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SOS-Kinderdorf: Es braucht mehr Geld für Kinder - und für Bildung




Sabina Schutter
epd-bild/Andre Kirsch/SOS-Kinderdorf e.V.
SOS-Kinderdorf kritisiert die Pläne der Ampel zur Kindergrundsicherung. Angekündigt sei nicht viel mehr als eine Verwaltungsreform, sagt Vorstandsvorsitzende Sabina Schutter im Interview mit epd sozial. Sie kritisiert, dass das Existenzminimum für junge Menschen nicht neu berechnet wird: Ein Paradigmenwechsel im Kampf gegen Armut werde nicht erreicht.

Frankfurt a.M (epd). Für SOS-Kinderdorf ist die geplante Kindergrundsicherung nicht mehr als die Umbenennung bereits vorhandener Leistungen. „Eine Verwaltungsreform wäre aber auch ohne Kindergrundsicherung möglich gewesen“, sagt die Vorstandsvorsitzende Sabina Schutter. Zwar werde jetzt von der Regierung von einem Paradigmenwechsel in der Armutsbekämpfung gesprochen, „faktisch erreicht wird aber wenig“. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Viele Sozialverbände üben Kritik an der geplanten Kindergrundsicherung und sagen: Das, was da angekündigt wurde, ist keine Kindergrundsicherung. Was macht aus ihrer Sicht eine nach vorne gedachte Kindergrundsicherung aus?

Sabina Schutter: Leider gibt es herzlich wenig, was der aktuell im Raum stehende Entwurf noch mit einer Kindergrundsicherung zu tun hat. Es ist im Wesentlichen eine Umbenennung der vorhandenen Leistungen. Zu den wenigen Verbesserungen zählt wohl das Vorhaben, dass der Unterhalt für erwerbstätige Alleinerziehende nur noch zu 45 Prozent auf die Kindergrundsicherung angerechnet werden soll, statt wie bisher zu 100 Prozent. Das kann in der Summe zu mehr Geld für Alleinerziehende führen. Das wäre wichtig, denn die Kinder von Alleinerziehenden bilden die größte Gruppe der armutsbetroffenen oder von Armut bedrohten Kinder.

epd: Sie sagen, die jetzigen Aussagen der Regierung bedeuten nicht mehr als eine Verwaltungsreform. Aber ist nicht gerade die dringend nötig, wenn unzählige Hilfeberechtigte gar keine Zahlungen für ihre Kinder beantragen?

Schutter: Natürlich setzen wir große Hoffnungen auf die Reform, vor allem auf die Umkehrung der Holschuld der Anspruchsberechtigten in eine Bringschuld des Staates. Das sollte vielen armen Familien zugutekommen. Eine Verwaltungsreform wäre aber auch ohne Kindergrundsicherung möglich gewesen. So wird von einem Paradigmenwechsel in der Armutsbekämpfung gesprochen, faktisch erreicht wird aber wenig.

epd: Ihnen missfält auch die Art des Diskurses zu armutsbetroffenen Familien ...

Schutter: Ja, der ist sehr problematisch. Den Familien wird nicht zugetraut, das Geld für ihre Kinder richtig einzusetzen. Anstatt solcher pauschalen und verunglimpfenden Aussagen brauchen wir aber eine integrierte Armutspolitik, die finanzielle Existenzsicherung mit Bildungsangeboten und Förderung für Erwachsene verknüpft. Natürlich wird Geld allein nicht ausreichen, aber die Kombination von Finanzleistungen und infrastrukturellen Verbesserungen für Familien eröffnet Zukunftschancen. Es braucht mehr Geld für Kinder, es braucht mehr Bildung für Kinder - und es braucht mehr Geld für Bildung.

epd: Im Koalitionsvertrag wurde versprochen, die Berechnung des Existenzminimums zu ändern. Das passiert offen gar nicht. Gerät damit nicht das hehre Ziel, mehr Kinder aus der Armut zu holen, von vornherein aus den Augen, vor allem in Zeiten der hohen Inflation?

Schutter: Das Existenzminimum für junge Menschen nicht neu zu berechnen ist eines der größten Versäumnisse der geplanten Reform. Seit vielen Jahren kritisieren Forschung und Verbände die Frage des kindlichen Existenzminimums. Aus den Hilfsangeboten von SOS-Kinderdorf wissen wir, dass viele Eltern ihren Kindern kaum noch eine gesunde Ernährung gewährleisten können.

epd: Wie bewerten Sie die Möglichkeiten, im parlamentarischen Verfahren noch Verbesserungen durchzusetzen?

Schutter: Die jetzt vorgeschlagene Leistung geht so weit am ursprünglichen Entwurf vorbei, dass ich bezweifle, dass wir hier noch Änderungen einbringen können, die zu einer substanziellen Verbesserung führen würden. Gerade nachdem Regierungsmitglieder und Parteispitzen seit so vielen Monaten um einen Kompromiss gerungen haben.

epd: Viele Gutachten bestätigen, dass höhere Leistungen ein Weg aus der Armut sein können. Alle reden immer vom tatsächlichen Bedarf der Kinder als Grundlage für die Berechnung von Sozialtransfers. Warum setzt die Regierung hier nicht den Hebel an?

Schutter: Die Daten sprechen eine deutliche Sprache, eigentlich ist klar was getan werden muss. Dazu gehört eben auch eine Neuberechnung der Bedarfe junger Menschen. Es braucht aber eine gemeinsame Zielvision: Wie sollen Kinder in Deutschland aufwachsen? Welche Chancen sollen alle Kinder haben? Welche Vorstellungen haben wir von einem gelingenden Erwachsenenleben und was braucht es dazu? Die Antworten dazu liegen auf der Hand, werden aber offenbar im politischen Prozess wiederholt zerrieben. Wir brauchen einen Neustart in der Armutspolitik. Höhere finanzielle Leistungen, eine stabile soziale Infrastruktur und eine ambitionierte bildungspolitische Reform müssen ineinandergreifen, um alle Kinder zu erreichen. Kindheit findet jetzt statt, die Kinder können nicht zehn Jahre warten bis zur nächsten Reform.



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