Um einen Konferenztisch sitzen Männer in weißen Hemden, die dunklen Jacken auf den Stuhllehnen. Die Haltung der Männer überrascht: Köpfe und Oberkörper hängen vornübergebeugt über den Knien, die Hände schleifen schlaff am Boden. Das wandgroße Ölbild von Adelita Husni-Bey ist das erste Gemälde der Ausstellung "Power to the People - Politische Kunst Jetzt", die die Schirn-Kunsthalle in Frankfurt am Main bis zum 27. Mai zeigt. Mit der Arbeit "The Sleepers" (Die Schläfer) kritisiert die Künstlerin aus New York die Untätigkeit der Herrschenden.

Ein Foto des Gemäldes soll nach einem Bericht von Husni-Bey im libyschen Bengasi auf Plakate gedruckt worden sein, um gegen die Regierung zu protestieren. "Wie politisch darf Kunst sein?", fragt der Schirn-Direktor Philipp Demandt. Klar sei: "Wir erleben eine Rückkehr der Kunst ins Politische." Die Frankfurter Kunsthalle will eine Bestandsaufnahme der Gegenwart zeigen. 43 internationale Werke hat die Kuratorin Martina Weinhart ausgesucht, darunter Installation, Fotografie, Zeichnung, Malerei und Film. Unter den Künstlern sind Guillaume Bijl, Osman Bozkurt, Hiwa K, Ricarda Roggan und Jens Ullrich.

Wahlkabinen als Kunstwerk

Weinhart macht auf ein Problem der Demokratie aufmerksam: Die Wahlbeteiligung etwa bei Oberbürgermeisterwahlen in deutschen Großstädten sinke inzwischen auf 30 Prozent. Doch selbst das Abhalten von Wahlen garantiert noch keine Bürgerbeteiligung. Entsprechend eröffnet die Ausstellung mit dem "Wahlkabinenmuseum" von Guillaume Bijl. Der Antwerpener Künstler hat Wahlkabinen aus verschiedenen Ländern nachgebaut und an die Wand gestellt - die spröde Installation entlarvt sie als Kulisse.

Das Motiv weiterinterpretiert hat die Leipziger Künstlerin Ricarda Roggan mit einem "Triptychon" aus drei Fotografien. Sie zeigen die Stühle und Tische mit Wahlurne für den Ablauf der Betriebswahlen in einer Leipziger Baumwollspinnerei aus der Zeit der DDR. Kaum jemand habe sich getraut, die Form zu wahren und die Wahl geheim vorzunehmen, schreibt die Künstlerin: Er hätte sich verdächtig gemacht.

Laserblitze

Eine Wahl kann Wähler auch versehren. Osman Bozkurt aus London hat mit der Fotoarbeit "Marks of Democracy" zehn Finger in Übergröße porträtiert, die mit Farbe markiert sind. Mal ist es ein Punkt oberhalb des Nagelbetts, mal ist der ganze Nagel beschmiert. Die meisten Bilder sind 2002 direkt nach der Parlamentswahl in der Türkei entstanden. Die Spezialtinte sei wochenlang sichtbar gewesen - nicht nur eine Vorbeugung vor Wahlbetrug, sondern auch ein Ausdruck staatlicher Kontrolle über die Beteiligung an der Wahl.

Wenn Bürger die Auseinandersetzung mit der staatlichen Herrschaft aufnehmen, liegt Gewalt in der Luft. Der Istanbuler Halil Altindere lässt in seiner Videoarbeit "Ballerinas and Police" Balletttänzerinnen in weißen Tüllröcken zu Peter Tschaikowskys Schwanensee tanzen, als schwarz gekleidete und schwer bewaffnete Polizisten in die Probe einbrechen. Dabei verschwimmen die Grenzen: Aus den Augen einiger Tänzerinnen scheinen Laserblitze zu entfahren, und Polizistinnen nähern sich ebenfalls in Ballettschuhen auf Zehenspitzen tanzend.

Zitronen gegen Tränengas

Eine Konfrontation in Realität zeigt das Videoprojekt des "documenta-14"-Künstlers Hiwa K "This Lemon Tastes of Apple". Die Dokumentation zeigt, wie er mit einem Freund auf der letzten Demonstration des "irakischen Frühlings" vor der gewaltsamen Niederschlagung im irakisch-kurdischen Sulaimaniyya mit einer Menge durch die Stadt zieht und die Melodie von "Spiel mir das Lied vom Tod" spielt. Das Bedrohliche der Situation ist spürbar. Demonstranten reichen sich Zitronen gegen Tränengas. Schließlich rennen Menschen, einige bluten.

50 Jahre nach 1968 wolle die Kunsthalle Schirn mit der Schau ein "Seismograph der Zeit" sein, sagt Direktor Demandt. Er öffnet seine Jacke: Statt wie sonst Hemd und Krawatte trägt er ein weißes T-Shirt, das Rirkrit Tiravanija mit dem Slogan bedruckt hat: "Freedom cannot be simulated". Kunst hat also eine Grenze, Freiheit drängt zur Tat. Deshalb soll das Textilwerk nicht auf die Schau beschränkt sein: Die Schirn hat 3.000 T-Shirts bestellt, die diese Erkenntnis in die Welt tragen sollen.