Bielefeld/Hamburg (epd). „Achtung Trigger“, warnt Anna Hofmann. „In diesem Video sind Bilder von Blut und Nadeln enthalten!!“ In einer Selbstreportage auf Instagram lässt sie sich beim Blutspendedienst Bethel in Bielefeld einen halben Liter ihres roten Lebenssaftes abnehmen. „Ihr braucht euch keine Sorgen machen, dass man die größere Nadel spürt oder sonstige Schmerzen während der Spende hat“, schreibt sie dazu in ihrem Blog.
Die 18-jährige Anna Hofmann ist die erste „Bethel-Influencerin“ in dem sozialen Netzwerk. Im Kanal @1jahr_menschennah veröffentlicht sie in Tagesabständen Zwei-Minuten-Beiträge über die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, eines der größten diakonischen Unternehmen mit über 200 Standorten in Deutschland.
In kurzen Videos, sogenannten Reels, stellt sie die Arbeit der verschiedenen Bethel-Einrichtungen vor oder lässt Menschen mit Behinderungen in Kurzporträts von sich erzählen. Die Influencer-Stelle wird seit 2022 im Rahmen des „Betheljahres“ angeboten, einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), das den Angaben zufolge jedes Jahr rund 500 junge Erwachsene absolvieren.
Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen sind wie viele andere diakonische Einrichtungen auf Instagram mit verschiedenen Accounts vertreten, die der Eigenwerbung dienen. Der neue Kanal mit zurzeit rund 700 Followern solle eine weitere Perspektive mit Blick der Generation Z eröffnen, sagt Bethel-Sprecher Johann Vollmer. „Ob Anna zur Blutspende geht oder beim Bethel-Imker Bienen aus dem Honigstock holt, mit ihrer authentischen, unmittelbaren Art nimmt sie andere mit, die sich sagen: Wenn Anna dahin geht, dann kann ich das auch.“
Hofmann sitzt beim Online-Team der Pressestelle, arbeitet aber größtenteils selbstständig. „Wir haben kein festes Ziel gesetzt, alles sollte sich organisch entwickeln“, betont ihr Chef Vollmer.
„Ich kümmere mich selbst um Termine, oft ergeben die sich spontan“, sagt die Bielefelderin, die im vergangenen Jahr ihr Abitur gemacht hat und durch eine Freundin auf das „Betheljahr“ aufmerksam wurde. Im Gepäck hat sie stets ihr Diensthandy, um Aufnahmen zu machen, und ein mobiles Mikro. Die Beiträge schneidet sie mit einer App. „Dafür brauche ich so eine Stunde, ich achte darauf, nicht mehr als drei Minuten Material zu haben.“
Grundsätzlich sei es sinnvoll für ein Unternehmen wie Bethel, auch in sozialen Medien aktiv zu sein, sagt Leonie Wunderlich vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg. Sie war an der Mediennutzungsstudie „UseTheNews-Studie 2021“ mit 1.508 Menschen beteiligt. In 22 zusätzlichen Tiefeninterviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sie festgestellt, dass insbesondere „kleine“ Influencerinnen und Influencer, die eine vergleichsweise geringe Followerschaft haben, als glaubwürdig wahrgenommen werden.
„Der Eindruck von Echtheit verstärkt das Gefühl der Zugänglichkeit, was die Grundlage für den Aufbau affektiver Beziehungen bildet“, erklärt sie. Gern geschaut würden beispielsweise die Beiträge des YouTubers Leeroy, einem ehemaligen Rollstuhlbasketballer. „Megastars“ wie Bibis Beautypalace oder die Kardashians mit Millionen Followern seien dagegen von den befragten Jugendlichen als abgehoben eingestuft worden. Deren scheinbar „schönes Leben“ stille bei den Nutzerinnen und Nutzern die Sehnsucht nach positiven Inhalten, sagt Wunderlich, „wenngleich ein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass nicht alles so perfekt ist, wie es dargestellt wird. Aber die Illusion reicht aus.“
Seit dem offiziellen Start von @1jahr_menschennah im vergangenen November hat Anna Hofmann mehr als 80 Clips veröffentlicht, dazu kommen tagesaktuelle Umfragen. Sie besuchte zum Beispiel im niedersächsischen Diepholz eine betreute Wohngruppe für Jugendliche, die im hauseigenen Tonstudio selbst geschriebene Songtexte einsingen, begleitete eine mobile Disco für Bethel-Einrichtungen oder nahm in Dortmund an einem Kurs zur Sterbebegleitung teil.
In Berlin war sie bei der Premiere einer Dokumentation des Fotografen und Filmemachers Jim Rakete über das Bielefelder Kinder- und Jugendhospiz dabei. Ihr Interview mit der todkranken Bercem (13), die im Film die Hauptrolle hat, kam auf Instagram bislang auf 63.600 Zugriffe.
Den Besuch der Hospizarbeit empfand die 18-Jährige als größte Herausforderung in ihrer Rolle als Influencerin. „Da geht man mit einem anderen Gefühl rein, weil es für viele Leute ein Graubereich und Tabu ist, sie sich nicht mit dem Sterben beschäftigen wollen“, beschreibt sie ihre Stimmung damals. Das Kinder- und Jugendhospiz Bethel habe sie dann aber als einen besonderen Ort erfahren: „Der Schwerpunkt liegt dort auf der Entlastung der Familien.“
Zum Wintersemester 2023/24 wird Hofmann an der Universität Bielefeld Wirtschaftswissenschaften studieren. Den Kanal @1Jahr_menschennah gibt sie im September an einen neuen „Betheljahr“-Teilnehmer ab: Lasse Luttmann. „Der Wechsel zu einem jungen Mann als Influencer war nicht Absicht, ist aber gut, da jede und jeder einen ganz persönlichen Ansatz mitbringt“, sagt Johann Vollmer.