sozial-Thema

Suizidassistenz

Sterbehilfe in diakonischen Heimen - darf das sein?




Patient auf einer Palliativstation (Archivbild)
epd-bild/Werner Krüper
Viele diakonische Pflegeeinrichtungen suchen nach ihrer Linie zum Umgang mit Bewohnern, die ihr Leben beenden möchten. Diakonie und evangelische Kirche sind prinzipiell gegen Suizidassistenz in ihren Heimen - doch es kann sie auch dort geben.

Frankfurt a. M. (epd). Die Bewohnerinnen und Bewohner des diakonischen Augustinums haben die Zusage: Selbst wenn sie sich für einen Suizid entscheiden, werden sie weiter „wertschätzend und professionell bis zum Ende ihres Lebens begleitet“, heißt es in einem Papier des Heimträgers mit dem Titel „Zum Umgang mit dem assistierten Suizid“. Es gebe „keine Suizidhilfe durch Mitarbeiterinnen, zugleich aber Respekt vor der freien Entscheidung von Bewohnern, die sich zu einem Suizid entschließen“, betont der Vorsitzende der Geschäftsführung, Joachim Gengenbach.

Der Träger mit Sitz in München, der 23 Seniorenresidenzen mit rund 7.500 Bewohnern betreibt, hat seinen Umgang mit dem sensiblen Thema geregelt und öffentlich gemacht. Doch viele andere Heime der Diakonie suchen noch nach ihrer Linie, befinden sich in der internen Klärung oder arbeiten an eigenen Leitsätzen.

Diakonie Bayern: Keine Bevormundung der Träger

Der Sprecher der Diakonie Bayern, Daniel Wagner, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), dass jeder Träger, jedes Heim für sich eigene Regelungen finden müsse: „Es muss von unten nach oben eine Haltung entwickelt werden, das kann man nicht zentralistisch regeln.“ Zwar habe die Diakonie Bayern mit einem Positionspapier „Leitplanken aufgestellt“, aber es gebe keine Bevormundung, „das Thema ist komplex“. Für die Diakonie müsse Suizidprävention an erster Stelle stehen. Wagner sieht hier den Gesetzgeber gefordert.

Doch sei klar, sagte der Sprecher weiter, dass es „eine flächendeckende Zusammenarbeit mit Sterbehilfeorganisationen nicht gibt“. Er versicherte, dass es bei Sterbewilligen immer individuelle Lösungen gebe, denn sie sollen nicht gezwungen sein, das Heim zu verlassen.

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, kennt die Konfliktlage. Sie wisse, dass es extreme Situationen gebe, in denen das Leben für einen Menschen unerträglich werde und die körperlichen oder seelischen Qualen alles andere überlagerten. „In solchen Ausnahmefällen maße ich mir kein Urteil an, wenn ein Mensch keinen anderen Ausweg mehr sieht, als das Leben zu beenden und dabei andere um Hilfe zu bitten“, hatte die EKD-Ratsvorsitzende schon im Januar 2022 in einem Zeitungsinterview gesagt.

Lilie: Suizidassistenz in Diakonieheimen nicht aktiv anbieten

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie schreibt im Geleitwort der Handreichung für evangelische Träger „Ich bin ein Gast auf Erden“: „Als gemeinsame Linie der Diakonie sehe ich die Bereitschaft, Menschen ohne Vorbehalte und gleichzeitig dem Leben zugewandt zu begleiten, aber nicht aktiv Suizidassistenz selbst anzubieten und zu praktizieren.“ Diakonie und EKD setzen sich nach dem Scheitern der Neuregelung der Sterbehilfe im Bundestag weiter für die Stärkung der Suizidprävention ein. Kurschus: „Der Fokus von Staat und Gesellschaft muss daher auf einem konsequenten Ausbau der Suizidprävention, der Palliativmedizin und der Palliativpflege liegen.“

Doch was soll das Personal tun, wenn Heimbewohner den Wunsch äußern, ihr Leben zu beenden? Müssen die meist Hochbetagten dann die evangelische Einrichtung verlassen und sich einen Platz bei einem anderen Träger suchen, der Suizidassistenz leistet?

Gescheiterte Gesetzesreform sorgt für Dilemma

Das Dilemma bleibt bestehen, seit im Bundestag im Juli Entwürfe zur Neuregelung zur Sterbehilfe keine Mehrheit fanden, sodass es weiter keine gesetzlichen Vorgaben gibt. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das erst 2015 verabschiedete Verbot der organisierten, sogenannten geschäftsmäßigen Suizidassistenz gekippt, mit dem die Aktivitäten von Sterbehilfevereinen unterbunden werden sollten. Das Gericht sah das Grundrecht auf Selbstbestimmung verletzt.

Der Chef des Augustinums Gengenbach betont: „Umso wichtiger ist es uns im Interesse von Bewohnern und Mitarbeitenden, selber eine verantwortliche und nachvollziehbare Haltung einzunehmen.“ Das Positionspapier sei in den vergangenen Jahren in einem breiten Meinungsbildungsprozess mit Beschäftigten aller Fachrichtungen des Unternehmens erarbeitet - und das Thema damit aus der Tabuzone geholt worden.

Träger und Kirche legen Wert auf Suizidprävention

Das Augustinum setze auf eine gute Palliativversorgung in den eigenen Einrichtungen sowie auf eine psychosoziale Begleitung als wichtige suizidpräventive Faktoren. Man biete „ein lebensbejahendes Umfeld“. Doch sei auch der Zutritt von Sterbehilfeorganisationen möglich.

Peter Bartmann, Leiter des Zentrums Gesundheit, Rehabilitation und Pflege der Diakonie Deutschland, sagt, „Suizidassistenz ist aus der Sicht der Diakonie nur im Ausnahmefall, nicht in der Regel zu verantworten. Aufgabe diakonischer Einrichtungen und Dienste ist es allerdings, Menschen mit Sterbewünschen, Suizidgedanken und auch dem Verlangen nach einem assistierten Suizid in ihren Wünschen ernst zu nehmen und zu begleiten.“

Bethel: Keine begleiteten Selbsttötungen

Der Vorstandsvorsitzende von Bethel, Ulrich Pohl, lehnt jede Möglichkeit begleiteter Selbsttötung in den Einrichtungen ab. „Das ist mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar und kommt daher durch Mitarbeitende Bethels nicht infrage - auch wenn Betroffene es wünschen“, sagte der Theologe. „Wir bieten umfassende Information über alle palliativen Möglichkeiten am Lebensende“, sagte er dem epd.

Bethel betreibe für sterbenskranke Menschen sieben Hospize sowie ambulante Palliativdienste. „Doch auch in unseren Hospizen kann keine Unterstützung zum Suizid stattfinden“, sagte der Vorstandsvorsitzende.

Pohl erläuterte weiter: „Sofern Bewohner einer Einrichtung hier Mieter sind, entscheiden sie frei darüber, wer sie besuchen wird. Allerdings stellen wir keine Gemeinflächen zur Verfügung, damit Sterbehilfegruppen über ihre Angebote informieren können.“

Experte: Einrichtungen müssen Klarheit schaffen

Laut Bartmann von der Bundesdiakonie ist entscheidend, „dass die Einrichtungen und Dienste jeweils für ihren Verantwortungsbereich Klarheit im Umgang mit der Suizidassistenz schaffen, für die Klienten, aber auch für die Mitarbeitenden“. Die Bundesdiakonie habe eine Handreichung erstellt, um diesen Klärungsprozess zu unterstützen.

Die wird auch von der Diakonie Hessen genutzt, wenn Anfragen von Heimträgern kommen. Und diese nähmen zu, sagte Pressesprecherin Britta Heinemann: „Das Thema hat aufgrund der aktuellen öffentlichen Debatte eine höhere Aufmerksamkeit bekommen, in den Medien, aber auch vor Ort in den Einrichtungen.“ Mitglieder meldeten sich meist, um sich auch über ihre Rechte zu informieren. „Mit Sterbewünschen konfrontiert zu sein, ist eine Herausforderung, der sich die Mitarbeitenden in den Diensten und Einrichtungen immer wieder neu stellen müssen.“ Dazu biete der Landesverband Praxistage für Mitarbeitende der ambulanten und stationären Pflege an.

Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, sagte dem epd, der rechtliche Rahmen, wann und wie Sterbehilfe zulässig sei, sei uneindeutig. Bislang gebe es in den Einrichtungen der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe keine einheitliche Praxis. Manche Einrichtungen ließen unter bestimmten Rahmenbedingungen assistierten Suizid zu. Viele versuchten, „eine Haltung zu entwickeln“, erklärte Heine-Göttelmann.

Dirk Baas