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Familie

Verbände enttäuscht über abgespeckte Kindergrundsicherung




Vorstellung der Kindergrundsicherung durch Minister Lindner und Ministerin Paus
epd-bild/Christian Ditsch
Nach langen Verhandlungen hat die Ampel einen Kompromiss zur Kindergrundsicherung gefunden. Einige Leistungen für Familien, die Unterstützung brauchen, werden verbessert - aber Kinderarmut wird ein Thema bleiben, sagen Sozialverbände. Vor allem, weil sowohl über die Berechnung des Existenzminimums noch nichts zu hören ist.

Berlin (epd). Die Vertreterinnen und Vertreter fast aller großen Sozialverbände reagieren verhalten bis enttäuscht auf die am 28. August präsentierte Einigung der Ampelregierung zur Kindergrundsicherung. "Die heute vorgestellten Pläne zur Bekämpfung von Kinderarmut sind keine Kindergrundsicherung. Mit dem vorliegenden Entwurf wird Armut verwaltet statt Zukunft gestaltet. Das sollte nicht der Anspruch einer 'Fortschrittskoalition' sein, rügte Sabina Schutter, die Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf.

Eine Digitalisierung des Antragsprozesses und die Bündelung von Leistungen seien zwar Schritte in die richtige Richtung: „Von einem dringend benötigten und zugesagten Paradigmenwechsel in der Armutsbekämpfung kann keine Rede sein. Eine reine Verwaltungsreform wird für 2,8 Millionen armutsgefährdete Kinder in Deutschland keine gerechteren Chancen schaffen.“ Schutter sagte dem epd: „Leider gibt es herzlich wenig, was der aktuell im Raum stehende Entwurf noch mit einer Kindergrundsicherung zu tun hat. Es ist im Wesentlichen eine Umbenennung der vorhandenen Leistungen.“

„Tropfen auf den heißen Stein“

Ähnlich kritisch äußerte sich die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp. Sie nannte den erzielten Kompromiss „keine Grundsicherung, sondern ein Tropfen auf den heißen Stein“. Dass die Ampel in Aussicht stelle, in den Folgejahren bis zu sechs Milliarden Euro in die Grundsicherung zu stecken, „bei steigender Inanspruchnahme der Leistungen“, bedeute offenbar, dass man einen viel höheren Bedarf sehe. Sie frage sich, so Stetter-Karp, ob die Bundesregierung nun erst einmal schauen wolle, wie viele Menschen die Leistungen überhaupt abrufen würden.

Dem Präsidenten der Diakonie, Ulrich Lilie, ist die für 2025 vereinbarte Summe von 2,4 Milliarden Euro ebenfalls zu gering. Damit lasse sich keine armutsfeste Kindergrundsicherung schaffen, sagte der Chef des evangelischen Wohlfahrtsverbandes. Er moniert ebenfalls, dass entgegen der Ankündigung im Koalitionsvertrag keine systematische Überprüfung des Existenzminimums erfolgt. „Es ist weiterhin zu niedrig bemessen.“ Es gebe kein Entweder-Oder bei Ausgaben für Bildung und Existenzsicherung. „Beides bleibt notwendig, um Kinderarmut gezielt und wirkungsvoll zu bekämpfen“, sagte Lilie.

Deutsches Kinderhilfswerk sieht keinen großen Wurf

„Die Leistungsbündelung und verbesserte Zugänge von Kindern sind wichtige Hebel. Die Kindergrundsicherung ist aber nach jetzigem Planungsstand nicht der erhoffte große Wurf, der die Kinderarmut in Deutschland umfassend und nachhaltig beseitigt“, stellte der Präsident der Deutschen Kinderhilfswerkes, Thomas Krüger, fest. Die Kindergrundsicherung müsse sich an den tatsächlichen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen orientieren. „Dafür braucht es mehr finanzielle Mittel in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen und vor allem eine zügige Neubemessung des kindlichen Existenzminimums“, so der Präsident.

Ursprünglich hatte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung gefordert, während Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Ausgaben bei zwei Milliarden Euro deckeln wollte. Der jetzt verkündeten Einigung war ein monatelanges Ringen der beiden Minister vorangegangen. Erstmals äußerte sich Paus nach der Einigung mit Lindner gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am 31. August zu der möglichen Höhe der Kindergrundsicherung ab 2025: „Es können sich Leistungen von 530 Euro für die kleinsten und bis zu 636 Euro für die ältesten Kinder ergeben. Ein guter Betrag, um Kindern ein Stück weit mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu verschaffen“, so die Ministerin.

Caritas: Zugang zu Leistungen einfacher machen

Die Caritas findet es „mehr als überfällig“, dass sich die Ampel jetzt auf eine gemeinsame Linie für die Kindergrundsicherung geeinigt hat. Es sei bei vielen Menschen der Eindruck entstanden, es falle der Bundesregierung besonders schwer, sich zu einigen, wenn es um die Familien geht, die am meisten Unterstützung brauchen. Die Zugänge zu den staatlichen Hilfsleistungen müssten in der Praxis einfacher gemacht werden. „Wir wollen, dass Familien bei der Beantragung von öffentlichen Fördergeldern Zeit sparen“, erklärte die Caritas.

Weiter heißt es in der Mitteilung: „Wir wollen auch, dass alle Kinder und Jugendliche, denen Leistungen zustehen, sie auch bekommen - das ist das Mindeste. Die Bundesregierung springt deutlich zu kurz, wenn sie weiter von einer Inanspruchnahme von 48 Prozent ausgeht. Hier muss mehr getan werden - durch gute Beratung.“

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, begrüßte, dass die Ampel-Koalition sich auf erste Schritte für eine Kindergrundsicherung verständigt hat. Wer als Kind keine Chance habe, habe leider allzu oft auch später als Erwachsener keine mehr. „Man kann gar nicht genug für die Kindergrundsicherung tun“, sagte die Theologin.

Paritätischer vermisst echte Neubemessung des Existenzminimums

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, erklärte, die Eckpunkte seien enttäuschend. „Die Angaben zur Höhe des Kindergeldes sind vage. Nennenswerte Leistungsverbesserungen für Kinder, die jetzt in Hartz IV sind, sind offenbar nicht vorgesehen.“ Zudem beklagte er, dass die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket wohl auch künftig nicht pauschal ausgezahlt, sondern weiterhin einzeln beantragt werden sollen.

Schneider befürchtet, dass die veranschlagten 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten im Bundesetat „wohl eher für Verwaltung draufgehen“. Die verbesserten Anrechnungsregelungen für Alleinerziehende, die Grundsicherung beziehen, glichen die Verschlechterungen unterm Strich nicht aus. „Eine echte Neubemessung des Existenzminimums für Kinder wie im Koalitionsvertrag vorgesehen findet nicht statt.“

„Wir haben von einer Kindergrundsicherung mehr erhofft“, kritisierte Daniela Jaspers, Bundesvorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter. „Wir begrüßen, dass für Alleinerziehende Verbesserungen vorgesehen sind. Davon auszugehen, dass Alleinerziehende Erwerbsanreize brauchen, um das Familieneinkommen zu steigern, geht jedoch komplett an der Realität vorbei.“

Paus erwartet stärke Inanspruchnahme der Hilfen

Familienministerin Paus sprach nach der Einigung von zum Teil „sehr harten Verhandlungen“, aber es habe sich gelohnt. „Die neue Kindergrundsicherung kommt“, sagte sie. Im Jahr 2025 sollen ihren Angaben nach 2,4 Milliarden Euro zusätzlich für die Reduzierung der Kinderarmut zur Verfügung gestellt werden. Sie gehe von einer zunehmend stärkeren Inanspruchnahme der Leistungen aus, dann erhöhten sich nach 2025 auch die Ausgaben.

In der Kindergrundsicherung sollen Familienleistungen zusammengefasst, vereinfacht und automatisch ausgezahlt werden. Dazu zählen das Kindergeld, der Kinderzuschlag, die Sozialhilfe, das Bürgergeld und auch Komponenten des Bildungs- und Teilhabepaketes für Kinder.

Markus Jantzer, Dirk Baas


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