Kassel (epd). Ein sowohl gesetzlich als auch privat krankenversichertes Ehepaar kann leichter seinen unerfüllten Kinderwunsch verwirklichen. Denn ist ein Ehepartner gesetzlich und der andere privat krankenversichert, können sie von beiden Versicherungen jeweils die Hälfte der Kosten für eine Kinderwunschbehandlung erstattet bekommen, urteilte am 29. August das Bundessozialgericht (BSG). Damit kann das Ehepaar, anders als bei rein gesetzlich versicherten Eheleuten, die vollen Behandlungskosten zurückbekommen.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen muss die gesetzliche Krankenkasse für eine Kinderwunschbehandlung nur die Hälfte der Kosten tragen. Gesetzlich Versicherte müssen den Rest dann aus eigener Tasche bezahlen. Um die Kassenleistung beanspruchen zu können, müssen Mann und Frau miteinander verheiratet und mindestens 25 Jahre alt sein. Auch darf die Frau nicht das 40. und der Mann nicht das 50. Lebensjahr erreicht haben. Und: Bei einer künstlichen Befruchtung dürfen nur Ei- und Samenzellen der Eheleute verwendet werden.
Im jetzt entschiedenen Fall ging es um eine bei einer gesetzlichen Krankenkasse versicherte Klägerin mit unerfülltem Kinderwunsch. Grund war eine Fertilitätsstörung bei ihrem privat krankenversicherten Ehemann. Die private Krankenversicherung erstattete die Hälfte der Aufwendungen für eine sogenannte ICSI-Kinderwunschbehandlung. Dabei wird eine einzelne Samenzelle mit einer feinen Nadel direkt in eine zuvor entnommene Eizelle eingeführt und dann der Frau wieder eingesetzt. Die Ehefrau beantragte von ihrer gesetzlichen Krankenversicherung ebenfalls die Hälfte der Ausgaben.
Doch diese lehnte ab. Die private Krankenversicherung des Ehemannes habe bereits den hälftigen Anteil bezahlt. Damit sei der Anspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse erloschen, so die Begründung. Dass ein Ehepaar letztlich die gesamten Kosten erstattet bekommt, sei nach dem Gesetz nicht vorgesehen.
Dem widersprach das BSG. Es sei gesetzlich gar nicht geregelt, ob private und gesetzliche Krankenversicherungen sich nur den Kostenanteil für eine Kinderwunschbehandlung teilen sollen. Erstatte eine private Krankenversicherung die Hälfte der angefallenen Behandlungskosten, erlösche damit noch nicht der Anspruch auf die andere Hälfte der Ausgaben durch die gesetzliche Krankenversicherung. Ein Ehepaar, bei dem ein Ehepartner gesetzlich und der andere privat versichert sei, könne Ansprüche gegenüber beiden Versicherungen geltend machen - und damit die vollen Behandlungskosten erstattet bekommen.
Lesbische Ehepaare können dagegen nach einem Urteil des BSG vom 10. November 2021 noch nicht einmal den für gesetzlich Versicherte vorgesehenen hälftigen Zuschuss verlangen. Aus der Möglichkeit einer gleichgeschlechtlichen Ehe ergebe sich „nicht die Pflicht, die zeugungsbiologischen Grenzen einer solchen Ehe mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen“, befand das Gericht. Die gesetzliche Regelung sehe eine „unterstützende künstliche Befruchtung“ nur für Paare vor, die grundsätzlich zusammen Kinder bekommen können, das aber wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht gelingt.
Zu privat Versicherten hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am 4. Dezember 2019 geurteilt, dass eine private Krankenversicherung die Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung nicht wegen eines angenommenen zu hohen, altersbedingten Fehlgeburtsrisikos der Frau verweigern darf. Denn die für die Kostenübernahme erforderliche Erfolgsaussicht der Behandlung sei nicht an der Prognose einer geglückten Geburt zu messen. Es gehöre auch zum Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten, „sich den Kinderwunsch in fortgeschrittenem Alter unter Inkaufnahme altersspezifischer Risiken zu erfüllen“.
Allerdings müssen Krankenversicherungen keine Kinderwunschbehandlungen bezahlen, die mithilfe einer Eizellspende durchgeführt wurden, urteilte am 14. Juni 2017 der BGH im Fall eines privaten Krankenversicherers. Dieser müsse nur für solche Behandlungen aufkommen, die nach deutschem Recht auch erlaubt sind. Nach dem Embryonenschutzgesetz sei die Eizellspende in Deutschland aber verboten. Eine Leistungspflicht der privaten Krankenversicherung bestehe daher nicht. Dass Eizellspenden im Ausland erlaubt sein können, ändere daran nichts, so das Gericht.
Az.: B 1 KR13/22 R (BSG, gemischt krankenversicherte Paare)
Az.: B 1 KR 7/21 R (BSG, lesbisches Ehepaar)
Az.: IV ZR 323/18 (BGH, Fehlgeburtsrisiko)
Az.: IV ZR 141/16 (BGH, Eizellspende)