Kirchen

"Gebetet, dass Gott uns aus den Schwierigkeiten herausholt"




Kurdisches Ehepaar beendet sein Kirchenasyl in Nettetal
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer
Durch den Bruch des Kirchenasyls wurde ihr Schicksal der Öffentlichkeit bekannt: Ein kurdisches Ehepaar aus dem Irak darf vorläufig in Deutschland bleiben, deshalb kann es jetzt die Räume der Gemeinde in Nettetal-Lobberich wieder verlassen.

Nettetal, Viersen (epd). Dafür, dass Nahida und Dilshad in den vergangenen drei Wochen einiges durchmachen mussten, wirkt das kurdischstämmige Ehepaar recht gefasst. Ruhig sitzen beide am Tisch in den Räumen der evangelischen Kirchengemeinde Lobberich/Hinsbeck in Nettetal (Kreis Viersen) und beantworten Fragen. Wobei vor allem die 38-jährige Nahida die Antworten gibt, da sie auch Arabisch spricht und mit dem Dolmetscher kommunizieren kann. Ehemann Dilshad (43) spricht nur Kurdisch. „Es ist für uns unvergesslich, dass Menschen, die uns nicht kennen, für uns gekämpft und sich eingesetzt haben“, sagt sie. Dafür wollten sie allen Beteiligten und Unterstützern „Danke“ sagen.

Der Kampf, zu dem im Juli unter anderem eine Mahnwache und Proteste vor der Ausländerbehörde in Viersen gehörten, hat sich gelohnt. Das Paar ist vor der drohenden Überstellung nach Polen geschützt. Dorthin wollten sie und ihr Mann nicht zurückkehren, weil sie von den polnischen Behörden „wirklich schlecht behandelt“ worden seien, berichtet Nahida. Zwei frische Ausweise, die ihnen den Aufenthalt in Deutschland bis zum Abschluss des Asylverfahrens erlauben, haben sie nun zur Hand und können sich damit legitimieren. Angesichts seines gesicherten Status kann das Paar das Kirchenasyl in der Gemeinde verlassen und wieder in einem Flüchtlingsheim der Stadt Viersen untergebracht werden.

Unangekündigte Hausdurchsuchung

Der Fall des kurdischen Paares aus dem Nordirak hatte für Aufsehen gesorgt, weil das Ausländeramt der Stadt Viersen entgegen einer Vereinbarung zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der rheinischen Landeskirche die Eheleute bei einer unangekündigten Hausdurchsuchung am 10. Juli in Haft genommen hatte. Das Ehepaar sollte danach vom Flughafen Düsseldorf aus nach Polen gebracht werden, weil es dort nach der Ankunft in der EU seinen Asylantrag gestellt hatte. Wegen eines Zusammenbruchs der Ehefrau wurde die Rücküberstellung nach Polen aber abgebrochen, das Paar kam in Abschiebehaft in Darmstadt.

Der nächste Termin für eine Rücküberstellung wurde für den 25. Juli angesetzt, dann jedoch von der Stadt Viersen mit dem Verweis abgesagt, dass die Überstellungsfrist an diesem Tag ablaufe, das Asylverfahren auf die deutschen Behörden übergehe und erst weitere Fragen geklärt werden müssten. Zugleich betonte die Viersener Bürgermeisterin Sabine Anemüller (SPD) aber auch, dass die Ausländerbehörde der Stadt den Fall „rechtlich einwandfrei und absolut sauber abgearbeitet“ habe. Grundlage dafür seien die Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

Bei der Kirchengemeinde ist man jedoch nach wie vor fassungslos über das Vorgehen der Behörde. Der Umgang mit Menschen, die im Kirchenasyl lebten, sei „bundesweit geregelt“, sagt Pfarrerin Elke Langer. Diese Regelungen habe die Viersener Behörde einfach über „den Haufen geworfen“. Seit Ende Mai hatte das Paar ein Zimmer in den Räumen der Gemeinde bezogen.

Die Pfarrerin ist froh, dass sich die Stadt durch die Proteste der Gemeinde und der Bürgerschaft sowie die medialen Wellen eines Besseren besonnen hat. Zu den Akten gelegt ist der Vorfall - trotz des für das Paar glücklichen Ausgangs - nach Ansicht der Pfarrerin aber nicht. Man suche das Gespräch mit den Verantwortlichen und hoffe auf „Einsicht“ und die Rückkehr zu einer Praxis, „die sich bewährt hat“. Auch die rheinische Landeskirche hatte gegen das aus ihrer Sicht unverhältnismäßige Vorgehen der städtischen Behörde protestiert.

Unruhiger Schlaf

Für das Paar selbst steht mit dem Umzug in die städtische Einrichtung eine neue Etappe an. Ehefrau Nahida räumt ein, dass sie morgens um sechs Uhr immer noch aufwacht und unruhig ist - das war die Uhrzeit, zu der Mitarbeiter der Behörde am 10. Juli in die Räume der Gemeinde eindrangen. Das Paar sei nach der Festnahme doch recht niedergeschlagen gewesen und habe wenig Hoffnung gehabt. „Ich habe oft gebetet, dass Gott uns aus den Schwierigkeiten herausholt“, sagt die Sunnitin.

Nun hoffen die beiden auf einen möglichst schnellen und positiven Ausgang ihres Asylantrags. Beim jüngsten Termin im Ausländeramt sei von einem Zeitraum von sechs Monaten gesprochen worden, berichtet Marion Voelkel, ehrenamtliche Flüchtlingshelferin aus Viersen, die das Paar seit Januar betreut. Das sei allerdings eine recht ambitionierte Vorgabe.

Das kurdische Paar möchte jetzt möglichst schnell im deutschen Alltag ankommen und sich integrieren. Dilshad könnte sich vorstellen, einen Job in einem metallverarbeitenden Betrieb zu übernehmen, Ehefrau Nahida würde gerne als Übersetzerin in der Flüchtlingshilfe arbeiten.

Von Michael Bosse (epd)


Strategien gegen leere Pfarrhäuser




Wer zieht künftig noch den Talar an?
epd-bild/Tim Wegner
Viele Pfarrstellen sind unbesetzt. Die evangelischen Kirchen müssen sich strecken, um theologischen Nachwuchs zu bekommen. Und sie müssen ihre Hausaufgaben machen.

Frankfurt a.M. (epd). Ein Drittel. So viele Pfarrstellen waren noch vor vier Jahren im evangelischen Kirchenkreis Peine unbesetzt. Mittlerweile liege die Vakanzquote im Kirchenkreis Peine bei unter zehn Prozent, erklärt Superintendent Volker Menke. Die hohe Zahl an unbesetzten Stellen habe man einerseits mit Probedienstlern besetzen können. „Das ist natürlich eine prekäre Situation“, sagt Menke, sein Kirchenkreis bemühe sich, diese Leute nach Ende ihrer dreijährigen Probezeit zu halten.

Andererseits sei die Vakanzquote aber auch dadurch gesunken, dass man Pfarrstellen abgebaut habe. Da die Zahl der Kirchenmitglieder ständig weniger werde, sei das Verhältnis von Pastorinnen und Pastoren zu Mitgliedern aber etwa gleich geblieben.

Auch andernorts haben evangelische Gemeinden Mühe, Pfarrstellen zu besetzen. Der Fachkräftemangel ist mittlerweile auch hier angekommen. 30 Prozent unbesetzte Pfarrstellen seien schon ein Ausreißer nach oben, ordnet Andreas Kahnt ein, Vorsitzender des Verbands evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland. Tendenziell gebe es mehr Vakanzen auf dem Land als in Städten, obwohl das je nach Landeskirche unterschiedlich sei.

Verlässliche Freizeit

Unterschiedlich sind nach Kahnts Worten auch die Belastungen, die eine Vakanz für die benachbarten Pfarrstellen mit sich bringt. Natürlich müssen die anderen Pfarreien die Aufgaben übernehmen: Gottesdienste, Seelsorge, Beerdigungen. Müsse die Vertretung beispielsweise auch zehn Stunden Schulunterricht pro Woche übernehmen, sei so eine Vakanz „schon eine Herausforderung“, sagt Kahnt.

Die katholische Kirche als Weltkirche kann Vakanzen entgegenwirken, indem sie Priester aus anderen Ländern hierzulande einsetzt. Zwar ist auch das kein Allheilmittel gegen den theologischen Fachkräftemangel, weil der in anderen Ländern genauso herrscht. Den kleinteiligen evangelischen Kirchen steht dieses Mittel nicht zur Verfügung. Andere Strategien sind gefragt.

Vor allem müssten die Kirchen das Berufsbild zeitgemäß gestalten, sagt Kahnt, mit Vertretungsregelungen und verlässlicher Freizeit. Denn heute wolle kaum noch jemand eine Arbeit haben, in der er rund um die Uhr erreichbar sein müsse.

Das Dekanat Bergstraße in Südhessen geht den Weg der Nachwuchsgewinnung und -pflege. „Entscheidend ist, ein positives Bild der Landeskirche als Arbeitgeber zu vermitteln“, erklärt Dekan Arno Kreh. Sein Dekanat unterstützt Theologiestudierende mit 50 Euro Büchergeld pro Semester und mit der Vermittlung von Praktikumsplätzen, zum Beispiel in Kirchengemeinden, Krankenhäusern oder Gefängnissen.

Und Kreh hält persönlich Kontakt: Ein Mal im Jahr lädt er seine Theologiestudierenden ein und spricht mit ihnen. „Das ist ein Signal des Dekanats, dass es sich dafür interessiert, wie es bei ihnen läuft“, erläutert er. Auch nach dem Studium hält Kreh Kontakt zum Nachwuchs. Er lade Vikarinnen und Vikare - also Pfarrpersonen in der Ausbildung - zu Gesprächen ein, sagt er.

Ländliche Struktur - alle Pfarrstellen besetzt

Das Dekanat Biedenkopf-Gladenbach liegt im ländlichen Mittelhessen, ein kleines Zipfelchen Nordrhein-Westfalen gehört auch dazu. Trotz seiner ländlichen Struktur sind hier aktuell alle Pfarrstellen besetzt. Vor zwei Jahren habe es im Dekanat noch viele Vakanzen gegeben, berichtet Dekan Andreas Friedrich. Dass das gerade anders ist, liege wahrscheinlich unter anderem daran, dass das Dekanat bei der Strukturreform schon viel von seinen Hausaufgaben erledigt habe.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau baut nämlich gerade die Struktur ihrer Gemeinden um. Einzelne Kirchengemeinden schließen sich zu Nachbarschaftsräumen zusammen, in denen mehrere Pfarrerinnen und Pfarrer zusammenarbeiten, außerdem kirchenmusikalisches und gemeindepädagogisches Personal. Ähnliche Reformprozesse laufen in anderen Landeskirchen.

Im Zuge dieser Prozesse entfallen Pfarrstellen. Aber das sei nicht allein der Grund, warum sein Dekanat derzeit gut dastehe, sagt Friedrich. Rückmeldungen, sagt er, legten nahe, dass es Pfarrerinnen und Pfarrer schätzten, wenn sie sich auf die Gemeindearbeit konzentrieren könnten. „Da haben wir einen Vorsprung vor anderen Dekanaten“, erklärt er.

Das werde nicht so bleiben, da habe er keine Illusionen, sagt der Dekan. Auf lange Sicht müsse man sich bei der Gewinnung von Nachwuchs mehr strecken. Junge Leute könnten etwa durch Praktika, Ehrenamt oder ein Freiwilliges Soziales Jahr in die Gemeindearbeit hineinschnuppern und so den Weg in ein Theologiestudium und ins Pfarramt finden, hofft er.

Von Nils Sandrisser (epd)


Weniger Theologiestudierende an deutschen Unis



Frankfurt a.M. (epd). An deutschen Universitäten studieren weniger Menschen Theologie als noch vor fünf Jahren. Die Gründe für diesen Rückgang seien sehr verschieden, sagte Gerald Kretzschmar, Studiendekan der Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im gesamten Bereich der Geisteswissenschaften gebe es einen Rückgang der Studierendenzahlen. Vergleiche man die Entwicklung der Erstsemesterzahlen mit denen der Konfirmationen, sieht man laut Kretzschmar eine Korrelation. Der Rückgang der Kirchenbindung führe auch zu einem Rückgang der Zahl von Menschen, die sich für ein Theologiestudium interessierten.

Im Wintersemester 2021/2022 waren laut dem Statistischen Bundesamt 9.764 Studierende an deutschen Universitäten eingeschrieben, die als erstes Studienfach evangelische Theologie angegeben haben. Vor fünf Jahren, im Wintersemester 2017/2018, waren es noch 12.536 Studierende. Das entspricht ein Rückgang von rund 23 Prozent.

Auch an Deutschlands größter Fakultät für evangelische Theologie in Tübingen gehen die Zahlen zurück. Im vergangenen Jahr hätten nur 19 Studierende im Pfarramtsstudiengang angefangen, sagte Kretzschmar. Im Studienjahr 2015 seien es noch knapp 60 Studierende gewesen. Dabei sei die Ausstattung in Tübingen sehr gut. Es gebe pro theologischem Fach drei Professuren. Das seien insgesamt 15 Stellen.

Studium stärker von den Kirchen entkoppeln?

Im Verhältnis zur Ablehnung gegenüber der Kirche in der Gesellschaft könne man allerdings froh sein, dass die Studierenden überhaupt noch kommen, sagt der Studiendekan. Das Theologiestudium stärker von den Kirchen zu entkoppeln, könne eine Strategie sein, um wieder mehr Studierende zu bekommen, ergänzte der Professor. Das Interesse am Thema Religion sei eigentlich hoch.

In Tübingen habe man deswegen neue Studiengänge einführt, sagt Kretzschmar. Ein Beispiel sei der Studiengang „Interfaith Studies“, in dem die breite in Tübingen vorhandene Expertise in evangelischer und katholischer Theologie, sowie in Judaistik und islamischer Theologie gebündelt würde.

Ein anderer neuer Studiengang sei „Christentum in Kultur und Gesellschaft“, sagte Kretzschmar. Dieser werde sogar als Bachelor und als Master angeboten. Die Kirchen könnten laut dem Studiendekan auch von diesen neuen Studiengängen profitieren. Dafür müssten sie diese neben der klassischen Theologie als Voraussetzung für den Pfarrdienst anerkennen. Das könne ein Mittel gegen die Nachwuchsprobleme im Pfarramt sein.



Zwei Bewerbungen für Liebig-Nachfolge




Birgit Neumann-Becker und Georg Neugebauer
epd-bild/Landeskirche Anhalts/Barbara Franke
Führungswechsel in der kleinsten deutschen Landeskirche: Der langjährige anhaltische Kirchenpräsident Joachim Liebig geht Anfang 2024 in den Ruhestand. Für seine Nachfolge sind jetzt eine Frau und ein Mann mit unterschiedlichen Profilen nominiert.

Dessau-Roßlau (epd). Um die Nachfolge des Theologen Joachim Liebig an der Spitze der Evangelischen Landeskirche Anhalts bewerben sich eine Frau und ein Mann. Vom Wahlausschuss der Landessynode seien Birgit Neumann-Becker aus Halle an der Saale und Georg Neugebauer aus Aken (Elbe) nominiert worden, teilte die kleinste der 20 deutschen Landeskirchen am 3. August in Dessau-Roßlau mit. Sie hatte Ende 2022 26.236 Mitglieder.

Kirchenpräsident Joachim Liebig geht zum 1. März 2024 in den Ruhestand. Er steht seit 2008 an der Spitze der Evangelischen Landeskirche Anhalts und wurde 2014 und 2020 jeweils im Amt bestätigt. Am 1. März 2024 wird Liebig 66 Jahre alt. Die Kirchenleitung hat auf seinen Antrag hin - dem geltenden Pfarrdienstrecht entsprechend - seinen Eintritt in den Ruhestand zu diesem Datum beschlossen.

Sondertagung der Landessynode im September

Über seine Nachfolge soll nach Angaben der Landeskirche vom Donnerstag auf einer öffentlichen Sondertagung der Landessynode, dem obersten Kirchenparlament, am 22. und 23. September im Gemeinde- und Diakoniezentrum St. Georg in Dessau-Roßlau entschieden werden.

Birgit Neumann-Becker ist seit 2013 Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (bis 2017 Beauftragte für die Stasi-Unterlagen). Sie wurde 1963 in Görlitz geboren, studierte evangelische Theologie in Halle/Saale und arbeitete seit 1990 als Pfarrerin. Unter anderem leitete sie von 2001 bis 2006 die Projektstelle „Offene Kirchen“ beim Gemeindekolleg der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Von 2009 bis 2012 war sie Kreisschulpfarrerin im Kirchenkreis Merseburg.

Georg Neugebauer wurde 1974 in Schönebeck im heutigen Salzlandkreis geboren. Auch er studierte evangelische Theologie in Halle/Saale. 2006 wurde er an der dortigen Theologischen Fakultät promoviert, 2015 folgte die Habilitation an der Universität Leipzig, wo er von 2011 bis 2019 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Seit April 2019 ist der verwitwete Vater von drei Kindern Pfarrer in Aken (Elbe).

Strukturveränderungen beschlossen

Durch den fortschreitenden Mitgliederschwund sowie den Wegfall finanzieller Ressourcen hatte die Landeskirche auf ihrer Frühjahrssynode im April weitreichende Strukturveränderungen beschlossen. Das „anhaltische Verbundsystem“ sieht nunmehr verbindlich vor, dass die Gemeinden bis 2030 in Verbünden zusammengeführt werden und die Anzahl der Pfarrämter entsprechend angepasst wird.

Der scheidende Kirchenpräsident Liebig trat im vergangenen Herbst bei der Bekanntgabe seines Ruhestandes Befürchtungen entgegen, dieser Schritt könne Auswirkungen auf die Eigenständigkeit der anhaltischen Kirche haben. Dass sein Rückzug vom Leitungsamt die Existenz einer ganzen Landeskirche infrage stellen könnte, bezeichnete er als „wenigstens seltsam“.

Der Kirchenpräsident oder die Kirchenpräsidenten hat die geistliche Leitung der Evangelischen Landeskirche Anhalts. Er oder sie vertritt die Landeskirche in der Öffentlichkeit und hat den Vorsitz im Landeskirchenrat, also dem administrativen Leitungsgremium der Landeskirche. Gewählt wird für eine Amtszeit von sechs Jahren.



EKD-Friedensbeauftragter: Hiroshima mahnt zu atomwaffenfreier Welt



Bonn, Hannover (epd). Der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Friedrich Kramer, hat zu mehr Einsatz für eine atomwaffenfreie Welt aufgerufen. Die Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki vor 78 Jahren seien eine Verpflichtung für die Menschheit, alles dafür zu tun, erklärte Kramer am 2. August in Bonn. „Diese Massenvernichtungsmittel gehören ebenso wie biologische und chemische Waffen völkerrechtlich geächtet“, sagte der mitteldeutsche Landesbischof.

Die schreckliche und nicht hinnehmbare russische Drohung mit Atomwaffen zeige, wie groß die Gefahr eines Atomkrieges wieder geworden sei, mahnt der EKD-Friedensbeauftragte. Auch die Stationierung von Nuklearwaffen in Belarus, die Modernisierung der amerikanischen Atomwaffen in Europa sowie die nukleare Aufrüstung in China seien besorgniserregend, betonte Kramer.

Die Atommächte seien dabei, ihr Atomwaffenarsenal zu modernisieren und auszubauen, kritisierte der EKD-Friedensbeauftragte. Eine solche nukleare Rüstungsspirale müsse gestoppt werden. „Die Atommächte müssen sich endlich wieder an einen Tisch setzen und Abrüstungsgespräche führen“, mahnte Kramer. Im Atomwaffensperrvertrag hätten sich die Atommächte verpflichtet, ihr Atomwaffenrüstungsarsenal abzurüsten. Doch davon sei nun keine Rede mehr, kritisierte Kramer. Er wisse, dass solche Gespräche der Atommächte derzeit angesichts der politischen Weltlage schwierig seien. Die vielen unschuldigen Opfer von Hiroshima und Nagasaki seien jedoch eine bleibende Mahnung.



Missbrauchsbeauftragte Claus rügt evangelische Kirche




Kerstin Claus
epd-bild/Hans Scherhaufer
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung sieht Defizite im Umgang mit Missbrauchsfällen in der evangelischen Kirche. Die Verfahren seien uneinheitlich und zum Teil auch nachteilig für Betroffene. Die EKD will die Verfahren angleichen.

Frankfurt a.M. (epd). Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, hat den Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche als unzureichend kritisiert. „Noch immer gibt es auch regional Regelungen, wonach Betroffene, die Anerkennungszahlungen beantragen, nicht nur die Taten plausibel machen, sondern auch das institutionelle Versagen nachweisen sollen“, sagte sie der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ (1. August). Das müsse dringend geändert werden.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verwies auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) auf die Musterordnung aus dem Jahr 2021, die das Ziel verfolge, die Anerkennungsverfahren in allen 20 evangelischen Landeskirchen vergleichbar zu gestalten. In dieser Musterordnung gebe es ausdrücklich keine Beweislast für die Betroffenen.

Claus kritisierte, dass die Landeskirchen noch immer sehr unterschiedlich vorgingen. So gebe es in der evangelischen Kirche kein übergeordnetes System für Anerkennungszahlungen, wie das bei der katholischen Kirche der Fall ist. Stattdessen unterschieden sich die Musterordnungen der Landeskirchen weiterhin, sagte Claus. Es gebe Landeskirchen, die bei den pauschalen Auszahlungsbeträgen für Betroffene in Höhe von 5.000 Euro geblieben seien.

Bis zu 50.000 Euro

Die EKD erklärte, bereits 2020 hätten Landeskirchen, die bislang pauschale Anerkennungsleistungen ausgezahlt haben, damit begonnen, auf individuelle Leistungen umzustellen. Betroffene, die in der Vergangenheit eine Pauschalleistung erhalten haben und jetzt eine höhere individuelle Leistung erhalten könnten, seien informiert worden. Die Höhe der Anerkennungsleistungen sei einheitlich in einem grundsätzlichen Rahmen zwischen 5.000 und 50.000 Euro festgelegt worden, anders als in der katholischen Kirche, wo in Einzelfällen auch Zahlungen über 50.000 Euro ausgezahlt werden.

Claus betonte, die evangelische Kirche könne „einiges von der katholischen Kirche lernen“, die nicht zuletzt wegen des öffentlichen Drucks und des Engagements von Betroffenen ein so umfassendes System der Anerkennungsleistungen entwickelt habe. Eine Sprecherin der EKD erklärte, derzeit werde weiter am Thema der Anerkennungsleistungen gearbeitet. Es sei absehbar, dass die Musterordnung nicht der letzte Schritt in diesem Prozess der Vereinheitlichung und Verbesserung sein werde.

Die EKD will im Herbst eine Studie veröffentlichen, die erstmals für den gesamten Bereich der EKD und ihrer 20 Gliedkirchen Fälle von Missbrauch untersucht hat. Sie soll Fallzahlen und begünstigende Strukturen für Missbrauch in der evangelischen Kirche zeigen.

Claus sagte, derzeit gebe es keine andere institutionelle Struktur, die in Ansätzen das erreicht habe, „was für Betroffene in der katholischen Kirche möglich wurde“. Allerdings warf sie auch der katholischen Kirche ein institutionelles Versagen bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen vor, wie es sich am Beispiel der Missbrauchsaufklärung im Erzbistum Köln gezeigt habe. Die Frage sei immer: „Will es eine Institution wirklich wissen, will sie Taten wirklich aufklären und in die Aufarbeitung gehen?“



Missbrauchsskandal überschattet Verdienste




Robert Zollitsch (2014)
epd-bild / Friedrich Stark
Mit 64 Jahren wurde Robert Zollitsch Erzbischof von Freiburg, mit 69 Jahren Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Seine Amtszeit prägte der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Jetzt wird er 85.

Freiburg (epd). Wenn der frühere Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch am 9. August seinen 85. Geburtstag feiert, werden die Würdigungen wohl nüchterner ausfallen als noch vor fünf Jahren zum 80. Geburtstag. Zu schwer wiegen die Vorwürfe, er habe bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche nicht genügend getan. Mittlerweile lebt der Theologe zurückgezogen in Mannheim, in einer Einrichtung des Betreuten Wohnens.

Zollitsch wurde am 9. August 1938 in Filipo, im heutigen Serbien, geboren. Schon als Kind war der Donauschwabe mit den Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs konfrontiert. Als Sechsjähriger musste er mit ansehen, wie sein 16-jähriger Bruder und über 200 weitere Bewohner seines Dorfes im heutigen Serbien 1944 von Tito-Partisanen hingemetzelt wurden. „Damals habe ich mich gefragt: 'Wo ist Gott?'“, sagte er einmal. Doch er habe im Laufe seines Lebens immer wieder Gottes Nähe spüren können.

Nach der Flucht kam die Familie 1946 nach Baden. Zollitsch studierte Theologie in Freiburg und München und erhielt 1965 die Priesterweihe. 1974 promovierte er. Anschließend leitete er das Freiburger Priesterseminar, das Collegium Borromaeum, und war 20 Jahre als Personalreferent tätig.

Öffentliche Entschuldigung reicht Betroffenen nicht

Mit 64 Jahren wurde Zollitsch überraschend 2003 Oberhirte des Erzbistums Freiburg. 2008 wählten die katholischen deutschen Bischöfe den damals 69-Jährigen zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Dieses Amt hatte er bis 2014 inne. In seiner Amtszeit wurden zahlreiche sexuelle Übergriffe katholischer Geistlicher bekannt. Seit 2010 werden immer mehr Fälle öffentlich, die aufgearbeitet werden müssen, auch im Erzbistum Freiburg.

Für sein Fehlverhalten im Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche hatte sich der Alterzbischof vergangenen Herbst öffentlich entschuldigt und um Verzeihung gebeten. Dieses Schuldeingeständnis kritisierten Betroffene aber als nicht ausreichend und unglaubwürdig.

Ein im April erschienener Missbrauchsbericht des Erzbistums Freiburg wirft Zollitsch eine „massive Vertuschung“ und „Ignoranz geltenden Kirchenrechts“ beim Umgang mit sexualisierter Gewalt vor. Er habe Priester und Kirche über das Wohl der betroffenen Kinder gestellt. Zollitsch äußerte sich dazu nicht, gab allerdings zahlreiche Ehrungen zurück, wie etwa das Bundesverdienstkreuz. Zudem will er auch auf eine Beisetzung im Freiburger Münster verzichten.

Außerdem gingen mehrere Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft Freiburg ein. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Theologen werde es jedoch nicht geben, teilte die Behörde Ende Juli mit. Es gebe keine Anhaltspunkte für „nicht verfolgte und noch verfolgbare Straftaten“, hieß es zur Begründung.

Impulsgeber für Ökumene

Anerkannt wird das Wirken des katholischen Geistlichen als Impulsgeber für die Ökumene, dem Zusammenleben der Konfessionen und Religionen sowie der wissenschaftlichen Theologie. Seine Weggefährten, wie der Münchner Kardinal Reinhard Marx, beschreiben Zollitschs lebensfrohe Art, seine spürbare Spiritualität und Fürsorge für andere sowie sein theologisches Denken.

Er selbst bezeichnete sich als „im guten Sinne konservativ“. 2008 überraschten seine vergleichsweise liberalen Aussagen, etwa zum Zölibat. Damals erklärte er in einem Interview, dass es bei diesem Thema keine Denkverbote geben sollte. Die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit sei „theologisch nicht notwendig“.

Für Aufregung sorgten auch die 2013 veröffentlichten Seelsorgeleitlinien seiner Freiburger Erzdiözese zur Begleitung wiederverheirateter Geschiedener. Damals erklärte Zollitsch, dass die Kirche eine Antwort darauf geben müsse, dass 30 bis 40 Prozent der Ehen scheiterten und die Partner neue Verbindungen eingingen. In seine Amtszeit fiel auch der Deutschland-Besuch von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2011.

In Erinnerung wird aber vor allem der Missbrauchsskandal bleiben, der seine Amtszeit prägte. Dies führte zu einer großen Vertrauenskrise in der katholischen Kirche und einer beispiellosen Austrittswelle, die bis heute anhalten.

Von Christine Süß-Demuth (epd)


Künstler protestiert mit Installation vor Kölner Dom gegen Missbrauch




333 kleine Schaufensterpuppen des Aktionskünstlers und Malers Dennis Josef vor dem Kölner Dom
epd-bild/Guido Schiefer
Die in weißen und purpurfarbenen Bändern eingewickelten Puppen sollen Kinder symbolisieren, die mit einem Finger auf die Kirche zeigen.

Köln (epd). Aus Protest gegen die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche hat der Aktionskünstler und Maler Dennis Josef Meseg am 2. August vor dem Kölner Dom eine Installation aus 333 kleine Schaufensterpuppen aufgestellt. Die in weißen und purpurfarbenen Bändern eingewickelten Puppen sollen Kinder symbolisieren, die mit einem Finger auf den Dom zeigen, wie der Künstler auf seiner Internetseite erklärte. Anlass für die Installation mit dem Titel „Shattered Souls ... in a Sea of Silence“ („Erschütterte Seelen ... in einem Meer der Stille“) ist der Weltjugendtag der katholischen Kirche in Lissabon.

Der aus dem rheinischen Wesseling stammende Meseg will mit der Aktion nach eigenen Angaben „den verzweifelten, stillen Ruf missbrauchter Kinder nach Gerechtigkeit für ihre geschundenen Seelen allen Menschen vor Augen führen“. Die Farbe Weiß solle die Unschuld darstellen, die Farbe Purpur die katholische Kirche. Die Puppen sind bis Sonntag tagsüber vor dem Dom zu sehen.



Maria 2.0: Abmahnung nach Segnung homosexuelle Paare "unerträglich"



Köln, Essen (epd). Die katholische Reformgruppe Maria 2.0 hat die Abmahnung eines Priesters für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare im Erzbistum Köln als „unerträglich“ kritisiert. Während Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki den Segen für einen Zaun am Dom zum Schutz gegen Hunde zulasse, verweigere er dies hingegen sich liebenden Paaren, erklärte die katholische Frauenbewegung am 1. August in Essen.

Dem katholischen Pfarrer Herbert Ullmann war nach Angaben der betroffenen Gemeinden in Mettmann und Wülfrath vom Erzbistum Köln und dem Vatikan untersagt worden, Segnungsgottesdienste für alle Paare abzuhalten, gleichgeschlechtliche Paare eingeschlossen. Im März hatte die Synodalversammlung des katholischen Reformprozesses Synodaler Weg hingegen mehrheitlich empfohlen, dass es in der katholischen Kirche in Deutschland Segensfeiern für homosexuelle Paare geben soll. Zuvor sollten allerdings Handreichungen für solche Gottesdienste erarbeitet werden. Die Bistümer in Nordrhein-Westfalen, ausgenommen Köln, sind gegen ein grundlegendes Verbot von Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare.

Maria 2.0 kritisierte, Woelki und der Vatikan „entfernen sich immer mehr von der Lehre Jesu“. Mit solchen Maßnahmen trieben sie „noch mehr Gläubige aus der katholischen Kirche heraus.“ Die Frauenbewegung erklärte, sie unterstütze die betroffenen Gemeinden und rief zu Solidaritätsbekundungen auf.



NRW-Bistümer gegen Verbote von Segensfeiern für homosexuelle Paare



Düsseldorf (epd). Mehrere Bistümer in Nordrhein-Westfalen sind gegen eine Untersagung von Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare. Der Münsteraner Bischof Felix Genn werde keine Sanktionen gegen Seelsorger aussprechen, „die sich so verhalten, wie sie es aufgrund ihres seelsorglichen Auftrags und ihres Gewissens im Dienst an den Menschen für richtig halten“, wird das Bistum Münster in der „Rheinischen Post“ (2. August) zitiert.

Im Erzbistum Köln war einem Pfarrer laut Mitteilung der betroffenen Gemeinden untersagt worden, solche Gottesdienste abzuhalten. Im März hatte die Synodalversammlung des katholischen Reformprozesses Synodaler Weg mehrheitlich empfohlen, dass es in der katholischen Kirche in Deutschland Segensfeiern für homosexuelle Paare geben soll. Zuvor sollten allerdings Handreichungen für solche Gottesdienste erarbeitet werden.

Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer erklärte, viele Seelsorger wollten die Wünsche und Sehnsüchte von Menschen zwar gerne erfüllen, die einen Segen für ihre Liebe erbitten. Damit würden sie jedoch in einen Widerspruch mit der kirchlichen Lehre treten, sagte Pfeffer der Zeitung. Die Antwort auf diesen Gewissenskonflikt „können keine Verbote und Ermahnungen sein, sondern nur das Gespräch und die Suche nach Lösungen, die den Menschen gerecht werden“, sagte Pfeffer.

Auch in Aachen wolle Bischof Helmut Dieser den Gewissensentscheidungen des jeweiligen Priesters vertrauen, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen, hieß es in dem Bericht.

Für Priester im Erzbistum Köln würden die Regeln gelten, „die der Vatikan 2021 noch einmal eindeutig erklärt hat“, sagte Generalvikar Guido Assmann der Zeitung. Im Erzbistum Köln werde die Haltung gelebt, die die offizielle Haltung der katholischen Kirche sei. „Und daran sollte sich auch jeder Priester halten“. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki solle laut Assmann jedoch auch deutlich gemacht haben, sollte der Vatikan eine andere Beurteilung annehmen, würde das Erzbistum Köln dem natürlich folgen.



Weltjugendtag in Lissabon mit Appell "Habt keine Angst!" beendet




Franziskus feierte die Abschlussmesse des Weltjugendtags in Lissabon.
epd-bild/VATICAN MEDIA/Divisione Produzione Fotografica
1,5 Millionen junge Menschen haben in Lissabon den Abschlussgottesdienst des diesjährigen Weltjugendtages mit Papst Franziskus gefeiert. Das Kirchenoberhaupt rief die Teilnehmenden wiederholt auf: "Habt keine Angst!"

Rom/Lissabon (epd). Papst Franziskus hat am 6. August vor einem in die Millionen gehenden Publikum die Abschlussmesse des 37. Weltjugendtages gefeiert. „Habt keine Angst“, war die Hauptbotschaft, die der Papst in seiner Ansprache jungen Pilgernden aus aller Welt in Lissabon mehrfach zurief. Franziskus gab dabei auch den Austragungsort des 38. Weltjugendtages bekannt: Dieser soll 2027 in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul stattfinden.

Zum Ende des sechstägigen Treffens sagte der Pontifex: „Jesus selbst schaut euch jetzt an, er, der euch kennt und in euer Inneres blickt. Er sagt euch heute an diesem Weltjugendtag in Lissabon: Habt keine Angst.“ Laut den Veranstaltern waren rund 1,5 Millionen Pilgerinnen und Pilger zum Abschluss-Gottesdienst in den Tejo-Park gekommen.

Treffen mit ukrainischen Jugendlichen und Betroffenen sexuellen Missbrauchs

Nach einer bereits am 5. August gezogenen Bilanz der Deutschen Bischofskonferenz und des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) hatten sich 600.000 Jugendliche und junge Erwachsene als Teilnehmende registriert. An einzelnen Veranstaltungen nahmen aber weitaus mehr Menschen teil, unter anderem an einer Kreuzwegandacht am 4. August 800.000 oder an einer Abendandacht am 5. August rund 1,5 Millionen Personen.

Neben den Auftritten vor großem Publikum kam der Papst unter anderem mit ukrainischen Jugendlichen und Opfern sexuellen Missbrauchs zusammen. Der 86-Jährige machte auch einen Abstecher in den portugiesischen Wallfahrtsort Fátima, wo er mit kranken Jugendlichen den Rosenkranz betete.

Der Weltjugendtag in Lissabon wurde vom 1. August an bunt und lebendig gefeiert. Dominierend waren Bilder der Ungezwungenheit. Papst Franziskus wirkte nach den Sorgen der vergangenen Wochen um seinen Gesundheitszustand ausgelassen und spontan.

Gleichwohl seien auch politische Themen präsent. „Bei allem Schönen sind die Probleme auf dem Weltjugendtag nicht ausgeklammert worden“, bilanzierte der Vorsitzende der Jugendkommission der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Wübbe, bereits am 5. August. Gerade das Thema sexualisierter Gewalt war nach Darstellung des Osnabrücker Weihbischofs in Lissabon präsent.

BDKJ-Bundespräses Stefan Ottersbach sagte, es sei „eine tiefe Enttäuschung über sexualisierte Gewalt in der Kirche und deren Vertuschung“ spürbar gewesen: Viele seien wegen fehlender Reformen frustriert, „besonders im Blick auf Machtstrukturen, die Anerkennung queerer Menschen und die Gleichberechtigung von Frauen und nonbinären Personen“. Viele junge Menschen thematisierten außerdem die Frage, ob und wie lange sie selbst noch in dieser Kirche bleiben könnten.

Kritik an sozialen Medien

Der Papst selbst lenkte wiederholt die Aufmerksamkeit auf den Krieg in der Ukraine. In seiner ersten Rede in Lissabon hatte Franziskus am 2. August „das Fehlen eines mutigen Friedenskurses“ in der Europäischen Union beklagt. In der Abschlussmesse nannte er die Teilnehmenden „ein Zeichen des Friedens für die Welt“.

Auch warnte der Papst vor den Auswirkungen der sozialen Medien. „Wir werden nicht strahlend, wenn wir uns ins Rampenlicht stellen, wenn wir ein perfektes Bild abgeben und uns stark und erfolgreich fühlen“, sagte er am 6. August. „Wir leuchten, wenn wir Jesus annehmen und lernen, so zu lieben wie er.“

Franziskus war am 2. August in die portugiesische Hauptstadt gekommen, um dort mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen den 37. Weltjugendtag zu begehen. Der Besuch in Lissabon war seine 42. Auslandsreise und die erste seit einer Darm-Operation im Juni dieses Jahres.

Das Treffen in Lissabon stand unter dem Leitwort „Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg“. Bisherige Weltjugendtage fanden unter anderem in Panama (2019), Krakau (2016), Rio de Janeiro (2013), Madrid (2011), Sydney (2008) und Köln (2005) statt. Der Weltjugendtag in Lissabon war ursprünglich für das Jahr 2022 geplant gewesen, wurde aber wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben.



Ermittlungen nach Kirchenbrand noch am Anfang




Die Stadtkirche im ostsächsischen Großröhrsdorf brannte komplett aus.
epd-bild/Daniel Schäfer
Die Kirche im sächsischen Großröhrsdorf bietet ein Bild der Verwüstung. Bis auf die steinernen Mauern ist alles zerstört. Der Glockenturm droht einzustürzen. Die Brandursache ist noch nicht geklärt.

Großröhrsdorf (epd). Die weitgehend ausgebrannte Kirche im ostsächsischen Großröhrsdorf (Kreis Bautzen) war auch am 6. August noch gesperrt. Es gebe weiterhin keine Freigabe durch die Statiker und die Feuerwehr, sagte der Sprecher der Polizeidirektion Görlitz, Maximilian Funke, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es bestehe die Gefahr, dass unter anderem der Glockenturm einstürzt. Hinweise auf die Brandursache gebe es noch nicht.

Mit der Spurensuche könne erst richtig begonnen werden, wenn das zerstörte Gebäude von Statikern und Feuerwehr freigegeben werde, sagte Funke. Die Polizei sichert nach Darstellung ihres Sprechers den Brandort ab. Außerdem sei die angrenzende Straße gesperrt. Menschen sind nach bisherigen Erkenntnissen nicht verletzt worden.

In der Nacht zu 5. August musste die Feuerwehr zum Nachlöschen einzelner Brandnester in der Kirche erneut ausrücken. Inzwischen habe es aber ausgiebig geregnet, sagte Funke.

Bilz: Erschütternder Anblick

In der fast 300 Jahre alten barocken Stadtkirche, einem der bekanntesten Sakralgebäude der Oberlausitz, war in der Nacht zum 4. August ein Feuer ausgebrochen. Die Flammen hatten zunächst den Dachstuhl erfasst, danach auch den fast 50 Meter hohen Glockenturm. Augenzeugen hatten berichtet, dass es zuvor einen lauten Knall gegeben habe.

Bei dem Brand wurde unter anderem die Innenausstattung der 1736 eingeweihten Kirche völlig zerstört. Zu den zahlreichen Kunstschätzen des bekannten Sakralbaus zählte eine geschnitzte Madonna aus dem 15. Jahrhundert. Der Sachschaden konnte zunächst nicht beziffert werden.

Der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Tobias Bilz, besuchte noch am 4. August den Brandort und zeigte sich zutiefst betroffen: „Der Anblick der zerstörten Kirche ist erschütternd“, sagte er. Die Kirche war von 2012 bis 2018 umfassend restauriert worden.

Die Kirchgemeinde lud für am Abend des 6. August zu einer „Abendmusik“ mit Posaunenchören aus der Umgebung auf die Pfarrwiese ein, wie es auf der Internetseite der Kirchgemeinde hieß. Kirchliche Veranstaltungen sollen vorerst im Gemeindehaus stattfinden. Die Kirchgemeinde, zu der rund 1.400 Mitglieder gehören, hat ein Spendenkonto eingerichtet.



Nürnberger Pfarrer: Kulturkirche als Ort der Freiheit in Gefahr



Berlin, Nürnberg (epd). Nach der Schließung der umstrittenen queeren Ausstellung in Nürnberg sieht Pfarrer Thomas Zeitler die Kulturkirche St. Egidien als „Ort der Freiheit“ in Gefahr. Der Berliner „taz“ (2. August) sagte Zeitler, als offen schwuler Pfarrer versuche er, Räume für queere Menschen zu gestalten. Ihn treffe daher die Absage der Ausstellung in der Kirche doppelt: „Als Anwalt einer noch immer diskriminierten Minderheit und als Schwuler“.

Er sei aber froh über die vier Tage der Diskussion über die Ausstellung: „Die Anstöße sind jetzt in der Welt und die Kirche muss sich mit ihnen beschäftigen.“ Die Bilder brächten wichtige Themen auf die Tagesordnung, denen sich die Kirche „nie sauber gestellt hat“, sagte Zeitler. „Die Homosexualitätsfrage wurde theologisch in den 1990er Jahren eingefroren.“

Der Pfarrer räumte ein, dass die Kirchengemeinde vielleicht zu naiv gewesen sei. Man könne ihr jetzt vorwerfen, dass man sich vom Künstler habe vorführen lassen: „Er hat eine Bombe in die Kirche gelegt“, sagte Zeitler. Er wolle aber „nicht mit einer vorauseilenden Zensur-Schere im Kopf durch die Welt gehen müssen“.

„Bittere Symbolik“

Dass die Ausstellung in die Kreis-Galerie in der Straße der Menschenrechte umziehe, hat für Zeitler „eine bittere Symbolik“. Denn die Gemeinde habe die Freiheitsrechte in einer Kirche nicht gewährleisten können.

Die Ausstellung war am 21. Juli als Programmbestandteil der „Pride Weeks“ des Christopher Street Days (CSD) Nürnberg in der Egidienkirche eröffnet worden. Nach massiver Kritik und Anfeindungen beschloss der Kirchenvorstand am 27. Juli einstimmig, die Ausstellung nicht weiter zu zeigen. Stattdessen sind sie nun in der Kreis-Galerie zu sehen.

Die Bilder setzen sich mit Religion, Sexualität, Liebe und Tod auseinander und zeigen provokante, teils explizite homoerotische und sexuelle Handlungen. Einige der Bilder befanden sich hinter einem Vorhang mit dem Hinweis, dass sie nur für Erwachsene geeignet sind.



Neuer Polizeiseelsorger in Düsseldorf



Düsseldorf (epd). Pfarrer Uwe Hackbarth-Schloer ist neuer evangelischer Polizeiseelsorger in Düsseldorf. Der 58-jährige Theologe war bisher Berufsschulpfarrer des Kirchenkreises Düsseldorf-Mettmann am Adam-Josef-Cüppers-Berufskolleg in Ratingen, wie die rheinische Kirche in Düsseldorf mitteilte. Zum 1. August habe er seine neue Stelle in Düsseldorf als Nachfolger von Volker Hülsdonk angetreten, der seit Mai dieses Jahres leitender Landespfarrer für Polizeiseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland ist.

Hackbarth-Schloer wurde den Angaben zufolge 1964 im damaligen West-Berlin geboren, und studierte in Bonn und Zürich. Vikariat und Hilfsdienst leistete er in der Friedenskirchengemeinde im Kirchenkreis Bonn. Der evangelische Pfarrer ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Als Polizeiseelsorger ist er für die Beamtinnen und Beamten der Polizeibehörden in Düsseldorf, Mönchengladbach, Wuppertal sowie in den Kreisen Mettmann, Neuss und Viersen zuständig.



Wacken Open Air: Rund 240 Metalheads bei Nordkirchen-Seelsorge



Wacken (epd). Rund 240 Teilnehmer des diesjährigen Wacken Open Air (WOA) in Schleswig-Holstein haben die Festival-Seelsorge der evangelischen Nordkirche in Anspruch genommen. „Wir hatten berührende Gespräche, in denen Themen aus der Lebenswelt der Menschen deutlich wurden: Ängste, traumatische Erinnerungen, Trauer, Panikattacken oder Konflikte“, sagte Teamleiterin Annika Woydack, Landesjugendpastorin der Nordkirche, wie es in einer am 6. August verbreiteten Mitteilung der Nordkirche heißt.

„Nach den Strapazen der Anreise waren an den ersten Tagen einige Leute schon dünnhäutig. Da haben wir uns Ärger angehört und versucht, zu trösten und zu beruhigen“, so Woydack laut Mitteilung. Es sei beeindruckend, wie sich die Menschen vor Ort und im Umkreis bemüht hätten, wegen des Anreisestopps und der Regenmassen zu helfen und zu trösten.

WOA-Veranstalter und -Mitgründer Thomas Jensen habe sich bei dem ehrenamtlichen Seelsorge-Team bedankt, das seit 2010 fester Bestandteil des WOA ist, hieß es weiter. Auch 2024 werde die Festival-Seelsorge der Nordkirche vom 31. Juli bis 3. August in Wacken dabei sein. Auf dem diesjährigen Wacken Open Air (2. bis 6. August) hatten laut Veranstalter 61.000 Fans die größte Heavy-Metal-Party des Jahres im Norden Deutschlands gefeiert und damit extremen Regenfällen getrotzt.

Die Festival-Seelsorge wird organisiert von der Jungen Nordkirche. Zum Team gehören 20 ausgebildete Personen, darunter Psychologinnen, Pädagoginnen, Pastoren und Pastorinnen sowie Diakone und Diakoninnen. Seit 2010 sind sie auf dem Wacken Open Air und bieten Zeit und Raum zum Reden, Hilfe und Beratung an. Kirchenzugehörigkeit oder Konfession spielen dabei keine Rolle.



Bischof bedauert Irritationen über seine Kritik an Tempolimit




Ernst-Wilhelm Gohl
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Stuttgart (epd). Der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl, bedauert die Irritationen, die er in seinem ersten Amtsjahr durch Aussagen zu einem Tempolimit auf Autobahnen ausgelöst hat. Heute würde er den Satz, dass er nicht freiwillig maximal 100 Stundenkilometer auf der Autobahn fahre, ergänzen, sagte er in einem am 2. August auf Youtube veröffentlichten Video. „Natürlich halte ich mich an die Richtgeschwindigkeit - das mache ich schon immer“, sagte er. Außerdem nutze er öffentliche Verkehrsmittel, soweit das möglich sei.

Gohl hatte vor Weihnachten in einem Zeitungsinterview den Beschluss der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für ein freiwilliges Tempolimit als Beitrag zum Klimaschutz kritisiert. „Solche Vorschriften sind nicht die Aufgabe der Kirche“, sagte er damals. Die Kirche dürfe nicht in erster Linie als Moralinstitution wahrgenommen werden, die bevormundet.

Der Bischof war nach eigenen Worten überrascht, dass er aufgrund des Interviews als „Raser-Bischof“ tituliert worden sei. Es sei gleich unterstellt worden, dass man 200 Stundenkilometer fahre, wenn man sage, dass man sich an Tempo 100 nicht halten wolle. „Das wundert mich dann auch innerhalb der Kirche, wo wir doch immer bitten, dass man differenziert schaut“, sagte Gohl.



Bewohner von Rhodos hoffen auf neue Touristen



Frankfurt a.M. (epd). Nach der Brandkatastrophe auf der griechischen Insel Rhodos hat die 2. Vorsitzende der dortigen deutschen Gemeinde, Maria Volanakis, die große Hilfsbereitschaft der Bewohner gelobt. Es sei unglaublich, was die Bevölkerung von Rhodos angesichts der plötzlichen Notsituation durch den Waldbrand geleistet habe, sagte die Ärztin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zugleich sagte sie, sie hoffe, dass die Touristen wieder auf die Insel zurückkehrten. Denn weite Teile der Insel seien nicht von dem Brand betroffen, und die Bewohner lebten zu großen Teilen von den Einnahmen aus dem Tourismus.

Volanakis betonte, viele hätten schon in der Corona-Pandemie kaum Einnahmen gehabt und die Zeit des eingeschränkten Reiseverkehrs dazu genutzt, Ferienhäuser und Hotelanlagen zu renovieren. „Viele waren jetzt darauf eingestellt, diesen Sommer richtig gut zu arbeiten“, sagte Volanakis. Für diejenigen, die direkt in dem Brandgebiet ansässig sind, seien die Aussichten nicht gut. „Wir hoffen, dass sich nicht alle Urlauber von dem Feuer abschrecken lassen, sondern dass Touristen kommen, damit es eine Perspektive gibt für die Menschen auf der Insel“, sagte sie. Viele Mitglieder der deutschsprachigen Gemeinde Rhodos arbeiteten im Tourismus, fügte sie hinzu.

Gemeindesaal für Touristen zur Verfügung gestellt

Die Branche sei auf die Sommersaison angewiesen, denn in den Monaten zwischen Mai und November müssten Einnahmen für das gesamte Jahr erarbeitet werden. Nach Volanakis Einschätzung haben die Touristen, die wegen der Brände evakuiert werden mussten, mittlerweile überwiegend die Insel verlassen oder seien, sofern möglich, in ihre Quartiere zurückgekehrt.

Die Gemeinde in Stadt Rhodos habe vorübergehend auch ihren klimatisierten Gemeindesaal für die evakuierten Touristen zur Verfügung gestellt. Dort seien einige dutzend deutsche Touristen, darunter Familien mit Kindern, unmittelbar nach der Evakuierung versorgt worden. Gemeindemitglieder hätten die Urlauber teilweise privat, teilweise in leer stehenden Ferienwohnungen untergebracht.

Volanakis lebt seit mehr als 40 Jahren auf Rhodos, die gebürtige Deutsche ist mit einem Griechen verheiratet. Sie ist Ärztin im Ruhestand. Seit 30 Jahren gehört sie zum Gemeindevorstand der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Rhodos.

epd-Gespräch: Franziska Hein



Gesellschaft

Innenministerin Faeser verteidigt Plan zu Abschiebungen




Abschiebegefängnis (Archivbild)
epd-bild / Reiner Frey
Der Vorstoß der SPD-Politikerin traf auf ein geteiltes Echo. Faeser rief Bundesländer und Kommunen zur konstruktiven Mitarbeit an der Gesetzesnovelle auf.

Berlin/Düsseldorf (epd). Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigt ihr Vorhaben, die Regeln für die Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer zu verschärfen, gegen vielstimmige Kritik. Der „Bild am Sonntag“ sagte sie, mit dem von ihr vorgelegten „Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung können wir besser steuern und insgesamt auch die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern besser durchsetzen“.

Die Verantwortlichen in Bundesländern und Kommunen rief die SPD-Politikerin zur Mitarbeit an der Gesetzesnovelle auf. Sie sollten diskutieren, „was sinnvoll, nützlich und vor allem auch realistisch machbar“ sei.

Faesers Ministerium hatte am 2. August einen Diskussionsentwurf veröffentlicht, der mehr Befugnisse für Behörden und Polizei bei der Durchsetzung von Rückführungen vorsieht. Demnach soll die Höchstdauer des sogenannten Ausreisegewahrsams, mit dem ein ausreisepflichtiger Ausländer festgesetzt werden kann, von zehn auf 28 Tage verlängert, die Gründe für eine Abschiebehaft ausgeweitet und Asylbewerber unter Androhung von Strafen zur Mitwirkung am Asylverfahren gebracht werden.

Kritik auch aus der eigenen Partei

Die Vorschläge der Bundesinnenministerin hatten geteilte Reaktionen ausgelöst. Kommunale Spitzenverbände und die Unionsparteien begrüßten grundsätzlich die Stoßrichtung der Pläne. Ihnen geht das vorgelegte Papier aber nicht weit genug. Organisationen wie Pro Asyl geht das Vorhaben dagegen zu weit.

Auch aus den eigenen Reihen erntete die Innenministerin Kritik. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft „Migration und Vielfalt“ in der SPD, Aziz Bozkurt, sprach von Symbolpolitik, „die niemandem hilft und kein Problem löst“. Einen auf 28 Tage verlängerten Ausreisegewahrsam und mehr Polizeibefugnisse nannte Bozkurt „aus sozialdemokratischer Sicht mehr als schwierig“. Faeser ist SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl am 8. Oktober in Hessen. Zudem äußerten sich mehrere Grünen-Politikerinnen kritisch zu Faesers Vorschlägen.

NRW-Integrationsministerin dringt auf Gesamtkonzept für Migration

Die nordrhein-westfälische Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) hat der Debatte um eine Verschärfung des Abschieberechts die Forderung nach einem Gesamtkonzept für die Migrationspolitik erneuert. In der Diskussion über die Pläne von Ministerin Faeser sollte eine solche grundlegende Strategie nicht vergessen werden, sagte Paul dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Düsseldorf.

Paul betonte, sie halte ein Gesamtkonzept gerade mit Blick auf die Herausforderungen der Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten und der notwendigen Migration in Zeiten eines Fach- und Arbeitskräftemangels für wichtig. Grundsätze dafür sollten „Solidarität, Humanität, Rechtsstaatlichkeit und Ordnung“ sein.

Nach Ansicht der NRW-Ministerin ist es dabei entscheidend, Wege legaler Migration zu stärken. Ein Instrument, legale Einreisewege zu schaffen und gleichzeitig die Rücknahmebereitschaft in Herkunftsländern von Menschen ohne Bleibeperspektive in Deutschland zu erhöhen, seien Migrationsabkommen. „Die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag die Stärkung dieses Instrumentes vereinbart - hier muss die Bundesregierung nun auch liefern“, forderte Paul.



"Wir müssen vorsichtig sein, dass es nicht wieder losgeht"




Gedenkstein am Zentralen Mahnmal für ermordete Sinti und Roma in Berlin
epd-bild/Rolf Zöllner
Die Sorge vor einem Wiedererstarken rassistischer Ideologien prägte die Reden beim Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Kritisiert wurde auch eine andauernde Ausgrenzung der Minderheit.

Oswiecim (epd). Sinti und Roma aus ganz Europa haben am 2. August in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau an die in der Zeit des Nationalsozialismus rund 500.000 ermordeten Frauen, Männer und Kinder der Minderheit erinnert. Dabei wurde an die andauernde Diskriminierung und Ausgrenzung von Sinti und Roma in vielen europäischen Ländern und vor einem Comeback rassistischer und nationalistischer Ideologien gewarnt.

In vielen osteuropäischen Ländern lebten Roma immer noch unter Apartheid-ähnlichen Bedingungen, sagte der Vorsitzende des Zentralrates der Sinti und Roma in Deutschland, Romani Rose. Antiziganismus nehme den Menschen ihre Würde. Es müsse der Anspruch der EU sein, Antiziganismus genauso zu ächten wie Antisemitismus.

Rose appellierte an die Innenminister der Bundesländer, endlich die Unrechtsgeschichte der Polizei im NS-Staat und nach 1945 aufarbeiten zu lassen: „Und beenden Sie damit endlich die rassistische und antiziganistische Sondererfassung und Kriminalisierung von Sinti und Roma auf dieser Grundlage.“

Demütigungen nach dem Krieg

Der Vorsitzende der Vereinigung der Roma in Polen, Roman Kwiatkowski, betonte, es sei kein Widerspruch, Sinti und Roma und zugleich Bürger eines Landes zu sein. Jede Manifestation von Diskriminierung und Ausgrenzung sei für Sinti und Roma heute nach den Erfahrungen in der NS-Zeit ein Weckruf. Echte Teilhabe gebe es nur, wenn die Rom-Gemeinschaften in Entscheidungen miteinbezogen würden, die sie betreffen.

Die Holocaust-Überlebende Gerda Pohl berichtete in ihrer Rede von den Demütigungen nach dem Krieg, die sie wie die NS-Zeit dauerhaft geprägt hätten. „Wir waren fleißig, aber wurden von Mitschülern und Lehrern als Sinti drangsaliert“, erzählte Pohl. Vieles sei in den vergangenen Jahren besser geworden. Aber die Wahlerfolge rechter Parteien in vielen europäischen Ländern machten ihr Angst. „Wir müssen vorsichtig sein, dass es nicht wieder losgeht“, warnte sie.

Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Nicola Beer (FDP), betonte, auch das EU-Parlament müsse seine Bemühungen im Kampf gegen Diskriminierung verstärken: „Es muss jedem klar sein: Sinti und Roma sind europäische Bürger mit den gleichen Rechten, Freiheiten und Perspektiven.“ Antiziganismus stehe im klaren Widerspruch zu den europäischen Grundwerten und dem Verständnis von Gleichheit für alle Menschen.

An dem Gedenken nahmen auch der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus, Mehmet Daimagüler, und die Thüringer Migrationsministerin und Antiziganismusbeauftragte, Doreen Denstädt (Grüne), teil. Daimagüler hatte zuvor die anhaltende Diskriminierung vom Roma und Sinti in Deutschland kritisiert. „Wir können nicht die Opfer achten und ihre Kinder, Enkel und Urenkel verachten“, erklärte er.

Am 2. August 1944 hatte die SS mit der Liquidation des sogenannten Zigeunerfamilienlagers im KZ Auschwitz-Birkenau begonnen. Etwa 4.300 dort verbliebene Sinti und Roma wurden in den Gaskammern ermordet. Das Europäische Parlament erklärte im Jahr 2015 den 2. August zum europäischen Gedenktag.



Ministerin Paul: Diskriminierung von Sinti und Roma nicht dulden



Dortmund (epd). Die nordrhein-westfälische Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) hat dazu aufgerufen, stärker gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma anzugehen. „Nicht zuletzt bemisst sich der Zustand einer demokratischen Gesellschaft an ihrem Umgang mit Minderheiten“, sagte die Ministerin am 2. August in Dortmund laut Redetext bei einer Veranstaltung zum Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma. Im Nationalsozialismus habe der Hass und der Mord an Minderheiten „jede Menschlichkeit verschlungen“ und zum „Zivilisationsbruch“ geführt.

Die Ermordung und Verfolgung von Sinti und Roma in der NS-Zeit sei zu oft ignoriert oder gar geleugnet worden, erklärte Paul. „Das hat das Leiden, die Stigmatisierung und die Entrechtung von Sinti und Roma auch über den Nationalsozialismus hinaus verlängert.“ Es sei wichtig, die Erinnerung an dieses Unrecht wachzuhalten, Lücken in der Aufarbeitung zu schließen und den Schmerz der Sinti und Roma anzuerkennen.

Daraus ergebe sich auch eine Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft, betonte die Integrationsministerin. „Hass ist ein schleichendes Gift, das versucht, den Zusammenhalt einer Gesellschaft langsam zu zersetzen.“ Deshalb sei es wichtig, sich jeden Tag gegen rassistisches Gedankengut sowie gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu stellen. Noch immer erlebten zu viele Menschen Ausgrenzung und Diskriminierung.

Neue Landesmeldestelle Antiziganismus im Aufbau

Paul verwies zudem auf die Meldestelle Antiziganismus, die das Land zurzeit aufbaut. Damit solle Diskriminierung sichtbar gemacht und die Ergebnisse für neue politische Strategien genutzt werden. „Wir wollen aber vor allem auch Betroffenen eine erste Anlaufstelle zur Verfügung stellen, bei der sie sich Gehör verschaffen und das Erlebte mitteilen können“, sagte die Ministerin.

Das NS-Regime begann 1940 mit der systematischen Deportation von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich. Nach Angaben des Deutschen Historischen Museums fielen geschätzt bis zu einer halben Million Sinti und Roma den Nationalsozialisten und ihrem Völkermord zum Opfer, 25.000 von ihnen aus Deutschland und Österreich.



Ravensbrück-Gedenktafel für deportierte Sinti und Roma



Fürstenberg an der Havel, Koblenz (epd). In der Gedenkstätte Ravensbrück ist am 2. August eine Tafel zur Erinnerung an die 1944 in das KZ deportierten Sinti und Roma aus Koblenz enthüllt worden. Das von der Stadt Koblenz gestiftete Erinnerungszeichen geht nach Angaben der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten auf die Initiative eines Vereins zurück, der von dem Koblenzer Swing-Musiker Django Heinrich Reinhardt gegründet wurde.

Reinhardt setze sich seit vielen Jahren für die Erinnerung an die NS-Verfolgung der Sinti und Roma ein, teilte die Gedenkstätte mit. Sein Vater Alfons Daweli Reinhardt (1932-2016) wurde mit zehn Jahren gemeinsam mit mehr als 100 Sinti aus Koblenz in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz verschleppt. 1944 wurde die Familie von dort in das KZ Ravensbrück bei Fürstenberg an der Havel deportiert.

„Leid der Minderheit hörte nicht mit dem Ende der NS-Herrschaft auf“

Gedenkstättenleiterin Andrea Genest betonte vorab, die Erinnerung an den Völkermord an den Sinti und Roma sei besonders wichtig, weil das Leid vieler Angehöriger der Minderheit nicht mit dem Ende der NS-Herrschaft aufgehört habe. Das Gedenken an die Opfer müsse deshalb auch mit dem Einsatz gegen andauernde Diskriminierung verbunden sein.

Der Europäische Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma erinnert jährlich am 2. August an die Opfer des sogenannten Porajmos, des Völkermordes an den europäischen Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Gesamtzahl der Opfer wird europaweit auf bis zu 500.000 Menschen geschätzt. Bereits zuvor waren Sinti und Roma in Europa seit Jahrhunderten Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt.



Weimar und Wittenberg ringen um Deutsch-Israelisches Jugendwerk



Thüringen wirbt für Weimar als Sitz eines Deutsch-Israelischen Jugendwerks. Doch die Lutherstadt Wittenberg gilt vielen als Favorit. Widerstand gegen die Stadt in Sachsen-Anhalt kommt von jüdischer Seite.

Erfurt/Wittenberg (epd). Die lange geplante Versöhnungsarbeit beginnt im Streit um Standortfragen. Im September vergangenen Jahres haben sich Bundesjugendministerin Lisa Paus (Grüne) und die israelische Bildungsministerin Yifat Shasha-Biton auf die Gründung eines Deutsch-Israelischen Jugendwerks geeinigt. Ziel sei es, den Austausch zwischen deutschen und israelischen Schülern auch mit Blick auf die gemeinsame Geschichte voranzutreiben.

Die Einzelheiten der Umsetzung werde eine gemeinsame Arbeitsgruppe erarbeiten, hieß es im September. Angedacht sei aber, auf das bereits bestehende Koordinierungszentrum ConAct für den Jugendaustausch in Deutschland und Israel zurückzugreifen. Das hat seit seiner Gründung im Jahr 2001 seinen Sitz in der Lutherstadt Wittenberg und arbeitet derzeit in Trägerschaft der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. Auf eine Festlegung auf den Standort Wittenberg ist allerdings verzichtet worden.

„Ein großer Antisemit“

Weswegen Thüringen bereits seinen Anspruch angemeldet hat. Der Freistaat sähe das Jugendwerk gern in Weimar. Anlässlich des Besuchs des israelischen Botschafters Ron Prosor im März in Thüringen warf Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) den Bewerbungs-Hut ganz offiziell in den Ring. Der Freistaat verfüge über eine 900-jährige Geschichte des Judentums und eine lebendige jüdische Gemeinde, so die Begründung. Auch ein Konzept für einen Neubau gemeinsam mit dem Thüringer Jugendherbergswerk existiere bereits. Prosor versprach, die Bewerbung Weimars nach Jerusalem zu übermitteln.

Unterstützung bekommt die Staatskanzlei von der Jüdischen Landesgemeinde in Thüringen. Deren Vorsitzender, Reinhard Schramm, hält Wittenberg schlicht für den falschen Ort für das Jugendwerk. Der Grund sei Martin Luther (1483-1546), sagt Schramm: „Der Reformator war ohne Zweifel eine bedeutende Persönlichkeit. Aber er war zugleich ein großer Antisemit.“ Und Luther sei allgegenwärtig in der Stadt, die bekanntlich auch seinen Namen trage. In seiner Ablehnung der Stadt als Sitz des Jugendwerks sei er sich mit anderen Juden in Deutschland einig, sagt Schramm.

Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hält dagegen an Wittenberg fest. „Bei den aktuellen Standortfragen wären neben der guten Verkehrsanbindung, der zentralen Lage und der Offenheit der Stadtgesellschaft sicherlich auch die Geschichte der Stadt und ihre Bedeutung für das Leid jüdischer Menschen zu beachten“, erklärte die Landeskirche auf Anfrage. Mit der Standortentscheidung könnten durchaus auch Ausrufezeichen gegen historische oder aktuelle Formen des deutschen Antisemitismus gesetzt werden.

Bundesjugendministerium entscheidet

Die wirtschaftliche Bedeutung der bisherigen Koordinierungsstelle für Wittenberg ist dabei überschaubar. ConAct beschäftigt 18 Mitarbeitende. Der größte Teil der 2021 hauptsächlich aus dem Bundeshaushalt bereit gestellten Mittel in Höhe von rund 5,4 Millionen Euro wird für Zuschüsse für Jugendbegegnungen oder Informations- und Vernetzungstreffen eingesetzt. Wichtiger scheint die ideelle Bedeutung.

Die Entscheidung liegt beim Bundesjugendministerium als Träger der künftigen Einrichtung. Thüringens Kulturstaatssekretärin Tina Beer (Linke) habe auf ihrer Israel-Reise vor wenigen Wochen noch einmal für Weimar geworben, sagt eine Sprecherin der Staatskanzlei in Erfurt. Als früherer Ort schlimmster Verbrechen gegen die Menschlichkeit gerate die Stadt ganz selbstverständlich in den Blick für eine Organisation, die sich aktiv für die Völkerverständigung einsetze.

Umgekehrt plädiert Sachsen-Anhalts Landesregierung für den Verbleib in Wittenberg: „ConAct arbeitet fachlich hoch anerkannt und erfolgreich von Wittenberg aus“, sagt der Magdeburger Regierungssprecher Matthias Schuppe. Die Weiterentwicklung von ConAct biete die Möglichkeit, auf gewachsenen Beziehungen des Jugendaustauschs aufzubauen.

Von Matthias Thüsing (epd)


50 Jahre Partnerschaft zwischen Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer



Siegen (epd). NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat die seit 50 Jahren bestehende Partnerschaft zwischen den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer in Israel als Beitrag zur deutsch-israelischen Freundschaft und Versöhnung gewürdigt. Die deutsch-israelischen Beziehungen seien einzigartig, sagte Wüst am 4. August laut Redetext bei einer Feierstunde zum Jubiläum in Siegen. „Sie sind eng. Sie sind freundschaftlich. Sie sind zugleich alles andere als selbstverständlich.“

Dass nach dem Menschheitsverbrechen der Shoah und der fast vollständigen Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland eine solche Freundschaft entstanden sei, zeige, dass Aussöhnung möglich sei. Diese brauche Zeit und gelinge durch viele kleine Schritte, sagte der CDU-Politiker. „Schritte, wie sie zwischen Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer gegangen wurden.“

Die 1973 offiziell geschlossene Partnerschaft zwischen Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer war nach Angaben der NRW-Staatskanzlei damals die erste Partnerschaft zwischen zwei Kreisen in Deutschland und Israel nach dem Zweiten Weltkrieg. Einen ersten Jugendaustausch gab es nach Angaben der Kreisverwaltung Siegen-Wittgenstein bereits 1966. Seitdem finden jährlich Jugend- und Erwachsenen-Begegnungen statt, die durch die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland und den Kreisjugendring organisiert werden.



Islam-Experte: Koran-Verbrennungen sind Volksverhetzung




Koran-Ausgaben
epd-bild/Jürgen Blume

Osnabrück (epd). Der islamische Theologe Bülent Ucar hat sich für eine strafrechtliche Verfolgung von Koran-Verbrennungen ausgesprochen. „Natürlich gehört es zur Meinungsfreiheit, Religionen zu kritisieren und auch scharf zu attackieren. Eine Grenze ist aber dann überschritten, wenn eine ganze Menschengruppe herabgewürdigt, erniedrigt und diffamiert wird“, sagte der Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Genau darauf zielten die Aktionen in Schweden und Dänemark ab: „Das ist für mich Volksverhetzung und sollte strafrechtlich geahndet werden.“ Menschen, die eine jüdische Thora verbrennen würden, werde zu Recht eine antisemitische Gesinnung attestiert, sagte Ucar: „So ist es auch hier: Man verbrennt den Koran und meint die muslimische Minderheit.“ In Schweden und Dänemark hatte es mehrfach Demonstrationen gegeben, bei denen der Koran angezündet oder die heilige Schrift der Muslime mit Füßen getreten worden war.

Wer sich inhaltlich mit dem Islam auseinandersetzen wolle, könne das publizistisch auch in scharfer und zugespitzter Form jederzeit tun, betonte der Theologe. Solche Bücher und Artikel seien in den vergangenen Jahren immer wieder erschienen. „Aber medial aufgeführte, theatralische Szenen haben weniger die Meinungsfreiheit als vielmehr eine Herabwürdigung der muslimischen Existenz zum Ziel.“

„Gesellschaftliche Komponente“

Ucar unterstrich, er würde ebenso argumentieren, wenn in islamischen Ländern Bibeln verbrannt würden. „Solche Aktionen gehen über die reine Geschmacklosigkeit hinaus. Sie haben eine gesellschaftliche Komponente, die man im Blick behalten muss.“

Zugleich appellierte er an Muslime, sich nicht provozieren zu lassen, und nicht zu Gewalt zu greifen, wie es etwa im Irak passiert sei. Genau das wollten die Demonstranten erreichen: „Man will zeigen, dass Muslime potenziell gewaltbereite Menschen sind und mit Kritik nicht umgehen können.“ Muslime sollten besonnen bleiben und solchen Verbrennungsaktionen keine Beachtung schenken. Im Irak hatten Protestierende schwedische und dänische Einrichtungen angegriffen.

Ucar warnte davor, dass solche Koran-Verbrennungen auch in Deutschland Nachahmer finden und Menschen mit Gewalt darauf reagieren könnten. „Wir haben in Deutschland Potenzial für beides.“ Umso wichtiger sei es, immer wieder zu Besonnenheit, zu demokratischem Diskurs und respektvollem Umgang miteinander aufzurufen.

epd-Gespräch: Martina Schwager


Ehemaliges Kloster in Arnsberg wird keine Flüchtlingsunterkunft




Gepäck von Flüchtlingen in einer Landesaufnahmestelle in Höxter (Archivbild)
epd-bild/Andreas Fischer
Das Scheitern der Pläne für eine Flüchtlingsunterkunft des Landes in Arnsberg stößt auf Bedauern in der Politik. Die Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten bleibe eine "Daueraufgabe", hieß es. Derzeit werden weitere mögliche Standorte geprüft.

Arnsberg (epd). Die zuständige Bezirksregierung bedauert die Absage für eine mögliche Flüchtlingsunterkunft im Arnsberger Stadtteil Oeventrop. Dass der Investor am 31. Juli entschieden habe, sich zurückzuziehen, sei „sehr bedauerlich“, sagte ein Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg am 1. August auf Anfrage des Evangelischer Pressedienstes (epd). Die Suche sei eine „Daueraufgabe“ und werde fortgesetzt.

Bei einer Informationsveranstaltung am 31. Juli hatte sich der Besitzer einer geeigneten Immobilie auf Drängen der Bevölkerung und starkem öffentlichem Druck entschieden, das ehemalige Kloster nicht an das Land NRW zu vermieten, um dort eine Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes einzurichten. Die Bezirksregierung hatte dort vor mehreren Hundert Bürgern ihre Pläne vorgestellt. Es sei viel Zeit, Kraft und Energie in das Vorhaben geflossen. Neben Oeventrop gebe es weitere Optionen, davon sei aber noch keine konkret absehbar.

Nach der Registrierung und dem Aufenthalt in einer Erstaufnahmeeinrichtung werden geflüchtete Menschen in einer ZUE untergebracht. Hier warten sie auf ihre Asylverfahren und darauf, einer Kommune zugewiesen zu werden. Der Aufenthalt in einer Landeseinrichtung kann bis zu zwei Jahre dauern. Minderjährige Flüchtlinge und ihre Sorgeberechtigten werden bereits nach sechs Monaten den Kommunen zugewiesen.

Landeseinrichtungen aktuell zu 88 Prozent ausgelastet

Derzeit gibt es nach Angaben des NRW-Ministeriums für Flucht und Integration 28 Zentrale Unterbringungseinrichtungen in NRW mit rund 16.500 Plätzen. Die Landeseinrichtungen, zu denen auch Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünfte zählen, seien aktuell zu 88 Prozent ihrer aktiven Kapazität ausgelastet. „Das Land arbeitet daher weiterhin mit Hochdruck am Ausbau der Landeskapazitäten“, erklärte eine Ministeriumssprecherin.

Die Bezirksregierungen in NRW prüften derzeit mehr als 40 Liegenschaften, darunter auch Freiflächen und Erweiterungsmöglichkeiten bestehender Landeseinrichtungen. „Ob und welche dieser in Prüfung befindlichen Standorte sich eignen und letztlich in konkrete Planungen zur Herrichtung und Inbetriebnahme als Geflüchtetenunterkunft überführt werden, lässt sich aufgrund der andauernden Verfahren zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen“, betonte die Sprecherin.

Die Absage für den Standort in Arnsberg bezeichnete das Ministerium als „bedauerlich“ - gerade vor dem „Hintergrund der aktuellen Herausforderungen, vor der Land und Kommunen stehen“. Gleichwohl sei die Entscheidung des Eigentümers „zu respektieren“.

Wegen der gestiegenen Zahl der Asylsuchenden in NRW beklagen viele Kommunen, mit der Unterbringung überfordert zu sein. Das Land hat angekündigt, die Kapazitäten auszubauen und neue Standorte zu akquirieren.



Fühlen, Riechen, Schmecken




Volker Mayer
epd-bild/Daniel Peter
Brot ist nicht gleich Brot - das gilt vor allem dann, wenn es nicht nur um die Sorte, sondern um Qualität geht. Einer, der berufsmäßig auf Unterschiede achtet, ist Brot-Sommelier Volker Mayer. Er war einer der Ersten seiner Art in ganz Deutschland.

Großheubach (epd). Volker Mayer streicht über die Scheibe Bauernbrot, die vor ihm auf dem Tisch liegt. Dann nimmt er sie in die Hand und faltet sie mittig, bis sie bricht. Genau betrachtet er die Bruchstelle. Das Stück hält er sich direkt vor die Nase und atmet tief ein, riecht kurz an seinem Oberarm und nochmals am Brot. „Es gibt nicht das perfekte Brot“, sagt er. Aber dieses sei nah dran, findet Mayer. Er muss es wissen, denn er ist nicht nur Bäckermeister, sondern auch Brot-Sommelier.

Seit mehr als 30 Jahren ist Mayer Bäcker und Konditor, er hat den Meisterbrief seit Jahrzehnten, betreibt in zweiter Generation eine gut gehende Backstube mit Filialen am Untermain, ist Obermeister der Bäckerinnung in der Region Miltenberg, Aschaffenburg und Alzenau. Und trotzdem packte ihn 2014 der Ehrgeiz, noch mal die Schulbank zu drücken. Er ließ sich über ein Jahr hinweg zum Brot-Sommelier ausbilden. „Als Bäcker backst du Brot, als Sommelier degustierst du es“, erklärt er. Will heißen: Er prüft die Brot-Laibe mit allen Sinnen.

„Franzosen meilenweit voraus“

Ursprünglich war der Sommelier der Vorkoster am Adelshof. Sein Job war es, die Qualität von Speisen und Getränke zu prüfen. Die Aufgaben von Sommeliers heute sind ähnlich - auch wenn es nicht mehr darum geht, vergiftete oder verdorbene Speisen auszusortieren. Vielmehr geht es um Beratung. Welcher Wein passt zu diesem Essen? Oder eben auch: Welches Brot kann ich einem Gast zu diesem oder jenem Getränk anbieten? „Die Franzosen sind uns da meilenweit voraus“, sagt er. Dort sei Brot mehr als eine Sättigungsbeilage.

Im Prinzip ist das auch Mayers Mission als Brot-Sommelier: dem Brot die nötige Ehre erweisen. „Es gibt kein günstigeres Lebensmittel, das satt macht“, sagt er. Zumindest, wenn es handwerklich gut gemacht ist, fügt er hinzu. Und dann sei es auch gesund. All die Volkskrankheiten oder Lebensmittel-Unverträglichkeiten seien auch ein Ergebnis der zu schnellen und zu billigen Ernährung, meint er. „Ein gutes Brot braucht Zeit, um zu reifen. Und diese Zeit sollte man sich nachher auch zum Essen nehmen“, empfiehlt der Brot-Experte.

Anders als beispielsweise Kaffee- oder Bier-Sommeliers, die mitunter schon nach einem zweiwöchigen Crash-Kurs den Titel „Diplom-Sommelier“ führen dürfen, ist das bei Brot-Sommeliers anders. Die Weiterbildung darf in Deutschland nur machen, wer überhaupt schon Bäcker oder Bäckermeister ist. „Unsere Ausbildung ist mit der des klassischen Wein-Sommeliers durchaus vergleichbar“, sagt Mayer. Nur anders als manche Profis im Weinbereich kann man vom Brot-Sommelier-Dasein alleine nicht leben. Es ist doch zu sehr eine Nische.

Von außen nach innen

Wenn sich Mayer bei einem Brot auf „Erkundungsreise“ begibt, läuft das immer ähnlich ab: von außen nach innen. „Ich beginne immer mit der Kruste“, erzählt er. Wie schaut sie aus? Mehlig, körnig, aufgerissen, glatt? Wie ist die Brotform? „Die ist wichtig für den Geschmack“, schließlich schmecke auch Wein aus verschiedenen Gläsern unterschiedlich. Dann macht er den Streichtest bei der Krume, um ihre Stabilität zu testen. Bröselt oder bricht sie, ist das Brot alt - oder Massenware. Zum Schluss wird gerochen und natürlich geschmeckt.

Der Geruchstest ist ein Hingucker. „Jeder, der mir zusieht, fragt mich, warum ich zwischendurch an mir rieche“, sagt der Brot-Liebhaber und grinst dabei schelmisch. Mithilfe des Eigengeruchs neutralisiere er seine Nase, sagt der 57-Jährige. Anschließend lassen sich die vielfältigen Gewürze, Säuren und andere Aromen in einem Brot viel besser wahrnehmen als ohne. Der Geschmackstest läuft dagegen erwartungsgemäß ab: den Brotbissen mindestens 30 Mal kauen, erst dann die Brot-Masse auf der Zunge hin- und hergleiten lassen.

Mayer hofft, dass wieder mehr Menschen im Brot ein echtes Lebens- statt nur ein Nahrungsmittel sehen. „Für mich gehört Brot einfach dazu“, sagt er: „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals ein warmes Essen gegessen habe, ohne nicht auch mindestens eine Scheibe Brot dazu zu haben.“

Von Daniel Staffen-Quandt (epd)


Zehn Schulen erhalten in diesem Jahr den Schulbaupreis NRW



Düsseldorf (epd). Zehn Schulen aus Nordrhein-Westfalen werden mit dem diesjährigen Schulbaupreis NRW ausgezeichnet. Die Würdigung geht an vier Schulen in Köln sowie Einrichtungen in Hennef, Ibbenbüren, Münster, Paderborn, Velbert und Wuppertal, wie die Architektenkammer NRW am 1. August in Düsseldorf mitteilte. Der zum vierten Mal vergebene, undotierte Preis wird am 11. September im Erzbischöflichen Berufskolleg in Köln überreicht.

Zu dem Auszeichnungsverfahren waren Bewerbungen von 63 neuen, umgebauten und erweiterten Schulgebäuden eingereicht worden. Die mit dem Schulbaupreis NRW 2023 ausgezeichneten Schulen umfassen alle Schulformen.

Es sei wichtig, dass sich Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte sowie alle am Schulleben Beteiligten in ihrem Arbeitsumfeld wohlfühlten, sagte NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU). „Die ausgezeichneten Schulbauten helfen dabei, eine positive Lernatmosphäre zu schaffen, und unterstützen ein erfolgreiches Lernen und Lehren“, erklärte sie.

Mit dem Schulbaupreis Nordrhein-Westfalen wollen die Auslober die Bedeutung der Architekturqualität von Schulgebäuden herausstellen und deren nachhaltigen Einfluss auf die pädagogische Arbeit in der Schule betonen. Der Präsident der Architektenkammer NRW, Ernst Uhing, verwies darauf, dass Schule heute nicht mehr nur Lern- und Lebensort für Kinder und Jugendliche sei, sondern zunehmend auch soziale und ökologische Funktionen für den jeweiligen Stadtteil übernehme: Die Gebäude öffneten sich zunehmend für außerschulische Zwecke, die Außenflächengestaltung trage zur Lebensqualität im Stadtteil bei.



Uni Duisburg-Essen erforscht jüdische Begräbniskultur




Jüdischer Grabstein (Archivbild)
epd-bild/Andrea Enderlein

Essen (epd). Mit der Erforschung der Begräbniskultur auf den jüdischen Friedhöfen in Deutschland befasst sich ein Forschungsprojekt der Universität Duisburg-Essen. Im Rahmen des auf 24 Jahre angelegten Vorhabens sollen 35 Friedhöfe, 33.600 Grabmale und über 19.000 Inschriften untersucht werden, die einen Zeitraum von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert abdecken, wie die Hochschule am 1. August mitteilte. Ein Team des Salomon-Ludwig-Steinheim-Instituts der Uni Duisburg-Essen wird die Forschungen gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Bamberg durchführen.

In Deutschland gibt es den Angaben zufolge über 2.000 jüdische Friedhöfe, die ältesten gehen auf das 11. Jahrhundert zurück. Sie sind wichtige Zeugnisse jüdischen Lebens. Kein anderes europäisches Land besitze einen vergleichbaren Schatz an Überlieferungen, hieß es.

„Steinerne Zeugen digital“

Das Projekt mit dem Titel „Steinerne Zeugen digital. Deutsch-jüdische Sepulkralkultur zwischen Mittelalter und Moderne - Raum, Form, Inschrift“ wird im Forschungsprogramm der deutschen Wissenschaftsakademien von Bund und Ländern mit jährlich 400.000 Euro gefördert. Erforscht werden soll auch der Friedhof in Köln-Deutz mit seinen 3.300 Grabsteinen. Neben den Inschriften erfassen die Forscher die geographischen Gegebenheiten der jeweiligen Anlage, außerdem die baulichen Merkmale wie das Material, die Formensprache, den Erhaltungszustand der Grabmale und ihre Anordnung.

Das in Essen ansässige Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut ist den Angaben zufolge weltweit führend in der Dokumentation und Erforschung jüdischer Friedhöfe und der Erschließung hebräischer Inschriften. Diese Expertise bringt das Team um Institutsleiterin Lucia Raspe in das Großvorhaben ein. Das Steinheim-Institut habe seit 2006 die Datenbank „Epidat“ aufgebaut, erklärte sie. In dieser Online-Edition seien aktuell 50.000 Grabinschriften von 260 Friedhöfen dokumentiert, übersetzt und kommentiert. 80.000 Fotos ergänzen die Edition.

Der aktuelle Bestand der jüdischen Gräber sei in Deutschland von Verfall bedroht. Durch die Arbeit mit dem Archiv und das Forschungsvorhaben solle dazu beigetragen werden, das „kostbare deutsch-jüdische Kulturerbe zu erhalten“.



Mahnwache an Urananlage Gronau erinnert an Atombombe auf Hiroshima



Gronau (epd). Atomkraftgegner haben am 6. August mit einer Mahnwache vor der Gronauer Urananreicherungsanlage an die Opfer der Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki vor 78 Jahren erinnert. An der Aktion beteiligten sich nach Veranstalterangaben rund 40 Menschen aus Gronau, Lingen, Ahaus und den Niederlanden. Der Arbeitskreis Umwelt Gronau und mehrere weitere Organisationen forderten die Vernichtung aller Atomwaffen weltweit sowie die sofortige Stilllegung aller Atomkraftwerke und Uranfabriken. Zudem wurde die Bundesrepublik aufgefordert, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen.

Die Urananreicherungsanlage des Urenco-Konzerns biete die technische Grundlage zur Herstellung von Atomwaffen, sagte Udo Buchholz vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz. Die Gronauer Anlage zur Urananreicherung, die bereits seit 38 Jahren in Betrieb sei, habe schon mehrere Störfälle gehabt. Für die Urananreicherungsanlage in Gronau sowie für die Brennelementefabrik in Lingen gebe es keinerlei Laufzeitbegrenzungen, kritisierten die Initiativen.

Die Mahnwache fand im Zusammenhang mit bundesweiten Gedenkveranstaltungen der Friedensbewegung anlässlich der Jahrestage der US-amerikanischen Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki statt. Bei den Explosionen am 6. und 9. August 1945 wurden rund 100.000 Menschen sofort getötet, in den Monaten darauf starben nach Schätzungen weitere 130.000. Spätfolgen der nuklearen Strahlung waren vermehrte Krebserkrankungen.




Familien

Umfrage: Eltern beklagen mangelnde Angebote bei Kinderbetreuung




Kita-Räume
epd-bild/Heike Lyding
Eine Mehrheit der arbeitswilligen Eltern hat große Schwierigkeiten, für ihre Kinder einen Platz in einer Kita oder bei Tageseltern zu finden. In einer Umfrage berichten 57 Prozent von Problemen. Ursache ist der Personalmangel in den Einrichtungen.

Düsseldorf (epd). Trotz des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr hat die Mehrheit der erwerbstätigen Eltern mit kleinen Kindern in Deutschland Probleme, einen Platz in einer Kita oder bei Tageseltern zu finden. In einer am 4. August veröffentlichten Online-Befragung für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung erklärten 57 Prozent, dass sie in diesem Frühjahr mit Kürzungen der Betreuungszeiten oder zeitweiligen Schließungen der Einrichtungen aufgrund von Personalmangel konfrontiert waren.

Sehr viele berufstätige oder Arbeit suchende Eltern seien durch die unzureichende Versorgung „vor große Probleme im Alltag“ gestellt, hieß in der Befragung der in Düsseldorf ansässigen Stiftung. Zwei Drittel (67 Prozent) der betroffenen Befragten gaben an, dass sie die Ausfälle bei der Kinderbetreuung oder die zeitliche Verkürzung als „belastend“ empfinden. 30 Prozent bewerteten die Situation sogar als „sehr belastend“.

„Frühe Bildung auf wackeligen Füßen“

Knapp die Hälfte der betroffenen Mütter und Väter hat während der Schließung oder Kürzung der Betreuungszeit Urlaub genommen oder Überstunden abgebaut, um die Betreuungslücke auszugleichen. Knapp 30 Prozent mussten zeitweise ihre Arbeitszeit reduzieren.

Um den Engpass bei der Kinderbetreuung zu überbrücken, übernehmen in den Ehen und Partnerschaften vor allem die Frauen die Erziehungsaufgabe. Während 63 Prozent der befragten Väter in heterosexuellen Beziehungen angaben, dass ihre Partnerin bei der Kinderbetreuung eingesprungen sei, berichteten das nur 33 Prozent der Mütter über ihren Partner.

„Die Zahl ist ein Alarmsignal: Die frühe Bildung in Deutschland steht auf wackligen Füßen“, sagte die Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Stiftung, Bettina Kohlrausch. Zwar sei die Kinderbetreuung in den „vergangenen zwei Jahrzehnten stark ausgebaut“ worden. Aber unzureichende finanzielle Ausstattung und der damit verbundene Fachkräftemangel in Erziehungsberufen machten die Betreuung „unzuverlässig“.

Kohlrausch mahnte eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Erziehungsberufen an, andernfalls drohe eine „sich selbst verstärkende Spirale nach unten: Es gibt generell zu wenige Stellen an Kitas, weil die Betreuungsschlüssel zu schlecht sind und zu wenig ausgebildet wird. In dieser Situation steigen dann Erzieherinnen und Erzieher aus.“ Der Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung verschärfe dann wiederum den Arbeitskräftemangel in anderen Branchen, weil Mütter und Väter ihre Erwerbstätigkeit einschränken müssten.

Die Expertin plädiert deshalb für eine Ausbildungsoffensive in den Erziehungsberufen, die an „deutlich bessere Personalschlüssel“ gekoppelt sei. Auch bei der Bezahlung der Beschäftigten gebe es „noch Luft nach oben“.

Für die repräsentative Umfrage befragte Kantar Deutschland im vergangenen Monat mehr als 5.000 erwerbstätige und Arbeit suchende Personen. Zuerst hatte die „Süddeutsche Zeitung“ (Freitag) über die Umfrage berichtet.



Kita-Gesetz: Länder wollen Geld vor allem für Personal verwenden




Josefine Paul
epd-West/Land NRW/ Ralph Sondermann

Berlin, Düsseldorf (epd). Die Länder wollen das vom Bund über das Kita-Qualitätsgesetz zur Verfügung gestellte Geld vor allem für eine Verbesserung der Personalsituation bei der Kinderbetreuung ausgeben. Wie Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am 4. August in Berlin mitteilte, soll jeweils knapp eine der insgesamt vier Milliarden Euro für einen besseren Fachkraft-Kind-Schlüssel (984 Millionen Euro) und die Gewinnung von Fachkräften (933 Millionen Euro) ausgegeben werden.

Paus gab den praktischen Start des Ende vergangenen Jahres vom Bundestag beschlossenen Kita-Qualitätsgesetz bekannt, mit dem der Bund die Länder in diesem und im kommenden Jahr finanziell bei der Verbesserung der Kinderbetreuung unterstützen will. Über die Verwendung des Geldes hat Paus mit jedem Bundesland Verträge abgeschlossen, damit die Mittel jeweils am sinnvollsten verwendet werden. Ausgegeben werden kann das Geld unter anderem auch für gesundes Kita-Essen, Gesundheitsvorsorge und für Bewegungsangebote.

NRW fördert Ausbildung und Qualifizierung

Dem Ministerium zufolge sind 312 Millionen Euro der zur Verfügung gestellten Mittel für den Bereich sprachliche Bildung geplant. Das Geld soll dabei helfen, Angebote der Sprachkitas aufrechtzuerhalten, denen nach einem Auslaufen der Förderung das Aus drohte. 530 Millionen Euro sollen für die Qualifizierung von Kita-Leitungen verwendet werden, 179 Millionen Euro für bedarfsgerechte Angebote.

In Nordrhein-Westfalen sollen die praxisintegrierte Ausbildung sowie die Ausbildung im Anerkennungsjahr zur staatlich anerkannten Erzieherin gefördert werden. Weitere Zuschüsse soll es zur Förderung der qualifizierten Fachberatung von Kindertageseinrichtungen und für die kontinuierliche Qualifizierung des Personals in Kindertageseinrichtungen geben.

Die Betreuungsangebote sollen außerdem flexibler gestaltet werden. Jedes Jugendamt soll demnach einen Zuschuss zur kind- und bedarfsgerechten, familienunterstützenden Flexibilisierung von Angeboten der Kindertagesbetreuung erhalten. Dazu gehören die Ausweitung von Öffnungszeiten, zusätzliche Angebote bei unregelmäßigem Bedarf oder ergänzende Kindertagespflege. Kitas mit Kindern, die einen besonders hohen Unterstützungsbedarf wie sprachlichen Förderbedarf haben, erhalten Gelder für zusätzliches Personal.



Elternrat fürchtet Burnout bei Müttern und Vätern von Kita-Kindern



Hannover, Köln (epd). Die Vorsitzende des Bundeselternrates, Christiane Gotte, befürchtet angesichts des Personalmangels in Kindertagesstätten eine Burnout-Welle bei Müttern und Vätern. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (5. August) sagte Gotte, seit der Corona-Pandemie hätten Eltern kaum noch Erholungszeiten. „Sie fangen nur noch auf. Ich rechne fest mit einer Burnout-Welle.“

Vor allem in Westdeutschland sei die Lage teilweise dramatisch, während Ostdeutschland wegen der Arbeits- und Betreuungssituation zu DDR-Zeiten immer noch einen strukturellen Vorteil habe. Doch auch in den ostdeutschen Bundesländern schwinde das Personal. Die Vorsitzende des Bundeselternrates berichtete außerdem von Eltern, die sich wegen der belastenden Arbeits- und Betreuungssituation mit Auswanderungsabsichten trügen.

Ausdrücklich befürwortete Gotte den Einsatz von pädagogischen Laiinnen und Laien in der Kinderbetreuung. Die Bundesländer, die in den zurückliegenden Jahren nicht-professionelles Personal eingestellt und qualifiziert hätten, stünden besser da: „Sie konnten den Personalmangel noch am besten auffangen.“ Als Gegenmaßnahmen für den aktuellen Personalmangel empfahl die Elternrats-Vorsitzende, die Gewinnung von Fachkräften voranzutreiben, geeignete pädagogische Laiinnen und Laien zu qualifizieren sowie das Bestandspersonal fortlaufend weiterzubilden.

Eine am 4. August veröffentlichte Befragung der Hans-Böckler-Stiftung hatte unter anderem ergeben, dass eine Mehrheit der erwerbstätigen Eltern mit kleinen Kindern in Deutschland Probleme wegen Kita-Schließungen und verkürzten Betreuungszeiten hat: Knapp die Hälfte der betroffenen Mütter und Väter nahm demnach Urlaub oder baute Überstunden ab, wobei vor allem Frauen die fehlende Betreuung ausgeglichen. Als Ursache benannte die Umfrage den Personalmangel in den Kindertagesstätten.



Mehr Fälle von Kindeswohlgefährdung in NRW



Wiesbaden, Düsseldorf (epd). Die Zahl der Fälle von Kindeswohlgefährdung in Nordrhein-Westfalen ist im vergangenen Jahr auf rund 14.400 gestiegen. 2021 waren es noch knapp 13.900 Fälle, wie Zahlen ergeben, die das Statistischen Bundesamt am 2. August in Wiesbaden veröffentlichte. Das ist ein Plus von 3,9 Prozent. Bundesweit meldete die Behörde ein Plus von rund vier Prozent auf fast 62.300 Kinder und Jugendliche, deren Wohlergehen durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt gefährdet war.

In weiteren rund 19.700 Fällen in NRW lag 2022 nach Einschätzung der Behörden zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber ein erzieherischer Hilfebedarf vor, zeigt die Statistik. Bundesweit wurden 68.900 solcher Fälle erfasst. Geprüft hatten die Jugendämter in NRW 56.900 und bundesweit insgesamt 203.700 Hinweise, bei denen der Verdacht auf eine mögliche Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen bestand. Das entspricht einem Plus von drei Prozent. In NRW hat sich die Zahl im Vergleich zu 2012 verdoppelt.

Das Statistische Bundesamt definiert Kindeswohlgefährdung so, dass Eltern ihrer Verantwortung nicht nachkommen und dadurch das körperliche, seelische oder geistige Wohl ihrer Kinder gefährden. Dies äußere sich in Vernachlässigungen, sexualisierter Gewalt und körperlichen oder psychischen Misshandlungen. „In etwa jedem fünften Fall von Kindeswohlgefährdung erleben die betroffenen Minderjährigen sogar mehrere Formen von Vernachlässigung oder Gewalt gleichzeitig“, erklärte das Bundesamt.



Caritas sammelt mehr als 120 Kilo Urlaubsmünzen für Ferienfreizeiten



Paderborn (epd). Die Caritas Paderborn hat nach ihrem Spendenaufruf im vergangenen Jahr 123 Kilo an Urlaubsmünzen und alten Währungen gesammelt. Das unter dem Motto „Kleine Münze - große Hilfe“ gesammelte Münzgeld erbrachte rund 2.977 Euro, wie die Caritas Paderborn am 4. August mitteilte. Auch in diesem Jahr können Urlaubsrückkehrer wieder ausländisches Geld, für das ein Umtausch nicht lohnt, spenden. Mit dem Erlös finanziert die Caritas Kindern aus einkommensschwachen Familien sowie Kindern mit Behinderung die Teilnahme an einer Ferienfreizeit.

Vermittelt werde die Hilfe über die örtlichen Caritasverbände, die auch Kinderferienmaßnahmen anbieten, erklärte die Caritas. Die Zuschüsse zu den Ferienfreizeiten würden zwar vor allem über die Kirchensteuer finanziert. Zu einem Teil würden aber auch die nicht mehr benötigten ausländischen Münzen und Scheine beitragen.

Unter den gespendeten Münzen und Scheinen würden sich auch immer noch die alte D-Mark wie auch Schilling, irische Pfund und andere ehemalige Währungen der Euro-Länder finden, erklärte die Caritas. „Wir freuen uns, wenn Restbestände von D-Mark oder übrig gebliebene Urlaubsmünzen und Scheine in unseren Sammeldosen landen“, sagte Miriam Konietzny, die die Sammlung koordiniert. Gesammelt wird in den Geschäftsstellen der 23 Orts- und Kreis-Caritasverbände im Erzbistum Paderborn sowie direkt beim Diözesan-Caritasverband Paderborn.




Soziales

Spendenbereitschaft bleibt in Deutschland auch 2023 hoch




Spendenkorb bei einer Weihnachtsaktion von "Brot für die Welt" in Detmold
epd-bild/Hermann Bredehorst
Trotz eines hohen Spendenniveaus für mehrere große Krisen in den vergangenen Jahren unterstützen die Menschen in Deutschland weiter die Arbeit der Hilfsorganisationen. Die meisten befragten Hilfswerke vermelden für 2023 bislang stabile Einnahmen.

Frankfurt a.M. (epd). Trotz gestiegener Lebenshaltungskosten und Inflation spenden die Menschen in Deutschland weiter für humanitäre Hilfe und Entwicklungsprojekte. Das ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter acht Organisationen zu den Spendeneinnahmen des ersten Halbjahres 2023. Obwohl bereits in den vergangenen zwei Jahren aufgrund großer Krisen wie dem Ukraine-Krieg und der Ahrtal-Flut außergewöhnlich viel gespendet wurde, liegt die Höhe der Zuwendungen an die befragten Organisationen in den vergangenen sechs Monaten etwa auf dem Niveau von 2022.

Von einer Spendenmüdigkeit könne keine Rede sein, sagte der Sprecher von „Brot für die Welt“, Thomas Beckmann. Das evangelische Hilfswerk sei sehr zufrieden mit dem bisherigen Ergebnis. Ähnlich äußerte sich Simone Pott von der Welthungerhilfe. Die Menschen „wollen dort helfen, wo Hunger und Armut hoch sind“. Allerdings habe die Organisation nach einer großen Spendenbereitschaft für die Folgen der Erdbeben in Syrien und der Türkei Anfang Februar eine vorübergehende Zurückhaltung wahrgenommen.

Leichter Rückgang im Gesamtjahr erwartet

Der Geschäftsführer des Deutschen Instituts für soziale Fragen, Burkhard Wilke, geht davon aus, dass die Zuwendungen 2023 insgesamt etwas zurückgehen werden. Als Grund nannte er dem epd die besonders hohe Spendenbereitschaft der vergangenen zwei Jahre. 2022 spendeten die Menschen in Deutschland demnach insgesamt 12,9 Milliarden Euro, davon über eine Milliarde allein für die Nothilfe der vom Ukraine-Krieg betroffenen Menschen. 2021 lag das Spendenaufkommen bei 11,7 Milliarden Euro. Entscheidend in der Spendenbilanz sind für alle befragten Organisationen vor allem die letzten Monate des Jahres.

Die Kindernothilfe erhielt im ersten Halbjahr etwas weniger (minus sechs Prozent) Zuwendungen als im Vorjahr. Das liege daran, dass die Organisation in diesem Jahr noch für keine Katastrophe gezielt zu Spenden aufgerufen hat, erklärte Sprecherin Angelika Böhling. „Ärzte ohne Grenzen“ bittet nach eigenen Angaben seit Jahren um Zuwendungen ohne Zweckbindungen, um das Geld auch für Krisen einsetzen zu können, die nicht im öffentlichen Fokus stehen und verzeichnet einen stabilen Spendeneingang. Die Diakonie Katastrophenhilfe geht davon aus, dass sich 2023 in die Vorjahre einreiht und sich Inflation und steigende Lebenshaltungskosten nicht zwangsläufig auf die Spendenbereitschaft auswirken.

Sinkende Kaufkraft

Bei Misereor sind zwar die Zuwendungen stabil, wie die Leiterin der Spenden-Abteilung, Julia Biermann, erläuter. Allerdings sei es schwieriger geworden, Spenderinnen und Spender über einen längeren Zeitraum an das Hilfswerk zu binden. Caritas international verzeichnete ein hohes Spendenniveau im ersten Halbjahr, das laut Sprecher Dariush Ghobad die Planwerte deutlich übertraf. Allerdings sinke durch die Inflation die Kaufkraft der Spenden. „Für dasselbe Geld erhalten wir auf dem Weltmarkt weniger Güter. Das stellt uns zunehmend vor große Herausforderungen.“

Schwierig ist die Lage auch bei der Initiative „United 4 Rescue“ zur Unterstützung der Seenotrettung im Mittelmeer. Zwar seien die Spenden 2023 bislang etwa auf Vorjahresniveau, sagte Sprecherin Susanne Jacoby. Doch 2022 habe der Verein einen Rückgang von etwa 30 Prozent im Vergleich zu 2021 verzeichnet. Spenderinnen und Spender sähen sich zu Kürzungen gezwungen, zugleich hätten sich die Bedingungen für die Seenotrettung durch stark gestiegene Preise und restriktive Gesetze in Italien erschwert und das Sterben im Mittelmeer stehe nicht mehr so im Fokus.



"Von Anfang an ein Abenteuer"




Andrea Micaela Christ Amarilla
epd-bild/Jens Schulze
Jedes Jahr reisen Tausende Jugendliche aus Deutschland über das Programm "weltwärts" ins Ausland. Doch das ist längst keine Einbahnstraße mehr. Wie Micaela Christ aus Paraguay engagieren sich auch Freiwillige aus südlichen Ländern in Deutschland.

Hannover (epd). Mit wippenden Pferdeschwänzen kommen Elin und Talia über den Spielplatz auf Micaela Christ zugelaufen. „Wir haben eine Feder gefunden“, ruft Elin: „Die ist flauschig!“ Talia ergänzt noch schnell: „Kuschelig!“ Flauschig und kuschelig sind die nächsten deutschen Wörter, die „Mica“, wie es kurz auf ihrem T-Shirt steht, sich merken will. Von den Kindern in der Tagesstätte der Marktkirchengemeinde in Hannover lernt sie jeden Tag dazu. Seit Februar arbeitet die 22-jährige aus Paraguay dort über das Programm „weltwärts“.

Andrea Micaela Christ Amarilla, wie die junge Frau mit vollem Namen heißt, stammt aus Hohenau im Südosten Paraguays, einem 11.000 Einwohner-Ort, der von deutschen Auswanderern geprägt ist. Dort unterrichtete sie zuletzt Englisch und freundete sich an der Schule mit einer Freiwilligen aus Deutschland an. „Sie sprach nach sechs Monaten fließend Spanisch und vom Schulsystem bis zu unserem Humor hat sie uns immer besser verstanden“, erzählt sie in einer Mischung aus Englisch und Deutsch. Schon mit 18 habe sie selbst vorgehabt, nach Deutschland zu gehen, nach der Begegnung nahm sie einen neuen Anlauf. „Das war inspirierend!“

660 Freiwillige in Deutschland

Aktuell sind nach Angaben einer Sprecherin über den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts“ gut 1.800 Freiwillige im Alter von 18 bis 28 aus Deutschland in 53 Ländern im Einsatz, vor allem in Indien, Ecuador und Ghana. Aus den Ländern des Südens engagieren sich zurzeit rund 660 Freiwillige in Deutschland, so wie Micaela Christ. Ihr Praktikum in Hannover wurde vom Evangelisch-lutherischen Missionswerk in Niedersachsen (ELM) vermittelt, gemeinsam mit Partnern aus der Evangelischen Kirche am Rio de la Plata in Paraguay (IERP).

Das ELM mit Kontakten zu Partnerkirchen in vielen Ländern gehört zu den rund 140 anerkannten Trägerorganisationen von „weltwärts“, einem Programm des Bundesentwicklungsministeriums. Seit gut 40 Jahren sendet das Werk junge Menschen in Freiwilligendienste ins Ausland, berichtet Referentin Katharina Rausch - viel länger schon, als es „weltwärts“ gibt. Seit 2011 kommen Freiwillige aus den Partnerkirchen nach Deutschland. „Dahinter steht der Gedanke des gleichberechtigten Austausches“, sagt Rausch. „Seitenwechsel“ nennt das Missionswerk deshalb das Angebot. Neben der staatlichen Förderung über „weltwärts“ unterstützt es dieses mit eigenen Mitteln.

Die Freiwilligen erhalten unter anderem Fortbildungen und ein monatliches Taschengeld. Micaela Christ hat in Hannover einen sehr kurzen Arbeitsweg, denn sie wohnt über dem Kindergarten. Für Kost und Logis kommt ihre Einsatzstelle auf. Nicht ohne Gegenleistung, wie Kita-Leiterin Heike Schmidt betont. „Immerhin haben wir eine Arbeitskraft mehr.“ Vor dem Kita-Spielplatz in der Innenstadt werben Plakate um Nachwuchs angesichts des Fachkräftemangels. Doch Schmidt sieht noch ganz andere Vorteile. Immer wieder muss sie auf der Landkarte zeigen, wo Paraguay liegt. Die Neugierde der rund 60 Kinder, von denen etwa 20 selbst einen Migrationshintergrund haben, auf das Land und seine junge Botschafterin sei groß.

„Überall Gebäude!“

„Es war ein Abenteuer von Anfang an“, so beschreibt Micaela Christ ihren Aufenthalt und lacht dabei. Ganz zuerst sei es schwer gewesen, sich in der Großstadt Hannover zurechtzufinden, auch weil ihr Handy noch keinen freigeschalteten Routenplaner hatte. „Es war überwältigend, überall Gebäude!“ Doch ihre Kollegin Iris Dettmar, die für die Kita die Praktikanten aus dem Ausland betreut, stand ihr zur Seite, bei der Eröffnung eines Kontos oder Behördengängen. „Ich fühle mich sicher“, sagt die 22-Jährige mit der runden Brille dankbar.

Für die Zeit nach ihrem Freiwilligendienst haben sich ihre Pläne mittlerweile geändert. Eigentlich wollte sie in ihrer Heimat noch Mathematik studieren, neben dem Vollzeit-Job, der nötig sei, um das zu bezahlen. „Sehr stressig“, sagt sie. Jetzt möchte sie zum Studium ein zweites Mal nach Deutschland kommen. „Ich hoffe auf ein Stipendium.“

Von Karen Miether (epd)


Neues Kinderzentrum Bethel geht an den Start



Bielefeld (epd). Nach sechs Jahren Planung und Bauzeit öffnet das neue Kinderzentrum der v. Bodelschwinghschen Stiftungen in Bielefeld seine Türen. Am 24. September können Besucher bei einem Tag der offenen Tür einen Blick in die neue Klinik werfen, wie Bethel am 7. August ankündigte. Auf rund 15.500 Quadratmetern mit 146 Betten sollen hier pro Jahr 10.000 junge Patientinnen und Patienten stationär behandelt werden können. Das Kinderzentrum sei das größte Spendenprojekt in der Geschichte Bethels: 58 Millionen Euro an Spenden seien für das Großprojekt zusammengekommen.

Das Haus soll eine Maximalversorgung mit modernsten Diagnostik- und Therapieangeboten unter einem Dach bieten, wie Bethel erklärte. Das Zentrum verfüge über unter anderem über eine pädiatrische Intensivstation für bis zu 18 Patientinnen und Patienten sowie über einen modernen OP-Bereich mit zwei Operationssälen.

Für das Bauprojekt war im Jahr 2019 das frühere Kinderzentrum abgerissen und anschließend komplett neu gebaut worden. Der Neubau war mehrmals das Jahresspendenprojekt Bethels. Vor dem Tag der offenen Tür im September wird die Einweihung am Samstag davor bereits mit geladenen Gästen gefeiert.



Kostendruck: Praxis-Ärzte sehen ambulante Versorgung in Gefahr




Terminabsprache beim Hausarzt
epd-bild/Jürgen Blume

Dortmund (epd). Niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten in Westfalen-Lippe sehen die flächendeckende ambulante Versorgung in Gefahr. Steigende Kosten für Praxen, Personal und Investitionen machten den Betrieb einer Praxis immer unrentabler, erklärte die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) am 7. August in Dortmund. Die Inflationsrate von aktuell mehr als sechs Prozent lasse die Ausgaben in die Höhe schnellen. Eine ausreichende Gegenfinanzierung sei wegen der gedeckelten Arzthonorare kaum noch möglich. Einnahmen und Ausgaben klafften immer weiter auseinander.

„Die Praxen können die gestiegenen Kosten nicht über höhere Preise ausgleichen, sondern müssen sie aus der eigenen Tasche bezahlen“, erklärte KVWL-Vorstandsvorsitzender Dirk Spelmeyer zum Start der bundesweiten Aktion aller Kassenärztlichen Vereinigungen unter dem Motto „PraxenKollaps - Praxis weg, Gesundheit weg!“.

Abwanderung zu Krankenhäusern

„Für junge Medizinerinnen und Mediziner darf die ambulante Versorgung keinesfalls unattraktiver werden“, mahnte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Volker Schrage. Medizinische Fachangestellte verließen die Praxen in Richtung Krankenhäuser, weil sie dort besser verdienten. „Das Bundesgesundheitsministerium und die Krankenkassen müssen jetzt dringend handeln, ansonsten kann eine flächendeckende ambulante Patientenversorgung nicht mehr gewährleistet werden.“

Bei den am 9. August startenden Finanzierungsverhandlungen zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Krankenkassen müsse eine deutliche Steigerung des Orientierungswertes und damit der Preise für alle ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen erzielt werden, forderte KVWL-Vorstand Thomas Müller. Sollten die Krankenkassen nicht bereit sein, ausreichend Geld für die ambulante Versorgung zur Verfügung zu stellen, werde sich die schwierige wirtschaftliche Lage der Praxen weiter zuspitzen.

Im Zuge der Aktion „#PraxenKollaps“ kündigte die KVWL eine gemeinsame Krisensitzung der Vertreterversammlungen aller Kassenärztlichen Vereinigungen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Berlin am 18. August an. Bereits im Juli hatte die KBV darauf hingewiesen, dass Praxen seit Jahrzehnten unter einer Unterfinanzierung litten. Hinzu käme ein akuter Mangel an qualifiziertem, nicht ärztlichen Personal und die fehlende Wertschätzung der Politik für die Arbeit der Praxisteams. Eine Folge sei Flucht aus dem System.



Care: Humanitäre Hilfe in Syrien und Türkei noch lange nötig



Bonn (epd). Laut der Hilfsorganisation Care wird in den betroffenen Gebieten in Syrien und der Türkei noch lange humanitäre Hilfe benötigt. An eine Rückkehr in die Normalität sei auch sechs Monate nach dem schweren Erdbeben nicht zu denken, erklärte die Organisation am 1. August in Bonn. Viele Gebäude seien immer noch einsturzgefährdet und der Wiederaufbau werde noch lange dauern. „Die nächste Herausforderung für viele Familien, die in den Notunterkünften leben, wird der Winter sein“, hieß es.

„Der Bedarf an humanitärer Hilfe hält an und wird angesichts des Ausmaßes der Zerstörung so schnell nicht weniger“, erklärte die Nothelferin Sarah Easter, die in der massiv betroffenen Provinz Hatay in der Türkei im Einsatz war. Noch immer würden viele Menschen vermisst. Zudem habe die Katastrophe Anfang Februar die Lebensgrundlage von vielen zerstört. Die Wasserversorgung sei vielerorts noch immer schwierig.

Allein in der Türkei sind laut Care mehr als neun Millionen Menschen von der Katastrophe betroffen, darunter auch 1,7 Millionen geflüchtete Syrerinnen und Syrer, die vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen sind. Nach Angaben der UN starben bei den Erdbeben rund 57.000 Menschen, mehr als 350.000 Gebäude wurden zerstört oder beschädigt. Insgesamt seien 18 Millionen Menschen in der Türkei und dem benachbarten Syrien direkt von den Auswirkungen betroffen.



Rund 2.800 Menschen wegen Wohnungslosigkeit im Saarland untergebracht




Ein Obdachloser liegt, in einen Schlafsack eingerollt, unter einer Bahnbrücke (Archivbild).
epd-bild / Rolf Zöllner

Saarbrücken, Wiesbaden (epd). Insgesamt 2.805 Menschen haben wegen Wohnungslosigkeit im Saarland etwa in vorübergehenden Übernachtungsmöglichkeiten oder in Not- und Gemeinschaftsunterkünften gelebt. (Stichtag: 31. Januar 2023) Im Vorjahreszeitraum waren es noch 815 Menschen, wie das Statistische Bundesamt am 2. Augustin Wiesbaden mitteilte. Das sei jedoch zum Teil auf eine Verbesserung der Datenmeldung durch die beteiligten Stellen im zweiten Jahr der Erhebung der Statistik zurückzuführen. Bundesweit stiegt die Zahl demnach von 178.000 auf 372.000 untergebrachte Menschen.

Von den 2.805 im Saarland untergebrachten Menschen sind der Statistik zufolge 445 Deutsche und 2.360 Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Den größten Anteil der untergebrachten Menschen machen die unter 18-Jährigen mit fast 850 aus, gefolgt von den 40- bis 60-Jährigen (640) und den 25- bis 40-Jährigen (634).

Allerdings gibt es hier auch noch einmal Unterschiede in der Nationalität. So ist die Zahl der untergebrachten wohnungslosen Menschen mit ausländischem Pass unter den unter 18-Jährigen am höchsten (800) gefolgt von den 25- bis 40-Jährigen (545) und den 40- bis 60-Jährigen (460). Bei denjenigen mit deutschem Pass sind es vor allem die 40- bis 60-Jährigen (180) gefolgt von den Menschen ab 60 Jahren (110) und den 25- bis 40-Jährigen (90).

Während das Geschlechterverhältnis bei den Menschen mit ausländischem Pass mit 1.190 betroffenen Männern und 1.105 betroffenen Frauen auf ähnlichem Niveau liegt, sind es bei denjenigen mit deutscher Staatsbürgerschaft doppelt so viele Männer (300) wie Frauen (150). Fast alle untergebrachten wohnungslosen Menschen kommen in Einrichtungen von Gemeinden und Gemeindeverbänden unter (2.700), nur ein kleinerer Teil bei freien (90) und überörtlichen Trägern (15).

Die Statistik erfasst Menschen, denen zum Stichtag behördlicherseits Räume oder Wohnungen überlassen oder Übernachtungsgelegenheiten zur Verfügung gestellt worden sind, ohne dass dies durch einen eigenen Mietvertrag, einen Pachtvertrag, Eigentum oder vergleichbare Rechte abgesichert ist.




Medien und Kultur

Der Siegeszug der Pommesgabel




Festival-Besucher in Wacken am 2. August 2023.
epd-bild/Stefan Fuhr
Dem Dauerregen zum Trotz: In der norddeutschen Provinz dröhnte wieder der Sound verzerrter Gitarren über die Kuhweiden. Das Festival steht exemplarisch für die Wandlung der Metal-Subkultur zum Massenphänomen.

Wacken (epd). Dauerregen, Schlamm und Gummistiefel - beim Wacken Open Air ein vertrautes Bild. In diesem Jahr aber versinkt der Festivalacker schon vor der Eröffnung am 2. August in brauner Schmiere. Die Anreise der Fans gerät zum Chaos und wird vorzeitig gestoppt. Wer es aufs Gelände geschafft hat, feiert dennoch unverdrossen und reckt brüllend die Hörnerfaust, auch „Pommesgabel“ genannt, in den wolkenverhangenen Himmel. Der Mythos Wacken ist um ein medial gut dokumentiertes Kapitel reicher.

Vom Dorffest zum Mega-Event

Das Festival zeigt beispielhaft, wie sich eine einst misstrauisch beäugte Subkultur zum Massenphänomen gewandelt hat. Der Heavy Metal, der maßgeblich im englischen Arbeitermilieu der 70er und frühen 80er Jahre entstand, ist längst ein Millionenmarkt. Nach einer Allensbach-Umfrage vom vergangenen Oktober hören 26 Prozent der Deutschen gerne Musik der härteren Gangart. Das Wacken-Festival ist derweil seit seiner Gründung 1990 vom Dorffest zum Mega-Event mit bis zu 85.000 Besuchern mutiert. Zur diesjährigen Ausgabe, die bis Samstag dauern soll, haben sich rund 200 Bands angekündigt.

„Der Aufstieg von Wacken korreliert mit der Popularisierung des Heavy Metal“, sagt Manuel Trummer, Kulturwissenschaftler an der Uni Regensburg. Es sei in einer Zeit entstanden, als große Bands wie Metallica und Guns n' Roses ihren Durchbruch gefeiert hätten und ein kaufkräftiger Markt entstanden sei.

Zum Wacken-Erfolg hätten wesentlich auch die Medien beigetragen, die das Festival ab den 2000er Jahren als sympathische Freak-Show inszeniert hätten. „Gezeigt wurden 'edle Wilde', die vier Tage die Sau rauslassen, aber eigentlich ganz freundlich und friedlich sind“, sagt Trummer. Dieses Narrativ habe die Veranstaltung in den Mainstream getragen. Der Kontrast von dörflichem Ambiente und globalen Mega-Event sei bis heute ein „superinteressanter Storytelling-Point“.

„Viele Festival-Besucher sind einfach nur Party-Touristen“

Nach Beobachtung des Braunschweiger Medienästhetik-Professors Rolf Nohr rückt bei dem Hype um Wacken die Musik selbst inzwischen in den Hintergrund. „Die Popularität des Wacken Open Air speist sich weniger aus der Musikalität als aus dem Event-Charakter“, sagt Nohr. „Viele Festival-Besucher sind einfach nur Party-Touristen.“

In der Tat ist das Wacken Open Air heute ein kommerziell durchchoreografierter Vergnügungspark: Zehntausende Headbanger haben Tickets für je 300 Euro erworben; zusätzlich laden sie Geld auf Chip-Bändchen, mit denen sie vier Tage lang Merchandise-Produkte, Bier und Fast Food kontaktlos erwerben. Zu den Sponsoren zählen eine Großbrauerei, ein Telekommunikationskonzern und ein schwedischer Truck-Hersteller.

Und unter dem Wacken-Label mit dem Rinderschädel werden Kreuzfahrten, Ski-Touren und internationale Band-Wettbewerbe veranstaltet. Eine Streaming-Serie fiktionalisiert die Entstehungsgeschichte des Festivals als kauziges Heldenepos. „Wacken ist eine riesenhafte Gelddruckmaschine geworden“, sagt Nohr.

„Größte Metal-Party der Welt“

In der Folge hat sich ein Teil der Metal-Szene abgewendet. Dort gelte Wacken als „Aushängeschild für die Kommerzialisierung des Genres“, sagt Forscher Trummer, der selbst in einer Metal-Combo spielt. Die radikale Vermarktung widerspreche dem „Authentizitätsanspruch“ der Szene, die sich als Gegenkultur verstehe. „Die Kreativität und Widerständigkeit der Musikrichtung wird von Underground-Bands hochgehalten, die nicht in Wacken auftreten.“

Thomas Jensen, der das Festival mit seinem Kumpel Holger Hübner gründete, ficht die Debatte um Kommerzialisierung und mutmaßlichen Authentizitätsverrat indes nicht an. „Metalheads aus über 80 Nationen kommen bei uns zusammen, um ihre Musik, den Lebensstil und die Gemeinschaft zu feiern“, erklärt er auf epd-Anfrage. Dabei kämen Bands aller Größenordnungen und Subgenres zum Zuge. Durchaus lasse sich das Festival als „größte Metal-Party der Welt“ bezeichnen, betont Jensen: Daran sei nichts verwerflich.

Rolf Nohr, ein Pionier der „Metal Studies“ in Deutschland, erkennt in der Entwicklung des Genres ein Muster: „Der Metal bewegt sich immer wieder auf die Kulturindustrie zu, begreift dies aber immer auch als Verrat“, erläutert er. So folge auf eine Welle der Kommerzialisierung stets eine Erneuerung. Ein Beispiel sei der Black Metal, der Anfang der 1990er Jahre in Skandinavien als Reaktion auf die Popularität von Bands wie Metallica entstand.

Mit Blick auf Wacken fragt sich Nohr, „wie weit die Festivalmacher die Kommerzialisierung noch treiben können. Irgendwann werden alle sagen: Wacken nervt.“ Aber genau das könnte der Punkt sein, an dem sich der Metal ein weiteres Mal erneuern werde.

Von Stefan Fuhr (epd)


Die Monstermacher




Peter und Claudia Röders
epd-bild/Evelyn Sander
Peter und Claudia Röders gehören zu Deutschlands bekanntesten Puppenbauern. Seit 1971 entstehen in ihrer Werkstatt Monster, Prinzessinnen und lebensgroße Maskottchen für Theater, Film und Sportvereine. Gerade ist ein Drache in Arbeit.

Idstedt (epd). Der Drache sieht noch blass aus, nur seine Füße sind schon knallgrün. Der Kopf aus einzelnen Schaumstoffteilen ist bereits zusammengeklebt, gerade werden die Ohren gebaut. „Später wird über Kopf und Körper grüner Stoff gespannt und festgenäht“, erklärt Puppenbauer Peter Röders, als er routiniert einen Schaumstoffstreifen an die Nase der Großfigur klebt.

Seit mehr als 50 Jahren gehören Peter Röders und seine Frau Claudia zu Deutschlands bekanntesten Puppenbauern. In ihrer fabula-Filmpuppen-Werkstatt im schleswig-holsteinischen Dorf Idstedt entstehen Drachen, Monster, Pferde, Koala-Bären oder Sportverein-Maskottchen - von 15 Zentimetern bis zu großen Figuren für Schauspieler.

Leicht und luftdurchlässig

Rund einen Monat bauen die beiden an dem Drachen, der an ein Hotel ins Erzgebirge geht. „Wichtig ist, dass die Puppen möglichst leicht und luftdurchlässig sind“, sagt Peter Röders. Er weiß, worauf es ankommt. Schließlich schwitzte er selbst als Puppenspieler von 1978 bis 1983 für die Kindersendung „Sesamstraße“ im Fellkostüm von Samson. „Darin wurde es bis 40 Grad heiß“, erinnert er sich. Für die „Sesamstraße“ entwickelte er auch die Figur „Herr von Bödefeld“, eine Mischung aus Hund und Maus mit Wuschelhaaren. „Es war die einzige deutsche Figur in der Sesamstraße“, sagt Peter Röders.

Zum Puppenbau kam er eher zufällig: Als Heilpädagoge spielte er mit Marionetten für behinderte Kinder. Aber die Fäden hätten ihn einfach gestört. „Mit einer Handpuppe bin ich näher an den Kindern dran“, findet er. Röders übernahm eine Puppenbühne in Kiel und entwickelte bald eigene Figuren. Seither versorgt er Puppenspieler, Freizeitparks und Sportvereine mit Puppen.

Erste Entwürfe modelliert er aus Ton, fertigt Negativ-Formen an und entwirft daraus ein individuelles Schnittmuster. Er tüftelt an Fernsteuerungen, Gestellen für lange Drachenhälse und wedelnde Hundeschwänze. „Jede Figur ist ein Unikat“, sagt Röders. „Besonders wichtig sind die Augen, sie müssen lebendig wirken“, sagt seine Frau Claudia, die für den Drachen eine goldfarbene Iris in eine weiß grundierte Plastikschale malt.

Emotionale Bindung an die Puppen

Zu jeder Puppe haben die beiden eine emotionale Bindung, einen Liebling haben sie aber nicht: „Ich verliebe mich nicht in meine eigenen Puppen, sonst kann ich sie ja nicht weggeben“, erklärt Peter Röders und grinst. „Bei uns sitzen auch keine Puppen auf dem Sofa“, ergänzt Claudia Röders. Dafür hängen in der Werkstatt riesige lila Wuschelmonster unter der Decke, in jeder Ecke stapeln sich Zubehör-Kisten, Puppen, Stoffe und Rohlinge. Auf dem Regal hockt ein Rabe zwischen einer schlecht gelaunten Schnecke, dem Maskottchen der Expo 2000, und einer Einkaufstüte mit Mund und Augen.

Nach einem kurzen Einbruch durch die Corona-Pandemie hat das Ehepaar wieder alle Hände voll zu tun. Sie bauten die Drachen Nepomuk und Frau Mahlzahn für ein „Jim Knopf“-Opernstück, tierische Freunde für den TV-Raben Rudi und renovierten das Storch-Maskottchen von Holstein Kiel. Damit alles passt, stülpt sich Claudia Röders die Großfiguren immer wieder zur Anprobe über. „Ich habe eine gute Standard-Größe“, lacht sie, probiert den Drachen an und streicht über seinen dicken Bauch. „Die Puppenspieler müssen sich gut darin bewegen können“, weiß die 66-Jährige, die auch immer wieder alte Puppen renoviert.

Um die Puppen beim Spielen mit Leben zu füllen, müssen Bewegungen übertrieben sein, sonst stehe die Figur da einfach nur herum. „Wenn der Puppenspieler nicht gut ist, nützt die schönste Figur nichts“, sagt Peter Röders. Es sei eine eigene Kunst. Mittlerweile gebe es Studiengänge für das Fach Puppenspiel, zuvor hatte das Ehepaar selbst bundesweit Workshops organisiert.

600 Berufspuppenspieler

„Puppentheater ist vielfältiger, als man denkt“, sagt Stephan Schlafke, zweiter Vorsitzender des Verbands Deutscher Puppentheater. Dass das Puppentheater durch die Digitalisierung verdrängt wird, glaubt er nicht: „Auch für die Kinder heute ist es etwas Besonders, Theater zu erleben.“

Aktuell sei Puppenspiel sehr gefragt. Nach letzten Verbands-Schätzungen geht er von bundesweit 600 Berufspuppenspielern aus. Neben Puppenbühnen, die vermehrt auch Erwachsenenstücke anböten, seien auch an städtischen Theatern immer mehr Puppen zu sehen.

Mit der Digitalisierung haben auch die Röders kein Problem, im Gegenteil: „Als die ersten 3D-Drucker auf dem Markt waren, habe ich gleich zugeschlagen“, erklärt der Puppendesigner. So kommen die Prinzessinnen-Kronen für die menschengroßen Playmobil-Figuren heute aus dem Drucker. Auch Röders Sohn Philip ist von Technik fasziniert, er hat Gamedesign studiert. Ob er die Werkstatt übernehmen wird, ist jedoch unklar.

Dabei denkt der 77-jährige Vater noch nicht ans Aufhören, im Gegenteil: „Am liebsten würde ich noch mal böse Drachen bauen“, sagt er. Aber jetzt ist er erst mal der niedliche Drache dran, dem noch die grüne Farbe und die Kopfausstattung fehlen. Peter Röders holt schon mal die Hörner.

Von Evelyn Sander (epd)


Ende in der alten Telefonfabrik




Bauhaus in Dessau
epd-bild/Viktoria Kühne
Das Bauhaus revolutionierte von 1919 bis 1933 die Grundlagen von Architektur und Design. Unter dem Druck der Nationalsozialisten wich es von Weimar nach Dessau und später nach Berlin aus. In Dessau überstanden die Bauten aus purer Not Abbruchplänen.

Dessau, Berlin (epd). Die Kantine des Bauhausgebäudes in Dessau gehört heute zu den beliebtesten Lokalen der Stadt. Kulturinteressierte, die in ehemaligen Studentenzimmern im Atelierhaus übernachten können, genießen die studentische Atmosphäre. Der Bau ist als Unesco-Weltkulturerbe mit klaren Linien und großen Fensterflächen ein Touristen-Magnet. Der Leiter der Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau, Werner Möller, bezeichnet es als Glücksfall, dass das Gebäude nach der Schließung der gleichnamigen Hochschule nicht abgerissen wurde.

Das Dessauer Gebäude ist das heute wohl bekannteste der Architektur- und Designschmiede. Doch das Aus für das Bauhaus kam vor 90 Jahren aus Berlin: Am 10. August 1933 gab der Direktor des Bauhauses, Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969), dort dessen Auflösung bekannt.

Bauhausgebäude von Albert Speer genutzt

Nach dem Ende der Einrichtung per Gemeinderatsbeschluss in Dessau von 1932 hatte Mies van der Rohe versucht, die Schule in Berlin als Privatinstitut in einer alten Telefonfabrik weiterzuführen. Er hatte gehofft, die Hochschule durch Lizenzverträge etwa über die Herstellung von Bauhaus-Tapeten finanzieren und die von Dessau zugesagte Zahlung der Gehälter finanzieren zu können. Doch die Gestapo durchsuchte das Berliner Gebäude auf mutmaßlich kommunistisches Material. Um einer erneuten Schließung durch die Behörden zuvorzukommen, beschloss Mies van der Rohe gemeinsam mit dem Meisterrat das Ende der Hochschule. Die ehemalige Telefonfabrik, in der sie für einige Monate in Berlin ihren Sitz hatte, überstand den Krieg, wurde jedoch 1974 abgerissen.

Das Bauhausgebäude in Dessau wurde während der NS-Zeit zeitweilig als Landesfrauenarbeitsschule und vom Architekten Albert Speer (1905-1981) genutzt. Mitte der 70er Jahre wurde es in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt.

In den Anfangszeiten der DDR habe das Gebäude nicht in den sowjetischen Traditionalismus mit seinem Zuckerbäckerstil gepasst, sagt der Sammlungsleiter. Das Bauhaus sei damals als Ausdruck des Kosmopolitismus abgelehnt worden, der aus den USA bekannt war, erklärt Möller. In den 60er Jahren sei auch in der Sowjetunion zur Deckung des Bedarfs an Wohnungen die Bauwirtschaft industrialisiert worden. Im Zuge dieser Entwicklung sei das Bauhaus als Teil des sozialistischen Erbes anerkannt worden.

Seit 1994 ist die Stiftung Bauhaus Dessau für Erhalt und Erforschung des Bauhaus-Erbes der Stadt zuständig. Im 2019 eröffneten Bauhaus-Museum zeigt sie Teile der 50.000 Objekte umfassenden Sammlung der 1919 in Weimar von Walter Gropius (1883-1969) gegründeten Hochschule.

Weimar kürzte die Mittel

Diese wurde 1925 nach Dessau verlegt, nachdem der Schule in Weimar aus politischen Gründen die Mittel um 50 Prozent gekürzt worden waren. Keine fünf Jahre nach ihrer Gründung hätten mit Mannheim, Frankfurt am Main, Köln und Dessau gleich mehrere Städte um die Schule geworben. Dessau bot laut Möller ein sozialliberales Klima sowie eine günstige Lage in der Nähe von Berlin, Leipzig und Halle. Für eine Stadt mit 60.000 Einwohnern sei überdies das Angebot, das Bauhausgebäude in Dessau, die Meisterhäuser und die Meistergehälter zu finanzieren, eine erhebliche Leistung gewesen, betont Möller.

Hoffnungen auf handwerkliche und industrielle Betätigung der Hochschule hätten sich jedoch nicht erfüllt, sagt der Sammlungsleiter. Gropius Nachfolger als Leiter der Hochschule, Hannes Meyer (1889-1954), betonte ab 1928 den sozialen Anspruch der Hochschule. Dabei ging es vor allem darum, wie gut gestaltete Produkte und Bauten so geschaffen werden können, dass sie erschwinglich sind.

Auch der Versuch, 1930 mit Mies van der Rohe einen als staatstragend und als politisch unbeschriebenes Blatt geltenden Leiter zu ernennen, schlug fehl. Die zwei Jahre später vom Gemeinderat verfügte Schließung der Hochschule in Dessau war mit Wünschen nach einem Abbruch des Bauhausgebäudes verbunden, sagt der Sammlungsleiter: „Das hat nicht stattgefunden, weil sie den Raum brauchten.“

Von Bettina Gabbe (epd)


Weimar feiert Bauhaus




"Haus am Horn" in Weimar
epd-bild/Maik Schuck

Weimar (epd). Zum 100. Jahrestag der ersten großen Bauhaus-Ausstellung sind in Weimar vom 15. August bis 10. September Ausstellungen, Workshops und Performances geplant. Veranstalter sind neben der Bauhaus-Universität die Klassik Stiftung Weimar und das Kunstfest Weimar, wie die Hochschule mitteilte.

Präsentiert würden unter anderem aktuelle Projekte, Diskurse und Zukunftsentwürfe von Studierenden und Dozenten. Zentraler Ort des Jubiläumsprogramms der Bauhaus-Universität ist das Schiller-Museum. Einer der Höhepunkte sei am 31. August die „Bauhaus-Parade“ vom Hochschulcampus durch den Park an der Ilm zum Haus Am Horn. Künstlerische Installationen und Yoga-Sessions begleiteten die Parade.

Musterhaus „Am Horn“

Die erste Bauhaus-Ausstellung fand vom 15. August bis 30. September 1923 in Weimar statt. Dabei wurden an verschiedenen Standorten am Bauhaus entstandene Arbeiten gezeigt. Eines der zentralen Ausstellungsstücke war das Musterhaus „Am Horn“, ein Einfamilienhaus, in dem die Auffassungen des Bauhauses zu Architektur, Möbeln, Design und Farbe erstmals gebündelt vorgestellt wurden.

Die Kunstschule „Staatliches Bauhaus Weimar“ wurde am 1. April 1919 in Weimar gegründet und gilt als die wichtigste künstlerische Reformschule der Moderne. Ihre Impulse haben Kunst, Handwerk, Design und Architektur des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. Gründungsdirektor war Walter Gropius (1883-1969). 1925 wurde die Einrichtung in ihrem Gründungsort aus politischen Gründen geschlossen und ab 1926 in Dessau sowie von 1932 bis zur Auflösung ein Jahr später in Berlin fortgeführt.



Humboldt Forum: Weiter Kritik an Infotafel zur Kuppel-Inschrift




Berliner Humboldt Forum und Berliner Dom
epd-bild/Heike Lyding

Berlin (epd). Der Vorsitzende des Fördervereins Berliner Schloss, Richard Schröder (79), hat seine Kritik an einer Infotafel zur Inschrift an der Kuppel des Berliner Humboldt Forums erneuert. Trotz Änderungen gegenüber dem ersten Entwurf enthalte die Tafel auf der Dachterrasse des Humboldt Forums Behauptungen, „die kritischen Anfragen nicht standhalten“, schreibt der emeritierte Theologieprofessor in einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (31. Juli).

So erhebe die Kuppel-Inschrift anders als behauptet keinen Herrschaftsanspruch des Christentums. Dies gelte sowohl für das Neue Testament, auf dem die Kuppel-Inschrift basiert, wie auch für die Hohenzollern selbst, erklärte Schröder, der 1990 SPD-Fraktionsvorsitzender in der freigewählten DDR-Volkskammer war. Auch sei die Inschrift nicht als Antwort an die Revolutionäre von 1848 zu verstehen, da sie vermutlich bereits zu Beginn des Baus 1844 feststand. Auf der Infotafel heißt es, die Inschrift sei im Zuge der Revolution eine „Provokation“ gewesen.

Kritik gab es in der Vergangenheit vor allem am zweiten Teil der von Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) veranlassten Inschrift: „Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“ (Philipper-Brief 2,10).

Die im Februar angebrachte Informationstafel soll laut Humboldt Forum der historischen Einordnung der Bibelzitate und des Kuppelkreuzes dienen. Eine geplante zeitweilige Kunstinstallation mit einer Überblendung der Inschrift in den Nachtstunden wurde Ende Juni aus Kostengründen abgesagt.



WDR-Chefredakteur entschuldigt sich für "Tagesschau"-Beitrag



Köln (epd). Nach Kritik an einem Beitrag in der „Tagesschau“ und in den „Tagesthemen“ hat sich der Chefredakteur Aktuelles im WDR, Stefan Brandenburg, entschuldigt. „Passiert ist ein saublöder Fehler“, schrieb Brandenburg am 1. August beim Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter. „Fehler passieren, zumal unter Zeitdruck in der aktuellen Berichterstattung.“ Zwischenzeitlich wurde der Beitrag, in dem es um die Klima-Preise bei dem Discounter Penny geht, nachträglich von dem Sender bearbeitet.

Am 31. Juli hatte der WDR in einem Videobeitrag in der „Tagesschau“ und in den „Tagesthemen“ über eine Preisaktion des Lebensmittel-Discounters Penny berichtet. Im Beitrag „Wahre Kosten“ gab es in der ursprünglichen Version eine O-Ton-Geberin, die für den WDR arbeitet, wie es auf der Korrekturen-Seite der Sendungen nach der Ausstrahlung des Beitrags hieß. „Die mit ihr gezeigte Sequenz hätte so nicht gesendet werden dürfen. Kolleginnen oder Kollegen zu interviewen, entspricht nicht unseren journalistischen Standards.“

In dem Beitrag sagte die WDR-Journalistin, dass sie die Klima-Preisaufschläge von Penny gut finde. „Normalerweise denkt man nicht darüber nach, dass Fleisch so und so viel Aufschlag hat“, zitierte die „Bild“-Zeitung sie aus dem Beitrag.

Zufällig für Umfrage angesprochen

Brandenburg schrieb auf dem Kurznachrichtendienst X, dass die WDR-Kollegin zufällig für die Umfrage angesprochen worden sei. „Sie hat dem Reporter, der sie nicht kannte, sinngemäß gesagt: 'ich komme gerade vom WDR-Radio'. Der hat das in der Situation im Supermarkt mit vielen Nebengeräuschen falsch verstanden als 'ich habe es im WDR Radio mitgekriegt'. Wenn der Reporter verstanden hätte, dass er eine Kollegin vor sich habe, hätte er ihre kurze und spontane Reaktion niemals in den Beitrag aufgenommen“, schrieb Brandenburg.

Mehrere CDU-Politiker kritisierten den WDR nach dem Beitrag. Die nordrhein-westfälische CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler sagte zu „Bild“, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk klar trennen müsse zwischen Ideologie und Journalismus.

Brandenburg wehrte sich gegen den Vorwurf der ideologischen Berichterstattung und verwies auf den „Tagesthemen“-Kommentar, in dem es hieß, dass die Penny-Aktion „nicht viel mehr als eine leicht durchschaubare PR-Aktion“ sei. „Wir haben über 'Wahre Preise' ausgewogen kritisch und distanziert berichtet. Das Versehen tut uns leid.“



Stimmwunder Whitney Houston: "Es ist unfassbar, was sie konnte"




Ihre ersten musikalischen Erfahrungen sammelte Whitney Houston im Gospelchor ihrer Kirche (Themenbild).
epd-bild / Andreas Schoelzel
Sie hatte mehr Hits nacheinander als die Beatles: Whitney Houston gilt als erfolgreichste Sängerin aller Zeiten. Doch hinter der strahlenden Fassade bestimmten Gewalt und Drogensucht viele Jahre ihres Lebens.

Essen (epd). Mit ihrer Stimme, die mühelos über drei Oktaven reichte, konnte sie jeden Popsong zu großer Kunst erheben. Whitney Houston hatte mehr Nummer-Eins-Hits in Folge als die Beatles. Mit mehr als 220 Millionen verkauften Tonträgern und sechs Grammys ist sie die bislang erfolgreichste Sängerin. Ihren größten Hit „I Will Always Love You“ sang sie für den Film „Bodyguard“, bei dem sie an der Seite von Kevin Costner auch als Schauspielerin vor der Kamera stand. Ihre späteren Jahre wurden von Krisen und Sucht überschattet, sie starb 2012 mit nur 48 Jahren. Am 9. August wäre sie 60 Jahre alt geworden.

„Whitney Houston war ein Stimmwunder erster Güte. Es ist unfassbar, was sie konnte“, sagt der Rektor der Essener Folkwang-Universität der Künste, Andreas Jacob, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Als an seiner Uni die ersten Musical-Jahrgänge begonnen hätten, hätten viele versucht, die Pop-Balladen Houstons zu singen. „Das ist aber extrem schwer - die meisten sind daran gescheitert.“

Showbiz-Diva der 90er

In den 90er-Jahren sang sie vor ausverkauften Stadien, galt als Showbiz-Diva. Wie der Erfolg sie verändert habe, wollte eine Fernseh-Interviewerin im Jahr 1996 wissen. „Nicht der Erfolg verändert einen“, antwortet eine Whitney Houston, die nach den richtigen Worten sucht. „Das Berühmtsein verändert einen.“ Dann bricht Verzweiflung aus ihr nur so heraus: „Die Leute schreien deinen Namen, und du kennst keinen von ihnen.“ Alle hätten die total falsche Vorstellung, „dass man als Berühmtheit ein perfektes Leben führt, in dem es nie schlecht läuft“. Aber Geld mache nicht glücklich, und auch Ruhm mache nicht glücklich.

Die Künstlerin aus Newark im US-Bundesstaat New Jersey wurde in eine äußerst musikalische Familie hineingeboren. Ihre Cousine war die Pop-Ikone Dionne Warwick, ihre Patentante Aretha Franklin. Die Mutter Cissy Houston begleitete als Backgroundsängerin Elvis, Aretha Franklin, Jimi Hendrix oder Dusty Springfield.

Ihre ersten musikalischen Erfahrungen sammelte Houston in der Kirche: „Gott hat mir diese Gabe verliehen“, sagte sie einmal. Ihre Gesangsausbildung habe sie im Gospelchor in der Kirche absolviert: „Denn dort habe ich gelernt, Inspiration und ganz viel Gefühl in die Stimme zu legen.“

„Ihre Stimme übertraf alles, was ich je gehört habe“, erinnerte sich der Hit-Produzent und Arista-Chef Clive Davis, der die junge Sängerin unter Vertrag nahm. Seine Strategie war es, eine Pop-Ikone schaffen, die nicht nur in den Charts der schwarzen Musik Erfolg hat, sondern auch im weißen Amerika akzeptiert wird. Das Konzept ging auf: Höhepunkt ihrer Karriere war der Auftritt beim „Super Bowl“ 1991. Als die schwarze Sängerin die Nationalhymne „The Star Spangled Banner“ sang, löste sie Begeisterungsstürme aus.

„Ich weiß, wie es sich anfühlt, schwarz zu sein“

Vertreter der schwarzen Emanzipationsbewegung warfen ihr hingegen vor, dass sie sich mit ihrer Musik der weißen Gesellschaft angepasst habe. Bei der Preisverleihung der Musiksendung „Soultrain“ wurde sie von einem schwarzen Publikum ausgebuht.

„Manchmal war ich ihnen nicht schwarz genug oder nicht R&B (Rhythm and Blues) genug“, wird Houston in der Doku „Can I Be Me“ zitiert. Sie sei zu poppig gewesen. „Das weiße Publikum hatte mich von ihnen entfremdet.“ Sie betonte aber auch: „Ich weiß, wie es sich anfühlt, schwarz zu sein.“

Houston habe sich bewusst zwischen den damals strikt getrennten Bereichen von schwarzer und weißer Musik positioniert, erklärt Folkwang-Rektor Jacob. Mit ihrer Kunst habe sie Musikerinnen wie Missy Elliott, Lauryn Hill, Alicia Keys und Céline Dion beeinflusst. Im vergangenen Jahr wurde ihr Leben in dem Biopic „I Wanna Dance with Somebody“ auf die Kinoleinwand gebracht.

Schon früh Kontakt mit Drogen

Die Tragik der großen Sängerin war offenbar, dass sie ihr Leben einem glatten Mainstream-Image untergeordnet hatte, das ihr überhaupt nicht entsprach. In den Schwarzenvierteln von New Jersey aufgewachsen, war sie wohl schon früh in Kontakt mit Drogen gekommen. Mit ihrer langjährigen Freundin Robyn Crawford soll sie zeitweise in einer Beziehung gelebt haben, die sie aber in der Öffentlichkeit verneinte. In ihrer Ehe mit dem Rapper Bobby Brown, mit dem sie die Tochter Bobbi Kristina (1993-2015) hatte, erlebte sie lange Jahre Untreue, Gewalt und Drogenmissbrauch.

In der Ehe habe sich Houston „in eine unberechenbare, verzweifelte Frau“ verwandelt, „deren Leben völlig aus den Fugen geriet“, schreibt Mark Bego in seiner Biografie. Immer massivere Drogen- und Alkoholprobleme waren die Folge. Im Jahr 2007 ließ sie sich scheiden. Ihrem Vater entzog sie ihr Management, dieser verklagte sie daraufhin auf 100 Millionen Dollar.

2009 gelang Houston mit „I Look to You“ nochmal ein Comeback-Album. Sie hatte einen immer größeren Tross zu versorgen, fast die ganze Familie war bei ihr angestellt. Eine Therapie soll sie abgebrochen haben, weil kein Geld mehr auf dem Konto war.

Am Vorabend der Verleihung der Grammy Awards in Beverly Hill wurde sie am 11. Februar 2012 von ihrer Assistentin leblos in der Badewanne gefunden. Die Gerichtsmediziner stuften ihren Tod durch Ertrinken als Unfall ein, jedoch hätten ein Herzleiden und Kokainmissbrauch dazu beigetragen. Weggefährten wie die Backgroundsängerin Pattie Howard, die in der Doku „Can I Be Me“ zu Wort kommen, sehen jedoch eine tiefere Ursache: „Sie starb an gebrochenem Herzen.“

Von Holger Spierig (epd)


Neues Festival für inklusive Kultur in Aachen



Aachen (epd). In Aachen wird bei einem neuen Festival ab dem 11. August die inklusive Kultur gefeiert. Drei Tage lang werden Künstlerinnen und Künstler mit Behinderungen im Depot Talstraße ihre Arbeiten präsentieren, wie die Stadt Aachen am Donnerstag ankündigte. Das Festival „einzigARTig“ solle ein Zeichen für Diversität, Solidarität und Inklusion setzen.

So wird am ersten Tag etwa eine Ausstellung mit Werken von Künstlerinnen und Künstlern aus der Kunstwerkstatt der Lebenshilfe gemeinsam mit den Aachener Kunstschaffenden Vera Sous und Joost Meyer eröffnet. Zudem stehen Bands, Filme, eine Podiumsdiskussion und ein Theaterstück auf dem Programm. Das neue Festival wird vom Kulturbetrieb der Stadt Aachen organisiert.



Kinder proben für Musical "Magical Garden" zur Landesgartenschau



Marienmünster, Höxter (epd). Kinder und Jugendliche proben derzeit in der Abtei Marienmünster für das Musical „Magical Garden“, das bei der Landesgartenschau in Höxter auf die Bühne kommt. Im Rahmen des „Ferientheaters Marienmünster“ bereiten sie sich auf die Aufführungen am 12. und 13. August vor, wie das Netzwerk Klosterlandschaft OWL am 6. August ankündigte. Beteiligt an dem Projekt seien auch eine eigens für das Musical zusammengestellte Live-Band, die Sopranistin und Künstlerische Leiterin des Stimmenfestivals „Voices“, Leonore von Falkenhausen, Bariton Georg Thauern sowie Vocalcoach und Theaterpädagogin Svenia Koch.

„Magical Garden“ erzählt den Angaben zufolge die Geschichte des Mädchens Pauline, das für den Erhalt eines alten Klostergartens kämpft, der einem Shoppingcenter weichen soll. „Bunt, vielfältig und spannend bringen die jungen Leute höchst professionell ein Thema auf die Bühne, das aktueller ist denn je - der respektvolle Umgang mit unserer Umwelt“, erklärte Hans Hermann Jansen vom Netzwerk Klosterlandschaft OWL. Kooperationspartner sind die Gesellschaft der Musikfreunde der Abtei Marienmünster und die Landesgartenschau Höxter.



Landtag NRW startet Wettbewerb zum "Pressefoto des Jahres"



Düsseldorf (epd). Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat zum fünften Mal den Wettbewerb um das beste „Pressefoto des Jahres“ ausgeschrieben. Der Wettbewerb ist mit 22.000 Euro dotiert und soll die Arbeit der Fotografinnen und Fotografen würdigen, wie die Landtagsverwaltung am 4. August in Düsseldorf mitteilte. Zudem bietet der Wettbewerb im Rahmen einer Ausstellung im Landtag einen Jahresrückblick professioneller Pressebilder in NRW.

Bewerben können sich Fotografinnen und Fotografen mit Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen, die überwiegend journalistisch tätig sind. Neben dem Siegerfoto werden auch der zweite und dritte Platz ausgezeichnet. Einen Sonderpreis gibt es für Pressefotos zum Thema „Ehrenamt in Nordrhein-Westfalen“ sowie Nachwuchsfotografen. Die Fotos müssen in den letzten zwölf Monaten vor dem Einsendeschluss (31. Oktober) entstanden und in journalistischen Medien (Print und Online) veröffentlicht worden sein.

Auch die NRW-Bürger können bei dem Wettbewerb mitentscheiden und online über die Vergabe eines Nachwuchspreises für Fotografinnen und Fotografen unter 30 Jahren abstimmen. Die Preisträger werden am 5. Dezember im Landtag geehrt. Eine Ausstellung mit den 30 besten Fotos bietet zum Jahresende einen Rückblick auf das Nachrichtenjahr 2023.

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Und der Landtag zeigt die besten Bilder aus Nordrhein-Westfalen: Das Jahr 2023 war schon ereignisreich und wir sind gespannt, wie Fotojournalistinnen und -journalisten auf das Jahr blicken“, sagte der Präsident des Landtags, André Kuper (CDU). Mit dem Sonderpreis soll in diesem Jahr zudem der journalistische Blick auf das Ehrenamt in Nordrhein-Westfalen gefördert und die Arbeit der Ehrenamtler gewürdigt werden.



Filmschaffende können wieder Werke beim Max Ophüls Preis einreichen



Saarbrücken (epd). Filmschaffende können ab sofort online ihre Werke für die 45. Ausgabe des Filmfestivals Max Ophüls Preis einreichen. „Wir sind gespannt auf spannende, berührende und mutige Filmhandschriften der Talente im deutschsprachigen Raum“, sagte Festivalleiterin Svenja Böttger am 3. August in Saarbrücken. „Erstmalig möchten wir in der Werkschau der jungen Filmschaffenden auch Serienpiloten des vergangenen Jahres eine Bühne bieten, die bereits für Aufmerksamkeit gesorgt haben.“ Die kommende Ausgabe findet vom 22. bis 28. Januar 2024 statt.

Für die Filmschaffenden gibt es den Angaben zufolge zwei Einreichungsfristen: Wer an den vier Wettbewerben in den Kategorien Spielfilm, Dokumentarfilm, Mittellanger Film und Kurzfilm teilnehmen möchte, habe bis zum 31. Oktober Zeit. Arbeiten für die Nebenreihen könnten bis zum 30. September eingereicht werden. Teilnahmeberechtigt sind Regisseurinnen und Regisseure, die maximal drei Langfilme fertiggestellt haben.

Das Filmfestival Max Ophüls Preis ist eines der größten und wichtigsten Foren für Filmschaffende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es ist nach dem in Saarbrücken geborenen europäischen Filmregisseur Max Ophüls (1902-1957) benannt. In den Wettbewerben werden Preisgelder im Gesamtwert von 118.500 Euro vergeben. Den Hauptpreis in Höhe von 36.000 Euro hatte in diesem Jahr der Film „Alaska“ von Regisseur Max Gleschinski gewonnen.




Entwicklung

Myanmar: Militärjunta verkürzt Haft für Nobelpreisträgerin Suu Kyi




Aung San Suu Kyi im Jahr 2014
epd-bild/Rolf Zöllner
Zu mehr als 30 Jahren Haft ist die De-facto-Regierungschefin Suu Kyi in Myanmar verurteilt worden. Nun verkündete die Militärjunta eine Teil-Begnadigung. Fachleute rechnen jedoch nicht mit einer Freilassung der Friedensnobelpreisträgerin.

Frankfurt a.M./Naypyidaw (epd). Die Militärjunta in Myanmar hat die gestürzte De-facto-Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi teilweise begnadigt. Die Machthaber des südostasiatischen Landes reduzierten nach übereinstimmenden Medienberichten die Haftstrafe für Suu Kyi um sechs Jahre. Laut dem Nachrichtenportal „Myanmar Now“ wurden auch dem ebenfalls abgesetzten Präsidenten Win Myint (72) vier Jahre seiner Haftstrafe erlassen.

Es handele sich nicht um eine vollständige Amnestie für die beiden Politiker, hieß es. Die 78-jährige Suu Kyi wurde in mehreren Verfahren zu insgesamt 33 Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen Korruption. Präsident Win Myint (72) erhielt laut „Myanmar Now“ eine Haftstrafe von insgesamt zwölf Jahren.

Umfassende Amnestie

Die verkündete Teil-Begnadigung war offenbar Teil einer umfassenderen Amnestie für Gefangene. Insgesamt seien anlässlich eines buddhistischen Feiertages 7.749 Menschen im ganzen Land begnadigt worden, berichtete der Sender Radio Free Asia. Die Junta in Myanmar nahm in der Vergangenheit Feiertage immer wieder zum Anlass für Amnestien oder Hafterleichterungen.

Der Myanmar-Experte Hans-Bernd Zöllner rechnet nicht damit, dass Suu Kyi freikommt. Die Teil-Begnadigung habe im Wesentlichen kosmetische Gründe für das Selbstbild des Militärs, sagte der Theologe und Soziologe vom Numata-Zentrum für Buddhismuskunde an der Universität Hamburg dem Deutschlandfunk.

Im Februar 2021 hatte das Militär gegen Suu Kyis regierende „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD) geputscht. Suu Kyi, Präsident Win Myint sowie zahlreiche weitere NLD-Mitglieder wurden festgenommen und mit Gerichtsverfahren überzogen. Menschenrechtsorganisationen hatten die Prozesse als politisch motiviert kritisiert.

Mehr als 3.500 Tote

Seit dem Putsch geht die Militärjunta brutal gegen Widerstand aus der Bevölkerung vor. Zuletzt sorgte im April ein Luftangriff auf ein Dorf im Nordosten des Landes mit mutmaßlich mehr als 150 Toten für Entsetzen. Insgesamt wurden laut der Gefangenen-Hilfsorganisationen AAPP seit der Machtergreifung des Militärs 24.100 Menschen in Myanmar aus politischen Gründen inhaftiert. Mehr als 3.800 Menschen wurden demnach getötet.

Auch in der jüngsten Vergangenheit gab es keine Anzeichen für eine politische Kursänderung der Militärjunta. Erst am Montag verlängerte Junta-Chef Min Aung Hlaing den Ausnahmezustand in Myanmar laut Medienberichten um weitere sechs Monate.



Vom Hoffnungsträger zum gescheiterten Reformer?



Kolumbiens Präsident Gustavo Petro versprach, nach rund 60 Jahren Bürgerkrieg für Frieden zu sorgen. Doch die Gewalt hält an. Auch die angekündigten Sozialreformen stocken. Am 7. August ist Petro ein Jahr im Amt.

Berlin/Bogotá (epd). Der umfassende Frieden: Es ist das Herzensprojekt des ersten linken Präsidenten Kolumbiens, Gustavo Petro. Mit dem Versprechen, den seit Jahrzehnten anhaltenden Bürgerkrieg zu beenden, gewann der Ex-Guerillero im vergangenen Jahr die Wahl. Doch die Gewalt hält an - trotz Friedensgesprächen mit der größten aktiven Guerilla ELN. Auch angekündigte Reformen im Gesundheits- und Bildungssektor für die arme Bevölkerung sind ins Stocken geraten. Hat der Hoffnungsträger der Armen, Linken und Minderheiten zu viel versprochen?

Die Bevölkerung im drittgrößten südamerikanischen Land ist tief gespalten. Nach Petros Wahlsieg ging ein Aufschrei durch die konservative Elite. Inzwischen müssen aber selbst seine schärfsten Kritiker eingestehen, dass Kolumbien keine sozialistische Autokratie geworden ist. Petro war mit dem Wahlspruch „Cambio“ (Veränderung) angetreten. Symbolisch dafür steht auch die afrokolumbianische Vizepräsidentin Francia Márquez, die als Umweltaktivistin die sozialen Bewegungen und die marginalisierte Bevölkerung mobilisiert hat.

Vier von zehn Menschen leben in Armut

Allerdings hat die neue Regierung ein schweres Erbe angetreten. Rund 40 Prozent der Menschen leben in Armut. Die Inflation von rund 13 Prozent in diesem Jahr, Arbeitslosigkeit und hohe Auslandsschulen schränken den Handlungsspielraum ein. Für seine Reformen muss Petro Mehrheiten im Kongress organisieren, da sein Bündnis „Pacto Histórico“ fast 20 Parteien vereint, die aber nur rund ein Viertel der Abgeordneten stellen. Seine Gesundheitsreform wurde blockiert. Derzeit wackelt Petros Machtposition.

Seit Jahrzehnten eines der größten Probleme ist der Drogenhandel, Treibstoff und Ursache zugleich für die Gewalt, der allein in diesem Jahr laut dem Friedensforschungsinstitut Indepaz bislang knapp 100 Menschenrechtsverteidiger sowie Aktivistinnen und Aktivisten zum Opfer gefallen sind. Guerillas, Paramilitärs und Kartelle finanzieren sich mit Drogen, Kleinbauern bauen vor allem mangels Alternativen Koka an und geraten damit zwischen die Fronten. Um die Macht der Kartelle zu brechen, wirbt Präsident Petro international für die Entkriminalisierung der Drogen. „Diese falsche Verbotspolitik - vor allem, wenn es um Marihuana und Kokain geht - hat Länder wie Mexiko und Kolumbien in die gewalttätigste Region der Welt verwandelt“, sagte Petro in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.

Zugleich will der Präsident die Landreform vorantreiben, die im Friedensvertrag von 2016 mit der Farc-Guerilla festgelegt ist, jedoch von seinem Vorgänger Iván Duque blockiert wurde. Sie soll die ungerechten Besitzverhältnisse aufbrechen, die Hauptursache für den Bürgerkrieg. Verfügte die rurale Bevölkerung über Land, würden laut Petro weniger Drogen produziert, denn die Parzellen reichten derzeit nicht aus, um den Lebensunterhalt zu sichern. Nach einem Rückgang ist Kolumbien wieder weltweit größtes Koka-Anbaugebiet.

Verhandlungen über Friedensschluss mit ELN-Guerilla

Petros größter politischer Sieg wäre ein Friedensschluss mit der ELN-Guerilla, nach der Entwaffnung der Farc ein weiterer Meilenstein zur Beendigung des Bürgerkrieges, in dem etwa 300.000 Menschen getötet und rund sieben Millionen vertrieben wurden. Seit November verhandelt die Regierung mit der rund 3.000 Kämpferinnen und Kämpfer zählenden Rebellengruppe. Seit dem 3. August gilt ein Waffenstillstand. Auch die Wiederaufnahme der politischen Beziehungen mit Venezuela und die Wiedereröffnung der Grenzen spielt für die Sicherheitspolitik Kolumbiens eine wichtige Rolle, galt das Nachbarland doch als Rückzugsgebiet für die ELN.

Außerdem will Kolumbien Vorreiter bei der Produktion von grünem Wasserstoff werden. Im Juni besuchte Petro Deutschland, auch um für dieses Anliegen zu werben. „Südamerika ist die Region mit dem größten Potenzial für die Erzeugung sauberer Energie, vor allem von grünem Wasserstoff, dank viel Sonne und Wind“, sagte er. Damit will der Präsident die einseitige Abhängigkeit Kolumbiens von fossilen Rohstoffexporten beenden. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. 2050 will Kolumbien CO2-neutral sein. Doch gerade einmal sechs Prozent der Energie wird derzeit aus erneuerbaren Energien erzeugt.

Von Susann Kreutzmann (epd)


"Das Welternährungssystem ist extrem fragil und unausgeglichen"




Ralf Südhoff
epd-bild/Heike Lyding

Frankfurt a.M., Berlin (epd). Mit den geplanten Kürzungen im Entwicklungsetat riskiert die Bundesregierung nach Einschätzung des Direktors der Denkfabrik CHA, Ralf Südhoff, ihre Glaubwürdigkeit. „Einerseits wird betont, dass Länder des Globalen Süden eine Allianz gegen den russischen Angriffskrieg schmieden sollen. Andererseits lässt man selbst Hungernde im Stich“, sagte Südhoff dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Länder wie Brasilien und Südafrika kritisierten bereits, dass ihre Kontinente vergessen würden, wenn Geld nur noch für die Unterstützung der Ukraine bereitstehe, sagte der Leiter des CHA („Centre for Humanitarian Action“), das sich mit Fragen rund um die humanitäre Hilfe beschäftigt.

Mit Blick auf die hohe Zahl der weltweit Hungernden sprach der CHA-Direktor von einer „Umkehr des Trends mit dramatischen Folgen“. Der Kampf gegen den weltweiten Hunger sei über viele Jahre relativ erfolgreich gewesen. Bis 2013 sei es innerhalb von zehn Jahren gelungen, mehr als 260 Millionen Menschen aus dem Hunger zu befreien - „trotz auch damals sehr starkem Bevölkerungswachstum“. Laut den UN haben weltweit etwa 735 Millionen Menschen nicht genug zu essen, deutlich mehr als noch vor vier Jahren.

Klimawandel und Konflikte für Anstieg verantwortlich

Für den Anstieg seien unter anderem der Klimawandel und Konflikte in vielen Ländern verantwortlich, sagte Südhoff. Zudem werde häufig unterschätzt, dass die Lebensmittelpreise bereits vor dem Ukraine-Krieg stark gestiegen sein. Dies sei ein Problem für von den Importen abhängigen Länder des Globalen Südens. „Das Welternährungssystem ist extrem fragil und unausgeglichen“, sagte Südhoff. Der durch Russland erzwungene Stopp der Exporte von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer verschärfe die Hungerkrise, die aber nicht allein am Krieg festgemacht werden dürfe. „Wir haben eine Welternährungskrise, auch wenn morgen der Krieg zu Ende ist“, betonte der Experte.

Die Denkfabrik mit Sitz in Berlin wurde im Jahr 2018 gegründet. Getragen wird das CHA von „Ärzte ohne Grenzen“, Caritas International, der Diakonie Katastrophenhilfe und dem Deutschen Roten Kreuz.

epd-Gespräch: Moritz Elliesen


Koranverbrennung: Missio sieht Christen im Nahen Osten gefährdet



Aachen (epd). Öffentliche Verbrennungen und Schändungen des Korans in europäischen Ländern gefährden nach Einschätzung des katholischen Hilfswerks Missio das Leben von Christen im Nahen Osten. Christen in den islamischen Ländern würden schnell für solche Aktionen in Mitverantwortung genommen und von politischen Scharfmachern als „eine Art fünfte Kolonne des Westens denunziert und angefeindet“, sagte der Vizepräsident von Missio Aachen, Gregor von Fürstenberg, am 1. August. „Das macht uns große Sorgen.“

Von Fürstenberg betonte, dass in demokratischen Gesellschaften grundsätzlich auch dann öffentliche Meinungsäußerungen toleriert werden müssten, wenn diese religiöse Gefühle verletzten. Die inszenierte Verbrennung des Korans eröffne jedoch keinen Diskursraum. „Sie erstickt vielmehr jeden Dialog und erschwert eine echte, konstruktive Auseinandersetzung mit den Problemen von religiös motiviertem Hass und Gewalt“, betonte er.

Ursache von Diskriminierung und Gewalt gegen Andersdenkende seien nicht religionsstiftende Schriften, sondern Akteure, die Religion ideologisch und politisch für ihre Zwecke missbrauchten. „Solchen Vereinnahmungen der Religion müssen wir klar und entschieden entgegentreten“, sagte von Fürstenberg. Fundamentalistische Äußerungen dürften öffentlich nicht unwidersprochen bleiben und Menschenrechtsverletzungen müssten geahndet werden. Zugleich sollten jene Stimmen in allen Religionen unterstützt werden, die für interreligiöse Verständigung eintreten.

Am 25. Juli hatten Demonstranten der Gruppe „Dänische Patrioten“ einen Koran vor der ägyptischen Botschaft in Kopenhagen verbrannt. In Dänemark war es der dritte Vorfall dieser Art innerhalb einer Woche. Auch in Schweden wurde die heilige Schrift der Muslime zweimal demonstrativ angezündet. Die Verbrennungen lösten teils heftige Reaktionen in islamischen Ländern aus. Aus Wut über eine angekündigte Koran-Verbrennung hatten irakische Demonstranten die schwedische Botschaft in Bagdad gestürmt und ein Feuer gelegt.