sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Dirk Baas
epd-bild/Heike Lyding

viele diakonische Pflegeeinrichtungen suchen noch nach ihrer Linie zum Umgang mit Bewohnern, die ihr Leben beenden möchten. Die Diakonie in Bayern betont, dass jeder Träger für sich eigene Regelungen zur Suizidassistenz finden müsse: „Es muss von unten nach oben eine Haltung entwickelt werden, das kann man nicht zentralistisch regeln.“ Peter Bartmann, Leiter des Zentrums Gesundheit, Rehabilitation und Pflege der Diakonie Deutschland, stellt klar: „Suizidassistenz ist aus der Sicht der Diakonie nur im Ausnahmefall, nicht in der Regel zu verantworten.“ Doch in der Frage, ob sie in den eigenen Einrichtungen zugelassen werden darf, gebe es innerhalb des Verbandes unterschiedliche Auffassungen.

Nach maximal möglichem Streit in der Ampel-Koalition liegt nun doch eine Einigung bei der Kindergrundsicherung vor, in der ab 2025 mehrere Sozialleistungen gebündelt werden und leichter abrufbar sein sollen. Nicht nur, weil weit weniger Geld dafür bereitsteht als erhofft, zeigen sich die Sozialverbände ernüchtert. Viele stellen die Frage, ob das, was da kommen soll, überhaupt noch den Namen „Kindergrundsicherung“ verdient. Für SOS-Kinderdorf urteilt die Vorstandsvorsitzende Sabina Schutter im epd-Interview klar: „Leider gibt es herzlich wenig, was der Entwurf noch mit einer Kindergrundsicherung zu tun hat. Es ist im Wesentlichen eine Umbenennung der vorhandenen Leistungen.“

Die Bundesregierung will auch die Zuschüsse für die Freiwilligendienste kürzen, was die Träger heftig kritisieren. Wenn wie angedacht im Etat 2024 78 Millionen Euro wegfallen, hat das erhebliche Folgen, denn zahlreiche Stellen wären dann nicht mehr finanzierbar. Welche Konsequenzen das vor Ort hat, beschreibt Birgitta Kelbch, Leiterin der Freiwilligendienste im Bistum Essen, in ihrem Gastbeitrag für epd sozial.

Ehepaare mit unerfülltem Kinderwunsch müssen unter bestimmten Bedingungen nicht für die Hälfte der Behandlungskosten selbst aufkommen. Denn wie das Bundessozialgericht entschieden hat, müssen die Krankenkassen in einer bestimmten Konstellation die Kosten voll erstatten. Das ist der Fall, wenn ein Ehepartner gesetzlich und der andere privat krankenversichert ist, denn dann müssen die Kassen die Kinderwunschbehandlung jeweils zur Hälfte bezahlen.

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Ihr Dirk Baas




sozial-Thema

Suizidassistenz

Sterbehilfe in diakonischen Heimen - darf das sein?




Patient auf einer Palliativstation (Archivbild)
epd-bild/Werner Krüper
Viele diakonische Pflegeeinrichtungen suchen nach ihrer Linie zum Umgang mit Bewohnern, die ihr Leben beenden möchten. Diakonie und evangelische Kirche sind prinzipiell gegen Suizidassistenz in ihren Heimen - doch es kann sie auch dort geben.

Frankfurt a. M. (epd). Die Bewohnerinnen und Bewohner des diakonischen Augustinums haben die Zusage: Selbst wenn sie sich für einen Suizid entscheiden, werden sie weiter „wertschätzend und professionell bis zum Ende ihres Lebens begleitet“, heißt es in einem Papier des Heimträgers mit dem Titel „Zum Umgang mit dem assistierten Suizid“. Es gebe „keine Suizidhilfe durch Mitarbeiterinnen, zugleich aber Respekt vor der freien Entscheidung von Bewohnern, die sich zu einem Suizid entschließen“, betont der Vorsitzende der Geschäftsführung, Joachim Gengenbach.

Der Träger mit Sitz in München, der 23 Seniorenresidenzen mit rund 7.500 Bewohnern betreibt, hat seinen Umgang mit dem sensiblen Thema geregelt und öffentlich gemacht. Doch viele andere Heime der Diakonie suchen noch nach ihrer Linie, befinden sich in der internen Klärung oder arbeiten an eigenen Leitsätzen.

Diakonie Bayern: Keine Bevormundung der Träger

Der Sprecher der Diakonie Bayern, Daniel Wagner, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), dass jeder Träger, jedes Heim für sich eigene Regelungen finden müsse: „Es muss von unten nach oben eine Haltung entwickelt werden, das kann man nicht zentralistisch regeln.“ Zwar habe die Diakonie Bayern mit einem Positionspapier „Leitplanken aufgestellt“, aber es gebe keine Bevormundung, „das Thema ist komplex“. Für die Diakonie müsse Suizidprävention an erster Stelle stehen. Wagner sieht hier den Gesetzgeber gefordert.

Doch sei klar, sagte der Sprecher weiter, dass es „eine flächendeckende Zusammenarbeit mit Sterbehilfeorganisationen nicht gibt“. Er versicherte, dass es bei Sterbewilligen immer individuelle Lösungen gebe, denn sie sollen nicht gezwungen sein, das Heim zu verlassen.

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, kennt die Konfliktlage. Sie wisse, dass es extreme Situationen gebe, in denen das Leben für einen Menschen unerträglich werde und die körperlichen oder seelischen Qualen alles andere überlagerten. „In solchen Ausnahmefällen maße ich mir kein Urteil an, wenn ein Mensch keinen anderen Ausweg mehr sieht, als das Leben zu beenden und dabei andere um Hilfe zu bitten“, hatte die EKD-Ratsvorsitzende schon im Januar 2022 in einem Zeitungsinterview gesagt.

Lilie: Suizidassistenz in Diakonieheimen nicht aktiv anbieten

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie schreibt im Geleitwort der Handreichung für evangelische Träger „Ich bin ein Gast auf Erden“: „Als gemeinsame Linie der Diakonie sehe ich die Bereitschaft, Menschen ohne Vorbehalte und gleichzeitig dem Leben zugewandt zu begleiten, aber nicht aktiv Suizidassistenz selbst anzubieten und zu praktizieren.“ Diakonie und EKD setzen sich nach dem Scheitern der Neuregelung der Sterbehilfe im Bundestag weiter für die Stärkung der Suizidprävention ein. Kurschus: „Der Fokus von Staat und Gesellschaft muss daher auf einem konsequenten Ausbau der Suizidprävention, der Palliativmedizin und der Palliativpflege liegen.“

Doch was soll das Personal tun, wenn Heimbewohner den Wunsch äußern, ihr Leben zu beenden? Müssen die meist Hochbetagten dann die evangelische Einrichtung verlassen und sich einen Platz bei einem anderen Träger suchen, der Suizidassistenz leistet?

Gescheiterte Gesetzesreform sorgt für Dilemma

Das Dilemma bleibt bestehen, seit im Bundestag im Juli Entwürfe zur Neuregelung zur Sterbehilfe keine Mehrheit fanden, sodass es weiter keine gesetzlichen Vorgaben gibt. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das erst 2015 verabschiedete Verbot der organisierten, sogenannten geschäftsmäßigen Suizidassistenz gekippt, mit dem die Aktivitäten von Sterbehilfevereinen unterbunden werden sollten. Das Gericht sah das Grundrecht auf Selbstbestimmung verletzt.

Der Chef des Augustinums Gengenbach betont: „Umso wichtiger ist es uns im Interesse von Bewohnern und Mitarbeitenden, selber eine verantwortliche und nachvollziehbare Haltung einzunehmen.“ Das Positionspapier sei in den vergangenen Jahren in einem breiten Meinungsbildungsprozess mit Beschäftigten aller Fachrichtungen des Unternehmens erarbeitet - und das Thema damit aus der Tabuzone geholt worden.

Träger und Kirche legen Wert auf Suizidprävention

Das Augustinum setze auf eine gute Palliativversorgung in den eigenen Einrichtungen sowie auf eine psychosoziale Begleitung als wichtige suizidpräventive Faktoren. Man biete „ein lebensbejahendes Umfeld“. Doch sei auch der Zutritt von Sterbehilfeorganisationen möglich.

Peter Bartmann, Leiter des Zentrums Gesundheit, Rehabilitation und Pflege der Diakonie Deutschland, sagt, „Suizidassistenz ist aus der Sicht der Diakonie nur im Ausnahmefall, nicht in der Regel zu verantworten. Aufgabe diakonischer Einrichtungen und Dienste ist es allerdings, Menschen mit Sterbewünschen, Suizidgedanken und auch dem Verlangen nach einem assistierten Suizid in ihren Wünschen ernst zu nehmen und zu begleiten.“

Bethel: Keine begleiteten Selbsttötungen

Der Vorstandsvorsitzende von Bethel, Ulrich Pohl, lehnt jede Möglichkeit begleiteter Selbsttötung in den Einrichtungen ab. „Das ist mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar und kommt daher durch Mitarbeitende Bethels nicht infrage - auch wenn Betroffene es wünschen“, sagte der Theologe. „Wir bieten umfassende Information über alle palliativen Möglichkeiten am Lebensende“, sagte er dem epd.

Bethel betreibe für sterbenskranke Menschen sieben Hospize sowie ambulante Palliativdienste. „Doch auch in unseren Hospizen kann keine Unterstützung zum Suizid stattfinden“, sagte der Vorstandsvorsitzende.

Pohl erläuterte weiter: „Sofern Bewohner einer Einrichtung hier Mieter sind, entscheiden sie frei darüber, wer sie besuchen wird. Allerdings stellen wir keine Gemeinflächen zur Verfügung, damit Sterbehilfegruppen über ihre Angebote informieren können.“

Experte: Einrichtungen müssen Klarheit schaffen

Laut Bartmann von der Bundesdiakonie ist entscheidend, „dass die Einrichtungen und Dienste jeweils für ihren Verantwortungsbereich Klarheit im Umgang mit der Suizidassistenz schaffen, für die Klienten, aber auch für die Mitarbeitenden“. Die Bundesdiakonie habe eine Handreichung erstellt, um diesen Klärungsprozess zu unterstützen.

Die wird auch von der Diakonie Hessen genutzt, wenn Anfragen von Heimträgern kommen. Und diese nähmen zu, sagte Pressesprecherin Britta Heinemann: „Das Thema hat aufgrund der aktuellen öffentlichen Debatte eine höhere Aufmerksamkeit bekommen, in den Medien, aber auch vor Ort in den Einrichtungen.“ Mitglieder meldeten sich meist, um sich auch über ihre Rechte zu informieren. „Mit Sterbewünschen konfrontiert zu sein, ist eine Herausforderung, der sich die Mitarbeitenden in den Diensten und Einrichtungen immer wieder neu stellen müssen.“ Dazu biete der Landesverband Praxistage für Mitarbeitende der ambulanten und stationären Pflege an.

Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, sagte dem epd, der rechtliche Rahmen, wann und wie Sterbehilfe zulässig sei, sei uneindeutig. Bislang gebe es in den Einrichtungen der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe keine einheitliche Praxis. Manche Einrichtungen ließen unter bestimmten Rahmenbedingungen assistierten Suizid zu. Viele versuchten, „eine Haltung zu entwickeln“, erklärte Heine-Göttelmann.

Dirk Baas


Suizidassistenz

"Keine Aufgabe von Diakonieeinrichtungen"




Peter Bartmann
epd-bild/Diakonie/Hermann Bredehorst
Peter Bartmann sagt: Suizidassistenz ist keine Aufgabe diakonischer Heime und ihres Personals. Im Interview mit epd sozial räumt der Abteilungsleiter der Diakonie Deutschland jedoch ein, dass es zu diesem sensiblen Thema innerhalb der Diakonie unterschiedliche Auffassungen gibt.

Berlin (epd). Peter Bartmann stellt klar: Es soll keine Suizidbeihilfe in evangelischen Heimen geben. Doch das bedeute nicht, dass betroffene Menschen im Stich gelassen würden, sagt der Leiter des Zentrums Gesundheit, Rehabilitation und Pflege des Bundesverbandes der Diakonie. Denn die Aufgabe diakonischer Einrichtungen und Dienste sei es, „Menschen mit Sterbewünschen, Suizidgedanken und auch dem Verlangen nach einem assistierten Suizid in ihren Wünschen ernst zu nehmen und zu begleiten“. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Das Thema Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen beschäftigt auch den Bundesverband der Diakonie. Noch vor der Entscheidung im Bundestag über zwei Gesetzentwürfe haben Sie eine Handreichung zu dem Thema publiziert. Ist die noch immer aktuell?

Peter Bartmann: Ja. denn die Grundlinie der Diakonie ist es, dass die Suizidassistenz nicht Aufgabe diakonischer Einrichtungen und ihrer Mitarbeitenden ist. Aufgabe diakonischer Einrichtungen und Dienste ist es allerdings, Menschen mit Sterbewünschen, Suizidgedanken und auch dem Verlangen nach einem assistierten Suizid in ihren Wünschen ernst zu nehmen und zu begleiten. Über die Frage, ob Suizidassistenz in Einrichtungen der Diakonie zugelassen werden darf, gibt es innerhalb der Diakonie unterschiedliche Auffassungen. Entscheidend ist - und dazu leitet die Handreichung an - dass die Einrichtungen und Dienste jeweils für ihren Verantwortungsbereich Klarheit im Umgang mit der Suizidassistenz schaffen, für die Klient:innen, aber auch für die Mitarbeitenden. An dieser Notwendigkeit hat sich nichts geändert. Insofern ist die Handreichung grundsätzlich noch aktuell, auch wenn in ihr die Hoffnung nach einer gesetzlichen Klärung mitschwingt.

epd: Wie bewerten Sie das Scheitern der zwei Gesetzentwürfe im Parlament und was folgt daraus?

Bartmann: Aus der Sicht der Diakonie Deutschland ist es zu begrüßen, dass die Parlamentarier nicht zwischen zwei Gesetzentwürfen entschieden haben, die aus der Sicht der Diakonie beide auch kritische Punkte enthalten. Es ist also kein Gesetz „gescheitert“, sondern es ist Zeit gewonnen, auf eine bessere Regelung hinzuarbeiten. Positiv zu bewerten ist auch, dass sich eine große Mehrheit im Bundestag für die Verabschiedung eines Suizidpräventionsgesetzes ausgesprochen hat. Position der Diakonie Deutschland war immer, dass die Suizidprävention vor der Regelung des assistierten Suizids gestärkt werden muss.

epd: Wie würde sich die Diakonie positionieren, wenn sie eine konkrete Anfrage aus einer Einrichtung erreicht, wie dort mit dem Sterbewunsch eines Bewohners umzugehen ist?

Bartmann: Suizidassistenz ist aus der Sicht der Diakonie nur im Ausnahmefall, nicht in der Regel zu verantworten. Zur individuellen Lebenssituation eines vermutlich schwer erkrankten Menschen kann man nicht aus der Ferne Stellung nehmen.




sozial-Politik

Familie

Verbände enttäuscht über abgespeckte Kindergrundsicherung




Vorstellung der Kindergrundsicherung durch Minister Lindner und Ministerin Paus
epd-bild/Christian Ditsch
Nach langen Verhandlungen hat die Ampel einen Kompromiss zur Kindergrundsicherung gefunden. Einige Leistungen für Familien, die Unterstützung brauchen, werden verbessert - aber Kinderarmut wird ein Thema bleiben, sagen Sozialverbände. Vor allem, weil sowohl über die Berechnung des Existenzminimums noch nichts zu hören ist.

Berlin (epd). Die Vertreterinnen und Vertreter fast aller großen Sozialverbände reagieren verhalten bis enttäuscht auf die am 28. August präsentierte Einigung der Ampelregierung zur Kindergrundsicherung. "Die heute vorgestellten Pläne zur Bekämpfung von Kinderarmut sind keine Kindergrundsicherung. Mit dem vorliegenden Entwurf wird Armut verwaltet statt Zukunft gestaltet. Das sollte nicht der Anspruch einer 'Fortschrittskoalition' sein, rügte Sabina Schutter, die Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf.

Eine Digitalisierung des Antragsprozesses und die Bündelung von Leistungen seien zwar Schritte in die richtige Richtung: „Von einem dringend benötigten und zugesagten Paradigmenwechsel in der Armutsbekämpfung kann keine Rede sein. Eine reine Verwaltungsreform wird für 2,8 Millionen armutsgefährdete Kinder in Deutschland keine gerechteren Chancen schaffen.“ Schutter sagte dem epd: „Leider gibt es herzlich wenig, was der aktuell im Raum stehende Entwurf noch mit einer Kindergrundsicherung zu tun hat. Es ist im Wesentlichen eine Umbenennung der vorhandenen Leistungen.“

„Tropfen auf den heißen Stein“

Ähnlich kritisch äußerte sich die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp. Sie nannte den erzielten Kompromiss „keine Grundsicherung, sondern ein Tropfen auf den heißen Stein“. Dass die Ampel in Aussicht stelle, in den Folgejahren bis zu sechs Milliarden Euro in die Grundsicherung zu stecken, „bei steigender Inanspruchnahme der Leistungen“, bedeute offenbar, dass man einen viel höheren Bedarf sehe. Sie frage sich, so Stetter-Karp, ob die Bundesregierung nun erst einmal schauen wolle, wie viele Menschen die Leistungen überhaupt abrufen würden.

Dem Präsidenten der Diakonie, Ulrich Lilie, ist die für 2025 vereinbarte Summe von 2,4 Milliarden Euro ebenfalls zu gering. Damit lasse sich keine armutsfeste Kindergrundsicherung schaffen, sagte der Chef des evangelischen Wohlfahrtsverbandes. Er moniert ebenfalls, dass entgegen der Ankündigung im Koalitionsvertrag keine systematische Überprüfung des Existenzminimums erfolgt. „Es ist weiterhin zu niedrig bemessen.“ Es gebe kein Entweder-Oder bei Ausgaben für Bildung und Existenzsicherung. „Beides bleibt notwendig, um Kinderarmut gezielt und wirkungsvoll zu bekämpfen“, sagte Lilie.

Deutsches Kinderhilfswerk sieht keinen großen Wurf

„Die Leistungsbündelung und verbesserte Zugänge von Kindern sind wichtige Hebel. Die Kindergrundsicherung ist aber nach jetzigem Planungsstand nicht der erhoffte große Wurf, der die Kinderarmut in Deutschland umfassend und nachhaltig beseitigt“, stellte der Präsident der Deutschen Kinderhilfswerkes, Thomas Krüger, fest. Die Kindergrundsicherung müsse sich an den tatsächlichen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen orientieren. „Dafür braucht es mehr finanzielle Mittel in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen und vor allem eine zügige Neubemessung des kindlichen Existenzminimums“, so der Präsident.

Ursprünglich hatte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung gefordert, während Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Ausgaben bei zwei Milliarden Euro deckeln wollte. Der jetzt verkündeten Einigung war ein monatelanges Ringen der beiden Minister vorangegangen. Erstmals äußerte sich Paus nach der Einigung mit Lindner gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am 31. August zu der möglichen Höhe der Kindergrundsicherung ab 2025: „Es können sich Leistungen von 530 Euro für die kleinsten und bis zu 636 Euro für die ältesten Kinder ergeben. Ein guter Betrag, um Kindern ein Stück weit mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu verschaffen“, so die Ministerin.

Caritas: Zugang zu Leistungen einfacher machen

Die Caritas findet es „mehr als überfällig“, dass sich die Ampel jetzt auf eine gemeinsame Linie für die Kindergrundsicherung geeinigt hat. Es sei bei vielen Menschen der Eindruck entstanden, es falle der Bundesregierung besonders schwer, sich zu einigen, wenn es um die Familien geht, die am meisten Unterstützung brauchen. Die Zugänge zu den staatlichen Hilfsleistungen müssten in der Praxis einfacher gemacht werden. „Wir wollen, dass Familien bei der Beantragung von öffentlichen Fördergeldern Zeit sparen“, erklärte die Caritas.

Weiter heißt es in der Mitteilung: „Wir wollen auch, dass alle Kinder und Jugendliche, denen Leistungen zustehen, sie auch bekommen - das ist das Mindeste. Die Bundesregierung springt deutlich zu kurz, wenn sie weiter von einer Inanspruchnahme von 48 Prozent ausgeht. Hier muss mehr getan werden - durch gute Beratung.“

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, begrüßte, dass die Ampel-Koalition sich auf erste Schritte für eine Kindergrundsicherung verständigt hat. Wer als Kind keine Chance habe, habe leider allzu oft auch später als Erwachsener keine mehr. „Man kann gar nicht genug für die Kindergrundsicherung tun“, sagte die Theologin.

Paritätischer vermisst echte Neubemessung des Existenzminimums

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, erklärte, die Eckpunkte seien enttäuschend. „Die Angaben zur Höhe des Kindergeldes sind vage. Nennenswerte Leistungsverbesserungen für Kinder, die jetzt in Hartz IV sind, sind offenbar nicht vorgesehen.“ Zudem beklagte er, dass die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket wohl auch künftig nicht pauschal ausgezahlt, sondern weiterhin einzeln beantragt werden sollen.

Schneider befürchtet, dass die veranschlagten 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten im Bundesetat „wohl eher für Verwaltung draufgehen“. Die verbesserten Anrechnungsregelungen für Alleinerziehende, die Grundsicherung beziehen, glichen die Verschlechterungen unterm Strich nicht aus. „Eine echte Neubemessung des Existenzminimums für Kinder wie im Koalitionsvertrag vorgesehen findet nicht statt.“

„Wir haben von einer Kindergrundsicherung mehr erhofft“, kritisierte Daniela Jaspers, Bundesvorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter. „Wir begrüßen, dass für Alleinerziehende Verbesserungen vorgesehen sind. Davon auszugehen, dass Alleinerziehende Erwerbsanreize brauchen, um das Familieneinkommen zu steigern, geht jedoch komplett an der Realität vorbei.“

Paus erwartet stärke Inanspruchnahme der Hilfen

Familienministerin Paus sprach nach der Einigung von zum Teil „sehr harten Verhandlungen“, aber es habe sich gelohnt. „Die neue Kindergrundsicherung kommt“, sagte sie. Im Jahr 2025 sollen ihren Angaben nach 2,4 Milliarden Euro zusätzlich für die Reduzierung der Kinderarmut zur Verfügung gestellt werden. Sie gehe von einer zunehmend stärkeren Inanspruchnahme der Leistungen aus, dann erhöhten sich nach 2025 auch die Ausgaben.

In der Kindergrundsicherung sollen Familienleistungen zusammengefasst, vereinfacht und automatisch ausgezahlt werden. Dazu zählen das Kindergeld, der Kinderzuschlag, die Sozialhilfe, das Bürgergeld und auch Komponenten des Bildungs- und Teilhabepaketes für Kinder.

Markus Jantzer, Dirk Baas


Familie

Paus nennt Summen für Kindergrundsicherung zwischen 530 und 636 Euro



Berlin (epd). Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat Beträge genannt, die Kindern nach der Einführung der Kindergrundsicherung im Jahr 2025 zustehen würden. Armutsgefährdete Kleinkinder könnten mit bis zu 530 Euro im Monat rechnen, Jugendliche mit bis zu 636 Euro, sagte sie am 31. August in Berlin.

Die Grünen-Politikerin erklärte, das seien die Summen aus dem zukünftigen Kinderzusatzbetrag und dem Garantiebetrag, aus denen sich die Kindergrundsicherung zusammensetzt. In die Beträge ist Paus zufolge die Erhöhung des Bürgergelds eingerechnet, die Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag dieser Woche bekanntgegeben hatte.

Garantiebetrag entspricht dem heutigen Kindergeld

Der Garantiebetrag entspricht dem Kindergeld von derzeit 250 Euro und geht an alle Familien. Der Zusatzbeitrag für bedürftige Kinder führt zu den Veränderungen gegenüber dem heutigen System. In ihn fließen das Bürgergeld ein, sowie der heutige Kinderzuschlag für Familien mit geringem Einkommen sowie die Leistungen des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets.

Die von Paus genannten Summen bedeuten für Kinder an der Armutsgrenze eine deutliche Erhöhung. Für Kleinkinder beträgt das Bürgergeld derzeit 318 Euro im Monat, im kommenden Jahr steigt es auf 357 Euro. Jugendliche von 14 bis 17 Jahren erhalten derzeit 420 Euro und im kommenden Jahr 471 Euro im Monat. Dazu kommen 174 Euro im Jahr für Schul-Ausgaben und bis zu 180 Euro im Jahr für Freizeitaktivitäten, die aber die meisten Familien nicht beantragen.

Neue Stelle bei der BA wird für Zahlung zuständig

Der Zusatzbeitrag richtet sich nach dem Einkommen der Eltern und nach dem Alter der Kinder. Er wird künftig an Familien gezahlt, die heute Bürgergeld beziehen, die den Kinderzuschlag bekommen und an Familien, die Anspruch auf den Kinderzuschlag haben, ihn derzeit aber nicht beantragen, weil das Verfahren zu kompliziert ist oder sie die Leistung gar nicht kennen. Künftig soll die neue Stelle für die Kindergrundsicherung, die heutige Familienkasse bei der Bundesagentur für Arbeit, alle Familien, die Anspruch auf den Zusatzbetrag haben, darauf aufmerksam machen, dass sie einen entsprechenden Antrag stellen sollten.

Familienminister Paus zeigte sich überzeugt, dass die Kindergrundsicherung ihre Wirkung entfalten werde. Sie könne einen relevanten Beitrag zur Reduzierung der Kinderarmut leisten: „Mit dieser Reform haben wir dazu jetzt die Instrumente in der Hand“, sagte sie.

Von der Reform sollen Paus zufolge rund 5,6 Millionen armutsbedrohte Familien und ihre Kinder profitieren, rund 1,9 Millionen dieser Kinder beziehen heute Bürgergeld, das frühere Hartz IV.



Familie

Was die Kindergrundsicherung verändern würde



Berlin (epd). Nach langen Verhandlungen haben Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) am 28. August in Berlin einen Kompromiss zur Finanzierung der Kindergrundsicherung vorgestellt. Sie soll 2025 eingeführt werden. Mehr Geld für alle wird es nicht geben - aber einige gezielte Verbesserungen.

Was ändert sich für die Familien?

Das Kindergeld, das Bürgergeld, die Sozialhilfe für Kinder sowie der Kinderzuschlag werden zusammengefasst. Wie bisher wird das Kindergeld automatisch ausgezahlt. In der Kindergrundsicherung wird es als „Garantiebetrag“ bezeichnet. Je nach Einkommen der Eltern und Alter der Kinder sollen Familienministerin Paus zufolge 5,6 Millionen armutsbedrohte Familien für ihre Kinder den künftigen Zusatzbetrag „schneller, einfacher und direkter“ erhalten. Er entspricht dem heutigen Bürgergeld bzw. der Sozialhilfe für Kinder oder dem Kinderzuschlag für Eltern, die ein eigenes Einkommen haben, aber so wenig verdienen, dass sie ohne den Zuschlag Bürgergeld für ihre Kinder beantragen müssten. Neu ist, dass die Eltern künftig vom Amt darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie einen Anspruch auf den Kinderzuschlag haben. Die Anträge sollen vereinfacht und online gestellt werden können.

Was kostet die Kindergrundsicherung den Staat zusätzlich?

Für 2025 sollen 2,4 Milliarden Euro mehr im Haushalt des Bundesfamilienministeriums eingestellt werden. Davon sollen Verwaltungskosten und die ersten Verbesserungen bezahlt werden. Wenn zehn Prozent der berechtigten Familien zusätzlich den Kinderzuschlag beantragen, steigen die Ausgaben Familienministerin Paus zufolge auf möglicherweise sechs Milliarden Euro bis zum Jahr 2028. Das Bundesfamilienministerium geht davon aus, dass bislang nur 35 Prozent der berechtigen Familien den Kinderzuschlag beantragen und erhalten.

Wer profitiert von welchen Neuregelungen?

Laut Minister Lindner wird es keine generellen Leistungsverbesserungen für alle Kinder geben, deren Eltern Bürgergeld oder Sozialhilfe beziehen. Aber es gibt Leistungsverbesserungen für einzelne Gruppen. Alleinerziehende sollen bessergestellt werden, indem ihnen der Unterhalt für ihre Kinder auf die Kindergrundsicherung nicht so stark angerechnet wird wie heute auf das Bürgergeld oder die Sozialhilfe. Künftig dürfen sie, je nach Höhe des Unterhalts, bis zu 55 Prozent dieses Einkommens behalten, heute sind es höchstens 20 Prozent. Sobald die Kinder das Schulalter erreicht haben, wird diese Neuerung nur beibehalten, wenn der alleinerziehende Elternteil für mindestens 600 Euro im Monat sozialversicherungspflichtig arbeitet. Das soll den Anreiz steigern, erwerbstätig zu sein. Inwiefern die staatlichen Leistungen für Schulkinder und Jugendliche steigen, hängt von der Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums ab. Das ist die Summe, die für Essen, Kleidung und Wohnen ausreichen muss, aber auch, um trotz relativer Armut am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Der seit Juli 2022 gezahlte Sofortzuschlag von 20 Euro im Monat für armutsbedrohte Kinder bleibt erhalten und wird Teil des Existenzminimums. Außerdem sollen die Ausgaben für den Familienhaushalt stärker als Teil des Existenzminimums der Kinder gewichtet werden.

Werden auch die staatlichen Zuschüsse für Schulsachen und Vereinsbeiträge Bestandteil der Kindergrundsicherung?

Nein, anders als von Paus gewünscht, werden die Sachleistungen für Schulsachen und Freizeit nicht in Pauschalen umgewandelt. Eltern müssen auch weiterhin die Hilfen für Schulsachen und den Teilhabe-Betrag von 15 Euro im Monat extra beantragen. Das soll aber einfacher werden.

Wie geht es weiter?

Familienministerin Paus möchte den Gesetzentwurf im September dem Bundeskabinett zur Billigung vorlegen. Vorher werden die einschlägigen Verbände und die Länder einbezogen. Danach beraten Bundestag und Bundesrat über das Gesetz. Und dort, so hat es die SPD bereits angekündigt, wird es wohl noch Änderungen geben.

Bettina Markmeyer


Familie

SOS-Kinderdorf: Es braucht mehr Geld für Kinder - und für Bildung




Sabina Schutter
epd-bild/Andre Kirsch/SOS-Kinderdorf e.V.
SOS-Kinderdorf kritisiert die Pläne der Ampel zur Kindergrundsicherung. Angekündigt sei nicht viel mehr als eine Verwaltungsreform, sagt Vorstandsvorsitzende Sabina Schutter im Interview mit epd sozial. Sie kritisiert, dass das Existenzminimum für junge Menschen nicht neu berechnet wird: Ein Paradigmenwechsel im Kampf gegen Armut werde nicht erreicht.

Frankfurt a.M (epd). Für SOS-Kinderdorf ist die geplante Kindergrundsicherung nicht mehr als die Umbenennung bereits vorhandener Leistungen. „Eine Verwaltungsreform wäre aber auch ohne Kindergrundsicherung möglich gewesen“, sagt die Vorstandsvorsitzende Sabina Schutter. Zwar werde jetzt von der Regierung von einem Paradigmenwechsel in der Armutsbekämpfung gesprochen, „faktisch erreicht wird aber wenig“. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Viele Sozialverbände üben Kritik an der geplanten Kindergrundsicherung und sagen: Das, was da angekündigt wurde, ist keine Kindergrundsicherung. Was macht aus ihrer Sicht eine nach vorne gedachte Kindergrundsicherung aus?

Sabina Schutter: Leider gibt es herzlich wenig, was der aktuell im Raum stehende Entwurf noch mit einer Kindergrundsicherung zu tun hat. Es ist im Wesentlichen eine Umbenennung der vorhandenen Leistungen. Zu den wenigen Verbesserungen zählt wohl das Vorhaben, dass der Unterhalt für erwerbstätige Alleinerziehende nur noch zu 45 Prozent auf die Kindergrundsicherung angerechnet werden soll, statt wie bisher zu 100 Prozent. Das kann in der Summe zu mehr Geld für Alleinerziehende führen. Das wäre wichtig, denn die Kinder von Alleinerziehenden bilden die größte Gruppe der armutsbetroffenen oder von Armut bedrohten Kinder.

epd: Sie sagen, die jetzigen Aussagen der Regierung bedeuten nicht mehr als eine Verwaltungsreform. Aber ist nicht gerade die dringend nötig, wenn unzählige Hilfeberechtigte gar keine Zahlungen für ihre Kinder beantragen?

Schutter: Natürlich setzen wir große Hoffnungen auf die Reform, vor allem auf die Umkehrung der Holschuld der Anspruchsberechtigten in eine Bringschuld des Staates. Das sollte vielen armen Familien zugutekommen. Eine Verwaltungsreform wäre aber auch ohne Kindergrundsicherung möglich gewesen. So wird von einem Paradigmenwechsel in der Armutsbekämpfung gesprochen, faktisch erreicht wird aber wenig.

epd: Ihnen missfält auch die Art des Diskurses zu armutsbetroffenen Familien ...

Schutter: Ja, der ist sehr problematisch. Den Familien wird nicht zugetraut, das Geld für ihre Kinder richtig einzusetzen. Anstatt solcher pauschalen und verunglimpfenden Aussagen brauchen wir aber eine integrierte Armutspolitik, die finanzielle Existenzsicherung mit Bildungsangeboten und Förderung für Erwachsene verknüpft. Natürlich wird Geld allein nicht ausreichen, aber die Kombination von Finanzleistungen und infrastrukturellen Verbesserungen für Familien eröffnet Zukunftschancen. Es braucht mehr Geld für Kinder, es braucht mehr Bildung für Kinder - und es braucht mehr Geld für Bildung.

epd: Im Koalitionsvertrag wurde versprochen, die Berechnung des Existenzminimums zu ändern. Das passiert offen gar nicht. Gerät damit nicht das hehre Ziel, mehr Kinder aus der Armut zu holen, von vornherein aus den Augen, vor allem in Zeiten der hohen Inflation?

Schutter: Das Existenzminimum für junge Menschen nicht neu zu berechnen ist eines der größten Versäumnisse der geplanten Reform. Seit vielen Jahren kritisieren Forschung und Verbände die Frage des kindlichen Existenzminimums. Aus den Hilfsangeboten von SOS-Kinderdorf wissen wir, dass viele Eltern ihren Kindern kaum noch eine gesunde Ernährung gewährleisten können.

epd: Wie bewerten Sie die Möglichkeiten, im parlamentarischen Verfahren noch Verbesserungen durchzusetzen?

Schutter: Die jetzt vorgeschlagene Leistung geht so weit am ursprünglichen Entwurf vorbei, dass ich bezweifle, dass wir hier noch Änderungen einbringen können, die zu einer substanziellen Verbesserung führen würden. Gerade nachdem Regierungsmitglieder und Parteispitzen seit so vielen Monaten um einen Kompromiss gerungen haben.

epd: Viele Gutachten bestätigen, dass höhere Leistungen ein Weg aus der Armut sein können. Alle reden immer vom tatsächlichen Bedarf der Kinder als Grundlage für die Berechnung von Sozialtransfers. Warum setzt die Regierung hier nicht den Hebel an?

Schutter: Die Daten sprechen eine deutliche Sprache, eigentlich ist klar was getan werden muss. Dazu gehört eben auch eine Neuberechnung der Bedarfe junger Menschen. Es braucht aber eine gemeinsame Zielvision: Wie sollen Kinder in Deutschland aufwachsen? Welche Chancen sollen alle Kinder haben? Welche Vorstellungen haben wir von einem gelingenden Erwachsenenleben und was braucht es dazu? Die Antworten dazu liegen auf der Hand, werden aber offenbar im politischen Prozess wiederholt zerrieben. Wir brauchen einen Neustart in der Armutspolitik. Höhere finanzielle Leistungen, eine stabile soziale Infrastruktur und eine ambitionierte bildungspolitische Reform müssen ineinandergreifen, um alle Kinder zu erreichen. Kindheit findet jetzt statt, die Kinder können nicht zehn Jahre warten bis zur nächsten Reform.



Bundesregierung

Bürgergeld steigt ab Januar um bis zu zwölf Prozent




Hauptantrag auf Bürgergeld, das im Januar deutlich steigen soll
epd-bild/Heike Lyding
Einen Tag nach der Einigung der Ampel-Koalition über die Kindergrundsicherung verkündet Arbeitsminister Heil die Bürgergeld-Sätze für das kommende Jahr. Die Anhebung um bis zu zwölf Prozent wird sich auch auf die Kindergrundsicherung auswirken, die 2025 kommen soll. Dennoch üben Sozialverbände und Opposition Kritik.

Berlin (epd). Die Regelsätze im Bürgergeld werden zum 1. Januar 2024 steigen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gab am 29. August in Berlin die neuen Summen bekannt. Danach steigt der monatliche Betrag für einen alleinlebenden Erwachsenen von 502 auf 563 Euro. Das sei eine deutliche Steigerung, betonte Heil. Das wohl, so der Paritätische, doch die Erhöhung sei deutlich zu niedrig: „Nach eigenen Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle müsste der Regelsatz für Erwachsene mindestens 813 Euro betragen, um wirksam vor Armut zu schützen“, heißt es in einer Mitteilung.

Jugendliche von 14 bis 17 Jahren bekommen laut Heil 51 Euro mehr, der Regelsatz steigt Heil zufolge von 420 auf 471 Euro im Monat. Sechs- bis 13-jährige Kinder bekommen 42 Euro mehr, statt 348 Euro künftig 390 Euro. Kleinkinder bis fünf Jahre erhalten 357 Euro statt derzeit 318 Euro.

Heil: Berechnungsmethode geändert

Die deutliche Anhebung der Regelsätze ist Heil zufolge darauf zurückzuführen, dass mit der Einführung des Bürgergelds die Berechnungsmethode so geändert wurde, dass die Inflation stärker berücksichtigt wird. Die Regelsätze müssen an die Lohn- und Preissteigerungen angepasst werden.

Die staatlichen Ausgaben für das Bürgergeld steigen Heil zufolge im kommenden Jahr um 4,2 Milliarden Euro. Ihm sei wichtig, sagte der SPD-Politiker, dass gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Verunsicherung Deutschland ein solidarisches Land bleibe. Die Menschen müssten sich auf den Sozialstaat verlassen können, dafür stehe das Bürgergeld.

Auswirkungen auch auf die Kindergrundsicherung

Mit Blick auf die Einigung der Ampel-Koalition über die Kindergrundsicherung sagte Heil, die neuen Regelsätze bildeten die Grundlage für die angekündigte Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums, was sich wiederum auf die Höhe der Kindergrundsicherung auswirke. Das sozioökonomische Existenzminimum berücksichtigt nicht nur die Mindestausgaben für Nahrung, Kleidung, Wohnung und Gesundheit, sondern soll auch eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben absichern.

Das Bürgergeld hat zum Jahresanfang die Hartz IV-Leistungen abgelöst. Im Januar 2023 stieg der Erwachsenen-Regelsatz von 449 Euro auf 502 Euro.

„Diese Regelsätze sind und bleiben Armutssätze und gehen an der Lebensrealität der Menschen vorbei“, monierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen. Ausgeglichen werde so nur der aktuelle Kaufkraftverlust. Von einer Leistungsverbesserung könne keine Rede sein. "Es ist bitter, dass diese Bundesregierung einkommensarmen Menschen weiter echte Teilhabe verwehrt und sie in Armut belässt”, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Es sei schon frech, diese Mini-Anpassung der Regelsätze sowie die gestern bekannt gewordenen Pläne für eine sogenannte Kindergrundsicherung als Kampf gegen Kinderarmut verkaufen zu wollen, so Schneider.

VdK wirbt für regelmäßige Anpassungen

VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte in Berlin, die Erhöhung der Regelsätze komme angesichts der anhaltenden Inflation viel zu spät. „Besonders die hohen Preise für Strom und Grundnahrungsmittel fressen das Geld von Menschen in der Grundsicherung und im Bürgergeld derzeit komplett auf und haben diese Menschen teils in existenzielle Not gebracht.“ Sie forderte neben einer kompletten Neuberechnung der Regelsätze auch die sofortige Anpassung, wenn so starke Preissteigerungen wie im Moment auftreten - und nicht erst im Nachhinein. „Nur so können Menschen realistisch vom Bürgergeld leben“, sagte die Präsidentin.

Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied, sagte: „Diese Ankündigung ist erstmal eine gute Nachricht für viele Millionen Menschen mit geringen Einkommen oder ohne Arbeit: Wenn das Bürgergeld wirklich armutsfester wird, schützt es besser vor sozialem Abstieg.“ Zudem müssten die Regelsätze fortlaufend an das Lohn- und Inflationsniveau angepasst werden. Piel weiter: „Ein zweiter Schritt muss von der Bundesregierung bald vollzogen werden: Die Jobcenter brauchen ausreichend Geld für die neuen Förderinstrumente des Bürgergeldes, um mehr Menschen gute Perspektiven auf Arbeit zu ermöglichen.“

Janine Wissler, Vorsitzende der Partei Die Linke warf dem Minister vor, zu spät zu reagieren. Die Betroffenen könnten aber nicht bis zum nächsten Jahr auf höhere Gelder warten. „Sie brauchen schon jetzt einen Inflationsausgleich.“ Wissler forderte eine sofortige Sonderzahlung, die den inflationsbedingten Kaufkraftverlust zwischen 2021 und 2023 ausgleicht. Und: „Für die Zukunft muss eine neue gesetzliche Sonderzahlung eingeführt werden, die zu Beginn eines Jahres den inflationsbedingten Kaufkraftverlust des Vorjahres automatisch ausgleicht.“

Bettina Markmeyer, Dirk Baas


Bundesregierung

Kommission empfiehlt weitere Anhebung des Pflegemindestlohns




Blutzuckermessung im Pflegeheim
epd-bild/Jürgen Blume
In der Altenpflegebranche sollen die Mindestlöhne für Hilfskräfte und Fachpersonal weiter steigen. Arbeitsminister Heil will die Empfehlungen der Pflegekommission für die kommenden beiden Jahre umsetzen. Das Echo auf die Pläne fällt unterschiedlich aus.

Berlin (epd). Die Mindestlöhne in der Altenpflegebranche sollen in zwei Schritten um rund zwei Euro pro Stunde steigen. Darauf hat sich die Pflegekommission geeinigt, wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am 29. August in Berlin mitteilten. Der Mindest-Stundenlohn für Pflegehilfskräfte soll demnach in der zweiten Jahreshälfte 2025 auf 16,10 Euro steigen, der Lohn für qualifizierte Hilfskräfte 17,35 Euro betragen und für Pflegefachkräfte 20,50 Euro pro Stunde.

Die Branche begrüßte die Einigung. Die Kommission hat sich für eine Laufzeit der Vereinbarung bis Ende Juni 2026 ausgesprochen.

Heil: Mindestlöhne steigen innerhalb von zwei Jahren um 14 Prozent

Heil sagte, Pflegekräfte leisteten Unglaubliches. Pflegerinnen und Pfleger müssten anständig bezahlt werden, das helfe auch gegen den Fachkräftemangel in der Branche. Er werde die Empfehlungen umsetzen, kündigte der Minister an. Insgesamt steigen die Mindestlöhne von 2024 bis 2026 um 14 Prozent.

In der Altenpflege gibt es drei unterschiedliche Mindestlöhne für ungelernte und ausgebildete Assistenzkräfte sowie für die Fachkräfte. Sie werden vom Arbeitsministerium festgesetzt. Es richtet sich dabei nach den Beschlüssen der achtköpfigen, von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite paritätisch besetzten Pflegekommission, der Vertreterinnen und Vertreter der kirchlichen, gemeinnützigen und privaten Pflegeeinrichtungen angehören. Die jüngste Empfehlung wurde einstimmig getroffen.

Die Arbeitgeberseite in der Kommission begrüßte die lange Laufzeit, die den Einrichtungen Planungssicherheit gebe, so der Sprecher der Caritas-Dienstgeber, Norbert Altmann. Er nahm zugleich die Politik in die Pflicht, weil ein höherer Pflegemindestlohn auch eine höhere Zuzahlung für Pflegeheimbewohner bedeute. „Die steigenden Zuzahlungen würden für viele schwer zu stemmen sein. Deshalb ist es unumgänglich, dass die Bundesgesundheitsministerium eine Lösung herbeiführen“, sagte Altmann. Das sei zum einen wichtig zur Entlastung der zu Pflegenden, zum anderen genauso für die Arbeitgeber. Denn es gilt, drohende Insolvenzen abzuwenden, auch im Bereich der Altenhilfe."

Sprecher der Mitarbeiter: Noch nicht der große Wurf

Dagegen sagte Thomas Rühl, Sprecher der Caritas Mitarbeiterseite, es sei gut, dass der Pflegemindestlohn weiter steige. Das schütze vor Lohndumping im Markt, „ist aber noch nicht der große Wurf. Wir müssen den Beruf für neue und ehemalige Pflegekräfte deutlich attraktiver machen. Hier helfen nur starke Flächentarife und eine Zusage der Politik, die Finanzierung der Pflegeversicherung endlich und dauerhaft zu sichern.“

Ähnlich äußerte sich der Bundesverband der privaten Pflegeanbieter (bpa). Dessen Präsident Bernd Meurer kommentierte: „Der nun vorgeschlagene Pflegemindestlohn für ungelernte Kräfte liegt erneut drei Euro über dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Wir unterstreichen noch einmal, dass der Pflegeberuf finanziell attraktiv ist und es bleiben wird.“ Die damit verbundene Zumutung für die Einrichtungen und Pflegebedürftigen bleibe ein Wehrmutstropfen.

Appell: Steuerzuschüsse für die Pflege nicht streichen

Für die Arbeitnehmerseite erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Silvia Bühler, die anhaltend hohen Preissteigerungen machten eine deutliche Anhebung notwendig. Gemeinsam warnten die Verbände aber auch, die Kosten dürften nicht allein bei den Pflegebedürftigen abgeladen werden. Sie forderten Gesundheitsminister Lauterbach auf, die Pflegeversicherung zu stärken, statt Steuerzuschüsse zu streichen, wie es für das kommende Jahr geplant ist.

Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) lehnte die Ergebnisse der Pflegekommission als einseitig ab. Die Vereinbarung belaste Pflegebedürftige finanziell und gefährde deren Versorgung, sagte AGVP-Präsident Thomas Greiner: „Deutschland braucht eine gute Altenpflege, und die gibt es nicht ohne gut bezahlte Pflegekräfte. Was Politik und Gewerkschaften aber nicht erkennen oder bewusst ignorieren: Es gibt keine gute Altenpflege, wenn sie für die Pflegebedürftigen unbezahlbar ist oder Pflegeeinrichtungen unter einer Insolvenz- und Schließungswelle begraben werden.“ Die Belange der Pflegebedürftigen dürfe man in der Pflegekommission nicht ignorieren, nur weil sie nicht mit am Tisch sitzen.

Greiner fordert erneut einen „Pflegegipfel“

Greiner weiter: „Wir müssen uns zusammensetzen, um die Finanzierung der Altenpflege auf ein solides Fundament zu stellen und die Versorgung der Pflegebedürftigen widerstandsfähig abzusichern. Deshalb fordern wir einen Pflegegipfel.“

In der Altenpflegebranche arbeiten dem Arbeitsministerium zufolge rund 1,3 Millionen Beschäftigte, für die der Branchenmindestlohn gilt. Die derzeitigen Mindestlöhne von 13,90 Euro bis zu 17,65 Euro werden am 1. Dezember noch einmal auf 14,15 Euro, 15,25 Euro und 18,25 Euro angehoben und gelten dann bis Ende April 2024. Im Mai folgt die erste Stufe der jetzt vereinbarten Erhöhung. Pflegekräfte in Privathaushalten fallen unter den gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde.

Bettina Markmeyer, Dirk Baas


Familie

Unterhaltsreform nimmt Gestalt an - Buschmann legt Eckpunkte vor




Minister Buschmann will das Unterhaltsrecht für Trennungsfamilien moderner gestalten.
epd-bild/Detlef Heese
Das Unterhaltsrecht für Trennungs-Familien ist veraltet, sagt Justizminister Buschmann. Es hätte längst reformiert werden müssen. Künftig soll der Partner von Alleinerziehenden weniger zahlen, wenn er oder sie sich häufig um die Kinder kümmert. Doch das kommt nicht überall gut an.

Berlin (epd). Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat auf die Kritik an der geplanten Reform des Unterhaltsrechts mit einem Angebot reagiert. Er legte am 25. August in Berlin Eckpunkte vor und betonte, er sei offen für Verbesserungen und wolle mit Betroffenen, Wissenschaft und Rechtsexperten über seine Vorschläge diskutieren. „Nichts ist in Stein gemeißelt“, sagte der FDP-Politiker. Im Vorfeld der Reform, die sich die Ampel-Koalition vorgenommen hat, hatten Alleinerziehenden- und Familienverbände die Sorge geäußert, dass sie zulasten alleinerziehender Mütter geht.

Denn der Kindesunterhalt soll sich den Eckpunkten zufolge stärker danach richten, wie sehr sich der von den Kindern getrennt lebende Elternteil bei der Betreuung engagiert. Buschmann machte deutlich, dass es nur um die Gruppe von Paaren gehe, die die Kinderbetreuung vor und auch nach der Trennung gleichberechtigter, jedoch nicht hälftig aufteilen. Konkret sollen die neuen Regeln greifen, wenn der Betreuungsanteil des getrennt wohnenden Elternteils zwischen 30 und 49 Prozent liegt.

„Recht muss zur Lebensrealität passen“

Die Reform sei überfällig, sagte Buschmann. Das Recht müsse zur Lebensrealität passen. Viele Paare wollten vor und auch nach einer Trennung die Kinder möglichst gleichberechtigt betreuen. Ein Unterhaltsrecht, wonach „einer zahlt und einer betreut“, werde dem nicht mehr gerecht, erklärte Buschmann.

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter hatte indes gefordert, die Reform dürfe sich nicht an einem Leitbild von Gleichstellung orientieren, sondern an den Problemen des Alltags. Danach seien weiterhin die Mütter einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt, weil sie aus dem Beruf aussteigen oder in Teilzeit gehen und auch nach der Trennung die Hauptlast des Familienlebens tragen. Buschmann erklärte demgegenüber, Ungerechtigkeiten gebe es auch auf der anderen Seite: Ein Ex-Partner, der sich viel um die Kinder kümmere, zahle genau so viel Unterhalt wie jemand, der dies gar nicht tue.

Betroffen sind nur Paare, die den Kindesunterhalt ungleich teilen

Für Alleinerziehende, die ohne den Ex-Partner oder ganz überwiegend die Kinder versorgen, ändert sich mit der Reform nichts. Ebenso ist es für getrennte Paare, die nach dem Wechselmodell leben, also jeweils gleich viel Zeit bei den Kindern sind. Sie zahlen beide Kindesunterhalt.

Der Anteil eines mitbetreuenden Partners soll den Eckpunkten zufolge daran gemessen werden, wie oft die Kinder bei ihm übernachten. Außerdem spielt wie bisher das Einkommen eine Rolle. Zusätzliche Kriterien sorgen dafür, dass die Unterhaltszahlungen sinken, wenn die Betreuungszeit zunimmt, nach ersten Angaben um bis zu 100 Euro im Monat, bei kleineren Einkommen und entsprechend geringeren Unterhaltszahlungen aber weniger.

Buschmann sagte, er wolle kein Gesetz machen für Väter oder für Mütter. Die oberste Maxime sei das Kindeswohl. Es sei gut, wenn Kinder zu beiden Elternteilen eine starke Beziehung hätten.

Väteraufbruch wirbt für Wechselmodell als Regelfall

Der Verein Väteraufbruch für Kinder (VAfK) sieht als Form der Reform die Gefahr zunehmenden Umgangsstreitigkeiten. „Nicht alle hauptbetreuenden Eltern wollen mehr Betreuung vom Ex-Partner. Weniger Kind würde auch weniger Geld bedeuten. Damit ist Streit vorprogrammiert“, sagte Marcus Gnau, Mitglied des VAfK-Bundesvorstandes am 26. August. Die Lösung sei, das Wechselmodell zum gesetzlichen Regelfall zu machen.

Wenn von diesem Regelfall individuell abgewichen werden solle, müsse das entweder einvernehmlich geschehen oder aber im Wege eines familiengerichtlichen Verfahrens auf Basis von Gründen, die ausschließlich vom Kindeswohl getragen sind, angeordnet werden. „Durch eine solche Regelung ist sichergestellt, dass die vom Bundesjustizminister vorgestellten Eckpunkte nicht zum Streit über den Umfang des Umgangs führen“, so Gnau.

Sozialverband: Alleinerziehende Mütter nicht schlechter stellen

Der Sozialverband Deutschland warnte erneut, alleinerziehende Mütter dürften nicht schlechter gestellt werden. Es sei aber richtig, das überholte Unterhaltsrecht zu überprüfen, sagte die Verbandsvorsitzende Michaela Engelmeier den Funke-Zeitungen. Arme Familien müssten unterstützt werden, dass auch sie die gemeinsame Verantwortung für die Kinder übernehmen und bezahlen könnten.

In den Eckpunkten für die Reform des Unterhaltsrechts ist auch vorgesehen, dass die finanzielle Lage von unverheirateten Müttern nach einer Trennung verbessert werden soll. Ihr eigener Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ex-Partner soll künftig so errechnet werden, als sei das Paar verheiratet gewesen. Dann würden sie in den ersten drei Lebensjahren des Kindes in der Regel mehr Unterhalt bekommen als heute.

Bettina Markmeyer


Nordrhein-Westfalen

Land will Steuerentlastung für bürgerschaftliches Engagement



Düsseldorf (epd). Nordrhein-Westfalen will bürgerschaftliches Engagement stärker würdigen. Die Landesregierung wird sich im Bundesrat dafür einsetzen, ehrenamtlich tätige Personen steuerlich stärker zu entlasten, wie der Düsseldorfer Landtag am 25. August mit großer Mehrheit beschloss. Dem Beschluss lag ein Antrag der Regierungsfraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen zugrunde.

Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) erklärte, er werde auf Bundesebene darauf hinwirken, dass unentgeltlich geleistete Tätigkeit im Ehrenamt steuerlich anerkannt werde sowie Freibeträge und Pauschalen inflationsgerecht erhöht würden. In den Finanzämtern soll eine zentrale Ansprechperson für die Beratung eingesetzt werden. Ferner werde geprüft, eine kostenlose rechtliche Erstberatung für gemeinnützige Vereine zu ermöglichen. Angestrebt wird auch, das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG) zu erweitern, damit sich auch ehrenamtlich Tätige qualifizieren können.

In NRW seien rund die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich engagiert, erkärte die CDU-Abgeordnete Katharina Gebauer (CDU) in der Plenardebatte. „Sie bringen Ideen, Fachwissen und Empathie ein und sind damit Vorbilder für uns alle.“ Der uneigennützige Einsatz trage maßgeblich zum sozialen Zusammenhalt bei und fördere die gesellschaftliche Teilhabe.

SPD: Ehrenamtsarbeit ist unbezahlbar

Simon Rock von den Grünen bezeichnete die deutsche Vereinskultur als einzigartig in der Welt. Wer sich freiwillig für die Gesellschaft einsetze, müsse nicht noch unnötige bürokratische Hürden überwinden müssen. Im Namen der SPD-Fraktion unterstützte Sven Wolf den Antrag. Die ehrenamtlich geleisteten Tätigkeiten seien unbezahlbar. „Zugleich schützt und bewahrt das Ehrenamt unsere Demokratie“, sagte er.

Die Freien Demokraten lehnten den Antrag ab. Es sei ein Widerspruch, wenn die Landesregierung einerseits von Wertschätzung spreche und andererseits die finanziellen Mittel für den Ehrenamtsbereich kürze, sagte der FDP-Abgeordnete Dirk Wedel. Außerdem seien die angestrebten steuerlichen Erleichterungen zu vage formuliert. Die AfD kritisierte die Initiative als „Schaufensterantrag“. Obwohl der öffentliche Dienst immer weiter aufgebläht werde, müsse das Ehrenamt den Staat aufrechterhalten.




sozial-Branche

Kirchen

Erste Hilfe für die Seele




Pfarrer Albrecht Röbke, evangelischer Koordinator der Notfallseelsorge, in der provisorisch eingerichteteten Zentrale in Bonn im Juli 2021
epd-bild/Meike Böschemeyer
Die Kirchen haben ihre Notfallseelsorge professionalisiert. Dabei geht es nicht nur um Hilfe bei Katastrophen, sondern auch bei überraschenden Todesfällen oder Suiziden. Der Bedarf wächst.

Waiblingen (epd). Unmittelbar nach der Flutkatastrophe waren sie im Ahrtal, um für Betroffene und Einsatzkräfte da zu sein: 110 Notfallseelsorger zusammen mit 110 Personen des Notfallnachsorgedienstes mehrerer Hilfsorganisationen aus Baden-Württemberg. Zwei Wochen lang, immer in Drei-Tages-Schichten. „Seelsorge für Menschen in höchster Not ist die ureigenste Aufgabe der Kirche. Hier ist Kirche mitten in der Gesellschaft präsent“, sagen Pfarrer Ulrich Enders, Leiter und Geschäftsführer des Landeskirchlichen Pfarramts für Polizei und Notfallseelsorge in Waiblingen, und Pfarrer Markus Schwab, Leiter der Landeskirchlichen Koordinationsstelle Notfallseelsorge. Frühe psychosoziale Unterstützung in Notsituationen könne in vielen Fällen verhindern, dass sich später ein Trauma bildet.

„Ein eindeutiges Gründungsdatum der Notfallseelsorge in Deutschland lässt sich nicht benennen. Sie begann mit vielen Geschichten an vielen Orten - zum Beispiel wenn ein Pfarrer gleichzeitig in der Feuerwehr oder im Rettungsdienst verwurzelt war“, heißt es auf der Homepage der Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Erste Überlegungen zur seelsorgerlichen Hilfe nach der Hamburg-Flut

Demnach wurden erste konkrete Schritte hin zur heutigen, deutlich anders und professionell strukturierten Notfallseelsorge nach der Flutkatastrophe in Hamburg 1962 eingeleitet. Die beiden Volkskirchen veröffentlichten seinerzeit die Broschüre „Kirchliches Handeln bei Unglücksfällen und Katastrophen“. „Aber die Zeit war noch nicht reif für die klare Ausprägung einer eigenen Notfallseelsorge; vielleicht auch, weil der Nachkriegsgeneration ein anderer Umgang mit seelischen Belastungen zugemutet beziehungsweise abverlangt wurde“, heißt es im geschichtlichen Rückblick.

In den 1980er und 90er Jahren folgten dann unabhängig voneinander mehrere kirchliche Initiativen, die zur Gründung von Notfallseelsorgesystemen führten. Einige dieser Initiativen verstanden ihre Arbeit als grundpastorale Aufgabe der Gemeindeseelsorge, wohingegen andere sich klar als Kategorialseelsorge etablieren wollten. Beide Sichtweisen bestehen bis heute.

Fast 5.000 Einsätze allein in Baden-Württemberg

Der Anstoß zur Notfallseelsorge als eigenem Arbeitszweig geht auf Katastrophen der 1990er-Jahre wie das Zugunglück in Eschede zurück. Etwa drei Viertel der jährlich fast 4.800 Einsätze von 1.227 Notfallseelsorgern in Baden-Württemberg finden jedoch nicht im öffentlichen, sondern im privaten Raum statt. „In 40 Prozent der Fälle, in denen die Einsatzleitstelle der Rettungskräfte Unterstützung anfordert, geht es um plötzliche Todesfälle; auf Platz zwei und drei liegen die Überbringung von Todesnachrichten mit der Polizei und die Begleitung nach Suizid“, erläutert Schwab.

Während die Polizei vor allem mit Sachbearbeitung beschäftigt sei, sei es Aufgabe der Psychosozialen Notfallversorgung, der Notfallseelsorge sowie der Krisenintervention von Hilfsorganisationen, Menschen zu stabilisieren, die akute Belastungsreaktionen zeigen. „Das zeigt sich in der Regel entweder so, dass sie im sogenannten Freezing sind, wie erstarrt wirken oder umgekehrt, dass sie sehr unruhig werden“, erklärt Schwab.

Nähe zeigen und Menschen behutsam begleiten

In beiden Fällen gelte es, Nähe zu zeigen, Menschen behutsam zu begleiten und zu betonen, dass ihre Reaktionen normal sind. „Wir erklären weitere Abläufe, informieren zum Beispiel über das Recht, den Verstorbenen noch 36 Stunden zu Hause zu haben, und machen Mut, den Leichnam zu berühren“, so Schwab. „Oft ist die wichtigste Frage: ‚Wen hätten Sie jetzt gerne bei sich?‘“

Enders ergänzt: „Es ist wichtig zu erfassen, was jeweils für eine würdige Trauer nötig ist, ein Setting zu schaffen, das allen Beteiligten hilft. Etwa einen Toten aus der Unfallszene herauszunehmen und ein Grasbett für ihn herzurichten. Das wird oft auch von den Rettungskräften gewürdigt.“

Neben Pfarrerinnen und Pfarrern mit Weiterbildung in Notfallseelsorge spielen zunehmend qualifizierte Ehrenamtliche eine wichtige Rolle in der Ausübung dieses ökumenischen Dienstes. Die Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg sowie die Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Freiburg haben sich in einer Vereinbarung mit dem Land dazu verpflichtet, ihren seelsorgerlichen Auftrag in Notfällen auf Landkreisebene verlässlich wahrzunehmen, bei Bedarf auch gegenüber stark belasteten Einsatzkräften.

Gemeinsame Finanzierung von Koordinationsstellen

Das gemeinsame Anliegen von Landkreisen, Diözesen und Landeskirchen zeigt sich auch in der Finanzierung von hauptamtlichen Koordinationsstellen zu je einem Drittel. „In den zehn württembergischen Landkreisen, in denen es eine solche Stelle bereits gibt, ist die Arbeit der Notfallseelsorge in vielerlei Hinsicht am Wachsen. Meine katholische Kollegin und ich arbeiten daran und rechnen damit, dass es langfristig flächendeckend in Württemberg solche Stellen geben kann“, sagt Enders.

„Die württembergische Landessynode hat die Notfallseelsorge bisher eigentlich immer einstimmig unterstützt“, lobt er. Dennoch blieben im Zusammenhang mit dem Pfarrplan, der erhebliche Stellenkürzungen vorsieht, Wünsche an die Kirchenleitung offen. „Wir brauchen auch in Zukunft Stellenzuschnitte, mit denen Pfarrerinnen und Pfarrer, die zusätzlich mit Notfallseelsorge beauftragt sind, in den Kirchenbezirken der Rücken freigehalten wird.“

Uta Rohrmann


Gesundheit

Pflege in Kliniken vor dem Kollaps




Krankenschwester mit Patient
epd-bild/Hardy Müller
Weniger Azubis, mehr Pflegebedürftige: Die Zukunft der stationären Krankenpflege ist schwierig. Um den Fachkräftemangel auszugleichen, greifen Kliniken zunehmend auf Hilfskräfte zurück. Auf der Strecke bleibt die Qualität. Der Pflegeberuf steckt in der Klemme.

Stuttgart/Freiburg (epd). Der Fachkräftemangel ist in den Kliniken ein drängendes Thema. In Baden-Württemberg sei der Mangel regional unterschiedlich ausgeprägt und betreffe unterschiedliche Berufsgruppen, sagte der Geschäftsführer des Diakonie-Klinikums Stuttgart, Bernd Rühle, dem Evangelischen Pressedienst (epd). In den Ballungsräumen sei es leichter, ärztliches Personal zu gewinnen.

Personal bei der Stange halten

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, versuche das Diakonie-Klinikum Stuttgart wie auch andere Häuser, zunächst dem eigenen Personal attraktive Angebote zu machen, um es bei der Stange zu halten, so Rühle. Pflegekräfte könnten beispielsweise individuelle Arbeitszeitmodelle wählen. Kurzfristige Personalausfälle würden durch einen Springerpool ausgeglichen, bei dem die Mitarbeitenden die Arbeitszeit selbst bestimmen.

Dass dieser Ansatz Erfolg verspricht, macht unter anderem das Evangelische Diakoniekrankenhaus Freiburg vor. Personalmangel herrsche dort nicht, so ein Sprecher. Das Krankenhaus wurde indes mehrfach als „einer der besten Arbeitgeber im Bereich Kliniken“ ausgezeichnet.

Auch die Personalgewinnung - gerade von ausländischem Pflegepersonal - spiele eine wichtige Rolle, stelle die Häuser in der Umsetzung aber vor neue und zusätzliche Herausforderungen, betont Rühle. Sollten Springerpool und Fremdpersonal nicht reichen, bleibe den Häusern nur, die Bettenzahl auf das verfügbare Personal anzupassen - um den Preis von weniger Einnahmen.

Gesetzlich festgelegte Personaluntergrenze

In vielen Kliniken verfolge man einen „Skillmix“, sagt der Vorsitzende der baden-württembergischen Landesgruppe des Bundesverbandes Pflegemanagement, Oliver Hommel. Zur Entlastung der Fachkräfte würden zunehmend Hilfskräfte mit anderen, fachfremden Berufsabschlüssen eingesetzt, etwa Arzthelferinnen. Manche Arbeitsabläufe wie die Essensausgabe würden ausgelagert, um das Pflegepersonal zu entlasten, so Hommel.

„Diese Situation wird sich in den nächsten Jahren nicht weiter verändern“, erwartet der examinierte Krankenpfleger. Das Fachpersonal belibe knapp. Dazu kommt, dass die Babyboomer-Generation in den kommenden Jahren aus dem Berufsleben ausscheidet.

Gesetzlich festgelegte Personaluntergrenzen verschärfen die Situation in der Pflege. Auf Intensivstationen etwa dürften Hilfskräfte nicht zum Betreuungsschlüssel hinzugezählt werden, erklärt Hommel. Auch seien die Krankenkassen immer weniger bereit, überhaupt Hilfskräfte in der Pflege zu finanzieren. Der Verbandsvorsitzende fordert „mehr Spielräume vonseiten der Politik“. Um die Personaluntergrenzen einzuhalten, reduzieren Häuser teilweise die Bettenzahl. Denn wenn die Einrichtungen die vorgegebenen Grenzen unterschreiten, drohen finanzielle Sanktionen.

Können Angehörige helfen?

Sind Angehörige, die die Kliniken unterstützen ein Ausweg, um den Personalmangel auszugleichen? „Ich kann es mir durchaus vorstellen, dass das vorkommt, allerdings nicht flächendeckend“, meint die Fachbereichsleiterin für Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft der Gewerkschaft ver.di, Irene Gölz.Gölz. Als „fatal und falschen Weg“ bezeichnet Oliver Hommel diese Möglichkeit. „Man sollte Angehörige nicht aus der Not heraus einbinden.“

„Angehörige einzubeziehen, hilft nicht, weil die gesetzlichen Vorgaben eine Personalausstattung mit Fachkräften zum Inhalt haben“, warnt Rühle vor einer Absenkung des pflegerischen Standards in Deutschland. Er räumt jedoch ein: „Die Delegation von einfachen Tätigkeiten auf un- oder geringqualifizierte Hilfskräfte ist heute nicht unüblich.“ Das Problem des Fachkräftemangels in der Pflege ist damit jedoch nicht gelöst. Um Pflege in der Zukunft zu sichern, wünscht sich Hommel vielmehr „Schwung und eine Portion Optimismus“ für den Beruf.

Susanne Lohse


Gesundheit

Verbände: Krankenhaustransparenzgesetz verfehlt Ziele



Berlin (epd). Die Diakonie Deutschland, Deutsche Evangelische Krankenhausverband (DEKV) und der Katholische Krankenhausverband Deutschland (kkvd) halten die vorliegende Fassung des Krankenhaustransparenzgesetzes für unzureichend. Die Gesetzespläne würden dazu führen, dass nur unklar über die Behandlungsqualität der Kliniken informiert würde, heißt es in einer am 28. August veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme.

Die eavngelischen Organisationen unterstützten alle Schritte, „die Patientinnen und Patienten helfen, transparente Informationen über die Behandlungsqualität der Krankenhäuser zu erhalten“, hieß es. Der vorliegende Entwurf zum Krankenhaustransparenzgesetz könne dieses Ziel aber nicht erfüllen. „Die Zuordnung eines Hauses zu Leveln oder Versorgungsstufen sagt nichts über die Versorgungsqualität oder Spezialisierung eines Krankenhauses aus“, heißt es in der Stellungnahme Auch sei die Darstellung der Ergebnisqualität ohne eine patientinnenbezogene Risikoadjustierung nicht möglich.

Qualitätbericht weiterentwickeln statt neues Portal schaffen

„Das Transparenzportal ist überflüssig. Wir setzen uns dafür ein, den bereits etablierten Qualitätsbericht so weiterzuentwickeln, dass er für Patientinnen und Patienten verständlicher wird“, erklärte Christoph Radbruch, Vorsitzender des DEKV: „Evangelische Krankenhäuser verstehen den Qualitätswettbewerb als Motor für Innovation und Verbesserung in der Versorgung der Patientinnen und Patienten. Daher setzen wir uns dafür ein, an geeigneten Werkzeugen und Informationen zur bürgerverständlichen Einschätzung der Behandlungsqualität mitzuwirken.“

Kritisch sehen die Verbände vor allem folgende drei Pläne: Sie monieren, dass die Ergebnisqualität nicht korrekt dargestellt werde. Weil sich die behandelten Patientengruppen in den Krankenhäusern unterscheiden, müssen diese Daten danach gewichtet werden, ob vorwiegend alte und multimorbide Menschen behandelt wurden oder jüngere und gesündere. Auch bei Fachkliniken sei diese Gewichtung unverzichtbar, weil diese Kliniken aufgrund ihrer Expertise gerade die komplexen Fälle mit einem hohen Komplikations- und Morbiditätsrisiko behandeln. „Daher muss die patientinnenbezogene Risikoadjustierung in das Gesetz aufgenommen werden, um die Ergebnisqualität für alle Krankenhäuser korrekt darzustellen.“

Noch fehlen die Leistungsgruppen in vielen Ländern

Zudem wird in der Stellungnahme ein Vorgriff auf die Entwicklung qualitätsbezogener Leistungsgruppen durch die Länder abgelehnt, die zum überwiegenden Teil erst noch eingeführt werden müssen. „Die Diakonie Deutschland und der DEKV fordern, den Start des Transparenzportals zu verschieben, bis im Zuge der Krankenhausreform die Leistungsgruppen inklusive der Qualitätsvorgaben definiert sind.“

Schließlich gibt es deutliche Kritik an dem geplanten Versorgungsstufen, die als Qualitätsinstrument ungeeignet seien. Qualitätskriterien spielten im Gesetzentwurf bei der Zuordnung der Level keine Rolle. „Daher sind sie als Instrument zur Qualitätseinschätzung nicht geeignet und im Transparenzportal kann auf dieses Werkzeug verzichtet werden“, heißt es in der Stellungnahme.

kkvd: Auch kleine Kliniken haben Expertise und Erfahrung

Der Katholische Krankenhausverband Deutschland (kkvd) warnte ebenfalls, dass die geplante Level-Einteilung die Patientinnen und Patienten in die Irre führe. „Weder die Größe noch die Breite des Leistungsangebots ist maßgeblich dafür, welche Behandlungsqualität die Menschen in ihrer konkreten Situation erwarten können“, sagte Bernadette Rümelin, die Geschäftsführerin des Verbandes. Vielmehr seien medizinische Expertise und Erfahrung die ausschlaggebenden Faktoren. „Diese Expertise und Erfahrung sind auch an mittleren und einigen kleinen Kliniken zu finden, wenn sie sich als Leuchttürme in einem Fachgebiet spezialisiert haben.“

Anstatt ein weiteres Transparenzverzeichnis zu schaffen, schlägt der Katholische Krankenhausverband ebenfalls vor, auf den Qualitätsberichten aufzusetzen und das vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) längst auf den Weg gebrachte Qualitätsportal nachzubessern und fertigzustellen.

Dirk Baas


Gesundheit

Rund 40.000 Menschen erkranken jedes Jahr an schwarzem Hautkrebs




Solveig Schnaudt
epd-bild/Rosemarie Schönthaler
Rund 300.000 Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr an Hautkrebs. Bei rund 40.000 von ihnen wird sogar das gefährliche maligne Melanom festgestellt. Hautärzte warnen daher vor Sonnenbränden. Doch neue Therapien wecken Hoffnung.

Verden/Osnabrück (epd). Als der Anruf von der Arztpraxis kam, ahnte sie schon Schlimmes. Sie solle rasch zum persönlichen Gespräch mit der Hautärztin kommen, hieß es. Das war vor neun Jahren. Damals erhielt Solveig Schnaudt, Bauingenieurin aus Verden bei Bremen, im Alter von 51 Jahren eine Diagnose, die ihr Leben von Grund auf verändern sollte: Auf ihrer Haut hatte sich ein aggressiver Tumor gebildet, drei Millimeter groß, ein malignes Melanom, bekannt als schwarzer Hautkrebs. „Für mich brach die Welt zusammen“, erinnert sie sich heute. „Das erste, was ich gedacht habe, war: Ich möchte noch erleben, dass meine Kinder erwachsen werden.“

Mit 21 gestorben

Der Tumor, das war ein schwarzer Fleck am Oberschenkel, der aussah wie ein Muttermal. Die Ärzte schnitten ihn weg. Doch die Angst blieb. Denn bei Solveig Schnaudt wurden Erinnerungen wach an eine Freundin, die vor 40 Jahren eine ähnliche Diagnose erhalten hatte und mit 21 Jahren starb. „Ich sehe noch ihr Gesicht vor mir.“ Heute wird schwarzer Hautkrebs in Deutschland immer häufiger festgestellt: 2021 gab es nach Zahlen der Deutschen Krebshilfe 41.360 maligne Melanome. 2023 werden es nach einer Prognose rund 42.300 sein.

Bei der Ursache der Erkrankung sind sich die Mediziner einig: Sie wird durch häufige Sonnenbrände ausgelöst, auch eine erbliche Veranlagung spielt eine Rolle. Als besonders gefährlich gelten Sonnenbrände in der frühen Kindheit, wenn die Haut noch nicht voll ausgebildet und äußerst empfindlich ist. Kinder und Erwachsene sollten sich daher unbedingt vor starker Sonnenstrahlung schützen, rät der Dermatologe Professor Christoph Skudlik von der Universität Osnabrück: „Ultraviolettes Licht hat eine hoch krebserregende Wirkung.“

Skudlik hält es daher für keine gute Idee, wenn etwa Urlauber am Strand mittags in der Sonne braten und dabei eine Rötung ihrer Haut riskieren. „Durch die UV-Strahlen wird dann die Erbinformation unserer Hautzellen geschädigt.“ Zwar kann das Immunsystem diese Schäden reparieren. „Aber irgendwann kann es zu viel sein. Dann können Hautzellen entarten.“ Wer im Laufe seines Lebens sein „Hautkonto“ überziehe, dem präsentiere der Körper irgendwann die Rechnung, betont der Arzt.

„Sie fand immer: Braun sieht gesund aus“

Auch Solveig Schnaudt erinnert sich an viele Sonnenbrände in ihrer Jugend. „Ich bin immer aufgefordert worden: Du bist so blass, geh doch mal in die Sonne.“ Sie selbst habe eher den Schatten gesucht, aber ihre Mutter sei eine „Sonnenanbeterin“ gewesen: „Sie fand immer: Braun sieht gesund und schön aus.“

Das Schönheitsideal der Bräune: der Hautarzt Skudlik sieht es mit großer Skepsis. „Aus ärztlicher Sicht ist Bräune kein erstrebenswerter Zustand“, sagt er. „Weil es immer bedeutet: Die Haut hat sich gewehrt.“ Nach Angaben der Deutschen Krebshilfe ist das maligne Melanom bei Frauen zwischen 20 und 29 Jahren inzwischen die häufigste Art von Krebs. Experten führen dies auf häufiges Sonnen und Besuche im Solarium zurück.

Bei allen Gefahren gibt es beim Hautkrebs für die Betroffenen allerdings eine große Chance: Man kann ihn meistens sehen. „Wird ein Tumor frühzeitig erkannt, kann er mit vollständiger Heilung herausgeschnitten werden“, sagt Skudlik. Der Mediziner rät deshalb allen Menschen mit einem Hautkrebs-Risiko zu einem regelmäßigen Screening beim Hautarzt, der ein Melanom zuverlässig von einem harmlosen Muttermal unterscheiden kann.

Wieder ein Schock, wieder Angst

Bei Solveig Schnaudt schien vier Jahre lang erst einmal alles gut zu sein, nachdem der Tumor entfernt worden war. Doch dann zeigten sich am Bein plötzlich kleine Knubbel unter der Haut. „Die wuchsen schnell heran, bis sie erbsengroß waren.“ Die Ärzte erkannten sofort: Es waren Metastasen. Wieder ein Schock, wieder Angst - doch Solveig Schnaudt hatte in einer Selbsthilfegruppe nun schon viele Therapiemöglichkeiten kennengelernt. „Ich habe einfach darauf vertraut, dass die Ärzte das in den Griff kriegen.“

Und so kam es. Denn auch für Menschen mit Hautkrebs-Metastasen sieht es inzwischen erheblich besser aus als noch vor zehn Jahren, weil die Krebsmedizin seither rapide Fortschritte gemacht hat. So sind jetzt Immuntherapien verfügbar, durch die sich die Chancen für die Patienten und Patientinnen deutlich verbessern. „Man kann es nicht bei jedem Patienten garantieren, aber man kann die Erkrankung kontrollieren“, sagt der Experte Skudlik.

Solveig Schnaudt nahm an einer Studie teil, mehrere Therapien wurden an- und wieder abgesetzt, bis die Ärzte die richtige Form der Behandlung für sie fanden. Und die Metastasen bildeten sich allmählich zurück. „Ich kann mit der Krankheit jetzt ganz gut leben“, sagt sie. Allerdings ist sie nicht mehr so stressresistent wie früher - eine Nebenwirkung der Medikamente. Zeitweise reduzierte sie deshalb ihre Arbeitszeit.

Viel Zeit steckt sie heute in die Selbsthilfearbeit. Und unermüdlich betont sie, wie wichtig die Prävention ist. „Damit andere Menschen nicht das noch einmal durchmachen müssen, was ich erlebt habe.“ Ihr Rat an alle Betroffenen: „Den Kopf nicht in den Sand stecken, den Mut nicht verlieren. Irgendwie gibt es immer eine Lösung.“

Michael Grau


Ehrenamt

Gastbeitrag

"Vielfalt der Freiwilligendienste ist in Gefahr"




Birgitta Kelbch
epd-bild/Nicole Cronauge/Bistum Essen
In Deutschland leisten jährlich 100.000 Menschen einen Freiwilligendienst. Nun hat die Bundesregierung angekündigt, die Fördermittel für das Jahr 2024 um 78 Millionen Euro zu kürzen. Welche Konsequenzen das hat, beschreibt Birgitta Kelbch, Leiterin der Freiwilligendienste im Bistum Essen, in ihrem Gastbeitrag für epd sozial.

Essen (epd). Die geplanten Kürzungen bedeuten bundesweit Einschnitte in Höhe von fast 25 Prozent der bisherigen Mittel im Bereich der Freiwilligendienste. 2025 sollen weitere 35 Millionen Euro eingespart werden. Mit diesen voraussichtlichen Mittelkürzungen wird 2024 jeder vierte Platz in den Freiwilligendiensten wegfallen - 2025 sogar jeder dritte. Bei uns im Bistum Essen würden schon im nächsten Jahr 85 von derzeit 350 Plätze gestrichen, in NRW wären 5.800 Plätze betroffen und bundesweit sogar über 27.000 Plätze. Damit können die Freiwilligendienste in der Menge und der Vielfalt, wie wir sie bisher kennen, nicht mehr angeboten werden.

Befürworter der Einsparungen argumentieren, dass die Zahlen der Bewerberiinen und Bewerber jährlich stark schwanken. Aber so einfach ist es nicht. Je nach Einsatzbereich, Kommune oder Region, sowie auch nach Jahrgang stellt sich die Situation sehr unterschiedlich dar. Oft scheitert das Engagement junger Menschen nicht am Interesse, sondern an großen Hürden, die nur durch politische Entscheidungen überwunden werden können. Wer vom Taschengeld in Höhe von maximal 438 Euro, plus einer möglichen Verpflegungspauschale eine Wohnung in der Nähe des Einsatzortes, eine Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr und den Lebensunterhalt bezahlen muss, kann sich einen Freiwilligendienst nicht leisten.

Eigentlich braucht es mehr Geld für weitere Stellen

Daraus folgt: Um jungen Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen einen Freiwilligendienst zu ermöglichen, müsste die Politik anstelle von Kürzungen deutlich mehr finanzielle Mittel bereitstellen. Das ist ein unabdingbarer Grundstein, damit die Freiwilligendienste auch eine gesellschaftliche Wertschätzung erfahren, die angemessen ist.

Wenn Freiwilligendienste wegfallen, werden unseren Wohlfahrtsverbänden und damit der ganzen Gesellschaft langfristig engagierte Menschen fehlen, die während ihres Dienstes eine erhöhte Wertschätzung für soziale und kulturelle Berufe entwickeln. Zudem bringen gerade junge Menschen mit ihren individuellen Kompetenzen neue Impulse und frischen Wind in die Einsatzstellen, entlasten oft die Fachkräfte durch ergänzende Tätigkeiten und bereichern den Alltag der vielen Menschen, um die sie sich kümmern.

Je nach Dienstverlauf und persönlichem Interesse gelingt es in den Einsatzstellen vielfach, Freiwillige auch langfristig zu binden. Das kann über eine Weiterbeschäftigung während des Studiums, über ehrenamtliches Engagement oder über eine Ausbildung direkt im Anschluss geschehen. Viele Freiwillige bleiben erfahrungsgemäß den Einsatzstellen über ihren Dienst hinaus eng verbunden und circa die Hälfte aller Dienstleistenden entscheiden sich für eine Ausbildung oder ein Studium im sozialen Bereich. Nicht selten sind ehemalige Freiwillige Jahre später in genau den Einrichtungen und Diensten tätig, die sie zuvor unterstützt haben - und leiten dort selbst mit großem Engagement neue Freiwillige an.

Dienste helfen beim Erlernen partizipativer Strukturen

Über die berufliche Perspektive hinaus zeigt unsere Erfahrung, dass ein sozialer Dienst beim Erlernen demokratischer und partizipativer Strukturen hilft und bürgerschaftliches Engagement stärkt. Auch Inklusion ist in den Freiwilligendiensten bereits gelebte Praxis. Gerne würden wir den Einsatz von Freiwilligen mit Behinderungen oder sozialen Problemlagen sowie aus finanziell schwächeren Elternhäusern oder vielfältigen Familienkonstellationen weiter ausbauen. Als Träger müssen wir die finanziellen Möglichkeiten haben, dass sich alle Menschen orientieren, schulisch oder beruflich neu aufstellen und ihre individuellen Fähigkeiten entwickeln können, denn der Freiwilligendienst ist geeignet, alle Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und gesellschaftlich integrativ zu wirken. All das steht mit den angekündigten Einsparungen im Bundesetat auf dem Spiel.

Sollten die in Aussicht gestellten Kürzungen kommen, müssen sich die Träger der Freiwilligendienste mit den Wohlfahrtsverbänden und Jugendverbänden darauf einstellen, dass wesentlich weniger Plätze zur Verfügung gestellt werden und dass vor Ort entschieden werden muss, in welchen Tätigkeitsfeldern konkret die Freiwilligen fehlen werden. Ob das in der Ergänzung der Pflege oder in Betreuungsdiensten sein wird, in Kindertagesstätten, offenen Ganztagsgrundschulen, Jugendverbänden oder der Eingliederungshilfe. Wie bei unseren Freiwilligendiensten im Bistum Essen wird das bei jedem Träger zu diskutieren sein.

Individuelle Begleitung der Freiwiligen wird leiden

Für die Träger bedeutet eine Mittelkürzung aber auch eine drohende Personalkürzung. Das hat zur Folge, dass Freiwillige weniger individuell begleitet werden können, insbesondere in Krisenzeiten oder bei Orientierungsfragen. Jedoch genau in diesen Bereichen haben junge Menschen größeren Beratungs- und Unterstützungsbedarf, unter anderem in Folge von individuell erlebten Einschränkungen in Zeiten der Corona-Pandemie. Die pädagogische Begleitung der Freiwilligen außerhalb der Seminarzeiten müsste damit in den Einsatzstellen geleistet werden oder in der bisherigen Qualität wegfallen.

Inflationsbedingt sind gleichbleibende Fördermittel für die Träger derzeit schon eine große Herausforderung. Sollten die Mittel, wie angekündigt, gar massiv gekürzt werden, so demontiert die Bundesregierung eine erfolgreiche Orientierungs-, Bildungs- und Berufsfindungszeit in bewährten Formaten. Anstatt über einen allenfalls langfristig umsetzbaren und viel teureren Pflichtdienst für junge Leute zu diskutieren wäre es ein wichtiger Dienst an der gesamten Gesellschaft, die lange etablierten Freiwilligendienste nicht einzuschränken, sondern sie im Gegenteil weiter auszubauen.

Birgitta Kelbch ist Leiterin der Freiwilligendienste im Bistum Essen


Diakonie

"Wohnungslose nicht aus Bahnhofsbereich vertreiben"



Alkohol- und Drogenkonsumierende prägen das Bild um den Hamburger Hauptbahnhof. In der Politik werden Alkoholverbotszonen und Trinkerräume diskutiert. Der Diakonie ist dagegen wichtig, dass keine Wohnungslosen vertrieben werden.

Hamburg (epd). Die Diakonie Hamburg lehnt eine Vertreibung von wohnungslosen Menschen ab. Ein Alkoholverbot in Bereichen rund um den Hauptbahnhof sieht sie auch vor diesem Hintergrund kritisch. Sogenannte Trinkerräume, in denen der Konsum von Alkohol erlaubt ist, könnten unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll sein, auch sie dürften aber keine Vertreibungen zum Ziel haben, sagte Stephan Nagel, bei der Diakonie zuständig für die Themen Wohnungslosen-, Suchtkrankenhilfe und Armut, auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd).

Die Innenbehörde plant für kommendes Jahr die Einführung von Alkoholverbotszonen in speziellen Bereichen rund um den Hauptbahnhof. Für die Einrichtung von Trinkerräumen in Bahnhofsnähe als Ergänzung zur Drogenberatungsstelle „Drob Inn“ sprach sich Jennifer Jasberg, Co-Vorsitzende der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, aus. Andere Städte hätten mit der Bereitstellung von Trinkerräumen gute Erfahrungen gemacht, sagte sie in einem Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR).

„Starke Grundrechtseinschränkung“

„Alkoholverbote stellen starke Grundrechtseinschränkungen dar, die rechtlich kaum zu begründen sind, denn das Grundgesetz lässt Freiheitsbeschränkungen nur zu, wenn eine sachliche Rechtfertigung - zum Beispiel durch Gefahren - besteht und Maßnahmen verhältnismäßig sind“, kritisiert dagegen Nagel. Die Einrichtung eines Trinkraumes in Hauptbahnhofsnähe könne die Einführung eines Alkoholverbots „weder rechtfertigen noch die negativen Folgen eines Alkoholverbots für die Betroffenen kompensieren“.

Trinkräume könnten nur einen Beitrag zum niedrigschwelligen Suchthilfeansatz leisten, sofern stimmige Konzepte für die jeweilige Situation im Stadtteil vorlägen, sagte Nagel von der Diakonie. Außerdem müsse sichergestellt sein, „dass weder eine offene noch eine verdeckte Vertreibung von Straßenszenen damit unterstützt wird“. Die Nutzung müsse zudem „strikt freiwillig“ sein.

Betroffene trinken dann woanders

Indem das Trinken in bestimmten Bereichen rund um den Bahnhof verboten werde, würden ja die Menschen „nicht verschwinden“, sagte Grünen-Politikerin Jasberg. Sie würden „weiterhin da sein und wahrscheinlich auch konsumieren“.

Ebenfalls in einem NDR-Interview sprach sich FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels für eine Verlagerung der Drogenberatungsstelle „Drob Inn“ in einen anderen Hamburger Stadtteil aus. Die Lage am Hauptbahnhof habe sich zugespitzt, man müsse „diese Risikofaktoren, die Drogenszene auf der einen und die Kriminalität auf der anderen Seite, nicht zu sehr auf dieses Areal konzentrieren“, sagte sie dem NDR.

Experte: Trinkräume lösen die Konflikte nicht

Bereits am 17. März hieß es in einer Senatsantwort auf eine Anfrage der Abgeordneten Deniz Celik und Stephanie Rose (beide Linke), die Polizei reagiere seit dem vierten Quartal 2022 „auf ein erhöhtes Hinweis- und Beschwerdeaufkommen von Bürgern, Handeltreibenden und Wirtschaftsverbänden“. Darin sei insbesondere von Begleiterscheinungen der Obdachlosigkeit in der Innenstadt die Rede, wie einem erhöhten Aufkommen an Unrat und Exkrementen sowie Personen, die erheblich alkoholisiert wirkten.

Dass diese Konflikte im öffentlichen Raum mit Trinkräumen vorbei sind, glaubt der Diakonie-Experte nicht. Nagel: „Die Konflikte würden sich vielleicht ein wenig entspannen, lösen lassen sie sich hierdurch nicht“. Der „richtige Kurs“ für die Politik in Hamburg sei „eine soziale Politik, die auf Unterstützung, Zugang zu Grundsicherungs- und medizinischen Leistungen sowie Vermittlungen in Wohnungen setzt“.

Marcel Maack


Medien

Mit Anna unterwegs in Bethel




Anna Hofmann
epd-bild/Katrin Nordwald
Hier geht es nicht um perfekte Bilder: Mit dem Instagram-Kanal @1jahr_menschennah stellen die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel ihre Arbeit vor. Influencerin Anna nimmt die Follower mit zur Blutspende, in die mobile Disco und ins Kinderhospiz.

Bielefeld/Hamburg (epd). „Achtung Trigger“, warnt Anna Hofmann. „In diesem Video sind Bilder von Blut und Nadeln enthalten!!“ In einer Selbstreportage auf Instagram lässt sie sich beim Blutspendedienst Bethel in Bielefeld einen halben Liter ihres roten Lebenssaftes abnehmen. „Ihr braucht euch keine Sorgen machen, dass man die größere Nadel spürt oder sonstige Schmerzen während der Spende hat“, schreibt sie dazu in ihrem Blog.

Accounts zur Eigenwerbung

Die 18-jährige Anna Hofmann ist die erste „Bethel-Influencerin“ in dem sozialen Netzwerk. Im Kanal @1jahr_menschennah veröffentlicht sie in Tagesabständen Zwei-Minuten-Beiträge über die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, eines der größten diakonischen Unternehmen mit über 200 Standorten in Deutschland.

In kurzen Videos, sogenannten Reels, stellt sie die Arbeit der verschiedenen Bethel-Einrichtungen vor oder lässt Menschen mit Behinderungen in Kurzporträts von sich erzählen. Die Influencer-Stelle wird seit 2022 im Rahmen des „Betheljahres“ angeboten, einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), das den Angaben zufolge jedes Jahr rund 500 junge Erwachsene absolvieren.

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen sind wie viele andere diakonische Einrichtungen auf Instagram mit verschiedenen Accounts vertreten, die der Eigenwerbung dienen. Der neue Kanal mit zurzeit rund 700 Followern solle eine weitere Perspektive mit Blick der Generation Z eröffnen, sagt Bethel-Sprecher Johann Vollmer. „Ob Anna zur Blutspende geht oder beim Bethel-Imker Bienen aus dem Honigstock holt, mit ihrer authentischen, unmittelbaren Art nimmt sie andere mit, die sich sagen: Wenn Anna dahin geht, dann kann ich das auch.“

Glaubwürdige Influencer

Hofmann sitzt beim Online-Team der Pressestelle, arbeitet aber größtenteils selbstständig. „Wir haben kein festes Ziel gesetzt, alles sollte sich organisch entwickeln“, betont ihr Chef Vollmer.

„Ich kümmere mich selbst um Termine, oft ergeben die sich spontan“, sagt die Bielefelderin, die im vergangenen Jahr ihr Abitur gemacht hat und durch eine Freundin auf das „Betheljahr“ aufmerksam wurde. Im Gepäck hat sie stets ihr Diensthandy, um Aufnahmen zu machen, und ein mobiles Mikro. Die Beiträge schneidet sie mit einer App. „Dafür brauche ich so eine Stunde, ich achte darauf, nicht mehr als drei Minuten Material zu haben.“

Grundsätzlich sei es sinnvoll für ein Unternehmen wie Bethel, auch in sozialen Medien aktiv zu sein, sagt Leonie Wunderlich vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg. Sie war an der Mediennutzungsstudie „UseTheNews-Studie 2021“ mit 1.508 Menschen beteiligt. In 22 zusätzlichen Tiefeninterviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sie festgestellt, dass insbesondere „kleine“ Influencerinnen und Influencer, die eine vergleichsweise geringe Followerschaft haben, als glaubwürdig wahrgenommen werden.

„Der Eindruck von Echtheit verstärkt das Gefühl der Zugänglichkeit, was die Grundlage für den Aufbau affektiver Beziehungen bildet“, erklärt sie. Gern geschaut würden beispielsweise die Beiträge des YouTubers Leeroy, einem ehemaligen Rollstuhlbasketballer. „Megastars“ wie Bibis Beautypalace oder die Kardashians mit Millionen Followern seien dagegen von den befragten Jugendlichen als abgehoben eingestuft worden. Deren scheinbar „schönes Leben“ stille bei den Nutzerinnen und Nutzern die Sehnsucht nach positiven Inhalten, sagt Wunderlich, „wenngleich ein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass nicht alles so perfekt ist, wie es dargestellt wird. Aber die Illusion reicht aus.“

Größte Herausforderung

Seit dem offiziellen Start von @1jahr_menschennah im vergangenen November hat Anna Hofmann mehr als 80 Clips veröffentlicht, dazu kommen tagesaktuelle Umfragen. Sie besuchte zum Beispiel im niedersächsischen Diepholz eine betreute Wohngruppe für Jugendliche, die im hauseigenen Tonstudio selbst geschriebene Songtexte einsingen, begleitete eine mobile Disco für Bethel-Einrichtungen oder nahm in Dortmund an einem Kurs zur Sterbebegleitung teil.

In Berlin war sie bei der Premiere einer Dokumentation des Fotografen und Filmemachers Jim Rakete über das Bielefelder Kinder- und Jugendhospiz dabei. Ihr Interview mit der todkranken Bercem (13), die im Film die Hauptrolle hat, kam auf Instagram bislang auf 63.600 Zugriffe.

Den Besuch der Hospizarbeit empfand die 18-Jährige als größte Herausforderung in ihrer Rolle als Influencerin. „Da geht man mit einem anderen Gefühl rein, weil es für viele Leute ein Graubereich und Tabu ist, sie sich nicht mit dem Sterben beschäftigen wollen“, beschreibt sie ihre Stimmung damals. Das Kinder- und Jugendhospiz Bethel habe sie dann aber als einen besonderen Ort erfahren: „Der Schwerpunkt liegt dort auf der Entlastung der Familien.“

Zum Wintersemester 2023/24 wird Hofmann an der Universität Bielefeld Wirtschaftswissenschaften studieren. Den Kanal @1Jahr_menschennah gibt sie im September an einen neuen „Betheljahr“-Teilnehmer ab: Lasse Luttmann. „Der Wechsel zu einem jungen Mann als Influencer war nicht Absicht, ist aber gut, da jede und jeder einen ganz persönlichen Ansatz mitbringt“, sagt Johann Vollmer.

Katrin Nordwald


Behinderung

Sabine Fries will den Bedürfnissen Gehörloser Gehör verschaffen




Sabine Fries
epd-bild/Gabriele Ingenthron
Professorin für Gehörlosenstudien, Theologin, Mutter dreier Kinder und selbst gehörlos: Sabine Fries hat einen einzigartigen Weg hinter sich.

Landshut (epd). Sabine Fries ist die erste gehörlose Professorin in Deutschland und unterrichtet an der Hochschule in Landshut den Nachwuchs an Gebärdensprachdolmetschern. „Der Bedarf ist immens“, sagt Fries. Während in den USA Nachrichtensendungen, kulturelle Veranstaltungen und Vorträge wie selbstverständlich „gebärdet“ werden, ist das in Deutschland noch die Ausnahme.

Auch wenn das Verständnis für Gehörlose in der Gesellschaft schon viel größer geworden sei: Die Inklusionsmaßnahmen der Bildungspolitik beschränkten sich häufig darauf, „taube Menschen mit noch besseren Geräten hörend zu machen oder noch besser lautsprachlich kommunizieren zu lehren“, sagt Fries. „Letztlich bleiben sie dadurch von vielen Informationen ausgeschlossen.“

Wollen gehörlose Kinder in eine Regel- statt Förderschule gehen, um eine adäquate Bildung zu erhalten, müssten Eltern einen Gebärdensprachdolmetscher besorgen und oft auch noch die Bezahlung organisieren. „Ein systematisches Unterstützungssystem fehlt hier“, sagt die 58-jährige Theologin.

Regelschule durchlaufen

Fries wuchs als Tochter gehörloser Eltern bilingual auf, mit Deutsch und deutscher Gebärdensprache. Ihren Eltern verdankt sie, dass sie in vollem Umfang Bildung genossen hat, denn sie schickten sie in die Regelschule. „Meine beste Freundin saß in der Schule neben mir und fungierte als Dolmetscherin und Mitschreibkraft.“ Ihre nicht gehörlose Großmutter lehrte sie das Sprechen. Man merkt Fries nicht an, dass sie weder sich selbst noch ihr Gegenüber hört. „Ich glaube, all diese Erfahrungen sind Teil meines Selbstbewusstseins“, sagt sie.

Gebärdensprache sei eine Sprache wie jede andere, „wie Französisch oder Finnisch“, sagt die Professorin, deren Mann und drei Kinder nicht gehörlos sind. Auf Dauer von den Lippen abzulesen sei aber anstrengend.

Lange aktiv in der Gehörlosenseelsorge

Fries hat in Berlin evangelische Theologie studiert, arbeitete dort lange Zeit in der Gehörlosenseelsorge mit. Sie baute dort den Studiengang Gebärdensprachdolmetschen mit auf. Seit 2016 ist sie Professorin in Landshut und pendelt zwischen der Hauptstadt und Landshut hin und her. In Berlin-Mitte hat sie ihre Lieblingscafés und Kulturangebote, ihre Kinder und den Partner. In Landshut lebt sie in einem Mehrgenerationen-Wohnprojekt. „Da fühle ich mich sehr wohl.“

Fries hat einen Wunsch: Eine geregelte Verfügbarkeit von Dolmetschern müsste zum Alltag gehören. Ihrem gehörlosen Vater, der früher bei VW in Wolfsburg gearbeitet hat, seien die Kollegen aus Italien am liebsten gewesen, „weil sie so stark in der Gestik und Mimik sind“. Sie seien offen gewesen und wollten sich unterhalten. „Hörende könnten ruhig neugieriger auf uns sein“, sagt Fries.

Gabriele Ingenthron


Behinderung

Modisch im Rollstuhl




Models in inklusiven Kleidungsstücken
epd-bild/Phantastischer Realismus Photographie
Diversity ist der Begriff der Stunde, auch in der Mode. Aber modische Kleidung für Leute mit körperlichen Beeinträchtigungen ist rar. Anna Franken, Designerin im Rollstuhl, sagt: Wir müssen immer noch darum kämpfen, uns schön und weiblich zu fühlen.

Frankfurt a. M. (epd). Anna „Fee“ Franken trägt ein türkisfarbenes Kleid. Mit schwarzen Streifen, buntem Blumen- und Vogel-Print, V-Ausschnitt. Darunter verläuft ein langer Reißverschluss mit großem, rundem Zipper zum leichten Öffnen. Das ist praktisch, vor allem für Menschen wie Franken, die Rollstuhlfahrerin ist. Seit ihrem zweiten Lebensjahr lebt die 28-jährige Bitburgerin und studierte Modedesignerin mit einer neuromuskulären Erkrankung. Das heißt, ihre Muskeln werden schwächer. Inzwischen kann sie nicht mehr laufen, ihre Finger nicht mehr bewegen, ist oft auf Hilfe angewiesen.

Vor zwei Jahren gründete Franken ein Label für inklusive Mode: „Wundersee Fashion“. Das heißt, sie entwirft Mode für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. „Mich hat es gestört, dass inklusive Mode nie besonders weiblich war“, erinnert sich die junge Gründerin. Gerade im Rollstuhl sähen viele Kleidungsstücke unvorteilhaft aus.

Reißverschlüsse, Greifhilfen und Magnetverschlüsse

Anna Frankens Kollektionen sind mit vielen Reißverschlüssen versehen, es gibt Greifhilfen, Magnet-Verschlüsse. Die Designerin setzt auf dehnbare Stoffe. Ihre Kundinnen sind hauptsächlich Rollstuhlfahrerinnen im Alter von 16 bis 65 Jahren, wie sie erzählt. Aktuell manage sie noch alles selbst - außer die Produktion, bei der ihr eine nachhaltige Anfertigung innerhalb Deutschlands wichtig sei.

Inklusive oder auch adaptive Mode ist ein Markt: Längst haben Unternehmen wie Tommy Hilfiger, Nike und die Online-Plattform Zalando den Geschäftszweig für sich entdeckt. Seit einigen Jahren kommen außerdem Firmen dazu, die sich vollständig auf inklusive Mode konzentrieren, wie „mob-industries“ aus Österreich und das spanische Label „FreeFormStyle“, das seine Kollektion auf der diesjährigen Fashion Week in Barcelona präsentierte. „Auf Augenhöhe“ ist ein Label, bei dem nach eigenen Angaben ein Team aus Nicht-Kleinwüchsigen und kleinwüchsigen Menschen rund um Gründerin Sema Gedik Mode für kleinwüchsige Frauen konzipiert.

Nach Statistiken der Europäischen Kommission lebten im vergangenen Jahr etwa 87 Millionen Menschen innerhalb der EU mit einer Form von Behinderung - alles potenzielle Kundinnen und Kunden für adaptive Mode. Auf Instagram zeigen schon lange Frauen mit Behinderung ihre Outfits, wie die Rollstuhlfahrerinnen Tess Daly und „rockahontaz“. Einer weiteren Influencerin, April Lockhart, fehlt eine Hand. 58.000 Followerinnen und Follower lassen sich von ihrem Stil inspirieren.

Inklusion in der Branche: Läden müssen barrierefrei sein

Trotzdem gibt es noch viel zu tun in Sachen Inklusion, findet Anna Flemmer. Die Modedesignerin aus Berlin entwirft ebenfalls barrierefreie Mode, besonders für Menschen mit Sehbehinderung. Darüber hinaus berät Flemmer Modeunternehmen bei der Frage, wie sie ganzheitlich inklusiver werden können. Die Anfragen seien noch zurückhaltend, berichtet die 34-Jährige. Einige Labels würden Inklusion zudem als reines Marketing-Instrument nutzen, kritisiert sie.

Inklusion in der Modebranche gehe über die Kleidung hinaus. Auch die Läden müssten barrierefrei sein. Das bedeute nicht, fernab vom Haupteingang eine Rampe für Rollstuhlfahrende bereitzustellen, betont Flemmer. So fühlten sich Menschen ausgeschlossen. Auch die Etiketten auf der Kleidung müssten für jede und jeden gut lesbar sein. Oft seien die Schilder völlig überfrachtet, die Schrift viel zu klein. Wichtig außerdem: Die Firmen sollten Menschen mit Behinderung ins Team holen, fordert sie.

„Menschen mit Behinderung sind kaum sichtbar“, kritisiert Flemmer und ergänzt noch: „Viele von ihnen legen großen Wert auf Mode, aber finden sich nicht wieder.“ Beide Designerinnen, Anna Franken und Anna Flemmer, sehen nach wie vor das Problem der Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung. Für TV-Formate wie „Germanys next Topmodel“, bei der Gastgeberin Heidi Klum seit Jahren „Diversity“ predige, sei es nach Ansicht von „Wundersee Fashion“-Chefin Franken immer noch undenkbar, dass etwa eine Teilnehmerin im Rollstuhl dabei wäre. „Wir müssen immer noch darum kämpfen, uns schön und weiblich zu fühlen“, sagt sie. „Funktionale und modische Kleidung dürfen sich nicht ausschließen.“

Carina Dobra



sozial-Recht

Bundessozialgericht

Volle Kostenerstattung für Kinderwunschbehandlung möglich




Baby auf dem Wickeltisch
epd-bild/Jens Schulze
Ehepaare mit unerfülltem Kinderwunsch können nach einem Urteil des Bundessozialgerichts leichter zu einem Kind kommen. Ist ein Ehepartner gesetzlich und der andere privat krankenversichert, können sie die volle Kostenerstattung für eine Kinderwunschbehandlung beanspruchen.

Kassel (epd). Ein sowohl gesetzlich als auch privat krankenversichertes Ehepaar kann leichter seinen unerfüllten Kinderwunsch verwirklichen. Denn ist ein Ehepartner gesetzlich und der andere privat krankenversichert, können sie von beiden Versicherungen jeweils die Hälfte der Kosten für eine Kinderwunschbehandlung erstattet bekommen, urteilte am 29. August das Bundessozialgericht (BSG). Damit kann das Ehepaar, anders als bei rein gesetzlich versicherten Eheleuten, die vollen Behandlungskosten zurückbekommen.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen muss die gesetzliche Krankenkasse für eine Kinderwunschbehandlung nur die Hälfte der Kosten tragen. Gesetzlich Versicherte müssen den Rest dann aus eigener Tasche bezahlen. Um die Kassenleistung beanspruchen zu können, müssen Mann und Frau miteinander verheiratet und mindestens 25 Jahre alt sein. Auch darf die Frau nicht das 40. und der Mann nicht das 50. Lebensjahr erreicht haben. Und: Bei einer künstlichen Befruchtung dürfen nur Ei- und Samenzellen der Eheleute verwendet werden.

Gesetzliche Kasse wollte Hälfte der Kosten nicht übernehmen

Im jetzt entschiedenen Fall ging es um eine bei einer gesetzlichen Krankenkasse versicherte Klägerin mit unerfülltem Kinderwunsch. Grund war eine Fertilitätsstörung bei ihrem privat krankenversicherten Ehemann. Die private Krankenversicherung erstattete die Hälfte der Aufwendungen für eine sogenannte ICSI-Kinderwunschbehandlung. Dabei wird eine einzelne Samenzelle mit einer feinen Nadel direkt in eine zuvor entnommene Eizelle eingeführt und dann der Frau wieder eingesetzt. Die Ehefrau beantragte von ihrer gesetzlichen Krankenversicherung ebenfalls die Hälfte der Ausgaben.

Doch diese lehnte ab. Die private Krankenversicherung des Ehemannes habe bereits den hälftigen Anteil bezahlt. Damit sei der Anspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse erloschen, so die Begründung. Dass ein Ehepaar letztlich die gesamten Kosten erstattet bekommt, sei nach dem Gesetz nicht vorgesehen.

Dem widersprach das BSG. Es sei gesetzlich gar nicht geregelt, ob private und gesetzliche Krankenversicherungen sich nur den Kostenanteil für eine Kinderwunschbehandlung teilen sollen. Erstatte eine private Krankenversicherung die Hälfte der angefallenen Behandlungskosten, erlösche damit noch nicht der Anspruch auf die andere Hälfte der Ausgaben durch die gesetzliche Krankenversicherung. Ein Ehepaar, bei dem ein Ehepartner gesetzlich und der andere privat versichert sei, könne Ansprüche gegenüber beiden Versicherungen geltend machen - und damit die vollen Behandlungskosten erstattet bekommen.

Andere Regelung für lesbische Paare

Lesbische Ehepaare können dagegen nach einem Urteil des BSG vom 10. November 2021 noch nicht einmal den für gesetzlich Versicherte vorgesehenen hälftigen Zuschuss verlangen. Aus der Möglichkeit einer gleichgeschlechtlichen Ehe ergebe sich „nicht die Pflicht, die zeugungsbiologischen Grenzen einer solchen Ehe mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen“, befand das Gericht. Die gesetzliche Regelung sehe eine „unterstützende künstliche Befruchtung“ nur für Paare vor, die grundsätzlich zusammen Kinder bekommen können, das aber wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht gelingt.

Zu privat Versicherten hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am 4. Dezember 2019 geurteilt, dass eine private Krankenversicherung die Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung nicht wegen eines angenommenen zu hohen, altersbedingten Fehlgeburtsrisikos der Frau verweigern darf. Denn die für die Kostenübernahme erforderliche Erfolgsaussicht der Behandlung sei nicht an der Prognose einer geglückten Geburt zu messen. Es gehöre auch zum Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten, „sich den Kinderwunsch in fortgeschrittenem Alter unter Inkaufnahme altersspezifischer Risiken zu erfüllen“.

Allerdings müssen Krankenversicherungen keine Kinderwunschbehandlungen bezahlen, die mithilfe einer Eizellspende durchgeführt wurden, urteilte am 14. Juni 2017 der BGH im Fall eines privaten Krankenversicherers. Dieser müsse nur für solche Behandlungen aufkommen, die nach deutschem Recht auch erlaubt sind. Nach dem Embryonenschutzgesetz sei die Eizellspende in Deutschland aber verboten. Eine Leistungspflicht der privaten Krankenversicherung bestehe daher nicht. Dass Eizellspenden im Ausland erlaubt sein können, ändere daran nichts, so das Gericht.

Az.: B 1 KR13/22 R (BSG, gemischt krankenversicherte Paare)

Az.: B 1 KR 7/21 R (BSG, lesbisches Ehepaar)

Az.: IV ZR 323/18 (BGH, Fehlgeburtsrisiko)

Az.: IV ZR 141/16 (BGH, Eizellspende)

Frank Leth


Bundessozialgericht

Klinikvergütung für kurze stationäre Notfallbehandlung gesichert



Kassel (epd). Krankenhäuser können auch eine nur 60-minütige Notfallbehandlung eines Patienten trotz dessen anschließender Verlegung in eine andere Klinik als einen vollen stationären Behandlungstag abrechnen. Voraussetzung ist, dass bei der kurzen stationären Notfallbehandlung die Klinikmittel intensiv genutzt werden, die ambulant regelmäßig nicht in gleicher Weise verfügbar sind, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am 30. August bekanntgegebenen Urteil vom Vortag.

Im konkreten Fall wurde ein Patient mit Schlaganfallverdacht im Juli 2015 als Notfall in die Kreiskliniken Gummersbach-Waldbröl gebracht. Das Krankenhaus verfügt über eine zertifizierte Schlaganfallstation. Nach einer Blutuntersuchung, einer Computertomographie und weiteren Maßnahmen wurden bei dem Patienten ein Hirninfarkt festgestellt und die medikamentöse Auflösung des Blutgerinnsels veranlasst. Nach einer Stunde in der Klinik wurde der Mann in ein anderes Krankenhaus verlegt.

Kasse verweigerte Tagessatz für nur 60 Minuten Behandlung

Die Betriebskrankenkasse BPW Bergische Achsen KG wollte die vom Krankenhaus geltend gemachten Kosten für die stationäre Notfallbehandlung für einen Behandlungstag in Höhe von 1.086,89 Euro nicht übernehmen. Der Patient sei ja nur 60 Minuten und nicht einen vollen Behandlungstag in der Klinik gewesen. Die Diagnose und kurze Behandlung auf der Schlaganfallstation sei noch keine vollstationäre Behandlung gewesen, lautete die Begründung für die verweigerte Zahlung.

Das BSG urteilte nun, dass der Patient als Notfall kurzzeitig stationär aufgenommen wurde und das Krankenhaus daher einen vollen Behandlungstag abrechnen könne. Auch eine kurzzeitige Notfallbehandlung mit anschließender Verlegung in ein anderes Krankenhaus könne den Zahlungsanspruch begründen. Voraussetzung hierfür sei, dass mit hoher Intensität die „besonderen Mittel“ im zuerst aufgesuchten Krankenhaus genutzt wurden. Davon sei regelmäßig bei der Behandlung in einem Schockraum oder auf einer Schlaganfallstation auszugehen, so das Gericht.

„Die hohe Intensität kann sich schon aus dem Einsatz verschiedener und in ihrem engen zeitlichen und örtlichen Verbund nur stationär verfügbarer diagnostischer Maßnahmen ergeben, die ambulant nicht in gleicher Weise regelhaft verfügbar sind“, urteilte das BSG. Im Streitfall sei das mit der Schlaganfalldiagnose und -behandlung der Fall gewesen, so dass das Krankenhaus die Vergütung verlangen könne.

Az.: B 1 KR 15/22 R



Bundessozialgericht

Krankenkassen dürfen Kernaufgaben nicht auslagern



Kassel (epd). Kranken- und Pflegekassen dürfen ihre Kernaufgaben nicht outsourcen. Geht es um die Prüfung von Kassenleistungen für Versicherte, handelt es sich um eine wesentliche Aufgabe, die die Kasse nicht an private Dienstleister übertragen darf, urteilte am 30. August das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.

In den beiden Verfahren hatten zwei Berliner Betriebskrankenkassen Aufgaben an einen privaten Dienstleister vergeben. Dieser sollte etwa die Befreiung von der gesetzlichen Zuzahlung für Patienten bearbeiten oder auch die Voraussetzungen für eine Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege sowie die dazu erstellten Rechnungen prüfen.

Auslagerung wegen Personalmangel

Die Pflegekasse begründete die Aufgabenübertragung mit Personalmangel. Nur mit der Hilfe des privaten Dienstleisters könnten die Anliegen der Versicherer schnell bearbeitet werden. Das Outsourcing sei auch für die Krankenversicherung ausdrücklich gesetzlich vorgesehen, wenn dies im „wohlverstandenen Interesse“ der Versicherten liegt und wirtschaftlicher ist. Das müsse auch für die Pflegeversicherung so gelten, so die Begründung.

Das Bundesamt für soziale Sicherung hatte als Aufsichtsbehörde das Auslagern der Aufgaben untersagt. Es handele sich hier um Kernaufgaben der Kassen, die nicht auf private Dienstleister übertragen werden dürfen.

Für Outsourcing fehlt gesetzliche Grundlage

Dem folgte nun auch das BSG. Für die Übertragung von Kernaufgaben der Kassen an Dritte fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Sozialversicherungsträger müssten dafür Sorge tragen, dass sie die wesentlichen Pflichten mit eigenem Personal und eigenen Sachmitteln erfüllen. Handele es sich nicht um Leistungsansprüche von Versicherten und damit nicht um eine Kernaufgabe, könnten die Kassen aber Aufgaben an Dritte übertragen. So sei es zulässig, dass Pflegedienste mit Beratungsleistungen an Versicherte beauftragt werden, für die sonst etwa die Krankenkasse zuständig sei.

Nach Angaben des Bundesamtes für soziale Sicherung gibt es einen Trend, bei dem gerade kleinere Kranken- und Pflegekassen ihre Aufgaben outsourcen. Ob es sich hierbei um Kernaufgaben handele und das deshalb verboten sei, werde derzeit geprüft.

Az. B 3 A 1/23 R und B 3 A 1/22 R



Bundesarbeitsgericht

Kündigung nach WhatsApp-Hetze gegen Kollegen



Erfurt (epd). Fremdenfeindliche und menschenverachtende Hetze über Vorgesetzte und Arbeitskollegen in einer privaten WhatsApp-Chatgruppe können eine fristlose Kündigung nach sich ziehen. Nur wenn ein Arbeitnehmer in berechtigter Weise erwarten konnte, dass die gravierenden Beleidigungen von keinem Gruppenmitglied an einem Dritten weitergegeben werden und alles vertraulich bleibt, sei eine fristlose Kündigung ausnahmsweise unwirksam, urteilte am 24. August das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt.

Im Streitfall gehörte der in einem Luftverkehrsunternehmen früher angestellte Kläger seit 2014 einer privaten WhatsApp-Chatgruppe mit fünf weiteren Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein weiterer, ehemaliger Kollege mit in die Gruppe aufgenommen. Alle waren „langjährig befreundet“. Zwei der Chatgruppen-Mitglieder waren Brüder.

Vertrauliche Kommunikation

Als es zu Arbeitsplatzkonflikten kam, zogen die Mitglieder der WhatsApp-Gruppe über Kollegen und Vorgesetzten her und machten fremdenfeindliche und sexistische Aussagen. So wurde etwa geschrieben, dass die „Covidioten“ „vergast“ werden sollten. Auch mit einem Anschlag wurde geliebäugelt.

Als der Chatverlauf dem Arbeitgeber zugespielt wurde, kündigte er dem Kläger fristlos. Er habe sich in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und Kollegen geäußert, hieß es zur Begründung.

Der Kläger berief sich dagegen auf die im Grundgesetz geschützte vertrauliche Kommunikation. Der Chat diente allein dem privaten Austausch. Der Arbeitgeber habe diesen daher nicht als Grund für die Kündigung verwenden dürfen.

Weitergabe an Dritte

Das BAG urteilte, dass bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen in einem privaten WhatsApp-Chat über Vorgesetzte und Kollegen Arbeitnehmer mit einer fristlosen Kündigung gerechnet werden muss. Nur ausnahmsweise, wenn der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen konnte, dass der Chatverlauf vertraulich bleibt, sei eine Kündigung nicht gerechtfertigt, erklärte das Gericht.

Die Erfurter Richter verwiesen den Streitfall an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen zurück. Das muss nun prüfen, ob der Kläger tatsächlich erwarten konnte, dass bei der möglichen schnellen Weiterleitung von WhatsApp-Chats die Vertraulichkeit gewahrt wird. Auch müsse geklärt werden, ob der Kläger angesichts des Chatverlaufs und der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung und der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats nicht mit einer Weitergabe der Äußerungen an Dritte rechnen konnte.

Az.: 2 AZR 17/23



Verwaltungsgericht

Quarantäne: Arbeitgeber hat keinen Anspruch auf Entschädigung



Göttingen (epd). Ein Arbeitgeber darf keine Entschädigung von Behörden verlangen, wenn Corona-Maßnahmen zu Verdienstausfällen geführt haben. Das entschied das Göttinger Verwaltungsgericht mit Urteilen vom 20. Juli, wie ein Sprecher am 24. August mitteilte.

Im konkreten Fall klagte die Betreiberin eines Krankenhauses. Mitarbeiter waren im Frühjahr 2020 urlaubsbedingt in Risikogebieten und konnten anschließend aufgrund einer Allgemeinverfügung für 14 Tage nicht beschäftigt werden.

Die Klinikbetreiberin forderte daraufhin den für diese Zeit gezahlten Verdienstausfall von einer niedrigen fünfstelligen Summe nach dem Infektionsschutzgesetz von den anordnenden Behörden zurück. Das Gericht argumentierte hingegen, dass der Arbeitgeber keinen Verdienstausfall hätte zahlen müssen, sondern zur Zahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet blieb. Die Beschäftigten hätten die Situation nicht zu verschulden, da ihr jeweiliges Reiseziel zum Zeitpunkt des Reiseantritts noch gar nicht als Risikogebiet benannt wurde. Zudem seien die Mitarbeitenden nur für eine nicht erhebliche Zeit an ihrer Dienstleistung gehindert worden.

Az.: 4 A 150/21, 4 A 151/21, 4 A 152,21



Arbeitsgericht

Wunsch nach Aufstockung der Arbeitszeit ist kein Anspruch



Mannheim (epd). Für den Anspruch einer teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerin auf Aufstockung ihrer Arbeitszeit muss auch ein frei gewordener oder neu zu besetzender Arbeitsplatz vorhanden sein. Kann eine Teilzeitbeschäftigte keinen entsprechenden Arbeitsplatz benennen, darf der Betriebsrat die Neueinstellung einer anderen Beschäftigten auf der zu besetzenden Stelle nicht verweigern, entschied das Arbeitsgericht Mannheim in einem am 15. August veröffentlichten Beschluss.

Im konkreten Fall ging es um eine Filiale eines Textileinzelhandelsunternehmens. Mehrere teilzeitbeschäftigte Frauen hatten ihrer Arbeitgeberin mitgeteilt, dass sie gerne mehr arbeiten wollen.

Betriebsrat verweigerte Zustimmung

Die Arbeitgeberin lehnte den Wunsch nach Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit jedoch ab. Doch als das Unternehmen später eine neue Teilzeitbeschäftigte befristet einstellen wollte, verweigerte der Betriebsrat die erforderliche Zustimmung. Er verwies auf die Aufstockungswünsche des bestehenden Personals.

Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz müsse der Arbeitgeber bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer bevorzugt berücksichtigen, die eine Verlängerung ihrer Arbeitszeit angezeigt haben, so die Begründung des Betriebsrats. Hier hätten die Frauen ihren Aufstockungswunsch der Arbeitgeberin mitgeteilt. Die Arbeitgeberin wollte die Zustimmung des Betriebsrats gerichtlich ersetzen lassen.

Das Arbeitsgericht entschied, dass der Betriebsrat hier keinen Grund gehabt habe, seine Zustimmung zur Einstellung einer neuen Arbeitnehmerin zu verweigern. Eine Verweigerung setze unter anderem voraus, dass im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer „sonstige Nachteile“ erleiden.

Solch einen Nachteil hätten die teilzeitbeschäftigten Frauen mit ihrem geäußerten Aufstockungswunsch aber nicht erlitten. Damit ein individueller Anspruch auf Aufstockung entsteht, müsse der Aufstockungswunsch konkret mit einem neuen oder frei gewordenen vergleichbaren Arbeitsplatz in Bezug gebracht werden. Das hätten die Arbeitnehmerinnen hier jedoch nicht getan. Ein individueller Rechtsanspruch auf Aufstockung und damit ein erlittener Nachteil sei damit gar nicht entstanden, so das Arbeitsgericht.

Az.: 2 BV 2/23




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Kirchen

Sebastian von der Haar wird Agaplesion-Geschäftsführer in Rotenburg




Sebastian von der Haar
epd-bild/Agaplesion/privat
Das Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg/Wümme bekommt einen neuen Chef: Sebastian von der Haar wird im Oktober die Geschäftsführung übernehmen und Jörn Wessel ablösen.

Hamburg (epd). Das größte konfessionelle Krankenhaus in Niedersachsen, das Agaplesion Diakonieklinikum in Rotenburg/Wümme bei Bremen, bekommt mit Sebastian von der Haar einen neuen Geschäftsführer. Zum 1. Oktober wird er die Leitung übernehmen, wie das Klinikum am 29. August mitteilte. Er löst den Hamburger Jörn Wessel ab, der diese Aufgabe übergangsweise seit dem Jahresbeginn innehatte. Wessel ist Geschäftsführer des Agaplesion Dikonieklinikums Hamburg.

„Ich schätze sehr, dass wir den erfahrenen Kollegen für uns gewinnen konnten und wünsche ihm auch im Namen des gesamten Vorstands viel Erfolg, Freude und Gottes Segen für seine neue Aufgabe“, betonte Markus Horneber, Vorstandsvorsitzender Agaplesion AG.

Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften begann von der Haar Ende 2013 seine Karriere im Gesundheitswesen. Seitdem sammelte er Erfahrungen im Klinikmanagement von privat geführten Häusern. Aktuell leitet er einen Akutversorger im Landkreis Goslar. Den Dienst am Menschen kennt er von einer anderen Seite: Von 2006 bis 2022 war von der Haar ehrenamtlich im Regelrettungsdienst tätig und engagiert sich seit 2005 in einer christlichen Hilfsorganisation im Rahmen des Katastrophenschutzes.

Die Rotenburger Klinik ist das größte konfessionelle Krankenhaus in Niedersachsen und zudem akademisches Lehrkrankenhaus der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg. Die gemeinnützige Aktiengesellschaft Agaplesion wurde 2002 in Frankfurt am Main von christlichen Unternehmen gegründet. Zum Verbund gehören heute bundesweit mehr als 100 Einrichtungen, darunter 22 Krankenhausstandorte.



Weitere Personalien



Michael Haarmann (55), Pfarrer aus Viersen, wird am 1. November neuer theologischer Leiter der Evangelischen Hauptstelle für Familien- und Lebensberatung in Düsseldorf. Er folgt auf Christiane Vetter (65), die Ende Oktober in den Ruhestand wechselt. Haarmann wechselt von der LVR-Klinik Viersen nach Düsseldorf. Dort ist der promovierte Theologe derzeit als Seelsorger in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie als Lehrer an der klinikeigenen Hanns-Dieter-Hüsch-Schule tätig. Haarmann was 16 Jahre als evangelischer Gemeindepfarrer in Willich am Niederrhein im Einsatz, bevor er an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal promovierte und sich zusätzlich als Systemischer Berater und Supervisor am Institut für systemische Ausbildung und Entwicklung in Weinheim ausbilden ließ.

Birgit Haaks (57) übernimmt am 1. September die Leitung der Rostocker Seemannsmission. Sie tritt nach Angaben der evangelischen Nordkirche die Nachfolge von Seemannsdiakonin Stefanie Zernikow an, die seit Ende 2019 in der Rostocker Seemannsmission arbeitet und ihren Dienst auf eigenen Wunsch Ende August beendet hat. Haaks ist bereits seit Oktober 2022 in der Rostocker Seemannsmission tätig. Sie ist ausgebildete Seelsorgerin und wird eine berufsbegleitende Weiterbildung zur Gemeindepädagogin machen. Vor ihrer Tätigkeit in Rostock war sie Seelsorgerin in einem Altenpflegeheim in Leipzig.

Kirsten Boie (73), Hamburger Kinder- und Jugendbuchautorin, wird Schirmfrau für das Leseförderungsprojekt „Lesetüte“. Die Aktion soll die Lust von Erstklässlern am Buch wecken, Schulen und Buchhandlungen vernetzen und Eltern für das wichtige Thema Leseförderung einnehmen, wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels am 29. August in Frankfurt am Main mitteilte. In diesem Jahr seien bereits 135.000 Lesetüten verteilt worden, so viele wie noch nie zuvor. Boie schrieb ihr erstes Kinderbuch „Paule ist ein Glücksgriff“ im Jahr 1985. Seither veröffentlichte sie rund 100 weitere Bücher für Kinder und Jugendliche, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Neben ihrer Arbeit als Schriftstellerin engagiert sie sich ehrenamtlich für Leseförderung und Kinderrechte. Von ihrer Fähigkeit zu lesen, werde für die Schulanfängerinnen und -anfänger nicht nur ihre weitere Schulzeit, sondern ihr ganzes weiteres Leben abhängen, sagte Boie. „Darum ist die 'Lesetüte' ein großartiges Projekt.“

Aeneas Neumann, 13-jähriger Schüler aus aus Altenburg, hat für eine berührende Forschungsleistung den Thüringer Sonderpreis der Christoffel Blindenmission (CBM) erhalten. Er hat seinem Großvater die Sauerstofftherapie durch umfangreiche Umbauten am Beatmungsschlauch spürbar erleichtert. Bislang hatte der Schlauch bei seinem Opa schmerzhafte Druckstellen verursacht. Auch war die Handhabung der acht Meter langen Plastikleitung umständlich und schränkte die Bewegungsfreiheit des Seniors ein. Neumann bastelte einen speziellen Bügel, der angenehmer auf der Nase zu tragen ist. Einen besseren Ohrhalter stellte er per 3D-Druck her. Um den Druck in der Liegeposition zu verringern, entwarf der Junge ein ringförmiges Polsterkissen als Pufferzone zwischen Schlauch und Kopf. Der mit 300 Euro dotierte CBM-Sonderpreis zeichnet jedes Jahr kreative Erfindungen aus, die bei Jugend forscht eingereicht werden.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Oktober



September

5.9. Köln:

Seminar „Interne Revision bei gemeinnützigen Trägern“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-119

7.9. Köln:

Seminar „Kostenrechnung für ambulante Pflege- und Betreuungsdienste“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

8.9.:

Online-Tagung „Vielfalt Pflegewissenschaft - Was bedeutet Praxisentwicklung in der Pflege?“

der Universität Witten-Herdecke

Tel.: 02302/926-0

13.-14.9.:

Online-Seminar „Datenschutz und Social Media“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001-700

15.-22.9.:

Online-Kurs „Leichte Sprache - Regeln und Anwendung“

der AWO-Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

18.-20.9.:

Online-Kurs „Auf ein Wort - Beratung: kurz, knapp, sofort“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761 200 1700

22.9.:

Online-Seminar „Klimaziele identifizieren, validieren & kommunizieren“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828-211

25.-28.9.:

38. Bundesweite Streetworker-Tagung „Armut, Klassismus, psychische Krisen: Wie alles dann doch zusammen hängt“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

28.-29.9. Berlin:

„Deutscher Pflegetag 2023“

des Deutschen Pflegerates

Tel.: 030/300669-0

Oktober

20.-21.10.:

Online-Tagung „Sterben wollen - Leben müssen - Sterben dürfen? - Von der Kontroverse in die Praxis: Umgang mit den assistierten Suizid“

des Hauses Villigst

Tel.: 02304/755-325