Berlin (epd). „Die Kindergrundsicherung muss zu tatsächlichen Verbesserungen führen“, fordert der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge. Dabei sei es „wichtig, die Neudefinition des soziokulturellen Existenzminimums für Kinder und Jugendliche, also der Grundlage der Leistung, anzugehen und umzusetzen“. epd sozial dokumentiert aus dem 25-seitigen „Empfehlungen zur Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung“ des Deutschen Vereins das Kapitel „Ausgestaltung der Leistung“.
"Um sowohl dem verfassungsrechtlich gebotenen Familienlasten- und -leistungsausgleich als auch sozialpolitischen Verteilungserfordernissen gerecht zu werden, müssen die wirtschaftliche Situation des Kindes und der Familienkontext berücksichtigt werden. Bei der Ausgestaltung der Leistung muss nach Ansicht des Deutschen Vereins unter Berücksichtigung der favorisierten Anspruchsberechtigung des Kindes in jedem Fall sichergestellt werden, dass
Gesamteinkommen führt,
Aufgrund der existenzsichernden Funktion der Kindergrundsicherung sollte einerseits auf das aktuelle, sozialrechtliche Einkommen abgestellt werden. Andererseits sollten vorläufige Entscheidungen mit nachträglichen Spitzabrechnungen und ggf. Rückforderungen möglichst vermieden werden. Da beide Anforderungen bei schwankenden Einkommen in einem Spannungsverhältnis stehen, spricht sich der Deutsche Verein dafür aus, dass im Regelfall auf das zuletzt abgerechnete/ beschiedene Einkommen als aktuelles, gegenwärtiges Einkommen abgestellt wird. So kann für viele Personengruppen, bei denen Daten zum Einkommen (in einem festzulegenden Turnus) automatisiert abgerufen werden können, z.B. abhängig Beschäftigte oder Bezieher/innen von Arbeitslosengeld, auf Einkommensprognosen und vorläufige Bescheide verzichtet werden.
Unbenommen bleibt die Option, dass Leistungsberechtigte bereits eingetretene, aber noch nicht per Abrechnung oder Bescheid dokumentierte oder aber konkret vorhersehbare Einkommenseinbußen geltend machen können.
Bei der Wahl des Abschmelztarifs sollte eine Schlechterstellung zum Status Quo vermieden werden. Insbesondere auch Familien, die bislang Wohngeld und Kinderzuschlag parallel bezogen haben, dürfen nicht schlechter gestellt werden. Die Schnittstelle zum Wohngeld wird auch weiterhin bei der Berücksichtigung der Gesamttransferentzugsrate bei parallelem Leistungsbezug zu beachten sein.
Bei der Frage der Anrechnung von Kindeseinkommen (Unterhalt, Unterhaltsvorschuss) muss berücksichtigt werden, dass dieses ja auch im Wohngeldgesetz als Einkommen berücksichtigt wird. Um eine doppelte Anrechnung zu verhindern, hatte das „StarkeFamilien-Gesetz“ 2019 die Anrechnung beim Kinderzuschlag von 100 auf 45 Prozent reduziert. Um die Kindergrundsicherung auch für die Kinder Alleinerziehender zugänglich zu machen, muss eine doppelte Anrechnung verhindert werden.
Das Abschmelzen der Kindergrundsicherung muss mit anderen Sozialleistungen gut abgestimmt werden. Die Transferentzugsrate sollte zum einen so ausgestaltet sein, dass sich Erwerbsarbeit für die Eltern auch weiterhin möglichst lohnt. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass eine (geringfügige) Einschränkung der Erwerbstätigkeit durch die Eltern nicht zwingend negativ zu konnotieren ist. Vielmehr könnte Eltern hierdurch ermöglicht werden, mehr Zeit für Kinder und Familie aufzubringen, was bis dahin aufgrund des finanziellen Drucks nicht möglich war. Auch diese Zeit für Kinder beziehungsweise Care-Arbeit ist wertvolle Zeit und gesellschaftlich sinnvoll, da sie der Überlastung von Eltern (derzeit insbesondere Müttern) und den damit verbundenen gesellschaftlichen Folgekosten (Arbeitsunfähigkeit, Kosten im Gesundheitssystem und so weiter) entgegenwirkt.
Zum anderen sollte gleichzeitig vermieden werden, dass im Sinne der gleichberechtigten Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit nicht vorrangig bei Müttern der Eindruck entsteht, dass sich Erwerbsarbeit für sie nicht lohnt, da dies zu Armutsrisiken insbesondere im Alter beziehungsweise im Falle einer Trennung/Scheidung führen kann. Dies kann nicht durch die Kindergrundsicherung allein sichergestellt werden. Die Ausgestaltung der Kindergrundsicherung sollte jedoch entsprechenden flankierenden Maßnahmen nicht im Weg stehen.
Hinsichtlich der Situation Alleinerziehender ist bei der Ausgestaltung der Kindergrundsicherung der Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II mit zu berücksichtigen, da hierdurch für Alleinerziehende die Schwelle zur Überwindung des Grundsicherungsbezugs höher liegt. Hier sind Abbruchkanten zu vermeiden und sicherzustellen, dass sich auch für Alleinerziehende Arbeit in jedem Fall lohnt.
Festzuhalten bleibt schließlich, dass eine langsame Transferentzugsrate Erwerbsarbeit lohnenswert erscheinen lässt, gleichzeitig jedoch vermeintlich zu höheren Kosten führt. Aktuelle Studien weisen jedoch darauf hin, dass ein stärkerer Transferentzug zwar die direkten Kosten senkt, gleichzeitig jedoch durch die damit verbundene hohe Grenzbelastung Erwerbsarbeit weniger beziehungsweise nicht mehr lohnenswert erscheint. Insoweit ist in einem stärkeren Transferentzug nicht per se ein bedeutsames Einsparpotenzial zu sehen.
Die Inanspruchnahme der Kindergrundsicherung muss insgesamt aufenthaltsrechtlich unschädlich sein. Die in der Kindergrundsicherung einzubeziehenden Leistungen des Kindergeldes und des Kinderzuschlags sind nach geltender Rechtslage im Unterschied zu existenzsichernden Leistungen gemäß § 2 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) aufenthaltsrechtlich unschädlich, sodass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung für einen gültigen Aufenthaltstitel gemäß § 5 Abs. 1 AufenthG, die die Sicherung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln (Sozialleistungen) vorsieht, auch bei der Inanspruchnahme dieser Leistungen erfüllt ist. Diese grundsätzliche ausländerrechtliche Unschädlichkeit der kinderbezogenen Leistungen muss auch bei einer Neukonzeption dieser Leistungen erhalten bleiben.
Die Ausgestaltung der Kindergrundsicherung hat schließlich gegebenenfalls auch Auswirkungen auf die Exportpflicht für Familienleistungen nach EU-Recht. Familienleistungen in diesem Sinne erfassen nach aktueller Rechtlage einen staatlichen Beitrag zum Familienbudget, der die Kosten für den Unterhalt von Kindern verringern soll, während Leistungen der Sozialhilfe sich durch eine individuelle Prüfung des persönlichen Bedarfs auszeichnen.
Nach europarechtlichen Maßstäben richtet sich die Abgrenzung der Leistungen und damit die Exportierpflicht dabei im Wesentlichen nach den grundlegenden Merkmalen der Leistung, insbesondere ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung, nicht aber nach ihrer Rechtsnatur nach nationalem Recht. Eine Exportpflicht besteht dann nicht, wenn es sich um eine Leistung der sozialen Fürsorge handelt oder die Leistung als sog. besondere beitragsunabhängige Geldleistung sowohl Merkmale der Sozialhilfe als auch Merkmale einer Familienleistung aufweist."