Landshut (epd). Sabine Fries ist die erste gehörlose Professorin in Deutschland und unterrichtet an der Hochschule in Landshut den Nachwuchs an Gebärdensprachdolmetschern. „Der Bedarf ist immens“, sagt Fries. Während in den USA Nachrichtensendungen, kulturelle Veranstaltungen und Vorträge wie selbstverständlich „gebärdet“ werden, ist das in Deutschland noch die Ausnahme.
Auch wenn das Verständnis für Gehörlose in der Gesellschaft schon viel größer geworden sei: Die Inklusionsmaßnahmen der Bildungspolitik beschränkten sich häufig darauf, „taube Menschen mit noch besseren Geräten hörend zu machen oder noch besser lautsprachlich kommunizieren zu lehren“, sagt Fries. „Letztlich bleiben sie dadurch von vielen Informationen ausgeschlossen.“
Wollen gehörlose Kinder in eine Regel- statt Förderschule gehen, um eine adäquate Bildung zu erhalten, müssten Eltern einen Gebärdensprachdolmetscher besorgen und oft auch noch die Bezahlung organisieren. „Ein systematisches Unterstützungssystem fehlt hier“, sagt die 58-jährige Theologin.
Fries wuchs als Tochter gehörloser Eltern bilingual auf, mit Deutsch und deutscher Gebärdensprache. Ihren Eltern verdankt sie, dass sie in vollem Umfang Bildung genossen hat, denn sie schickten sie in die Regelschule. „Meine beste Freundin saß in der Schule neben mir und fungierte als Dolmetscherin und Mitschreibkraft.“ Ihre nicht gehörlose Großmutter lehrte sie das Sprechen. Man merkt Fries nicht an, dass sie weder sich selbst noch ihr Gegenüber hört. „Ich glaube, all diese Erfahrungen sind Teil meines Selbstbewusstseins“, sagt sie.
Gebärdensprache sei eine Sprache wie jede andere, „wie Französisch oder Finnisch“, sagt die Professorin, deren Mann und drei Kinder nicht gehörlos sind. Auf Dauer von den Lippen abzulesen sei aber anstrengend.
Fries hat in Berlin evangelische Theologie studiert, arbeitete dort lange Zeit in der Gehörlosenseelsorge mit. Sie baute dort den Studiengang Gebärdensprachdolmetschen mit auf. Seit 2016 ist sie Professorin in Landshut und pendelt zwischen der Hauptstadt und Landshut hin und her. In Berlin-Mitte hat sie ihre Lieblingscafés und Kulturangebote, ihre Kinder und den Partner. In Landshut lebt sie in einem Mehrgenerationen-Wohnprojekt. „Da fühle ich mich sehr wohl.“
Fries hat einen Wunsch: Eine geregelte Verfügbarkeit von Dolmetschern müsste zum Alltag gehören. Ihrem gehörlosen Vater, der früher bei VW in Wolfsburg gearbeitet hat, seien die Kollegen aus Italien am liebsten gewesen, „weil sie so stark in der Gestik und Mimik sind“. Sie seien offen gewesen und wollten sich unterhalten. „Hörende könnten ruhig neugieriger auf uns sein“, sagt Fries.