich Bundesinnenminister de Maizière (CDU) mit einigen Landesregierungen über Abschiebungen nach Afghanistan. Der Politiker betonte mehrfach, es gebe sichere Regionen in Afghanistan. De Maizière hatte im Oktober vergangenen Jahres ein Rückführungsabkommen mit dem Land am Hindukusch unterzeichnet, das Sammelabschiebungen dorthin ermöglicht. Daraufhin hatte es im Dezember eine erste solche Abschiebung mit 34, im Januar eine zweite mit 25 Personen und nun mit 18 Personen gegeben.

Thüringen geht auf Distanz

Der thüringische Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) verteidigte den Abschiebestopp seines Landes. "Wenn sie sehen, dass die zivilen Opfer 2016 so hoch waren wie noch nie, dann spricht dies dafür, dass Afghanistan alles andere als ein sicheres Herkunftsland ist", betonte er. Von de Maizière forderte Lauinger eine Begründung, warum all die Berichte über die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan falsch sein sollen.

"Wir maßen uns an, eine Entscheidung, die der Bund getroffen hat, kritisch zu hinterfragen und eine Begründung einzufordern, die uns überzeugt", sagte Lauinger. Der Hinweis auf angeblich sichere Regionen ohne Beweise reiche ihm nicht aus. Der bayerische Innenminister Herrmann monierte hingegen, dass "pauschale Abschiebestopps ohne Einzelfallbetrachtung für alle Afghanen ohne Bleiberecht, wie etwa in Schleswig-Holstein", die hiesige Rechtsordnung konterkarierten.

SPD rügt Kaltschnäuzigkeit

Kritik an den Afghanistan-Abschiebungen kam auch von den Kirchen. Die beiden Bischöfe Heinrich Bedford-Strohm und Reinhard Marx kritisierten die Praxis als "außerordentlich fragwürdig". Afghanistan müsse erst so befriedet werden, dass Menschen wieder sicher dort leben können.

Auch die SPD ging auf Distanz. Für die AG Migration und Vielfals sagte der Abgeordnete Aizs Bozkurt: "Wir sind erschüttert über so viel Kaltschnäuzigkeit im Umgang mit Menschenleben." Und weiter: "Die Standhaftigkeit der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung erfüllt uns mit Stolz. Der Wetterlage an den rechten Stammtischen zum Trotz, hält sie an Humanität und am Abschiebestopp fest."



Bundesregierung

Mehr als 25.000 Abschiebungen im Jahr 2016



Im vergangenen Jahr ist es nach Angaben der Bundesregierung zu mehr als 25.000 Abschiebungen aus Deutschland gekommen. Wie der Bundestag am 21. Februar berichtete, gehen diese Zahlen aus der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke hervor. Danach wurden 2016 23.886 Abschiebungen auf dem Luftweg vollzogen, 1.376 Abschiebungen auf dem Landweg und 113 Abschiebungen auf dem Seeweg.

Hauptzielstaaten waren den Angaben zufolge Albanien mit 6.045 Menschen vor Kosovo mit 4.988 und Serbien mit 3.769. Zurückweisungen auf dem Luftweg betrafen 4.233 Menschen, auf dem Seeweg 56 Personen und auf dem Landweg 16.562, wie aus der Vorlage weiter hervorgeht. Zurückschiebungen erfolgten demnach in 47 Fällen auf dem Luftweg, in zwölf Fällen auf dem Seeweg und in 1.220 Fällen auf dem Landweg.

Die Zahl der laut des Ausländerzentralregister im vergangenen Jahr erfolgten Ausreisen abgelehnter Asylbewerber wird in der Antwort mit 67.060 beziffert (Albanien: 20.162, Serbien: 12.683, Kosovo: 9.780).



Flüchtlinge

Interview

"Schwierige Abstimmungsprozesse"




Heinz-Josef Kessmann
epd-bild/Harald Westbeld
Die Wohnsitzauflage sorgt weiter für Unmut bei den Sozialverbänden. In Nordrhein-Westfalen spricht die Caritas bei der Umsetzung von "heillosem Chaos". Der Münsteraner Caritaschef Heinz-Josel Kessmann beklagt, die Auflage widerspreche dem Integrationsgedanken.

Heinz-Josef Kessmann war soeben in Klausur: Mit den Flüchtlingshelfern und Migrationsberatern seiner Diözese. Und was er dort von der Basis zu hören bekam, bestätigte seine grundsätzlich Ablehung der Wohnsitzauflage. Bei der Entscheidung über die Umsiedlung von Flüchtlingen sei noch eine weitere Behörde dazugekommen, was die Umsetzung deutlich komplizierter mache. Zudem fehlten vielerorts Wohnungen für die Menschen. Wie die Caritas die Lage einschätzt, berichtet Kessmann im Gespräch mit Dirk Baas.

epd sozial: Die Caritas hat ihre Jahreskampagne "Zusammen sind wir Heimat" genannt und wirbt für eine offene Gesellschaft. Zugleich gilt in Nordrhein-Westfalen und den meisten anderen Bundesländern die Wohnsitzauflage. Wie passt das zusammen?

Heinz-Josef Kessmann: Unsere Jahreskampagne setzt sowohl bei der Bevölkerung als auch bei den geflüchteten Menschen auf den Integrationsgedanken. Sie wirbt für Verständnis für die damit verbundenen Anstrengungen. Wir müssen aber feststellen, dass immer wieder gesetzliche Regelungen diesem Integrationsgedanken widersprechen. Dazu gehört auch die Wohnsitzauflage.

epd: Sie waren schon im Vorfeld des Integrationsgesetzes vehement dagegen, Flüchtlingen vorzuschreiben, wo sie zu leben haben. In NRW gilt die Auflage per Verordnung seit dem 1. Dezember. Wie wird sie umgesetzt und was haben Sie für erste Erfahrungen damit?

Kessmann: Für die Entscheidung über den Wohnsitz ist mit der Bezirksregierung noch eine weitere Behördenebene hinzugekommen. Das Ergebnis beschreibt eine unserer Migrationsmitarbeiterinnen kurz und knapp als "heilloses Chaos". Die Abstimmungsprozesse sind noch einmal deutlich schwieriger geworden. Jetzt müssen sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Ausländerbehörde und die Bezirksregierung einig werden. Und dann fehlen noch die Wohnungen, in die die Menschen verwiesen werden sollen.

epd: Die Regelung gilt nur für Flüchtlinge, die bis August 2016 noch nicht anerkannt waren. Wie viele Personen sind aktuell betroffen?

Kessmann: Darüber haben wir noch keinen Überblick. Unsere Migrationsdienste berichten aus ihrer Beratungsarbeit bislang nur von Einzelfällen. Deren Zahl wächst jedoch von Woche zu Woche. Problematisch ist außerdem, dass die bisher zuständige Kommune die finanziellen Leistungen für die Flüchtlinge nach dem Bescheid zum Unzug einstellen kann. Dann müssen sich die Betroffenen selbst darum kümmern, umzuziehen und auch neue Leistungen zu beantragen.

epd: Nach welchem System werden die Menschen im Land verteilt und spielt dabei auch eine Rolle, ob passender Wohnraum vorhanden ist?

Kessmann: Dafür gelten andere Kriterien, vorhandener Wohnraum spielt keine Rolle. Die Zuweisung zu den Kommunen hängt zum Beispiel davon ab, ob es dort eine zentrale Unterbringungseinrichtung des Landes gibt. Deren Platzzahl wird auf die Zahl aufzunehmender Flüchtlinge angerechnet.

epd: Eigentlich dürfen Betroffene drei Jahre lang die ihnen zugewiesene Gemeinde nicht verlassen. Unter welchen Bedingungen darf man denn überhaupt wieder umziehen?

Kessmann: Ein Umzug ist nur möglich, wenn Härtefallklauseln erfüllt sind. Das ist zum Beispiel der Fall bei Familienzusammenführungen mit minderjährigen Kindern. Allerdings handeln die Behörden hier sehr restriktiv und wenig integrationsfördernd.

epd: Sie warnen in der Integrationsdebatte vor Abschottung und Parallelgesellschaften. Aber entstehen die denn nicht genau dort, wo Migranten sich in großer Zahl sammeln, etwa in den Großstädten wie Köln, Essen, Duisburg oder Dortmund?

Kessmann: Neben der Bereitstellung von adäquatem Wohnraum muss auch gewährleistet sein, dass eine Integration in den Arbeitsmarkt möglich ist. Ansonsten haben Sie durchaus recht. Bei freier Wohnsitzwahl wird es immer wieder passieren, dass sich Menschen einer Nationalität an wenigen Orten zusammenfinden. Das ist ein völlig normaler Prozess, den wir überall auf der Welt beobachten. Es gibt auch deutsche Viertel in vielen Metropolen dieser Welt. Warum wollen wir das den Flüchtlingen in unserem Land verwehren?

epd: Bei der SPD heißt es, die Auflage fördert den Integrationsprozess? Warum stimmt das aus Ihrer Sicht nicht?

Kessmann: Die Wohnsitzauflage nimmt weder auf Arbeitsmarktbedingungen noch auf familiäre Beziehungen oder tatsächlich vorhandenen, bezahlbaren Wohnraum Rücksicht. Mit der wichtigste Faktor für eine gelingende Integration ist aber ein Arbeitsplatz.

epd: Kommen wir noch einmal zur Jahreskampagne zurück. Wie kann es gelingen, dass die Flüchtlinge sich schneller heimisch fühlen und die Werte und Regeln in Deutschland anerkennen?

Kessmann: Ideal ist es, wenn die Flüchtlinge offen sind und auf eine offene Gesellschaft treffen. Das erleben wir an vielen Orten, zum Beispiel in den Patenschaftsprojekten, in denen Ehrenamtliche sie begleiten. Da stellen wir ein ungebrochenes Engagement fest. Eine abgeschottete Gesellschaft behindert eine Integration - das Schüren von Angst, wie es manche Politiker weiterhin betreiben, umso mehr.

epd: Sie rügen auch, dass eine institutionalisierte Mitsprache von Asylsuchenden und Flüchtlingen fehlt. Wer in der Politik ist gefordert, hier mehr Teilhabe zu ermöglichen?

Kessmann: Grundsätzlich sind da alle Ebenen gefragt, aber vor allem sind die Kommunen gefordert, den Migranten Mitsprachemöglichkeiten anzubieten. Das würde eine Integration, die auf Mitwirkung setzt, deutlich erleichtern. Und anfangen müssen wir in unseren eigenen Einrichtungen. Auch hier ist das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft.



Nordrhein-Westfalen

Wohnsitzauflagen beschäftigen die Sozialgerichte



Die Sozialgerichte in Nordrhein-Westfalen befassen sich zunehmend mit den "Wohnsitzauflagen" für Flüchtlinge. Die ersten Fälle von sozialrechtlichen Auswirkungen der "Wohnsitzauflagen" seien in den vergangenen Monaten verhandelt worden, erklärte der scheidende Präsident des Landessozialgerichts NRW, Joachim Nieding am 20. Februar in Essen. "Wir gehen allerdings davon aus, dass die Auswirkungen des Zuzugs von Geflüchteten auf die Sozialgerichtsbarkeit erst im Laufe der kommenden Jahre deutlich spürbar sein werden", sagte Nieding.

In Nordrhein-Westfalen wird anerkannten Flüchtlingen seit dem 1. Dezember ein fester Wohnsitz zugewiesen. Flüchtlinge werden auf die Städte und Gemeinden verteilt und müssen drei Jahre dort wohnen bleiben.

Auch die Klagen im Bereich von Hartz IV im Zusammenhang mit Zuwanderern besonders aus Bulgarien, Rumänien und weiteren osteuropäischen Beitrittsländern der EU werden nach Ansicht des Präsidenten des Landessozialgerichts NRW zunehmen. Zudem seien mit Klagen gegen die seit dem 1. Januar 2017 geltende Sperre für Zuwanderer in die Sozialhilfe zu rechnen. Hier sei noch unklar, ob die Sozialgerichte das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof zur Klärung anrufen würden.

2016 gingen nach Angaben von Nieding insgesamt rund 88.620 Verfahren bei den landesweit acht Sozialgerichten neu ein. Dazu zählten Klagen sowie Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz. Dies seien fast acht Prozent oder rund 6.310 Verfahren mehr als im Vorjahr. Die Zahl der unerledigten Verfahren lag zum Jahresende 2016 mit 89.125 um rund fünf Prozent über der Zahl des Vorjahres. Rund 33,5 Prozent oder 29.665 Fälle aller eingegangenen Klagen betrafen die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rund 16 Prozent oder 14.566 Fälle betrafen das Schwerbehindertenrecht.

Rund 40 Prozent der Verfahren in erster Instanz bei den Sozialgerichten gingen mit vollem oder mit teilweisem Erfolg zu Ende. In zweiter Instanz lag die volle oder teilweise Erfolgsquote bei nur noch 23,5 Prozent.



Niedersachsen

Minderjährige Flüchtlinge sollen gerechter verteilt werden



Niedersachsen will unbegleitete minderjährige Flüchtlinge künftig besser verteilen. Dazu hat die Landesregierung am 21. Februar ein neues Gesetz zur Verbandsanhörung freigegeben, wie die Staatskanzlei in Hannover mitteilte. Es soll rechtliche Voraussetzungen schaffen, mit denen das Land die Kinder und Jugendlichen den Landkreisen und kreisfreien Städten zuweisen kann. Nach bisherigem Recht ist dasjenige Jugendamt zur Inobhutnahme verpflichtet, in dessen Bereich sich die Minderjährigen aufhalten.

Die Landesregierung setzt mit dem neuen Gesetz eine Änderung des Sozialgesetzbuches VIII um. Das Bundesgesetz lässt allerdings offen, nach welchem Verteilschlüssel die unbegleiteten ausländischen Minderjährigen in die Kommunen geschickt werden.

In Niedersachsen soll dem Gesetzentwurf zufolge zukünftig die Einwohnerzahl im Zuständigkeitsbereich der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe als Maß dienen. Damit könnten Standards der Kinder- und Jugendhilfe gewährleistet und das Kindeswohl sichergestellt werden, hieß es.



Asylbewerber

Flüchtlingsbürgen hoffen auf Unterstützung durch Politik



Die Flüchtlingshelfer, die wegen Bürgschaften für Flüchtlinge vor Gericht klagen, hoffen auf Hilfe durch die Politik. "Unsere Forderung richtet sich an das Land, uns die Kosten abzunehmen", sagte der Flüchtlingshelfer und Fraktionsvorsitzende der Gießener Grünen, Klaus-Dieter Grothe, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Helfer haben sogenannte Verpflichtungserklärungen für einreisende Bürgerkriegsflüchtlinge unterschrieben, die von Verwandten nach Deutschland nachgeholt wurden. Sie verpflichteten sich damit, für die Aufenthaltskosten derjenigen aufzukommen, die ihren Aufenthalt nicht selbst finanzieren können. Jobcenter fordern nun die entstandenen Kosten von den Bürgen zurück. Dagegen klagen 21 Flüchtlingshelfer vor dem Gießener Verwaltungsgericht.

Wann es zu einer Verhandlung komme, sei noch nicht absehbar, sagte der Gerichtssprecher Reinhard Ruthsatz am Freitag dem epd. "Aber wir wissen von der erheblichen Öffentlichkeitsbedeutung." Neben dem juristischen Kampf richteten die Bürgen ihre Forderungen auch an die Politik, berichtete Grothe. Sie seien mit allen Fraktionen des Landtags im Gespräch. Alle seien zwar "entsetzt". "Aber wir haben kein substanzielles Angebot bekommen."

Seinen Hochrechnungen zufolge könnten schlimmstenfalls Kosten in Höhe von insgesamt 400.000 bis 500.000 Euro auf die Bürgen zukommen. In Wetzlar habe beispielsweise jemand eine neunköpfige Familie aufgenommen. Die Kläger argumentieren unter anderem damit, dass sie sich vorher vom hessischen Innenministerium beraten ließen. Sie seien daher davon ausgegangen, dass die Verpflichtungserklärung erlischt, sobald die Einreisenden nach der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannt werden. Das seien diese inzwischen auch.

Diese Auffassung habe das Innenministerium bisher vertreten, bejahte das Ministerium auf Anfrage des epd. "Damit hätten Verpflichtungsgeber nicht für entstandene Kosten herangezogen werden können." Am 26. Januar entschied jedoch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugunsten eines Jobcenters: Danach haftet ein Bürge für die Lebenshaltungskosten eines Bürgerkriegsflüchtlings auch noch nach seiner Anerkennung als Flüchtling. "Ungeachtet der Tatsache, dass das Innenministerium eine andere Rechtsauffassung hatte, akzeptiert die Hessische Landesregierung das Urteil", erklärte das Innenministerium.



Armuts- und Reichtumsbericht

Gastbeitrag

Besser als sein Vorgänger – aber immer noch kritikwürdig




Andreas Mayert
epd-bild/Sozialwissenschaftliches Institut der EKD

Als vor vier Jahren der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung erschien, wurde kaum über die darin beschriebene Entwicklung der Lebenslagen in Deutschland diskutiert. Im Zentrum des öffentlichen Interesses stand vielmehr, welche Entwicklung der Bericht selbst zwischen seiner Entwurfsfassung und der schließlich veröffentlichten Version durchgemacht hatte. Denn: Die damalige Bundesregierung hatte aus ihrer Kommentierung der unbestreitbaren Fakten einer zunehmender Armut und sozialen Ungleichheit in Deutschland all die rauen Ecken, Narben und Falten herausgestrichen, die mit dem übrigen Bild einer relativ positiven wirtschaftlichen Entwicklung nicht so recht in Einklang zu bringen waren.

Fakten offengelegt

Hieß es in der Entwurfsfassung beispielsweise: "Die insgesamt positive Entwicklung der Lebenslagen schlägt sich allerdings nicht bei der Armutsrisikoquote, der Niedriglohnquote und dem Vermögensaufbau der Menschen in Deutschland nieder. Hier bestehen weiterhin deutliche Ungleichheiten in den Lebenslagen", so wurde daraus in der veröffentlichten Version der damaligen Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU): "Bezogen auf die relativen Einkommens- und Armutsindikatoren wird die positive Entwicklung bislang noch nicht durchgehend sichtbar."

Im Vergleich dazu ist der nun veröffentlichte Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht ein Fortschritt. An vielen Stellen wird ausdrücklich benannt, dass Armut und Ungleichheit in Deutschland - ausgehend von einem bereits hohen Niveau - weiter zugenommen haben, der Bildungserfolg eines Kindes weiterhin stark von der sozialen Stellung der Eltern abhängt und die soziale Mobilität im Erwachsenenalter seit Jahrzehnten stagniert. Hinzu kommt, dass alle verwendeten Daten und Studien übersichtlich auf einer eigens angelegten Webseite verfügbar gemacht wurden. Mehr Transparenz geht in Bezug auf die Faktenlage nicht.

Eine plumpe Verfälschung der Daten war allerdings noch nie etwas, das man dem Armuts- und Reichtumsbericht hätte vorwerfen können. Interessant war hingegen stets, welchen Weg die jeweilige Bundesregierung wählt, mit unschönen Fakten umzugehen, die eine – wie Hannah Arendt es in ihrem zurzeit wieder hochaktuellen Essay "Wahrheit und Politik" beschrieben hat – aus Sicht der Regierenden unwillkommene Eigenschaft "ärgerlicher Hartnäckigkeit" besitzen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, liefert auch der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht trotz aller Verbesserungen Anlass zu Kritik.

Negatives tief vergraben

Statt negative Entwicklungen schönzureden, hat man diesmal zwei andere Wege gewählt, sie dem oberflächlichen Blick des Betrachters zu entziehen. Zum einen werden sie – bewusst oder unbewusst – in einem Konvolut von Daten und technischen Erläuterungen so tief vergraben, dass nur mit der Geduld von Heiligen ausgestattete Leser auf sie stoßen. Zum anderen werden negative Entwicklungen an vielen Stellen zwar in den Raum gestellt, doch wird auch der geduldige Leser meist vergeblich nach schlüssigen Ansatzpunkten suchen, wie die Bundesregierung künftig mit ihnen umzugehen gedenkt.

Das beste Beispiel für den ersten der beiden beschriebenen Wege liefert der Umgang mit der Tatsache, dass in Deutschland zwar seit einigen Jahren eine deutlich sinkende Arbeitslosigkeit, eine Zunahme der durchschnittlichen Realeinkommen und eine ebenso ausgeprägte wie erfreuliche Bildungsexpansion zu beobachten sind, Armut und soziale Ungleichheit aber dennoch weiter zugenommen haben. Man sollte glauben, dass diese besorgniserregenden Fakten im Zentrum von Analysen und angedachten politischen Maßnahmen zur Überwindung einer für den gesellschaftlichen Zusammenhalt höchst ungesunden Entwicklung stehen. Die Berichterstattung beschränkt sich jedoch darauf, die Fakten irgendwo einmal kurz zu erwähnen und Zusammenhänge auszuklammern.

So wird an einer Stelle des Berichts zwar klar und deutlich herausgestellt, dass in den letzten Jahren die mittleren Einkommen in Deutschland gewachsen sind, während die unteren Einkommensgruppen stagnierende oder sogar schrumpfende Einkommen hinnehmen mussten. Dieser für die Entwicklung der Armutsrisikoquote entscheidende Zusammenhang wird jedoch in einigen wenigen Zeilen des über 600 Seiten starken Berichts abgehandelt, als handele es sich dabei um eine Petitesse, die mit der Armutsrisikoquote bestenfalls in losem Zusammenhang steht.

Bundesregierung schämt sich

An einer völlig anderen Stelle des Berichts stößt man dann auf die Information, dass in Deutschland das Einkommen von über zehn Prozent der Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung von Sozialtransfers unter die Armutsrisikoschwelle fällt. Eine Problematisierung dieses Sachverhalts sucht man jedoch ebenso vergeblich wie eine Verbindung mit der Tatsache, dass beinahe ein Viertel der deutschen Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor tätig ist. Ist es angesichts eines so undurchsichtigen Umgangs mit den Ursachen von Armut und Ungleichheit eine Überraschung, dass immer mehr Menschen ihre prekäre Situation schlicht auf die Globalisierung oder ähnlich abstrakte Entwicklungen zurückführen? Wenn die Bundesregierung im Armuts- und Reichtumsbericht die negativen Folgen einer Arbeitsmarktpolitik verschämt verschweigt, die seit über einem Jahrzehnt auf eine Deregulierung prekärer Beschäftigungsformen, auf eine Aufweichung des Tarifrechts und den auf Arbeitslose ausgeübten Zwang zur Aufnahme jedweder Beschäftigung setzt, dann darf sie sich nicht wundern, wenn Menschen möglichst einfache Zusammenhänge konstruieren und "Eliten" oder dem Welthandel unreflektiert die Schuld für ihre missliche Lage geben.

Das beste Beispiel für den zweiten der oben genannten Wege, also für das simple in den Raum Stellen expliziter Ursachen von Ungleichheit ohne Beschreibung schlüssiger Gegenmaßnahmen, bietet der Umgang mit der Tatsache, dass Bildungschancen in Deutschland besonders stark vom sozialen Status der Eltern abhängen. Im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht wird an unzähligen Stellen mantrahaft beschworen, dass der beste Weg zur Überwindung von Armut gute Bildung und eine dem Bildungsabschluss entsprechende Beschäftigung ist – was unbestreitbar zutrifft. Nur ist der wiederholte Hinweis auf diesen offensichtlichen Zusammenhang beinahe zynisch, wenn es gute Gründe gibt daran zu zweifeln, dass alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Chancen auf eine ihren Talenten entsprechende gute Ausbildung besitzen.

Denn der Armuts- und Reichtumsbericht beschreibt in dankeswerter Eindeutigkeit, dass die Ungleichheit der Bildungschancen in Deutschland nicht monokausal auf die ungleiche Förderung im Elternhaus zurückgeführt werden kann. Vielmehr weist er beispielsweise darauf hin, "dass sich unter Berücksichtigung der Leistungen der Viertklässlerinnen und Viertklässler unterschiedliche Chancen auf eine Gymnasialpräferenz durch die Lehrkraft in Abhängigkeit von der sozialen Lage feststellen lassen". Mit anderen Worten ausgedrückt, lässt sich bei den Schulempfehlungen der Lehrkräfte beim Übergang in die Sekundarstufe I eine offensichtliche Diskriminierung nach sozialem Status der Schüler und Schülerinnen bzw. ihrer Eltern erkennen. Wenn die Bundesregierung ihre Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungschancen sozial Benachteiligter beschreibt, geht sie auf diesen im Grunde skandalösen Umstand nicht mit einem einzigen Wort ein.

Nötig ist ein unabhängiger Bericht

Als Fazit muss man daher festhalten, dass die Armuts- und Berichterstattung der Bundesregierung weiterhin davon geprägt ist, unvorteilhafte Entwicklungen zu vernachlässigen, statt hier Chancen zu suchen und zu beschreiben, Deutschland nicht nur sozial gerechter zu machen, sondern im Rahmen des rasanten technologischen Fortschritts so aufzustellen, dass Talente gefördert und genutzt werden, so dass niemand das Gefühl haben muss, von diesen Veränderungen erdrückt, überfordert oder übervorteilt zu werden. Gerade vor dem Hintergrund des immer stärker werdenden Populismus sollten Armuts- und Reichtumsberichte in dieser Hinsicht weiterentwickelt werden.

Vermutlich kann das aber nur gelingen, wenn die Armuts- und Reichtumsberichterstattung der politischen Einflussnahme auf Inhalte und Formulierungen entzogen wird. Gesellschaftliche Ungleichheit, Chancengerechtigkeit sowie die Verteilung und Ursachen von Armut und Reichtum in der Bevölkerung sind entscheidende Faktoren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für die Legitimation des deutschen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells. Sie verdienen daher eine politisch unabhängige Berichterstattung. Wohl erst dann werden die Analysen und Verbesserungsvorschläge der Armuts- und Reichtumsberichterstattung im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen und nicht die an einer guten Selbstdarstellung interessierte Kommentierung der jeweiligen Regierung.

Andreas Mayert, Sozialwissenschaftler und Diplom-Volkswirt beim Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD


Rheinland-Pfalz

Ehrenamtskarte künftig schon ab 14



Die landesweite Ehrenamtskarte in Rheinland-Pfalz kann künftig bereits von 14-Jährigen beantragt werden. "Die öffentliche Anerkennung soll dazu beitragen, Jugendliche für ein Ehrenamt zu begeistern oder sie anzuspornen, sich weiterhin zu engagieren", begründete Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am 16. Februar in Mainz die Absenkung des Mindestalters. Bislang mussten Antragsteller mindestens 16 Jahre alt sein.

Mittlerweile stellen über 100 rheinland-pfälzische Kommunen die 2014 eingeführte Ehrenamtskarte aus. Ihre Inhaber erhalten Ermäßigungen bei den Eintrittspreisen für Museen, Schwimmbäder oder Theater. Voraussetzung für Antragsteller ist, dass sie mindestens fünf Stunden pro Woche oder 250 Stunden pro Jahr mit ehrenamtlicher Arbeit verbringen, für die es keine finanzielle Aufwandsentschädigung gibt.



Statistik

Über 20 Millionen Paare leben zusammen



Knapp 40,9 Millionen Erwachsene lebten 2015 in Deutschland mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin zusammen unter einem Dach. Wie das Statistische Bundesamt auf der Basis des Mikrozensus am 21. Februar in Wiesbaden mitteilte, entspricht diese Zahl 60 Prozent der Bevölkerung ab dem Alter von 18 Jahren. Die überwiegende Mehrheit war verheiratet (86 Prozent).

26,8 Millionen Erwachsene wohnten den Angaben nach ohne Partner oder Partnerin im eigenen Haushalt. Auffallend ist für die Statistiker die Situation in den Stadtstaaten. Dort lebte 2015 nur etwa jede zweite erwachsene Person mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin zusammen (Berlin: 49 Prozent, Hamburg und Bremen: 52 Prozent). In den Flächenländern lag der entsprechende Anteil der Bevölkerung in Paarbeziehungen mit durchgängig knapp über 60 Prozent deutlich höher.




sozial-Branche

Migration

Bilder von Glück und unendlicher Müdigkeit




Im Bild festgehalten: Flüchtlingsrettung im Mittelmeer.
epd-bild/Peter Eickmeyer
Der Künstler Peter Eickmeyer und die Journalistin Gaby von Borstel haben mit der "Aquarius" eine Rettungsmission auf dem Mittelmeer begleitet. In einer "Graphic Novel" erzählen sie davon, wie das Schiff Flüchtlinge vor dem Tod auf See bewahrte.

Ernst und mit weit aufgerissenen Augen blickt das Baby dem Betrachter entgegen. Das Gemälde zeigt übergroß seinen dunkelbraunen Kopf. Ein Handtuch ist schützend darum gelegt. Die Sonne taucht die Szenerie in warmes Licht. Peter Eickmeyer hat sein Bild "Goldenes Kind" genannt. Der oder die Kleine ist einer von Tausenden Menschen aus Afrika, die im vergangenen Jahr über das Mittelmeer geflüchtet sind. Drei Wochen lang hat der Künstler Eickmeyer ihre Rettung an Bord der "Aquarius" hautnah miterlebt. In mehr als 200 Zeichnungen und Skizzen hat er Ereignisse, Momente, Menschen festgehalten.

Sie werden im Mai zusammen mit Texten der Journalistin Gaby von Borstel als Graphic Novel, einer Art modernem Comic, erscheinen. Ein Teil der Bilder ist jetzt in einer Ausstellung im Erich-Maria-Remarque-Zentrum in Osnabrück zu sehen, die bis zum 7. Mai dauert.

"Niemand verdient es, im Mittelmeer zu ertrinken"

Die beiden Künstler haben ihrem Projekt und dem Buch den Titel "Liebe Deinen Nächsten" gegeben. Mit dem Jesuswort aus der Bibel appellieren sie zugleich an das christlich-abendländische Europa, es möge seine Asylpolitik endlich menschlicher gestalten: "Niemand hat es verdient, im Mittelmeer zu ertrinken", sagt Eickmeyer knapp.

Als er und von Borstel im Dezember 2015 von der Arbeit der zivilen Hilfsorganisation "SOS Mediterranee" erfuhren, beschlossen sie, mit künstlerischen Mitteln ihren Beitrag zu leisten. Auf dem von den Helfern gecharterten ehemaligen Fischereikontrollschiff "Aquarius" führten sie im Sommer 2016 Interviews mit Rettern und Geretteten. Eickmeyer fertigte Skizzen an und malte Aquarelle. Einen Teil der Einnahmen, die sie aus dem Buchverkauf, mit Ausstellungen und Vorträgen erzielen, wollen sie den Helfern spenden.

Es war der Tag des Brexit, der 23. Juni, als sie ihre erste große Rettungsaktion erlebten. Immer wieder wurden Menschen aus völlig überfüllten Schlauchbooten geholt. Rund 600 Geflüchtete hatte die "Aquarius" am Ende des Tages aufgenommen, erinnert sich Eickmeyer. "Überall saßen und lagen in graue Decken gehüllte Menschen. Das Wetter hatte sich kurz zuvor deutlich verbessert und die Schleuser hatten Tausende auf die Reise geschickt."

Der Künstler aus Melle bei Osnabrück hat diese und viele weitere Szenen in Tuschezeichnungen festgehalten. Am Computer hat er sie, wie bei Comics üblich, nachträglich koloriert. Da ist ein Blick durch ein Fernglas aufs offene Meer hinaus. Inmitten der Schaumkronen zeichnen sich - winzig klein - die Köpfe von Menschen ab. Da ist der Fotojournalist mit seiner Kamera, dem sich die Arme der Geretteten entgegenstrecken. Da ist ein Boot im Mondenschein, voll mit Flüchtlingen: "Das haben wir mitten in der Nacht nach stundenlanger Suche entdeckt", sagt Eickmeyer. Das ungläubige Staunen über solch einen Zufall ist ihm noch anzumerken.

Porträts spiegeln Gefühle der Geretteten

Auf den zahlreichen Porträts spiegeln sich die Gedanken und Gefühle der Geretteten wider. Eickmeyer hat sie nicht am Computer, sondern per Hand mit Farbe versehen: "Ich möchte die Distanz verkürzen, dem Betrachter die Menschen und ihre Geschichte nahebringen." So hat der Künstler, der schon aus Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" eine Graphic Novel gemacht hat, auch sein "Glückspaar" porträtiert: Eine junge Frau und ihr junger Freund sitzen eng aneinandergeschmiegt und lächeln. "Sie hatten sich in Libyen am Strand verloren", erzählt von Borstel: "Die Schlepper haben sie auf verschiedene Boote getrieben. Auf der 'Aquarius' haben sie sich wiedergefunden."

Auch auf anderen Bildern wird viel vom Glück der Geretteten spürbar: "Ich glaube, für die meisten waren die zwei Tage an Bord die glücklichsten in ihrem Leben", sagt Eickmeyer. Manchmal jedoch meint man auch die bange Erwartung angesichts einer ungewissen Zukunft aus den Gesichtern zu lesen, manchmal auch einfach Leere und vor allem unendliche Müdigkeit.

Eickmeyer und von Borstel ist klar, dass ihre Graphic Novel auch ganz anders hätte aussehen können. Beim nächsten Rettungseinsatz, als sie schon wieder von Bord waren, haben die Retter die Leichen von 22 jungen Frauen bergen müssen. Sie waren in einem völlig überfüllten und mit Wasser vollgelaufenen Schlauchboot ertrunken.

Martina Schwager


Kinder

"Mama hat kein Geld"




Vielen Familien fehlt das Geld für die gesunde Ernährung ihrer Kinder. (Archivbild)
epd-bild / Rolf Schulten
Kinder aus armen Familien haben nicht nur weniger Geld. Sie haben oft auch schlechte Zähne, verhalten sich unsicher und bewegen sich tollpatschiger. Kitas sind die erste Instanz, die dagegen etwas tun können. Doch dafür braucht es Geld.

Dass an der Geschichte von Linas Mutter etwas faul ist, merkt Erzieherin Nicole Gevers erst später. Als Lina mit einem Jutebeutel in die Janusz-Korczak-Kindertagesstätte in Hannover kommt, erzählt die Mutter ihr, sie habe Linas Rucksack nicht finden können. Gevers, stellvertretende Leiterin der evangelischen Einrichtung, vergisst den Vorfall. Die Janusz-Korczak-Kita liegt in einem sozial schwachen Wohngebiet. Von den insgesamt 54 Kindern haben 80 Prozent einen Migrationshintergrund, die Hälfte kommt aus armen Familien.

Auch bei Lina ist das so. Als sie Monate später immer noch mit dem Jutebeutel herumläuft, fragt Gevers die Dreijährige, warum sie keinen neuen Rucksack bekomme. Die Antwort ist kurz und nüchtern: "Mama hat doch kein Geld."

Schon das mitgebrachte Frühstück lässt Armut erahnen

Kita-Leiterin Karin Adelmann kennt viele solcher Geschichten. Wenn Zuhause das Geld fehle, zeige sich das nicht nur am Jutebeutel, berichtet sie. "Am mitgebrachten Essen merken wir die Armut stark." Viele Kinder würden für das Frühstück nur mit einer Milchschnitte ausgestattet. Es gebe aber noch mehr Anzeichen: schlechte Zähne, unsicheres Sozialverhalten oder sprachliche Schwierigkeiten. "Und viele Kinder sind nicht in der Lage, selbst zu laufen und sind total tollpatschig."

Für die Osnabrücker Bildungsexpertin Renate Zimmer ist das kein Zufall. Das Bewegungsangebot von Baby-Schwimmen bis Eltern-Kind-Yoga sei heute sehr groß. "Kinder aus sozial benachteiligten oder Migrations-Familien nehmen diese Angebote aber weniger wahr", erläutert Zimmer. Vielen Eltern fehle das Geld, manche hielten Bewegung nicht für wichtig und bevorzugten den Fernseher.

"Aber koordinative Fähigkeiten können sich nur entwickeln, wenn ein Kind klettern, hüpfen oder balancieren darf", weiß die Fachfrau. Kinder, die nicht aktiv sind, trauen sich Zimmer zufolge weniger zu, sind weniger neugierig und nehmen öfter eine Vermeidungshaltung an.

Geld für Prävention fehlt seit Jahren

Ilse Wehrmann fordert schon seit Jahren mehr Geld für die Ausbildung von Pädagogen und Qualitätskontrollen in Kindergärten. "Das Thema Kinderarmut haben wir einfach weggeschoben und damit natürlich keine Chancengerechtigkeit geschaffen", kritisiert die Bremer Vorschulexpertin. Jedes Jahr fehlten in Deutschland zehn Milliarden Euro im frühkindlichen Bereich. Wehrmann fordert, dass Deutschland mindestens ein Prozent des Bruttosozialproduktes in frühe Bildung investiert. Derzeit seien es nur 0,6 Prozent. "In keinem anderen Land ist die Entwicklung von Kindern noch so abhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern."

Die wenigsten Eltern handelten böswillig. Ihnen fehlten schlichtweg Zeit, Kraft, besseres Wissen und Geld. Als armutsgefährdet gilt in Deutschland, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat. Das entspricht in einem Single-Haushalt ungefähr 940 Euro im Monat. Allein in Niedersachsen waren im Jahr 2015 nach Angaben des Landesamts für Statistik 15,9 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht. Das betrifft fast jeden sechsten Niedersachsen. Und rund 267.000 Kinder und Jugendliche.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, kommentiert die bundesweiten Zahlen für das Jahr 2016: "Wir haben mit 15,7 Prozent einen neuerlichen Höchststand der Armut im wiedervereinten Deutschland."

Kitas leisten "unersetzliche Arbeit"

In der Janusz-Korczak-Kita bemühen sich 15 feste Mitarbeiter sowie zusätzliche Logopäden, Ergotherapeuten und Musiklehrer um Chancengleichheit. Denn in einem sind sich alle Bildungsexperten einig: In den ersten sechs Jahren werden die entscheidenden Grundlagen für die kindliche Entwicklung gelegt. "Wir kochen hier jeden Tag frisch und essen gemeinsam", betont Leiterin Adelmann. Die Kinder lernen, richtig Zähne zu putzen. Sie erhalten Sprachförderung und Musikunterricht: "Und wir gehen jeden Tag in die Natur."

Nach Ansicht von Renate Zimmer übernehmen Kitas eine unersetzliche Arbeit. Die Einrichtung sei die erste Instanz, die Entwicklungs- oder Bewegungseinschränkungen der Kinder ausgleichen könne. Die Erzieher könnten außerdem auf die Eltern einwirken und sie über Familiengestaltung im Freien oder gesunde Ernährung aufklären. "Das sind Dinge, die Kindern sehr schnell vermittelt werden und dann zu einem ureigenen Bedürfnis für sie werden können."

Leonore Kratz


Hessen

Diakonie-Beschäftigte bekommen ab 1. April mehr Geld



Rund 18.000 Beschäftigte der Diakonie Hessen im Bereich der hessen-nassauischen Kirche erhalten ab 1. April 2017 mehr Lohn. Darauf habe sich die paritätisch mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzte "Arbeitsrechtliche Kommission" verständigt, wie die Landeskirche am 22. Februar in Darmstadt mitteilte.

Die Vereinbarung sieht eine Steigerung der Gehälter für Fachkräfte um vier Prozent vor und für Hilfskräfte um 2,5 Prozent sowie eine Einmalzahlung von bis zu 200 Euro. Dazu gehört auch die Verankerung einer Qualifizierungsinitiative, um aus Hilfskräften künftig Fachkräfte werden zu lassen. Die neuen Abschlüsse haben eine Laufzeit bis 31. März 2019. Formal müssen die neuen Regelungen noch beschlossen werden.

Bei den Beschäftigten in der Altenhilfe hatte sich bereits zu Beginn des Jahres der Lohn um 1,1 Prozent erhöht. Für sie beginnt die Laufzeit für die neuen Entgelte deshalb erst ab Juli 2017. Ärzte und Ärztinnen im Dienst der Diakonie bekommen ebenfalls eine Erhöhung um vier Prozent. Gleiches gilt für Auszubildende und Praktikanten in alle Arbeitsbereichen der Diakonie. Die Leistungen aus der betrieblichen Altersvorsorge bleiben bis auf weiteres unangetastet.

"Der Dritte Weg funktioniert, nach dem in Kirche und Diakonie Löhne ausgehandelt werden", erklärte Sabine Hübner, Vorstandmitglied des Verbands Kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (VKM) und amtierende Vorsitzende der Arbeitsrechtlichen Kommission. "Wir müssen uns hinter den Abschlüssen im öffentlichen Bereich hier nicht verstecken", sagte sie. Trotz des enormen Kostendrucks in der Pflege und im Gesundheitswesen hätten sich alle Seiten gut bewegt, "auch wenn wir gerne einen höheren Abschluss für unsere Mitarbeitenden erzielt hätten", sagte Hübner.

Christoff Jung, Personalleiter in der Diakonie Hessen, bezeichnete den Abschluss als Kompromiss, in dem die Diakonie "an die Grenze des finanziell Leistbaren gegangen ist". Das Spannungsverhältnis zwischen der Attraktivität als Arbeitgeber und der schlechten Refinanzierung der sozialen Arbeit "ist nach wie vor nicht aufzulösen". Gerade die Arbeitsbereiche der Altenhilfe hätten mit Nachwuchssorgen und privater Konkurrenz zu kämpfen. Die jetzt vereinbarten Abschlüsse schafften es aber, die Gehaltsdifferenz zwischen Kranken- und Pflegebereich nicht weiter auseinandergehen zu lassen.



Diakonie

Bremer Diakonissen-Mutterhaus feiert 150-jähriges Bestehen



Das Diakonissen-Mutterhaus im Bremer Westen feiert in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Bremer Bürger gründeten die evangelische Diakonissenanstalt im Oktober 1867 nach dem Vorbild von Pastor Theodor Fliedner, der in Düsseldorf-Kaiserswerth tätig war. Anlass war die "Verelendung der Arbeiterbevölkerung". Die Arbeit begann mit zwei Diakonissen und der Oberin Caroline Saxer. 1938 gab es 250 Diakonissen und Hilfsschwestern. "Heute leben noch fünf Diakonissen im Alter von 58 bis 86 Jahren im Bremer Westen", sagte der Sprecher des Diakonie-Krankenhauses, Ingo Hartel, dem epd.

Die jüngste der Diakonissen arbeitet noch in der Altenpflege des Mutterhauses, das einst Keimzelle für das Krankenhaus war. Mit einer Spende von 100 Talern wurde 1867 der Grundstein für den Verein "Ev. Diakonissenanstalt in Bremen" gelegt. In den Anfängen wurden Menschen in einem Krankenhaus mit 32 Betten gepflegt. 1880 bezogen die Diakonissen einen Krankenhausneubau mit etwa 60 Betten an der Nordstraße, direkt am Industriehafen der Stadt. So entstand ein Schwerpunkt in der Versorgung von Hafenarbeitern und Seeleuten.

Als 1944 bei einem schweren Bombenangriff der ganze Bremer Westen zerstört wurde, blieb nur der Bunker des Krankenhauses übrig, in dem sich zu diesem Zeitpunkt alle Patienten und Schwestern befanden. 1960 bezog die Einrichtung einen Neubau, und das Krankenhaus wurde rechtlich vom Mutterhaus getrennt.

Ende der 1970er kamen Hilfen für ältere Menschen dazu. Arbeitsschwerpunkt der Schwestern war aber von Anbeginn die Pflege. So waren Schwestern in vielen Gemeinden sowie in Krankenhäusern in Bremen und Ostfriesland unterwegs. Heute hat das modernisierte und erweiterte Diakonissen-Krankenhaus 400 Betten und mehr als 800 Beschäftigte.

Bis zu einem zentralen Jubiläumswochenende vom 13. bis 15. Oktober sind Vorträge, Theateraufführungen, Workshops, eine Fotoausstellung und ein "Dorffest" rund um die Emmauskirche des Mutterhauses in Vorbereitung.



Armut

Über 40.000 Besucher in den badischen Vesperkirchen



In diesem Winter haben mehr als 40.000 Menschen die badischen Vesperkirchen besucht. Alleine in der Vesperkirche Karlsruhe seien rund 7.200 Essen ausgeteilt worden, teilte die Evangelische Landeskirche in Baden am 17. Februar mit. Insgesamt seien die Besucherzahlen im Vergleich zum Vorjahr konstant geblieben.

Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Baden, Oberkirchenrat Urs Keller, erklärte, dass die Inanspruchname der Vesperkirchen ein alarmierendes Zeichen sei. "Das zeigt die offene und versteckte, materielle und nicht-materielle Not, auf die sozialpolitische Antworten gefunden werden müssen", sagte Keller.

Unter dem Namen "Vesperkirche" führen evangelische Kirchengemeinden in Süddeutschland jährlich in den Wintermonaten soziale Projekte zugunsten von Armen und Bedürftigen durch. Kern des Angebots ist ein warmes Mittagessen, das zu einem eher symbolischen Preis angeboten wird



Nordrhein-Westfalen

Anträge auf Krebsrehabilitationen in NRW gestiegen



Die Zahl der Anträge für Reha-Maßnahmen nach Krebs ist im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen erstmalig seit 2011 wieder gestiegen. Im Jahr 2016 haben 47.100 Krebs-Patienten eine medizinische Rehabilitation beantragt, wie die Arbeitsgemeinschaft für Krebsbekämpfung NRW am 16. Februar in Bochum mitteilte. Dies entspräche einer Zunahme um 2,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bewilligt wurden den Angaben zufolge 41.100 Rehabilitationen, davon 35.000 Erstmaßnahmen. Bei den meisten Patienten sei eine Brustkrebserkrankung (10.500) oder Prostatakrebs (5.500) diagnostiziert worden.

Die Zahl der alten oder hochbetagten Reha-Patienten hat nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft zugenommen. In Nordrhein-Westfalen seien unter den Patienten mit Reha-Bewilligung fast 3.000 über 80 Jahre gewesen. Dies entspräche einem Anteil von sieben Prozent. Fast ein Drittel der Reha-Maßnahmen wurde 2016 für über 70-jährige Krebspatienten bewilligt. Im Jahr 1976 waren 4,7 Prozent der Patienten 70 Jahre und älter.

97 Prozent aller Krebs-Rehas erfolgten stationär, wie es hieß. Der Anteil ambulanter Maßnahmen aber wächst. So ist gegenüber 2015 den Angaben zufolge der Anteil der bewilligten ambulanten Rehabilitationen um zehn Prozent auf 1.070 gestiegen.

Die Arbeitsgemeinschaft für Krebsbekämpfung NRW ist die zentrale Anlaufstelle der Träger der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung für die onkologische Rehabilitation von Versicherten aus Nordrhein-Westfalen.



Caritas

Start für Modellprojekt in Pflegeheimen



Die Caritas im Ruhrbistum setzt sich mit einem Modellprojekt für mehr Transparenz in der Pflegequalität ein. Das Projekt startet am 1. März für zunächst neun Einrichtungen in Essen und Oberhausen, die mit Schulungen und Qualitätszirkeln unterstützt werden, wie der Caritasverband am 20. Februar in Essen ankündigte. Bewohner von Altenheimen und deren Angehörige sollten mit den Pflegestärkungsgesetzen einen besseren Einblick in die tatsächlich erbrachte Pflegequalität bekommen.

"Die derzeitigen Überprüfungen spiegeln nicht die tatsächliche Pflegequalität wider", sagte Caritas-Gesundheitswissenschaftler Frank Krursel. Für den Umstieg werden die neun Altenheime aus Essen und Oberhausen die sogenannte indikatorengestützte Ergebnissicherung erproben, um somit eine nachvollziehbare und transparente Qualität in der Pflege sicherzustellen. Die Erfassung sieht unter anderem vor, dass die Daten zweimal jährlich erhoben werden und dass alle Bewohner eines Wohnbereiches einbezogen werden.

"Dies schafft Transparenz und eine wirkliche Vergleichbarkeit von Leistungen", erklärte der Referent für die stationäre Pflege der Caritas, Stephan Reitz. Grundlage bildet der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, der seit Anfang dieses Jahres per Gesetz verbindlich eingeführt wurde.

Das Pflegeversicherungsgesetz sieht vor, dass bis 31. Oktober 2017 die Richtlinien zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität für die stationären Altenhilfeeinrichtungen neu zu fassen und zu beschließen sind. Der ambulante Bereich soll ein Jahr später folgen. Schon seit Jahren wird bemängelt, dass die Ergebnisqualität der pflegerischen Versorgung nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Auf dem Gebiet des Bistums Essen gibt es insgesamt 89 katholische Altenhilfe-Einrichtungen. In den Seniorenheimen, Kurzzeit- und Tagespflegen und teilstationären Angebote kümmert sich die Caritas um rund 12.000 ältere Menschen.



Armut

Roma-Lager in Frankfurt geräumt



In Frankfurt am Main ist ein Lager mit Bretterbuden geräumt worden, in denen rumänische Wanderarbeiter lebten. Mitarbeiter der Stadtpolizei seien am 21. Februar mit Umzugskartons angerückt und hätten den rund 30 Bewohnern des Elendsquartiers beim Packen ihrer Habseligkeiten geholfen, sagte Joachim Brenner vom Förderverein Roma dem Evangelischen Pressedienst (epd). Anschließend hätten Bagger die Hütten mit dem übrigen Besitz der Bewohner dem Erdboden gleichgemacht.

Das Ordnungsamt begründete die Räumung des Lagers auf einer Industriebrache mit gesundheitlichen Gefahren. Anwohner hatten sich zuvor über Müll, offene Feuer und Ratten beschwert. Die Stadt konnte lange nicht gegen das Camp vorgehen, weil es sich auf einem Privatgrundstück befand. Das Lager im Gutleutviertel bestand nach Angaben Brenners etwa drei Jahre lang.

Die 20 bis 50 Jahre alten Frauen und Männer, überwiegend Roma, wurden in eine Notunterkunft der Arbeiterwohlfahrt gebracht. Sie müssten müssten die Notunterkunft aber schon bald wieder verlassen, da sie als EU-Bürger keinen Anspruch auf Sozialleistungen hätten, sagte Brenner. Eine Rückkehr nach Rumänien komme für sie nicht infrage. "Dort haben sie überhaupt keine Perspektive", sagte Brenner.



Ethik

Pränatale Medizin weiter umstritten



Über vorgeburtliche Diagnoseverfahren herrscht noch immer Uneinigkeit: Ärzte und Ethiker sehen zwar pränatale Medizin als Chance für sicherere Geburten, warnen aber auch vor sogenannten Designerbays. Medizinhistorikerin und Mitglied des Ethikrats Claudia Wiesemann sagte am 16. Februar in Berlin, Planbarkeit sei eine große Errungenschaft. Je eher man wissen könne, ob ein Kind gesund auf die Welt käme, desto höher seien die Überlebenschancen bei Schwangeren und Kindern.

Die Idee, dass Reproduktionsmedizin und Pränataldiagnostik sogenannten Designerbabys Vorschub leisteten, nannte sie "eine Angstvorstellung, die nur auf ganz wenige Menschen zutrifft". Sie vertraue da auf eine starke Zivilgesellschaft. Wiesemanns Vortrag war Teil des Workshops "Planbare Schwangerschaft - perfektes Kind?" von der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Wolfgang Holzgreve, Leiter des Universitätsklinikums in Bonn, sagte, die Entscheidung von Eltern, ein behindertes oder schwerbehindertes Kind zu bekommen, werde nach seiner Erfahrung nicht durch die Diagnoseverfahren bestimmt. "Pränatale Medizin ist nicht behindertenfeindlich." Alle vorgeburtlichen Diagnoseverfahren, die seit der Einführung des Ultraschalls 1965 erfunden wurden, hätten letztlich zu sichereren Geburten und weniger Abtreibungen geführt. Die feineren Untersuchungsmethoden erlaubten auch vorbelasteten Paaren, Kinder zu bekommen. Das gelte auch für die neuen, nichtinvasiven Bluttests.

Der Moraltheologe Franz-Josef Bormann sagte, er warnte vor einem Abtreibungsautomatismus bei Trisomie 21 Kindern. Verfahren zur früheren Erkennung würden Eltern den Schwangerschaftsabbruch erleichtern, gleichzeitig fehle eine gute Beratung und Aufklärung. Dadurch sei eine wirklich autonome Entscheidung der Eltern nicht möglich, kritisierte das Mitglied des Ethikrats Bormann. Er befürworte vorgeburtliche Diagnoseverfahren nur, wenn sie dazu dienten, Krankheiten bereits im Mutterleib zu behandeln und die Eltern vorzubereiten.

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin werden neun von zehn Kindern mit Trisomie vor der Geburt abgetrieben. Abtreibungen sind in Deutschland generell illegal, bleiben vor der 12. Schwangerschaftswoche jedoch straflos. Ist die körperliche und psychische Gesundheit der Schwangeren ernsthaft bedroht, sind auch Spätabbrüche möglich.



Prävention

Charité: Jugendtherapie verhindert Kindesmissbrauch



Eine frühe Therapie bei 12- bis 18-jährigen Jugendlichen kann nach ersten Ergebnissen eines Charité-Projekts sexuelle Übergriffe auf Kinder verhindern. Von insgesamt 41 männlichen Jugendlichen, die im Rahmen des Modellprojekts "Primäre Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch durch Jugendliche" (PPJ) eine Therapie erhielten, habe niemand sexuellen Kindesmissbrauch begangen oder Missbrauchsdarstellungen wie Kinderpornografie genutzt, teilte der Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité, Klaus M. Beier, am 21. Februar in Berlin mit.

Seit dem Start des PPJ-Präventivangebots für Jugendliche 2014 suchten laut Beier 134 Jungen aus dem ganzen Bundesgebiet und teils aus dem Ausland Hilfe im Projekt. 65 Jugendliche schlossen eine Diagnostik ab, 41 erhielten ein Therapieangebot. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt laut Beier bei 15 Jahren. Überwiegend nehmen die Jugendlichen selbst aus einem starken Leidensdruck heraus Kontakt zu dem Projekt auf.

Ausdrücklich werde bei der Diagnose nicht von "Pädophilie" gesprochen, betonte Tobias Hellenschmidt, leitender Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Vivantes Klinikum in Berlin-Friedrichshain. Häufig gingen die auf Kinder zielenden sexuellen Präferenzen bei den Teilnehmern mit Persönlichkeitsstörungen oder psychischer Erkrankungen infolge der Unterdrückung ihrer jungen Sexualität einher. Auch Jugendliche mit Autismus seien bei den Therapieangeboten dabei.

Die Behandlung erfolgt laut Hellenschmidt in einer Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten wie Psychopharmaka. Sie unterdrückten eine starke sexuelle Impulsivität, die als Mitauslöser für Kindesmissbrauch gilt. Selbst erlebter Missbrauch im Kindesalter ist laut Beier dagegen nicht zwangsläufig ein Grund für eigene sexuelle Fantasien oder Handlungen mit Kindern.

Mit dem Präventionsprojekt für Jugendliche knüpft die Charité an das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden" für erwachsene Pädophile an, das seit 2005 versucht, mit Therapien pädophiles Verhalten zu behandeln.

Das Jugend-Projekt wird vom Bundesfamilienministerium gefördert. Ziel sei es, dass es erst gar nicht zu sexuellem Missbrauch von Kindern kommt, sagte Staatssekretär Ralf Kleindiek. Laut Beier gibt es seit Anfang des Jahres die Möglichkeit, Pädophilie-Therapien anonym als Kassenleistung zu beantragen. Dies eröffne die Chance, auch außerhalb des Projekts präventive Behandlungen zu beginnen.



Familie

Verbände wollen Kinderfreibeträge bei Sozialabgaben



Der Deutsche Familienverband (Berlin) und der Familienbund der Katholiken (Freiburg) fordern die Einführung eines Kinderfreibetrages in der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Das bisherige Abgabensystem für Sozialversicherungen führe zu einer "kontinuierlichen und dramatischen Verarmung von Familien", warnen beide Organisationen in einer am 21. Februar in Freiburg veröffentlichten Mitteilung.

Derzeit stellten als Signal bereits mehrere tausend Familien Anträge an die Sozialkassen auf Beitragsermäßigung und es gebe drei Verfassungsbeschwerden, hieß es in der Mitteilung weiter. Georg Zimmermann vom Familienbund der Katholiken sagte, er sehe bei den Abgaben von Eltern in die Sozialkassen das Steuerprinzip der Leistungsfähigkeit "auf den Kopf gestellt".

Diejenigen, die das System des Generationenvertrages am Leben hielten, würden finanziell "massiv abgestraft". Solange es keine Beitragsgerechtigkeit in den Sozialversicherungen gebe, sei "jedwede Familienförderung nur ein kleiner Tropfen auf einen sehr heißen Stein".



Armut

Deutsche Kleiderstiftung eröffnet drittes Sozialkaufhaus



Die Deutsche Kleiderstiftung eröffnet Anfang März in Helmstedt ihre drittes Sozialkaufhaus unter dem Titel "Zweimalschön". Bestens erhaltene Textilien, Schuhe, Hausrat, Bücher oder betagte Möbel könnten dort zukünftig gekauft oder gespendet werden, teilte die Stiftung am 21. Februar mit. Die Erlöse fließen in die humanitären Projekte der Stiftung. Weitere Filialen gibt es bereits in Braunschweig und Magdeburg.

Besonders für die Erstausstattung des Ladens würden noch Verkaufsstücke gesucht, sagte ein Sprecher. Dazu gehöre vielleicht ein "Sonntagsgeschirr", das vielleicht nicht mehr genutzt werde, Sessel oder Bilder mit Geschichte: "Zu schade zum Wegwerfen, aber irgendwie doch nicht mehr passend."

Die Deutsche Kleiderstiftung mit Sitz im niedersächsischen Helmstedt sammelt bundesweit gebrauchte und neue Kleidung sowie Schuhe. Mehr als 2.500 Kirchengemeinden, diakonische Einrichtungen und gemeinnützige Organisationen beteiligen sich an ihren Sammlungen. Derzeit organisiert die Stiftung Hilfstransporte in osteuropäische Länder wie Albanien oder Moldawien und nach Togo. In Deutschland liefert sie Kleidung unter anderem an soziale Kaufhäuser und Kleiderkammern.



Nordrhein-Westfalen

Erste Prozessbegleiter der Diakonie beginnen ihre Arbeit



In Nordrhein-Westfalen können die ersten Prozessbegleiter der Diakonie mit ihrer Arbeit beginnen: Dreißig Sozialpädagogen haben erfolgreich ein einjähriges spezielles Studium an der Uni Düsseldorf absolviert, um Menschen vor Gericht zu begleiten, die Opfer einer schweren Gewalttat wurden, wie die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe am 22. Februar in Düsseldorf mitteilte. In diesem Jahr wollen 14 diakonische Träger mit dem neuen Angebot starten.

Bundesweit trat zu Jahresbeginn das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren in Kraft. Darin ist das Recht auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung etwa für minderjährige Opfer schwerer Sexual- und Gewaltstraftaten sowie für besonders schutzbedürftige Erwachsene festgeschrieben. Die Diakonie RWL verwies auf die Kriminalstatistik, wonach in NRW im Jahr 2015 allein 2.617 Kinder und 1.366 Jugendliche Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung geworden seien.

Die 19 Landgerichtsbezirke in Nordrhein-Westfalen wollen nach Diakonie-Angaben mit mindestens jeweils zwei Psychosozialen Prozessbegleitern starten. Langfristig sei ein Pool mit insgesamt 300 Begleitern geplant.




sozial-Recht

Bundesarbeitsgericht

Ausgeliehene Rotkreuz-Schwestern sind Arbeitnehmerinnen




Rotkreuz-Schwestern bei der Arbeit.
epd-bild/Holger Gross
Rotkreuz-Schwestern sind nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Februar Arbeitnehmerinnen im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Das hat Folgen für die Praxis des Ausleihens an Kliniken, die nicht zum DRK gehören.

Nach dieser Entscheidung dürfen die bundesweit rund 18.000 an Kliniken ausgeliehenen Schwestern nur mit Zustimmung des jeweiligen Betriebsrates weiterarbeiten, befand das Gericht in Erfurt. Werden die Krankenschwestern an eine Klinik ausgeliehen, die nicht zum Deutschen Roten Kreuz gehört, handelt es sich dem Urteil zufolge um eine erlaubnispflichtige Leiharbeit, für die die Zustimmung des Betriebsrates erforderlich ist. Die Gewerkschaft ver.di begrüßte das Urteil, die DRK-Schwesternschaft zeigte sich enttäuscht.

Die Erfurter Richter folgten einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg vom 17. November 2016 (AZ: C-216/15). Konkret ging es um die Ruhrlandklinik in Essen, ein Lungenzentrum des Universitätsklinikums Essen. Diese hatte mit der DRK-Schwesternschaft einen "Gestellungsvertrag" geschlossen. Für die Überlassung der Schwestern wurden die Personalkosten und eine Verwaltungspauschale gezahlt.

Betriebsrat lehnte Ausleihe ab

Der Betriebsrat verweigerte jedoch die Zustimmung. Bei solch einem Einsatz von Rotkreuz-Schwestern handele es sich um Leiharbeit, die nach dem Gesetz befristet werden müsse. Hier sei die Gestellung der Rotkreuz-Krankenschwestern aber unbefristet geplant. Die Klinik bestritt, dass es sich um Leiharbeiter handele. Die Rotkreuz-Schwesternschaft sei ein eingetragener Verein ohne Gewinnabsicht. Formal seien die Schwestern keine Arbeitnehmer, hieß es zur Begründung.

Der EuGH hatte geurteilt, dass die EU-Leiharbeitsrichtlinie bei einem "Beschäftigungsverhältnis" anzuwenden sei. Es müsse eine "wirtschaftliche Tätigkeit" vorliegen. Das sei bei der Schwesternschaft der Fall, die ihr Pflegepersonal gegen ein Entgelt anderen Kliniken überlässt.

Das Bundesarbeitsgericht entschied daraufhin, dass die Überlassung von Rotkreuz-Schwestern an Kliniken, die nicht zum Roten Kreuz gehören, eine Arbeitnehmerüberlassung darstellt. Dieser Leiharbeit müsse der Betriebsrat zustimmen. Verweigere der Betriebsrat seine Zustimmung, können die Rotkreuz-Schwestern nicht mehr in dem eingesetzten Krankenhaus weiterarbeiten.

Nahles machte Zugeständnisse

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte DRK-Präsident Rudolf Seiters in Erwartung des Urteils bereits eine Gesetzesänderung versprochen. Während reguläre Leiharbeiter maximal 18 Monate an einen Betrieb verliehen werden dürfen, soll eine solche Befristung für Rotkreuz-Schwestern nicht gelten. Diese Lösung bewegt sich laut Nahles in den Grenzen europarechtlicher Vorgaben.

"Wir bedauern, dass das Gericht nach mehr als 60 Jahren gleichlautender Rechtsprechung seine bisherige Rechtsauffassung nicht aufrechterhalten hat", sagte Generaloberin Gabriele Müller-Stutzer, Präsidentin des Verbandes der Schwesternschaften vom DRK. Deshalb sei es umso wichtiger, dass Nahles eine Ausnahmeregelung zugesagt habe: "Damit könnte die Zusammenarbeit zwischen DRK-Schwesternschaft und Gestellungspartner zum Wohl der Patienten und Bewohner fortgesetzt werden."

Ver.di: Sonderstatus ist abwegig

Die Gewerkschaft ver.di bezweifelt indes, ob es zu einer solchen Regelung kommen kann. Sie betonte, mit dem Urteil werde in Zukunft die dauerhafte Ausleihe von DRK-Schwestern an einzelne Einrichtungen auch außerhalb des DRK beendet. "DRK-Schwestern müssen in Zukunft mit den Beschäftigten der Einsatzbetriebe gleichgestellt, oder noch besser, in diese Betriebe übernommen werden. Wir bieten den DRK-Schwesternschaften erneut an, gemeinsam gute tarifliche Regelungen für den Übergang zu finden und die Ansprüche der Betroffenen zu sichern", sagte Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler.

Für vollkommen abwegig hält ver.di die Ankündigung von Nahles, den Sonderstatus der Schwesternschaften auf Grundlage einer Änderung des DRK-Gesetzes zu erhalten. "Eine solche Sonderregelung wäre nicht EU-rechtskonform", so Bühler.

AZ: 1 ABR 62/12

Frank Leth, Dirk Baas


Bundesgerichtshof

Betriebliche Witwenrente nicht nur für jetzige Ehefrau



Die Zahlung einer betrieblichen Witwenrente darf nicht nur für die jetzige Ehefrau vereinbart werden. Nach einer Scheidung und Wiederheirat würde es die zweite Ehefrau unangemessen benachteiligen, wenn sie beim Witwenrentenanspruch leer ausginge, urteilte am 21. Februar das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Dies gelte aber nur für alle ab dem 1. Januar 2002 erteilten Versorgungszusagen, so die Richter, die damit die Klage eines Rentners abwiesen.

Dieser hatte mit seinem früheren Arbeitgeber vereinbart, dass im Fall seines Todes seine "jetzige Ehefrau" eine lebenslange betriebliche Witwenrente erhält. Als das Unternehmen pleite ging, war der Pensions-Sicherungs-Verein für die betriebliche Altersversorgung zuständig.

2004 ließ sich der Kläger von seiner Ehefrau scheiden und heiratete gut 15 Monate später eine 24 Jahre jüngere Frau. Diese sollte nun den betrieblichen Witwenrentenanspruch geltend machen können.

Der Pensions-Sicherungs-Verein lehnte dies ab. Anspruch auf die Witwenrente habe zum Zeitpunkt der betrieblichen Vereinbarung die "jetzige Ehefrau", also die mittlerweile geschiedene Frau des Klägers.

Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass die Einschränkung einer Versorgungszusage auf die "jetzige Ehefrau" grundsätzlich unangemessen und unwirksam sei, weil dafür keine berechtigten Gründe bestünden. Dies gelte jedoch nur für Versorgungszusagen ab 2002.

Hier sei die Vereinbarung 1983 getroffen worden. Damals war es gesetzlich nicht vorgesehen, dass allgemeine Geschäftsbedingungen und damit entsprechende Versorgungszusagen gerichtlich kontrolliert werden können. Daher sei hier eine "ergänzende Vertragsauslegung" erforderlich, so das Gericht. Danach sei die Witwenrente nur zu gewähren, wenn die Ehe bereits während des Arbeitsverhältnisses bestanden hat. Da dies bei der zweiten Ehefrau nicht der Fall war, stünden ihr keine Ansprüche zu.

Az: 3 AZR 297/15



Bundesgerichtshof

Vernichteter Pass kein Grund für lange Abschiebehaft



Ein vor der Einreise nach Deutschland weggeworfener Pass ist kein Grund, einen Flüchtling länger als sechs Monate in Abschiebehaft zu nehmen. Eine Haft von mehr als sechs bis maximal 18 Monate sei nur zulässig, wenn der Ausländer mit seinem Verhalten seine Abschiebung ursächlich "verhindert" hat, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss. Dazu gehöre aber nicht ein vor der Einreise vernichteter Pass.

Im konkreten Fall reiste zum wiederholten Mal ein Marokkaner unerlaubt in Deutschland ein. Um die Abschiebung sicherzustellen, durfte der Mann bis zu sechs Monate in Abschiebehaft genommen werden. Nach Ablauf der Frist wurde die Haft noch einmal um zwei Wochen verlängert.

Das Landgericht Traunstein hielt dies für zulässig. Der Ausländer habe vor seiner Einreise nach Deutschland seinen Pass ins Meer geworfen. Damit habe er seine spätere Abschiebung "verhindert". Das Gesetz sehe bei einer "Verhinderung" der Abschiebung eine Abschiebehaft von über sechs Monaten vor.

Dem widersprach nun der BGH. Allein ein vor der Einreise weggeworfener Pass könne eine solch lange Abschiebehaft nicht rechtfertigen. Eine Haft von mehr als sechs Monaten dürfe nur ausnahmsweise angeordnet werden. Dazu müsse ein "pflichtwidriges Verhalten" ursächlich für die nicht mögliche Abschiebung sein. Trödelnde ausländische Behörden bei der Ausstellung von Ersatzpapieren seien kein Grund.

Eine längere Haft sei insbesondere bei einem Verhalten möglich, mit dem eine anstehende konkrete Abschiebung vereitelt werden soll. Ein vor der Einreise weggeworfener Pass begründe die längere Haft nicht, so der BGH. Mittlerweile wurde der Mann tatsächlich nach Marokko abgeschoben.

Az: V ZB 99/16



Oberlandesgericht

"Behindertentestament" nicht sittenwidrig



Das Oberlandesgericht Hamm hat die Wirksamkeit eines sogenannten Behindertentestaments bestätigt. Es sei nicht sittenwidrig, dass vermögende Eltern eines behinderten Kindes diese spezielle Form der Nachlassregelung wählten, heißt es in dem am 15. Februar in Hamm veröffentlichten Urteil. Ein Erblasser könne im Rahmen seiner sogenannten "Testierfreiheit" ein behindertes Kind bei der Erbfolge benachteiligen oder sicherstellen, dass das Kind weiter staatliche Leistungen beziehen kann. Das Urteil ist rechtskräftig.

Das Oberlandesgericht bestätigte damit eine vorangegangene Entscheidung des Landgerichts Essen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hatte gegen eine Familie aus Sprockhövel geklagt. Einer ihrer Söhne hat das genetisch bedingte Down-Syndrom. Er wohnt in einer Wuppertaler Einrichtung für Menschen mit Behinderungen und wird gesetzlich betreut. Laut Landschaftsverband erhält der heute 40-Jährige staatliche Leistungen, die sich von 2002 bis 2014 auf insgesamt rund 106.000 Euro beliefen.

Die Eltern, die insgesamt drei Kinder haben, hatten im Jahr 2000 ein Testament zugunsten des einen behinderten Sohnes verfasst. Darin war dieser als Vorerbe eingesetzt worden, seine Geschwister beziehungsweise alle dann noch lebenden Angehörigen als sogenannte Nacherben. Zudem wurde von den Eltern für den behinderten Sohn eine lebenslange Testamentsvollstreckung angeordnet.

Nach den testamentarischen Anordnungen hat der Testamentsvollstrecker den Erbteil des behinderten Sohnes so zu verwalten, dass dem behinderten Sohn nicht alles auf einmal ausgezahlt wird, sondern nur so viele Mittel zur Finanzierung persönlicher Interessen und Bedürfnisse zur Verfügung gestellt werden, dass ihm andere Zuwendungen und insbesondere staatliche Leistungen nicht verloren gehen. Nach seinem Tod fällt das Erbe an die Geschwister.

Nach dem Tod der Mutter im Jahr 2010 klagte der Landschaftsverband. Er wollte nicht akzeptieren, dass ihm die Erbschaft des behinderten Kindes durch die speziellen Anordnungen in dem Testament vorenthalten wird. Weiter wollte der LWL festgestellt wissen, dass dem Sohn durch den Tod der Mutter ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von über 930.000 Euro zusteht. Der Sozialhilfeträger argumentierte, mit dem Geld könne der Mann selbst für seine Lebensunterhaltskosten aufkommen.

Dem widersprachen die Richter. Mit der Testamentsvollstreckung hätten die Eltern sicherstellen wollen, dass ihrem behinderten Sohn der Erbteil auf Dauer erhalten bleibe. Aus dem Erbteil sollten auch Therapien finanziert werden können, die vom Träger der Sozialhilfe nicht oder nur zum Teil bezahlt werden. Die mit dieser Maßgabe angeordnete Testamentsvollstreckung sei keine sittenwidrige Zielsetzung. Die Eltern hätten diese besondere rechtliche Konstruktion gewählt, weil seinerzeit nicht absehbar gewesen sei, ob die vom Kläger im Rahmen der stationären Eingliederungshilfe bezahlten Kosten auch künftig ausreichen würden, um die Versorgung ihres Sohnes auch nach ihrem Tod sicherzustellen.

Das Oberlandesgericht Hamm erklärter in zweiter Instanz das Testament als wirksam. Dabei beriefen sich die Richter auf ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes von 1993, das ein Behindertentestament für kleine und mittlere Vermögen für zulässig erklärt hatte.

Az: 10 U 13/16



Oberlandesgericht

Witwe hat kein Recht auf Befruchtung mit Sperma des Verstorbenen



Eine Witwe aus Oberbayern kann sich nicht mit dem tiefgekühlten Samen ihres verstorbenen Ehemannes künstlich befruchten lassen. Auch wenn die Frau auf ihr Recht auf Fortpflanzung pocht, muss die Samenbank die dort gelagerten Spermaproben nicht herausgeben, entschied das Oberlandesgericht München in einem am 22. Februar verkündeten Grundsatzurteil. Bei einer Herausgabe des tiefgefrorenen Samens würde ansonsten das postmortale Persönlichkeitsrecht des verstorbenen Ehemannes verletzt.

Der Mann hatte zu Lebzeiten 13 Spermaproben für eine mögliche künstliche Befruchtung seiner Frau in der Samenbank einlagern lassen. Laut Vertrag mit der Samenbank war er der alleinige Eigentümer seines Spermas

Als der Mann am 31. Juli 2015 an den Folgen einer Herztransplantation starb, verlangte die Witwe die Herausgabe der Spermaproben ihres verstorbenen Mannes. Sie wollte sich damit künstlich befruchten lassen, argumentierte sie und reklamierte ein Recht auf Fortpflanzung für sich. Das Recht, die Gene ihres verstorbenen Mannes weiterzugeben, sei höher zu bewerten als der Aspekt, dass das Kind ohne Vater aufwachse.

Die Samenbank lehnte die Herausgabe der Spermaproben mit Verweis auf das Embryonenschutzgesetz ab. Danach droht eine bis zu dreijährige Haftstrafe oder eine Geldstrafe, wenn wissentlich eine Eizelle mit dem Samen eines Toten künstlich befruchtet wird. Man wolle sich nicht der Beihilfe schuldig machen, argumentierte die Samenbank.

Das Oberlandesgericht hielt die gesetzlichen Bestimmungen für verfassungsgemäß. Die Witwe könne auch als Erbin die Herausgabe des Spermas nicht verlangen. Die künstliche Befruchtung mit Sperma eines Verstorbenen sei wegen des Kindeswohls unter Strafe gestellt worden.

Die Klägerin verkenne zudem, dass mit der Herausgabe des Spermas das postmortale Persönlichkeitsrecht ihres verstorbenen Ehemannes verletzt werde. Dieser habe weder im Vertrag mit der Samenbank noch in seinem Testament seinen Willen kundgetan, dass auch nach dem Tod sein Sperma verwendet werden soll. Allein schon wegen des fehlenden erklärten Willens des Verstorbenen dürfe die Witwe nicht über die 13 Spermaproben verfügen, urteilte das Gericht. Eine Revision zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung des Falles zugelassen.

Az: 3 U 4080/16



Oberverwaltungsgericht

Kein Flüchtlingsstatus für Syrer



Syrische Flüchtlinge haben nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen in Deutschland nicht automatisch Anspruch auf den vollen Flüchtlingsstatus. Das Gericht wies am 21. Februar in Münster die Klage eines 48-jährigen Familienvaters aus Aleppo ab, der erreichen wollte, dass ihm statt des subsidiären Schutzes der volle Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt wird. (AZ: 14 A 2316/16.A)

Die Richter argumentierten, es sei nicht davon auszugehen, dass dem Mann bei einer Rückkehr nach Syrien nur wegen des illegalen Verlassens des Landes, seines Aufenthalts in Deutschland und des gestellten Asylantrags politische Verfolgung drohe.

Damit änderte das Berufungsgericht das vorinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Münster, das von einer politischen Verfolgung in Syrien ausgegangen war und dem Mann den Flüchtlingsstatus zugesprochen hatte (AZ: 8 K 2127/16.A). Zur Begründung verwies das Oberverwaltungsgericht darauf, dass der volle Schutzstatus erfordere, dass einem Asylsuchenden in seinem Heimatland Menschenrechtsverletzungen aufgrund seiner politischen Überzeugung oder Religion drohten. Das sei bei dem Kläger, der 2015 nach Deutschland kam und in Ibbenbüren lebt, nicht feststellbar.

Es gibt nach Ansicht der Richter keine Erkenntnisse darüber, dass der syrische Staat zurückkehrende Asylbewerber per se als politische Gegner ansieht und verfolgt. Das sei angesichts Millionen syrischer Flüchtlinge auszuschließen. Eine Gefahr der Verfolgung besteht für den Mann nach Ansicht des Gerichts auch nicht deshalb, weil er Sunnit ist, aus der umkämpften Stadt Aleppo stammt und durch den Krieg materielle Verluste durch das syrische Regime erlitten hat.

Das Gericht hat keine Revision zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden.

Den subsidiären Schutz erhalten Flüchtlinge, wenn ihnen zwar eine Bedrohung für Leib und Leben im Heimatland etwa wegen eines Bürgerkriegs droht, aber keine individuelle Verfolgung erkennbar ist. Er gewährt eine Aufenthaltserlaubnis von einem Jahr, der volle Flüchtlingsstatus dagegen für drei Jahre. Syrische Flüchtlinge erhalten in Deutschland zunehmend nur noch den subsidiären Schutzstatus, viele klagen dagegen. Nach Angaben des Oberverwaltungsgerichts sind in Münster dazu 38 weitere Verfahren anhängig. Bei den sieben Verwaltungsgerichten in NRW sind demnach mehr als 12.000 Verfahren syrischer Asylbewerber anhängig.



Landessozialgericht

Jobcenter muss keine Börsengeschäfte finanzieren



Ein Hartz-IV-Empfänger kann nach einem Urteil des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen nicht auf ein Startkapital vom Jobcenter hoffen, wenn er sich mit Börsentermingeschäften selbstständig machen will. Der Mann aus dem Landkreis Hameln-Pyrmont wollte vom zuständigen Jobcenter 60.000 Euro haben, um damit ein "Day-Trading mit Index-Futures" als selbstständige Tätigkeit zu starten, wie das Gericht am 15. Februar in Celle mitteilte.

Seiner Ansicht, er könne so wirtschaftlich tragfähig und krisensicher seinen Lebensunterhalt verdienen, schloss sich das Gericht in dem jetzt veröffentlichten Urteil aus dem Dezember jedoch nicht an.

Das von dem Grundsicherungsempfänger beabsichtigte Geschäftsmodell des Termingeschäfts sei mit dem Förderungssystem des Sozialgesetzbuches II grundsätzlich nicht vereinbar, hieß es. Eine rein private Vermögensverwaltung zur Vermögensbildung sei insgesamt nicht förderungsfähig. Sie ebne weder den Weg auf den Arbeitsmarkt noch zu einem selbstständigen Gewerbebetrieb. Das Celler Gericht wies damit eine Berufung des Klägers gegen ein Urteil des Sozialgerichtes Hannover zurück.

Der Kläger hatte nach den Gerichtsangaben die Vorstellung, an monatlich zehn Arbeitstagen und bei einer Erfolgsquote von mindestens 80 Prozent Einnahmen von 6.400 Euro erzielen zu können. Nach Abzug von Abgaben, Steuern und Darlehensraten würde noch immer ein Gewinn von monatlich 2.200 Euro für den Lebensunterhalt bleiben, rechnete er vor. Seine Markteinschätzung beruhe auf der bereits im Mittelalter bekannten "Candlestick Charting Technique". Die Einzelheiten des Day-Trading seien in Büchern von Joe Ross beschrieben. Ein besonders hohes unternehmerisches Risiko sei nicht gegeben.

Az: L 7 AS 1494/15



Finanzgericht

Schenkungen von leiblichen Vätern erleichtert



Geschenke von leiblichen und rechtlichen Vätern an ihre Kinder müssen von den Finanzämtern gleich behandelt werden. Das hat das Hessische Finanzgericht entschieden. Das Finanzamt darf jeweils nur die Schenkungssteuer nach der Steuerklasse I berechnen, die einen Freibetrag von 400.000 Euro vorsieht, entschied das Gericht in einem am 17. Februar bekanntgegebenen Urteil in Kassel.

Im konkreten Fall ging es um eine 1987 geborene Frau, die von ihrem leiblichen Vater eine größere Geldsumme geschenkt bekam. Der rechtliche Vater war der Mann jedoch nicht. Das war ein anderer Mann, mit dem ihre Mutter zum Zeitpunkt der Geburt der Tochter verheiratet war.

Das Finanzamt verlangte von der Tochter Schenkungssteuer, die nach der ungünstigen Steuerklasse III berechnet wurde. Die bessere Steuerklasse I mit einem Freibetrag von 400.000 Euro, sei nur bei Schenkungen von rechtlichen Vätern vorgesehen, hieß es zur Begründung.

Das Finanzgericht urteilte nun, dass Schenkungen von rechtlichen und leiblichen Vätern bei der Steuer gleichbehandelt werden müssen. Für beide gelte der höhere Freibetrag. Folglich muss die Klägerin im konkreten Fall keine Steuer zahlen.

Der Gesetzgeber habe 2013 für den Bereich des Familienrechts anerkannt, dass ein "leiblicher, nicht rechtlicher Vater" auch ein Vater mit eigenen Rechten ist. Übertragen auf die Schenkungssteuer bedeute das, dass Kinder bei Schenkungen von ihrem leiblichen Vater ebenso begünstigt werden müssen wie bei Schenkungen von ihrem rechtlichen Vater.

Gegen das Urteil hat das Finanzamt Revision beim Bundesfinanzhof in München eingelegt.

Az: 1 K 1507/16



Gerichtshof für Menschenrechte

Entzug des Sorgerechts des Vaters nach bloßen Vorwürfen rechtswidrig



Ein Vater, dem aufgrund der Missbrauchsvorwürfe seiner Ex-Frau zeitweilig das Sorgerecht für seine Tochter entzogen wurde, soll 7.000 Euro Entschädigung erhalten. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 9. Februar in Straßburg. Die Justiz habe in dem Fall aus Italien die Gutachten ignoriert, die den Mann entlasteten, urteilten die Richter. Dadurch sei das Menschenrecht auf Achtung des Familienlebens verletzt worden.

Neben der Entschädigung stehen dem Mann 6.000 Euro Aufwandsentschädigung zu. Die Eltern hatten sich 2006 getrennt, als die Tochter zwei Jahre alt war, wie das Gericht erläuterte. Das Kind blieb bei der Mutter, der Vater hatte aber einen Teil des Sorgerechts und durfte die Tochter auch zu sich holen. 2007 klagte die Mutter gegen den Vater, da er das Kind unsittlich berührt habe.

In den darauffolgenden Jahren wurde der Umgang des Vaters und auch von Verwandten väterlicherseits mit dem Kind durch Gerichte mehrmals ausgesetzt. Und das, obwohl zwei Untersuchungen durch Experten keinen der Vorwürfe der Mutter erhärten konnten, wie der Gerichtshof berichtete.

2013 entschied ein italienisches Gericht schließlich, das Sorgerecht des Vaters wieder voll zu gewähren. Der Mann klagte vor dem Europäischen Gerichtshof aber, dass er in der Zwischenzeit lange keine Beziehung zu seiner Tochter habe aufbauen können.

Az.: 76171/13




sozial-Köpfe

Matthias Ewelt wird Vorstand der Nürnberger Stadtmission




Matthias Ewelt
epd-bild/BilderHaus/Stadtmission Nürnberg
Die Stadtmission Nürnberg bekommt im Sommer einen neuen theologischen Vorstand. Dekan Matthias Ewelt folgt im Herbst auf Pfarrer Wolfgang Tereick, der in den Ruhestand tritt.

Matthias Ewelt (51) ist evangelischer Dekan in Neustadt an der Aisch. Man habe mit Ewelt "einen engagierten Theologen, mit hohem Wissen, Erfahrung und lebensbejahender Haltung" gewonnen, sagte Vorstandssprecherin Gudrun Dreßel.

"Ich habe mich in die Diakonie verliebt", begründete Ewelt dem Evangelischen Pressedienst (epd) seinen Wechsel. Er ist seit dem Jahr 2010 Dekan und ist derzeit Vorstand des Diakonischen Werks der Dekanate Neustadt an der Aisch, Bad Windsheim, Markt Einersheim und Uffenheim. In deren Diensten stehen etwa 500 Mitarbeitende.

Ewelt ist gebürtiger Gunzenhausener, verheiratet und hat zwei Kinder. Ab 1. August wird er im Leitungsteam mit Gudrun Dreßel und der kaufmännischen Vorständin Gabriele Rubenbauer arbeiten. Er wird die Bezirksstellenleitung in Nürnberg und Erlangen übernehmen.

Zur Stadtmission Nürnberg gehören rund 50 Einrichtungen. Der Kooperationspartner Diakonie Erlangen hat 20 Häuser und Dienststellen. Den Angaben nach sind bei der Stadtmission Nürnberg und der Diakonie Erlangen insgesamt 1.700 Menschen beschäftigt.



Weitere Personalien



Dieter Puhl (59), Leiter der Bahnhofsmission am Berliner Bahnhof Zoo, hat am 23. Februar das Bundesverdienstkreuz erhalten. Puhl arbeitet seit 25 Jahren in der Obdachlosenhilfe, seit 2009 leitet er die Bahnhofsmission am Zoo. Die zwölf hauptamtlichen und bis zu 150 ehrenamtliche Mitarbeiter der zur Berliner Stadtmission gehörenden diakonischen Einrichtung versorgen unter seiner Leitung täglich bis zu 600 Gäste mit Essen und Kleidung, vorwiegend Obdachlose und arme Menschen. Der gelernte Sozialarbeiter betreibe dabei eine sehr wirksame Öffentlichkeitsarbeit, trommele unaufhörlich für die Menschen an den Rändern der Gesellschaft und schafft es immer wieder, Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ins Boot zu holen, hieß es in der Laudatio.

Manuela Conte (34) wird am 1. April neue DGB-Bundesjugendsekretärin. Die gelernte Reiseverkehrskauffrau wurde am 22. Februar vom DGB-Bundesjugendausschuss gewählt. "Die DGB-Jugend wird sich weiter für gute Ausbildungs-, Arbeits- und Lebensbedingungen einsetzen. Wir stehen zu den Werten einer offenen, toleranten und vielfältigen Gesellschaft", sagte Conte nach der Wahl. Sie engagierte sich bereits zu Beginn ihrer Ausbildung ehrenamtlich in der Gewerkschaftsjugend. Nach einem gesellschaftspolitischen Studium absolvierte sie ein Traineeprogramm bei der IG Metall, danach war sie Jugendsekretärin in NRW und beim IG Metall Vorstand für die strategischen Schwerpunkte der Jugendarbeit verantwortlich.

Esther Bernstorff (40), Drehbuchautorin aus Berlin, erhält den mit 5.000 Euro dotierten Karl-Buchrucker-Preis der Inneren Mission München. Sie wird für ihren Spielfilm "Ein Teil von uns" geehrt. Im Mittelpunkt des sehr realistisch inszenierten Dramas steht eine Tochter, die sich aufopfernd um ihre obdachlose und alkoholkranke kümmert – obwohl die mit ihren Aktionen ihr privat und beruflich zusehends Probleme bereitet. Die Jury bewertete den Film als eine präzise und genau inszenierte Studie, die die Themen Alkoholsucht, psychische Erkrankungen, Hilflosigkeit und Generationenkonflikte verarbeitet. Mit dem Themenpreis wird die 44-jährige Journalistin Annabel Wahba für ihre im Zeitmagazin veröffentlichte Reportage "Unter einem Dach" geehrt. Wahba rekonstruiert die Geschichte mehrerer Flüchtlingsfamilien, die vor 30 Jahren nach Deutschland gekommen waren. Den Nachwuchspreis verlieh die Jury an die Zündfunk-Redaktion des Bayerischen Rundfunks für ihre Sendereihe "Messages of Refugees".

Thomas Eisenreich führt vorübergehend den Deutschen Evangelischen Verband für Altenarbeit und Pflege (DEVAP). Er übernimmt kommissarisch einen Teil der Aufgaben der langjährigen Geschäftsführerin Imme Lanz, die Nachwuchs erwartet und in Elternzeit gegangen ist. Eisenreich ist im Hauptberuf stellvertretender Geschäftsführer und Bereichsleiter Ökonomie im Verband diakonischer Dienstgeber Deutschland (VdDD).

Beate Linz, Vorstand der Diakonie in Düsseldorf, verlässt den Träger aus persönlichen Gründen zum 1. April. Sie war sieben Jahre im Amt und im dreiköpfigen Vorstand für den Bereich Gesundheit, Soziales und Alter zuständig. bedauert. "Mit Beate Linz verlieren wir eine wichtige diakonische Führungskraft", sagte der Kuratoriumsvorsitzende Roland Schulz. "Wir bedauern ihr Ausscheiden sehr und danken ihr für ihr Wirken und ihr Engagement." Die Diakonie Düsseldorf zählt 2.500 Mitarbeitende und 1.600 Ehrenamtliche.

Gisela Rehfeld, Geschäftsführerin der Dienste für Menschen in Stuttgart, ist in den Ruhestand getreten. Die Geriatrieexpertin hat den Träger in 33 Jahren nachhaltig geprägt, hieß es zum Abschied. Durch ihr außerordentliches Engagement habe sich die diakonische Altenhilfeorganisation sehr positiv entwickelt. Ihre besonderen Verdienste lägen im Bereich der Geriatrie und Rehabilitation. Sie arbeitete am ersten Geriatriekonzept des Landes Baden-Württemberg und dessen Fortschreibungen mit. Zum 1. März folgen Rainer Freyer und Bernhard Udri als Geschäftsführer nach. Beide sind bisher Prokuristen bei Dienste für Menschen und führen die Geschäfte zusammen mit Peter Stoll weiter. An insgesamt 21 Standorten in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen werden mehr als 1.600 pflegebedürftige Menschen von rund 1.800 Mitarbeitenden gepflegt und betreut.

Clemens Lindemann, Landrat a. D. und ehemaliger Vizepräsident des Vereins für öffentliche und private Fürsorge, ist mit dem Saarländischen Verdienstorden ausgezeichnet worden. Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU): „Mit der heutigen Auszeichnung wird das langjährige und von nachhaltigem Erfolg gekennzeichnete berufliche und ehrenamtliche Wirken von Clemens Lindemann öffentlich herausgestellt und gewürdigt.“ Lindemann übernahm 1975 die Leitung des Saarbrücker Sozialamtes. Unter seiner Führung entwickelte die Landeshauptstadt ein Beschäftigungsprogramm für Sozialhilfeempfänger, das bis heute Modellcharakter in Deutschland besitzt. 1985 wurde er zum Landrat des Saarpfalz-Kreises gewählt. Auch hier setzte er Schwerpunkte in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

Marius Koh, Kerstin Gördes und Hans-Werner Eisfeld sind in den Landesbehindertenbeirat in Niedersachsen berufen worden. Die niedersächsische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Petra Wontorra, begrüßte die neuen Mitstreiter, die für die Dauer der aktuellen Landtagswahlperiode aktiv sein werden. Koh wurde vom DRK Landesverband Niedersachsen vorgeschlagen. Kerstin Gördes kommt von den Unternehmerverbänden Niedersachsen und Hans-Werner Eisfeld arbeitet beim Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter im Landesverband Niedersachsen mit. Der Beirat zählt 21 Mitglieder.

Ulrich Sattler, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht, ist am 15. Februar gestorben. Er wurde 79 Jahre alt. Der Berliner legte 1961 die erste und im Jahre 1965 die zweite juristische Staatsprüfung ab. 1974 wurde er zum Richter am Landessozialgericht Bremen ernannt, wechselte 1979 ans Bundessozialgericht. Dort gehörte er dem 7. Senat an. 1992 wurde Sattler zum Vorsitzenden Richter ernannt und übernahm den Vorsitz des ebenfalls für das Arbeitsförderungsrecht zuständigen 11. Senats. Im Februar 2002 trat er in den Ruhestand.

Stefan Werner (41) hat als Landesgeschäftsführer die Leitung des ParitätischenThüringen übernommen. Zugleich führt er nun auch die BuntStiftung des Verbandes. Werner ist Nachfolger von Reinhard Müller, der in den Ruhestand gegangen ist. Werner ist seit 2003 beim Paritätischen tätig, zunächst als Referent für Armutsfragen, Gemeinwesenarbeit, Bildung und Öffentlichkeitsarbeit. Seit 2009 auch verantwortlich für Pressearbeit, Kommunikation und Profilbildung des Verbandes.




sozial-Termine



Die wichtigsten Fachveranstaltungen bis April

März

6.-7.3. Neuss:

Fachkonferenz "Barrierefreier Wohnraum - Stand und Ausblick"

der Konrad-Adenauer-Stiftung

Tel.: 02241/2464427

http://www.kas.de/

6.-7.3. Bonn:

Fachtagung "Family-like ... in jder Beziehung. Lebensphasenorientierte Personalentwicklung"

des Bundesverbandes katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen

Tel.: 0761/200-758

www.bvke.de

6.-8.3. Freiburg:

Seminar "Gewinn durch Vielfalt - Diversity Management als zukunftsweisendes Konzept"

der Fortbildungs-Akademie des DCV

Tel.: 0761/2001700

6.-10.3. Berlin:

Grundkurs "Integrierte Schuldnerberatung in Sucht- und Straffälligenhilfe, Sozialbeartung und Betreuung"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837388

www.ba-kd.de

7.3. Hamburg:

Fachtagung "Religions- und Kultursensibilität in der Sozialen Arbeit"

der Versicher im Raum der Kirchen in Kooperation mit der Diakonie Deutschland

Tel.: 0800/2153456

www.vrk.de/akadmien

8.-10.3. Gelnhausen:

Grundlagen-Workshop "Streetwork - Aufsuchen statt Abwarten"

(Fortsetzung: 15.-17.11.)

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-467

www-ba-kd.de

9.3. Berlin:

Fachtagung "Lebensqualität älterer Menschen in Kommunen sichern - ausgewogene Mahlzeiten ermöglichen"

der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen

Tel.: 0228/24999322

www.bagso.de

9.3. Mainz:

Fortbildung "Hilfe, ich brauche ein Konzept - Bewilligung von Fördermitteln"

des Caritasverbandes für die Diözese Mainz

Tel.: 061312826200

www.dicvmainz.caritas.de/anmeldung-fobi1

9.-12.3.: Berlin:

Kongress "Gesellschaftliche Spaltungen"

der Neuen Gesellschaft für Psychologie

http://www.ngfp.de/

13.3. Köln:

Grundlagenseminar "Richtige Lizensierung von Software"

der Solidaris Unternehmensgruppe

Tel.: 02203/8997-221

www.solidaris.de

13.-15.3. Freiburg:

Seminar "Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler - Wirksame Öffentlichkeitsarbeit in der sozialen Arbeit"

der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

14.3. Münster:

Seminar "Haftungsrisiken des GmbH-Geschäftsführers in der Krise"

des BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

http://www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe

15.3. Heidelberg:

Seminar "Fundraising - ganz einfach erfolgreich Spender gewinnen"

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 07961/959-881

www.akademiesued.org

15.-16.3 Stuttgart:

Kompaktkurs "Arbeitsrecht - Vom Arbeitsvertrag zum Arbeitszeugnis"

der Paritätischen Akademie Süde

Tel.: 07961/959881

www.akademiesude.org

15.-16.3. Freiburg:

Seminar "Rechtsfragen bei Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen im Internet"

der Fortbildungsakademie des des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

www.fak-caritas.de

15.-17.3. Hannover:

Grundlagenseminar "Fundraising"

der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

16.3. Köln

Seminar "Interne Revision"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

www.bfs-service.de

16.3. Düsseldorf:

Fachtag "Werkstätten"

der Curacon Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

20.-21.3. Bamberg:

Fortbildung "Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen"

Tel.: 0951/8604404

www.caritas-bamberg.de

21.3. Münster:

Seminar "Von der Strategie zum Businessplan"

der Curacon Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

22.3. Berlin:

Jahrestagung "Innehalten. Suchttherapie! Was geht?"

des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe

Tel.: 0561/779351

www.suchthilfe.de

22.3. München:

Seminar "Die Datenschutz-Grundverordnung: eine Managementaufgabe in sozialen Einrichtungen"

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 07961/959881

www.akademiesued.org

22.3. Berlin

Seminar "Professionelle Fördermittelakquise für Organisationen der Sozialwirtschaft"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

www.bfs-service.de

23.3. Hamburg:

Fachtag "Werkstätten"

der Curacon Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

24.3. Bamberg:

Fortbildung für Kita-Beschäftigte "Das Leben als Geschenk erfahren"

des Caritasverbandes für die Diözese Bamberg

Tel.: 0951/8604402

www.caritas-bamberg.de

27.3. Köln:

Seminar "Strategieentwicklung für Träger von ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten: Erfolgreiche Dienste zukunftsorientiert entwickeln - mit bewährten und neuen Ideen"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-159

www.bfs-service.de

29.-31.3. Freiburg:

Seminar "BWL in der Cariats - Einführung in das Rechnungswesen"

der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

30.3. Frankfurt a.M.

Fachtagung "Integration von Flüchtlingen in die Pflege"

des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-722

http://bit.ly/2iPmHVM

30.-31.3. Filderstadt:

Seminar "Umgang mit Trauma-Folgen: Traumaspezifische Handlungskompetenz in der psychosozialen Arbeit"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

www-ba-kd.de

April

4.-5.4. Frankfurt am Main:

Seminar "Kosten- und Leistungsrechnen - Das Denken in 'Kosten' in der Sozialwirtschaft"

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 07961/959881

www.akademiesued.org

4.-5.4. Fulda:

Tagung "Für alle - Inklusive Beratung"

der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung

Tel.: 0911/9771411

www.bke.de

26.4. Münster:

Fachtag "Werkstätten"

der Beratungsgesellschaft Curacon

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

26.-27.4. Köln:

Seminar "Grundlagen des Arbeits- und Tarifrechts für kirchliche Einrichtungen und Dienste"

des Lambertus Verlages

Tel.: 0761/36825

www.lambertus.de

26.-28.4. Berlin:

Seminar "Hilfe- und Teilhabeplanung nach Smart"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837495

www-ba-kd.de

27.-28.4. Witten/Herdecke:

Tagung "Together everyone achieves more - zusammen mehr erreichen"

der Universität Witten/Herdecke

Tel.: 02302/926-360

http://www.uni-wh.de/

27.-28.4. Magdeburg:

Zukunftskongress der Sozialwirtschaft "Die vernetzte Gesellschaft sozial gestalten"

der BAGFW und Partnern

Tel.: 030/81899487

www.sozkon.de

27.-28.4. Eichstätt:

5. Eichstätter Fachtagung "Ökonomie und Management der Sozialimmobilie"

der Katholischen Universität Eichstätt

Tel.: 08421/9321594

www.ku.de