Meinungsforscher finden eine breite Zustimmung zur Entwicklungshilfe, aber auch erhebliche Zweifel an ihrer Wirksamkeit. Klaus Seitz vom evangelischen Hilfswerk "Brot für die Welt" konstatiert ein wachsendes Unbehagen an der Entwicklungspolitik, gar eine Rechtfertigungskrise. Denn trotz sechs Jahrzehnten Hilfe sind Armut und Hunger noch nicht überwunden, und die Armutsmigration nimmt zu. Ist es ein Versagen?

"Wir leben in einer Art Schwellenzeit, was die Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit angeht", sagte Seitz auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Hofgeismar bei Kassel, die am 21. März zu Ende ging. Viele Versprechen habe die Entwicklungshilfe nicht halten können. Wo bleibe die Glaubwürdigkeit, wenn es auch nicht gelinge, laut den weltweiten Nachhaltigkeitszielen bis 2030 eine Welt ohne Hunger und Armut zu schaffen?, fragte der Leiter der Abteilung Politik bei "Brot für die Welt".

"Politisch gemacht"

Die Nachhaltigkeitsziele betonen auch den Reformbedarf in wohlhabenden Staaten, was etwa den Verbrauch von Ressourcen und den Umweltschutz angeht. "Wir müssen weg vom Hilfemodus", sagte Seitz. Ziel sei ein Modus der Kooperation, ein solidarisches Miteinander. Doch haben die Kirchen dafür die besseren Rezepte als der Staat?

Thomas Gebauer, Geschäftsführer des Frankfurter Hilfswerks medico international, rief dazu auf, Entwicklungshilfe unbedingt zu verteidigen. Millionen Menschen könnten nur durch die Hilfe überleben, sagte er. Aber die Helfer müssten sich die Frage stellen, ob sie nicht Verhältnisse stabilisierten, die die Hilfsbedürftigkeit erzeugten. "Das multiple Krisengeschehen, das wir heute in der Welt sehen, ist nicht vom Himmel gefallen, es ist politisch gemacht", unterstrich er.

"Kraft der Bewegung"

Gebauer warnte vor einer "Versicherheitlichung" der Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik, die nur auf Gefahrenabwehr und eine Sicherung der bestehenden Machtverhältnisse abziele. "Frieden verlangt Veränderung", betonte er. Gegen das Effizienzdenken nach betriebswirtschaftlichen Kriterien in der Entwicklungshilfe stellte er die Vision einer "solidarischen Weltgesellschaft", für die Initiativen grenzüberschreitend kämpfen sollten. "Wir brauchen die Kraft der Bewegung", sagte er.

Susanne Neubert, die an der Berliner Humboldt-Universität das Seminar für Ländliche Entwicklung leitet, betonte die Notwendigkeit globaler Veränderungen. "Auch wir sind ein Entwicklungsland, hinsichtlich der Emissionen und des Drecks, den wir machen", sagte die Agrarökonomin. Sie warnte vor einer internationalen "Sozialhilfe-Falle": Die Entwicklungszusammenarbeit dürfe sich nicht selbst verlängern, sondern müsse sich vielmehr abschaffen.

Neubert zufolge ist das Bild von Entwicklungshilfe ehrlicher und realistischer geworden. "Man muss sich damit abfinden, dass alles, was man tut, Licht- und Schatteneffekte hat", erklärte sie. So sei es schädlich, wenn ein Land mehr als 30 Prozent seines Staatshaushalts aus Entwicklungshilfe beziehe. Die vielen Dollars könnten zu Korruption führen und den Kurs der Landeswährung in die Höhe treiben, was Exporte teurer mache und somit erschwere.

Ökologische Misserfolge

In der Ökologie beobachtet Michael Bohnet mit die größten Misserfolge von sechs Jahrzehnten Entwicklungspolitik. Zwei Milliarden Menschen seien von akuter Wasserknappheit bedroht, der Verlust der Wälder schreite voran, und die Artenvielfalt schwinde weiter, sagte der Volkswirt, der jahrzehntelang in leitender Stellung im Entwicklungsministerium und auch als Professor in Duisburg tätig war. Auch die Zunahme von Konflikten, die Stagnation bei der Hungerbekämpfung und die Flüchtlingskrise gehören zu seiner negativen Bilanz.

Weitgehend unbekannte Erfolgsgeschichten sieht Bohnet dagegen bei Armut, Bildung und Gesundheit: 1990 hätten noch 1,7 Milliarden Menschen von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag leben müssen, heute seien es 780 Millionen. Zugleich warnte er vor einer "Omnipotenzfalle", also einer Überschätzung der Entwicklungshilfe durch Allmachtsfantasien. Die Bedeutung der Hilfe sei zwar in Afrika enorm. Doch anderswo seien andere Geldflüsse viel wichtiger. Bohnet: "Die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit erscheint in vielen großen Ländern Asiens und auch Lateinamerikas eher wie eine Fliege im Kölner Dom."