Großheubach (epd). Volker Mayer streicht über die Scheibe Bauernbrot, die vor ihm auf dem Tisch liegt. Dann nimmt er sie in die Hand und faltet sie mittig, bis sie bricht. Genau betrachtet er die Bruchstelle. Das Stück hält er sich direkt vor die Nase und atmet tief ein, riecht kurz an seinem Oberarm und nochmals am Brot. „Es gibt nicht das perfekte Brot“, sagt er. Aber dieses sei nah dran, findet Mayer. Er muss es wissen, denn er ist nicht nur Bäckermeister, sondern auch Brot-Sommelier.

Seit mehr als 30 Jahren ist Mayer Bäcker und Konditor, er hat den Meisterbrief seit Jahrzehnten, betreibt in zweiter Generation eine gut gehende Backstube mit Filialen am Untermain, ist Obermeister der Bäckerinnung in der Region Miltenberg, Aschaffenburg und Alzenau. Und trotzdem packte ihn 2014 der Ehrgeiz, noch mal die Schulbank zu drücken. Er ließ sich über ein Jahr hinweg zum Brot-Sommelier ausbilden. „Als Bäcker backst du Brot, als Sommelier degustierst du es“, erklärt er. Will heißen: Er prüft die Brot-Laibe mit allen Sinnen.

„Franzosen meilenweit voraus“

Ursprünglich war der Sommelier der Vorkoster am Adelshof. Sein Job war es, die Qualität von Speisen und Getränke zu prüfen. Die Aufgaben von Sommeliers heute sind ähnlich - auch wenn es nicht mehr darum geht, vergiftete oder verdorbene Speisen auszusortieren. Vielmehr geht es um Beratung. Welcher Wein passt zu diesem Essen? Oder eben auch: Welches Brot kann ich einem Gast zu diesem oder jenem Getränk anbieten? „Die Franzosen sind uns da meilenweit voraus“, sagt er. Dort sei Brot mehr als eine Sättigungsbeilage.

Im Prinzip ist das auch Mayers Mission als Brot-Sommelier: dem Brot die nötige Ehre erweisen. „Es gibt kein günstigeres Lebensmittel, das satt macht“, sagt er. Zumindest, wenn es handwerklich gut gemacht ist, fügt er hinzu. Und dann sei es auch gesund. All die Volkskrankheiten oder Lebensmittel-Unverträglichkeiten seien auch ein Ergebnis der zu schnellen und zu billigen Ernährung, meint er. „Ein gutes Brot braucht Zeit, um zu reifen. Und diese Zeit sollte man sich nachher auch zum Essen nehmen“, empfiehlt der Brot-Experte.

Anders als beispielsweise Kaffee- oder Bier-Sommeliers, die mitunter schon nach einem zweiwöchigen Crash-Kurs den Titel „Diplom-Sommelier“ führen dürfen, ist das bei Brot-Sommeliers anders. Die Weiterbildung darf in Deutschland nur machen, wer überhaupt schon Bäcker oder Bäckermeister ist. „Unsere Ausbildung ist mit der des klassischen Wein-Sommeliers durchaus vergleichbar“, sagt Mayer. Nur anders als manche Profis im Weinbereich kann man vom Brot-Sommelier-Dasein alleine nicht leben. Es ist doch zu sehr eine Nische.

Von außen nach innen

Wenn sich Mayer bei einem Brot auf „Erkundungsreise“ begibt, läuft das immer ähnlich ab: von außen nach innen. „Ich beginne immer mit der Kruste“, erzählt er. Wie schaut sie aus? Mehlig, körnig, aufgerissen, glatt? Wie ist die Brotform? „Die ist wichtig für den Geschmack“, schließlich schmecke auch Wein aus verschiedenen Gläsern unterschiedlich. Dann macht er den Streichtest bei der Krume, um ihre Stabilität zu testen. Bröselt oder bricht sie, ist das Brot alt - oder Massenware. Zum Schluss wird gerochen und natürlich geschmeckt.

Der Geruchstest ist ein Hingucker. „Jeder, der mir zusieht, fragt mich, warum ich zwischendurch an mir rieche“, sagt der Brot-Liebhaber und grinst dabei schelmisch. Mithilfe des Eigengeruchs neutralisiere er seine Nase, sagt der 57-Jährige. Anschließend lassen sich die vielfältigen Gewürze, Säuren und andere Aromen in einem Brot viel besser wahrnehmen als ohne. Der Geschmackstest läuft dagegen erwartungsgemäß ab: den Brotbissen mindestens 30 Mal kauen, erst dann die Brot-Masse auf der Zunge hin- und hergleiten lassen.

Mayer hofft, dass wieder mehr Menschen im Brot ein echtes Lebens- statt nur ein Nahrungsmittel sehen. „Für mich gehört Brot einfach dazu“, sagt er: „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals ein warmes Essen gegessen habe, ohne nicht auch mindestens eine Scheibe Brot dazu zu haben.“