Kirchen

Kritik am Begriff "Mohr" in der Lutherbibel


Neue Lutherbibel mit Playmobil-Reformator
epd-bild/Heike Lyding
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus hat die Verwendung des Begriffs "Mohr" in der jüngsten Ausgabe der Lutherbibel kritisiert.

Anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus am 21. März hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus die Verwendung des Begriffs "Mohr" in der jüngsten Ausgabe der Lutherbibel kritisiert, die eine Kommission der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) überarbeitet hatte. "Wie kann der Rat der EKD eine Bibelübersetzung autorisieren, die das Wort 'Mohr' beibehält?", bemängelte Henning Flad, Geschäftsführer des ökumenischen Netzwerks, laut Mitteilung. In der Lutherbibel 2017 heißt es im Buch Jeremia: "Kann etwa ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Panther seine Flecken?"

Christian Staffa, Mitglied des Sprecherrates der Arbeitsgemeinschaft und Studienleiter der Evangelischen Akademie zu Berlin, erklärte demnach: "Alle neueren Bibelübersetzungen haben neutrale Begriffe wie 'Kuschit' oder 'Schwarzer' gewählt. Nur die Lutherübersetzung bewahrt ein Wort, das wir heute als rassistisch bewerten." Zur Absage an den Rechtspopulismus gehöre der Verzicht auf diskriminierende Begriffe. Die Bundesarbeitsgemeinschaft haben den Rat der EKD schon Anfang 2017 gebeten, den "Mohr" aus der Lutherübersetzung zu entfernen.

Fünf Jahre Arbeit

Mehr als fünf Jahre hatten rund 70 Theologen den Text der Lutherbibel intensiv geprüft, bevor er anlässlich des 500. Reformationsjubiläums in überarbeiteter Fassung erschien. Außer in den klassischen Druckausgaben wurde die Lutherbibel auch als Hörbuch, E-Book, App und Computersoftware veröffentlicht.



Evangelische Bischöfe: Es gibt nicht "den Islam"


Gerhard Ulrich
epd-bild/Norbert Neetz

Der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Gerhard Ulrich, hat Aussagen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zum Islam als "respektlos" gegenüber Muslimen bezeichnet. Die Diskussion, ob der Islam zu Deutschland gehöre, sei "überflüssig und eher spaltend", sagte Ulrich am 19. März dem Evangelischen Pressedienst (epd) zum Abschluss einer dreitägigen Bischofskonferenz in Nürnberg zum Thema Islam. Die Unterscheidung Seehofers zwischen dem Islam und den Menschen, die diese Religion ausüben, "kann ich nicht teilen", erklärte der Bischof der Nordkirche.

Bei Begegnungen mit Vertretern von islamischen Gemeinden auf der Konferenz hätten die Bischöfe erlebt, dass es nicht "den Islam" gebe, sondern dass eine notwendige Diskussion unter den islamischen Vertretern im Gang sei. "Diese Diversität macht den Dialog mit dem Islam leichter", weil es auch nicht die eine Meinung der Kirche gebe, erklärte Ulrich.

Bedford-Strohm wünscht sich "Humanitätsoffensive"

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hatte in seinem Grußwort an die VELKD-Bischofskonferenz für eine "neue Humanitätsoffensive aller Religionsgemeinschaften" geworben. Religionsgemeinschaften müssten sich öffentlich zu Wort melden, wenn die Würde des Menschen mit Füßen getreten werde, sagte er.

Der Bischofskonferenz der VELKD gehören die Bischöfe und Bischöfinnen der sieben Gliedkirchen sowie sechs weitere ordinierte kirchenleitende Amtsinhaber an. Als Gäste waren in Nürnberg Bischöfe aus Norwegen, Island, Finnland, den Niederlanden und Georgien dabei.



EKD-Ratsvorsitzender ruft zum Einsatz für Frieden in Syrien auf


Kinder im umkämpften Ost-Ghuta bei Damaskus (Februar 2018)
epd-bild/Mohammad Alissa

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat die neue Bundesregierung zum Einsatz für den Frieden in Syrien aufgerufen. Das Kabinett sowie alle politisch Verantwortlichen seien gebeten, "alles Menschenmögliche zu tun, um zunächst die menschliche Sicherheit für die leidende Zivilbevölkerung in Ost-Ghouta zu gewährleisten, darüber hinaus weitere Schritten einzuleiten hin zu einer nachhaltigen politischen Friedenslösung für Syrien und seine Nachbarstaaten", erklärte Bedford-Strohm, wie die EKD am 19. März mitteilte. Im von der syrischen Armee belagerten Ost-Ghouta in der Nähe der Hauptstadt Damaskus war die Lage zuletzt besonders dramatisch.

"Bittere Jahre des Blutvergießens"

"Der Krieg in Syrien geht in diesen Tagen in sein achtes Jahr", sagte der Ratsvorsitzende. "Sieben bittere Jahre des Blutvergießens, von Hass und Gewalt, von gescheiterten Friedensbemühungen und weiterer Eskalation haben mehr als 500.000 Todesopfer gefordert und ein zerstörtes Land hinterlassen." Millionen syrischer Flüchtlinge seien auf der Flucht. Der Friede scheine fern, und neue humanitäre Katastrophen größten Ausmaßes seien in vollem Gange, mahnte Bedford-Strohm. Er rief dazu auf, im Gebet für den Frieden und in der Fürbitte für die Leidenden nicht nachzulassen.

In Syrien kämpfen Truppen des Machthabers Baschar al-Assad, oppositionelle Rebellen und Terrorgruppen gegeneinander. Seit Frühjahr 2011 wurden mehr als 400.000 Menschen getötet, mehr als zwölf Millionen sind auf der Flucht.



Bereits 3.700 Anmeldungen für Gospelkirchentag


Gospelkirchentag in Karlsruhe 2010 (vorn: der damalige Landesbischof Ulrich Fischer)
epd-bild/Gustavo Alabiso

Für den Internationalen Gospelkirchentag im September in Karlsruhe haben sich bereits 3.700 Sänger angemeldet. Das seien zehn Prozent mehr als sonst zu diesem Anmeldezeitpunkt üblich, sagte Koordinator Matthias Kleiböhmer von der Stiftung Creative Kirche bei der Auftaktveranstaltung am 21. März in Karlsruhe. Insgesamt werden mindestens 5.000 Sänger aus 15 Nationen erwartet. Darunter seien Länder wie Österreich, die Schweiz und Frankreich, aber auch Weißrussland und afrikanische Länder.

Der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh wies daraufhin, dass der Gospel eine eigene Migrationsgeschichte hat. Das Genre entstand auf amerikanischen Sklavenplantagen. "Ich hoffe sehr, dass gerade in diesen Zeiten, in denen so viel über Integration und Migration diskutiert wird, das Festival eine integrative Seite haben wird", sagte der Landesbischof. Die Stilrichtung sei eine sehr spezielle, die viel Bewegung und Gemeinschaft beinhalte. "Durch den Gospel kommen wir aus der Kirche heraus in die Stadt und zu den Menschen", sagte Cornelius-Bundschuh.

"Lebensfreude und Glaubenskraft"

Das Motto der Veranstaltung vom 21. bis zum 23. September lautet in diesem Jahr "It's getting better". "Gefühlt scheint der Zeitgeist im Moment nur aus globalen Herausforderungen, Krisen und Problemen zu bestehen", erklärte Koordinator Kleiböhmer das Motto. Dem wolle sich das Festival entgegenstellen, indem die Chöre "gute Nachrichten mit viel Lebensfreude und Glaubenskraft überbringen".

Der Internationale Gospelkirchentag gilt als Europas größtes Gospel-Festival. Seit 2002 findet es alle zwei Jahre statt an wechselnden Orten. Darunter waren unter anderen Essen, Bochum, Düsseldorf, Hannover, Dortmund und Braunschweig. 2010 war das Festival bereits einmal in Karlsruhe. Veranstalter des diesjährigen Festivals ist die Stiftung Creative Kirche in Kooperation mit der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der Evangelischen Kirche in Karlsruhe und der Stadt Karlsruhe.



Medienwissenschaftler: Kirchen brauchen neue Sprache für Netzdebatte

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat die Kirchen dazu aufgefordert, für Wertedebatten im Internet eine "neue, frische Sprache" zu entwickeln. "Das einfache Moralisieren, die Kanzelpredigt, der erhobene Zeigefinger, dieses 'ihr sollt' - all das funktioniert nicht mehr", sagte der Tübinger Wissenschaftler dem evangelischen Monatsmagazin "chrismon" (April-Ausgabe). Bei der Beteiligung an Debatten im Netz sei Aufgabe der Kirchen, für Ethik zu werben, jedoch ohne dabei zu moralisieren.

In dem gemeinsamen Interview mit der Webvideo-Journalistin Franzi von Kempis plädierte Pörksen außerdem dafür, die Transformation von einer "digitalen" hin zu einer "redaktionellen Gesellschaft" zu vollziehen, in der journalistisches Bewusstsein zur Allgemeinbildung gehöre. Glaubwürdige und relevante Informationen zu erkennen, sei heute für jeden bedeutsam, argumentiert Pörksen. In einem eigenen Schulfach an der Schnittstelle von Informatik, Medienwissenschaft, Sozialpsychologie und Ethik ließen sich diese Kompetenzen vermitteln.

Die geringen Hürden bei der Beteiligung an Kommunikation im Internet fördern seiner Meinung nach die Falschinformation. "In das weltumspannende Netz lassen sich barrierefrei jede Menge Fake News und Gerüchte einspeisen", erklärte Pörksen. Menschen seien bestätigungssüchtig und wollten Belege für das, was sie ohnehin glaubten. "Deshalb funktioniert Desinformation so gut", sagte der Tübinger Wissenschaftler.



USA: Protestantische Gemeinden weitgehend rassengetrennt

Die meisten US-Protestanten gehen einer neuen Untersuchung zufolge rassengetrennt zum Gottesdienst. Bei einer Erhebung der evangelikalen Forschungseinrichtung LifeWay Research erklärten 81 Prozent der befragten protestantischen Pastoren, ihre Gemeinden bestünden hauptsächlich aus Angehörigen einer einzigen ethnischen Bevölkerungsgruppe. Besonders ausgeprägt sei das bei den überwiegend weißen Lutheranern (89 Prozent).

LifeWay-Direktor Scott McConnell verwies jedoch auf einen Trend zu mehr Diversität. Im Jahr 2014 hätten 86 Prozent der Pastoren berichtet, bei ihnen dominiere eine ethnische Gruppe. Rasse teile protestantische Kirchen, sagte McConnell, "doch wir bewegen uns in die richtige Richtung". 63 Prozent der Pastoren gaben an, sie predigten mehrmals im Jahr über Versöhnung der Rassen, 93 Prozent nannten Diversität als erstrebenswertes Ziel.

Bei der Untersuchung befragte die in Nashville im Bundesstaat Tennessee ansässige Firma 1.000 Pastorinnen und Pastoren telefonisch.



Auf Wiedersehen, Karl - Tausende bei Trauerfeier für Kardinal Lehmann


Requiem für Kardinal Lehmann im Mainzer Dom
epd-bild/Harald Oppitz/KNA-Poolfoto
Mit einem Trauerzug und einem Gottesdienst haben Tausende Menschen in Mainz von Kardinal Karl Lehmann Abschied genommen. Der frühere Bischof war einer der beliebtesten katholischen Würdenträger in Deutschland.

Die gepflasterte Augustinergasse inmitten der Mainzer Altstadt ist von Menschen gesäumt. Am frühen Nachmittag des 21. März wird es still, die nahe Domglocke läutet. Weihrauch ist zu riechen, der Trauerzug verlässt die Augustinerkirche. Hinter den Fahnenträgern folgen die weiß-schwarz gekleideten Messdiener, Jung und Alt, Frauen und Männer. Auch die Priester sind weiß-schwarz gekleidet, viele haben violette Stolen umgelegt. Die evangelischen Bischöfe und Kirchenpräsidenten tragen den schwarzen Talar, die katholischen Bischöfe das purpurne Gewand, die Kardinäle das rote.

Dem weißen Leichenwagen voraus werden die Insignien von Kardinal Karl Lehmann getragen, seine Bischofsmütze, der Stab und das Heilige Lektionar. Im verglasten Wagen ist ein einfacher Holzsarg mit einem Kruzifix darauf zu sehen. Angehörige und Mitarbeiter in dunklem Zivil beschließen den Zug. Die schweigenden Trauergäste am Straßenrand schließen sich an, nur wenige zücken ein Handy zum Fotografieren. Der am 11. März im Alter von 81 Jahren gestorbene frühere Mainzer Bischof wird unter großer öffentlicher Anteilnahme beigesetzt.

Großleinwand

Martina Bugert ist eigens aus Worms zur Trauerfeier angereist. Lehmann habe sie 1987 als katholische Gemeindereferentin gesegnet, erzählt sie. Bei den Begegnungen sei der Bischof immer sehr menschlich gewesen. Als sie einmal den Bischofskaplan in Mainz besuchen wollte, habe Lehmann selbst die Tür geöffnet und ihren Kinderwagen über die Schwelle hineingetragen. Auch Bugerts Tochter Anne-Kathrin will bei der Beisetzung dabei sein. Der Bischof habe sich immer bemüht, alle katholischen Theologiestudierenden in Mainz zu kennen, berichtet die Studentin.

Als der Trauerzug den Dom erreicht, bevölkern viele Menschen den Marktplatz und den benachbarten Liebfrauenplatz. Rund 8.000 Menschen hätten sich zur Beisetzung von Kardinal Lehmann eingefunden, schätzt die Polizei. Von einem Polizeikorso begleitet fahren Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) als Vertreterin der Bundesregierung sowie die Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg an, Malu Dreyer (SPD), Volker Bouffier (CDU) und Winfried Kretschmann (Grüne). Am Liebfrauenplatz sammeln sich schätzungsweise 1.500 Menschen vor einer Großleinwand, auf der der Gottesdienst aus dem Dom übertragen wird.

Brückenbauer

Für Karl-Heinz Siegel war es klar, aus dem benachbarten Nackenheim anzureisen. Als früherer Mainzer Nachbar auf der anderen Straßenseite habe Lehmann ihn immer gegrüßt: "Er hatte immer ein freundliches Grüß-Gott auf den Lippen." Reinhard Tiemann aus dem ostwestfälischen Bad Driburg ist evangelisch und aus anderem Anlass in Mainz, aber auch ihm "ist es wichtig, hier zu sein". Mit Lehmann verbindet er als erstes dessen "Demütigung durch Rom" mit dem päpstlichen Nein zur Schwangerenkonfliktberatung und der erst späten Berufung zum Kardinal.

Im Innern des Doms wird Lehmanns Sarg an den Stufen zum Altar ein letztes Mal aufgebahrt. Bischöfe und Kardinäle bilden zum Abschied einen Halbkreis, langjährige Weggefährten ebenso wie einstige Widersacher. Lehmann habe sein Leben lang Brücken bauen wollen, auch zwischen den einzelnen Gruppen innerhalb der Kirche, sagt sein Nachfolger Peter Kohlgraf in seiner Predigt. Dabei sei er der Kirche immer loyal verbunden geblieben: "Er hat sich dem päpstlichen Lehramt gefügt und persönliche Niederlagen eingesteckt, ohne zu verbittern."

Für die eigene Beisetzung hatte Lehmann zu Lebzeiten keine Vorgaben gemacht. In einem bereits vor Jahren aufgesetzten "geistlichen Testament" notierte er lediglich, in der katholischen Kirche gebe es "viele gute Bräuche". Und irgendwie wird das Requiem trotz Fernsehkameras und all den Kardinälen, Bischöfen und Politikern zu einem persönlichen Abschied. Ein mit Lehmann befreundetes Ehepaar spielt Cello, einstige enge Mitarbeiterinnen wirken am Gottesdienst mit und auch Bischof Kohlgraf wird in seiner Predigt persönlich. Er glaube an eine Begegnung mit dem Verstorbenen im Jenseits: "Ja, Karl, das möchte ich auch dir sagen: Auf Wiedersehen."

Von Jens Bayer-Gimm und Karsten Packeiser (epd)


Vorsynode fordert stärkere Beteiligung von Jugendlichen

Die Teilnehmer der Vorsynode zum Thema Jugend und Kirche haben im Vatikan mehr Kompetenzen für junge Menschen in der katholischen Kirche gefordert. "Die Kirche muss junge Menschen in ihre Entscheidungsprozesse einbeziehen", heißt es in dem am 24. März verabschiedeten Abschlussdokument der 300 Teilnehmer aus aller Welt. Die Kirche müsse sich überdies verstärkt an die Orte bewegen, an denen sich die Jugendlichen aufhalten.

Der Bundesvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), Thomas Andonie, bezeichnete den Austausch mit jungen Gläubigen aus aller Welt, Angehörigen anderer Religionen und Atheisten bei der einwöchigen Vorsynode als bereichernd. Er zeigte sich jedoch verwundert darüber, dass das den Delegierten zur Zustimmung vorgelegte Abschlussdokument im Vergleich zu den gemeinsam erarbeiteten Entwürfen stark verändert worden sei.

Es sei "ärgerlich", dass die jungen Vorsynodenteilnehmer am Ende nur zur Zustimmung aufgefordert worden seien, betonte Andonie. Die deutschen Delegierten hätten dagegen bereits zu Beginn der Versammlung transparente Verfahren und keine "Scheindemokratie" eingefordert.

Vorbereitung auf Bischofssynode im Oktober

Der Feststellung, die Kirche müsse ihre Haltung zur Rolle der Frau in ihren eigenen Reihen lediglich besser erklären, könnten die deutschen Teilnehmer nicht zustimmen, sagte Andonie. Dieser Absatz sei überraschend ohne Möglichkeit einer Reaktion der Vorsynodenteilnehmer in den Text aufgenommen worden. "Wir brauchen den Wunsch, etwas zu verändern, nicht alte Platitüden", sagte er. Auch beim Thema Jugend und Technologie sei zum Abschluss ein "negativer Zungenschlag" hinzugefügt worden, der nicht Konsens gewesen sei. Junge Menschen seien sehr wohl in der Lage, moderne Technologien zu nutzen.

Die einwöchige Vorsynode diente der Vorbereitung auf die vom Papst für Oktober im Vatikan einberufene Bischofssynode über Jugend und Kirche. Die ebenfalls von der Deutschen Bischofskonferenz zur Vorsynode entsandte Magdalena Hartmann von der katholischen Schönstattbewegung äußerte sich überzeugt, dass "Offenheit und der Wille da ist, etwas zu bewegen".

Gemeinsam mit den 300 in Rom anwesenden jungen Menschen im Alter zwischen 16 und 29 Jahren trugen 1.400 über die sozialen Netzwerke mit der Vorsynode verbundene Teilnehmer zu den Diskussionen bei, die in das Abschlussdokument einflossen.



Chef der vatikanischen Medienbehörde zurückgetreten


Papst Franziskus (r.) und Benedikt XVI. (Archivbild vom Juni 2016)
epd-bild/Osservatore Romano

Der Präfekt des vatikanischen Mediensekretariats, Dario Viganò, ist nach Manipulationsvorwürfen zurückgetreten. Papst Franziskus nahm das Rücktrittsgesuch am 21. März Vatikanangaben zufolge an. Bis zur Ernennung eines Nachfolgers wird die für die umfassende Medienreform des Vatikans zuständige Behörde von ihrem Sekretär, Lucio Adrián Ruiz, geleitet. Hintergrund sind Beschuldigungen, Viganò habe mit einem von ihm zunächst gekürzt veröffentlichten Brief des emeritierten Papstes Benedikt XVI. über seinen Nachfolger und mit einem Foto des Briefs dessen Inhalt manipuliert.

Bei dem Brief handelt es sich um die Antwort Benedikts auf Viganòs Bitte, ein kurzes Vorwort zu einer mehrbändigen Reihe über die Theologie von Papst Franziskus beizusteuern. Darin weist der emeritierte Papst die Kritik zurück, sein Nachfolger sei theologisch ungebildet, während er selbst als Theologenpapst von praktischen Dingen keine Kenntnis gehabt habe. Bei der Vorstellung der Buchreihe verlas Viganò überdies einen Passus aus dem Brief, in dem Benedikt die Bitte um einen Kurzbeitrag für die Buchreihe ablehnt mit dem Argument, er habe bereits andere Verpflichtungen und er schreibe nicht über Bücher, die er nicht gelesen habe.

Kritik an Theologen Hünermann

In einem erst nach Spekulationen um die angebliche Manipulation des Briefs veröffentlichten Absatz seines Briefs äußert Benedikt scharfe Kritik daran, dass unter den Autoren der Buchreihe auch der deutsche Theologe Peter Hünermann sei. Dieser habe sich unter seinem Pontifikat als Anführer antipäpstlicher Kampagnen hervorgetan. Hünermann sei überdies entscheidend am Entstehen der "Kölner Erklärung" von 1989 beteiligt gewesen, die "das Lehramt des Papstes vor allem in Fragen der Moraltheologie virulent angriff".

Hünermann hatte die Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der erzkonservativen Priesterbruderschaft St. Pius X. durch Benedikt von 2009 als Amtsmissbrauch des Papstes bezeichnet. Die erzkonservative Bruderschaft lehnt Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) wie die Anerkennung der Religionsfreiheit und den Dialog mit anderen Konfessionen und Religionen ab. Überdies hatte sich im Zuge der Aufhebung der Exkommunikation herausgestellt, dass einer der betroffenen Bischöfe, der Brite Richard Williamson, Holocaust-Leugner ist.



Christen inmitten von Christen


Evangelische Kirche in Katerini an der Ostküste Griechenland
epd-bild/Gemeinde Katerini
Nirgendwo sonst in Griechenland leben so viele Protestanten beisammen wie in Katerini. Der Kontakt mit der orthodoxen Kirche ist bis heute nicht immer einfach für sie - doch die Feierlichkeiten vor Ostern bieten Anlass zur Begegnung.

Wer sich mit Paris Papageorgiou unterhält, braucht Geduld. "Es ist leichter für uns geworden", sagt er, aber dann muss er schon wieder ein paar Hände schütteln, ehe er weitersprechen kann. Papageorgiou steht im Eingangsportal der evangelischen Kirche in Katerini an der Ostküste Griechenlands. Es ist Sonntag, kurz nach zwölf, der Gottesdienst gerade vorüber. Die Gemeindemitglieder drängen aus dem schlichten Inneren der Kirche ins Sonnenlicht, vorbei an Papageorgiou. Weil der Pfarrer an diesem Tag verreist ist, verabschiedet er als Mitglied des Ältestenrats die Kirchgänger.

"Gesellschaft ist toleranter geworden"

"Die Gesellschaft ist toleranter geworden, für uns macht das vieles leichter", sagt Papageorgiou und nickt weiter den hinauseilenden Gottesdienstbesuchern zu. Die Protestanten in Katerini leben als Christen inmitten von Christen - eine winzige Minderheit. Nach offiziellen Zahlen gehören 98 Prozent der elf Millionen Griechen der orthodoxen Konfession an, die Zahl der Protestanten wird auf 30.000 geschätzt. Die evangelische Gemeinde in Katerini ist eine von wenigen im Land - und eine der größten.

"Es gibt zwar evangelische Kirchen in Griechenland, die mehr Mitglieder haben, aber hier wohnen die meisten Protestanten in einem Stadtgebiet beisammen", erklärt Papegeorgiou auf Deutsch, er hat einige Semester Archäologie in Heidelberg studiert. Im Stadtteil Evangelika lebten rund 900 Gemeindemitglieder.

Verlassen liegen die Straßen mit ihren kastenförmigen Wohnblocks am Sonntagmittag da. Nur der Platz vor der Kirche - ein gepflegtes, beiges Gebäude mit Turm - ist nach dem Gottesdienst voller Menschen. Erwachsene stehen beisammen, Jugendliche sitzen etwas abseits. Ab und zu kreuzt ein Vogel den Himmel.

Die Kirche bauten die evangelischen Christen, kaum waren sie in Katerini ansässig geworden. Ein knappes Jahrhundert liegt das zurück. Nach dem griechisch-türkischen Krieg vereinbarten beide Staaten Anfang der 1920er Jahren einen "Bevölkerungsaustausch". Rund 500.000 Menschen wurden aus Griechenland in die Türkei vertrieben und umgekehrt 1,2 Millionen Griechen, die in der Türkei lebten, nach Griechenland abgeschoben. Darunter waren auch Protestanten, ein guter Teil von ihnen ließ sich in Katerini nieder.

Es sei heute nichts dabei, evangelisch zu sein, sagt ein etwa 15 Jahre altes Mädchen in Shorts, das vor der Kirche in einer Runde von Gleichaltrigen sitzt. Die anderen nicken, dann wenden sie sich wieder ihren Handys zu.

Bis dahin aber war es ein weiter Weg. "Als Minderheit, die noch dazu aus dem Ausland kam, standen Protestanten lange unter dem Verdacht, von ausländischen Mächten gesteuert zu sein", erzählt Papageorgiou - vor allem nach dem Bürgerkrieg in den späten 1940er Jahren. Mit der Stadt habe es immer wieder Streit um das Grundstück neben der Kirche gegeben, und in den 1960er Jahren sei Katerini sogar eine Zeit lang ohne Pastor gewesen.

Nachdem der Pfarrer - ein Zypriot mit britischem Pass - einmal ausgereist war, habe man ihn aus Misstrauen nicht wieder ins Land gelassen. Mit dem Kollaps der griechischen Militärjunta 1974 sei es jedoch immer besser geworden. "Nicht jeder akzeptiert uns, aber mit der Demokratie kehrte auch die Toleranz zurück", erklärt Papageorgiou. Seine Nichte zum Beispiel sei mit einem Orthodoxen verheiratet, und ein jeder von ihnen habe seine Konfession beibehalten.

Doch nicht immer scheinen die Konfessionen ganz ohne Polemik auszukommen. Zwei Autostunden entfernt liegen die "schwebenden" Klöster von Meteora, Touristenmagnete, die auch aus dem James-Bond-Film "In tödlicher Mission" bekannt sind. Dort wird im Kloster Agia Triada das Buch "Was ist Orthodoxie?" in mehreren Sprachen verkauft.

Darin werden vor allem die Unterschiede zwischen den Konfessionen betont. Die Protestanten seien mit Frauen im Pfarramt und der Segnung homosexueller Beziehungen nicht nur zu "extremen Entscheidungen" gelangt, heißt es in der deutschen Ausgabe, sondern bewiesen damit auch, sich zu einer "rein humanistischen Organisation" zu bekennen. Mit Gott hätten sie nichts zu tun. Die orthodoxe "Kirche von Griechenland" hat sich auf eine Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) zu den Beziehungen mit den Protestanten nicht geäußert.

Zusammenarbeit zwischen den Kirchen ist schwierig

Andreas Müller, Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Kiel, weiß um die schwierige Rolle der Protestanten im Umfeld einer orthodoxen Mehrheit. "Religion und kulturelle Identität sind in Griechenland derart verbunden, dass viele nicht verstehen, dass es auch nicht-orthodoxe Griechen gibt", sagt der Griechenland-Experte. Das erschwere auch die Zusammenarbeit zwischen den Kirchen.

Der Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Katerini, Ioannis Yphandides, bleibt dennoch optimistisch. Dass es irgendwann gemeinsame Gottesdienste gebe, werde er zwar nicht mehr erleben, meint der 64-Jährige am Telefon. Dennoch gehe es voran. Offiziell gebe es zumindest ein ökumenisches Projekt: die griechische Bibelgesellschaft. Dort tauschen sich Orthodoxe, Protestanten und Katholiken seit 1992 aus und verteilen gemeinsam die Bibel.

Und im vergangenen Jahr war mit Metropolit Georgios aus Katerini bei einem Konzert kurz vor Ostern zum ersten Mal überhaupt ein Vorsteher der Orthodoxen in der protestantischen Kirche zu Gast. Ob er in diesem Jahr wieder kommt, steht noch nicht fest. "Eingeladen ist er", sagt Yphandides.

Von Julia Lauer (epd)



Gesellschaft

Austesten, provozieren, Grenzen verschieben


AfD-Abgeordnete im Bundestag
epd-bild / Christian Ditsch
Seit einem halben Jahr sitzt die AfD mit 92 Abgeordneten im Bundestag. Ihre Abgeordneten provozieren - das war erwartet worden. Beobachter bilanzieren, dass der Ton dadurch allgemein streitlustiger, aber auch rauer geworden ist.

Der Schock nach der Bundestagswahl am 24. September saß tief: Mit der AfD zog eine rechtspopulistische Partei in das Parlament ein. Konservative, Liberale und Linke befürchteten, dass die AfD-Abgeordneten den Plenarsaal als Bühne nutzen und zugespitzte Reden halten würden. Sechs Monate nach dem Einzug der AfD in den Bundestag lässt sich vor allem eines feststellen: Die Abgeordneten streiten wieder - und zwar in einem neuen Tonfall.

Eine der wohl bekanntesten Reden der laufenden Legislaturperiode hielt der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Er warf der AfD in einer Antwort auf einen Antrag, mit dem Texte des Journalisten Deniz Yücel missbilligt werden sollten, Rassismus und Verachtung des demokratischen Systems der Bundesrepublik vor. Dabei war Özdemir sichtlich aufgebracht: Während sein Zeigefinger mehrmals mahnend in Richtung der AfD-Fraktion schnellte, war sein Gesicht hochrot und seine Stimme bebte.

Video ging viral

Kurze Videoclips aus Özdemirs Rede verbreiteten sich rasant in den sozialen Netzwerken. Menschen diskutierten, ob die Rede zu leidenschaftlich, provozierend oder aggressiv war. Spätestens jetzt wurde klar: Im Parlament hat sich etwas verändert. Die vergangene, dritte Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei "eine der blutärmsten Wahlperioden in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus" gewesen, sagte der Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Mit der AfD im Plenarsaal sei der Ton emotionaler, aber auch rauer geworden, sagte Schroeder. Da nun eine rechtspopulistische Partei im Bundestag sitze, prallten konträre Positionen aufeinander. Zusätzlich versuche die AfD die etablierten Parteien mit Tabubrüchen zu provozieren und einen "Keil in die große Koalition zu treiben".

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, wirft der AfD vor, ständig auszutesten, "wie weit man gehen kann". Dabei gehe es darum, "die Grenze des Sagbaren zu verschieben". Ob eine Aussage im Parlament die Norm überschreitet, entscheidet Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) oder einer seiner Stellvertreter in der Sitzungsleitung. Es liegt im Ermessen der Präsidiumsmitglieder, wem ein Ordnungsruf, eine Rüge, eine Ermahnung oder ein Bußgeld erteilt wird.

Drei Ordnungsmaßnahmen

Als der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio in der Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft vor dem "zur Regel entarteten Doppelpass" sprach, griff Schäuble nicht ein. Auch tolerierte er Curios Aussage, die ehemalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), sei ein "Musterbeispiel misslungener Integration". Dafür erntete Schäuble später heftige Kritik - auch von der Grünen-Politikerin Haßelmann.

Das Präsidium hat in der laufenden Wahlperiode vier Ordnungsmaßnahmen erteilt. Drei davon gingen an AfD-Abgeordnete. Thomas Seitz (AfD) erhielt eine Ermahnung für die Aussage, dass es richtig sei, dass das Holocaust-Mahnmal ein "Mahnmal der Schande" sei. Beatrix von Storch äußerte sich in der Einschätzung von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) "unparlamentarisch", als sie dem Grünen-Politiker Konstantin von Notz während seiner Rede zurief, er habe eine "Macke". Petr Bystron (AfD) musste als erster Abgeordneter ein Bußgeld von 1.000 Euro zahlen, weil er während der geheimen Kanzlerwahl ein Foto seines ausgefüllten Stimmzettels auf Twitter postete.

Im Vergleich zu den sieben Ordnungsmaßnahmen, die zwischen 2013 und 2017 erteilt wurden, scheinen vier Mahnungen in den ersten sechs Monaten der aktuellen Wahlperiode viel. Doch es ging schon in früheren Legislaturperioden ruppig im Bundestag zu: In den vier Jahren ab 1983, in denen die Grünen erstmals im Bundestag vertreten waren, erteilte das Präsidium 226 Ordnungsrufe, Rügen und Ermahnungen.

Schäuble mit Schlüsselfunktion

Trotzdem steht das Parlament derzeit vor einer neuen Herausforderung, sagte Robert Lüdecke von der Amadeu Antonio Stiftung. Er erkennt in Reden und Anträgen der AfD-Politiker häufig eine rassistische, homophobe und antidemokratische Denkweise. Lüdecke wies auf die Schlüsselfunktion von Schäuble hin, der derzeit einen "Seiltanz" bewältigen müsse: Der Bundestagspräsident müsse der AfD einerseits mit Mahnungen und Rügen zeigen, dass das Parlament wehrhaft ist. Andererseits müsse er bedenken, dass die AfD-Abgeordneten mit ihren Provokationen auch bezweckten, das Parlament vorzuführen, sagte Lüdecke.

Von Patricia Averesch (epd)


"Deutschland, das sind wir alle" - Merkel will Islamkonferenz selbst begleiten

Zusammenhalt statt Spaltung mahnte die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung an. Den Prozess zu einem besseren Zusammenleben der Religionen wolle sie selbst begleiten. Am Ende der Legislaturperiode soll Deutschland menschlicher sein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verspricht, in den kommenden Jahren den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland mit politischen Maßnahmen zu stärken. "Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die geprägt ist von Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Zusammenhalt", sagte sie am 21. März im Bundestag bei der ersten Regierungserklärung nach ihrer Wiederwahl. Dabei formulierte sie erneut einen Appell für mehr Zutrauen an die Bevölkerung. "Ich bin überzeugt: Deutschland kann es schaffen", sagte sie und zitierte damit aus ihrer ersten Regierungserklärung aus dem Jahr 2005. Heute füge sie hinzu: "Deutschland, das sind wir alle", sagte Merkel.

Die Kanzlerin sagte, die Flüchtlingspolitik habe das Land bis heute gespalten und polarisiert. Herausforderungen gebe es insbesondere beim "Zusammenleben der Religionen", sagte sie in ihrer einstündigen Ansprache. Bund und Länder müssten gemeinsam zukunftsfähige Strukturen auch für den Islam finden. Sie habe Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) darum gebeten, mit den Innenministern der Länder darüber zu sprechen. Sie werde gemeinsam mit den Ministerpräsidenten diesen Prozess begleiten, in dem die Deutsche Islamkonferenz eine zentrale Rolle spiele, kündigte die Regierungschefin an.

Seehofer widersprochen

Seit 2006 ist die Islamkonferenz unter Federführung des Bundesinnenministeriums das Gesprächsforum für Vertreter des Staates und der Islam-Verbände. Seehofer hatte in einem Interview angekündigt, sie fortzuführen. Der neue Innenminister polarisierte dabei allerdings mit der Aussage, dass der Islam in seinen Augen nicht zu Deutschland gehört. Merkel widersprach in ihrer Erklärung dem CSU-Chef. Die Prägung des Landes sei christlich und jüdisch. "So richtig das ist, so richtig ist es auch, dass mit den 4,5 Millionen bei uns lebenden Muslimen ihre Religion, der Islam, inzwischen ein Teil Deutschlands geworden ist."

Merkel sieht ferner Handlungsbedarf vor allem bei den ganz Jungen und den ganz Alten. "Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich am Anfang und am Ende des Lebens", sagte sie. "Kinderarmut in einem reichen Land wie Deutschland ist eine Schande und wir müssen sie mit aller Kraft bekämpfen." In der Pflege trage die Familie die größte Bürde. Die Pflegenden seien die "stillen Helden" in der Gesellschaft. Mit Verweis auf den Terrorangriff auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 mit zwölf Toten kündigte die Kanzlerin darüber hinaus an, dass es künftig einen Haupt-Opferbeauftragten in der Bundesregierung geben solle.

Kritik an der Türkei

In der Außenpolitik äußerte sie erstmals scharfe Kritik am Vorgehen der türkischen Armee in der nordsyrischen Kurdenregion Afrin. Was dort passiere, sei "inakzeptabel" und die Bundesregierung verurteile dies aufs Schärfste. Nach Angaben der Vereinten Nationen spitzt sich die humanitäre Lage wegen der Kämpfe und der Massenflucht von Zivilisten dramatisch zu.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) ergänzte, wenn ein Nato-Mitglied Menschenrechte verletzte, dürfe dies nicht unwidersprochen bleiben, sondern müsse innerhalb des Bündnisses besprochen werden. Was in Afrin geschehe, habe mit dem Schutz verfolgter Christen oder Jesiden wenig zu tun. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles sprach von völkerrechtswidrigem Verhalten und sagte, es gebe berechtigte Zweifel, dass eine direkte Bedrohung des türkischen Staatsgebiets durch die Kurden in Nordsyrien vorliege.

Merkel begrüßte indes die Freilassung von deutschen Staatsbürgern aus türkischer Haft - zuletzt kam Journalist Deniz Yücel frei. Sie kündigte zugleich an, Deutschland werde sich weiter für jene einsetzen, die nach wie vor im Gefängnis seien.

Oppositionsparteien kritisierten die neue Regierung. Die AfD monierte mangelnde Visionen. AfD-Chef Alexander Gauland erklärte, ein bisschen mehr Tiefgang und Visionen habe er sich schon gewünscht. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner forderte ein Ende des Streits über die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört. Die Religionen dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte Seehofer scharf, der mit seinen Islam-Äußerungen in der ersten Woche schon den "harten Hund" spiele. Für die Grünen kündigte Fraktionschef Anton Hofreiter eine "harte Auseinandersetzung" mit der Regierung an.



Laschet: Islam in Deutschland als Religionsgemeinschaft anerkennen

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) spricht sich für eine staatliche Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft aus. "Es braucht Regeln für den Islam in einer zunehmend säkularen Gesellschaft", sagte Laschet den Zeitungen des "RedaktionsNetzwerks Deutschland" (Ausgaben vom 24. März). "Dazu gehört eine Klärung des Verhältnisses zum Staat, so wie wir es mit den christlichen Kirchen seit langem haben." Daran zu arbeiten sei die Idee gewesen, die Wolfgang Schäuble 2006 als damaliger Bundesinnenminister mit der Deutschen Islamkonferenz gehabt habe.

Laschet wies die Äußerungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zurück, wonach der Islam nicht zu Deutschland gehöre. "Theoretische Debatten helfen nicht weiter. Wir müssen uns um das Lösen von Problemen kümmern", sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende. "Die Anerkennung als Religionsgemeinschaft ist ein ambitioniertes Ziel, das ich für richtig und wichtig halte, das aber rechtlich kompliziert ist." Staatskirchliche Fragen seien vor allem in den Bundesländern zu lösen. Laschet lobte die Ankündigung Seehofers, die Islamkonferenz weiterführen zu wollen.



"Wir sind Kandel" - Protest gegen AfD-Aufmarsch


Protest gegen AfD-Demonstration in Kandel
epd-bild/Paul van Schie
Knapp drei Monate nach dem gewaltsamen Tod einer 15-Jährigen haben im pfälzischen Kandel etwa 1.200 Menschen gegen einen von der AfD angemeldeten Aufmarsch protestiert.

Knapp drei Monate nach dem gewaltsamen Tod einer 15-Jährigen haben im pfälzischen Kandel etwa 1.200 Menschen gegen einen von der AfD angemeldeten Aufmarsch protestiert. Zu den Teilnehmern der Protestkundgebung am 24. März gehörten die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad und der Generalvikar des Bistums Speyer, Franz Jung. Rund 1.000 Menschen hätten sich an der AfD-Kundgebung beteiligt, sagte eine Polizeisprecherin.

Die Polizei war nach eigenen Angaben mit mehr als 1.000 Beamten im Einsatz. Mehrmals sei es zu Auseinandersetzungen mit Personen aus dem linken Spektrum gekommen, sagte eine Polizeisprecherin. Nach Flaschen- und Böllerwürfen habe die Polizei Schlagstöcke eingesetzt. Es sei zu Festnahmen und mehreren Platzverweisen gekommen. Neben der AfD und der Initiative "Wir sind Kandel" hatte auch die "Kurfürstlich Kurpfälzische Antifa" eine Kundgebung angemeldet.

Initiative "Wir sind Kandel"

Nach dem gewaltsamen Tod eines 15-jährigen Mädchens Ende Dezember haben Rechtsextreme aus ganz Deutschland die 8.500 Einwohner zählende südpfälzische Stadt immer wieder zu ihrem Aufmarschgebiet gemacht. Als Täter gilt der Ex-Freund des Mädchens, ein afghanischer Flüchtling, der behauptet, minderjährig zu sein. Als Reaktion auf die Aufmärsche hat sich inzwischen die Initiative "Wir sind Kandel" gegründet. Sie wird von zahlreichen Vertretern aus Politik, Kirche, Gesellschaft und Wirtschaft unterstützt.

Die Landesregierung stehe an der Seite der Bürger, die für ein weltoffenes, liberales und gewaltfreies Miteinander eintreten, sagte Dreyer bei der Protestkundgebung. "In unserem Land leben Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religionen oder Weltanschauungen friedlich und tolerant zusammen. So soll es auch in Zukunft bleiben." Fremdenhass und rechtsextremes Gedankengut hätten keinen Platz in Deutschland. "Gegenüber Gewalt und Hass gibt es eine Null-Toleranz-Strategie gegenüber allen Menschen, egal woher sie kommen", sagte die Ministerpräsidentin.

Erklärung von Landeskirche und Bistum

Die Kirchen erklärten sich mit ihrer Teilnahme an der Gegendemonstration solidarisch mit den Einwohnern Kandels angesichts der Bedrohung der Stadt durch demokratiefeindliche Kräfte, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Landeskirche und Bistum. Wenn das Leid von Menschen instrumentalisiert werde, um politischen Profit daraus zu schlagen, werde eine Grenze überschritten. Dann gehe es nicht mehr um gute Lösungen für die Menschen, sondern um die Spaltung der Gesellschaft und die Profilierung auf Kosten anderer.

Mit "Wir sind Kandel" entstehe derzeit ein breites gesellschaftliches Bündnis, sagte das Kandeler Pfarrerehepaar Dembek, das zum Organisationsteam der Initiative gehört. Nach der Tötung des Mädchens sei auf ihn und seine Ehefrau bis Mitte Januar ein "Shitstorm" aus beleidigenden und fremdenfeindlichen Hass-Mails und anonymen Telefonanrufen eingeprasselt, sagte Pfarrer Arne Dembek dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er hatte das getötete Mädchen vor zwei Jahren konfirmiert und auch den Trauergottesdienst gestaltet.

Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) hatte vor der Kundgebung die AfD vor einem Schulterschluss mit Rechtsextremen gewarnt. Lewentz wies die Kritik zurück, große Gegenkundgebungen verschafften rechten Aufmärschen übermäßige Aufmerksamkeit: "Wegschauen wäre ein großer Fehler. Man kann nicht so tun, als gäbe es diese Herausforderung nicht", sagte er dem Südwestrundfunk.



CDU-Politiker Markus Grübel wird Beauftragter für Religionsfreiheit

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD angekündigt, einen eigenen Beauftragten für Religionsfreiheit zu bestellen. Nun ist der Amtsinhaber gefunden: Markus Grübel. Der bisherige Verteidigungsstaatssekretär ist Notar, Reserveoffizier und Katholik.

Der CDU-Politiker Markus Grübel wird Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit. Wie der Evangelische Pressedienst (epd) am 22. März aus Kreisen der Unionsfraktion erfuhr, soll der 58-Jährige das in dieser Wahlperiode neu geschaffene Amt antreten. Die Stelle soll dem Recht auf freie Ausübung des Glaubens Aufmerksamkeit verschaffen. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) hatte angekündigt, dass die Stelle des Beauftragten im CSU-geführten Entwicklungsministerium angesiedelt werden soll. Grübel war zuletzt Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium.

Der Politiker stammt aus Esslingen am Neckar und ist ausgebildeter Notar. Nach der Wiedervereinigung ging Grübel nach Sachsen, leitete das Grundbuchamt in Dresden und war später Referent im sächsischen Justizministerium. Der Katholik war nach eigenen Angaben unter anderem Vorsitzender der unabhängigen Kommission sexueller Missbrauch der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Missbrauchsbeauftragter für die katholische Militärseelsorge.

Gröhe Beauftragter der Fraktion

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag angekündigt, einen Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit einzusetzen. Zur Begründung heißt es dort, das Recht auf Religionsfreiheit werde weltweit zunehmend infrage gestellt oder komplett eingeschränkt. Hervorgehoben wird der Einsatz für verfolgte Christen in vielen Ländern der Welt. Die Bundesregierung hat traditionell auch eine oder einen Beauftragten für Menschenrechte im Auswärtigen Amt.

Aus Kreisen der Fraktion hieß es zudem, dass der bisherige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zum Beauftragten der Unionsfraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften ernannt wird. Der 57-Jährige ist Protestant und engagiert in der evangelischen Kirche. Er gehört der Synode - dem Parlament - der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. Gröhe wurde in dieser Woche auch zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion von CDU/CSU im Bundestag gewählt.



"Gleich brennt's" - Mit den Frankfurter Kaufhausbränden vor 50 Jahren beginnt die Geschichte der RAF

Als der Rauch ihres ersten Anschlags aus den Warenhäusern quillt, feiern Andreas Baader und Gudrun Ensslin nicht weit entfernt. Ihren Prozess funktionieren sie zur politischen Agitation um. Der Weg vom politischen Protest in die Gewalt hat begonnen.

Es ist bald 18.30 Uhr. Der Ladenschluss im Kaufhaus Schneider auf der Einkaufsstraße Zeil in Frankfurt am Main am 2. April 1968 steht kurz bevor. Da betreten noch zwei Kunden das Geschäft. Sie eilen die Treppen hinauf. In der Abteilung für Damenoberbekleidung verstecken sie einen Brandsatz aus Benzin in einer Plastikflasche mit Reisewecker und Taschenlampenbatterie. Einen weiteren deponieren sie in der Möbelabteilung.

Kurz vor Mitternacht klingelt das Telefon bei einer Nachrichtenagentur. "Gleich brennt's bei Schneider und im Kaufhof", sagt eine Frauenstimme. "Es ist ein politischer Racheakt." Unmittelbar darauf geht ein Notruf bei der Feuerwehr ein, er meldet Flammen im Kaufhaus Schneider. Auch im nahe gelegenen Kaufhof brennt es, hier bricht das Feuer in der Betten- und in der Spielwarenabteilung aus.

Schaden durch Löschwasser

Die Feuerwehr erstickt die Flammen schnell, Menschen werden nicht verletzt. Im beiden Häusern entsteht ein Schaden von gut 670.000 Mark - der größte Teil davon allerdings durch Löschwasser. Schon zwei Tage danach nimmt die Polizei die Täter fest: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein. Noch während der Löscharbeiten hatten Baader und Ensslin in einem nahe gelegenen linken Szenelokal gefeiert und öffentlich Anspielungen fallengelassen, die auf sie als Täter hindeuteten.

Baader hat seit seiner Jugend Probleme mit Autoritäten, fliegt von der Schule, klaut Motorräder und Autos. Der gebürtige Münchner taucht 1967 im Umfeld der linken Wohngemeinschaft Kommune I in West-Berlin auf, wo er und Ensslin ein Paar werden. Die Tochter eines schwäbischen Pfarrers ist bereits ideologisch gefestigte Marxistin. Proll ist Kunststudent und mit den beiden befreundet, während Baader den Theatermacher Söhnlein aus Münchner Tagen kennt.

Die Idee mit der Kaufhaus-Brandstiftung nehmen die vier nicht aus dem luftleeren Raum. Am 22. Juni 1967 hatte in Brüssel das Warenhaus "À l'Innovation" gebrannt, mehr als 300 Menschen waren dabei umgekommen.

"Knisterndes Vietnamgefühl"

Die Kommune I verbreitete anschließend ein makabres Flugblatt mit dem Titel "Warum brennst du, Konsument?". Darin hieß es, der Brand vermittle den Menschen in Europa "jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen)" - Satire und Provokation. Der Protest gegen den Vietnamkrieg war eines der tragenden Motive der Studentenbewegung, der "Außerparlamentarischen Opposition" (APO). Auch Baader und Ensslin wollen nach eigenen Angaben mit dem Kaufhaus-Anschlag gegen die Gleichgültigkeit gegenüber dem Vietnamkrieg protestieren.

"Es gab keinen Bekennerbrief", sagt der Göttinger Historiker Florian Jessensky. "Vor Gericht haben sie sich zwar darauf berufen. Neben diesen ideologischen Motiven spielte aber mit Sicherheit auch die Konkurrenzsituation in der Berliner Szene rund um die Kommune I eine Rolle. Hier wetteiferten mehrere Gruppen um die Frage, wer den Worten der Flugblätter nun die härteste Tat folgen lassen würde."

Anwalt Mahler

Der Prozess gegen die Brandstifter beginnt am 14. Oktober 1968. Zu ihren Verteidigern gehören der später ebenfalls als Linksterrorist und noch später als Holocaustleugner verurteilte Horst Mahler und der spätere SPD-Bundesinnenminister Otto Schily. Die vier Angeklagten feixen während der Verhandlung, sitzen mit Zigarren auf der Anklagebank.

Zumindest Ensslin folgt damit nach den Worten des Regensburger Politologen Alexander Straßner einer Strategie: Die öffentliche Aufmerksamkeit solle die Massen dazu bewegen, es den vieren gleichzutun und sich zu erheben. Allerdings gibt es diese Massen nicht. "Ein harter Kern, der gewaltsamen Mitteln das Wort redete, kann mit wenigen Hundert beziffert werden, eine weitaus größere Zahl an Menschen war aber zur logistischen Unterstützung bereit, zumindest wenige Tausend", schätzt Straßner.

"Man wollte keinen Respekt vor dem Gericht zeigen", erläutert Jessensky. "Die Justiz war ja der große Feind der APO, sie galt als Instrument der Klassenherrschaft."

Das Urteil fällt am 31. Oktober: jeweils drei Jahre Haft, auch für Proll und Söhnlein, obwohl Zeugen sie nicht eindeutig erkannt haben. Schon am 13. Juni 1969 kommen die Brandstifter aber wieder vorerst frei, weil im November der Bundesgerichtshof über die Revision der Urteile entscheiden soll.

"Baader-Meinhof-Gruppe"

Die Revision wird abgelehnt. Söhnlein tritt seine Haft an, Baader, Ensslin und Proll tauchen unter. Proll stellt sich später. Er und Söhnlein haben nach Verbüßung ihrer Strafe nie wieder etwas mit Terrorismus zu tun.

Im April 1970 wird Andreas Baader festgenommen. Die Journalistin Ulrike Meinhof, die schon länger zum Dunstkreis der Gruppe gehört, lässt ihn im Mai von zwei Beamten in eine Bibliothek in West-Berlin bringen – angeblich, um mit ihm an einem Buch zu arbeiten. Es tauchen bewaffnete Befreier auf und schießen um sich, Baader und Meinhof können fliehen. In der Öffentlichkeit heißt die Gruppe nun "Baader-Meinhof-Gruppe". Anfang 1971 gibt sie sich den Namen "Rote Armee Fraktion" (RAF).

Von Nils Sandrisser (epd)


Mordanklage nach Attentat auf Bürgermeister von Altena

Im Fall des Messerangriffs auf den Bürgermeister von Altena im Sauerland hat die Staatsanwaltschaft Hagen Anklage wegen versuchten Mordes erhoben. Der mutmaßliche Täter habe nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft den Altenaer Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU) im November vergangenen Jahres aus niederen Beweggründen töten wollen, erklärte das Landgericht Hagen am 21. März. Die Hauptverhandlung soll am 22. Mai beginnen. Der Anschlag auf den Bürgermeister hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst.

Hollstein war in einem Döner-Imbiss von einem Angreifer am Hals verletzt worden. Der Angeklagte soll nach Angaben der Ermittler vor der Tat gesagt haben: "Ich steche Dich ab! Du lässt mich verdursten und holst 200 Ausländer in die Stadt!" Der Anschlag soll an der heftigen Gegenwehr des Bürgermeisters und dem Eingreifen der Imbissbetreiber gescheitert sein. Nach einem Handgemenge gelang es laut Anklage zwei Zeugen, dem Beschuldigten das Messer zu entwinden und ihn festzuhalten. Der Mann wurde festgenommen.

Der 17.000-Einwohner-Ort Altena hatte im Jahr 2016 von sich reden gemacht, weil sich der Stadtrat entschieden hatte, freiwillig mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als nach dem Zuteilungsschlüssel des Landes Nordrhein-Westfalen nötig gewesen wäre. Dafür wurde Altena mit dem ersten Nationalen Integrationspreis der Bundesregierung ausgezeichnet.



Studie: Demokratie und Rechtsstaat weltweit immer mehr unter Druck

Immer mehr Menschen leben unter diktatorischen Verhältnissen und eingeschränkten Freiheiten. Auch in offiziell demokratischen Ländern versuchen laut einer aktuellen Studie Staatschefs zunehmend, mit harter Hand zu regieren.

Der Zustand der Demokratie in Entwicklungs- und Schwellenländern ist laut einer aktuellen Studie so schlecht wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Weltweit würden inzwischen 3,3 Milliarden Menschen autokratisch regiert, heißt es in dem am 22. März in Gütersloh veröffentlichten Transformationsindex 2018 der Bertelsmann Stiftung. Das seien so viele wie noch nie seit 2004, als der Index erstmals ermittelt wurde.

In den 129 untersuchten Staaten hätten 40 Regierungen, darunter auch solche aus fortgeschrittenen Demokratien, in den vergangenen zwei Jahren den Rechtsstaat eingeschränkt, heißt es in der Studie. In 50 Ländern seien politische Freiheiten beschnitten worden. Insgesamt stufte der Transformationsindex 58 der Staaten als Autokratien (2016: 55) und 71 als Demokratien (2016: 74) ein.

Fortschritt in Sri Lanka

Eine wesentliche Ursache für die schlechten Ergebnisse sei eine mangelnde Fähigkeit und Einsicht vieler Regierungen, auf gesellschaftliche Konflikte dialogbereit und konsensorientiert zu reagieren, erklärte die Stiftung. Einmal gewählt, beschnitten viele Machthaber politische Freiheitsrechte, um ihre Herrschaft auszubauen.

Größere Fortschritte in Richtung Demokratie machten der Analyse zufolge nur Burkina Faso und Sri Lanka. Demgegenüber habe sich die politische Situation in 13 Staaten deutlich verschlechtert. Fünf davon - Bangladesch, der Libanon, Mosambik, Nicaragua und Uganda - erfüllten laut der Untersuchung "keine demokratischen Mindeststandards mehr" und werden nun als Autokratien gezählt. Die Demokratie in diesen Ländern sei über Jahre schleichend ausgehöhlt worden, vor allem durch Einschränkungen der Qualität von Wahlen.

Polen und Türkei große Verlierer

Besonders problematisch sei es, dass auch in immer mehr Demokratien Bürgerrechte beschnitten und rechtsstaatliche Standards ausgehöhlt würden, beklagen die Wissenschaftler. So gehören etwa Brasilien, Polen und die Türkei zu den größten Verlierern des Transformationsindex. Mehrere sogenannte "defekte Demokratien" wie Honduras, Niger, die Philippinen, die Türkei und Ungarn nähern sich laut Studie der Schwelle zur Autokratie.

Für die Bürger sei diese Entwicklung bedenklich, denn Demokratien böten eine bessere Regierungsleistung als Autokratien, erklärten die Wissenschaftler. Sie seien meist erfolgreicher bei der Korruptionsbekämpfung, der Herstellung von Chancengleichheit und der Schaffung einer funktionierenden Marktwirtschaft. Der Transformationsindex zeige, "dass Autokratien keineswegs stabiler und effizienter sind als Demokratien", sagte der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Aart de Geus.

Soziale Ungleichheit

Eines der größten Hindernisse für Demokratie und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sehen die Studienautoren in einer unzureichenden sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. In 72 Entwicklungs- und Schwellenländern herrschten demnach massive Armut und hohe soziale Ungleichheit. In 22 dieser Staaten, darunter Indien, Südafrika und Venezuela, sei das Entwicklungsniveau in den vergangenen zehn Jahren sogar gesunken. Nur noch ein Viertel der Länder erreiche eine mäßige bis gute soziale Inklusion. Im Jahr 2008 sei es noch ein Drittel gewesen.

Grundlage für den aktuellen Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung sind nach deren Angaben detaillierte Länderberichte aus den Jahren 2015 bis 2017 von weltweit 250 Experten aus führenden Universitäten und Denkfabriken. Der Index wird alle zwei Jahre erstellt.




Soziales

Studie: 2,2 Millionen Beschäftigten wird Mindestlohn vorenthalten


Mindestlohn 8,84 Euro pro Stunde
epd-bild/Norbert Neetz
Durch Verstöße gegen das Mindestlohngesetz würden Arbeitnehmern und Sozialkassen Milliardenbeträge vorenthalten, kritsiert die gewerkschaftsnahee Hans-Böckler-Stiftung.

2,2 Millionen Beschäftigte in Deutschland bekommen einer Studie zufolge weniger als den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, obwohl er ihnen zusteht. Durch Verstöße gegen das Mindestlohngesetz würden Arbeitnehmern und Sozialkassen Milliardenbeträge vorenthalten, erklärte Studienautor Toralf Pusch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am 23. März in Düsseldorf. "Endlich die Kontrollen zu verbessern, ist also von höchstem öffentlichen Interesse."

Nach seinen Erhebungen summierten sich im Jahr 2016 Lohnausfälle und Mindereinnahmen der Sozialversicherung durch Verstöße gegen den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn auf rund 7,6 Milliarden Euro. Die betroffenen Arbeitnehmer erhielten demnach im Schnitt 251 Euro monatlich zu wenig. Den Sozialversicherungen entgingen dadurch rund 2,8 Milliarden Euro.

Mehr Frauen betroffen

Weibliche Beschäftigte sind nach der Studie von Umgehungen des Mindestlohns deutlicher öfter betroffen als Männer. Demnach wurde 2016 etwa 11,5 Prozent der weiblichen und 4,6 Prozent der männlichen Beschäftigten der Mindestlohn vorenthalten. Auch regional gibt es Unterschiede. Der Auswertung zufolge ist die Quote der betroffenen Arbeitnehmer in Ostdeutschland mit 12,6 Prozent deutlich höher als im Westen mit 7,3 Prozent.

Unternehmen mit Tarifvertrag und Betriebsrat halten sich nach Angaben des Arbeitsmarktforschers weitaus konsequenter ans Mindestlohngesetz als Firmen, in denen beides fehlt. In Betrieben mit Tarif und Mitbestimmung gaben lediglich 1,8 Prozent der Beschäftigten an, weniger als den Mindestlohn erhalten zu haben, bei den anderen waren es dagegen 15,6 Prozent.

Der gesetzliche Mindestlohn liegt seit 1. Januar 2017 bei 8,84 Euro. Im Jahr 2016, dem Untersuchungszeitraum des WSI-Forscher, betrug er 8,50 Euro.



Bericht: Spahn signalisiert Gesprächsbereitschaft bei Paragraf 219a

Im Streit über eine Lockerung des Werbeverbots bei Abtreibungen signalisiert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einem Zeitungsbericht zufolge Kompromissbereitschaft. Falls es "ein berechtigtes, bisher noch nicht abgedecktes Bedürfnis nach objektiven Informationen geben sollte für Frauen, die sich in einer schwierigen persönlichen Lage befinden, werden wir gemeinsam nach Lösungen suchen", kündigte er laut "Süddeutscher Zeitung" (Ausgabe vom 26. März) an. Er wolle darüber auch mit Ärzten und Beratungsstellen sprechen.

Thema in Koalition umstritten

Insgesamt verteidigt Spahn aber die gesetzliche Regelung. Der Konflikt über Abtreibungen sei vor mehr als 25 Jahren in einem Kompromiss geregelt worden, zu dem auch das sogenannte Werbeverbot in Paragraf 219a gehöre, erklärte der Minister. "Zu diesem Kompromiss als Ganzes stehen wir, da gibt es keinen Änderungsbedarf."

Der Strafrechtsparagraf 219a verbietet die Werbung für Abtreibungen aus wirtschaftlichem Eigeninteresse. Eine Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel aufgrund dieses Paragrafen hatte eine bundesweite Debatte ausgelöst. Das Amtsgericht Gießen hatte Hänel im November 2017 zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf der Internetseite ihrer Praxis über Schwangerschaftsabbrüche informiert hatte.

Innerhalb der Koalition von CDU/CSU und SPD ist das Thema umstritten. Die CSU schließt eine Lockerung des Werbeverbots bei Abtreibungen aus. Mitte März hatte die SPD-Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des Werbeverbots aus Rücksicht auf den Koalitionspartner zurückgezogen und damit für Unmut auch in den eigenen Reihen gesorgt.

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) soll einen Vorschlag erarbeiten, der auch für die Union tragbar ist. Barley strebt eine rechtliche Regelung an, der eine Verurteilung wie im Fall Hänel ausschließt.



Grünen-Politikerin fordert Debatte über Bluttest auf Down-Syndrom

Die Grünen-Politikerin Corinna Rüffer hat anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tags eine ethische Debatte über den umstrittenen Bluttest zur frühzeitigen Erkennung von Trisomie 21 gefordert. Während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) "sehr steil" in die Debatte um das Werbeverbot bei Abtreibungen eingestiegen sei, habe er sich zum Bluttest bislang nicht geäußert, sagte die behindertenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Spahn sei in der Pflicht, Untersuchungen über die Folgen des Bluttests einzuleiten.

Bevor der Bluttest möglicherweise eine Kassenleistung werde, müsse man beispielsweise dringend wissen, wie viele schwangere Frauen ihr Kind abtreiben, wenn die Wahrscheinlichkeit für den Gen-Defekt laut Test hoch ist. "Ich möchte sicherstellen, dass keine Entscheidungen getroffen werden, ohne dass mögliche Folgen politisch bewertet werden", sagte Rüffer. Bislang habe sich die Bundesregierung aus der Verantwortung gezogen.

Kostenübernahme wird geprüft

Seit 2012 ermöglicht der Test per Blutuntersuchung bei der Mutter festzustellen, ob das Kind wahrscheinlich mit dem Gen-Defekt zur Welt kommt. Bis dahin war dies nur über eine Fruchtwasseruntersuchung möglich, bei der das Risiko für Fehlgeburten allerdings hoch ist. Bislang müssen werdende Eltern die Kosten für den 200 bis 500 Euro teuren Bluttest selbst zahlen. Ob die Krankenkassen die Kosten künftig übernehmen müssen, prüft derzeit der Gemeinsame Bundesausschuss. Er entscheidet darüber, welche Kosten in Deutschland die gesetzlichen Krankenversicherungen übernehmen müssen.

In Dänemark wird allen Schwangeren seit 2005 ein Screening-Test auf Down-Syndrom angeboten. Ein Jahr nach dessen Einführung habe sich dort die Zahl der Lebendgeburten von Kindern mit Down-Syndrom halbiert. "Wollen auch wir eine ähnliche Methode finanzieren, die zu einem solchen Ergebnis führt?", mahnte die Bundestagsabgeordnete. Schon ohne den einfachen Bluttest trieben in Deutschland neun von zehn schwangeren Frauen, deren Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit den Gen-Defekt hat, ihr Baby ab.

"Schleichender Prozess"

Rüffer befürchtet einen unbeabsichtigten "schleichenden Prozess" hin zu einer Gesellschaft ohne Menschen mit Behinderungen. Zusätzlich zur Prüfung durch den Bundesausschuss müsse daher auch eine Ethik-Kommission den Test beurteilen. Der Ausschuss prüfe den Test lediglich auf einer naturwissenschaftlich-medizinischen Basis.

epd-Gespräch: Patricia Averesch


Gesundheitsminister bringt Verordnung zur Reform der Pflegeausbildung auf den Weg

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat einen ersten Schritt zur Reform der Pflegeausbildung eingeleitet. Er übersandte einen Entwurf der neuen Ausbildungs- und Prüfungsordnung zur Abstimmung an die übrigen Ressorts sowie die Länder und betroffenen Verbände. Der Paritätische Wohlfahrtsverband begrüßte Spahns Initiative. "Um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen, ist die Reform wichtig", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, am 23. März in Berlin.

Die neue Verordnung regelt die praktische Umsetzung der in der vergangenen Wahlperiode beschlossenen einheitlichen Ausbildung von Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflegern. Sie soll nach Angaben des Gesundheitsministeriums Ende des Jahres in Kraft treten. Dann haben die Länder ein Jahr Zeit, sie umzusetzen. Die neue Pflegeausbildung soll 2020 starten.

Paritätischer Wohlfahrtsverband sieht noch offene Fragen

Aus Sicht des Paritätischen wird es in der weiteren Diskussion vor allem darum gehen müssen, eine verlässliche Anschubfinanzierung sicherzustellen, damit die Pflegeschulen den neuen Ausbildungsanforderungen gerecht werden können. Der Verband geht von einem einmaligen Mehrbedarf in Höhe von 400 Millionen Euro aus. Zudem müsse sichergestellt sein, dass die Pflegeschulen nicht auf ihren Investitionskosten sitzen bleiben. Noch offene Fragen zur Umsetzung, etwa zur Kooperation zwischen Ausbildungsstätten für Altenhilfe und Krankenpflege, müssten zügig geklärt werden.

Die Grünen kritisierten, dass es viel zu lange gedauert habe, "bis sich die Bundesregierung auf die sich verändernden Herausforderungen für die Pflegeberufe eingestellt hat". Sie befürchten, dass mit der geplanten Zusammenlegung von drei Ausbildungsgängen künftig wichtige Teilaspekte der bisherigen Ausbildungen vernachlässigt werden.



Form der Ohren beeinflusst Hörvermögen

Ob groß, klein, spitz oder schlapp: Die Form der Ohrmuschel beeinflusst Forschern zufolge, was Menschen hören. Die äußere Beschaffenheit des Ohrs sei entscheidend für die Entscheidung im Gehirn, ob ein Ton von oben oder unten komme, teilte die Universität Leipzig am 22. März mit. Dies habe eine Gruppe von Forschern aus Leipzig und Montreal in Kanada herausgefunden.

"Töne aus verschiedenen Richtungen treffen unterschiedlich auf die äußeren Bereiche unserer Ohren", erklärte der Leipziger Biologieprofessor Marc Schönwiesner. Durch ihre unregelmäßige Form reflektiere die menschliche Ohrmuschel den Schall in den Gehörgang. Das Gehirn lerne, diesen individuellen Vorgang richtig zu interpretieren.

"Gehirn kennt Ohrenform"

"Wir können mit unseren eigenen, individuell gestalteten Ohren hören, weil unser Gehirn ihre Form kennt", so Schönwiesner weiter. Ändere man in Experimenten jedoch die Beschaffenheit der Ohrmuschel, indem man ihr etwa kleine Silikonteile einsetze, brauche das Gehirn Lernzeit, um die Signale erneut richtig interpretieren zu können. "Das ist beispielsweise auch der Fall, wenn wir wachsen", erklärte der Forscher.

Die Ergebnisse könnten nach Angaben der Hochschule dabei helfen, Hörgeräte zu verbessern. Aktuell sei bis zu einem Viertel aller in Deutschland verwendeten Hörgeräte nicht im Einsatz, "weil die Patienten häufig unterschätzen, dass das Gehirn Zeit zur Gewöhnung braucht", sagte Schönwiesner. Verstehe die Wissenschaft diesen Gewöhnungsprozess besser, könne sie ihn "vielleicht beschleunigen", fügte er hinzu.




Medien & Kultur

Thieme: ZDF-Fernsehrat ist staatsferner als früher


Marlehn Thieme
epd-bild/Kristina Schaefer
Mit dem neuen Staatsvertrag aus dem Jahr 2016 seien "alle Gremienmitglieder sehr viel autonomer geworden", sagt die Vorsitzende des Gremiums dem epd.

Die Vorsitzende des ZDF-Fernsehrats, Marlehn Thieme, bescheinigt dem Gremium eine größere Staatsferne als in früheren Jahren. Mit dem neuen ZDF-Staatsvertrag aus dem Jahr 2016 seien "alle Gremienmitglieder sehr viel autonomer geworden", sagte die 60-Jährige dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Staatsvertrag, der auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückgeht, schreibt seitdem vor, dass in den ZDF-Aufsichtsgremien nur noch ein Drittel der Plätze für staatliche Vertreter zur Verfügung steht.

Auch insgesamt sei der Fernsehrat durch Vertreter weiterer gesellschaftlicher Gruppen "deutlich jünger, weiblicher und bunter" geworden, sagte Thieme, die seit 2004 die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in dem Gremium vertritt. "Das trägt auch zu einer anderen Debatte bei." Der neue Staatsvertrag sieht unter anderen einen Vertreter aus dem Bereich Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle vor.

"Programm darf nicht leiden"

Dass der ehemalige SPD-Medienpolitiker Martin Stadelmaier seit 2017 als formal staatsfernes Mitglied im ZDF-Verwaltungsrat sitzt, hält Thieme für unproblematisch. "Herr Stadelmeier ist sicherlich aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen vom Fernsehrat gewählt worden, und wenn man auf den gesamten Verwaltungsrat blickt, sieht man, wie divers die Zusammensetzung ist", sagte die Juristin. "Da muss man sich nicht an einzelnen Persönlichkeiten festhalten."

Thieme bekräftigte die Position des Fernsehrats, dass Programmeinschnitte im Zuge von Strukturreformen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht richtig seien. In einer Zeit, in der die Sender in einer digitalisierten Welt auffindbar sein müssten, dürften nicht finanziell Daumenschrauben angelegt werden. "Auf der anderen Seite bin ich für jede Effizienzsteigerung zu haben, wenn darunter das Programm und die Vielfalt des Angebots nicht leiden", betonte Thieme.

epd-Gespräch: Karsten Frerichs und Michael Ridder


WDR-Intendant Buhrow im Amt bestätigt

WDR-Intendant Tom Buhrow bleibt bis 2025 im Amt. Der Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks wählte ihn am 23. März für eine zweite Amtszeit, wie der Rundfunkrat in Köln mitteilte. 50 der 55 anwesenden Mitglieder stimmten für den 59-jährigen Buhrow, der im Mai 2013 erstmals für eine gesetzliche Amtszeit von sechs Jahren gewählt worden war. Bei seiner Wiederwahl war er der einzige Kandidat.

Der Vorsitzende des Rundfunkrats, Andreas Meyer-Lauber, erklärte, Buhrow habe mit dem organisatorischen Umbau, den er im Sender eingeleitet habe, "wichtige Etappenziele erreicht". Er setze sich für einen modernen WDR und einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt ein. Der WDR brauche zudem eine starke Stimme innerhalb der ARD, erklärte Meyer-Lauber.

Wilhelm: WDR ist "Aushängeschild für die gesamte ARD"

Die ARD und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) in NRW gratulierten Buhrow zur Wiederwahl. Buhrow habe bereits in seiner ersten Amtszeit viel im WDR bewegt, Programmreformen vorangebracht und scheue sich nicht vor Veränderungen, sagte der ARD-Vorsitzende und Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR), Ulrich Wilhelm. Der WDR bleibe dank der Tatkraft seines Intendanten "ein Aushängeschild für die gesamte ARD, international, deutschlandweit und fest verwurzelt in den Regionen Nordrhein-Westfalens".

Der DJV wünschte dem wiedergewählten Intendanten "eine glückliche Hand" in den für klassischen Medien schwierigen Zeiten. "Bei allen notwendigen Sparmaßnahmen wünschen wir uns, dass der Intendant die Qualität des Programms nicht aus den Augen verliert", sagte der Geschäftsführer des DJV-Landesverbandes, Volkmar Kah. Nur über Qualität könne sich der WDR im Wettbewerb mit anderen Medien behaupten und seine Zukunft als öffentlich-rechtlicher Sender sichern. Qualität erreiche man nur durch motivierte Mitarbeiter.

Der WDR ist der größte Sender innerhalb der ARD mit mehr als 4.400 Mitarbeitern und einem Haushalt von rund 1,5 Milliarden Euro. Haupteinnahmequelle sind die Rundfunkbeiträge. Buhrow erhielt 2016 mit 399.000 Euro die höchsten Bezüge von allen ARD-Intendanten.

Buhrow stammt aus dem rheinischen Troisdorf und war nach dem Geschichts- und Politikstudium ab 1986 als Redakteur, Reporter und Chef vom Dienst für das WDR-Fernsehen tätig. 1992 wechselte er zur "Tagesschau" und war als Fernsehkorrespondent zunächst im ARD-Studio Washington, dann in Paris im Einsatz. Ab 2006 moderierte Buhrow die "Tagesthemen". Zum 1. Juli 2013 trat er die Nachfolge von Monika Piel als WDR-Intendant in Köln an.



Deniz Yücel: "Mir geht es gut"


Deniz Yücel las im Festsaal Kreuzberg in Berlin aus seinem Buch "Wir sind ja nicht zum Spaß hier".
epd-bild/Christian Ditsch
Ein Jahr saß er in türkischer Untersuchungshaft. Bei einer Lesung in Berlin bedankte sich Deniz Yücel bei seinen Freunden und Kollegen: Ihm gehe es gut, sagt er. Doch sein Kampf für Pressefreiheit in der Türkei geht weiter.

Zum Jahresende bemerkte Deniz Yücel eine neue Wortwahl, wenn in den staatlichen türkischen Medien über ihn berichtet wurde. Bei seiner Festnahme sei er noch der Terrorist gewesen, erinnert sich der Journalist. Doch Ende des Jahres 2017 änderte sich das, fortan sei er der "Welt"-Korrespondent genannt worden. Das war der Moment, an dem er "Licht am Ende des Tunnels" sah, berichtet er am 24. März bei einer Lesung in Berlin.

Mehr als ein Jahr saß Yücel ohne Anklage in der Nähe von Istanbul in Untersuchungshaft. Mitte Februar kam er überraschend frei. Im Gefängnis entstand sein Buch "Wir sind ja nicht zum Spaß hier" mit alten und neuen Texten, aus dem er am Samstagabend bei einer Veranstaltung mit dem Titel "Auf die Freiheit!" vor 800 Zuschauern liest.

Erster öffentlicher Auftritt

Es ist der erste öffentliche Auftritt seit der Haftentlassung und Yücel bedankt sich bei Kollegen und Freunden. "Ich versuche mal, nicht gleich im ersten Moment loszuheulen", beginnt er seine Rede, um dann zu versichern: "Mir geht es gut." Es habe ihm im Gefängnis Kraft gegeben, zu wissen, "dass so viele Leute auf meiner Seite stehen".

Unter den Zuschauern sind auch der Satiriker Jan Böhmermann, die Linken-Chefin Katja Kipping und der Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner, der im vergangenen Jahr ebenfalls für einige Monate in der Türkei im Gefängnis saß.

Das Silivri-Gefängnis sei ein Ort, "in dem alles darauf ausgerichtet ist, jede Lebensfreude zu nehmen", beschreibt Yücel den Hochsicherheitskomplex, in dem er eingesperrt war: Eine Zelle, in der Bilder an der Wand verboten waren, ein Innenhof aus Beton, "Garten" genannt. Sein Raumschmuck seien Kräuter gewesen, die er im Gefängnisladen gekauft habe: Petersilie, Dill und Minze. Seine Ehefrau Dilek Mayatürk Yücel, die er während der Haftzeit geheiratet hat, habe ihm Briefe auf buntem Papier geschrieben, damit etwas Farbe in seine Zelle komme.

Yücel stellt den Zuschauern auch seinen Anwalt Veysel Ok vor. Kurz vor Oks erstem Besuch im Gefängnis habe der türkischen Botschafter beim Vatikan folgenden Satz gesagt: "Nicht einmal der Papst kann Deniz Yücel befreien." Als er Veysel Ok dann kennenlernte, habe er gedacht: "Das ist also der Mann, der den Mann befreien will, den nicht einmal der Papst befreien kann." Auch wenn Yücels Auftritt vor Freunden, Lesern und Journalisten wie ein Schlussstrich wirkt, stellt sein Anwalt Veysel Ok das Gegenteil klar: "Es ist nicht vorbei." Sie kämpfen jetzt dafür, dass die illegale Inhaftierung Yücels geahndet werde.

Verfahren läuft weiter

In der Türkei läuft das Verfahren gegen Yücel weiter. Auch wenn ein Istanbuler Gericht Mitte Februar die Haftentlassung verfügt hat, werden dem Journalisten, der neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, nach wie vor "Propaganda für eine Terrororganisation" und "Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit" vorgeworfen. Dafür drohen ihm bis zu 18 Jahre Haft. Ein erster Prozesstermin ist im Juni angesetzt.

Eine gute Nachricht kam jüngst hingegen aus Straßburg: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilte erstmals die Inhaftierung von Journalisten nach dem Putschversuch von 2016 in der Türkei. Den Richtern zufolge hat Ankara im Fall der beiden Journalisten Sahin Alpay und Mehmet Hasan Altan die Europäische Menschenrechtskonvention mehrfach verletzt. Insgesamt sind mehr als 1.500 weitere solcher Fälle vor dem EGMR anhängig, darunter auch der Fall Yücel.

Das Verfahren hatte er schon aus dem Gefängnis angestrengt, wo er außerdem nicht nur sein Buch schrieb, sondern sich auch deutlich gegen schmutzige Deals zwischen Deutschland und der Türkei für seine Freilassung aussprach. Rückblickend sagt er: "Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir noch sehr viel mehr Krawall gemacht."

Von Mey Dudin (epd)


Türkei erstmals wegen Haft für Journalisten nach Putsch verurteilt

Deniz Yücel ist frei, aber seine türkischen Journalisten-Kollegen Altan und Alpay müssen weiterhin hinter verschlossenen Türen leben. Trotzdem haben die beiden Yücel etwas voraus: Die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

Es sind die beiden ersten Urteile ihrer Art durch eins der höchsten europäischen Gerichte, und sie geben der kritischen Presse gegen die türkische Regierung Recht: Mit der Inhaftierung von zwei Journalisten nach dem Putschversuch von 2016 hat Ankara die Europäische Menschenrechtskonvention mehrfach verletzt, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 20. März in Straßburg. (AZ: 16538/17 und 13237/17)

Die inzwischen beendete Untersuchungshaft des nun unter Hausarrest stehenden Sahin Alpay und des inzwischen verurteilten und daher weiter inhaftierten Mehmet Hasan Altan verstießen gegen die Meinungsfreiheit und die Menschenrechte auf Freiheit und Sicherheit, erklärte der EGMR. Beiden muss der türkische Staat je 21.500 Euro Schadenersatz zahlen.

"Demokratie gedeiht auf Meinungsfreiheit"

Die Urteile aus Straßburg stellen Grundsätze der Pressefreiheit klar. Zwar hätten der letztlich gescheiterte Putschversuch vom 16. Juli 2016 und andere Terrorakte "eine große Bedrohung für die Demokratie in der Türkei" dargestellt, erkannten die Richter. Jedoch sei es eine der wichtigsten Eigenschaften der Demokratie, Probleme durch öffentliche Debatte lösen zu können. "Demokratie gedeiht auf der Meinungsfreiheit", heißt es wortgleich in beiden Urteilen. Auch wenn die Regierung kritisiert und Informationen veröffentlicht würden, "die von den Führern eines Landes als gefährlich für die nationalen Interessen angesehen werden", dürfe dies nicht Anklagen wie bei Altan und Alpay nach sich ziehen.

Der 1953 geborene Altan und der 1944 geborene Alpay hatten beide als Hochschullehrer und Journalisten gearbeitet, wie der EGMR weiter mitteilte. Altan veranstaltete im TV-Sender Can Erzincan TV ein politisches Diskussionsprogramm, während Alpay für die Zeitung "Zaman" schrieb. Nach dem Putsch wurden beide Medien geschlossen, Alpay noch im Juli 2016 und Altan im September des Jahres verhaftet. Die beiden teilten damit das Schicksal Tausender anderer Menschen in der Türkei.

Urteil missachtet

Beiden Journalisten wurden anschließend Verbindungen zur von Ankara als Terrororganisation eingestuften Gülen-Bewegung vorgeworfen. Angeklagt wurden sie unter anderem wegen Unterstützung für die Bewegung und wegen des Versuchs des Umsturzes der verfassungsmäßigen Ordnung. Allerdings kam ihnen das türkische Verfassungsgericht zu Hilfe. Am 11. Januar 2018 urteilte es, dass Altans und Alpays Rechte auf Freiheit und Sicherheit sowie auf Meinungs- und Pressefreiheit verletzt worden seien, wie der EGMR weiter erklärte.

Ungeachtet dessen lehnten niedere Gerichte die Freilassungen zunächst ab. Erst nach einem neuerlichen Urteil des obersten türkischen Gerichts sei Alpay vor wenigen Tagen aus der Haft entlassen worden, laut Deutschem Journalisten-Verband (DJV) steht er jetzt unter Hausarrest. Altan wurde in der Türkei inzwischen im Februar zu lebenslanger Haft verurteilt, während das Urteil für Alpay noch aussteht. Der EGMR befasste sich bisher nur mit ihrer Untersuchungshaft.

Unterdessen sind mehr als 1.500 weitere Fälle vor dem EGMR anhängig, die wie bei Altan und Alpay die Untersuchungshaft von Journalisten und anderen Bürgern nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei betreffen, teilte eine EGMR-Sprecherin mit. Darunter ist auch der inzwischen freigelassene "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel. Altan und Alpan sind die ersten beiden Fälle, in denen der EGMR über die Inhaftierung von Journalisten nach dem Putschversuch geurteilt hat.

Sechs zu eins Stimmen

In beiden Fällen wurde Ankara nicht nur wegen Verletzung der Meinungsfreiheit, sondern auch der Rechte auf Freiheit und Sicherheit. Auch sie sind in der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 verbucht, der die Türkei unterliegt. Der EGMR machte geltend, dass die Untersuchungshaft jeweils insbesondere nach dem Urteil des türkischen Verfassungsgericht nicht mehr rechtmäßig gewesen sei.

Die Urteile zugunsten von Altan und Alpay traf das Straßburger Gericht jeweils mit sechs gegen eine Stimme; der türkische EGMR-Richter stimmte dagegen. In mehreren anderen Beschwerdepunkten, etwa was die Länge eines Verfahrens anging, bekamen die Journalisten vom EGMR nicht Recht.

In Deutschland wurde das Urteil begrüßt. Es bedeute "einen Sieg für die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit - in der Türkei und weltweit", erklärte die Grünen-Bundestagsabgeordete Margarete Bause. Reporter ohne Grenzen wies darauf hin, dass die Entscheidung vom Dienstag für die Betroffenen "bestenfalls eine Verschnaufpause" bedeute, "denn die Urteile in ihren eigentlichen Prozessen in der Türkei sind noch lange nicht gesprochen."

Von Phillipp Saure (epd)


Hartmut Dorgerloh soll Intendant des Humboldt Forums werden


Hartmut Dorgerloh
epd-bild/Christian Ditsch
Der Vorschlag, den Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten zum Generalintendenten des künftigen Forums zu machen, trifft auf große Zustimmung. Nun muss der Stiftungsrat entscheiden.

Der Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Hartmut Dorgerloh, soll Generalintendant des künftigen Berliner Humboldt Forums werden. Darauf verständigte sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) mit den Gründungsintendanten Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp, wie Grütters Büro am 21. März in Berlin mitteilte. Über die Personalie soll der Stiftungsrat der Stiftung Humboldt Forum Ende April endgültig entscheiden. Vertreter aus Politik und Kultur in Berlin begrüßten den Vorschlag.

Grütters erklärte, der 55-jährige Dorgerloh sei zugleich Intellektueller und Umsetzer, der über eine hohe Vermittlungskompetenz verfügt. Das geplante Humboldt Forum brauche eine starke Persönlichkeit, welche die Vision als Kulturzentrum und Begegnungsort der Weltkulturen weiterentwickelt und die Identität des Hauses maßgeblich mitbestimmt. "Ich bin sicher, dass er mit seiner Kenntnis des gesellschaftlichen Lebens und des Kulturbetriebs diese anspruchsvolle Einrichtung leiten und ein sehr breites Publikum für die großen Themen der Menschheit gewinnen kann", sagte Grütters.

International vernetzt

Die drei Gründungsintendanten bezeichneten den promovierten Kunsthistoriker und Kulturmanager als international weit vernetzte und hoch respektierte Persönlichkeit. Als Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg habe er bewiesen, dass er vielschichtige historische Fragestellungen beispielhaft in Ausstellungen und Veranstaltungen für ein breites Publikum umzusetzen weiß. Die Verträge von MacGregor, Parzinger und Bredekamp, die das Projekt seit gut zwei Jahren leiten, enden, sobald der neue Intendant sein Amt antritt.

Dorgerloh erklärte, er habe sich "nach reiflicher Überlegung" für das Amt bereiterklärt. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten sei bestens aufgestellt, "so dass ich mich nach über 15 Jahren auch einer neuen Herausforderung zu stellen vermag".

Theologensohn

Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und der Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Paul Spies, begrüßten den Vorschlag. Dorgerloh sei ausweislich seiner beruflichen Biografie ein "hervorragender Mittler", dem sie zutrauten, die kooperative Struktur - auf die sich Bund, Land, Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Stiftung Stadtmuseum Berlin für die Zusammenarbeit in der Stiftung Humboldt-Forum verständigt haben - "sehr gut zu führen", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Hartmut Dorgerloh wurde 1962 als Sohn eines evangelischen Theologen in der DDR geboren. Seit 2002 steht er an der Spitze der Schlösserstiftung, die durch die Fusion der ost- und westdeutschen Schlösserverwaltungen entstand. In seiner Amtszeit setzte er unter anderem zwei umfangreiche Sonderinvestitionsprogramme durch, mit denen die Baudenkmäler der Stiftung bis 2030 für insgesamt 565 Millionen Euro saniert werden. Sein Bruder Stephan Dorgerloh (SPD) war zwischen 2011 und 2016 Kultusminister von Sachsen-Anhalt.

Das knapp 600 Millionen Euro teure Humboldt Forum im Berliner Schloss soll nach den bisherigen Planungen Ende 2019 eröffnet werden. Das Gebäude soll als interdisziplinäres Kulturhaus ähnlich dem Pariser "Centre Pompidou" zu einem Kulturzentrum und Begegnungsort der Weltkulturen werden. Neben einer Berlin-Ausstellung sollen in dem Gebäude unter anderem die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst gezeigt werden.



Lübecker Buddenbrookhaus wird umgebaut


Buddenbrookhaus in Lübeck
epd-bild/Dirk Silz

Ein Architekturbüro aus Lübeck hat den Planungswettbewerb für den Umbau des Lübecker Buddenbrookhauses gewonnen. Der Siegerentwurf sieht vor, dass nur die Fassaden der historischen Gebäude und das denkmalgeschützte Kellergewölbe des Buddenbrookhauses erhalten bleiben. Dahinter soll ein kompletter Neubau entstehen. "Der sensible Umgang mit den alten Häuserfassaden und die optimale Raumnutzung haben uns bei dem Entwurf des Büros TMH Architekten überzeugt", erklärte Hans Weißkirchen, Direktor der Lübecker Museen, am 20. März bei der Vorstellung der Wettbewerbsergebnisse.

Teile des ursprünglichen Buddenbrookhauses, das im 19. Jahrhundert im Besitz der Familie Mann war, sollen rekonstruiert werden. Dazu zählt etwa die historische Kaufmannsdiele mit ihrer herrschaftlichen Treppe. 2011 hatte das Buddenbrookhaus das Nachbarhaus in der Mengstraße mit Geld vom Bund gekauft. Beide Häuser sollen im Inneren miteinander verschmelzen, so dass die Ausstellungsfläche auf 2.500 Quadratmeter verdoppelt wird.

Von Hanseaten zu Weltbürgern

Inhaltlich soll in der Dauerausstellung der Weg der Familie Mann von Lübecker Hanseaten zu Weltbürgern in den Fokus rücken. So planen die Architekten eine Brücke im Obergeschoss, mit der die beiden Häuser - und damit auch die beiden Ausstellungs-Aspekte - verbunden werden. Der Um- und Neubau wird zwischen 18 und 19 Millionen Euro kosten. Der Löwenanteil fließt aus Fördermitteln des Landes Schleswig-Holstein, auch die Stadt Lübeck beteiligt sich. Einen Restbetrag von etwa drei Millionen Euro muss die Kulturstiftung der Hansestadt über Spenden einwerben.

Im Oktober 2017 hatte die Hansestadt den Wettbewerb europaweit ausgelobt, bei dem sich 20 Architekturbüros beteiligt hatten. Das Verfahren erfolgte anonym. Auch ein Architekturbüro aus Hamburg, eins aus Münster und eins aus Frankfurt am Main zählen zu den Gewinnern. Das Vergaberecht sieht vor, dass mit allen vier Preisträgern verhandelt wird. Der Erstplatzierte aus Lübeck habe jedoch die besten Chancen, hieß es. Mit dem Baubeginn rechnen die Projektverantwortlichen frühestens 2019. Ziel sei es, das Literaturmuseum im Jahr 2021 wieder zu eröffnen.

Heinrich und Thomas Mann-Zentrum

Das Buddenbrookhaus wurde 1758 erbaut. 1842 kaufte es Siegmund Mann jun., der Großvater von Thomas und Heinrich Mann. Die Geschwister wuchsen allerdings in der benachbarten Beckergrube auf. Später wurde es Handelshaus, Frisiersalon, Samenhandlung, Staatslotterie und Bank, ehe hier 1993 das Heinrich und Thomas Mann-Zentrum eröffnet wurde. Gemeinsam mit dem Hansemuseum zählt das Buddenbrookhaus zu den Museen mit den meisten Besuchern in Lübeck.



In die Unendlichkeit - Ausstellung zu Kubricks Weltraumepos "2001"

Es kommt nicht von ungefähr, dass man die Ausstellung "Kubricks 2001. 50 Jahre A Space Odyssey" im Deutschen Filmmuseum Frankfurt durch die Tür des Hilton Hotels der Raumstation im zweiten Teil des Films betritt. Die Sequenz führt handgreiflich vor, wie man sich Ende der 60er Jahre die Welt drei Jahrzehnte später vorstellte - mit futuristischen Stühlen und Videotelefonie. In der Schau, die bis zum 23. September zu sehen ist, soll ein Meilenstein des Sciene-Fiction-Genres gewürdigt werden. Vor 50 Jahren wurde Kubricks Weltraumepos in Washington D.C. uraufgeführt.

Die Macher haben die Ausstellung, die die Produktions- und die Rezeptionsgeschichte des Films dokumentiert, analog zur Reise im Weltraum, in zwei Teile geteilt: den "Inner Space" und den "Outer Space". Das Weiß der Innenräume kontrastiert mit dem Blau des Weltalls.

Budget verdoppelt

"If it can be written, or thought, it can be filmed" hängt als Motto des Regisseurs Kubrick über dem "Inner Space". Dem Regisseur Kubrick war bereits 2004 eine große Ausstellung des Filmmuseums gewidmet, die seitdem in 17 Städten auf der ganzen Welt Station machte. Die neue Schau ist eine Auskopplung, allerdings angereichert mit vielen Leihgaben und Fundstücken aus dem Nachlass.

Seit 1964 arbeitete Kubrick an "2001", zusammen mit dem Autor Arthur C. Clarke schrieb er die Filmerzählung. Das Typoskript präsentiert die Ausstellung. Aus "2001" wurde ein Film der Superlative. 10,5 Millionen Dollar, mehr als doppelt so viel wie ursprünglich geplant, hat er gekostet.

Monolith

Im Genre des Science-Fiction-Films kommt einem "2001" auch 50 Jahre nach seiner Premiere immer noch wie ein Monolith vor, der seine Vorgänger alt aussehen lässt und seine Nachfolger blass. In der Ausstellung laufen Ausschnitte aus früheren Sci-Fi-Filmen, um zu zeigen, "welchen Quantensprung 2001 bedeutet hat", wie Kurator Hans-Peter Reichmann sagt. Wer sich den Film heute - am besten im Kino - anschaut, wird wie der Zuschauer damals von den atemberaubenden Bildern des Films gefangen sein. Und den Mut, einen fast dreistündigen Film mit Figuren quasi ohne Charakter zu erzählen, hatte danach auch niemand.

So vernarrt 2001 in die Zurschaustellung der technischen Zukunft ist, so skeptisch, und damit sehr modern, bleibt er doch auch, gerade durch den Kampf des Astronauten Bowman (Keir Dullea) in der dritten Episode gegen den fühlenden und übergriffigen Computer HAL 9000. Es ist ein Kampf gegen die Übermacht der Maschine und der Bits und Bytes, ein Paradigma für spätere Filme wie "Alien" ("Mother") oder die "Terminator"-Serie. Aus dieser Episode zeigt die Ausstellung etwa Bowmans Bord-Overall und seinen Raumanzug.

Utopie zum Greifen nah

Im Jahr 1968 lagen die Utopien zum Greifen nahe, ob in San Francisco, Frankfurt oder Prag. Vielleicht hat die technologische Utopie des Films damals auch viele Zuschauer angezogen; die Trickmodelle, die die Ausstellung zeigt, etwa von der Raumfähre, wirken heute überhaupt nicht antiquiert. Viele der Utopien von ´68 sind zu Grabe getragen worden , aber "2001" hat auch heute noch sein uneingelöstes utopisches Momen: Bis zum Jupiter ist immer noch kein Mensch geflogen und den Kontakt mit anderen intelligenten Lebewesen aus dem All hatten wir seitdem auch nur im Film.

Es gehört zu den Geniestreichen von "2001", dass er die außerirdische Intelligenz nie zeigt - viel mehr, als dass sie vor vier Millionen Jahren schon da war, bringen wir als Zuschauer nicht in Erfahrung. Auch nach 50 Jahren bleiben Bowmans Reise durch den psychedelischen Lichttunnel und seine Wiedergeburt als Sternenkind ein Rätsel. Und so viele wir in dieser Ausstellung über die Entstehung dieses Films erfahren - dieses Rätsel lüftet die Ausstellung auch nicht.

Von Rudolf Worschech (epd)


Kunsthistoriker und Theologen präsentieren "Karlsruher Passion"


Karlsruher Passion
epd-bild/Christine Suess-Demuth

Ein spätgotisches Meisterwerk zum Leiden und Sterben Jesu präsentieren Theologen und Kunsthistoriker in Karlsruhe. Unter dem Motto "Sieben Tafeln - sieben Tage" erläutern sie in Führungen die Bilder der "Karlsruher Passion", die in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu sehen sind. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) steht seit Palmsonntag täglich eine Tafel im Mittelpunkt.

Die sieben erhaltenen Werke gelten wegen ihrer Ausdruckskraft und der Detailliertheit als Meilenstein spätgotischer Malerei. Über den vermutlich in Straßburg ansässigen Künstler der Bilder, die um 1450/55 entstanden sind, ist nichts bekannt. Kunsthistoriker gehen davon aus, dass die Tafeln aus einem zehn- bis zwölfteiligen Bilderzyklus stammen. Grund dafür sei, dass im Unterschied zu üblichen Bildfolgen die Darstellung der Kreuzigung fehle, dem zentralen Ereignis der Heilsgeschichte.

"Eindringlicher Erzähler"

Christus am Ölberg, Gefangennahme, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung, Entkleidung und Kreuzannagelung: Sechs der 46 auf 67 Zentimeter großen Tafeln, Mischtechnik auf Nussholz, sind im Besitz der Kunsthalle. Die siebte Tafel, die die Gefangennahme Christi zeigt, ist eine langfristige Leihgabe aus der Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums Köln. Ob es weitere Tafeln des Bildzyklus gibt, die ursprünglich für die Straßburger Stiftskirche St. Thomas gemalt wurden, ist nicht bekannt.

"Der Meister der Karlsruher Passion ist ein großartiger und eindringlicher Erzähler", erklärte die Kunsthalle Karlsruhe. Die an erzählerischen Details reiche Darstellung solle die christliche Heilslehre vermitteln, bei den Betrachtern Mitleid erwecken und zur Nachfolge Christi auf Erden bewegen. Literarische Quellen der expressiven Darstellungen seien etwa spätmittelalterliche Passionstraktate.



"Power to the People" - Schirn zeigt politische Kunst der Gegenwart


Installation von Andrea Bowers "Radical Feminist Pirate Ship Tree Sitting Platform"
epd-bild / Thomas Rohnke
Kann Kunst heute noch politisch sein? Dass Künstler vieler Länder dieser Überzeugung sind, macht eine Ausstellung in Frankfurt am Main deutlich.

Um einen Konferenztisch sitzen Männer in weißen Hemden, die dunklen Jacken auf den Stuhllehnen. Die Haltung der Männer überrascht: Köpfe und Oberkörper hängen vornübergebeugt über den Knien, die Hände schleifen schlaff am Boden. Das wandgroße Ölbild von Adelita Husni-Bey ist das erste Gemälde der Ausstellung "Power to the People - Politische Kunst Jetzt", die die Schirn-Kunsthalle in Frankfurt am Main bis zum 27. Mai zeigt. Mit der Arbeit "The Sleepers" (Die Schläfer) kritisiert die Künstlerin aus New York die Untätigkeit der Herrschenden.

Ein Foto des Gemäldes soll nach einem Bericht von Husni-Bey im libyschen Bengasi auf Plakate gedruckt worden sein, um gegen die Regierung zu protestieren. "Wie politisch darf Kunst sein?", fragt der Schirn-Direktor Philipp Demandt. Klar sei: "Wir erleben eine Rückkehr der Kunst ins Politische." Die Frankfurter Kunsthalle will eine Bestandsaufnahme der Gegenwart zeigen. 43 internationale Werke hat die Kuratorin Martina Weinhart ausgesucht, darunter Installation, Fotografie, Zeichnung, Malerei und Film. Unter den Künstlern sind Guillaume Bijl, Osman Bozkurt, Hiwa K, Ricarda Roggan und Jens Ullrich.

Wahlkabinen als Kunstwerk

Weinhart macht auf ein Problem der Demokratie aufmerksam: Die Wahlbeteiligung etwa bei Oberbürgermeisterwahlen in deutschen Großstädten sinke inzwischen auf 30 Prozent. Doch selbst das Abhalten von Wahlen garantiert noch keine Bürgerbeteiligung. Entsprechend eröffnet die Ausstellung mit dem "Wahlkabinenmuseum" von Guillaume Bijl. Der Antwerpener Künstler hat Wahlkabinen aus verschiedenen Ländern nachgebaut und an die Wand gestellt - die spröde Installation entlarvt sie als Kulisse.

Das Motiv weiterinterpretiert hat die Leipziger Künstlerin Ricarda Roggan mit einem "Triptychon" aus drei Fotografien. Sie zeigen die Stühle und Tische mit Wahlurne für den Ablauf der Betriebswahlen in einer Leipziger Baumwollspinnerei aus der Zeit der DDR. Kaum jemand habe sich getraut, die Form zu wahren und die Wahl geheim vorzunehmen, schreibt die Künstlerin: Er hätte sich verdächtig gemacht.

Laserblitze

Eine Wahl kann Wähler auch versehren. Osman Bozkurt aus London hat mit der Fotoarbeit "Marks of Democracy" zehn Finger in Übergröße porträtiert, die mit Farbe markiert sind. Mal ist es ein Punkt oberhalb des Nagelbetts, mal ist der ganze Nagel beschmiert. Die meisten Bilder sind 2002 direkt nach der Parlamentswahl in der Türkei entstanden. Die Spezialtinte sei wochenlang sichtbar gewesen - nicht nur eine Vorbeugung vor Wahlbetrug, sondern auch ein Ausdruck staatlicher Kontrolle über die Beteiligung an der Wahl.

Wenn Bürger die Auseinandersetzung mit der staatlichen Herrschaft aufnehmen, liegt Gewalt in der Luft. Der Istanbuler Halil Altindere lässt in seiner Videoarbeit "Ballerinas and Police" Balletttänzerinnen in weißen Tüllröcken zu Peter Tschaikowskys Schwanensee tanzen, als schwarz gekleidete und schwer bewaffnete Polizisten in die Probe einbrechen. Dabei verschwimmen die Grenzen: Aus den Augen einiger Tänzerinnen scheinen Laserblitze zu entfahren, und Polizistinnen nähern sich ebenfalls in Ballettschuhen auf Zehenspitzen tanzend.

Zitronen gegen Tränengas

Eine Konfrontation in Realität zeigt das Videoprojekt des "documenta-14"-Künstlers Hiwa K "This Lemon Tastes of Apple". Die Dokumentation zeigt, wie er mit einem Freund auf der letzten Demonstration des "irakischen Frühlings" vor der gewaltsamen Niederschlagung im irakisch-kurdischen Sulaimaniyya mit einer Menge durch die Stadt zieht und die Melodie von "Spiel mir das Lied vom Tod" spielt. Das Bedrohliche der Situation ist spürbar. Demonstranten reichen sich Zitronen gegen Tränengas. Schließlich rennen Menschen, einige bluten.

50 Jahre nach 1968 wolle die Kunsthalle Schirn mit der Schau ein "Seismograph der Zeit" sein, sagt Direktor Demandt. Er öffnet seine Jacke: Statt wie sonst Hemd und Krawatte trägt er ein weißes T-Shirt, das Rirkrit Tiravanija mit dem Slogan bedruckt hat: "Freedom cannot be simulated". Kunst hat also eine Grenze, Freiheit drängt zur Tat. Deshalb soll das Textilwerk nicht auf die Schau beschränkt sein: Die Schirn hat 3.000 T-Shirts bestellt, die diese Erkenntnis in die Welt tragen sollen.

Von Jens Bayer-Gimm (epd)


Filme der Woche

1000 Arten Regen zu beschreiben

Was geschieht mit einer Familie, wenn plötzlich jemand wegfällt? Diese Frage wird in Isa Prahls erstem Langfilm durch die verschlossene Tür ausgelöst, die den Sohn von seiner Familie trennt. Er kommuniziert aus seinem selbstgewählten Exil nur noch durch kleine Zettelchen. Was für uns (noch) fremdartig klingt, ist in Japan ein verbreitetes Phänomen, Hikikomori genannt. Es geht Prahl jedoch nicht um das Schicksal des Jungen, sondern um den Umgang der Familie damit. Das inszeniert sie gelungen mit einer spannenden Kameraarbeit und der eindrücklichen Musik von Volker Bertelmann (Hauschka).

1000 Arten Regen zu beschreiben (Deutschland 2017). Regie: Isa Prahl. Buch: Karin Kaci. Mit Bibiana Beglau, Bjarne Mädel, Emma Bading, Janina Fautz, Louis Hofmann. Länge: 92 Minuten. FSK: ab 12 Jahre. FBW: besonders wertvoll.



The Death of Stalin

Stalin ist tot. In der fiktionalisierten Geschichte von Armando Iannucci wirft das viele Fragen auf. Wer stellt den Tod fest? Wer wird auf die Beerdigung eingeladen? Die wichtigste Frage ist aber, wer wird sein Nachfolger? Iannucci geht es dabei nicht um eine authentische Abbildung der historischen Ereignisse. Er präsentiert in seiner - in Russland verbotenen - Politsatire den Machtkampf von Stalins Vertrauten in einer überaus schwarzhumorigen Inszenierung. Das Geschehen wird zwar etwas hektisch, die großartigen Schauspieler um Steve Buscemi (als Chruschtschow) schaffen es jedoch, für genug unterhaltsame Momente zu sorgen.

The Death of Stalin (Frankreich, Großbritannien, Belgien 2017). Regie: Armando Iannucci. Buch: Armando Iannucci, David Schneider, Ian Martin, Peter Fellows. Mit Steve Buscemi, Simon Russell Beale, Jeffrey Tambor, Michael Palin, Paul Whitehouse, Jason Isaacs, Andrea Riseborough, Rupert Friend. Länge: 106 Minuten. FSK: ab 12 Jahre. FBW: wertvoll.



Exodus - Der weite Weg

200 Millionen Menschen sollen sich weltweit auf der Flucht befinden. Der deutsche Regisseur Hank Levine beobachtete über zwei Jahre sieben Menschen, die aus verschiedenen Winkeln der Welt fliehen mussten. Die jeweiligen Fluchtursachen interessieren ihn weniger als die Schicksale der Fliehenden und die teils erzwungene Rastlosigkeit. Doch Levines Film verliert sich mitunter in der Menge seiner Geschichten. So beleuchtet "Exodus - Der weite Weg" zwar ein politisch hochbrisantes Thema, bleibt aber der Oberfläche verhaftet.

Exodus - Der weite Weg (Deutschland/Brasilien 2017). Regie: Hank Levine. Buch: Hank Levine. Mit Tarcha Mohamed-Malainin, Dana Al Balkhi, Napuli Görlich, Nizar Raja. Länge: 105 Minuten.



Im Zweifel glücklich

Ben Stiller ist mittlerweile der Darsteller für nicht mehr ganz so junge Männer in der Sinnkrise. Auch in "Im Zweifel glücklich" spielt Stiller einen Mann, der mit seiner Situation unzufrieden ist und an dem Selbstzweifel nagen. Seine Studienfreunde hält er für erfolgreicher, und sein Sohn ist kurz davor, selbst auf die Universität zu gehen. Die absehbare Erkenntnis wird dem Zuschauer von Regisseur Mike White quasi untergejubelt und nicht per Zeigefinger verdeutlicht. White porträtiert seinen unglücklichen Durchschnittshelden mit viel Sympathie und lässt dennoch auch eine leise Kritik mitschwingen.

Im Zweifel glücklich (USA 2017). Regie: Mike White. Buch: Mike White. Mi: Ben Stiller, Austin Abrams, Michael Sheen, Jenna Fischer, Luke Wilson, Jemaine Clement. Länge: 102 Minuten.

www.epd-film.de



Medienwissenschaftler wirft Tellkamp "rhetorische Eskalation" vor

Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat dem Schriftsteller Uwe Tellkamp nach dessen umstrittenen Äußerungen über Flüchtlinge und der darauffolgenden Kritik rhetorische Eskalation vorgeworfen. Tellkamp habe die vermeintliche Diskursanalyse "in eine ressentimentgeladene Show verwandelt", sagte Pörksen der Dresdner "Sächsischen Zeitung".

Tellkamp "wollte, manchmal zitternd vor Wut, abrechnen, nicht diskutieren", so der Forscher weiter. Die anschließende "Rede von einem 'Korridor der erwünschten Meinung' oder einer 'Gesinnungsdiktatur' war für ihn ein Mittel der weiteren rhetorischen Eskalation", erklärte Pörksen. "Ich würde jedoch einwenden: Gehört der Widerspruch nicht zum Diskurs dazu?", so der Forscher.

Suhrkamp-Distanzierung

Tellkamp hatte am 8. März in Dresden in einer Diskussion mit dem Dichter Durs Grünbein unter anderem gesagt, mehr als 95 Prozent der Migranten flüchteten nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kämen, "um in die Sozialsysteme einzuwandern". Der Suhrkamp-Verlag, bei dem 2008 Tellkamps Bestseller "Der Turm" erschien, distanzierte sich daraufhin von seinem Autor.

Ausgangspunkt der Debatte war die sogenannte "Charta 2017", die sich im vergangenen Jahr gegen den Ausschluss rechter Verlage von der Buchmesse ausgesprochen hatte. Darin wird unter anderem vor einer "Gesinnungsdiktatur" gewarnt. Tellkamp gehörte zu den Erstunterzeichnern.

"Empörungsspiel"

Pörksen kritisierte auch eine Reaktion des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU), der sich vor den Dresdner Schriftsteller stellte. Auf Twitter schrieb Kretschmer: "Ärgerlich ist die schon wieder beginnende Stigmatisierung." Pörksen sagte der Zeitung, diese Aussage setze "das von Reflexen gesteuerte Empörungsspiel einfach nur fort".

Eine Ursache für teilweise überhitzte öffentliche Debatten ist für den Medienwissenschaftler das Internet. Das Netz erlaube die "Sofort-Konfrontation mit anderen Ansichten - und wirkt hintergründig als Eskalationsverstärker", erklärte Pörksen.




Entwicklung

Täglich noch immer fast 5.000 Tuberkulose-Tote


Behandlung einer an Tuberkulose erkrankten Frau in Haiti (Archivbild)
epd-bild / Stefan Trappe
Weltweit mehr als zehn Millionen Erkrankungen und 1,7 Millionen Tote im Jahr, in Deutschland fast 6.000 Fälle bei 100 Toten: Die Tuberkulose ist nach wie vor da. Dabei ist sie seit Jahrzehnten heilbar – eigentlich.

Als der Komponist Frédéric Chopin 1849 an Tuberkulose starb, war die Krankheit noch ein großes Rätsel. 1924, als der Schriftsteller Franz Kafka der "Schwindsucht" erlag, waren die Forscher dem Erreger schon seit einigen Jahrzehnten auf der Spur. Bis wirksame Medikamente bereitstanden, dauerte es aber bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Seitdem ist die Tuberkulose heilbar - eigentlich. Doch noch immer ist sie für jährlich etwa 1,7 Millionen Todesfälle verantwortlich, das sind nahezu 5.000 jeden Tag.

Dafür gibt es vor allem drei Gründe: Armut und katastrophale Lebensverhältnisse, das tödliche Zusammenspiel mit dem Aids-Virus und dass die Medikamente in zunehmendem Maße gar nicht mehr wirken. "Inzwischen gibt es Erreger, die gegen alle bekannten Medikamente resistent sind", erklärt die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) zum Welt-Tuberkulose-Tag am 24. März. "Diese gefährlichste Form der resistenten TB ist bisher weder erforscht noch behandelbar. Sie endet in circa 60 Prozent aller Fälle tödlich."

Menschengemacht

Die Resistenzen sind vom Menschen gemacht. Wenn die Behandlung mit einem Cocktail aus mehreren Antibiotika nicht wie vorgeschrieben über Monate hinweg regelmäßig durchgehalten wird, können Tuberkulose-Bakterien überleben und Widerstand gegen die Medikamente aufbauen. Bei den weltweit rund 10,4 Millionen TB-Erkrankungen im Jahr 2016 machte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fast einer halbe Million Fälle aus, in denen die zwei wichtigsten der vier Antibiotika aus dem Standard-Therapie-Mix nicht mehr wirkten. In Deutschland waren es laut dem Robert-Koch-Institut bei knapp 6.000 Erkrankungen mehr als 100, bei fast 400 weiteren Patienten hatte zumindest ein Medikament seine Schlagkraft verloren.

Tuberkulose zählt noch immer zu den zehn häufigsten Todesursachen. Mehr als 95 Prozent der TB-Todesfälle hat die WHO laut ihren aktuellsten Zahlen dabei in Entwicklungs- und Schwellenländern registriert. Vor allem in Afrika südlich der Sahara spielt die Immunschwächekrankheit Aids den Tuberkulosebakterien in die Hände: Ist das Immunsystem geschwächt, können die leicht angreifen. TB sei einer der "Haupt-Killer" bei HIV-positiven Menschen, erklärt die WHO: 40 Prozent aller Todesfälle bei HIV-Patienten seien 2016 auf das Konto der Tuberkulose gegangen, also bei etwa 400.000 Menschen.

Auslöser Hunger

Neben schwächenden Krankheiten sind es oft unsägliche Lebensbedingungen, die den TB-Bakterien Tür und Tor öffnen. Ein Viertel bis ein Drittel der Menschheit trägt nach Schätzungen den Erreger in sich, im Normalfall ist das aber kein Problem, die Krankheit bricht nicht aus. Hunger und Mangelernährung jedoch reißen die Barriere ebenso nieder wie immenser Stress - etwa bei Krieg und Flucht. Auch katastrophale beengte Wohnverhältnisse wie in den Slums der Megastädte begünstigen die TB, die sich durch Tröpfcheninfektion verbreitet.

Bekannt und am häufigsten ist die Lungentuberkulose, aber auch andere Organe können befallen sein. Dann ist die Diagnose schwieriger. Doch dass die Krankheit rechtzeitig erkannt wird, ist auch eine Voraussetzung für ihre erfolgreiche Bekämpfung. Gerade in armen Ländern ist hier noch viel Spielraum nach oben.

Auch in Deutschland bleibt die Tuberkulose ein ernstes Problem. "Die häufig zu lesende Aussage 'Die Tuberkulose kehrt zurück' ist nicht korrekt", betont das Robert-Koch-Institut. "Denn auch in Deutschland war die Tuberkulose nie verschwunden, wenngleich sich die Erkrankungszahlen seit Mitte der 1990er Jahren mit damals über 12.000 Fällen heute mehr als halbiert haben." 2016 waren es 5.915 Erkrankungen, darunter 233 Kinder unter 15 Jahren. 100 Menschen konnten nicht gerettet werden.

Wettlauf mit der Zeit

Bei immerhin einem Viertel der Diagnosen handelte es sich laut RKI um in Deutschland geborene Patienten. "Unter diesen sind besonders Menschen betroffen, die sich meist in den Kriegs- und Nachkriegsjahren mit dem Tuberkulose-Bakterium infiziert haben und im höherem Alter, oft begünstigt durch immunschwächende Begleiterkrankungen, eine Tuberkulose entwickeln", erklärt das Institut.

Genau 136 Jahre nachdem Robert Koch das Tuberkulose-Bakteriums entdeckte, ist die Wissenschaft wieder im Wettlauf mit der Zeit. Über Jahrzehnte hinweg habe die Forschung die Tuberkulose sträflich vernachlässigt, beklagt das RKI. Auch bei den neuen Medikamenten, die bei Resistenzen zum Einsatz kommen, klafft eine große Lücke: Für Patienten in armen Ländern seien sie kaum bezahlbar, betont die DAHW. "So sterben Menschen, weil sie arm sind."

Von Silvia Vogt (epd)


Kritik an EU-Erlaubnis für Fusion von Bayer und Monsanto


Traktor mit Sprühanlage auf einem Maisfeld
epd-bild/Steffen Schellhorn
Noch vor Kurzem erregte die neue Zulassung für Glyphosat die Gemüter. Jetzt geht es indirekt wieder um das Pflanzengift: Die Europäische Union hat nun auch die Übernahme von Glyphosat-Hersteller Monsanto durch den deutschen Bayer-Konzern erlaubt.

Die EU-Kommission hat dem deutschen Chemiekonzern Bayer die Übernahme des US-Agrar-Riesen Monsanto erlaubt. Die Fusion sei an umfangreiche Auflagen geknüpft, erklärte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager am 21. März in Brüssel. Trotzdem hagelte es Kritik von Umweltschützern und Entwicklungsexperten, die höhere Preise für Saatgut und eine weitere Industrialisierung der Landwirtschaft befürchten.

Monsanto und Bayer gehören zu den weltgrößten Anbietern von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln, der US-Konzern vertreibt unter anderem das umstrittene Pestizid Glyphosat. Durch die Übernahme entsteht nach Kommissionsangaben "der weltweit größte integrierte Anbieter von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln".

Auflagen

Damit der neue Konzern keine zu große Marktmacht bekommt, hat sich Bayer zu umfangreichen Verkäufen verpflichtet. Sie belaufen sich laut EU auf über sechs Milliarden Euro. Unter anderem wolle Bayer fast sein gesamtes Geschäft für das Saatgut von großflächig angebauten Pflanzen wie Sojabohnen und Raps verkaufen.

Die Fusions-Entscheidung erntete den Auflagen zum Trotz viel Kritik aus umwelt- und entwicklungspolitischer Perspektive. Der NABU sieht die Entscheidung "im Gegensatz zu den Forderungen von Umweltschützern und Verbrauchern auf der ganzen Welt, die sich eine umweltverträglichere, gift- und gentechnikfreie Landwirtschaft wünschen".

Die Grünen-Europaabgeordnete Maria Heubuch erklärte: "Schon heute teilen sich Konzerne die Märkte in Entwicklungsländern auf, dieser Trend wird sich nun noch verschärfen." Skeptisch ist auch "Brot für die Welt". "Wir sehen es durchaus als Gefährdung der Welternährung an", da nun nur noch vier Konzerne den Saatgut- und Pestizidbereich kontrollieren würden, sagte Stig Tanzmann, Agrarexperte des evangelischen Hilfswerks.

Vertreibungen befürchtet

Die Menschenrechtsorganisation FIAN verweist auf eine weitere Gefahr. Schon heute erschwerten in vielen Ländern staatliche Regeln die Eigenproduktion von Saatgut durch Landwirte sowie dessen lokalen Verkauf und Tausch. Der Einfluss der Konzerne, die in dieser Richtung Druck auf die Politik ausübten, nehme mit Fusionen zu, meint FIAN-Deutschland-Geschäftsführer Philipp Mimkes. "Wir befürchten, dass die Kleinproduzenten, die ja nach wie vor für 70 Prozent der Weltbevölkerung die Nahrung herstellen, dass die weiter an den Rand gedrängt werden", sagte Mimkes dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Misereor beruft sich auf eigene Erfahrungen mit Partnern weltweit, wenn es die Folgen der industriellen Landwirtschaft beschreibt: "Durch die Förderung großflächig angebauter Monokulturen wie Soja und Mais werden viele Bäuerinnen und Bauern von ihrem Land vertrieben", heißt es in einer Mitteilung des katholischen Hilfswerks. Die Gesundheit von Millionen Menschen in den Anbaugebieten leide unter dem Einsatz von Pestiziden.

Fünf Tage für 750 Seiten

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) kritisierte das Verfahren, das zur Fusionsentscheidung führte. Zwar habe die AbL eine Stellungnahme abgeben können, doch unter fragwürdigen Umständen: "5 Tage Zeit, um 750 Seiten der Bewertung der Kommission zu lesen und dazu Stellung zu nehmen, wobei alle relevanten Marktdaten und Informationen geschwärzt sind und es keine öffentlich zugänglichen aktuellen Marktdaten gibt."

Inhaltliche Fehler bei der wettbewerbsrechtlichen Prüfung wirft der EU-Kommission die Initiative "Konzernmacht beschränken" vor. Die EU habe etwa die Bedeutung vor- und nachgelagerter Produktionsstufen zu unkritisch betrachtet. "Dabei ist es das ausdrückliche Ziel von Bayer-Monsanto, in Zukunft 'integrierte Lösungen', sprich Kombipakete von Saatgut und Pestiziden, anzubieten, die sie auch über ihre digitale Plattform verkaufen wollen", erklärte das Bündnis aus knapp 30 zivilgesellschaftlichen Organisationen.



Neuer Marshallplan oder Symbolpolitik?


Ein Tochter-Unternehmen des deutschen Energiekonzerns EON betreibt in Tansania ein lokales Stromnetz,
epd-bild/Tillmann Elliesen
Mit einem "Marshallplan" will Deutschland afrikanische Länder wirtschaftlich stärken. Die Menschen sollen besser leben und letztlich nicht nach Europa auswandern, Rückkehrern soll die Heimat attraktiv werden. Migrationsexperten sind nicht überzeugt.

Dem Marshallplan folgte in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg das Wirtschaftswunder. Das legendäre US-Wiederaufbauprogramm half den völlig zerstörten Ländern Westeuropas wieder auf die Beine. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) will nun in seiner zweiten Amtszeit seinen "Marshallplan mit Afrika" vorantreiben. Es geht darum, den vielen Jugendlichen auf dem Kontinenten, auf dem der Altersdurchschnitt bei 18 Jahren liegt, Zukunftschancen zu bieten - auch, damit sie sich nicht auf den Weg nach Europa machen.

So sollen etwa deutsche Firmen investieren und in Afrika Jobs und Ausbildungsplätze schaffen. Migrationsexperten sehen die Maßnahmen kritisch, befürchten Symbolpolitik, da die Bereitschaft von Firmen zu Privatinvestitionen in Afrika sehr gering sei. Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik sagt, für viele Afrikaner sei es nach wie vor am attraktivsten, in Europa zu arbeiten und das verdiente Geld direkt an ihre Familien zu schicken.

Heimatüberweisungen

Die Bundesbank schätzt die "Heimatüberweisungen der Gastarbeiter" allein im Jahr 2017 aus Deutschland in afrikanische Länder auf rund 230 Millionen Euro - wobei Gelder, die über informelle Kanäle nach Afrika gelangen, in diesen Statistiken gar nicht erfasst sind. Die Weltbank stellte in einem Bericht 2016 fest, dass diese Geldtransfers - die den Angaben nach drei Mal das Volumen der internationalen Entwicklungshilfe hatten - die Lebensader für Millionen Haushalte in Entwicklungsländern sind.

Der "Pferdefuß" beim deutschen Vorgehen ist laut Schraven zudem, dass der Entwicklungshilfe das Etikett "Fluchtursachen bekämpfen" anhänge. Der eigentliche Zweck der Entwicklungszusammenarbeit, bessere Lebensbedingungen in den Ländern des globalen Südens zu schaffen, werde überlagert von weitgehend innenpolitischen deutschen Zielen, kritisiert er.

Rückkehrprogramm

Müller wiederum wirbt für einen Ansatz der "vernetzten Sicherheit", bei dem Sicherheit und Entwicklung gleichrangig sind. Dafür sieht auch der Koalitionsvertrag von Union und SPD die Koppelung von Entwicklungshilfe und Verteidigung vor. Die Ausgaben für beide Bereiche werden künftig im Verhältnis 1:1 erhöht - in den vier Jahren bis 2021 insgesamt um zwei Milliarden Euro.

Ein Programm, wo deutsche Innen-, Außen- und Entwicklungspolitik zusammenlaufen, ist das Flüchtlingsrückkehrprogramm "Perspektive Heimat", über das sogenannte Migrationsberatungszentren unter anderem in Ghana, Marokko, im Senegal und Tunesien entstanden sind. Weitere sind in Nigeria und Ägypten geplant. Freiwillige Rückkehrer sollen hier in ihre Heimatländer reintegriert werden, aber auch alle, die auf Jobsuche sind, beraten werden.

Laut einem Sprecher des Entwicklungsministeriums wurden in Tunesien seit der Eröffnung eines solchen Zentrums im März 2017 rund 1.000 Beratungsgespräche geführt, davon knapp 40 mit Rückkehrern aus Deutschland. In Ghana seien es seit vergangenem Dezember ebenfalls rund 1.000 Gespräche gewesen, im Senegal seit Januar rund 440 und in Marokko seit September etwa 40.

84 Menschen in Beschäftigung

Einer Antwort des Entwicklungsministeriums vom Januar auf eine Kleine Anfrage der Links-Fraktion zufolge sind in insgesamt elf Länder, in denen Migrationsberatungszentren arbeiten oder geplant sind, von Januar bis Ende November 2017 gut 15.000 Menschen freiwillig zurückgekehrt. Diese Rückkehr wird unter anderem mit finanziellen Hilfen unterstützt. In Tunesien wurden demnach bis Ende November 2017 insgesamt 84 Menschen in Beschäftigung gebracht - etwa in der Gastronomie, in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungssektor.

Die für Migration und Westafrika zuständige Projektkoordinatorin der Organisation medico international, Sabine Eckart, hat aber Zweifel, ob die vermittelten Tätigkeiten überhaupt existenzsichernd sind. "Es wird der Anschein erweckt, man könne Leute nachhaltig in Arbeit bringen, dabei ist die Zahl der tatsächlich vermittelten Menschen sehr gering", sagt sie ferner.

Und wie das Ende einer "Rückkehr" auch aussehen kann, beschreibt Eckart am Beispiel des westafrikanischen Sierra Leone. Der Flughafen der Hauptstadt Freetown liege auf der anderen Seite einer großen Lagune und es koste 40 Dollar (rund 32 Euro), um mit dem Boot in die Stadt zu kommen. Jene Abgeschobenen, sagt sie, die dort weder Anlaufstelle noch Unterstützung hätten, würden am Flughafen "oft regelrecht ausgekippt und verwahrlosen im direkten Umfeld".

Von Mey Dudin (epd)


Stiftung: Drei Viertel aller Abtreibungen in Afrika sind unsicher

Die Stiftung Weltbevölkerung beklagt eine gleichbleibend hohe Zahl von Abtreibungen in afrikanischen Ländern. Dort habe es zwischen 2010 und 2014 durchschnittlich 8,2 Millionen Schwangerschaftsabbrüche im Jahr gegeben, teilte die Stiftung am 20. März in Hannover mit. Drei Viertel dieser Abtreibungen fänden unter unsicheren Bedingungen statt. Mindestens jeder zehnte Todesfall bei Müttern gehe darauf zurück. Die Stiftung beruft sich dabei auf eine Studie des US-amerikanischen Guttmacher Instituts.

Danach liegt die Abtreibungsrate in Afrika seit 20 Jahren nahezu unverändert bei 34 Abtreibungen pro 1.000 Frauen in einem Zeitraum von fünf Jahren. In den Industrieländern sei die Rate um mehr als ein Viertel auf 27 Abtreibungen pro 1.000 Frauen gesunken. Als unsicher gilt der Stiftung zufolge eine Abtreibung dann, wenn kein medizinisch geschultes Personal anwesend ist und wenn der Eingriff unter unhygienischen Bedingungen und mit ungeeigneten Mitteln wie Stricknadeln oder Pflanzenschutzmitteln vorgenommen wird.

Ungewollte Schwangerschaft

Nach der US-amerikanischen Studie könnten viele dieser Todesfälle durch eine bessere Gesundheitsversorgung verhindert werden. Einer der Hauptgründe für die hohen Abtreibungszahlen in Afrika seien ungewollte Schwangerschaften. Abtreibungsverbote verhinderten der Studie zufolge Schwangerschaftsabbrüche nicht, sondern förderten im Gegenteil zumeist unsichere Abtreibungen. Um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden, müsse den Mädchen und Frauen der Zugang zu Aufklärungsangeboten und modernen Verhütungsmitteln erleichtert werden.



Myanmars Präsident Htin Kyaw überraschend zurückgetreten


Htin Kyaw, Aung San Suu Kyi und Unterhaus-Sprecher Win Myint bei ihrer Vereidigung 2016
epd-bild/Verena Hoelzl
Der Rücktritt eines ihrer engsten Vertrauten kommt für die myanmarische De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi zu einem prekären Zeitpunkt: Ihr Land steht wegen des brutalen Umgangs mit den muslimischen Rohingya international in der Kritik.

Der Präsident von Myanmar, Präsident Htin Kyaw, ist überraschend zurückgetreten. Er habe darum gebeten, sein Amt mit sofortiger Wirkung niederlegen zu können, berichteten örtliche Medien am 21. März. Der Staatschef begründete den Rücktritt damit, dass er "sich von den gegenwärtigen Aufgaben und Verpflichtungen ausruhen wolle". Es hatte immer wieder Spekulationen über den Gesundheitszustand des 71-Jährigen gegeben, zuletzt hatte er sich im Januar in Singapur behandeln lassen. Gerüchte über eine Aufgabe seines Amtes hatte Myanmars Regierung aber stets zurückgewiesen. Htin Kyaw gilt als einer der engsten Vertrauten und Berater von De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi.

Es war ein offenes Geheimnis, dass Präsident Htin Kyaw in erster Linie protokollarisch und als eine Art Stellvertreter für Suu Kyi fungierte. Zugleich wurde darüber spekuliert, ob sein Rücktritt neben gesundheitlichen auch politische Motive hat. Kritiker bezeichneten ihn mehrfach als "Marionette". In dieser Rolle soll er nicht glücklich gewesen sein. Ein Nachfolger soll innerhalb von sieben Tagen ernannt werden. In der Zwischenzeit übernimmt das Amt der bisherige erste Vizepräsident und Ex-Militär Myint Swe.

Erster Zivilist im Präsidentenamt

Htin Kyaw war am 30. März 2016 als Präsident vereidigt worden. Nach mehr als 50 Jahren Militärherrschaft in Myanmar war er der erste Zivilist auf diesem Posten. Htin Kyaw studierte in Rangun und London Wirtschafts- und Computerwissenschaften und war zeitweise auch als Lehrer tätig. Er und Suu Kyi kennen sich seit ihrer Jugend. Als die frühere Oppositionsführerin während Myanmars Militärherrschaft mehr als 15 Jahre unter Hausarrest stand, war Htin Kyaw einer ihrer wenigen Besucher und Kontakte zur Außenwelt.   Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi selbst ist die Präsidentschaft aufgrund einer umstrittenen Klausel in der Verfassung verwehrt. Diese besagt, dass Personen, deren engste Angehörige Ausländer sind, das Amt nicht antreten dürften. Suu Kyis Söhne sind britische Staatsbürger, auch ihr 1999 verstorbener Mann war Brite. Deswegen wurde für sie extra das Amt der "Staatsrätin" geschaffen.

Der Rücktritt eines ihrer engsten Verbündeten kommt für Suu Kyi zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Denn Myanmar steht wegen des Vorgehens gegen die muslimischen Rohingya international zunehmend in der Kritik. Nachdem die Rohingya-Miliz Arsa Ende August Grenzposten von Polizei und Armee überfallen hatte, begann ein brutaler Feldzug des Militärs gegen die Angehörigen der Volksgruppe. Seitdem sind fast 700.000 Rohingya nach Bangladesch geflohen. Die Flüchtlinge berichten von Morden, Massenvergewaltigungen, Folter und dem Niederbrennen ganzer Dörfer. Die Vereinten Nationen und Menschenrechtler werfen Myanmar ethnische Säuberungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zunehmend auch Völkermord an den Rohingya vor.    



"Allen ist bewusst, dass sie jede Nacht sterben können" - Kriegsalltag im Jemen

Inmitten des Krieges arbeitet Radhya al-Mutawakel im Jemen für die unabhängige Menschenrechtsorganisation Mwatana, die gut 60 Mitarbeiter hat. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) berichtet sie aus der Hauptstadt Sanaa, wie die Menschen ihren Alltag zwischen Leben und Tod zu bewältigen versuchen - drei Jahre nach Beginn der Luftangriffe, die eine saudi-arabische Militärallianz gegen Huthi-Rebellen im Jemen führt.

epd: Frau al-Mutawakel, die Nachrichten aus dem Jemen sind seit Jahren katastrophal. Wie empfinden Sie die Situation in Sanaa?

Radhya al-Mutawakel: Es ist kompliziert, denn Leben und Tod liegen nahe beieinander. Hinter jeder Haustür gibt es eine traurige Geschichte. Die Menschen sterben im Verborgenen, weil es kein Gesundheitssystem mehr gibt, wegen Hunger - oder die Depression treibt sie in den Tod. Und sie sterben durch Folter, Bomben oder Minen. Im Alltag versucht man nicht daran zu denken, aber allen ist bewusst, dass sie jede Nacht sterben können.

epd: Wie bewältigen Sie Ihr tägliches Leben?

Al-Mutawakel: Es fühlt sich unwirklich an, aber trotzdem habe ich noch großes Glück. Denn es gibt keinen Strom in der Stadt, aber ich bekomme welchen über unser Solarsystem. Ich habe Internet, obwohl es sehr schwach und langsam ist. Viele Menschen bekommen seit über einem Jahr gar kein Gehalt mehr. Die Mittelklasse, Menschen, die dachten, sie würden nie arm sein, verkaufen ihre Besitztümer und verbrauchen das Ersparte. Sie können sich nicht überwinden, zu betteln und leiden im Stillen.

epd: Sieht man viele bewaffnete Huthi-Kämpfer auf der Straße?

Al-Mutawakel: Man sieht sie in der Stadt oder in Autos, aber es gibt keine Checkpoints. Die sind eher außerhalb der Stadt und werden von verschiedenen Gruppen errichtet. Früher brauchte man beispielsweise fünf Stunden, um von Sanaa nach Aden zu fahren. Heute sind es zehn. Viel schlimmer als in Sanaa ist die Lage aber zum Beispiel in der Stadt Tais: Dort gibt es keinen Alltag mehr, es gibt tägliche Kämpfe verschiedener Milizen, Bombardierungen, Zivilisten werden verschleppt, gefoltert und getötet.

epd: Wie ist die Lage der Frauen im Jemen?

Al-Mutawakel: Armut und Krieg wirken sich vor allem auf die Frauen aus. Viele haben ihren Mann, ihren Ernährer, verloren und stehen in langen Schlangen an, um Wasser oder Treibstoff zu bekommen. Die Zahl der Kinderehen steigt. Für unsere Organisation Mwatana haben wir im vergangenen Jahr 89 Luftschläge im ganzen Land dokumentiert, bei denen mehr als 300 Menschen getötet wurden: Mehr als die Hälfte der Opfer waren Frauen und Kinder.

epd: Was würden Sie sich von einem Land wie Deutschland wünschen, das mächtig ist und enge Beziehungen zu Saudi-Arabien pflegt?

Al-Mutawakel: Die Deutschen haben sich im UN-Menschenrechtsrat dafür eingesetzt, dass es eine Untersuchung von Kriegsverbrechen im Jemen geben soll. Ich hoffe, sie werden da noch mehr tun und auch, dass sie keine Waffen an Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate verkaufen. Deutschland hat im Jemen keinen schlechten Ruf und könnte eine wichtige Rolle in einem Friedensprozess einnehmen.

epd: Überlegen Sie manchmal, den Jemen zu verlassen?

Al-Mutawakel: Nein. Im vergangenen Jahr war ich gemeinsam mit meinem Ehemann und Kollegen in den USA, um für Menschenrechte im Jemen einzutreten. Wir wurden massiv attackiert, es gab eine regelrechte Hasskampagne vonseiten der Unterstützer der saudischen Militäroperation im Jemen. Sie wollen nicht, dass die jemenitische Seite Gehör findet. Als wir die Rückreise antraten, hieß es, wir würden nach der Ankunft am Flughafen festgenommen. Wir sind das Risiko eingegangen und trotzdem zurückgekehrt, denn wir haben hier eine Aufgabe.

epd: Werden Sie auch in Sanaa für Ihre Arbeit angegriffen?

Al-Mutawakel: Wir sind eine unabhängige Organisation, die inmitten bewaffneter Gruppen arbeitet. Es gibt viele Gefahren und Schwierigkeiten, aber wir arbeiten neutral und professionell und merken, dass uns das einen gewissen Respekt, gar Schutz verschafft.

epd-Gespräch: Mey Dudin


Entwicklungspolitik unter Rechtfertigungsdruck


Brunnenbau in Äthiopien (Archivbild)
epd-bild/CBM/argum/Thomas Einberger
Seit sechs Jahrzehnten wird versucht, Hunger und Armut in der Welt zu bekämpfen. Die Bilanz zeigt Licht und Schatten. Ist Entwicklungshilfe noch zeitgemäß? Die Helfer suchen Orientierung.

Meinungsforscher finden eine breite Zustimmung zur Entwicklungshilfe, aber auch erhebliche Zweifel an ihrer Wirksamkeit. Klaus Seitz vom evangelischen Hilfswerk "Brot für die Welt" konstatiert ein wachsendes Unbehagen an der Entwicklungspolitik, gar eine Rechtfertigungskrise. Denn trotz sechs Jahrzehnten Hilfe sind Armut und Hunger noch nicht überwunden, und die Armutsmigration nimmt zu. Ist es ein Versagen?

"Wir leben in einer Art Schwellenzeit, was die Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit angeht", sagte Seitz auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Hofgeismar bei Kassel, die am 21. März zu Ende ging. Viele Versprechen habe die Entwicklungshilfe nicht halten können. Wo bleibe die Glaubwürdigkeit, wenn es auch nicht gelinge, laut den weltweiten Nachhaltigkeitszielen bis 2030 eine Welt ohne Hunger und Armut zu schaffen?, fragte der Leiter der Abteilung Politik bei "Brot für die Welt".

"Politisch gemacht"

Die Nachhaltigkeitsziele betonen auch den Reformbedarf in wohlhabenden Staaten, was etwa den Verbrauch von Ressourcen und den Umweltschutz angeht. "Wir müssen weg vom Hilfemodus", sagte Seitz. Ziel sei ein Modus der Kooperation, ein solidarisches Miteinander. Doch haben die Kirchen dafür die besseren Rezepte als der Staat?

Thomas Gebauer, Geschäftsführer des Frankfurter Hilfswerks medico international, rief dazu auf, Entwicklungshilfe unbedingt zu verteidigen. Millionen Menschen könnten nur durch die Hilfe überleben, sagte er. Aber die Helfer müssten sich die Frage stellen, ob sie nicht Verhältnisse stabilisierten, die die Hilfsbedürftigkeit erzeugten. "Das multiple Krisengeschehen, das wir heute in der Welt sehen, ist nicht vom Himmel gefallen, es ist politisch gemacht", unterstrich er.

"Kraft der Bewegung"

Gebauer warnte vor einer "Versicherheitlichung" der Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik, die nur auf Gefahrenabwehr und eine Sicherung der bestehenden Machtverhältnisse abziele. "Frieden verlangt Veränderung", betonte er. Gegen das Effizienzdenken nach betriebswirtschaftlichen Kriterien in der Entwicklungshilfe stellte er die Vision einer "solidarischen Weltgesellschaft", für die Initiativen grenzüberschreitend kämpfen sollten. "Wir brauchen die Kraft der Bewegung", sagte er.

Susanne Neubert, die an der Berliner Humboldt-Universität das Seminar für Ländliche Entwicklung leitet, betonte die Notwendigkeit globaler Veränderungen. "Auch wir sind ein Entwicklungsland, hinsichtlich der Emissionen und des Drecks, den wir machen", sagte die Agrarökonomin. Sie warnte vor einer internationalen "Sozialhilfe-Falle": Die Entwicklungszusammenarbeit dürfe sich nicht selbst verlängern, sondern müsse sich vielmehr abschaffen.

Neubert zufolge ist das Bild von Entwicklungshilfe ehrlicher und realistischer geworden. "Man muss sich damit abfinden, dass alles, was man tut, Licht- und Schatteneffekte hat", erklärte sie. So sei es schädlich, wenn ein Land mehr als 30 Prozent seines Staatshaushalts aus Entwicklungshilfe beziehe. Die vielen Dollars könnten zu Korruption führen und den Kurs der Landeswährung in die Höhe treiben, was Exporte teurer mache und somit erschwere.

Ökologische Misserfolge

In der Ökologie beobachtet Michael Bohnet mit die größten Misserfolge von sechs Jahrzehnten Entwicklungspolitik. Zwei Milliarden Menschen seien von akuter Wasserknappheit bedroht, der Verlust der Wälder schreite voran, und die Artenvielfalt schwinde weiter, sagte der Volkswirt, der jahrzehntelang in leitender Stellung im Entwicklungsministerium und auch als Professor in Duisburg tätig war. Auch die Zunahme von Konflikten, die Stagnation bei der Hungerbekämpfung und die Flüchtlingskrise gehören zu seiner negativen Bilanz.

Weitgehend unbekannte Erfolgsgeschichten sieht Bohnet dagegen bei Armut, Bildung und Gesundheit: 1990 hätten noch 1,7 Milliarden Menschen von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag leben müssen, heute seien es 780 Millionen. Zugleich warnte er vor einer "Omnipotenzfalle", also einer Überschätzung der Entwicklungshilfe durch Allmachtsfantasien. Die Bedeutung der Hilfe sei zwar in Afrika enorm. Doch anderswo seien andere Geldflüsse viel wichtiger. Bohnet: "Die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit erscheint in vielen großen Ländern Asiens und auch Lateinamerikas eher wie eine Fliege im Kölner Dom."

Von Elvira Treffinger (epd)


Peruanischer Präsident tritt zurück

Pablo Kuczynski ist einem Amtsenthebungsverfahren zuvorgekommen und nimmt seinen Hut. Seinen Nchfolger Martín Vizcarra erwarten ein von der Opposition dominiertes Parlament, zahlreiche Korruptionsskandale und ein Legitimationsproblem der Politik.

Perus Präsident Pedro Pablo Kuczynski ist nach Korruptionsvorwürfen zurückgetreten. Er kam damit einem von der Opposition initiierten Amtsenthebungsverfahren zuvor, das für den 22. März angesetzt war. Dem 79-Jährige wird vorgeworfen, in den Skandal um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht verwickelt zu sein. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 21. März ein Ausreiseverbot für Kuczynski, wie der Radiosender "RPP" berichtete. Vizepräsident Martín Vizcarra wurde am 23. März im Parlament als Nachfolger vereidigt.  

In seiner Rücktrittserklärung wies Kuczynski alle Vorwürfe zurück. "Ich habe fast 60 Jahre meines Lebens ehrlich gearbeitet", betonte der Ökonom in einer Fernsehansprache. Er warf der Opposition vor, die Arbeit seiner Regierung von Anfang an blockiert und ein Klima der Unregierbarkeit geschaffen zu haben.  

Odebrecht-Skandal

Vizepräsident Vizcarra zeigte sich staatsmännisch. "Ich komme nach Peru zurück, um mich dem Land zur Verfügung zu stellen", schrieb er über Twitter. Vizcarra war im September 2017 zum Botschafter in Kanada ernannt worden, sein Amt als Vizepräsident behielt er bei. Der 55-Jährige, der sich durch seinen Auslandsaufenthalt vom Odebrecht-Skandal fernhielt, muss das Land nun aus der politischen Krise führen. Die linke Politikerin und ehemalige Präsidentschaftskandidatin Verónica Mendoza forderte den Vizepräsidenten dazu auf, nach der Amtsübernahme Neuwahlen auszurufen.

Vor allem das Parlament hat laut jüngsten Umfragen an Zustimmung eingebüßt. Die große Mehrheit der Peruaner glaubt, dass mindestens die Hälfte aller Politiker in Korruptionsfälle verstrickt ist. Gegen zahlreiche Ex-Präsidenten und die Oppositionsführerin Keiko Fujimori laufen Ermittlungsverfahren. Ollanta Humala (2011-2016) sitzt seit Juli 2017 in Untersuchungshaft, Alejandro Toledo (2001-2006) soll aus den USA nach Peru ausgeliefert werden.  

Glücklos

Kuczynski agierte seit Beginn seiner Präsidentschaft im Juli 2016 glücklos und stand seit Monaten unter Druck. Seine Beraterfirma Westfield Capital soll zwischen 2004 und 2006 mehrere Hunderttausend Dollar vom brasilianischen Bauriesen Odebrecht erhalten haben. In dieser Zeit war Kuczynski Minister in der Regierung von Alejandro Toledo. Die im Parlament dominierende Oppositionspartei Fuerza Popular von Keiko Fujimori spielte ihre parlamentarische Macht aus und setzte mehrere Minister der Kuczynski-Regierung ab. Die Begnadigung des wegen Menschenrechtsverbrechen verurteilten Ex-Präsidenten Alberto Fujimori sorgte zudem international für heftige Kritik.  

Auslöser für den Rücktritt war nach Berichten peruanischer Medien aber von der Opposition veröffentlichten Videos, die einen Stimmenkauf der Regierung beweisen sollen. Auf den Aufnahmen sollen unter anderem Minister und Kenji Fujimori, der Sohn des begnadigten Ex-Präsidenten zu sehen sein, wie sie Abgeordneten für ihre Stimme gegen eine Absetzung Kuczynskis lokale Bauprojekte versprechen.  

Ein erstes Amtsenthebungsverfahren hatte Kuczynski im Dezember mit den Stimmen von Kenji Fujimori und anderen oppositionellen Abweichlern überstanden. Wenige Tage später begnadigte Kuczynski Ex-Präsident Fujimori. Kritiker sprachen von einem "politischen Deal". Soziale Gruppen fühlten sich verraten, es kam zu Protesten. Bei den Wahlen 2016 hatte sich Kuczynski mit den Stimmen der Anti-Fujimori-Bewegung knapp gegen die Tochter des Ex-Präsidenten, Keiko Fujimori, durchgesetzt.    



Hilfsorganisationen schlagen zum Weltwassertag Alarm


Begehrte Ressource Wasser (Archivbild)
epd-bild/Friedrich Stark
Millionen Menschen weltweit haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitäranlagen. Dadurch drohen nicht nur Krankheiten: Auch auf die Bildung wirkt sich Wassermangel aus.

Zum Weltwassertag haben Hilfsorganisationen mehr Einsatz für Zugang zu sauberem Wasser in Entwicklungsländern gefordert. "Ohne sauberes Wasser und ausreichend Hygiene kann kein Kind gesund aufwachsen", erklärte der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, am 21. März in Köln. Vor allem Babys und Kleinkindern drohten durch verschmutztes Wasser wegen ihres schwachen Immunsystems Krankheiten, sagte Schneider aus Anlass des Weltwassertags am 22. März.

Täglich sterben nach Angaben von Hilfsorganisationen Hunderte Kinder an vermeidbaren Krankheiten, weil sie verschmutztes Wasser getrunken haben. So kommen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation pro Jahr mehr als zwei Millionen Menschen in Folge von Durchfallerkrankungen ums Leben, die meisten von ihnen sind Kinder. Nach Schätzungen von Unicef haben mehr als 663 Millionen Menschen weltweit keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Rund 2,4 Milliarden Menschen können keine hygienischen Latrinen oder Toiletten nutzen.

"Mehr Handys als Toiletten"

Der Weltwasserrat, der derzeit in Brasilia tagt, rief alle Regierungen dazu auf, Wasser zur obersten Priorität zu machen. "Regierungen müssen die Wassersicherheit in allen Sektoren in den Mittelpunkt ihrer nationalen Entwicklungsstrategien stellen und alle Interessengruppen einbeziehen", erklärte der Präsident der Organisation, Benedito Braga, beim Weltwasserforum in Brasilia. Dem Weltwasserrat gehören unter anderem Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und der UN an. Der Schauspieler und Aktivist Matt Damon erklärte auf der Tagung: "Auf der ganzen Welt haben mehr Menschen Handys als Toiletten."

"Brot für die Welt" plädierte in Brasilia dafür, die UN-Nachhaltigkeitsziele zur Richtschnur beim Umgang mit der knappen Ressource Wasser zu machen. Vor allem in Ländern wie Brasilien, aus denen Deutschland große Mengen an Agrargütern importiere und damit den Wasserverbrauch fördere, dürften Menschen nicht im Streit um Wasser vertrieben werden. "Agrar- und Lebensmittelkonzerne, die großen Einfluss auf dem Weltwasserforum haben, dürfen beim Zugang zu Wasser nicht bevorteilt werden", betonte Referentin Andrea Müller-Frank.

Wasser verseucht

Millionen Menschen seien darauf angewiesen, ihren Bedarf an Wasser durch Seen, Bäche oder Flüsse zu decken, sagte Jonas Schubert von der Hilfsorganisation "terre des hommes". "Diese sind jedoch immer häufiger nicht nur durch Fäkalien verseucht, sondern auch durch Chemikalien, Arzneimittel, Pestizide und Schwermetalle wie Arsen, Zyanid oder Blei."

Das Medikamentenhilfswerk Action Medeor verwies auf den Zusammenhang zwischen mangelndem Zugang zu Wasser und Bildung. Action Medeor unterstützt nach eigenen Angaben etwa ein Projekt in Pakistan, wo viele Schulen nicht über ausreichende Sanitäranlagen verfügen. Wenn es keine geschlechtergetrennten Toiletten gebe, besuchten viele Mädchen während ihrer Menstruation nicht die Schule und verpassten so regelmäßig wichtigen Unterricht, hieß es.

Das Forum Umwelt und Entwicklung, ein Bündnis aus Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, erinnerte daran, dass auch Deutschland praktisch Wasser in Form von landwirtschaftlichen Produkten und Industrierohstoffen aus Regionen importiere, die unter Wasserstress leiden. Die Bundesregierung sei in der Pflicht, für Transparenz über die Herkunft von Konsumgütern und Lieferketten zu sorgen, erklärte Helge Swars vom Weltfriedensdienst.



Ägypten: Viele Kopten stehen vor Präsidentschaftswahl zu al-Sisi

Al-Sisi dürfte die Präsidentschaftswahl in Ägypten wieder gewinnen - auch mit den Stimmen von Kopten. Die Furcht vor islamischen Extremisten ist vielfach stärker als der Wunsch nach Demokratie.

Die Bilder sorgten Anfang 2015 für weltweites Entsetzen: In orangefarbenen Overalls knieten 21 koptisch-christliche Ägypter an einem libyschen Strand, wo sie von Extremisten der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) enthauptet wurden. Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Videos im Internet hoben in Ägypten Kampfjets ab. Präsident Abdel Fattah al-Sisi ließ Stellungen des IS bombardieren, um den Tod seiner Landsleute zu rächen.

Seit dem 26. März wird in Ägyptens Wahllokalen der künftige Präsident gewählt. Und da der zweite und weitgehend unbekannte Kandidat Mussa Mustafa Mussa eher als Staffage gilt, steht einer zweiten Amtszeit von al-Sisi wohl nichts im Wege. Viele Christen dürften für den früheren Militärchef stimmen, von dem sie sich Stabilität und Schutz vor islamistischen Übergriffen versprechen. Im Land am Nil stellen sie mit rund neun Millionen Gläubigen zehn Prozent der Bevölkerung - fast alle sind Kopten.

"Psychoterror"

Zu Zeiten der Präsidentschaft von Mohammed Mursi "mussten wir viel Psychoterror erleiden", erinnert Anba Damian, Bischof der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland, an Übergriffe während der Amtszeit des Islamisten. Mursi, der aus der Muslimbruderschaft stammte, war nach den Umstürzen des Arabischen Frühlings bei einer demokratischen Abstimmung zum Staatschef gewählt und nach einem Jahr im Sommer 2013 durch das Militär gestürzt worden. Vor wenigen Tagen lobte in einem Wahlaufruf Koptenpapst Tawadros II. die "nationalen Errungenschaft der vergangenen Jahre", die das Resultat der "Einheit und des Zusammenhalts der Ägypter" sei.

Auf Schutz sind die Kopten in Ägypten in der Tat angewiesen: Auch im vergangenen Jahr hatten sie nach Angriffen und Anschlägen viele Tote zu beklagen: Am Palmsonntag im April 2017 kamen bei einem Doppelanschlag auf Kirchen 47 Menschen ums Leben. Einen Monat später wurden fast 30 Kopten bei einem bewaffneten Übergriff auf einen Bus getötet, mit dem sie auf dem Weg zu einem Kloster waren. Al-Sisi verhängte den Ausnahmezustand, der bis heute gilt.

Folter verbreitet

Doch im Namen des Anti-Terror-Kampfes geht der Präsident auch gegen Oppositionelle, Medien und Kritiker vor. "Die Regierung duldet keine öffentliche Kritik am Präsidenten", fasst Amr Magdi, Ägypter und Mitarbeiter von Human Rights Watch in Berlin, die Lage zusammen. Laut dem Jahresbericht 2018 der Organisation wurden in drei Jahren mehr als 15.000 Zivilisten vor Militärgerichte gestellt. Folter sei verbreitet und auch die berüchtigte Praxis des "Verschwindenlassens": In zwölf Monaten seien fast 400 Menschen verschwunden, etwa 90 bis heute nie wieder aufgetaucht.

Recherchen der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte EIPR zufolge wurden 2017 mindestens 49 Todesurteile vollstreckt. "Früher hat man vor einer Hinrichtung wenigstens noch die Angehörigen benachrichtigt und ihnen die Möglichkeit gegeben, die Gefangenen noch einmal zu besuchen", sagt Menschenrechtler Magdi. Heute würden die Verwandten meist erst im Nachhinein informiert.

"Knechte des Kreuzes"

Christen bekommen in solchen Zeiten den Hass von Muslime zu spüren, die ihnen unterstellen, die autoritären Maßnahmen gut zu heißen. "Dass der Präsident uns gegenüber eine sanfte und freundliche Sprache pflegt, heißt nicht, dass er uns als gleichberechtigte Bürger behandelt", hebt jedoch Anba Damian hervor. Oft seien es Analphabeten, die nach dem Freitagsgebet auf Christen losgingen, da in einigen Moscheen Hass geschürt werde: Als "Ungläubige, Schweinefleischfresser und Knechte des Kreuzes", würden Kopten beschimpft. Eine bessere Bildung, so der Bischof, wäre der Schlüssel.

Magdi bedauert indes, dass friedliche politische Aktivitäten nicht mehr möglich seien. Christen und Muslime könnten sonst gemeinsam gegen Gewalt auf die Straße gehen, wie es nach dem Umsturz 2011 der Fall gewesen sei. Doch jetzt bestimme die Regierung, dass nur noch die Kirchenführer die Christen repräsentieren dürften. "Das ist keine echte Repräsentation." Vielmehr erlaube es Kirchenoberen, der Gemeinde die eigenen Ansichten aufzudrücken.

Im Fall der am Strand getöteten Kopten hat Ägypten vor wenigen Tagen eine Zusage aus Libyen bekommen: Nach drei Jahren sollen die sterblichen Überreste der Christen nun zurück in die Heimat gebracht werden.

Von Mey Dudin (epd)



Termine

11.-12.4. Berlin

Welches Wissen schafft Praxis? Die deutschsprachige Friedens- und Konfliktforschung wies in ihren Anfängen eine besondere Nähe zur Friedensbewegung auf. Mit der Zeit folgte eine stärkere Trennung von Wissenschaft und Praxis. Kritiker befürchten, dass zu viel Nähe den analytischen Blick verschleiern könnte, während andere gerade dieses enge Verhältnis als besonders fruchtbar und wertvoll empfinden. Wie kann, darf und sollte sich nun dieses Verhältnis gestalten? Die Tagung möchte einen kritischen Rahmen bieten, um lebendig über diese Frage zu diskutieren.

www.kircheundgesellschaft.de

12.-13.4. Frankfurt am Main

Die Bewegung ist tot - Viva la Revolución? Lebenswege nach 1968. Die Narrative rund um die 68er-Bewegung und ihrer Folgen werden stark von der Selbsthistorisierung der damaligen Akteur/innen geprägt. Doch sind die Lebenswege, die diese Akteur/innen nach 1968 einschlugen, so unterschiedliche wie die Personen selbst. Wie beeinflussen diese Wegwahlen, welches Bild von dieser Zeit noch medial, politisch und gesellschaftlich reproduziert wird? Bei dieser Tagung setzen sich Nachwuchswissenschaftler/innen mit den Narrativen der 68er-Bewegung, den Auswirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland und andere Staaten sowie mit zentralen Fragen zur heutigen Rezeption auseinander.

www.evangelische-akademie.de

13.-15.4. Tutzing

NS-Vergangenheit – Wie nah, wie fern? Wie nah, wie fern ist heute die NS-Vergangenheit? Erinnerungs- und Gedenkkultur sind ein Teil der deutschen Realität. Und doch erleben wir gerade eine massive Infragestellung. Die erstarkte Neue Rechte fordert «Schluss mit dem masochistischen Schuldkult». Rechtsextremistische und neonazistische Bewegungen beleben Denk- und Erlebnisformen der NS-Bewegung wieder. Aber nicht nur am rechten Rand, auch weiter in der Mitte gibt es eine Sehnsucht nach dem Ende der Debatten, nach einer vorgeblichen «Normalität», die den nationalsozialistischen «Betriebsunfall» in den Hintergrund stellt.

www.ev-akademie-tutzing.de