sozial-Branche

Sterbehilfe

Interview

Diakonie-Vorstand: Keine einheitliche Praxis der Diakonie bei Suizid




Christian Heine-Göttelmann
epd-bild/Diakonie RWL
Nach der Ablehnung eines neuen Sterbehilfegesetzes im Bundestag agieren viele Altenhilfeträger in einer rechtlichen Grauzone. Diakonie-Vorstand Christian Heine-Göttelmann sieht den Ausweg in einem Bundesgesetz.

Düsseldorf (epd). Im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) wirbt Christian Heine-Göttelmann deshalb für ein Bundesgesetz, dass die Suizidbeihilfe sowie das vorgeschlagene Schutz- und Beratungskonzept neu regelt. Auch bei einem würdigen Sterben spiele die Ausübung der Freiheit eine große Rolle, unterstreicht der Theologische Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Die Fragen stellte Holger Spierig.

epd sozial: Herr Heine-Göttelmann, wie kann mit der Situation ohne Neuregelung umgegangen werden?

Christian Heine-Göttelmann: Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe 2020 in einem Grundsatzurteil für verfassungswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch bedeutet, dass auf die Unterstützung Dritter, auch wenn diese geschäftsmäßig betrieben wird, zurückgegriffen werden könnte. Der rechtliche Rahmen aber, wann und wie Sterbehilfe zulässig ist, bleibt weiterhin uneindeutig, insbesondere bei „geschäftsmäßiger“ Suizidbeihilfe, also zum Beispiel auf Wiederholung angelegte Hilfe bei der Selbsttötung durch Sterbehilfeorganisationen.

epd: Was bedeutet das für die Einrichtungen der Diakonie?

Heine-Göttelmann: Für die Gesundheitseinrichtungen der Diakonie, also Krankenhäuser, stationäre und ambulante Altenhilfeträger, bedeutet dies, dass sie sich in einer rechtlichen Grauzone befinden. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Wunsch besteht, in ihren Räumen Suizidbeihilfe stattfinden zu lassen.

epd: Wie sieht es aktuell in der Praxis aus, wenn Bewohner einer Diakonie-Einrichtung den Wunsch nach einem assistierten Suizid äußern?

Heine-Göttelmann: In der Praxis ist das genau das Problem. Wie geht man mit dem Wunsch der Patientinnen und Patienten sowie der Bewohnerinnen und Bewohner auf Sterbehilfe um? Diese Frage belastet nicht nur die Einrichtungen, sondern auch deren Mitarbeitenden. Schließlich urteilte das Bundesverfassungsgericht ja auch, dass niemand zur Hilfe am Suizid gezwungen werden kann. In diesen Fällen ethisch verantwortbar zu handeln, ist das, was es zu gestalten gilt. Ein neues Bundesgesetz, das die Suizidbeihilfe und ein von den Richtern vorgeschlagenes Schutz- und Beratungskonzept neu regelt, könnte gerade hier helfen.

epd: Wie ist das aktuell in den Einrichtungen der Diakonie geregelt?

Heine-Göttelmann: Eine einheitliche Praxis gibt es dabei diakonieweit nicht. Es gibt Einrichtungen in der Diakonie RWL, die unter bestimmten Rahmenbedingungen assistierten Suizid zulassen. Viele versuchen, eine Haltung zu entwickeln.

epd: Was erwartet die Diakonie an nächsten Schritten von der Regierung?

Heine-Göttelmann: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgetragen, ein Schutz- und Beratungsgesetz zu entwickeln, also einen Rahmen abzustecken. Der Gesetzgeber muss daher das Verfahren regeln und dafür sorgen, dass solche Entscheidungen nicht unter Druck oder wirtschaftlichen Erwägungen geschehen und entscheiden, wie in diesem Prozess wirklich geholfen werden kann - und von wem.

epd: Wo sehen Sie Grenzen?

Heine-Göttelmann: Wir wollen natürlich nicht, dass minderjährige Personen unter dieselbe Regelung fallen oder dass depressive oder vorübergehend kranke oder kognitiv beeinträchtigte Menschen unter denselben Bedingungen betrachtet werden. Das ist möglich und sollte berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber muss also Freiheiten gestalten und begrenzen. Leben schützen. Es sollte alles unternommen werden, Menschen das Leben zu ermöglichen und ihnen eine gute Versorgung und Suizidprävention zukommen zu lassen.

epd: Was ist der Diakonie bei einem neuen Gesetz zur Sterbehilfe besonders wichtig?

Heine-Göttelmann: Die Selbsttötung ist eine Ausnahme und ein Sonderfall, der in Ausübung der persönlichen Freiheit schon immer stattgefunden hat und immer stattfinden wird. Wir sind der Überzeugung, dass die Würde des Menschen gerade in solchen Situationen zum Ausdruck kommt, in denen der Mensch seine Freiheit gestaltet - in der Regel zum Guten und lebensdienlich. Wir sind aber auch der Überzeugung, dass es ein würdiges Sterben geben kann und sollte.

epd: Was bedeutet das konkret?

Heine-Göttelmann: Auch hier spielt Ausübung der Freiheit bis zuletzt eine große Rolle: Wie selbstbestimmt können Menschen, die zunehmend über weniger Potenzial und Lebensmöglichkeiten oder Wahlmöglichkeiten verfügen, ihr Leben gestalten? In den Wohnformen, die auch die Diakonie anbietet, geht es oft genau darum. Wie sehr kann ich hier noch so sein und so leben, wie ich es möchte - zum Beispiel in Altenheimen, in Wohnformen der Menschen mit Behinderung? Das kann nicht mit einem Mal verloren gehen und muss auch für die letzte Phase des Lebens gelten und damit auch fürs Sterben. Nun ist die Ausübung dieser Freiheit nur noch mit Assistenz im Alltag möglich. Das ist ein schwieriger Fall. Aber seit wann hören wir auf, wenn es schwierig wird?



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