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Kirchen

Erste Hilfe für die Seele




Pfarrer Albrecht Röbke, evangelischer Koordinator der Notfallseelsorge, in der provisorisch eingerichteteten Zentrale in Bonn im Juli 2021
epd-bild/Meike Böschemeyer
Die Kirchen haben ihre Notfallseelsorge professionalisiert. Dabei geht es nicht nur um Hilfe bei Katastrophen, sondern auch bei überraschenden Todesfällen oder Suiziden. Der Bedarf wächst.

Waiblingen (epd). Unmittelbar nach der Flutkatastrophe waren sie im Ahrtal, um für Betroffene und Einsatzkräfte da zu sein: 110 Notfallseelsorger zusammen mit 110 Personen des Notfallnachsorgedienstes mehrerer Hilfsorganisationen aus Baden-Württemberg. Zwei Wochen lang, immer in Drei-Tages-Schichten. „Seelsorge für Menschen in höchster Not ist die ureigenste Aufgabe der Kirche. Hier ist Kirche mitten in der Gesellschaft präsent“, sagen Pfarrer Ulrich Enders, Leiter und Geschäftsführer des Landeskirchlichen Pfarramts für Polizei und Notfallseelsorge in Waiblingen, und Pfarrer Markus Schwab, Leiter der Landeskirchlichen Koordinationsstelle Notfallseelsorge. Frühe psychosoziale Unterstützung in Notsituationen könne in vielen Fällen verhindern, dass sich später ein Trauma bildet.

„Ein eindeutiges Gründungsdatum der Notfallseelsorge in Deutschland lässt sich nicht benennen. Sie begann mit vielen Geschichten an vielen Orten - zum Beispiel wenn ein Pfarrer gleichzeitig in der Feuerwehr oder im Rettungsdienst verwurzelt war“, heißt es auf der Homepage der Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Erste Überlegungen zur seelsorgerlichen Hilfe nach der Hamburg-Flut

Demnach wurden erste konkrete Schritte hin zur heutigen, deutlich anders und professionell strukturierten Notfallseelsorge nach der Flutkatastrophe in Hamburg 1962 eingeleitet. Die beiden Volkskirchen veröffentlichten seinerzeit die Broschüre „Kirchliches Handeln bei Unglücksfällen und Katastrophen“. „Aber die Zeit war noch nicht reif für die klare Ausprägung einer eigenen Notfallseelsorge; vielleicht auch, weil der Nachkriegsgeneration ein anderer Umgang mit seelischen Belastungen zugemutet beziehungsweise abverlangt wurde“, heißt es im geschichtlichen Rückblick.

In den 1980er und 90er Jahren folgten dann unabhängig voneinander mehrere kirchliche Initiativen, die zur Gründung von Notfallseelsorgesystemen führten. Einige dieser Initiativen verstanden ihre Arbeit als grundpastorale Aufgabe der Gemeindeseelsorge, wohingegen andere sich klar als Kategorialseelsorge etablieren wollten. Beide Sichtweisen bestehen bis heute.

Fast 5.000 Einsätze allein in Baden-Württemberg

Der Anstoß zur Notfallseelsorge als eigenem Arbeitszweig geht auf Katastrophen der 1990er-Jahre wie das Zugunglück in Eschede zurück. Etwa drei Viertel der jährlich fast 4.800 Einsätze von 1.227 Notfallseelsorgern in Baden-Württemberg finden jedoch nicht im öffentlichen, sondern im privaten Raum statt. „In 40 Prozent der Fälle, in denen die Einsatzleitstelle der Rettungskräfte Unterstützung anfordert, geht es um plötzliche Todesfälle; auf Platz zwei und drei liegen die Überbringung von Todesnachrichten mit der Polizei und die Begleitung nach Suizid“, erläutert Schwab.

Während die Polizei vor allem mit Sachbearbeitung beschäftigt sei, sei es Aufgabe der Psychosozialen Notfallversorgung, der Notfallseelsorge sowie der Krisenintervention von Hilfsorganisationen, Menschen zu stabilisieren, die akute Belastungsreaktionen zeigen. „Das zeigt sich in der Regel entweder so, dass sie im sogenannten Freezing sind, wie erstarrt wirken oder umgekehrt, dass sie sehr unruhig werden“, erklärt Schwab.

Nähe zeigen und Menschen behutsam begleiten

In beiden Fällen gelte es, Nähe zu zeigen, Menschen behutsam zu begleiten und zu betonen, dass ihre Reaktionen normal sind. „Wir erklären weitere Abläufe, informieren zum Beispiel über das Recht, den Verstorbenen noch 36 Stunden zu Hause zu haben, und machen Mut, den Leichnam zu berühren“, so Schwab. „Oft ist die wichtigste Frage: ‚Wen hätten Sie jetzt gerne bei sich?‘“

Enders ergänzt: „Es ist wichtig zu erfassen, was jeweils für eine würdige Trauer nötig ist, ein Setting zu schaffen, das allen Beteiligten hilft. Etwa einen Toten aus der Unfallszene herauszunehmen und ein Grasbett für ihn herzurichten. Das wird oft auch von den Rettungskräften gewürdigt.“

Neben Pfarrerinnen und Pfarrern mit Weiterbildung in Notfallseelsorge spielen zunehmend qualifizierte Ehrenamtliche eine wichtige Rolle in der Ausübung dieses ökumenischen Dienstes. Die Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg sowie die Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Freiburg haben sich in einer Vereinbarung mit dem Land dazu verpflichtet, ihren seelsorgerlichen Auftrag in Notfällen auf Landkreisebene verlässlich wahrzunehmen, bei Bedarf auch gegenüber stark belasteten Einsatzkräften.

Gemeinsame Finanzierung von Koordinationsstellen

Das gemeinsame Anliegen von Landkreisen, Diözesen und Landeskirchen zeigt sich auch in der Finanzierung von hauptamtlichen Koordinationsstellen zu je einem Drittel. „In den zehn württembergischen Landkreisen, in denen es eine solche Stelle bereits gibt, ist die Arbeit der Notfallseelsorge in vielerlei Hinsicht am Wachsen. Meine katholische Kollegin und ich arbeiten daran und rechnen damit, dass es langfristig flächendeckend in Württemberg solche Stellen geben kann“, sagt Enders.

„Die württembergische Landessynode hat die Notfallseelsorge bisher eigentlich immer einstimmig unterstützt“, lobt er. Dennoch blieben im Zusammenhang mit dem Pfarrplan, der erhebliche Stellenkürzungen vorsieht, Wünsche an die Kirchenleitung offen. „Wir brauchen auch in Zukunft Stellenzuschnitte, mit denen Pfarrerinnen und Pfarrer, die zusätzlich mit Notfallseelsorge beauftragt sind, in den Kirchenbezirken der Rücken freigehalten wird.“

Uta Rohrmann