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Gesundheit

Pflege in Kliniken vor dem Kollaps




Krankenschwester mit Patient
epd-bild/Hardy Müller
Weniger Azubis, mehr Pflegebedürftige: Die Zukunft der stationären Krankenpflege ist schwierig. Um den Fachkräftemangel auszugleichen, greifen Kliniken zunehmend auf Hilfskräfte zurück. Auf der Strecke bleibt die Qualität. Der Pflegeberuf steckt in der Klemme.

Stuttgart/Freiburg (epd). Der Fachkräftemangel ist in den Kliniken ein drängendes Thema. In Baden-Württemberg sei der Mangel regional unterschiedlich ausgeprägt und betreffe unterschiedliche Berufsgruppen, sagte der Geschäftsführer des Diakonie-Klinikums Stuttgart, Bernd Rühle, dem Evangelischen Pressedienst (epd). In den Ballungsräumen sei es leichter, ärztliches Personal zu gewinnen.

Personal bei der Stange halten

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, versuche das Diakonie-Klinikum Stuttgart wie auch andere Häuser, zunächst dem eigenen Personal attraktive Angebote zu machen, um es bei der Stange zu halten, so Rühle. Pflegekräfte könnten beispielsweise individuelle Arbeitszeitmodelle wählen. Kurzfristige Personalausfälle würden durch einen Springerpool ausgeglichen, bei dem die Mitarbeitenden die Arbeitszeit selbst bestimmen.

Dass dieser Ansatz Erfolg verspricht, macht unter anderem das Evangelische Diakoniekrankenhaus Freiburg vor. Personalmangel herrsche dort nicht, so ein Sprecher. Das Krankenhaus wurde indes mehrfach als „einer der besten Arbeitgeber im Bereich Kliniken“ ausgezeichnet.

Auch die Personalgewinnung - gerade von ausländischem Pflegepersonal - spiele eine wichtige Rolle, stelle die Häuser in der Umsetzung aber vor neue und zusätzliche Herausforderungen, betont Rühle. Sollten Springerpool und Fremdpersonal nicht reichen, bleibe den Häusern nur, die Bettenzahl auf das verfügbare Personal anzupassen - um den Preis von weniger Einnahmen.

Gesetzlich festgelegte Personaluntergrenze

In vielen Kliniken verfolge man einen „Skillmix“, sagt der Vorsitzende der baden-württembergischen Landesgruppe des Bundesverbandes Pflegemanagement, Oliver Hommel. Zur Entlastung der Fachkräfte würden zunehmend Hilfskräfte mit anderen, fachfremden Berufsabschlüssen eingesetzt, etwa Arzthelferinnen. Manche Arbeitsabläufe wie die Essensausgabe würden ausgelagert, um das Pflegepersonal zu entlasten, so Hommel.

„Diese Situation wird sich in den nächsten Jahren nicht weiter verändern“, erwartet der examinierte Krankenpfleger. Das Fachpersonal belibe knapp. Dazu kommt, dass die Babyboomer-Generation in den kommenden Jahren aus dem Berufsleben ausscheidet.

Gesetzlich festgelegte Personaluntergrenzen verschärfen die Situation in der Pflege. Auf Intensivstationen etwa dürften Hilfskräfte nicht zum Betreuungsschlüssel hinzugezählt werden, erklärt Hommel. Auch seien die Krankenkassen immer weniger bereit, überhaupt Hilfskräfte in der Pflege zu finanzieren. Der Verbandsvorsitzende fordert „mehr Spielräume vonseiten der Politik“. Um die Personaluntergrenzen einzuhalten, reduzieren Häuser teilweise die Bettenzahl. Denn wenn die Einrichtungen die vorgegebenen Grenzen unterschreiten, drohen finanzielle Sanktionen.

Können Angehörige helfen?

Sind Angehörige, die die Kliniken unterstützen ein Ausweg, um den Personalmangel auszugleichen? „Ich kann es mir durchaus vorstellen, dass das vorkommt, allerdings nicht flächendeckend“, meint die Fachbereichsleiterin für Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft der Gewerkschaft ver.di, Irene Gölz.Gölz. Als „fatal und falschen Weg“ bezeichnet Oliver Hommel diese Möglichkeit. „Man sollte Angehörige nicht aus der Not heraus einbinden.“

„Angehörige einzubeziehen, hilft nicht, weil die gesetzlichen Vorgaben eine Personalausstattung mit Fachkräften zum Inhalt haben“, warnt Rühle vor einer Absenkung des pflegerischen Standards in Deutschland. Er räumt jedoch ein: „Die Delegation von einfachen Tätigkeiten auf un- oder geringqualifizierte Hilfskräfte ist heute nicht unüblich.“ Das Problem des Fachkräftemangels in der Pflege ist damit jedoch nicht gelöst. Um Pflege in der Zukunft zu sichern, wünscht sich Hommel vielmehr „Schwung und eine Portion Optimismus“ für den Beruf.

Susanne Lohse